2 minute read

Wien offene Stadt

Wien—offene Stadt Elisabeth Noever-Ginthör, Leitung Creativity & Business, Wirtschaftsagentur Wien

Es war 2009, also vor zehn Jahren, dass eine Gruppe von 200 Kreativen ein Dutzend leerstehender Häuser im Hamburger Gängeviertel, am Rande der Innenstadt, zu besetzen – korrigiere: zwischenzunutzen – begann. Der niederländische Investor Hanzevast, der an Ort und Stelle Appartements und Büros entwickeln wollte, war infolge der Finanzkrise ins Straucheln geraten; nun rotteten die pittoresken Backsteinbauten in dem dichtbebauten Arbeiterviertel aus der Blütezeit des hanseatischen Handelskapitalismus vor sich hin, bis sich eben jene 200 Lebenskünstlerinnen und Lebenskünstler unter dem Motto „Komm in die Gänge“ ihrer annahmen.

Advertisement

Weniger wurde hier mit „Eat the Rich“-Sentiments argumentiert als mit „soziokulturellen Synergieeffekten“, „Erhaltung der historischen Bausubstanz“ und dem „generellen Mangel an leistbaren Atelierräumen“ im Raum Hamburg. Nahm Wien mit dem Projekt einfach–mehrfach bereits Ende der 1990er Jahre eine Vorreiterrolle ein, rückte das Konzept der „Zwischennutzung“ durch das Vorzeigeprojekt in Hamburg nun in ganz Deutschland und Österreich verstärkt in den Fokus.

Das Kalkül dahinter ist zwingend logisch, eine klassische Win-win-Situation: Während die Immobilienbesitzerinnen und -besitzer auf ihre jeweiligen Genehmigungen und Finanzierungsschließungen warten – das Entwickeln von Immobilien ist eine chronisch zeitaufwändige Angelegenheit –, profitieren die Zwischennutzenden von den entsprechend günstigen, oft zum Betriebs- respektive Selbstkostenpreis zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten, legen in ihnen oft erstaunliche Karrieren hin und arbeiten damit nicht nur an ihrem eigenen Profil, sondern auch an dem der Stadt.

Gleichzeitig werden – und hier liegt wiederum der Vorteil für die Eigentümerinnen und Eigentümer – die Gebäude bespielt (Leerstand bedeutet Stillstand), instandgehalten, in beschränktem Ausmaß teilweise sogar renoviert. Außerdem – und noch viel wichtiger – bildet sich um diese neuen Arbeitsstätten, um diese soziokulturellen Zentren herum, Infrastruktur: Cafés machen auf, Bio-Bäcker sowieso, manchmal sogar Suppenküchen. Büro- und Ateliergebäude bedeuten Laufkundschaft, bedeuten Umsatz, bedeuten Leben und Wachstum (mit Maß und Ziel).

Für die Eigentümerinnen und Eigentümer heißt das auch, dass sie ihre finalen Objekte letzten Endes nicht in den luftleeren Raum, sondern in ein bereits funktionierendes Biotop hineinbauen, in eine urbane Landschaft, die nicht auf dem Reißbrett entworfen, sondern organisch gewachsen ist. Und das ist am Ende des Tages der eigentliche Mehrwert, der hier geschaffen wird, zunächst für die einzelnen Grätzel, und in Summe für die ganze Stadt: Denn was Raumunternehmen hier auf provisorischer Basis an zellularen Strukturen entwickeln, hat bleibenden Wert. Dieser Wert heißt Lebensqualität, er ist durch nichts zu ersetzen, und die Stadt ist zu Recht stolz, einen entsprechend hohen Grad bieten zu können.

Lesen Sie auf den folgenden Seiten, was die Wiener „Szene“ – sowohl auf Seiten der Eigentümerinnen und Eigentümer als auch auf Seiten der Zwischennutzenden – zum Thema zu sagen hat und welche Bespiele sich international hervortun.

This article is from: