Eine Gruselgeschichte von Olga Stelter
Text und Illustration: © Olga Stelter, Hamburg, 2015 Lektorat: Ninja Foik, Hamburg 2015 Entstanden am Wochenendkurs „Es war einmal“ von Ulricke Hilgenberg
Olga Stelter
Eine Gruselgeschichte
2015 Hamburg
Es war einmal ein Skelett. Es hatte eine sehr-sehr große Familie. Es konnte aber nicht mal alle per Namen nennen. Da waren Urgroßmütter und Urgroßväter, Ur-ur-ur-urgroßväter und Ur-ur-ur-ur-ur-ur-urgroßmütter. Es selbst war 1236 Jahre alt, was für ein Skelett eher noch ein Kindesalter ist.
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Seine Aufgabe in der Familie war es, in der Dunkelheit kleine Kinder zu erschrecken. Jeden Abend und jede Nacht kam das Skelett seiner Aufgabe nach und erlebte dabei viel Grausames: er hörte schreckliche Schreie, sah weinende Gesichter und alles war immer sehr düster und dunkel. Nach getaner Arbeit kehrte es jede Nacht nachhause zu seiner Familie zurück und wurde immer unglücklicher. Es hatte schon so viele Kinder, sogar einige Erwachsene erschreckt, dass es längst aufgehört hatte, sie zu zählen. -6-
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In einer Nacht beschloss es, nicht mehr nachhause zurück zu kehren, sondern einfach bis zum Morgen dort zu bleiben, wo es gerade war. Es war im Kinderzimmer eines Mädchens. Dieses Mädchen hat es gerade fast zu Tode erschreckt. Das Mädchen schrie so laut, dass es ihm plötzlich zu viel wurde.
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„Schluss!“ dachte es. „Jetzt ist aber Schluss damit! Ich habe es ein für alle mal satt! Hier, unter der Treppe, verstecke ich mich und rühre mich nicht mehr vom Fleck! Egal, was meine Familie über mich denkt. Ich komme nie wieder zurück und ich werde keine Kinder mehr erschrecken!“ Es versteckte sich hinter der Stufen der Treppe im Flur und schlief dort ein.
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Als es in der Morgendämmerung erwachte, hörte es komische Geräusche. Die Vogel hatten zu singen angefangen. Danach kamen nach und nach Stimmen von bellenden Hunden, miauenden Katzen, gackernden Hühnern und sprechenden Menschen hinzu. Alles zusammen ergab einen wunderschönen Gesang, und das was das Schönste, was das Skelett in seinem Leben je gehört hat.
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„Wow!“ dachte es. „Die Menschen können auch andere Laute hervorbringen, nicht nur Schreie!“ Plötzlich hörte es eine helle Mädchenstimme. Diese Stimme erkannte es sofort, obwohl sie am Abend ganz anders angehört hatte. Es war keine Spur von Angst übrig. Das Mädchen ging in die Küche. Es war sehr fröhlich und lächelte seine Mutter an.
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Es wurde hell. Und je heller es wurde, desto mehr wurde das Skelett von Angst erfasst. Alles war nicht mehr grau und schwarz wie gewöhnlich, sondern hell und grell, und voll von ungewöhnlichen bunten Farben: blau, grün, rosa, rot und lila. Der Himmel draußen hinter dem Fenster war hellblau und unendlich weit, die Wolken waren weißgelb. „Was ist das denn?“ dachte das Skelett. „Warum ist das alles so komisch? Bin ich blind? Ich erkenne nichts mehr wieder. Was soll ich nur tun?“ - 15 -
Panik ergriff es, und plötzlich schrie es so laut, wie all die Kinder, die es erschreckt hat. „Gibt es ein Gewitter?“ fragte da die Mutter des Mädchens. Sie schaute aus dem Fenster. „Komisch! Der Himmel ist doch blau... Sachen gibt´s...“ sagte sie nachdenklich. Das Mädchen musste in die Schule. Es hatte schon seine Sachen beisammen und wollte gerade die Schuhe, die neben der Treppe standen, anziehen. Anstelle der Schuhe entdeckte es dort ein klapperndes Skelett. Es war ganz nackt, nicht einmal Haut hatte es an sich. - 16 -
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Das M채dchen holte ihm einen Hut und einen Mantel von seinem Opa und ein paar Stiefel von seinem Vater. Es reichte dem Skelett freundlich die Hand und nahm es in die Schule mit. In dieser Schule steht er immer noch und dient als Modell f체r den Kunstunterricht. So hatte es eine eindeutig bessere Aufgabe gefunden.
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das Ende