4 minute read
PORT NOIR
from FUZE.93
Foto: quintenquist.com
WENIGER IST MEHR. Mit ihrem vierten Album erkunden die Schweden erneut düster-nachdenkliche Gefilde. Warum sich die Band dazu entschied, erstmals live und ohne Click aufzunehmen, warum das Label abermals gewechselt wurde und warum „weniger“ für ihn einfach „mehr“ ist, verrät uns Sänger und Bassist Love Andersson.
Advertisement
Trotz des überschaubaren Instrumentariums ist „Cuts“ eine Platte mit viel Tiefgang geworden. Wie herausfordernd ist es für euch als Trio, mit solch „reduzierten“ Mitteln einen so „großen“ Sound zu erzeugen? Es braucht viel Arbeit, um die Arrangements genau so hinzubekommen, dass es für uns als Trio funktioniert. Jeder von uns hat eine wichtige Rolle inne, damit es am Ende so klingt, wie es klingen soll. Wir müssen natürlich beim Schreiben und Aufnehmen darauf achten, dass wir nicht zu viel in die Songs packen. Das Ziel ist immer, sie auch live so authentisch wie möglich spielen zu können, ohne ausufernde Backingtracks. Andererseits wollen wir auch, dass die Songs alles sind, was sie sein können. Es ist daher tatsächlich ziemlich schwer, eine ständige Gratwanderung. Dabei blasen wir aber einen Song nie künstlich auf, sondern versuchen schon, alles auf seine wesentlichen Elemente zu reduzieren.
Die Songs wurden während der Pandemie geschrieben, doch Schweden hatte von Anfang an einen etwas anderen Weg im Umgang mit Corona gewählt. Inwieweit wurde die Musik von den äußeren Umständen beeinflusst? Nun, es war auf jeden Fall schwieriger. Wir haben uns tatsächlich auch deutlich seltener getroffen und konnten nicht so viel zusammen schreiben, wie wir es uns gewünscht hätten. Wir haben öfter getrennt voneinander gearbeitet, was natürlich nicht ideal ist. Aber ich glaube, es hat das Resultat am Ende nicht so stark beeinflusst. Jedes Album ist ohnehin ein bisschen anders und hat seine eigenen Schwierigkeiten und Herausforderungen. Da wir während des Schreibprozesses nicht live gespielt haben, glaube ich allerdings, dass die Songs tendenziell etwas introvertierter sind als sonst. Unser erster Gedanke war vielleicht nicht, die Songs live zu spielen, sondern sie sozusagen in Ruhe zu genießen. Das Album hat nun meiner Meinung nach ein bisschen von beidem, und mit dem Ergebnis sind wir zumindest zufrieden!
Ihr habt erstmals komplett live und ohne Click aufgenommen. Sicherlich eine ziemliche Herausforderung ... Ja, es war das erste Mal, dass wir so vorgegangen sind, auch wenn wir alle es in der Vergangenheit in anderen Bands schon mal gemacht hatten. Bevor wir ins Studio gegangen sind, hatten wir uns überlegt, dass wir es vielleicht so versuchen wollen. Also haben wir ein bisschen mehr als sonst geprobt, um vorbereitet zu sein. Aber als wir dann aufgenommen haben, fügte sich alles wirklich schnell zusammen. Wir haben zuerst versucht, live mit Click zu spielen, nur um zu sehen, wie es sich anfühlt. Dann haben wir es ohne versucht – und es hat sich viel realer angefühlt. Die Stimmung und Energie waren viel echter, also haben wir uns dafür entschieden. Wir nehmen auch sonst nicht viel nachträglich auf, doppeln maximal die Gitarren. Der Bass wird zwar über drei verschiedene Verstärker aufgenommen, aber auch da verwenden wir ein und dasselbe Signal. Ich glaube auch nicht, dass viele Dopplungen die Songs besser klingen lassen. Ich höre gerne die Details und auch die kleinen Fehler, und es klingt fett genug für mich. Weniger ist eben mehr, haha.
Wie geht ihr generell beim Schreiben vor? Gibt es eine klare Routine? Normalerweise beginnen wir immer mit der Musik, den Riffs, Beats oder anderen Schlüsselelementen, die bei uns hängen bleiben, und arbeiten uns dann von dort aus vor. Ich beginne fast nie mit dem Gesang, das ist für mich das letzte Puzzleteil. Ich stelle mir manchmal vor, dass ein Song so was wie ein Haus ist: Die Musik, das Schlagzeug und die Gitarre bilden das Fundament, also Wände, Räume, Dach und so weiter. Der Gesang ist die Inneneinrichtung: Möbel, Farben und dergleichen, haha. Es wäre schon seltsam, ein Haus zu bauen und mit der Dekoration zu beginnen.
Ihr habt in der Vergangenheit ziemlich oft das Label gewechselt, so auch für die neue Platte. Warum haltet ihr es nie länger mit demselben Partner aus? Ja, wir sind aus irgendeinem Grund ziemlich viel rumgekommen, haha. Es ist aber nicht so, dass wir mit den Labels nicht zurechtgekommen sind oder mit dem, was sie getan haben, unzufrieden waren oder so etwas. Wir probieren einfach gerne verschiedene Dinge aus. Dieses Mal wollten wir versuchen, ein anderes Publikum zu erreichen. Wir wurden seit unseren Anfängen irgendwie als progressive Rock- und Metal-Band abgestempelt, aber wir hatten nie wirklich das Gefühl, dass uns das gerecht wird. Tatsächlich beziehen wir aus diesem Genre keine wirkliche Inspiration und wir versuchen auch nicht, diese Art von Musik zu spielen. Also haben wir uns in gewisser Weise ein bisschen missverstanden gefühlt und wollten sehen, ob wir dieses Mal woanders landen können. Wir werden sehen, wohin uns das führt. Despotz Records fühlt sich jetzt aber nach einer interessanten Zusammenarbeit an.
Nach langer Zeit scheint die Live-Branche wieder hochzufahren, erste Konzerte wurden bereits gespielt. Aber werden Shows in Zukunft dieselben sein wie früher? Ich hoffe es wirklich. Ich fürchte, dass die Leute in den vergangenen zwei Jahren vielleicht ein bisschen faul geworden sind und es sich zu Hause bequem gemacht haben. Aber am Ende glaube ich, dass Menschen soziale Interaktion brauchen und Spaß haben wollen. Zu einem Konzert zu gehen ist eine perfekte Möglichkeit, beides zu bekommen. Also habe ich da keine allzu großen Sorgen.
Hat sich deine persönliche Sichtweise auf das Leben und das Musikerdasein in den vergangenen zwei Pandemie-Jahren verändert? Ich weiß es nicht genau. Ich habe auf jeden Fall erkannt, wie wichtig Musik und Live-Auftritte für Menschen und für mich selbst sind. Einfach, um mit anderen Menschen zu interagieren. Es bringt uns zusammen, und ich denke, das brauchen wir jetzt nach der Pandemie wirklich. Anton Kostudis