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Magische
Ursprünglich und charmant: Andrea (Text) und Andreas strauß (Fotos) haben am Fuße des Olperer stille Täler entdeckt und ihre Spuren gezogen.
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Und nochmals steilt der Hang sich auf. Geschickt legt Schorsch die Spur durch die weniger steilen Bereiche. Aber nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass ein Teil der Gruppe das persönliche Wohlfühlgelände beim Abbiegen aus dem Talgrund zurückgelassen hat. Der steile Hochwald wich bald Erlen bewachsenen Flanken. Immer wieder hatten wir kleine Gräben zu queren und seit einer Viertelstunde leitet unsere Spur einen steilen Almrosenhang hinauf. Längst haben wir Sicherheitsabstände vereinbart, die Gespräche sind verstummt, und ich bin mir sicher, dass mindestens jeder Zweite aus unserem siebenköpfigen Team die Frage wälzt, ob er allein noch weitergehen würde oder ob wir gerade alle zusammen den beliebten Fehler begehen, dass ein Experte vorausgeht und alle anderen Experten denken: „Ich würd’s nicht tun, aber er/sie wird’s schon wissen.“
Unvermittelt legt sich das Gelände unter dem Tettensgrat zurück. Erste Sonnenstrahlen tauchen das Kar in magisches Licht, ein kleines hölzernes Hexenhaus steht unweit der Hangkante. Mit ein paar wenigen Schritten hat sich der Charakter der Tour komplett geändert: von furchteinflößend zu freundlich, vom Steilhang zum gemütlichen Kar, von eisiger Kälte zu normalen Hochwintertemperaturen.
Im Schutz des Häuschens packen wir die Thermoskannen aus. Der süße Früchtetee aus unserer Unterkunft ist eine Wohltat, er wärmt und beruhigt die angespannten Nerven.
Der magische Satz
Manche der Schmirntaler und Valsertaler Skitouren mögen einfach sein, manche sind kurz, aber langweilig ist keine. Die „Frauenwand“, eine Empfehlung unserer Wirtin, hatte nicht nur wegen des Namens unser Interesse geweckt, sondern auch weil wir im versteckten, hintersten Winkel des Schmirntals die Fel- le aufziehen: im Kaserer Winkl direkt unter dem Kleinen Kaserer. Hier scheint die Zeit stehen geblieben. Wären das noch nicht Gründe genug, so versprachen die westseitigen Flanken zudem letzten Pulverschnee. „Gestern war’s noch unverspurt,“ ließ unsere Wirtin als magischen Satz fallen.
Inzwischen sind die Rucksäcke wieder geschultert, nun spurt Bernhard durch das weite Kar. Auch wenn gute 400 Höhenmeter noch ausstehen bis zum Gipfel, scheint die Crux der Frauenwand doch schon hinter uns zu liegen. Jetzt ist wieder Zeit, sich umzuschauen. Jochgrubenkopf, Riepenkopf, Schönlahnerspitze und Schöberspitzen bilden den langen, wilden Kamm auf der anderen Talseite. Erster und letzterer sind mit Ski möglich, zwei stolze „Zweitausender“. Den Sprung über die 3.000erMarke schaffen die Berge rund um Schmirn- und Valsertal nur im Kammverlauf vom Kleinen über den Großen und Falschen Kaserer bis zum Olperer und weiter über Fußstein, Schrammacher, Sagwandspitze und Hohe Wand.
Wer der Höchste der Runde ist, ist klar. Mit 3.476 Metern ist der Olperer der höchste Gipfel. Mit entsprechendem Können (spaltiger Gletscher und zweiter bis dritter Grad im Fels) und entsprechender Ausrüstung (Steigeisen, Pickel,
Seil) ist er auch für Tourengeher möglich, zumal von der Tuxer Seite die Erschließung mit den Hintertuxer Liften bis auf 3.200 m reicht.
Beim Titel des schönsten Gipfels bekommt der Olperer aber Konkurrenz vom Fußstein. Welch herrliche Felsgrate, welch imposante Form! Der Fußstein gehört außerdem einer anderen Welt an. Pistenrummel und Skizirkus sind hier kein Thema. Das sind sie auch im gesamten Gebiet von Schmirn und Vals nicht, wo sich die „Gemeinden… bewusst für eine nachhaltige, eigenständige und selbstbewusste Entwicklung entschieden haben“. Seit 2012 sind St. Jodok, Schmirn- und Valsertal in den Kreis der Bergsteigerdörfer aufgenommen – keine Selbstverständlichkeit, denn „nicht jedes Bergsteigerdorf aus den Anfangsjahren des Alpintourismus ist bis heute ein solches geblieben. Viele Gemeinden haben sich ganz dem Wintertourismus verschrieben, haben die Berghänge planiert, entwässert, Speicherseen gegraben, gesprengt, Seilbahnen errichtet, Hotelburgen gebaut“. So fasst die Broschüre „Bergsteigerdörfer St. Jodok, Schmirn- und Valsertal“ die Entwicklung zusammen. Selbst ist man einen anderen Weg gegangen. „Selbstbewusst“ ist das Schlüsselwort, über das wir beim Lesen fallen und das es auf den Punkt bringt.
Längst angekommen
So manches ist geschrieben worden über das Label Bergsteigerdorf. Wie rentabel man es vermarkten kann, wie zugkräftig es bei den Gästen ist, ob es lohnt, auf diesen Zug aufzuspringen. Aber – muss es bare Münze bringen? Muss es mehr Gäste anlocken? Ein wenig fühlt man sich an Bölls hintergründige „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ erinnert, in der der wohlhabende Städter dem entspannten Fischer rät, seinen Ertrag zu steigern, um dann das Leben im Wohlstand genießen zu können, obwohl der Fischer längst alles hat, was er sich wünscht. In den kleinen Tälern unter dem Olperer ist man in genau diesem Paradies längst angekommen: herrliche
Berglandschaft, Ruhe, kein Durchgangsverkehr, funktionierende Dörfer, prächtige Höfe, idyllische Almen, saubere Luft, gesunde Lebensmittel und jetzt im Hochwinter auch ausreichend Schnee.
Über das Kar sind wir mittlerweile auf eine sonnige Kuppenlandschaft unter dem Gipfel der Frauenwand ausgestiegen. Entferntes Liftbrummen ruft uns in Erinnerung, dass nicht alle Orte rund um den Olperer sich für die nachhaltige Entwicklung entschieden haben. Wir sind am Rand des Hintertuxer Skigebiets. Der direkte Kontrast macht die beiden Wege der Tourismuserschließung noch eindrucksvoller. Oben am Gipfel setzen wir uns mit Blick auf Olperer, Schöberspitze und die Stubaier Berge jenseits des Wipptals, die Lifte bleiben in unserem Rücken. Während des Gipfelratschers lassen sie sich völlig ausblenden.
Nur einen Gipfel weiter, am Kleinen Kaserer, erleben wir an einem der nächsten Tage einen ähnlichen Kontrast: Parallel mit dem Kaserer Winkl zieht das Wildlahnertal nach Süden. Den anfänglichen Waldgürtel überwinden wir auf einer Forststraße.
„Ah, schaut des schön aus!“ Auf 1.900 Metern weitet sich das Wildlahnertal und vor uns tut sich ein Winterpara- dies auf. Riesige Hänge warten da auf unsere Abfahrtsspuren. Würde nur die Kondition reichen, dann könnten wir links mit Schöberspitzen und Kleegrubenscharte anfangen, mit der Hölle und dem Kleinen Kaserer weitermachen und mit dem Olperer abschließen. Nein, halt, die Nordflanke der Hohen Warte direkt über uns sieht auch klasse aus. Die wäre das Dessert. sK itourentipps F ürs sCH mirntA l g ammerspitze (2.537 m)
1.100 Hm, 5 Stunden, mittelschwer talort: St. Jodok
Ausgangspunkt: Parkplatz Lorleswald, 1.450 m, im Schmirntal route: Lorleswald – Auer Berg – Windbichl –Riepenspitze – Gammerspitze – Nordwestkar – Lorleswald schwierigkeiten/Anforderungen: mittelschwere Skitour, zwischen Ultenspitze und Riepenspitze teils schmaler Rücken/ Schneegrat. Die Abfahrt durch das Nordwestkar verlangt sichere Verhältnisse.
Jochgrubenkopf (2.453 m)
850 Hm, 3–4 Stunden, schwierig talort: Schmirn
Ausgangspunkt: Parkmöglichkeiten bei
Kasern, 1.610 m route: Kasern – Rittengrube – Jochgrube – Jochgrubenkopf schwierigkeiten/Anforderungen: mittelschwere bis schwere Skitour durch eine steile nordseitige Rinne, erfordert sichere Verhältnisse, bekannter Lawinenberg.
Frauenwand (2.541 m)
930 Hm, 4–5 Stunden, mittel talort: Schmirn
Ausgangspunkt: Parkmöglichkeiten bei
Kasern, 1.610 m route: Kasern – Kaserer Winkl – Tettensgrube – Langgrube – Frauenwand – Tuxer Joch –Tettensgrube – Kasern schwierigkeiten/Anforderungen: Der untere Teil der Tettensgrube und der Übergang in die Langgrube sind steil und verlangen sichere Verhältnisse und Orientierungssinn. Weiter oben schönes Skigelände.
Kleiner Kaserer (3.093 m)
1.580 Hm, 6 Stunden, schwierig talort: Schmirn
Ausgangspunkt: Parkplatz Wildlahner, ca.
1.520 m route: Wildlahner – Wetterkreuz – Höllscharte (Skidepot) – Südgrat – Kleiner Kaserer –Höllscharte – Wildlahner schwierigkeiten/Anforderungen: schwierige Skitour, für die man Orientierungsvermögen im weiten Kar unter dem Olperer braucht. Hinauf zur Höllscharte teils steil. Der Südgrat hat Stellen I, evtl. Steigeisen nötig. im vAlsertAl: vennspitze (2.390 m)
800 Hm, 3–4 Stunden, einfach talort: St. Jodok
Ausgangspunkt: Parkmöglichkeit am Padaunsattel kurz vor Gasthaus Steckholzer, 1.580 m route: Padaunsattel – Nordwestflanke Vennspitze – Vennspitze. schwierigkeiten/Anforderungen: einfache Skitour, anfangs auf Forststraße, dann über mittelsteile Hänge. Häufig begangen. Auch im Hochwinter beliebt.
Am Abend mit vollem Knödelbauch und Flausen im Kopf werde ich die Höhenmeter addieren, die ich von unserem Aussichtspunkt aus auf meine Wunschliste setze. 700 + 600 + 1.200 + 1.600 + 800 = Nimmersatt.
In der Hölle
In Wirklichkeit ziehen wir unsere Spuren nach Südosten und steigen über ehemaliges Gletschergelände auf zum Wetterkreuz. Schritt für Schritt geht es aufwärts. Lange Schatten folgen uns und werden mit der Zeit kürzer und kürzer. Drei Stunden sind wir unterwegs vom Nimmersattpunkt bis in die Höllscharte. Hier ist das Publikum gemischt: Schmirntal-Aufsteiger und Variantenquerer. Über den Südgrat steigen wir noch auf den Gipfel auf, eine kleine alpine Einlage mit viel Luft zu beiden Seiten und einem guten Blick in die Nordflanke dieses schönen Bergs. Bei Lawinenlage 2 mit Tendenz zu 3 verschwenden wir zwar einen Gedanken an die Abfahrt dort hinunter, aber der Ver - einkehr: Gasthof Steckholzer, Tel. 05279 5390, gasthof-steckholzer.at
Alpeiner scharte (2.959 m)
1.620 Hm, 7 Stunden, schwierig talort: St. Jodok
Ausgangspunkt: Parkplatz im hintersten Valsertal, unterhalb der Nockeralm, 1.340 m route: Talschluss Valsertal – Touristenrast –Altereralm – Materiallift Geraer Hütte – Alpeiner Scharte schwierigkeiten/Anforderungen: schwierige Skitour, bis zum Materiallift flach, dann aufsteilend ins obere Kar. Über gestuftes Gelände bis kurz vor die Scharte, der Schartenausstieg ist steil. stand hat uns geraten, die Ski gleich in der Höllscharte stehen zu lassen.
Anfahrt: Bahnverbindung von Innsbruck Richtung Brenner bis St. Jodok. Ab hier gibt es im Winter einen Skitourenbus (mit Gästekarte kostenlos), am Vorabend vorbestellbar: Taxi Mader Christoph, Tel. 0664/7880540, mit Abfahrt St. Jodok 8:30 Uhr und Rückfahrt 14 Uhr zu täglich unterschiedlichen Ausgangspunkten.
Karte und Führer: AV Karte, 1:25000, 33, Tuxer Alpen; 31/3, Brennerberge und Zillertaler Alpen Westliches Blatt, Nr. 35/1; Axel Jentzsch Rabl, Johann Zagajsek, Skitourenführer Tirol, Alpinverlag 2015.
Jauchzen und Zufriedenheitsseufzer begleiten die Abfahrt durch die Hölle hinab zum Wetterkreuz und weiter durchs Wildlahnertal. Obwohl man die Scharte auch aus dem Skigebiet erreichen kann, gibt es so gut wie keine Variantenfahrer. Wie sollten sie auch zurückkommen zu ihrem Startpunkt! Die Halbtagesfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch Schmirntal, Wipptal, Inntal und Zillertal? Manchmal ist schlechte Verkehrsanbindung auch ein Segen.
Bei Schmugglern und Bergarbeitern Nach einer knappen Woche ist es mit dem Wetterglück allmählich vorbei. „Vielleicht kommt endlich wieder Schnee!“, fasst Andi unseren Wunschgedanken in Worte.
Den letzten grauen, aber noch niederschlagsfreien Tag nutzen wir zur Erkundung eines weiteren Klassikers. Das Valsertal ist in der vergangenen Woche zu kurz gekommen. Und das, obwohl hier eine Reihe von beliebten Touren existiert. Vennspitze, Silleskogel, Saxalmwand und Sumpfschartl sind allesamt zwischen 800 und guten 1.300 Höhenmetern zu haben. Aus dem Talschluss kann man zudem auf Kluppen, Hohe Kirche und Alpeiner Scharte steigen. 1.300 bis 1.600 Höhenmeter gilt es aufzusteigen zu diesen großdimensionierten Paradetouren. Im einen Fall geht es durch das Kar der Zeischalpe, das von Kraxentrager und Sagwandspitze eingerahmt wird und durch das früher ein berüchtigter Schmugglerpfad vom Valser - tal ins Pfitschtal führte. Im anderen Fall bilden Sagwandspitze, Schrammacher und Fußstein die Grenzpfeiler für die Alpeiner Scharte.
Flittneralm, Altereralm, dann die Talstation des Materiallifts der Geraer Hütte. Noch ist das Tal freundlich, die kommende Abfahrt wird auf der Almstraße familientauglich sein. Durch einen Bachgraben steigen wir weiter auf. Mit der Familientauglichkeit ist es jetzt vorbei. Einige schlecht eingeschneite Lawinenboller werden bei der Abfahrt für einen Hindernisparcours sorgen. Bald sperren die ersten Erlensträucher den Weiterweg. Hoffentlich kommt endlich neuer Schnee, denn dann ist auch die untere Passage sicher wunderbares Abfahrtsgelände.
Noch ein paar Hundert Höhenmeter später trauern wir den nun fehlenden Erlen fast ein wenig nach, denn jetzt stecken wir in der Wolkendecke und wären um ein paar Sträucher als Orientierung im Weiß ganz froh.
„Des Bergwerk sieht ma heut noch,“ hieß es unten im Tal über das Molybdän-Werk, das 1941 bis 1945 von Nationalsozialisten knapp unter der Alpeiner Scharte betrieben wurde. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter mussten hier auf 2.800 Meter nach dem kriegswichtigen Rohstoff graben. Eine fünf Kilometer lange Seilbahn sollte das Gestein über die Hohe Kirche hinweg ins Tal bringen zur Aufarbeitung. Effektive Förderung scheint aber nie stattgefunden zu haben.
Vom alten Stollenloch müssen wir noch gut entfernt sein, als sich Schneenachschub ankündigt. Leise beginnt es zu schneien. Pulverschnee für die Abfahrt wird daraus noch keiner, der fällt erst, als wir durchs Wipptal heimwärts fahren. Die Alpeiner Scharte wird bei der nächsten Reise ins Schmirn- und Valsertal zum Ziel werden. Denn so viel steht fest: Für Skitourengeher lohnt es sich, öfter wiederzukommen.
AlpingesCHiCHte
gerhard schirmer porträtiert Eugen Guido Lammer zum 160. Geburtstag, der als überzeugter Alleingänger zum Pionier des führerlosen Bergsteigens wurde.
„Ich grüße dich, Jugend von heute, ein Junggebliebener in weißem Barte. Euch tönt mein Wort, ihr Suchenden, die ihr aus der Widernatur lichtloser Gassenschluchten der Städte, aus dem giftigen, weichlichen Brodem der Niederungen hinausdrängt ins ewig Reine, in die herbe Luft der Höhen. …“ So beginnt das wichtigste Werk von Eugen Guido Lammer, das unter dem Titel „Jungborn“ 1922 erschienen ist.
Lammer fand früh seinen Weg in die Berge und als Wiener lockten ihn vor allem die Wiener Hausberge Rax und Schneeberg. Trotz späterer großartiger Erfolge in den Ost- und Westalpen ist er diesem Berggebiet vor den Toren Wiens zeitlebens treu geblieben. Sein ganzes Leben lang lehnte er die technische Erschließung der Berge ab und dazu zählten nicht nur die Errichtung von Aufstiegshilfen, wie lebensdAten
Dr. Eugen Guido Lammer, geb. am 18. 6. 1863 in Rosenburg am Kamp (NÖ); gest. am 2. 2. 1945 in Wien; Beruf: Mittelschulprofessor.