№ 01 ♥
F Ü R D I E W I R K L I C H K E I T G I B T E S K E I N E N E R S AT Z
www.paengmagazin.de
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FRÜHLING 2012
ENDLICH WIEDER DRAUSSEN SPIELEN
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ENDLICH WIEDER DRAUSSEN SPIELEN
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www.afri.de
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EDITORIAL _ 1
ZEIT ZUM INNENHALTEN. ZEIT ZUM ENTDECKEN. ZEIT FÜR EIN NEUES HEF T.
Je mehr sich unser Alltag technisiert, desto intensiver sehnen wir uns nach echten Erlebnissen. Einfach Jacke anziehen, rausgehen und was erleben. Mal schauen, wen man draußen trifft und was passiert. Können wir bitte hier und heute sofort wieder damit anfangen?
Solche Gedanken gingen uns immer wieder durch den Kopf, während wir an Päng! gearbeitet haben. Diese Sehnsucht nach dem Leben da draußen ist genau das, was wir im ersten Heft einbeziehen und zeigen wollen. Den ganzen langen kalten Winter saßen wir Tage und Nächte hinter der verstaubten Fensterscheibe und schrieben an Geschichten, die sich draußen abspielen. Jetzt ist es fertig – das neue Heft über Träume, Spiele und Ideen – und die ersten Sonnenstrahlen haben den Frühling eingeläutet.
Eine aufregende Zeit liegt hinter uns. Und hätten wir nicht in vielen Momenten getan, was »nicht geht«, wäre die Idee zu Päng! nur ein weiteres, unverwirklichtes Vorhaben gewesen. Deshalb möchten wir dieses Heft denjenigen widmen, die es möglich gemacht haben: Unseren irren Mitstreitern, die alles gegeben haben, unseren Kooperationspartnern, die cool genug waren, in ein Heft zu investieren, das es noch nicht gibt. Und schließlich euch – unseren heiß erwarteten Lesern.
Päng! ist der Beginn eines großen Abenteuers, das wir gemeinsam angetreten sind. Wir hoffen, ihr findet euch darin wieder und habt damit eine gute Zeit. Die Huckleberry Finns und Ronja Räubertöchter in uns sind gespannt.
Hochachtungsvoll Josephine Götz & Cathrin Gehle
DIE NÄCHSTE PÄNG!AUSGABE ERSCHEINT AM 04. JULI
I N H A LT _ 3
Inhalt
KAPITEL
№1
Das wilde Leben
KAPITEL
№2
KAPITEL
№3
Selber machen
Alles außer Kunst
59 Päng!Workshop Das 1x1 des Baumhausbauens
85 Trickkiste Zigarette verstecken
10 Ein Bild, das ich nicht vergesse Princess of the Orient
65 Aus alt mach neu 3 Lieblingsstücke aus Holz
86 Tolle Erfindung Das Klapprad
12 Aus der Pistole geschossen Schwäbische Nachgestalten
66 Werkstattfeeling Dein Drahtesel-Frühjahrscheck
87 Talent entdecken Päng!Papertoy-Bastelstunde
14 Junge Schriftsteller zu Wort Juri Sternburg: Flucht in Reih und Glied
70 Un petite Nähkurs Mein schöner Rucksack
92 Danke
6
Hereinspaziert Sara zeigt ihr Vintage-Paradies
16 Menschen erzählen 26 Fragen an die offene Liebe 20 Päng!Projekt Im eigenen Licht 26 Meine Sünde Von männlichen Phänotypen und Berliner SM-Clubs 29 Kindheit ohne Grenzen Mit dem Bierkrug zu Erna 30 Päng!Trip Auf einem Rad über die Alpen 36 Tragbar Where the wild Tees are! 44 Wenn ich groß bin, werde ich ... Kräuterfrau in Guarda 50 Wunderwald Mythologie der Bäume 54 Freie Zeit 3 Ausflüge in den Wald
93 Päng!Jahresabo 76 Goldstücke Anleitung zum Brötchenbacken 78 Vorbildlich Rückenübungen für Schreibtischsitzer 80 Kleine Wehwehchen Erkältung Adieu
94 Impressum 95 Gewinnspiel Do your own Frühjahrsputz 96 Ausklang 10 Lieder zum draußen spielen
F O T O Steffen Weber
KAPITEL
â„–1
Das wilde Leben Wild thing you make my heart sing you make everything groovy wild thing Wild thing, I think you move me But I wanna know for sure So come on, hold me tight You move me
THE TROGGS
6 _ DAS WILDE LEBEN
Hereinspaziert I N T E R V I E W Josephine Gรถtz
_ F O T O S Alex Manz
DAS WILDE LEBEN _ 7
♥ Über Sara hörten wir, sie hätte das schönste Esszimmer der Welt. Das wollten wir mit eigenen Augen sehen und klopften für die erste Ausgabe von Päng! an ihre Tür. Auf machte eine 35-jährige bunt-tätowierte, zierliche Quietschkugel, die neben ihrem Vollzeitjob bei H&M noch am Wochenende in einem Club arbeitet, und führte uns mit einer Riesenklappe und besten Gastgebermanieren durch ihr kleines Stuttgarter Vintage-Paradies. Ein Gespräch über Heiligenbilder und Neuanfänge.
WIE BIS T DU ZU DEINER WOHNUNG GEKOMMEN ? Die Anzeige habe ich im Internet gefunden. Immobilienscout. Ohne Provision. Schnell hingeschrieben und Besichtigungstermin gemacht. An besagtem Tag reingelaufen, es war Sonntag, blauer Himmel, die Wohnung so schön offen und hell, alles neu gemacht, mit Loggia nach hinten und Hof zum Grillen, die ganzen Zimmer schön beleuchtet, zum Draußensitzen, mit Tisch und Bänkchen, dann war klar: »Die will ich!«
zusammenpassen – aus einer Linie sein. Heute hänge ich eine Neonleuchte über eine alte Kommode. WO HAS T DU DEINE MÖBEL HER? Mitte 20 habe ich den ersten antiken Tisch von meinem Papa bekommen. Danach die Kommode von meiner Schwester. Ein alter Bauernschrank. Einige Möbelstücke hab ich vom Sperrmüll. Z.B. ein Sessel, der stand draußen vorm Haus, da hab ich gedacht, »den brauch ich!«. Andere Stücke habe ich von spontanen Käufen auf dem Flohmarkt oder in Secondhand-Shops.
U N D A U F D E M F L O H M A R K T W I R D G E H A N D E LT ? Klar! Zuallererst setze ich mir bei jedem Stück vorher ein Preislimit. Dann frage ich, was es kosten soll, und wenn er sagt 15, sag ich, für 10 nehm ich’s gleich mit. Die meisten sind auch einverstanden. Manche Händler haben bei den 60er/70er-Sachen unverschämte Preise, das sehe ich nicht ein. In Stuttgart sitzt das Geld halt gut und Vintage ist in. Gerade auf den großen innerstädtischen Flohmärkten kann man nicht mehr von Flohmarkt sprechen. Das ist ein Antiquitätenhandel, auf dem es »FRÜHER DACHTE ICH, ES D A S H AT, W I E M A N S I E H T, G E K L A P P T. immer das Gleiche zu überteuerten Preisen M U S S A L L E S Z U S A M M E N PA S S E N , Ich komme ursprünglich aus der Nähe von gibt. Ich bevorzuge die kleinen Märkte am AUS EINER LINIE SEIN. HEUTE Offenburg und wohne erst seit 2009 in Stadtrand. HÄNGE ICH EINE NEONLEUCHTE Stuttgart. Die schwierige Wohnungssuche Ü B E R E I N E A LT E K O M M O D E .« in Stuttgart war mir bekannt. Da es für die WONACH SUCHS T DU DEINE MÖBELS TÜCKE Wohnung natürlich mehrere Interessierte AUS? gab, schaute ich mir an dem Tag gleich noch Ich würde sagen, ich such mir keine raus, 2 andere Wohnungen an. Völlige Bruchbuden, wo man eigent- sie suchen mich raus. Wenn ich über den Flohmarkt laufe und lich Geld für kriegen müsste. Abends rief ich den Vermieter an was sehe, wo mein Herz schneller schlägt, was mir gefällt, muss und sagte, dass mir die Wohnung nicht mehr aus dem Kopf ich das kaufen. Da muss ich auch nicht hin und her überlegen. geht und ich sie haben will. Er meinte: »Ok.« Ich antwortete: »Sie haben mir gerade mein Wochenende versüßt.« Und er: W E C H S E L S T D U D E I N E M Ö B E L S T Ü C K E ? »Ja, sie mir auch.« Für Stuttgart war das ein Glücksfall. Es kommt öfter was dazu, aber es kommt nichts raus. Außer Ikea-Möbel, die den Umzug nicht unbeschadet überstanden WA S K O S T E T D I C H D I E W O H N U N G ? haben. Durch den Einzug meiner Freundin ist für einige SchätAllein wohnen ist schön, aber teuer. Mit allem zusammen zah- ze leider kein Platz mehr und meine kleine Schwester bekommt le ich 620 Euro. Das ist ein stolzer Preis für eine Person, aber sie. Wir tauschen immer alle Sachen hin und her. Wenn jenormal für Stuttgarts Innenstadt. Ich gebe ¾ meines Gehalts mand was nicht mehr will und mir gefällt’s, nehm ich’s mit. für die Wohnung aus. Da bleibt für mich ganz wenig. Auf Dau- Auch gern nur geborgt. Das ist alles ein Geben und Nehmen. er ist das nicht machbar, deshalb zieht bald eine Freundin mit ein. Das wird zwar eine Umstellung, aber ich freu mich drauf. E I N S C H Ö N E R G E D A N K E . . . Wir arbeiten beide sehr viel und können hier dann schön ent- Ich bin mit wenig Geld groß geworden. Wir hatten ein altes spannen. Hexenhäuschen mitten im Schwarzwald mit großem Garten und ganz viel Landwirtschaft, überall Katzen und Hunde und W I E W Ü R DE S T DU DE I N E N E I N R I C H T U N G S S T I L BE S C H R E I BE N ? alles selber angepflanzt. Ich hatte richtige Hippie-Eltern. BeiSchön warm, zum Wohlfühlen. Oldschool-Möbel aus den de lange Haare, Schlaghosen, Stirnbänder. In dem kleinen Ort 50ern/60ern/70ern mit neuen Sachen buntgemischt. waren wir total verrucht. »Drogenabhängige«, wie die alten Leute halt so reden. Meine Mum hat alles selbst gemacht, weil H AT S I C H D E I N S T I L M I T D E N J A H R E N V E R Ä N D E R T ? wir so wenig hatten. In den Wald gegangen, Kräuter gepflückt. Früher hatte ich viel Blattgold, viel Dunkelbraun in der Woh- Bei uns wurde nichts weggeschmissen. Das ist alles ein Miteinnung. Und nichts gemischt. Jetzt ist es eher hell, mehr Antiqui- ander. So auch mit den Möbeln. Solche Gedanken wie »Dein« täten und fast kein Ikea mehr. Früher dacht ich, es muss alles und »Mein« sind mir fremd.
8 _ DAS WILDE LEBEN
EIN TIPP FÜR ALLE, DIE IHRE NEUE WOHNUNG EINRICHTEN ? Ich bin in meinem Leben bestimmt schon 20 bis 25 Mal umgezogen. Hab mit meiner Schwester zusammengewohnt, mit Freunden, mit meinem Mann und jetzt seit langem wieder allein. Ich mag umziehen. Wenn die Wohnung neu ist und alles darauf wartet, schön gemacht zu werden. Man hat die Chance, vorher alles gut auszusortieren und jetzt nur die Möbelstücke mitzunehmen, auf die man wirklich nicht verzichten kann. Nicht alles vollstellen. Lieber viel Weiß, viel Platz, dass die Schätze mehr zur Geltung kommen. Schönes Licht und Grünzeug ist wichtig. Am besten pflegeleicht. Ja und ordentlich sollte man es halten, von Anfang an. Bei mir kann man wirklich vom Boden essen. D U B I S T A L S O S C H O N O F T U M G E Z O G E N . WA S H A S T D U B E I DIESER WOHNUNG ANDERS GEMACHT? Die Wohnung vorher, da war alles bunt gestrichen. Weil meine neue Wohnung klein ist, wollte ich nicht streichen. Hier sind so viele bunte Accessoires, die wirken mit Weiß einfach viel schöner. WA S B E D E U T E T D E I N E W O H N U N G F Ü R D I C H ? Nach der Trennung von meinem Mann wollte ich einfach nur meine Ruhe, mich wieder finden und sammeln. Die Wohnung ist mein Neuanfang. Mein Ruhepol. Ich schließe hier auf und fühle mich einfach wohl, zu Hause, angekommen.
Die berühmt berüchtigte Esszimmer-Garnitur: »Sie stand ursprünglich in einem kleinen afghanischen Restaurant. Sie für 4.000 Euro in dem kleinen Laden aus Mainz zu kaufen, wo der Besitzer sie herhatte, kam nicht in Frage. Ein paar Wochen später musste er sein Restaurant aufgeben und verkaufte seine Inventur. So habe ich sie doch noch bekommen. Für 500 Euro .«
Ich habe 'nen anstrengenden Job und brauch meine Ruhephasen, Zeit für mich allein. Wohlfühlsachen anziehen, Kerzen und Musik anmachen. Gemütlich zum Abschalten. In 9 Monaten hab ich mir mein kleines Paradies geschaffen. Das Einrichten ging relativ schnell. Ein paar Bilder noch aufhängen, ansonsten bin ich fertig. Auch ein schönes Gefühl. Ich bin angekommen, zumindest in der Wohnung. D A S H E I S S T, D U B I S T F E R T I G M I T E I N R I C H T E N ? Ich fühl mich so wohl, wie es bei mir ist. Das Einzige, was akut noch ansteht, ist ein neues Bett. Weil wir getrennt sind, will ich nicht mehr in meinem alten schlafen. Ja, und ein riesengroßer Kicker wäre mal gut. Aber dafür brauch ich eine größere Wohnung. Irgendwann. In einer alten Lagerhalle. WA S M A C H T D I C H Z U F R I E D E N ? Was mich glücklich macht? Wenn mein Tag gut war, ich nette Kunden hatte, gut gelaunt aus dem Geschäft laufe, wenn mein Kontostand mit ’nem Plus vorne dran ist, wenn mein Kühlschrank voll ist, wenn ich mal ein freies Wochenende habe. Und, wenn ich genug gespart habe, um mir einen 8er Mercedes zu kaufen. Den hatte ich schon. Zweimal.
DAS WILDE LEBEN _ 9
»Die gemütlichen 70er-Jahre-Sessel habe ich in einem An- und Verkauf ergattert. Für 6 Euro das Stück. Ich liebe meine Tee-Ecke. Mit meinem OldschoolOma-60er-Jahre-Teegedeck, Yogi-Tee und Agavensirup kann ich hier stundenlang sitzen. Das ist für mich Entspannung pur.«
»Ich liebe Heiligenbilder! Davon gibt es viele auf ’m Flohmarkt zu entdecken. Ist nicht so, dass ich jeden Sonntag in die Kirche renne, aber ich denk schon, dass es da oben etwas Höheres gibt, ob das jetzt Gott oder Fridolin heißt.«
»Den wollten mir schon ganz viele Freunde abkaufen. Der schwerste Wohnzimmertisch der Welt. Mit Schubladen in jedem Tischbein für Geheimverstecke. So schön wie er ist, so schwer ist er. Mein Papa wollte ihn damals entsorgen.«
»Fotos sind wichtig. Selbstgemalte Bilder von Freunden. Und Kerzen! Kerzen sind bei mir immer an. Vormittags, mittags, abends.«
»Wenn wir bei H&M umbauen, wird alles rausgeschmissen. Den Torso habe ich für 1 Euro mitgenommen. Ein großer Vorteil, wenn man im Einzelhandel arbeitet.«
»Als ich die kleine Veranda zum ersten Mal sah – unverputzt, mit Steinboden und quietschenden, alten Fensterrahmen – habe ich mich schon zu Hause gefühlt.«
14 _ DAS WILDE LEBEN
J U N G E S C H R I F T S T E L L E R Z U W O RT:
JURI STERNBURG
Päng! macht sich auf die Suche nach begnadeten WortAkrobaten und potenziellen Pulitzer-Preisträgern. Im Klub der Republik, Berlin, trafen wir auf Juri Sternburg. Gestatten – unser erster Päng!Pulitzer geht an den jungen Herren mit der Lederjacke.
Flucht in Reih und Glied Mein Smartphone hatte mir bereits angekündigt, dass Sie in Kürze erscheinen würde. Ich war froh diesen Service nutzen zu können, immerhin gibt es schon lange keine Schuhe putzenden Kinder auf dem Ku‘damm mehr, da kann so ein technisches Hilfsmittel nicht schaden. Es erfüllt den Zweck der bezahlbaren Unterwürfigkeit zu genüge, denn wenn man es berührt, springt es an. Es widersetzt sich nicht und gibt erst recht keine Widerworte. Als Sie um die Ecke bog, war ich dementsprechend vorbereitet und ließ mir meine leichte Nervosität nur bedingt anmerken. Wozu auch nervös sein, Sie war mir unterlegen, zumindest vom Intellekt her. Als ich Sie schließlich sah, war ich etwas enttäuscht und um ehrlich zu sein, hatte ich mehr von Ihr erwartet: Behäbig und leicht gleichgültig fügte Sie sich in ihr nicht gerade anspruchsvolles Umfeld ein, eine Art lethargische Hysterie umschmeichelte ihre äußere Hülle. Gelb war anscheinend nach wie vor die Farbe der Saison. Als würde Sie meine wiederholte Ablehnung vergangener Tage nicht im geringsten stören, präsentierte sie sich schamlos und heruntergekommen, wie eh und je, in der Öffentlichkeit. Eine ganze Weile schon vermied ich jeden Kontakt mit ihr und doch war ich erschüttert, als ich Sie nun genau so vorfand, wie ich Sie damals verlassen hatte: laut, viel zu voll und leicht heruntergekommen. Eigentlich genau mein Typ, aber wie sollte ich das meiner Mutter erklären? Trotzdem oder sogar deswegen bestieg ich Sie. Ein Signal ertönte, die Türen flogen jaulend zu, der Zug setzte sich in
Bewegung und ich war zurück. Zurück in einem fahrbaren Kriseninterventionsraum, einem unfreiwilligen Konstrukt der Gemeinsamkeit. Die Menschen um mich herum schienen nicht wahrzunehmen, was diese mit Wechselstrom betriebene Maschine repräsentierte, sie waren mit anderen, weniger eigensinnigen Maschinen beschäftigt. Unaufhörlich wischten sie über die kleinen Bildschirme, als ginge es darum, ein imaginäres Curlingspiel zu gewinnen. Ihrem Enthusiasmus nach zu urteilen, musste es sich mindestens um das Halbfinale einer Weltmeisterschaft handeln, Finnland gegen Norwegen vielleicht; auf jeden Fall Länder, in denen Curling aufgrund mangelnder Alternativen eine wesentliche Rolle spielt. Auf dem nächsten Bahnsteig beobachtete ich einen verwirrten Obdachlosen, er warf 10-Cent-Stücke in den Automaten, immer und immer wieder. Die anderen potentiellen Ticketkäufer wurden ungeduldig, einige fragten sich, warum dieser offenbar verwahrloste Wirrkopf überhaupt einen Fahrschein kaufen wollte. Ein Punker in der ersten Klasse einer Lufthansamaschine würde wohl ähnlich viel Aufmerksamkeit erregen. Nachdem der Obdachlose sein gesamtes Erspartes in den Ticketautomaten geworfen hatte, drückte er den »Rückgabe«-Knopf und rief laut »Jackpot!!«, während die unzähligen Münzen klimpernd aus der Maschine fielen und zu seinen Füßen aufkamen. Die Anstehenden schüttelten den Kopf, anscheinend fühlten sie sich ihrer spärlich bemessenen Zeit beraubt, ohne zu merken, welches Geschenk ihnen soeben bereitet wurde. Niemand der Anwesenden saß freiwillig neben seinem Sitznachbarn – von den wenigen Zweckpartnerschaften einmal abgesehen. In den unzähligen sozialen Netzwerken wiederum kann man sich aussuchen, mit wem man kommuniziert, der Vorteil lag klar auf der Hand, bloß keine ungewollten Überraschungen erleben. Lieber mittelmäßige Sicherheit statt risikoreiche Außergewöhnlichkeiten. Neben mir tippte jemand »Achtung, Achtung: Täglich verschwinden Rentner im Internet, weil sie »Alt«+»Entfernen« gleichzeitig drücken!« in sein Handy. Diese Statusmeldung garantierte bestimmt einige Lacher. Das virtuelle Tagebuchschreiben entwickelt sich zum Volkssport, denn jeder Tag ist eine Statusmeldung-Olympiade. Führen wir also eigentlich nur öffentlich Tagebuch? Der schottische Schriftsteller James Boswell drückte es so aus: »Nur so viel erleben, wie man aufschreiben kann.« Die Forderung der Aufrichtigkeit, die dem Tagebuch eine eigene Disziplin verleiht, beruht ja auf diesem moralischen Anspruch der Aufzeichnungen: Sie sollen im Idealfall (indem sie Fehler und potentielle Laster ehrlich und ohne falsche Scham aufzeichnen) zur Besserung des Verfassers beitragen. Im virtuellen Tagebuch ist das Gegenteil der Fall. Aber was kümmert mich das eigentlich, weder bin ich ein schottischer Schriftsteller noch erforsche ich die menschlichen Verhaltensweisen, geschweige denn, dass
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ich dafür zuständig bin, ihre selbst gebauten Lügengebilde einstürzen zu lassen. Für so etwas gibt es Veronika Ferres, da ist das alltägliche Lügengebilde in jeder Bewegung sichtbar. Wie sie da alle so saßen, waren sie ein leichtes Opfer, doch das war es nicht, was ich brauchte. Ich suche Gegner, keine Opfer. Ich will Reibung, keine Gefälligkeiten. Opfer gibt es genug. Der viel zu blasse Junkie auf dem Klappsitz war definitiv so ein Opfer seiner selbst, schon alleine weil seine Hand zu sehr zitterte, um die stündliche Heroinportion aufzuteilen. Wenigstens erlebte er genau jetzt diese temporäre Realität um ihn herum, wenn auch nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Mittel seine Wirkung zeigen würde. WENN MAN NUR AB UND ZU ETWAS HEROIN NÄHME, OHNE GLEICH SÜCHTIG ZU WERDEN, KÖNNTE MAN VIELLEICHT VERSTEHEN, WAS IHN TÄGLICH NACH DRAUSSEN ZIEHT, SO MUSS ES LEIDER BEI VERMUTUNGEN BLEIBEN. Vielleicht hat er zu Hause einfach kein Internet. Es gibt harte Schicksale. Ich fragte mich, ob all die Handywütigen wenigstens den immensen Geruch von Kotze wahrnahmen oder ob das Flackern der Bildschirme auch ihre Geruchssinne verenden ließ. Die U-Bahn fuhr einfach weiter, als würde es sie gar nicht interessieren, mit wie viel Gleichgültigkeit sie wahrgenommen wird. Ich dagegen konnte sie sprechen hören, metallisch und bestimmt: »Komm an meine Lippen, hier ist es hart, gemütlich und indiskutabel!« Wenigstens sie war bereit ein menschliches Statement abzugeben. Die mit ihren Telefonen Beschäftigten waren wesentlich liebloser. Aber was hätten sie auch sagen oder tun können. Als die Türen sich erneut öffneten, diesmal an einem Knotenpunkt der städtischen Gleisanlagen, strömten die Menschen ungleichmäßig hinaus. Alles wirkte so unfreiwillig, so gezwungen, als wären sie die Süßigkeiten einer Pinjata, der man nun mit einem Baseballschläger gewaltsam den Bauch geöffnet hatte. Unaufhörlich strömten die Bonbons, Schokoriegel und Lutscher hinaus aus ihrer Schutzhülle und verteilten sich auf dem Bahnsteig. Ich floh in Reih und Glied. Zuhause angekommen, öffnete ich die Fenster und ließ die immer noch kalte Luft hinein. Alles, was man hörte, waren Autos, sich öffnende oder schließende Haustüren, ab und zu das Piepen einen modernen Rangierhilfe. Ein Kind weinte, wurde jedoch schnell von der Mutter eines Besseren belehrt, schließlich führt schreien zu gar nichts. Wenn man 8 Jahre, 7 Monate und 6 Tage schreien würde, hätte man gerade mal genug Energie produziert, um eine Tasse Kaffee zu erwärmen. Da ist eine Maschine bedeutend effizienter und vor allem leiser. Aus der Nachbarwohnung drang ebenfalls nur das Rattern einer Tastatur. Meine Nachbarn waren generell nicht gerade das, was man kommunikativ nennt, wobei ich ihnen die Fä-
higkeit zu skypen nicht absprechen möchte. Wenn sie bei mir klingeln, dann nur, um sich über die laute Musik zu beschweren. Wenn sie jemand brauchen, der ihnen einen Schrank in den vierten Stock trägt, veröffentlichen sie ein Hilfegesuch im Internet. Ab und zu kann ich ihnen beim Vögeln zuhören, aber auch das klingt maschinell. Es fällt einem schwer, sich zu wehren gegen all die maschinellen Unterwürfigkeiten. Doch was kann man tun, um dem zu entgehen? Man sollte den Maschinen den Kampf erklären, real und metaphorisch. Molotowcocktails und Steine helfen hier nicht, die strategischen Köpfe der Maschinen fliegen bekanntermaßen durch den Weltraum. Vielleicht sollten wir uns alle mit dem Schwert bewaffnen und fechten lernen. Wenn wir Sie dann im Schwertkampf stellen, ritterlich, dann sind auch Sie gezwungen, ritterlich zu kämpfen. Sie müssten das Schwert nehmen, denn das gebietet die Ritterlichkeit, die ja das einprogrammierte Fundament der dienenden Maschine sein sollte. Dann können wir den revolutionären Kampf in Waffengleichheit ausfechten und haben so eine echte Chance zu gewinnen. Real wie auch metaphorisch. Endlich hatte ich einen Plan: Fechten lernen.
J U R I S T E R N B U R G Dramatiker und TAZ-Kolumnist, selbst ernannter Rhetorikgott und Kneipenphilosoph, Graffitisprüher, Theaterautor und Armleuchter. Geboren in den 80er Jahren in Berlin Kreuzberg und trotz etlicher Auswanderungsversuche immer wieder dort sesshaft. Arbeitet zurzeit an unzähligen Romanen, Theaterstücken und Drehbüchern, Erscheinungsdatum nach dem Ende der Welt, sprich 2013. Ansonsten: dies und das.
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MEINE SÜNDE T E X T Louise Kant* _ F O T O Gili Shani
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T
o be brainfucked – negativ behaftet und im Wahrheitsgehalt völlig unterschätzt. Der »gefickte Geist« trifft es in der Tat auf den Punkt genau: Sex ist Kopfsache! Ich denke, jeder kennt das: Spielt der Wille nicht mit, sind die Geschlechtsorgane nicht ansprechbar. Ist das Kopfkino aber erst einmal angeschmissen, reicht ein zarter Lufthauch am Nacken durch den oder die Angebetete(n) und man meint innerlich zu explodieren. Auch lassen sich alte ekstatische Ficks mit dem Ex-Lover nicht reproduzieren, wenn in der Zwischenzeit die eigene Seele unter dem schaurigen, lächerlichen oder verletzenden Verhalten des ehemaligen (Bett-)Partners gelitten hat. Ich bin der Meinung, dass wir uns oft unserer Willenskraft und unserer schillernden Fantasie beim Sex gar nicht bewusst sind. Ich selbst war es schließlich auch nicht immer. Für diese Szene recht früh stolperte ich als Studentin mit 21 Jahren auf der Suche nach einem Nebenjob zufällig in einen bekannten Berliner SM-Club in Kreuzberg. Ich war finanziell abgebrannt und neugierig, also lag nichts näher, als meinen Geldbeutel mit der Arbeit als Barmädchen dort ein bisschen aufzufüllen. Die eher freizügige Arbeitskleidung war mir nicht fremd. Bereits als GoGo-Tänzerin in verschiedenen Clubs war ich es gewöhnt, ein wenig mehr nackte Haut zu zeigen. Der Rest dieser burlesque-hedonistischen Welt war mir anfangs völlig unbekannt. Es kam, wie es kommen musste: Die Arbeit machte mir Spaß, die Feierabende luden zu frivolem Spiel ein und lockten mich mit »bösen« Orgasmen! Ich fand Gefallen am erlebten Schmerz und verliebte mich in das Gefühl von poliertem Latex auf der Haut. Und ich entdeckte eine anfangs subtile, später allumfassende Lust an physischer Erniedrigung und körperlicher sowie geistiger Selbstaufgabe meinem Herrn gegenüber. Ich fühle mich sowohl zu Männern als auch Frauen hingezogen. Eine Frau, die mich dominiert, kommt für mich dennoch nicht in Frage, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Frauen bei mir diese sonderbare Tiefe der Selbstaufgabe nicht hervorrufen können. SM ist, wie alle Dinge zwischen zwei Menschen, Vertrauenssache. Aber hier ist sie ein Stück weit mehr, weil man gemeinsam Grenzen festsetzen und über-
schreiten kann, welche als solche vorher keine Bedeutung hatten. Aber Dominanz ist nicht gleich Dominanz. Für mich gibt es nur sehr wenige Männer, welche die Eigenschaft haben, sich eine Frau psychisch zu Eigen zu machen. Und so gleicht es einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen, wenn ich mit großen Augen am helllichten Tag durch die Fußgängerzone laufe, mit Einkaufstüten in der Hand, und sehnsüchtig darauf hoffe, dem einen männlichen Phänotyp mit Christoph-Walz-Effekt zu begegnen, der mich mit einem kühlen, stechenden Blick auf die Knie gehen lässt. Ich befinde mich auf einer stetigen Suche nach Spiritualität und Ursprünglichkeit, gewissermaßen nach dem Einklang mit mir und der Natur. Das stieß meine Aufmerksamkeit früh auf Suspensions (zurückzuführen auf ein altes, indianisches Ritual) und Bodymodifications. Bei der Suspension werden Edelstahlhaken durch die Haut gestochen, an welchen man dann über Seile in die Höhe gezogen wird. Meine erste Suspension wagte ich erst im vergangenen Jahr und ich empfand sie als unbeschreiblich schön und bereichernd. Natürlich auch schmerzhaft, aber ein Schmerz mit Suchtfaktor für mich – wie für andere das Tätowieren. Das Schweben ist ein Zustand vollkommener Glückseligkeit und innerer Ruhe. Es eröffnet dir neue Pfade deines Bewusstseins. Aber auch der Freak in mir hat mal Pause und so bin ich auch nur ein ganz normales Mädchen, welches die Liebe sucht und auch gefunden hat. Und das ist in meinem Fall ein Mensch mit viel Verständnis und Vertrauen, der meine Umtriebigkeit und Exzentrik als Teil von mir angenommen hat und dies im gewissen Sinne auch an mir liebt. Wenn wir ehrlich sind, kann kein Partner alle ersehnten Facetten bedienen. Eine limitierte Offenheit gegenüber anderen Sexualpartnern, welche auf Absprachen und starkem Vertrauen zum festen Partner basiert, könnte meines Erachtens nicht nur so manche Beziehung vor dem Aus retten, sondern auch einen enormen Gewinn für die Verwirklichung des eigenen Ichs darstellen. * L O U I S E K A N T (Name redaktionell geändert) steht zu sich, aber bleibt trotzdem gern unbekannt. Deshalb zeigt die 26-jährige Jura-Studentin aus Potsdam uns lieber Bein statt Gesicht.
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KINDHEIT OHNE GRENZEN T E X T Steffen Weber
♥ Jeder kennt den Spruch: »Diese Jugend heutzutage!« In den Dinge, die man damals als selbstverständlich betrachtet hat, meisten Fällen wird er herablassend benutzt, um Verhaltens- die man heutzutage erst wieder zu schätzen lernt: Bäume, verweisen der jüngeren Generation pauschal zu kritisieren. Ich wilderte Hecken und Plätze, Straßen auf denen zwischen 08 empfinde ihn eher als mitleidvoll: Meine Jugend oder Kindheit und 16 Uhr vielleicht 2 Autos verkehrten, vergessene Bodenmöchte ich nicht mit einer von heute tauschen. Warum? Kinder kammern und Zimmer, alte, verlassene Häuser und ein intakder heutigen Zeit haben eine Rundumbetreuung der besonderen tes soziales Umfeld. In der ganzen Umgebung war ich als guter Art. Sie sind entweder bei ihren Eltern, im Kindergarten oder Kletterer bekannt. Bereits mit 4 erkletterte ich alle Bäume in in der Schule. Ich sehe kaum noch Kinder die schmutige Sachen der Umgebung. Das Nachteilige für meinen Vater war, dass ich anhaben. Ich kam meistens verdreckt vom Spielen nach Hause bis in die Wipfel der höchsten Bäume kam - aber nie herunund hatte auch nicht selten aufgeschürfter. Die Nachbarn riefen meinen Vater te Stellen. Wir taten damals Dinge, für und er befreite mich aus dem Dilemma. die wir oder unsere Eltern heute schnell Heute ist es kaum vorstellbar, dass Elauf der Titelseite einschlägiger Zeituntern Ihre Kinder überhaupt so lange aus gen landen würden. Ich erinnere mich den Augen lassen, dass Sie die Möglichzum Beispiel noch gut daran, als ich für keit hätten überhaupt auf irgendeinen meinen Vater und Großvater des Öfteren Baum zu klettern. Wir hingegen hockten Bier geholt habe – und zwar im zarten stundenlang in Büschen oder Hecken Alter von 5 Jahren. Das Bier holte ich in und beobachteten die Umgebung. Dabei einer offenen Alukanne. Ich ging zu Rosl kam es natürlich zu Interaktionen mit (so hieß die Wirtin) und Rosl füllte mir Personen, die vorbei kamen. Bei diesen die Kanne bis zum Rand. Ich bestand Gelegenheiten lernte man schnell, was immer darauf, dass der weiße Schaum möglich war und was nicht. Wir warfen schön überquoll. So hatte ich meine LeSteine und kleinere Früchte auf die Leuckerei für den Nachhauseweg. Das Bier te oder riefen Ihnen mehr oder weniger schmeckte mir damals nicht. Aber der nette Worte zu. Das machten wir nicht Schaum! Dann war da ein Chemielehaus Böswilligkeit; es machte einfach rer, der uns aufforderte Experimente Spaß und vertrieb die Langeweile. Aber selbst zu machen. Angefangen hatte das auch das hatte einen Sinn: Legte man mit einem Chemiebaukasten aus DDR sich mit einem älteren Kind an, gab es Produktion, der in der GrundausstatPrügel oder man war einfach schneller. tung schon sehr professionell war. Heute Übertrieb man es bei Erwachsenen, hatwird alles was nur halbwegs als gefährVERHÄNGT MAN HEUTE te das in der Regel keine direkten Auslich eingestuft wird aus solchen Chemiewirkungen. Hier wurde man dann späkästen für Kinder entfernt. ExperimenÜBER EIN KIND ter von seinen Eltern angesprochen »was tieren hat aber auch etwas mit Gefahr zu man sich wieder erlaubt hat«. So lernte tun! Ich versuche etwas, und weiß nicht S T U B E N A R R E S T – E S I S T man völlig allein, wie man sich vernünfwas passiert. Das ist spannend und getig verhält. fährlich! Man lernt es, mit der Gefahr KEINE STRAFE MEHR. umzugehen. Auch das spätere Leben ist Rückblickend würde ich mein Elternnicht ohne Gefahren, auch wenn wir das gern hätten. So man- haus als streng bewerten. Die beliebtesten Strafen waren Prügel, ches Mal rauchte es aus dem Hinterhaus. Die Vorstellung, dass Stubenarrest und Fernsehverbot. Als am schlimmsten habe ich heute ein Junge im Hinterhaus mit Chemieexperimenten und mit Abstand den Stubenarrest empfunden. Schläge und Fernbrennbaren Stoffen hantiert ist wohl für die meisten Menschen sehverbot gingen schnell vorbei und konnte man auch gut vor eine Bildschlagzeile wert. Bei mir wurde es »NUR« eine erleb- den Freunden verbergen. Aber Stubenarrest – gern auch mal nisreiche Kindheit und immer eine »1« in Chemie. für mehrere Wochen verhängt – das hat sich schnell herumgeWenn ich es mir recht überlege, hatten wir damals keine Frei- sprochen. Es war schlicht die Höchststrafe! Verhängt heute doch heiten und Freiräume der besonderen Art. Vielmehr waren es einmal über ein Kind Stubenarrest. Es ist keine Strafe mehr.
30 _ DAS WILDE LEBEN
PÄNG!TRIP
Auf
einem Rad über die Alpen ♥ Aus eigener Kraft die Alpen überqueren, zu Fuß oder auf dem Rad – fast jeder erwägt das irgendwann. Es sich aber noch schwerer zu machen und die Strecke auf nur einem Rad zu bewältigen – wie kommt man auf diese Idee? Stephanie und Lutz erzählen, warum sie ihren Alpencross auf Einrädern gemacht haben und wo das welche Schmerzen hervorruft.
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T E X T & F O T O S Stephanie Dietze und Lutz Eichholz
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DER PL AN Wir sind hundemüde, haben seit zwei Tagen die gleichen verschwitzten Klamotten an, wunde Stellen am Körper und höllisch schmerzende Muskeln. Wir schreiben den Sommer 2010, gerade haben wir als erste Einradfahrer die Zugspitze überquert und fühlen uns wie Superman. »Als Nächstes fahren wir über die Alpen«, schlägt David vor. Wir stimmen lachend zu. Ein halbes Jahr später präsentiert er uns eine ausgetüftelte Route. Von Füssen nach Meran auf Wanderwegen. Die sind zwar anstrengender, aber schöner zu fahren. Macht 200 km und 10.000 Höhenmeter (Hm), sowohl bergauf als auch bergab. So richtig wissen wir mit den Zahlen nichts anzufangen. David als waschechter Oberösterreicher hingegen kennt sich aus in den Bergen. Also stimmen wir seinem Plan zu und vergessen wohlwollend seinen Hang zu kindlicher Übertreibung.
DIE VORBEREITUNG Wir sind einigermaßen fit. Von mächtigem Muskelkater lassen wir uns nicht beeindrucken und wissen mit Schürfwunden und gestauchten Knöcheln routiniert umzugehen. Trotzdem sind wir uns bewusst, dass dieses Vorhaben unsere Grenzen aufzeigen wird. Ein bisschen machen wir es auch gerade deswegen. Es fordert einiges an Kreativität, um sich ohne nennenswerte Berge in der Heimat auf einen Alpencross vorzubereiten. Die jeweils höchste Erhebung in der Gegend fahren wir ein halbes Jahr vorher regelmäßig mehrere Male hintereinander hoch und runter. Lutz fährt zusätzlich Mountainbike, Stephanie Rennrad. Die Zahl der Räder ist egal, das Gesäß muss auf sehr viel Zeit im Sattel und die Beine auf dauerhafte Belastung vorbereitet werden. Zwei Monate vorher bekommen wir Panik: Egal wie gut wir uns vorbereiten, kann das reichen? Je näher das Abreisedatum rückt, desto entspannter werden wir aber wieder – wir haben getan, was wir konnten, alles andere entscheidet der Berg. Die
Ausrüstung ist schnell zusammengestellt. Unsere Einräder mit den dicken Offroad-Reifen, welche die einzige Federung darstellen. Einräder haben keinen Rücktritt und auch keinen Leerlauf, treten muss man ständig, auch bergab. Zur Unterstützung unserer Beinmuskeln montieren wir Bremsen unter die Sättel. Dazu kommen der obligatorische Helm, Knie- und Schienbeinschoner sowie Handschuhe mit verstärkten Handgelenken. Die kurze Sportkleidung am Körper mal zwei, plus Fleece, Regenjacke und Regenhose. Bergschuhe ziehen wir direkt an. Die Toilette wird auf Zahnpasta und Zahnbürste reduziert. Wir rechnen mit 50 Euro pro Tag für Essen und Übernachtung. Für unterwegs gibt es Energieriegel. Wasser kommt aus der Trinkblase im Rucksack. Pass und Alpenvereinsausweis nicht vergessen. Das nötigste Werkzeug, Ersatzschlauch und -bremse. Erste Hilfe. Hüttenschlafsack. Ein Satz Wanderkarten. Und obendrauf die beste Spiegelreflexkamera, die wir auftreiben können. Mit unseren randvollen Tagesrucksäcken kommen wir uns sehr abenteuerlich vor.
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D I E E TA P P E N In Füssen starten wir frohen Mutes, mit Blick auf Neuschwanstein. 30 km und 1500 Hm erwarten uns pro Tag. Jeden Tag mehr als eine Zugspitze, für die wir damals zwei brauchten. Na dann los, hoch den Berg, rüber nach Österreich. Die Sonne scheint, unseren ersten Gipfel nehmen wir kaum wahr, schon sausen wir in einem steinigen Flussbett den Berg wieder hinab. Wir freuen uns wie die Könige, als wir einen Mountainbiker überholen. Jetzt das Tal durchqueren und 900 Hm hinauf zur Gartner Alm. Wanderer rufen uns kopfschüttelnd hinterher: »Fehlt nur noch einer, der auf dem Kopf hüpft.« Das Tal zieht sich. Wir stärken uns mit Gulaschsuppe. An einer Gabelung nehmen wir zielstrebig den Weg nach oben zum Gartner Joch. Es dämmert schon. Eine Stunde später sind wir am Gipfel, wo sich ein gähnend leerer Platz erstreckt. {Merke: Joch ist nicht Alm.} Eigentlich müssen wir auf den Nachbar-Berg. Wieder im Tal beschließen wir, dass es keine gute Idee ist, um 21 Uhr einen Berg zu besteigen. Schweren Herzens suchen wir uns ein Zimmer. Kein guter erster Tag. Stephanie hat so wenig Energie übrig, dass sie beschließt, am Morgen mit dem Zug nach Hause zu fahren. David verspricht, die nächsten Tage werden kürzer. Also spielen wir Schnick-Schnack-Schnuck um die Dusche, hängen die Socken auf den Balkon und schlafen auf dem Rücken ein – weil die Oberschenkel so schmerzen, dass auf dem Bauch liegen unmöglich ist. Noch im Halbschlaf bringt der Morgen zwei Dinge: Muskelkater. Nein, Muskeltiger. Und Regen. Viel Regen. Wir wissen, das ist Teil des Abenteuers, stülpen Regenjacke und Regenhose über. Der Wanderweg ist eher ein Gebirgsbach. Die Funktionskleidung klebt auf der Haut. Die Schultern sind dank Rucksack so verspannt, dass es sich anfühlt, als ob jemand einen Nagel hineinsticht. Aber irgendwann sind wir oben und werden mit einer traumhaften Abfahrt in vulkanartigem Gelände belohnt. Der Regen hört auf. Wieder beginnen wir den Aufstieg viel zu spät. Als sich die Konturen um uns herum langsam in einheitliches Schwarz auflösen, wuchten wir unsere Rä-
der über den letzten Fels und stehen plötzlich auf einem breiten Feldweg. Die Wirtin der Armelenhütte schlägt vor, unsere nasse Unterwäsche in der Küche neben dem Ofen aufzuhängen. Wir raten ab, sie besteht darauf. Umhüllt von einer unglaublichen Stille fallen wir ins Bett. Ähnlich vergehen die nächsten zwei Tage. Am Ende des vierten Tages haben wir es durch das Inntal und das Ötztal bis über das Timmelsjoch geschafft. Ein Pass, der nur drei Monate im Sommer geöffnet ist. Dementsprechend gruselig sind Gästehaus und Wirtin. Am Morgen erwachen wir mit dem besten Alpenpanorama direkt vom Bett aus. David lacht uns beim Frühstück gut gelaunt entgegen: »Heute wird es eine leichte Tour. Um 16 Uhr sind wir da.« Wir verlassen die gut ausgetretenen Wanderwege, tauchen in eine Welt aus saftigem Moos, Fels und Murmeltieren. Die einzigen Menschen sind winzig klein in der Ferne. Dafür lernen wir, wie man Kühe mit lautem Gebrüll und drohenden Gebärden vom Weg verjagt. Dort, wo es nicht mehr höher geht, beginnt der Touristensteig. Der heißt so, um unwissende deutsche Touristen in den Abgrund zu locken. Einen halben Meter neben uns ist die Welt zu Ende. Alles, was wir sehen, ist Nebel. Darüber sind wir allerdings ganz froh, laut Karte geht es dort 300 m senkrecht hinunter. Als David am Nachmittag auf den am weitesten entfernten Berg zeigt und verspricht, dass wir bald da sind, überlegen wir, die Etappe abzubrechen. Allerdings ist das nicht möglich, das nächste Dorf ist weiter entfernt. Es beginnt zu schneien. Stephanie flucht in Richtung David, Lutz lacht über die harmlosen Schimpfwörter und David geht wohlweislich 100 m weiter vorne. Irgendwann sehen wir die Lichter der Hütte. Während wir in Rekordzeit Kaiserschmarrn und Weizenbier in unsere Bäuche befördern, sind wir überzeugt davon, dass wir es keine 100 m weiter geschafft hätten. Die letzten zwei Tage vergehen »normal«. Wir sind in Italien. Die Bremsen allerdings haben Schnee und Eis nicht überlebt. Die letzten Abfahrten sind doppelt so anstrengend, die Knie schmerzen. Irgendwie geht es aber immer, das wissen wir inzwischen.
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DAS ZIEL Der letzte Aufstieg ist nicht weniger steil oder schweißtreibend. Allerdings soll David heute Recht behalten – wir erreichen die Hütte früh. Alles ist normal, irgendwie unspektakulär. Keine jubelnden Fans oder Reporter. Wir sind müde. Essen. Gehen schlafen. Am Morgen fahren wir den Berg hinunter. Dann ist da eine Stadt, Meran. Sieht sehr italienisch aus. Ein seltsames Gefühl, Zug oder Auto sind wir nicht gefahren und trotzdem so weit weg von zu Hause. Wir schlagen uns etwas verloren zum Bahnhof durch, setzen uns in den Zug und haben noch nicht ganz begriffen, dass wir nicht mehr aufs Rad steigen und Berge erklimmen. In wenigen Stunden fahren wir dahin, wo wir vor einer Woche losgegangen sind. Die Erinnerung daran scheint wie aus einer anderen Zeit.
h ic ht c s e G r e d n o v D ie M or a l GLICH. № 1 » E S I S T M Ö SCHL AFEN. E GEHEN FRÜH T R I W N E T T Ü H № 2 » RT MACHEN. E N A M TA G S P O D N U T S 13 N N ÜSLIRIEGEL. № 3 » M A N K A BESSER ALS M D N I S N E T I E Z MAHL № 4 » Z Ü N F T I G E CHSTES? EN WIR ALS NÄ № 5 » W A S M A C H
L U T Z E I C H H O L Z U N D S T E P H A N I E D I E T Z E (beide *1986) kennen sich von nationalen und internationalen Einrad-Wettkämpfen, seit sie 12 sind. Beide sind mehrmalige Deutsche und Weltmeister. Lutz hält einen Guiness-Rekord und hat in Marokko den höchsten Drop (engl. für Absprung oder Fall) auf einem Einrad gelandet. Mittlerweile haben sich die beiden auf Offroad-Einradfahren spezialisiert, reisten mit ihren Einrädern durch Neuseeland, auf die Zugspitze und über die Alpen. Lutz studiert Raumplanung in Kaiserslautern und hat durch weltweite Fernsehauftritte sowie Sponsoren wie Adidas Outdoor sein Hobby mittlerweile zum Beruf gemacht. Stephanie bringt ihre Leidenschaft für Outdoor-Abenteuer in das Start-up-Unternehmen komoot ein und erklimmt rund um Berlin alles, was auch nur im Entferntesten aussieht wie ein Berg. (lutzeichholz.de; stephaniedietze.com)
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F O T O S : Silke Oesterle A S S I S T E N Z : Johannes Kizler, Heiko Schwanzer H A A R E / M A K E U P : Laura Abendroth M O D E L S : Isabeau, Marco, Daniel, Anja F O T O S Silke Oesterle _ A S S I S T E N Z Johannes Kizler, Heiko Schwanzer _ H A A R E / M A K E - U P Laura Abendroth _ M O D E L S Isabeau, Marco, Daniel, Anja
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ICH MAG ES, DIE REALITÄT ETWAS KONFUSER DARZUSTELLEN. VERSCHWOMMEN, UNSCHARF – MEISTENS IN DER NATUR ODER IN VERBINDUNG MIT IHR. Silke Oesterle
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Fotografin und Jungdesignerin Silke Oesterle
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♥ Silke liebt den Look alter, verblichener Fotos, an denen der Zahn der Zeit nagt. Sie erhalten so viel Charme und Charakter und gehen mehr in die Tiefe als die meiste digitale Fotografie. Deshalb fotografiert die 28-jährige Fotografin, die mit ihrem Freund im schönen Stuttgarter Osten lebt, auch in der heutigen Zeit noch sehr gerne mit Film. Neben der Fotografie schlägt ihr Herz auch für Mode und so arbeitet sie seit dem Abschluss ihres Fotografie-Studiums in der Modeagentur ihrer Schwester. 2010 erfüllt sie sich den Traum, beide Bereiche miteinander zu verknüpfen, und gründet ihr eigenes kleines Label – Sophysticated. Die Idee dahinter: anspruchsvolle, kunstvolle Fotografie mit qualitativ hochwertiger und fair produzierter Mode zu vereinen. Die sorgfältig ausgewählten Shirts werden mit ihren sphärischen Fotografien bedruckt – jedes ein Kunstwerk für sich, das eine eigene, kleine Geschichte erzählt. Alle Shirts werden nach dem Druck von Hand bestempelt und etikettiert. So kommt zu den Aspekten fairtrade & Nachhaltigkeit am Ende noch der persönliche Wert handmade hinzu, erzählt Silke. Die erste Frühling/Sommer-Kollektion von Sophysticated ist in ausgewählten Modeboutiquen und Fairtrade-Shops erhältlich. Wer alles mit dabei ist, erfährt man auf ihrer Website www.sophysticated.de. Nachschauen lohnt sich! Wir haben uns jedenfalls lange, lange nicht mehr an Shirts mit so viel Liebe zum Detail erfreut.
W I R V E R L O S E N J E W E I L S 3 FA B E L H A F T E M Ä D E L S U N D J U N G S S H I R T S V O N S O P H Y S T I C AT E D ! S C H I C K T U N S D A Z U E I N E M A I L M I T S T I C H W O R T » S O P H Y« UND GRÖSSENANGABE AN : G E W I N N S P I E L@ PA E N G M A G A Z I N . D E E I N S E N D E S C H L U S S I S T D E R 18 . M A I 2 0 12 . V I E L G L Ü C K .
F O T O Albrecht Rรถssler
KAPITEL
№2
Selber machen Mirror mirror on the wall Tell me mirror what is wrong? Can it be my De La Clothes Or is it just my De La Soul What I do ain‘t make believe People say I sit and try But when it comes to being De La It‘s just me myself and I
DE LA SOUL
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Das 1 x 1 des Baumhaus bauens
Ein Baumhaus ist der Traum jedes Kindes. Selbstgemacht ist die Freude kaum noch zu 端berbieten. So baut ihr euch diesen Fr端hling ein Nest.
T I P P S Jan Dermann _ I L L U S T R A T I O N Oliver Dermann
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78 _ SELBER MACHEN
RÜCKENÜBUNGEN FÜR
T E X T & Ü B U N G E N Philipp Schröder _ F O T O S Alex Manz _ S T U N T F R A U Jana Schwarz
SCHREIBTISCHSITZER Du bist seit Wochen nur im Stress? Dein Schatz nervt, dass du nie Zeit für ihn/sie hast, in der Uni steht der Abgabetermin vor der Tür, der Chef wedelt mit einem neuen Projekt? Nicht nur du leidest in solch einem Alltag, auch dein Rücken! Wir liefern dir ein paar kleine Übungen, wie du dich auch ohne viel Zeit und Geld selbst therapieren kannst. Toll wäre, wenn Du die Übungen mindestens 3 x hintereinander mit kurzer Pause dazwischen ca. 10 Sekunden hältst. Das Ganze am besten 3 x über den Tag verteilt. Es ist wie mit allem, du musst es einfach nur tun! Was hilft dir ein Abo im Fitnesscenter, wo du nie hin gehst, oder die verstaubten Hanteln in der Ecke? Mach diese Übungen regelmäßig, noch besser: Bau sie dir in den Alltag ein! Dein Rücken wird es dir in den nächsten 40 Jahren danken. Bedenke, deine Gesundheit ist dein Kapital – was bringt es, 42 Stunden im Büro abzuschrubben, wenn dein Rücken in der Freizeit beim Partymachen nicht standhält?
g r u n dp
osition
Grundposition
P H I L I P P S C H R Ö D E R (*1982) ist gelernter Sport-und Gymnastiklehrer, Physiotherapeut und nebenher in der Ausbildung zum Osteopat. Seine berufliche Erfahrung sammelte er während der Ausbildung in einer Rehaklinik, dann vier Jahre im Leistungssport, wo er Landesmeister, Jägermeister, Olympiasieger, Weltrekordhalter und Weltmeister betreute. Heute versucht er sich an dem Ottonormalverbraucher in einer »herzigen« Praxis im Herzen von Zürich – ein Steinwurf vom See entfernt!
Ausführung: Mit ca. 5 cm deines Pos auf die Stuhlkante setzen, Hände auf die Oberschenkel, Schultern locker lassen, Doppelkinn machen, den Bauchnabel eingezogen. Jetzt stell dir vor, jemand zieht dich an einem Haar Richtung Decke. Ein Spiegel könnte anfangs hilfreich sein. Ansonsten immer locker bleiben und das Atmen nicht vergessen. Beachte: Es handelt sich um kleine Bewegungen im Zentimeter-Bereich, die du machen kannst, wenn du eine E-Mail versendest, im Bus, in der Vorlesung, beim Pfannkuchenbacken. Wo spürst du es: Spüren solltest du es im Übergang zwischen der unteren und oberen Wirbelsäule. Wie du dabei aussiehst: Wie einer, der Stolz wie Oskar ist. (Wisst ihr noch wie Mutter einst sagte: »Brust raus, Po rein?«)
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übung 1: Tischplat te
ü1
Ausführung: Grundspannung einnehmen. Beide Hände liegen auf dem Tisch, die Unterarme frei, Schultern locker lassen. Nun beide Hände in die Tischplatte drücken. Perfekt beim Lernen als Ablenkung oder beim Telefonieren. Variation: a) Mit der linken Hand in die Tischplatte drücken, den rechten Fuß 5 cm abheben. (Seite wechseln) b) Mit den Händen unten die Platte nach oben drücken und das rechte Bein in den Boden. (Seite wechseln) c) Beide Hände in die Platte drücken und beide Beine abheben. Wo spürst du es: a) Im Bauch, b) diagonal im Bauch, c)diagonal im Rücken Wie du dabei aussiehst: Wie Büro Aerobic
übung 2: UnterarmLiegestütz
ü2
Ausführung: Unterarme und Hände liegen auf dem Boden, Fußspitzen auf dem Boden abgestützt, Po, Bauch, Rücken sind angespannt. Beachte, dass du eine Linie bildest, normal atmest und immer stabil bleibst. Wenn du es nicht halten kannst, machst du eine Pause. Variation: a) Ein Bein abheben, b) einen Arm abheben, c) ein Arm und ein Bein diagonal abheben Wo spürst du es: In Bauch, Rücken, Arme bzw. Schultern und Po Wie du dabei aussiehst: Wie ein sehr flacher Tisch
übung 3: Seitliegestütz
ü3
Ausführung: Du stützt dich auf einem Unterarm seitlich ab, der andere Arm liegt seitlich auf dem Oberschenkel drauf, deine Füße haben noch Kontakt zu dem Boden. Du bildest von Kopf bis Fuß eine Linie! Beachte, dass du die Grundspannung hältst. Nun das Bein abheben. Wo spürst du es: Im Arm/Schulterbereich und in den Bauchmuskeln Wie du dabei aussiehst: Wie ein Hampelmann, der auf der Seite liegt
übung 4: vierfüssler Ausführung: Doggystyle. Im Handstütz auf die Knie gehen, die Fußspitzen auf dem Boden aufgesetzt, eventuell etwas Weiches unter die Knie legen. Dann die Grundspannung einnehmen. Beachte, dass dein Schultergelenk sich über dem Handgelenk befindet. Variation: a) Ein Arm zur Seite und das diagonale Bein nach hinten strecken, b) ein Bein zur Seite strecken und abspreizen (wie ein pinkelnder Hund). Wo spürst du es: In Schulter, Bauch, Rücken oder im Po Wie du dabei aussiehst: Wie der von Pulp Fiction mit dem roten Ball im Mund
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übung 5: Brücke
ü5
Ausführung: Du liegst auf dem Rücken, die Beine sind 90 Grad angestellt, Fersen hüftbreit auseinander, die Arme liegen neben dem Körper. Versuche jetzt wieder die Grundspannung einzunehmen. Dann hebst du langsam deinen Po an, bis deine Knie, dein Po und deine Schultern eine Linie ergeben! Dabei immer Spannung halten und Atmen nicht vergessen. Nun ein Bein abheben, ca. 90 Grad. Wo spürst du es: Im unteren Rücken, im Po und in der Oberschenkelrückseite Wie du dabei aussiehst: Wie Kylie Minogue im Video »Slow«
F O T O Anna-Maria Kiosse
KAPITEL
№3
Alles außer Kunst Everything you want everything you do Everything and anything is up to you Every single day starts with a riddle You can go left or right down the middle So take a little trip down the road and see. What you´re gonna find who you want to be. But you might have to pick between these three. Rock Paper Scissors which one is it´s your decision. And no matter what you chose you gonna live it
K AT Z E N J A M M E R
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TOLLE ERFINDUNG
Das Klapprad T E X T Marika Woyack
Wer nie einen Fehler macht, macht wahrscheinlich sowieso nicht viel. Benjamin Franklin hat verstanden, dass Scheitern und Fehlstarts zum Erfolg dazugehören. Auch der Brite William Grout, hat zig Versuche gebraucht, bis er die Welt der Drahtesel revolutionierte. Er entwickelte ein Hochrad mit Vollgummireifen, dessen Vorderrad sich in vier radiale Segmente zerlegen ließ, die mit dem gefalteten Rahmen Platz in einem dreieckigen Koffer fanden. 1878 ließ er diese Konstruktion als Klapprad patentieren. Von da an nahm diese Urform des modernen Fahrrads am Verkehr teil und die Geschichte des Faltrades begann ihren Lauf.
I C H B I N N I E G E S C H E I T E R T, I C H H AT T E N U R 10 . 0 0 0 I D E E N , D I E N I C H T F U N K T I O N I E R T E N .
Und heute – klein und doch auffällig mischt sich das Klapprad seit geraumer Zeit wieder auf unseren Straßen unters Volk. Alle kennen es, doch guckt man meist zweimal hin, wenn solch ein Gefährt unseren Weg kreuzt. Man kann schwer sagen, in welcher Gesellschafts- und Altersgruppe das Faltrad heute mehr Anklang findet. Zu sehr variieren die Fahrradmodelle und ihre Fahrer. Für alle praktisch veranlagten Radlfreunde sind moderne Varianten mit Gangschaltung erhältlich. Eines der Erfolgsmodelle nennt sich »Birdy« – ein vollgefedertes Faltrad mit Aluminiumrahmen, das seit Mitte der 1990er Jahre vom Fahrradhersteller Riese und Müller produziert wird.
Zu Beginn des 20. JahrhunBenjamin Franklin derts entdeckte das europäische Militär die Vorzüge des Gefährts für sich und veranlasste die Junge Vintage-Liebhaber haben die nostalgische Variante der Entwicklung verschiedener Modelle, die es seinen Fallschirm- alten Modelle aus den 70er Jahren für sich entdeckt, die sie auf springern mit auf den Weg gab, um sich schnell vom Lande- Flohmärkten und über Kleinanzeigen erwerben. Sie schätzen platz entfernen zu können. Aber auch für zivile Fahrer wur- an ihnen, dass – wie überhaupt im Design der Zeit vor 1975 – den in den 1920ern bis 1940ern diverse kleinrädrige Falträder die Anmutung wichtiger ist als die Zweckmäßigkeit. konstruiert. Das »Moulton Stowaway« zu Beginn der 1960er bot eine bisher unbekannte Schnelligkeit und Wendigkeit, ge- Eine Gemeinsamkeit haben alle Klappradlfahrer – egal ob währleistet durch 16«-Felgen, schmale Hochdruckreifen und Dauercamper oder junger Student: Sie haben die Vorteile an eine Vollfederung mit Gummielementen. Dieser bisher nicht ihrem Rad entdeckt. Neben dem Platz sparenden Umfang ergekannte Fahrkomfort löste eine »Klappradwelle« aus. laubt beispielsweise die Deutsche Bahn die kostenlose Mitnahme von Fahrrädern mit einem Raddurchmesser bis zu 20 Zoll, Wie so oft bei erfolgreichen Sachen dauerte es nicht lang, bis und selbst das sonst verbotene U-Bahn-Fahren in vielen Städsich eine Horde billiger Nachfolgemodelle ausbreitete. Das ten ist somit auch gestattet. Wer nicht fahren will, kann sein Fahrverhalten verschlechterte sich, der Wunsch von Sicher- Gefährt zusammenklappen, und wer bretteln will, hat beim heit und Qualität war nicht mehr gegeben. Dadurch brach die Durch-die-Stadt-Düsen den allergrößten Spaß. »Klappradwelle« bis auf wenige Modelle Ende der 1970er Jahre schon wieder zusammen.
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PÄNG!PAPERTOY A N L E I T U N G & B A S T E L B O G E N Martin Graf
BASTELANLEITUNG AUF SEITE 91
96 _ AUSKLANG
ZEHN TOLLE LIEDER ZUM DRAUSSEN SPIELEN Die eigene Zeit auf den Prüfstand stellen. Wichtigen Dingen den Platz geben, den sie verdienen. Wir waren unterwegs, um herauszufinden, wie Menschen auf unterschiedliche Art und Weise Freude und Glück im Alltag finden. Uns geht es nicht darum, wie man am besten zu leben hat. Wir wollen euch dazu inspirieren, sich die Zeit zu nehmen zu schauen, was man genau in diesem Moment am liebsten machen will. Gehetzter als in der Zeit, in der wir noch mit den anderen aus der 4. Klasse im Schwimmbad plantschen, scheinen wir alle zu sein. Aber wenn ihr in Gedanken schon längst ganz woanders seid – auf dem Fahrrad durch den Park, beim Holzsuchen im Wald oder auf den Weg in die Alpen – dann haben wir unser Ziel erreicht. Denn: Für die Wirklichkeit gibt es keinen Ersatz.
In diesem Sinne – es hat Spaß gemacht. Und jetzt raus in den Frühling mit euch – am schönsten mit dieser Musik im Ohr: ♥
All Stars › Grafton Primary Cat Stevens › If You Want To Sing Out, Sing Out Edward Sharpe & The Magnetic Zeros › 40 Day Dream Ladyhawke › My Delirium Mac Miller › Donald Trump MGMT › Kids Oasis › Wonderwall The Knife › Heartbeats The Shins › New Slang Whitest Boy Alive › Burning
I L L U S T R A T I O N Jan Anderson
AUF ZU NEUEN ABENTEUERN! DIE NÄCHSTE PÄNG!AUSGABE ERSCHEINT AM 04. JULI!