5 Minuten von zu Hause, 7 Minuten zur Metro
5 Minuten von zu Hause, 7 Minuten zur Metro
Vom Haus aus kann man nach rechts und links zur Metro gehen, bis sich die Wege hier treffen,
und weiter geht es nur noch gerade aus.
Insgesamt sind es ca. zwĂślf Minuten: FĂźnf bis hierher und dann noch weitere sieben.
Durch einen Zufall begriff ich im letzten Winter, dass sich 端ber hundert Fotografien von diesem Ort angesammelt haben. Komischerweise wollte ich immer, wenn ich dort entlang ging etwas fotografieren,
jedes Mal, einfach so, ohne irgendein Ziel.
Vielleicht, weil es da gefĂźhlt etwas gab oder einfach, weil es schĂśn ist.
Hat es etwas zu bedeuten, wenn jedes Mal beim Gehen an immer demselben Ort ein Gef端hl aufkommt, diesen zu fotografieren?
Oder so: Wie kommt es, dass mich etwas mit einem Ort verbindet, an dem es nichts Bemerkenswertes gibt, was mir sonst im Alltag auffallen w端rde?
27 Jahre immer derselbe Weg.
Vielleicht ist genau das Heimat, dieser Weg zur Metro?
Fast die ganze Zeit 端ber, in der wir dort gelebt haben, gab es streunende Hunde.
Viele. Mindestens zwei Rudel, die regelmäßig gegeneinander kämpften.
Dann wurden die Hunde weniger und zeitgleich wurde ein Zaun gebaut.
Ende der 80er stand an dieser Stelle eine sowjetische Standardmauer aus Beton.
Sie wurde abgetragen und zwanzig Jahre lag das Gel채nde brach, bis erneut eine Absperrung gebaut wurde.
Keiner kennt den Grund.
Vielleicht, weil es ohne nicht sein darf.
Aber mit dem Zaun kann man leben. Sich manchmal sogar daran erfreuen.
Auf der alten Betonmauer konnte man gehen. Du l채ufst oben und schaust den Menschen unten zu. Ich muss damals acht oder neun Jahre alt gewesen sein.
Mit diesem Zaun kann man auch spielen. Einmal hob ich meinen Fotoapparat 端ber den Kopf und fotografierte ohne hindurch zu sehen,
und da herrscht ein Leben hinter dem Zaun.
Ein Ort, an dem schon lange keine Menschen mehr waren.
Einmal wurde von beiden Seiten der Weg abgesperrt und ein neuer Durchgang gebaut – ein schmaler Korridor, so eng, dass zwei Menschen Schwierigkeiten hatten aneinander vorbeizugehen. Nachts ohne Licht. In weniger als zwei Wochen wurde die Absperrung von Menschen auseinander gerissen. Auf dem Foto ist ein übriggebliebenes Stück Absperrwand ins Nichts zu sehen.
Als ich anfing dieses Buch zu machen, stellte sich mir die Frage, wie viele Menschen diesen Weg wohl kreuzen.
Ein paar Mal ging ich hin, um zu zählen wie viele Menschen in zehn Minuten vorbei kommen. Hochgerechnet kam ich auf eine Zahl von 2500 – 3000 Menschen pro Tag. Ich berücksichtigte die Hauptverkehrszeiten und die Tatsache, dass die Menschen den Weg täglich zweimal laufen: erst in die eine, dann in die andere Richtung.
Und mir ist noch was aufgefallen. Wenn man genauer hinsieht, dann bemerkt man, dass die Laternen keine Gl端hbirnen haben.
Ich weiĂ&#x; nicht, ob das schon immer so war, aber zwischen diesen beiden Fotos links liegt genau ein Jahr – vor und nach dem Zaun.
Doch das Leben geht weiter.
Diesen Herbst wurde wieder ein neuer Zaun gebaut.
Alle Fotos entstanden zwischen 2006 und 2014 in Moskau. Andrei Chekunov . 2014, Leipzig.