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AUS PUCCINIS BRIEFEN
from Turandot
ZU «TURANDOT»
Sie haben also mit Simoni den Kampfplatz betreten? Nur Mut! Und pressen Sie sich Hirn und Herz aus, um für mich etwas zu schaffen, das die Welt weinen machen soll. Man sagt, Sentimentalität sei ein Zeichen von Schwäche. Aber ich finde es schön, schwach zu sein! Den sogenannten «starken Männern» überlasse ich die Erfolge, die in nichts zergehen: für uns sind die, welche bleiben!
Brief an Giuseppe Adami, Oktober 1919
Wenn ich die Hände aufs Klavier lege, werden sie staubig! Mein Schreibtisch ist ein Meer von Briefen und keine Spur von Musik. Die Musik? Zwecklos. Wenn ich kein Libretto habe, wie soll ich Musik machen? Ich habe den grossen Fehler, nur zu komponieren, wenn sich meine Henker-Marionetten auf der Bühne tummeln. Könnte ich ein reiner (?) Sinfoniker sein, ich würde meine Zeit und mein Publikum täuschen. Aber ich? Ich bin vor vielen Jahren geboren, sehr vielen, zu vielen, fast einem Jahrhundert… und der liebe Gott hat mich mit dem kleinen Finger berührt und gesagt: «Schreib für das Theater, merk es dir gut: Nur für das Theater» – und ich habe den höchsten Rat befolgt. Hätte er mich doch für einen anderen Beruf vorgesehen… vielleicht würde es mir dann nicht so ergehen wie jetzt, dass es mir am Grundmaterial fehlt.
Brief an Adami, undatiert, 1920
Das Päckchen habe ich bekommen. Soviel ich auf den ersten Blick sehen kann, scheint es mir gut zu sein... abgesehen von ein paar Einwänden im zweiten und dritten Akt – im dritten hatte ich mir die Entwicklung anders vorgestellt – ich denke mir ihre (Turandots) Verwandlung müsste augenfälliger sein … ich hätte mir gewünscht, dass ihr Liebe coram populo ausbrechen müsste. Und zwar ganz wild und stürmisch, ohne Scheu, wie die Explosion einer Bombe.
Brief an Adami, Juli 1920
Ich habe immer einen grossen Sack von Melancholie getragen. Ich habe keinen Grund dazu, aber so bin ich, und so sind die Menschen, die Herz haben und denen eine kleine Dosis Oberflächlichkeit fehlt. Ich denke, dass «Turandot» nie zu Ende kommen wird. So arbeitet man nicht. Wenn das Fieber nachlässt, endet es, um zu erlöschen, und ohne Fieber gibt es kein Schaffen, weil die empfundene Kunst eine Art Krankheit ist, ein seelischer Ausnahmezustand, Überreizung jeder Faser, jedes Atoms und so könnte man ad aeternum fortfahren.
Brief an Adami, Oktober 1920
Ich denke Stunde für Stunde, Minute für Minute an «Turandot» und an alle meine bis jetzt geschriebene Musik. Sie scheint mir wie eine Lappalie zu sein und gefällt mir nicht mehr. Wird das ein gutes Zeichen sein? Ich glaube ja.
Brief an Adami, März 1921
«Turandot» macht gute Fortschritte; ich glaube jetzt auf dem richtigen Weg zu sein. Ich arbeite an den Masken, und in Kürze komme ich zu den Rätseln! Ich habe das Gefühl, vorwärts gekommen zu sein. Und der zweite Akt? Und der dritte? Mein Gott, quälen Sie mich nicht, indem Sie mich so lange warten lassen.
Brief an Adami, April 1921
Mir geht es schlecht, schlecht. Ich glaube, ich habe überhaupt kein Selbstvertrauen mehr, ich erschrecke vor der Arbeit, ich finde nichts Gutes. Ich glaube, ich bin ein Wesen, das schon untergegangen ist, und ich werde es bald sein, ich bin alt, das ist wirklich wahr, und das ist traurig, besonders für einen Künstler.
Brief an Sibyl Seligman, April 1921
Dieser zweite Akt! Ich finde keinen Ausweg, aber vielleicht quäle ich mich deshalb so, weil ich eine fixe Idee habe: «Turandot» müsste in zwei Akten sein, was meinst du dazu? Glaubst du nicht, dass es sich nach der Rätselszene immer dünner dahinzieht, bis man zum Schluss kommt? Man müsste die Ereignisse raffen, andere streichen und zu einer Schlussszene kommen, in der die Liebe explodiert. Ich weiss auch nicht, wie der Aufbau sein müsste, aber ich spüre, dass zwei weitere Akte zu viel sind. «Turandot» in zwei grossen Akten! Und warum nicht? Es ist alles nur eine Frage der Lösung des Finalproblems. Soll man es machen wie im «Parsifal» mit Szenenwechsel im dritten Akt und einer Art chinesischem Gral? Überall rosafarbene Blumen und über allem der Hauch von Liebe? Denk nach, denk nach und sprich auch mit Adami darüber!
Brief an Renato Simoni, September 1921
«Turandot» quält mich. Ich denke immer darüber nach und glaube, dass wir vielleicht mit dem zweiten Akt doch auf dem falschen Weg sind. Das Duett ist der eigentliche Kern. Und das Duett scheint mir, so wie es ist, nicht das zu sein, was wir brauchen. In dem Duett müssen wir, denke ich, ein starkes Pathos erreichen. Und deswegen sage ich, Calaf soll Turandot küssen und so der kühlen Dame seine Liebe zeigen. Und nachdem er sie geküsst hat, mit einem Kuss, der einige lange Sekunden dauert, muss er ausrufen: «Was gilt es mir, wenn ich jetzt sterbe!», und er flüstert ihr seinen Namen auf die Lippen. Hier kann man dann das Pendant zu dem Ruf am Beginn des Aktes einsetzen: «Keiner schlafe.» Die Masken und vielleicht auch die Würdenträger und die Sklavinnen haben im Verborgenen den Namen gehört und schreien ihn jetzt heraus. Dieser Ruf wiederholt sich und pflanzt sich fort, und so ist Turandot blossgestellt. Und im dritten Akt, wo alles wie im ersten vorbereitet ist, mit dem Henker usw., sagt sie zur allgemeinen Überraschung: «Den Namen weiss ich nicht.» Kurz und gut, ich glaube, dass mit diesem Duett das Sujet verbessert würde und dass so eine Bewegung hineinkäme, die wir jetzt nicht haben. Was denken Sie? Sprechen Sie auch mit Simoni darüber.
Brief an Adami, undatiert 1921
Nein! Nein! Nein! «Turandot» – nein! Ich habe den dritten Akt durchgesehen. Es geht nicht. Vielleicht, und auch ohne vielleicht, bin ich es selbst, mit dem es nicht mehr geht. Aber auch der dritte Akt geht so nicht. Ich will nicht sagen: Nun sterb ich in Verzweiflung, aber es fehlt nicht viel daran. (...) Lieber Adamino, ich bin ein armer Mensch, tieftraurig, entmutigt, alt, überflüssig und heruntergekommen. Was tun? Ich weiss es nicht. Ich gehe schlafen, dann brauche ich nicht nachzudenken und quäle mich nicht.
Brief an Adami, März 1923
Heute fange ich wieder an Briefe zu schreiben. Ich habe schreckliche Krisen durchgemacht – auch wegen meiner Gesundheit. Dieses Halsweh, das mich seit März quält, schien eine ernste Sache. Jetzt geht es mir besser, und dann habe ich auch die Gewissheit, dass es sich um eine arthritische Sache handelt, die sich bei entsprechender Behandlung kurieren lässt. Aber ich habe sehr traurige Tage hinter mir. Deshalb schrieb ich an niemanden mehr, nicht einmal an Dich, das will schon etwas heissen. Gestern kann Clausetti, und ich sagte wegen der Scala zu. Habe ich das richtig gemacht? Ich nehme die Arbeit wieder auf, die ich vor sechs Monaten unterbrochen habe. Und ich hoffe, ich komme mit dieser gebenedeiten Prinzessin bald ans Ende. Jetzt sehe ich wenigstens etwas klarer in vieler Hinsicht.
Brief an Adami, September 1924
Lieber Adamino, bisher ist die Kur nicht schlimm. Äusserliche Behandlung. Aber Gott weiss, was sie am Montag mitmachen werden, um nach innen unter den Kehlkopfdeckel zu kommen! Sie behaupten, ich werde nicht zu leiden haben – und sie sagen auch, ich kann geheilt werden. Jetzt beginne ich zu hoffen. Vor einigen Tagen hatte ich jede Hoffnung auf Heilung verloren. Was für Stunden, was für Tage! Ich bin zu allem bereit. Schreiben Sie mir manchmal.
Puccinis letzter Brief, November 1924 aus Brüssel