Hamburg: Winter 2009/2010 Sonderausgabe
Das Magazin der Metropole
Unter Geiern Wie Hamburgs Politiker die Stadt verkaufen - und wo der Widerstand dagegen w채chst
New Kids on the Block:
RECHT AUF STADT
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Hamburg: Thema: Die Stadt gehört allen Inhalt / Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser, in Hamburg sagt man „Tschüs“. Und mit dieser Ausgabe sagen wir auch „Tschüs!“. Zu dem Werbegetexte, das PR-Magazine wie dieses üblicherweise prägt. Wir: Das sind ein paar Hamburger Journalistinnen und Journalisten, Grafiker und Grafikerinnen die es nicht mehr ertragen, das Marketingsprech vom „Wohnen am Wasser“ und der „pulsierenden Metropole“, während um uns herum die Mieten steigen, sündhaft teure Eigentumswohnungen und Büroglaspaläste aus dem Boden schießen und Grünflächen verkauft und zugebaut werden. Wir möchten sie nicht mehr ausklammern, die soziale Frage. Ja, es ist eine Menge los in Hamburg – aber ganz anders als es sich unsere MetropolenVermarkter wünschen. Unter dem Motto „Recht auf Stadt“ entstehen derzeit überall in Hamburg Initiativen gegen Gentrifizierung, gegen städtische Großprojekte und für Freiräume – einige davon stellen wir in diesem Magazin vor. Es wird Zeit, dass Politiker aufhören, Leitlinien zu befolgen, die sich Unternehmensberater ausgedacht haben. Denn das führt zu einer Stadt, auf die nur noch Besserverdienende ein Recht haben. Wir dagegen meinen: Die Stadt gehört allen. Für Nachfragen, Kritik, Anregungen oder Zuspruch: rechtaufstadt@gmx.net
UNTERNEHMEN HAMBURG Wenn Geld die Stadt regiert _________________________________________ S. 04 Was Politiker anrichten, wenn sie ein Gemeinwesen zum Profit-Center umbauen
KONJUNKTURPAKET „Wohnraum für alle“ ______________________________________________ S. 07 Der Jurist Marc Meyer über das Hamburger Mietproblem
GÄNGEVIERTEL
Wir lieben Waffen!
Jetzt erst recht! __________________________________________________ S. 08 Langfristiger Gewinn: Künstler kämpfen um den Erhalt eines historischen Viertels
INITIATIVEN Widerstandorte ___________________________________________________ S. 10 Hier wird geträumt und gekämpft. Für Freiräume, gegen Verdrängung
NACHTLEBEN Magie der Schweißtropfen _________________________________________ S. 14 Das Clubsterben in der „Musikstadt Hamburg“ geht weiter
FRAPPANT/IKEA Der Elch will den Stadtteil __________________________________________ S. 16 In Altona soll ein Ikea-Möbelhaus entstehen. Hatten wir das nicht schon mal?
ST. PAULI Hamburg, meine Schatzstadt ________________________________________ S. 18 Ein Comic über den Kiez TITELFOTO: BERND RUMM
New Kids on the Block:
MANIFEST
Internationales Maritimes Museum Hamburg
Not In Our Name, Marke Hamburg! ___________________________________ S. 20 Jan Delay, Rocko Schamoni, Kettcar, Fettes Brot und viele andere haben genug
WARUM, HAMBURG? Urban Utopia _____________________________________________________ S. 23 Stadt-Ethnologin Kathrin Wildner über die „ideale Stadt“
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Koreastraße 1 | 20457 Hamburg HafenCity | U-Bahn Meßberg Geöfnet: Di., Mi., Fr., Sa., So. von 10 bis 18 Uhr, Do. von 10 bis 20 Uhr 22.10.2009 10:44:11 Uhr
UNTERNEHMEN HAMBURG
WENN GELD DIE STADT REGIERT Die Metropole als Unternehmen: Das fanden Stadtväter vor zweieinhalb Jahrzehnten revolutionär. Doch der Fall Hamburg zeigt, was Politiker anrichten, wenn sie ein Gemeinwesen zum Profit-Center umbauen. Eine Bilanz von Johanna Adler „Schwierige Zeiten“: Wenn Hamburgs Bewohner diese Wörter hören, müssen sie sich traditionell warm anziehen. Dann werden „Pakete geschnürt“, Reformen verabschiedet und „Maßnahmen“ durchgeführt, die „schmerzhaft, aber notwendig“ sind. Schwierig sind die Zeiten immer dann, wenn Politiker etwas durchsetzen wollen – möglichst schnell. Und „unbürokratisch“, also: ohne öffentliche Diskussion. Eine „schwierige Zeit“ war es auch, die Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) 1983 als Argument heranzog, um das
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„Unternehmen Hamburg“ auszurufen. Ein Paradigmenwechsel: Schluss mit Gemeinwesen und Sozialverträglichkeit – die Stadt solle künftig als Unternehmen betrachtet werden und wie ein solches handeln. Profitabel, wettbewerbsorientiert, effizient. Jede Unterabteilung – egal, ob Kultur, Wissenschaft, Wohnungsbau oder Tourismus – wird zu einem „Profit-Center“, das aus sich heraus gewinnorientiert arbeitet. Gleichzeitig soll die Stadt ihre Wohn- und Arbeitsbedingungen den Vorlieben einer „neuen Intelligenz“ (Dohnanyi) entsprechend
ausrichten. Von der Stärkung der Starken, so die Logik des Konzepts, würden alle profitieren. Seitdem ist Hamburg keine Stadt mehr. Hamburg ist ein Wirtschaftsstandort. Dohnanyi gab den Startschuss dafür, dass die Politik – immerhin die Instanz, auf die der Bürger Einfluss nehmen kann – sich zurück zieht und öffentliche Aufgabenbereiche privatisiert. Als erstes gründete man die Hamburger Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF). Seither bestimmt ein Konglomerat aus Handelskammer und Banken, wie gearbeitet und
was gefördert wird, während die Wirtschaftsbehörde das Geld bereitstellt. Die HWF ist die erste von vielen GmbHs, also von privatwirtschaftlich organisierten Institutionen, die unter der Dachmarke „Unternehmen Hamburg“ agieren. „Entbürokratisierung“ ist das Schlagwort, mit dem die Umwandlung vorangetrieben wird. Dohnanyi selbst hat den Sinn deutlicher formuliert: Die GmbHs würden die „Durchsetzbarkeit wichtiger Entscheidungen zügiger“ machen; „investitionshemmende Vorschriften“ können umgangen werden.
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FOTOS: BERND RUMM
Das ist der Beginn der Entdemokratisierung der Stadt. Weder über das Leitbild „Unternehmen Hamburg“ noch über dessen Nachfolger konnte die Bürgerschaft abstimmen, obwohl es die gesamte Stadtpolitik neu ausrichtete. Nach Dohnanyi setzt Henning Voscherau (SPD) diesen Weg fort. Seinem größten Coup – der Hafencity – liegt ein geheimer Deal zugrunde, den er 1997 verkündet: Unter seiner Regie hatte die Stadt über die „Hamburger Hafenund Logistik AG“ (HHLA) Flächentausch und Firmenumsiedelungen zwischen Hafencity und Altenwerder vorbereitet. Als der Bürgermeister seine Pläne offen legt, sind die Weichen bereits gestellt: Ein reguläres Planverfahren, wie es vorgeschrieben gewesen wäre, ist obsolet. Die Bürgerschaft wird mit bereits geschaffenen Tatsachen konfrontiert, die Öffentlichkeit ist an der Diskussion überhaupt nicht beteiligt – es gibt keine Diskussion. Vertraulichkeit sei notwendig gewesen, um die Flächen günstig erwerben zu können, lautet Voscheraus Begründung. Zu Hamburgs unternehmerischem Prinzip gehört nun auch, dass die Stadt mit virtuellem Geld plant: Die neu erworbenen Immobilien und Grundstücke der Hafencity, die ihren tatsächlichen Wert erst noch beweisen müssen, werden zum städtischem „Sondervermögen“ erklärt. Verwaltet wird dieses Kapital zunächst von der „Gesellschaft für Hafen und Standortentwicklung“ (HSG). Diese nimmt Kredite auf, mit denen unter anderem Hafenverlagerung bzw. –erweiterung finanziert werden sollen. Wenig später werden Kredite aufgenommen, um die Kredite zu finanzieren.
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Auf der Einnahmenseite hat das mehrfach beliehene Sondervermögen nur eines zu verbuchen: die potenziellen Erlöse aus dem Grundstücksverkauf. Die müssen also möglichst hoch sein – und um den Kaufanreiz zu verstärken, werde Investoren mit weiteren Zugeständnissen gelockt. Statt um städtebauliche Planung geht es einzig und allein um maximale Verkaufspreise – auch wenn die Stadt damals viele Ideenwettbewerbe ausgerufen hat, die den Bürgern Beteiligung zumindest suggerieren sollten. ENTEIGNETE ÖFFENTLICHKEIT Grundstücke, Freiflächen, Wohnhäuser: Schritt für Schritt privatisiert das „Unternehmen Hamburg“ auch unter dem nächsten CDU-geführten Senat städtisches Eigentum oder überlässt es profitorientierten Nutzern zur Bewirtschaftung. Nach dem seit 2001 geltenden Konzept „Wachsende Stadt“ werden aus einzelnen Wohnvierteln „Quartiere“, die „gemanagt“ werden. Nur wenige Gutverdienende können sich die aufgewerteten Viertel leisten. Doch problematisch sind nicht nur die Verkäufe, sondern vor allem die Käufer: Für internationale Investmentgesellschaften, die in Hamburg mittlerweile hunderttausende Wohnungen besitzen, sind Immobilien und Grundstücke einzig und allein Anlageobjekte, die Gewinne abwerfen müssen. Zugleich dienen Investitionen im Immobilienmarkt als Absicherung für Investitionen im Finanzmarkt. Bricht dieser – wie gerade geschehen – zusammen, wird Wohnraum zur schnellen Handelsware. Mietwohnungen werden verkauft, Instandsetzungen erfolgen nur noch nach dem Low-CostPrinzip. Es sind die guten alten „Heuschrecken“, die hier
zugegriffen haben. Und indem das „Unternehmen Hamburg“ an sie verkauft, macht es seine Stadtteile zu Spekulationsobjekten, deren Wert – wie an der Börse – steigt oder fällt. Die Öffentlichkeit wird enteignet, ihr Lebensraum immer kleiner, ihre Lobby sowieso, vor allem, wenn es um die Interessen der Normal-, Gering-, oder Gar-nicht-Verdiener geht. Die städtische Wohnungsgesellschaft SAGA, ursprünglich gegründet, um „sichere und sozial verantwortliche Wohnungsversorgung für breite Schichten der Bevölkerung“ zu gewährleisten, wird im Unternehmen Hamburg ebenfalls zum Profit-Center. Gewinn kann die SAGA über steigende Mieten erwirtschaften: Wohnungen werden saniert und anschließend teurer. Mehr „aufgewerteter“ Wohnraum bedeutet mehr zahlungskräftige Mieter. Schließlich soll die SAGA nicht länger Wohnraum für alle bereitstellen – sie muss das Vermögen des HamburgKonzerns vergrößern, damit er neues Geld zum Investieren hat. 2005 kauft die SAGA das städtische Wohnungsbauunternehmen GWG. Kosten: 500 Millionen Euro, die nun durch die Mieten der SAGABewohner wieder reinkommen müssen. Auf diese Weise hat das „Unternehmen Hamburg“ auch seinen „schwächeren“ Bürgern viel Geld abgeluchst, das nun wieder ausgegeben wird. Nicht für sozialen Wohnungsbau, sondern vor allem: für die Hafencity. Hamburgs Traum vom „Leben und Arbeiten am Wasser“ zeigt exemplarisch, dass die Logik des „Unternehmens Hamburg“ auch wirtschaftlich nicht aufgeht: Das inzwischen von der „HafenCity GmbH“ verwal-
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UNTERNEHMEN HAMBURG tete Sondervermögen konnte bisher weder die Ausgaben für den Hafen in Altenwerder noch die Kosten für den neuen Stadtteil tragen. Bereits 2007 wies das Sondervermögen ein Defizit von 390 Millionen Euro auf. Die Kreditfinanzierung lässt die Schulden zudem stetig wachsen. Die Elbphilharmonie ist schon jetzt ein Wahrzeichen dafür, wie teuer das angeblich so effiziente Model des PublicPrivate-Partnership werden kann: Mit der ReGe (Realisierungsgesellschaft mbH) wurde das Projekt einem Koordinator übergeben, dessen Kompetenz in Fachkreisen mehr als umstritten ist. Als privater Partner kam Hochtief hinzu. Seit November 2008 heißt es, dass Hamburg für den
Bau der Elbphilharmonie 323 Millionen Euro zahlen muss – für einen „Leuchtturm“, der anschließend von Hochtief vermarktet wird. Die Kosten sind jedoch nicht „explodiert“, wie die Stadt behauptet. Die Schnelligkeit und Dringlichkeit, mit der das Projekt
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vorangetrieben wurde, hat von vornherein zu Fehlplanungen geführt. Da der Senat – seinem Effizienz-Prinzip folgend – ein staatliches Bauprojekt an privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen übertragen hat, entstand offenbar eine gewisse Unübersichtlichkeit, über deren Entwicklung auch die Bürgerschaft nicht informiert wurde. Fest steht: Für die Kosten muss die Stadt einspringen. Public zahlt, private baut. Für Hochtief entstehen keine Nachteile.
selbst produzierten Leerstand entgegen zu wirken, musste die Stadt als Mieterin einspringen. Zwischen 2004 und 2008 ist die von der Stadt angemietete Fläche um rund 100000 Quadratmeter gestiegen. Auch in die leeren Büros des Überseequartiers soll nun mit dem Bezirksamt Mitte die Stadt selbst einziehen – für rund 15 Euro pro Quadratmeter, einem Mietpreis, der alles andere als marktgerecht ist. Dieses Mal wird die schwierige Zeit der Wirtschaftskrise als ArguALLES FÜR DEN INVESTOR ment für den „Notfalleinsatz“ Noch ein Beispiel, wieder herangezogen. Tatsächlich Hafencity: In Hamburg gab gab es jedoch von vornherein es bereits vor Baubeginn viele eine „Sondervereinbarung“, Büroflächen. Mit der Hafencity die dem Investor den hohen sind es noch mehr. Wenn das Mietpreis garantiert hat und Angebot groß ist, sinkt der ihn gegen alle Eventualitäten Preis der Ware. Eine Binsenabsicherte: So wird ein privates Unternehmen noch über seine Investition hinaus von öffentlicher Hand subventioniert. Aus denselben Gründen soll auch die Universität Hamburg – entgegen jeder wirtschaftlichen Logik – den für sie teuren Umzug in die Hafencity vornehmen. Die Stadt stellt die Flächen bereit, die Stadt hilft beim Bau und trägt am Ende alle Risiken, weil sie den Wert des Gesamtprojekts HaHafencity: städtisch produzierter Leerstand fencity stabil halten muss. Das ist in weisheit, die auch das „Under Tat wirtschaftsfreundlich. ternehmen Hamburg“ kennen Wirtschaftlich ist es nicht. dürfte. Zu den ursprünglichen Plänen der Hafencity gehörte Vom allgemeinen Wohlstand, es daher, einen „Angebotsüber- der die „Stärkung der Starken“ hang auszuschließen“ – die mit sich bringen sollte, ist nicht Bürogebäude der so genannviel zu spüren. Die Innenstadt ten „Perlenkette“ beweisen wird zum Erlebnisraum für neu jedoch das Gegenteil. Um dem angesiedelte Gutverdiener oder
bestenfalls noch zur Spielwiese für das „kreative Prekariat“, das wiederum zur Stärkung des Standortfaktors „pulsierende Metropole“ herangezogen werden kann. Vertrieben werden dabei alle anderen. HARTE ZEITEN Wenn das „Unternehmen Hamburg“ überhaupt etwas produziert, dann ist es Armut. In Hamburg leben inzwischen doppelt so viele Kinder von Sozialhilfe wie in anderen westdeutschen Städten. Ihre Zahl wächst so schnell, weil das Geld für die Subventionierung des Wirtschaftsstandorts Hamburg in anderen Bereichen gestrichen wurde. Die Ansiedelung der „neuen Elite“ hat keine Arbeitsplätze geschaffen, höchstens prekäre Beschäftigungsverhältnisse, am meisten vermutlich im Bereich der privaten Wachdienste. Mit dem Wohnungsmarkt ordnet sich die Stadt neu: reich im Inneren, arm in den Randbezirken. Ghettos für Reiche, Ghettos für Arme. Und auch in den ärmeren Stadtteilen greifen Standortfaktoren wie Kultur, Freizeitangebote und geeigneter Wohnraum. Nur tragen sie hier Minuszeichen vorweg. Die „soziale Verwahrlosung“, die „Jugendkriminalität“, von der immer dann zu lesen ist, wenn mal wieder ein Kind verhungert oder ein „Schläger“ verknackt wird, sind die Folgen, die Hamburgs Unternehmenspolitik offenbar in Kauf nimmt. Statt durchmischter Stadtteile fördert Hamburg seit Jahren die Segregation. Doch immer mehr Hamburgerinnen und Hamburger machen mobil gegen diese Politik und kämpfen. Für ihre Stadt, für eine Stadt für alle. Darum brechen jetzt wieder harte Zeiten an – diesmal für das „Unternehmen Hamburg“.
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KONJUNKTURPAKET
„WOHNRAUM FÜR ALLE“ Der Jurist Marc Meyer über das Hamburger Mietproblem Interview: Eliane Romeck 17 Prozent Mietsteigerung in drei Jahren bei überproportionalem Anstieg der niedrigen und mittleren Mieten in der Zukunft: Marc Meyer, Jurist bei „Mieter helfen Mietern“, erklärt, wie Hamburg das Ruder rumreißen könnte. Immer weniger Menschen können sich das Wohnen in der inneren Stadt leisten. Können wir nichts dagegen machen? Doch, wenn der politische Wille bei denjenigen vorhanden ist, die über Vergabe öffentlicher Mittel, die Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen und das Handeln städtischer Unternehmen entscheiden. Und auf die politische Willensbildung können Mieter- und Stadtteilinitiativen durchaus erfolgreich Druck ausüben. In Hamburg müssten viel mehr öffentlich geförderte, schicke, ökologische und günstige Mietwohnungen in attraktiven Lagen gebaut werden. Und zwar vorzugsweise durch städtische Gesellschaften und Genossenschaften. Dafür viel mehr Geld zur Verfügung zu stellen, wäre ein auf nachhaltige, soziale gesellschaftliche Entwicklung gerichtetes Konjunkturpaket, anders als die Milliarden für Banken und Abwrackprämien. Ist Vermietern erlaubt, was ihnen gefällt? Nein, aber im Wirtschaftstrafgesetzbuch müsste der § 5 gegen Mietpreisüberhöhung so formuliert werden, dass bei Anmietung einer Wohnung nicht mehr als 20 Prozent über dem maßgeblichen Mieten-
spiegelwert verlangt werden darf. Im BGB gehört der § 559 abgeschafft, der den Mietern die gesamten Kosten einer Modernisierung innerhalb von neun Jahren abverlangt. Beides sind Bundesgesetze, die auch nur bundesweit verändert werden können.
1993 existierten noch 211 000 Sozialwohnungen, heute sind es noch 116 000 und jedes Jahr fallen weitere 5000 aus der Sozialbindung raus. Sind das „ganz normale“ Prozesse? Nein. Das ist vor allem die Folge davon, dass die Förderung des Neubaus von Sozialwohnungen bereits vor Jahren auf quasi Null heruntergefahren wurde. Damit fehlt Ersatz für die regelmäßig aus der Bindung fallenden Wohnungen. Die derzeitigen Angebote öffentlicher Förderung sind für Bauherren vor dem Hintergrund anderweitig erwarteter Marktchancen ökonomisch offenbar nicht ausreichend attraktiv. So werden sie in manchen Jahren nicht einmal vollständig abgerufen. Das Neubauvolumen
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der stadteigenen SAGA-GWG fängt nicht einmal deren eigenen Schwund ab. Warum überlässt die Stadt nicht mal der SAGA-GWG eine ihrer Liegenschaften? Deren Aufgabe ist es doch „für sozialen Ausgleich in den Wohnquartieren“ zu sorgen? Die SAGA hat zwar soziale Aufgaben, gleichzeitig soll sie aber jährlich aktuell rund 50 Millionen Euro in den Haushalt der Stadt abführen, die sie als Gewinn aus den Mietwohnungen erwirtschaften muss. Und leider hat die Stadt Hamburg in den letzten Jahren ihre eigenen Grundstücke ausschließlich im so genannten Höchstgebotsverfahren auf den Markt geworfen, das heißt an den Meistbietenden verkauft. Alle attraktiven städtischen Liegenschaften müssten so preisgünstig an Bauherren von Sozialwohnungen veräußert werden, dass diese dort auch
nungen sind in Hamburg Mangelware, die am liebsten an den Meistbietenden mit den größten Sicherheiten vermietet werden. Deswegen bedarf es staatlicher Einflussnahme auf diesen Markt, damit sicher gestellt wird, dass alle Menschen angemessen mit Wohnraum versorgt werden können. Ist durch Schwarz-Grün ein anderer Zungenschlag in Hamburgs Wohnungspolitik gekommen? Ein anderer Zungenschlag ist schon zu erkennen, da zumindest soziale wohnungsbauliche Aspekte mehr Gewicht finden. Allerdings sind die bisherigen Erfolge so gering, dass ich auch für die Zukunft skeptisch bin. Was muss die Politik anders machen? Ich würde umgehend den Erlass sozialer Erhaltungsverordnungen für die innerstädtischen Quartiere veranlassen. Dann
1993 gab es in Hamburg 211 000 Sozialwohnungen, heute sind es noch 116 000 tolle, preiswerte Wohnungen bauen können. „Die Welt“ schrieb im Juli 2009: „Für Obdachlose, Schwangere, Jugendliche und psychisch Kranke ist der Wohnungsmarkt praktisch schon heute dicht.“ Man könnte die Aufzählung erheblich verlängern. Woh-
sollte unbedingt eine genossenschaftliche Immobilienagentur in Hamburg eingerichtet werden. Wenn beispielsweise eine Erbengemeinschaft ein Haus verkaufen möchte oder die Stadt ihr Vorkaufsrecht geltend machen kann, kann mit Hilfe der Agentur eine Vermittlung der Verkaufsobjekte an eine Genossenschaft stattfinden.
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GÄNGEVIERTEL
JETZT ERST RECHT! Seit dem 22. August halten Künstler, Aktivisten und Musiker das Gängeviertel besetzt. Die Stadt hat das Areal an einen Immobilienspekulanten verkauft und sich damit wieder einmal für schnelles Geld und gegen den Erhalt eines historischen Stadtteils entschieden. Acht Argumente, in die Gänge zu kommen Text: Sven Brockhaus 8
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„Hummel Hummel, Mors Mors!“ Ja, die Hamburger Originale, bei keiner Stadtrundfahrt bleiben sie unerwähnt. Der legendäre Wasserträger Johann Wilhelm Bentz alias „Hummel“ oder auch die „Zitronenjette“, die tagsüber Südfrüchte verkaufte und abends betrunken unflätige Lieder sang: Beide lebten sie in den engen Gassen der Gängeviertel. Heute findet man hier den letzten Rest der Arbeiterstadtteile, die sich einst vom Hafen bis in die obere Neustadt schlängelten. Drumherum: Bürohäuser, Franchise-Fastfood, polierte Fassaden, Tiefgaragen mit einbetonierten Grünpflanzen davor. Ein pitoresker Gegensatz, den es zu besichtigen lohnt. So lange es noch steht.
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Geht es nach dem Senat, wird auch das Rest-Gängeviertel bald durch global austauschbare City-Architektur ersetzt. Davon zeugen die „planungsrechtlichen Befreiungen“, die die Baubehörde und der Bezirk Mitte dem Gängeviertel-Investor Hanzevast zugestanden haben. Abreißen, entkernen, aufstocken: Bis zu neun Geschosse hoch soll der Büro- und Eigentumswohnungskomplex werden, den die Niederländer im Sinn haben. Von der alten Bausubstanz blieben dann nur einige dekorative Fassaden. All das sei „städtebaulich gewollt“, erklärt der Senat – „das Zurücktreten der Denkmalschutzbelange erfolgte in einem Abwägungsprozess mit anderen öffentlichen Interessen.“
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Welche öffentlichen Interessen? Da hat die Freie und Hansestadt Hamburg glasklare Prioritäten: „Hamburg wächst! Wir liefern die Grundstücke“ verkündet das „Finanzbehörde Immobilienmanagement“ in einer Hochglanzbroschüre. Die Stadt als Flächen-Portfolio – was für ein trauriges Selbstverständnis für eine Metropole, die sich gerne als „schönste Stadt der Welt“ anpreist. „Du bist nur ein Grundstückslieferant!“ möchte man ihr auf die Melodie von Yellow Submarine zusingen. Rund 50 Prozent des Stadtgebietes sind derzeit noch in öffentlichem Besitz – wäre es nicht an der Zeit, einen Teil davon auch mal der Öffentlichkeit zugute kommen zu lassen?
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Ausgerechnet zwischen Gänsemarkt und Musikhalle haben ein paar Leute jetzt eine Rettungsaktion gestartet. Sie haben die investorenarchitektonisch verschandelte Innenstadt nicht aufgegeben – obwohl sie bereits zu nichts anderem mehr gut war als zum Shoppen bei Zara, H&M, Saturn und all den anderen Ketten, die es auch in jeder anderen Stadt gibt. Im letzten hohlen Zahn des ansonsten komplett überkronten City-Gebisses keimt nun Hoffnung. Auf eine andere Innenstadt. Und auf vernünftige Politiker, die endlich soziale Verantwortung übernehmen.
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Im offiziellen „Leitbild Wachsende Stadt“ ist die Rede von „jungen, kreativen Menschen“, um die Hamburg mit anderen Metropolen konkurrieren müsse. Na bitte: Im Gängeviertel laufen jede Menge davon herum, und das auch noch mitten in der City. Zwar gehören die „Kreativen“ wohl nicht zu den Großverdienern, aber als Lockvögel müssten sie den Stadtvätern und –müttern Gold wert sein. Man denke nur an die Schanze, St. Pauli, Ottensen und das Karoviertel – alles „kreative“ Stadtteile, mit denen die „Hamburg Marketing“ heute bundesweit Werbung macht.
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Als nach der künstlerischen Instandbesetzung die Presse freundlich berichtete und sich jede Menge prominente Unterstützer fanden, sprachen sich von der Kultursenatorin bis zum Bezirksamtleiter plötzlich alle für den Erhalt des Gängeviertels aus. Keiner wollte mehr dessen Ausverkauf zu verantworten haben. Doch statt das Engagement ihrer Bürger zu nutzen, hält die Stadt am Vertrag mit dem Investor fest. Die Künstler möchte sie nun woanders ansiedeln. Die Besetzer sind sich jedoch einig: „Wir wollen bleiben!“
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Erfreulicherweise sind die Gängeviertler nämlich von der widerständigen Sorte: „Der Senat muss verstehen, dass es hier Angebote von Kreativen, von Künstlerinnen und Künstlern gibt, der Stadt etwas zu geben, das ihr fehlt“ (Heiko, 52, Architekt). „Ich habe keine linke Geschichte, aber meine Ansprüche an Stadt und Gesellschaft sind geprägt von Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Dass eine andere Form der Planung, mit mehr Beteiligung von unten stattfinden muss. Deshalb engagiere ich mich hier“ (René, 34, Student). „Ich finde einfach, dass man so einen freien Raum braucht. Neuer Space für alternative Menschen, für alternative Lebensgestaltung“ (Sushi, 33 Jahre, Pflegetherapeut). „Ein Open Space für alle möglichen Künstler und Freigeister, ohne ein Reglement von oben“ (Dali, 33 Jahre, Eventmanager). „Ich bin hier, weil ich frei arbeiten will“ (Irina, 29, Grafikerin).
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Die Finanzbehörde hat sich als unfähig erwiesen, mit öffentlichem Grund und Boden etwas Ansprechendes anzustellen. Es wird also Zeit, sich bei einem Bier, einem Kaffee oder einem Glühwein im Gängeviertel zu treffen, um darüber nachzudenken, wie sich die gemeinschaftliche Aneignung dieses kleinen gallischen Dorfes in der City weiter organisieren ließe. Ein paar gute Vorschläge haben die Besetzerinnen und Besetzer schon geliefert: Sanierung, Entwicklung und Betrieb des Gängeviertels sollen genossenschaftlich geschehen. Und ein putziges Atelier- und Galerien-Feigenblatt soll das Areal nicht werden – geplant sind auch soziale Einrichtungen und preiswerte Wohnungen, die Hamburg so dringend braucht. Alles nachzulesen unter www.gaengeviertel.info
FOTO: BERND RUMM
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INITIATIVEN
WIDERSTANDORTE Hier wird geträumt, gekämpft und mitunter gekapert: 16 Hamburger Initiativen, die ganz ohne Renditeversprechen Verdrängung verhindern und Freiräume verteidigen wollen
APFELBAUM BRAUCHT WURZELRAUM Seit zehn Jahren versuchen Altonaer Kleingärtnerinnen und -gärtner die Zerstörung ihrer Schrebergärten rund um den Othmarscher Kirchenweg und am Volkspark zu verhindern. Die Stadt will die teils hundertjährigen Grünflächen aus dem Viertel rupfen und auf den noch ungebauten A7-Elbtunneldeckel verpflanzen. Das dann freie Bauland würde viel Geld in Hamburgs Haushalt spülen, die liebevoll umhegten Gärten aber wären verloren. Die Bürgerinitiative wird von Politik, Planern und Investoren als Spielverderberin geschmäht, kämpft aber trotz Anfeindungen weiter für die Kleingärten in der verdichteten Stadt. www.schreberspacken.de www.wurzelraum.de
AKU WILHELMSBURG
CENTRO SOCIALE
Wilhelmsburg, das vermeintlich ferne Viertel südlich der Elbe, ist traditionell der Hafenarbeit zugewandt. Hier leben jene, die wenig Geld in der Tasche und oft einen migrantischen Hintergrund in der Familie haben. Seitdem Hamburg den Zuschlag für die Ausrichtung der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2013 bekommen hat, wendet sich das Blatt für die Wilhelmsburger. IBA und Stadt investieren tatkräftig in die so genannte Aufwertung und wollen so langfristig finanzstarkes Publikum zum „Sprung über die Elbe“ locken. Der Arbeitskreis kommentiert die Umstrukturierungs-Wünsche der Hamburger Stadtentwicklungspolitik kritisch.
Nichtkommerziell, genossenschaftlich und selbstverwaltet mitten im umgewandelten Schanzenviertel – so manchem investorenfreundlichen Gentrifizierungsakteur stellen sich da die Nackenhaare auf. Seit sich der autonome Stadtteiltreff im Sommer 2008 mit einem Mietvertrag in den alten Schlachthof eingenistet hat, entwickelt sich das Centro Sociale als offener Ort für
aku-wilhelmsburg. blog.deblog.de
sehr unterschiedliche Aktivitäten: von Roter Hilfe und zaubernden Kindern über Elektrogefrickel bis hin zum radikalen Handarbeiten. Eine Jury des Bezirks soll nun mit einem Wettbewerb entscheiden, ob das Haus auch im nächsten Jahr ein offener Raum für die Nachbarschaft sein darf. Das sorgt bereits seit Wochen für Unruhe im Viertel.
EINWOHNERVEREIN ST. GEORG / OHNE MIX IST NIX Der Drache lacht zuletzt: Ziemlich ulkig kommt der Ritterschreck auf der selbstgemachten Anwohnerzeitung daher. Das Blatt ist das Sprachrohr des Einwohnervereins St. Georg von 1987. Damals galt der Stadtteil als Hamburgs dreckiger Hinterhof. Heute ist vor allem das Gebiet rund um die Lange Reihe ein Laufsteg der Lifestyler und Loftbesitzer. Der Einwohnerverein und sein Ableger „Ohne Mix ist nix“ wollen ein Korrektiv sein: Sie haben die Erhöhung des Mietenspiegels rückgängig gemacht, retteten die letzte Litfasssäule und drückten durch, dass der Bezirk die Soziale Erhaltensverordnung für St. Georg prüfen muss. Der Drache weiß, warum er lacht. einwohnerverein-stgeorg.de
www.centrosociale.de
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ELBTREPPENHÄUSER Der Blick ist traumhaft. Wohl deshalb sollen zwischen Altonaer Balkon und Oevelgönne bald mehrstöckige Neubauten stehen. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA kümmert sich längst nur noch notdürftig um die historischen Elbtreppenhäuser und behauptet, eine Sanierung sei zu teuer. Den seit 2006 geplanten Abriss konnte die Mieterinitiative bislang verhindern. Ein Kaufangebot der BewohnerGenossenschaft lehnt die Stadt ab. Ein unabhängiges Denkmalschutzgutachten plädiert auf Erhaltung. Eines der Häuser ist 300 Jahre alt, ein weiteres gilt als das älteste und einzige heute noch beinahe unveränderte Saalhaus im Hamburger Raum. Zurzeit stehen 40 Prozent der Mietwohnungen und auch die legendäre Kneipe „Zwiebel“ leer. www.elbtreppe.com
FRAPPANT / KEIN IKEA IN ALTONA
Mit der Großen Bergstraße ließe es sich gut leben, auch ohne Shopping und Facelifting. Doch die Vorzeigefußgängerzone der Siebziger darf nicht so bleiben wie sie ist, denn Stadtplaner wollen mehr Kaufkraft im Viertel haben. Nun hat Ikea das von der Bezirkspolitik gezielt als Schandfleck gebrandmarkte Frappant-Gebäude für zehn Millionen Euro gekauft, um die erste City-Filiale mit Vollsortiment zu bauen. Vier Parkdecks über drei Ausstellungsetagen werden Tausende nach Altona ziehen. Anwohner fürchten ein Verkehrschaos und einen blaugelben Riesenklotz mitten im Wohngebiet. Und die im Frappant arbeitenden Künstler kämpfen für ein soziokulturelles Zentrum. Allerdings: Eine Pro-IkeaInitiative gibt es auch. www.kein-ikea-in-altona.de www.frappant.org
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GÄNGEVIERTEL
GARTENKUNSTNETZ
Verbrecherort, „Klein Moskau“, Brutstätte: Vor 100 Jahren zog sich das Gassenviertel der Hamburger Arbeiterschaft vom Hafen weit nach Nordwest. Heute hat nur ein Dutzend der historischen Häuser zwischen Musikhalle und Gänsemarkt die städtische Verrottungspolitik überstanden. Um Abriss und Neubebauung durch den Immobilienhändler Hanzevast zu verhindern, dern
Wo sich heute ein schnuckeliges Kleinod an den Bahnhang schmiegt, lag bis vor neun Jahren nichts weiter als ein verrümpelter Betriebshof. 2003 übernahm der Kunstförderverein Gartenkunstnetz die Regie in der Eifflerstraße 35. Seitdem finden Nachwuchskünstler im Baum-Container zwischen Palettentreppen und Kletterstieg ihr Refugium: Der Verein öffnet den Ort für Ausstellungen, Theater und Konzerte und versteht sich als urbane Oase jenseits der lärmenden Masseneventkultur. Leise ist es trotzdem nicht: Vorbeiratternde ICs und S-Bahnen geben die Taktung für Gesprächspausen. Die Stadt hat dem Verein im Sommer gekündigt, um das Gelände als „Kreativimmobilie“ zu verkaufen. Daraufhin hat das Gartenkunstnetz das verwunschene Plätzchen für besetzt erklärt.
hatten Künstlerinnen und Künstler im August zu einem Hoffest geladen, das bis heute andauert. Das Husarenstück freundlicher Hausbesetzung in der Innenstadt bekam viel Sympathie und Solidarität. Ob das reicht, um die Stadt zum Ausstieg aus dem Vertrag mit dem Investor zu bewegen, muss sich nun zeigen.
www.gartenkunst.net
www.gaengeviertel.info
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INITIATIVEN
MOORBURGTRASSE STOPPEN / GRÜNZUG ALTONA So macht sich Vattenfall keine Freunde: Erst drückt der schwedische Stromkonzern Hamburg ein Kohlekraft-
werk auf, nun schlägt er eine zwölf Kilometer lange Schneise von Moorburg bis Diebsteich. Die Umweltbehörde hat die Versorgungstrasse abgesegnet, die Anwohner aber wehren sich gegen Untertunnelung und Abholzung. Ende 2009 will sich Vattenfall im nächsten Bauabschnitt von den Landungsbrücken unter der Hafenstraße hindurch bis zur Holstenstraße graben. Rund 300 Bäume werden fallen, unter anderem im kleinen Gählerpark und im bereits durch Neubauten geschrumpften Grünzug Altona. Wer bei den ersten Sägenklängen nicht tatenlos bleiben will, kann sich über eine SMS-Kette alarmieren lassen.
NO BNQ! / ES REGNET KAVIAR In den achtziger Jahren rettete der Widerstand die Hafenstraßenhäuser vor dem Abriss, später setzten Anwohner ihren Traum vom öffentlichen Park Fiction durch. Heute geht es dem Viertel immer mehr an den Kragen: St. Pauli wird wie kein anderer Stadtteil auf Markenbildung und Immobilienrendite getrimmt. Aber Hamburgs wohl kratzbürstigstes Quartier kann immer noch anders. Das Aktionsnetzwerk gegen Gentrification „Es regnet Kaviar“ und die Interessengemeinschaft „No BNQ!“ stellen sich gegen die Umwandlungspläne zwischen Reeperbahn und Elbe. Ihr unablässiger und oft witziger Protest gegen Brauerei- und Bernhard-NochtQuartier, Videoüberwachung und Entmietung soll Politik und Planer mürbe machen. www.no-bnq.org www.empire-stpauli.de
PFERDEMARKT BLEIBT!
Den hat kaum jemand auf dem Zettel: Der klitzekleine Park am verkehrsreichen Pferdemarkt ist für die Verwaltung nicht mehr als eine Verkehrsinsel, für die Anwohner aber eine Ruhezone. Der Gastronom, der im Sommer 2009 in einer Nacht- und NebelAktion ein Stück Grün zur Verkaufsfläche ummünzen wollte, musste seine Bude angesichts der kritischen Nachbarschaft eiligst wieder abbauen. Für nächstes Jahr droht neues Ungemach: Das benachbarte Buddhistische Zentrum will auf dem Rasen eine Stupa errichten. Die Anwohner aber wollen keinen neun Meter hohen Korpus mit Goldspitze, sondern einfach nur einen Platz, der keinem weiteren Zweck dient, außer einfach da zu sein. ampferdemarkt. wordpress.com
ROTE FLORA Oktober 1989, Hamburg blickt gen Osten. Gleichzeitig wird die Flora, einst Varieté, dann Haushaltswarenladen, zum politisch umkämpften autonomen Zentrum mitten im schicker werdenden Schanzenviertel. Musicalmacher Kurz will einen kommerziellen Publikumsmagneten ins Herz des Quartiers pflanzen, muss jedoch angesichts des Widerstands aus dem Viertel kapitulieren. Zwölf Jahre nach der Besetzung der „Roten Flora“ verkauft die Stadt das Haus für 370 000 Mark an den Immobilienkaufmann Klausmartin Kretschmer. Einen Mietvertrag lehnt das Flora-Plenum bis heute ab. Jetzt, zum 20. Geburtstag der Roten Flora, bereitet Kretschmer offenbar den Verkauf vor. Er sei, so wird gemunkelt, bereits im Gespräch mit dem Musicalproduzenten Michael Brunner. Der hätte das Haus gerne als neuen Standort. Knapp sieben Millionen Euro soll er für die Flora bezahlen wollen. Geräumt, versteht sich. www.rote-flora.de
www.moorburgtrassestoppen.de
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TEUER TRENDY LANGWEILIG / WE MAKE THE CITY ‚Noch ist St. Pauli nicht verloren’, heißt es in dem handgemachten DIN A5Magazin, das erstmals im Mai 2009 zwischen Nordund Südkurve am Millerntor kursierte und schnell vieltausendfach den Weg ins Viertel fand. Unaufgeregt und pragmatisch beleuchtet das Blättchen die kommenden Bau- und Abrisspläne auf St. Pauli. Das Heft versteht sich als Leitfaden für den praktischen gentrifizierungskritischen Einsatz. Wer also Beschwerdebriefe schreiben will, erhält eine Fundgrube an Kontaktdaten politischer Entscheidungsträger. Und wer richtig mitmischen will, findet Anschluss an eines der zahlreichen Netzwerke.
VORWERKSTIFT Wohnungen, Ateliers, Werkstätten für KünstlerInnen in einem schönen Altbau von 1866, mitten im Karolinenviertel, für günstige Miete – was für ein Traum. Im historischen Vorwerkstift aber rappelt es seit September: Die KünstlerInnen wehren sich gegen die Gutsherrenmanier des sie verwaltenden Vereins Stiftung Freiraum e.V., der eng verbandelt ist mit der Patriotischen Gesellschaft. Und weil sie die Vereinsvorstände nicht abwählen können, die keine Regung zeigen, den Künstlern die geforderten Mitspracherechte zu gewähren, machen die Bewohner nun Druck mit dem, was sie haben: dem Haus. Seit dem 1. September ist der Vorwerkstift besetzt. www.artist-residencehamburg.de
www.we-make-the-city.com
WASSERTURMINI / FREIES NETZWERK ZUM ERHALT DES SCHANZENPARKS Am 19. Oktober 2009 sprach das Gericht C. frei. Das Urteil: Die WasserturmAktivistin hatte niemanden beleidigt oder verletzt. Sie
war einfach nur dagewesen. Das aber hat den Polizisten und Sicherheitsdiensten im Schanzenpark gereicht, um gegen C. und andere Aktivisten seit Jahren immer neue Gerichtsverfahren zu eröffnen. Nicht erst seit der Eröffnung des Mövenpickhotels 2007 pocht die Initiative zum Erhalt des Schanzenparks auf das Recht aller, sich im öffentlichen Raum unbehelligt bewegen zu können und hinterfragt kritisch die Rolle von Polizei und Verwaltung bei der Durchsetzung privater, kommerzieller Interessen. Der Protest richtet sich nicht nur gegen Mövenpick im Park, sondern auch gegen die Gentrifizierung rundherum mit ihren Begleiterscheinungen.
ZOLLHAUS ALTER ELBTUNNEL Seit 2007 Jahre werkeln 15 Menschen im Zollhaus am Alten Elbtunnel in Ateliers und Werkstätten, es gibt Veranstaltungen und eine Fahrradwerkstatt. Jetzt will die „Hamburg Port Authority“ (HPA) dem ein Ende setzen. Die Hafenverwalterin besteht auf Abriss zum 31. Dezember, angeblich muss genau dort eine Baustelle für die Elbtunnelsanierung eingerichtet werden. Die Künstler könnten doch wieder umziehen, heißt es – zum Beispiel in einen Container in Waltershof. Widerstandslos aber wollen die Künstlerinnen und Künstler nicht gehen und wenden sich nun mit Fragen und Petitionen an Bezirksversammlung und Bundestag: Ist das Gebäude nicht denkmalschutzwürdig? Wer sagt, dass abgerissen werden muss? Faktisch ist das Zollhaus nun besetzt. www.alterelbtunnel.info
www.schanzenturm.de
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NACHTLEBEN
MAGIE DER SCHWEISSTROPFEN Hamburg wirbt mit dem Label „Musikstadt“. Aber die kleinen Clubs, die Brutstätten von neuen Bands und Beats, gibt es immer weniger. Ein Plädoyer für Dreck- und Dezibeltoleranz von Sandra Plötz Beat, Punk, HipHop, Hamburger Schule: Hamburgs Ruf als Quelle guter Popmusik ist legendär. Vom Proberaum im Hinterhofkeller bis zu den Titelseiten der Musikmagazine ist es jedoch ein weiter Weg. Um ihn gehen zu können, braucht man Clubs, in denen neue Bands auftreten können – und für die wiederum enthusiastische Betreiber. Viele von ihnen mussten in den letzten Jahren das Licht ausmachen: Das glorreiche Heinz Karmers Tanzcafé, die Tanzhalle und das Marquee. Die Schilleroper und jene drei Clubs, die vorübergehend im C&A-Kaufhaus am Nobistor untergekommen waren: Weltbühne, Echochamber und Phonodrome. Zum Jahresende müssen vermutlich Weitere schließen. Astra-Stube, Fundbureau und Waagenbau erhielten wegen der geplanten Sanierung der Sternbrücke durch die Bahn zum 31. Dezember die Kündigung. Die Betreiber haben kaum Aussichten, auf andere Orte auszuweichen. Kann man also von einem Clubsterben in Hamburg sprechen? „Mittlerweile ja, es gibt zu wenig Clubs, jedenfalls in der Subkultur“, sagt Tino Hanekamp vom Übel & Gefährlich, dem Club im Feldstraßenbunker. „Es fehlt an kleinen, schraddelligen Kellerläden. Ich sehe es an den Tourplänen. Bei Bands, die kleiner und abseitiger sind, die weniger als 300 Leute ziehen, steht Hamburg immer seltener auf dem Kalender.“ Hanekamp, der auch die Weltbühne mitverantwortet hatte, hält es für verkaftbar, dass kleine Läden nach ein paar Jahren umziehen müssen. „Es muss dann aber ein neuer Platz zu finden sein. Und darin besteht das Problem: Es gibt keine geeigneten Orte mehr.“ 1989 eröffneten Rocko Schamoni und andere den ersten Pudel Club – konspirativ, in einem Abrisshaus im Schanzenviertel. Den Schlüssel hatte Schamoni dem Vermieter „zum
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Fahrradbasteln“ abgebettelt, geöffnet hatte der Pudel nur zu bestimmten Anlässen, von denen die Gäste per Telefonkette erfuhren. „Es gab dann 15 Kästen Bier, selbstgebrannte Schnäpse und eine heiße Party, bei der Leute wie Funny van Dannen, die Lassie Singers oder Helge Schneider auftraten“, erinnert sich Schamoni. Seit 1993 sitzt der „Golden Pudel Club“, dessen unterer Teil immer noch aussieht, als wäre die Abrissbirne schon bestellt, in der Hafenstraße. Zwanzig Jahre Pudel Club – warum macht sich Schamoni, längst Bestsellerautor, die Mühe? „Hier treffen sich Leute und tauschen sich aus, dann gehen sie nach Hause, komponieren Musik, malen oder schreiben einen Text. Das sind die Impulsgeber der zeitgenössischen Kunst- und Popkultur“, antwortet er. „Neue Ideen kommen immer aus dem Underground, und mich interessieren diese Keimzellen der neuen Künste. Dafür steht der Pudel. Er möchte das Huhn sein, dass diesen Eiern einen Brutraum zur Verfügung stellt.“ Ted Gaier von der Band „Die Goldenen Zitronen“ kann sich „eine Popszene gar nicht ohne kleine Clubs denken“. Schließlich ist er nach Hamburg gezogen, „um an einer Szene teilzunehmen, in der man sich physisch trifft. An Orten, die eine Adresse haben. Clubs sind Räume der Begegnung, des Diskurses und der Ekstase.“ Wie etwa im Heinz Karmers, wo der Schweiß der Feiernden von der Decke tropfte, regelmäßig das Klo überlief und das Atmen wehtat – dafür geriet fast jeder Abend dort zum unvergessenen Ereignis. Der Laden leistete dieselbe Arbeit wie ein gutes kleines Plattenlabel: Aus der unüberschaubaren Flut von Getösebands aus aller Welt wählten die Betreiber die besten und interessantesten aus. Mit dem Effekt, dass man einfach auf gut Glück hinging, ohne die Band zu kennen – und oft genug stark beeindruckt den Laden verließ. Die Politik hat den Wert der Musikszene als Image steigernden Wirtschaftsfaktor längst erkannt. „Musikstadt Hamburg“ lautet der Slogan. Und die wird auch ein bisschen unterstützt: Gerade hat die zuständige Behörde für Kultur, Sport und Medien einen Fond zur Erstattung der GEMA-Gebühren eingeführt und möchte „Investitionszuschüsse wegen Baumaßnahmen der einzelnen Clubs“ in Höhe von rund 376.000 Euro leisten. Im Vergleich zu Fördergeldempfängern wie Elbphilharmonie, Tamm-Museum oder anderen Spektakeln ist das allerdings mager. „Man hat erkannt, dass die Musikszene wichtig ist und möchte sie jetzt kontrollieren“, sagt Ted Gaier. „Man denkt, man könnte die Szenen, die im toten Winkel der Stadt entstanden sind, nach den Marketing-Interessen des Standorts Hamburg und der Investoren herumschieben. Das funktioniert aber nicht, denn dann ist die Magie weg. Was sie nicht kapieren ist, dass Orte eine Aura haben: Man kann einen Mojo Club nicht in die ,Tanzenden Türme‘ verpflanzen.“ Auch Tino Hanekamp ärgert das. „Nach außen feiern die Hamburger Politiker ihre Kreativen und die Subkultur mit dem Aushängeschild ,Musikstadt Hamburg‘ – und hintenrum nehmen sie uns die Proberäume und Spielflächen weg. Sie verbauen und planieren die Brachen, machen die Räume immer dichter, so dass uns kein Platz mehr bleibt zum Existieren.“ „Das Tolle an Pop ist ja, dass sich Pop jeglichen festen Kriterien entzieht“, sagt Ted Gaier, der auch als Musikproduzent arbeitet. „Dass ein Beat schleppt, jemand seltsam singt, oder eine Gitarre verstimmt ist – all so’n Zeug kann im richtigen Moment einen Nerv treffen, der die Musik weiterbringt. Jegliche Popmusik, angefangen bei Beat- bis hin zu elektronischer Musik, hatte erstmal ein Geheimnis, von dem deine Eltern oder langweiligen Mitschüler nichts kapiert haben. Und diese Geheimcodes werden im Club ausgebrütet, erforscht und verfeinert – nicht in irgendwelchen Messehallen.“
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FRAPPANT/IKEA
DER ELCH WILL DEN STADTTEIL Ikea nach Altona? Das gab’s schon mal – als Kunstprojekt in den wilden Achtzigern, in denen Ottensen noch kratzbürstig und das Wort „Stadtteilkultur“ noch nicht harmlos klang. Albert Kippenberger über Widerstand damals und heute Was hatten sie hier nicht schon alles vor. Die Vision von der „City West“ zum Beispiel, ein kühner Wurf aus den Sechzigern. Nahezu komplett abreißen wollten die Herren Hamburgs Ottensen damals und stattdessen Büros, Miet-, Verwaltungs- und Dienstleistungstürme hochziehen. Der Schuss ging nach hinten los. Aus Geldmangel letztlich, aber auch aufgrund der Anwohnerproteste blieb statt gigantischer
„City West“ die bescheidene dänisch geprägte Architektur. In diesen flachen Häusern siedelte sich nach und nach eine widerständige Nachbarschaft an, studentisch geprägt, künstlerisch inspiriert, später punk-autonom besetzt. All jene kamen her, die von Größenwahn die Schnauze voll hatten und stattdessen alles auf eigene Faust machen wollten - selbstverwaltet natürlich, gegen Krieg, Kapitalisten und Konsum. Und die sich wehren konnten.
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Einer von ihnen hält immer noch an der Idee des selbstbestimmten Wohnens fest. Tobias, heute 54 Jahre, arbeitet für eine Gesellschaft, die Wohnprojekte realisiert. Rückblickend glaubt er, dass der Giganto-Plan, wie es ihn auf dem Reißbrett auch für St. Georg in der Variante „Alster-City“ mit 80-stöckigen Hochhäusern und zubetonierter (!) Alster gab, auch Vorteile hatte: „Die Stadt
hatte einen Teil der Häuser schon aufgekauft, um sie anschließend abreißen zu können“, erinnert er sich. „In die konnte man prima günstig einziehen.“ Auch andere Hausbesitzer hatten in ihre Häuser nicht mehr investiert, sondern ließen sie verrotten. „Ottensen war grau, sogar verrucht. Manch einer traute sich abends hier nicht rein“, sagt Brigitte, eine Mittfünfzigerin, die heute im Stadtteilarchiv arbeitet. Viele Junge und Kreative schnappten sich den billigen Wohnraum. „Stadtteilkultur“ – in den Sieb-
zigern prägten Aktivisten wie Tobias und Brigitte diesen Begriff. Damals wurde der Mix aus engagierter Stadtteilarbeit und Kultur mit viel öffentlichem Geld gefördert, sogar Bundesmittel flossen nach Ottensen. Als Theaterleute, Filmer und Initiativen eine ehemalige Schokoladenfabrik in der Eulenstraße
kaperten, entstand das „Stadtteilzentrum Motte“, das noch heute wirkt. Tobias, von Mitte der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre auch Geschäftsführer des selbstverwalteten Stadtteilzentrums, dokumentierte damals mit der Videokamera Wandel und Widerstand. Ob Polit-Theater oder Ansiedlung, ob Verkehrsberuhigung oder Autobahnzubringer – unzählige Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen brachten damals Politik und Kultur in das Viertel und auf die Straße. Zum Beispiel die „BIVO“, die Bürgerinitiative Verkehr in Ottensen, die sich gründete, um
eine Art Bus-Highway vom Bahnhof über Spritzenplatz und Reitbahn nach Lurup zu verhindern. „Dem konnten wir uns erfolgreich entgegen stellen“, erinnert sich Brigitte. Unzählige Altbauten hätten dafür weichen müssen – wie auch für die bereits
zuvor geplanten Autobahnzubringer für Ottensen und Altona Altstadt. Eine schöne Aktionsform damals hieß „Sechs-Tage-Schleichen“: „Jeden Nachmittag mit dem Fahrrad den Verkehr lahm legen. Das war groß!“, sagt Tobias. Und es half, jede Menge Tempo-30-Zonen zu inspirieren. Wenn es stimmt, was in der Gerüchteküche über die geplante Ansiedlung Ikeas im FrappantGebäude köchelt, könnte es das „Sechs-Tage-Schleichen“ bald wieder geben. Denn im Zuge der Verlegung des Bahnhofs Altona nach Diebsteich, wie von Bahnchef Rüdiger Grube jüngst proklamiert, könnte auf Höhe des jetzigen Autoverladezuges ein Autobahnzubringer entste-
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hen. Ikea hätte bestimmt nichts dagegen. Schließlich kommt der Möbelgigant gewiss nicht nach Altona, um die Große Bergstraße zu „beleben“. Ikea dürfte auf das Viertel auf der anderen Seite scharf sein – Ottensen, das sich längst wieder gehäutet hat. Heute bieten das „Mercado“ und jede Menge Klamottenläden im einst widerständigen Stadtteil vor allem Shopping-Ambiente – demnächst vielleicht auch für den Itzehoer Familienklüngel. Schließlich gibt es für manche wenig Schöneres im Leben, als bei Ikea im geplanten
750 Plätze-Restaurant Köttbullar zu essen, und danach durch Ottensen zu flanieren, während das Auto trocken und warm im IkeaParkhaus steht. Das global operierende Möbelunternehmen belebt den Widerspruchsgeist im Viertel neu. Erinnerungen an Schnelsen 1985 werden wach. Damals konnte der Möbelgigant in der öffentlichen Anhörung vor Baubeginn die Anwohner nicht davon überzeugen, dass Ikea genau das ist, was ihnen noch zum Glück fehlt. Ikea versprach einen auf „zwei bis drei Stunden an Wochentagen“ und „wenige Stunden am Wochenende konzentrierten“ Verkehr – eine absurde Untertreibung, wie man heute weiß. Gebaut wurde das Shopping-Paradies trotz des Widerstands.
Am Standort in der Großen Bergstraße geht Ikea heute ähnlich vor. Erst kursierte das Gerücht von der abgespeckten City-Variante, in der es nur Kleingegenstände, aber keine Möbel gäbe. Bei der öffentlichen Anhörung Mitte September stellte der DurchsetzungStratege des Möbelhauses dann klar, man wolle ein Vollsortiment, weil die anderen zwei Ikea-Häsuer an der Grenze der Kapazität seien. Und der bestellte Verkehrsgutachter der Firma Argus erklärte, das Verkehrsaufkommen sei „absolut im Rahmen“. Erst auf hartnäckige Nachfrage ließ er durchblicken, dass er ungern öffentlich über Zahlen spreche, weil er für das Gutachten „so wenig Zeit“ gehabt habe. Die Mehrheit der rund fünfhundert Anwesenden pfiff die Ikea-Delegation gnadenlos aus – zumal sie auf die Forderungen nach einem stadtteilverträglichen Konzept in keiner Weise einging. Beifall erntete der Ikea-Sprecher erst, als er versprach, Ikea werde nicht kommen, wenn die Anwohner dagegen seien. Ob sich das Möbelhaus dran hält? Nach außen gibt sich das Unternehmen des schwedischen Multi-Milliardärs Ingvar Kamprad gern als Kumpel, nach innen gilt das aber kaum: Von „skandalösem Vorgehen gegen Betriebsratsvorsitzende“ über Mobbing- bis hin zu Bespitzelungsvorwürfen sind schnell viele unappetitliche Hinweise im Internet zu finden. Altona als Standort für Malls und Möbelhäuser: Diese Vision gab es auch schon vor zwanzig Jahren. Als neben den Zeise-Werkhallen das Gelände des ehemaligen Baggerfabrikanten Menck und Hambrock
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frei wurde, hatte man die Idee, auf die später in Kemal-AltunPlatz umgetaufte Freifläche ein Einkaufszentrum zu setzen. Es war einer der Höhepunkte des widerständigen Ottensens. Das Viertel schnappte sich die Freifläche, riss Zäune ein, baute Bühnen drauf und feierte, entwickelte eigene Ideen wie die eines Parks und protestierte gegen (fast) alles, was aus Verwaltung und Politik kam. Als die Bezirksverwaltung in einer Nachtund-Nebel-Aktion alte Bäume fällte, kippten die Anwohner die übrig gebliebenen Zweige kurzerhand vor die Rathaustür und schrieben: „Wer Bäume fällt, geht über Leichen“. „Wir haben gemacht, was wir wollten. Das Viertel war unser Viertel“, erinnert sich einer, der damals dabei war. Zwischenzeitlich zog ein Bauwagenplatz aufs Gelände. Damals tauchte das „große schwedische Möbelhaus“ zum ersten Mal im Viertel auf – als
Kunstprojekt, das auch auf Film gebannt ist: Aktivisten in Stadtvermesser- und Bauarbeiterkluft ziehen durchs Viertel, ein angeblicher Architekt präsentiert ein Ikea-Giga-Modell für den Kemal–Altun-Platz und ein vermeintlicher Fernsehjournalist fragt Anwohner, was sie davon hielten, dass ein Förderband bis zum Bahnhof gebaut werden soll, um die Möbel abzutransportieren. „Oh Gott bloß nicht“, antwortet ein Herr im schicken Anzug. Dann wandert ein Elchkopf auf Menschenschultern durchs Viertel, schaut hier rein, lungert da rum – und spricht kein Wort. „Diesen Elchkopf haben wir jüngst in der Motte wieder gefunden“, sagt Tobias. Vielleicht hat ja bald wieder jemand Verwendung dafür – schließlich hat der Elch schon einmal die bösen Geister vertrieben. Wer Bedarf hat: einfach in der Motte melden.
Als shoppen noch einkaufen hieß: das Frappant-Gebäude in den Siebzigern
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ST. PAULI
Eine Bildergeschichte von Kayser Tantzen
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MANIFEST
NOT IN OUR NAME, MARKE HAMBURG! Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Ökonom Richard Florida vorgerechnet hat, dass nur die Städte prosperieren, in denen sich die „kreative Klasse“ wohlfühlt. „Cities without gays and rock bands are losing the economic development race“, schreibt Florida. Viele europäische Metropolen konkurrieren heute darum, zum Ansiedelungsgebiet für diese „kreative Klasse“ zu werden. Für Hamburg hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich die städtische Politik immer mehr einer „Image City“ unterordnet. Es geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das Bild von der „pulsierenden Metropole“, die „ein anregendes Umfeld und beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur“ bietet. Eine stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafür, dass dieses Bild als „Marke Hamburg“ in die Medien eingespeist wird. Sie überschwemmt die Republik mit Broschüren, in denen aus Hamburg ein widerspruchfreies, sozial befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance, Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird. Harley-Days auf dem Kiez, Gay-Paraden in St. Georg, Off-Kunst-Spektakel in der Hafencity, Reeperbahn-Festival, Fanmeilen und Cruising Days: Kaum eine Woche vergeht ohne ein touristisches Megaevent, das „markenstärkende Funktion“ übernehmen soll. Liebe Standortpolitiker: Wir weigern uns, über diese Stadt in Marketing-Kategorien zu sprechen. Wir sagen: Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns nicht für blöd verkaufen. Wir wollen weder dabei helfen, den Kiez als „bunten, frechen, vielseitigen Stadtteil“ zu „positionieren“, noch denken wir bei Hamburg an „Wasser, Weltoffenheit, Internationalität“ oder was euch sonst noch an „Erfolgsbausteinen der Marke Hamburg“ einfällt. Wir denken an andere Sachen. An über eine Million leerstehender Büroquadratmeter zum Beispiel und daran, dass ihr die Elbe trotzdem immer weiter zubauen lasst mit Premium-Glaszähnen. Wir stellen fest, dass es in der westlichen inneren Stadt kaum mehr ein WG-Zimmer unter 450 Euro gibt, kaum mehr Wohnungen unter 10 Euro pro Quadratmeter. Dass sich die Anzahl der Sozialwohnungen in den nächsten zehn Jahren halbieren wird. Dass die armen, die alten und migrantischen Bewohner an den Stadtrand ziehen, weil Hartz IV und eine städtische Wohnungsvergabepolitik dafür sorgen. Wir glauben: Eure „Wachsende Stadt“ ist in Wahrheit die segregierte Stadt, wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb. Und deshalb sind wir auch nicht dabei, beim Werbefeldzug für die „Marke Hamburg“. Nicht, dass ihr uns freundlich gebeten hättet. Im Gegenteil: Uns ist nicht verborgen geblieben, dass die seit Jahren Unterzeichnerinnen und Unterzeichner: 1000 Robota; Addicted; Adja Schwietring, Illustratorin; Agnes Nuber, Kulturmanagerin; Agnieszka Krzeminska, Aktivistin / Künstlerin; Alexander Mayer, Künstler; Alexandra Grieß, Künstlerin; Alfred Hilsberg, WSFA; Amélie Putzar, Linda e.V.; André Hessling, Techniker; Andrea Elsner, PR Beraterin; Andrea Rothaug, Autorin /Kulturmanagerin; Andreas Homann, Gestalter / Typograph; Andreas Sachwitz, Veranstalter; Andree Wenzel, Choreograph / Künstler; Andy Giorbino, Musiker; Angela Gerlach, Illustratorin; Anika Liekefett, Musikerin / Künstlerin; Anika Väth, Kultur- und Medienmanagement; Anja von Harsdorf, Illustratorin /Grafikerin; Ann-Christin Urbarz, Malerin / Designerin; Anna BertermannMusikerin/Grafikerin; Anna Maria Schmidt, Fotografin; Anne Mair, Illustratorin; Anne Vaupel, Künstlerin; Anne Weber, Schauspielerin; Annette Kayser, Musikerin; Barbara Schmidt-Rohr, Tanzinitiative Hamburg e.V.; Armin Chodzinski, Künstler; Arne Kulf, Illustrator / Grafiker; Asmus Tietchens, Musiker / Komponist; Assoto Sounds, DJ, Axel Kochmeier, DJ; Axel Martens, Fotograf; Azizah Hocke, Bühnenbilderin; Bernard-A. Homann, Filmausstatter; Bernd Begemann, Musiker; Bianca Gabriel, Designerin / Künstlerin; Bianca Ludewig, DJ/Journalistin; Booty Carrell, Musiker / DJ; Bratze; Britta Huntemann, Designerin; Buback, Label und Konzertagentur; Carola Deye, Künstlerin; Carolin Loebbert, Illustratorin; Carsten Hellberg, Dokumentar; Carsten Seidel, Illustrator / DJ; Catharina Boutari, Musikerin; Charalambos Ganotis, Musiker; Charlotte Pfeifer, Schauspielerin; Chicks On Speed; Christian 3 Rooosen, Künstler; Christian Uhlig, Musiker, Christiane Müller Lobeck, Journalistin; Christine Ebeling, Künstlerin; Christine Schulz, Musikerin; Christoph Brüggemann, Schauspieler; Christoph Kähler, Musiker; Christoph Lohse, Musiker; Christoph Schäfer, Künstler; Christoph Twickel, Journalist; Claudia Ahlering, Malerin / Illustratorin; Claudia Pegel, Künstlerin; ClickClickDecker; Clouds Hill Studio; Cornelius Puschke, Theatermacher; Cyrus Ashrafi Musiker; Dalibor Nikolic, Künstler; Daniel Chun, Designer; Daniel Richter, Künstler; Daniel Schlott, Musiker ; David Chotjewitz, Schriftsteller / Theaterregisseur; Deichkind; Dice Industries, Comiczeichner; Die Goldenen Zitronen; Dirk Schulze, Comiczeichner; Dirk Wittenberg, Redakteur; Ditterich von Euler-Donnersperg, Musiker, Labelmacher; DJ Mad / Absolute Beginner, DJ Phono; Doc Strange, DJ; Doerte Habighorst, Künstlerin; Dorle Bahlburg, Kostümbildnerin; Dorothea Dieckmann, Schriftstellerin; Dorothea Richter, Grafikerin; Dr. Kathrin Wildner; Dr. Roberto Ohrt, Kunsthistoriker / Kurator; Enno Arndt, Veranstalter; Erich Pick, Künstler; Extra; Fabian Stoltz, Illustrator/Comiczeichner;
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sinkenden kulturpolitischen Fördermittel für freie künstlerische Arbeit heutzutage auch noch zunehmend nach standortpolitischen Kriterien vergeben werden. Siehe Wilhelmsburg, die Neue Große Bergstraße, siehe Hafencity: Wie der Esel der Karotte sollen bildende Künstler den Fördertöpfen und Zwischennutzungs-Gelegenheiten nachlaufen – dahin, wo es Entwicklungsgebiete zu beleben, Investoren oder neue, zahlungskräftigere Bewohner anzulocken gilt. Ihr haltet es offensichtlich für selbstverständlich, kulturelle Ressourcen „bewusst für die Stadtentwicklung“ und „für das Stadt-Image“ einzusetzen. Kultur soll zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden, weil ihr die üblichen, jahrelangen Trockenwohn-Prozesse gar nicht mehr abwarten wollt. Wie die Stadt danach aussehen soll, kann man in St. Pauli und im Schanzenviertel begutachten: Aus ehemaligen Arbeiterstadtteilen, dann „Szenevierteln“, werden binnen kürzester Zeit exklusive Wohngegenden mit angeschlossenem Party- und Shopping-Kiez, auf dem Franchising-Gastronomie und Ketten wie H&M die Amüsierhorde abmelken. Die Hamburger Kulturpolitik ist längst integraler Bestandteil eurer Eventisierungs-Strategie. Dreißig Millionen Euro gingen an das Militaria-Museum eines reaktionären Sammlerfürsten. Über vierzig Prozent der Ausgaben für Kultur entfallen derzeit auf die Elbphilharmonie. Damit wird die Kulturbehörde zur Geisel eines 500-Millionen-Euro-Grabes, das nach Fertigstellung bestenfalls eine luxuriöse Spielstätte für Megastars des internationalen Klassik- und Jazz-Tourneezirkus ist. Mal abgesehen davon, dass die Symbolwirkung der Elbphilharmonie nichts an sozialem Zynismus zu wünschen übrig lässt: Da lässt die Stadt ein „Leuchtturmprojekt“ bauen, das dem Geldadel ein Fünf-Sterne-Hotel sowie 47 exklusive Eigentumswohnungen zu bieten hat und dem gemeinen Volk nur eine zugige Aussichtsplattform übrig lässt. Was für ein Wahrzeichen! Uns macht es die „Wachsende Stadt“ indessen zunehmend schwer, halbwegs bezahlbare Ateliers, Studio- und Probenräume zu finden, oder Clubs und Spielstätten zu betreiben, die nicht einzig und allein dem Diktat des Umsatzes verpflichtet sind. Genau deshalb finden wir: Das Gerede von den „pulsierenden Szenen“ steht am allerwenigsten einer Stadtpolitik zu, die die Antwort auf die Frage, was mit städtischem Grund und Boden geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehörde überlässt. Wo immer eine Innenstadtlage zu Geld zu machen ist, wo immer ein Park zu verdichten, einem Grünstreifen ein Grundstück abzuringen oder eine Lücke zu schließen ist, wirft die Finanzbehörde die „Sahnelagen“ auf den Immobilienmarkt – zum Höchstgebot und mit einem Minimum an Auflagen. Was dabei entsteht, ist eine geschichts- und kulturlose Investoren-City in Stahl und Beton. Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und Film-Leute, die Kleinegeile-Läden –Betreiber und Ein-anderes-Lebensgefühl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur „Stadt der Tiefgaragen“ (Süddeutsche Zeitung). Wir sollen für Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist. Wir sind willkommen. Irgendwie. Einerseits. Andererseits hat die totale Inwertsetzung des städtischen Raumes zur Folge, dass wir – die wir doch Lockvögel sein sollen – in Scharen abwandern, weil es hier immer weniger bezahlbaren Fanladen St.Pauli; Felix Grimm, Filmemacher; Felix Kubin, Komponist/ Hörspielmacher; Felix Schlüter, Grafiker; Fettes Brot; Fidel Bastro; Frank Amling, Autor / Musiker; Frauke D. Dreyer, Grafik; Fredrik Nedelmann, Musikverleger / Edition Stora; George Riemann, Illustrator / Künstler; Gereon Klug, Nobistor; Gero Vierhuff, Theaterregisseur; Gesine Lenz, Bühnenbildnerin; Gisbert zu Knyphausen, Musiker; Goesta Diercks, Künstler/Kurator; Goetz Steeger, Musiker / Autor; Gosia Machon, Malerin / Illustratorin; Gregory Buettner, Musiker; Gudrun Niebuhr, Grafik-Designerin; Halma; Hanna Pitzke, Designerin / Journalistin; Harald Retzbach, Radiomoderator/Konzertveranstalter; Heiko Karn, Künstler; Heinz Wolf, Zeichner; Helmut Zhuber, Schauspieler; Henning Kles, Künstler; Ilse Mänz, Hafenbahnhof; Inga Seevers, Fotografin; Ini Neumann, Illustratorin; JaKönigJa; Jan Bolender, Filmemacher; Jan Delay; Jan Elbeshausen, Uebel & Gefährlich; Jan Martin Löhndorf, Comiczeichner; Jan Peters, Filmemacher; Jacques Palminger, Künstler / Musiker; Jenny Beyer, Choreographin; Jens Heller, Maler; Jens Rausch, Künstler; Jens Reitemeyer, Grafiker; Hoo Doo Girl, Horst Petersen / Jetzmann, Musiker; Jochen Distelmeyer, Musiker; Johannes Ottmar, Journalist / Dramaturg; John O. Doerksen, Illustrator; Jonas Blaumann, Redakteur; Jörg Hochapfel, Musiker; Josephin Böttger, Künstlerin / Filmemacherin; Jubie vs VK Whatever; Jürgen Haunss, Autor; Jürgen Speidel, DJ / Ausstellungsmacher, Juri Gagarin, Musiker; Karen Koltermann, Künstlerin; Karen Tonne, Filmeditor; Karin Bauer, Designerin; Karl Hilse, Artstore; Karlotta Knote, Hörspiel u. Clubmacherin; Karsten Krause, Filmemacher; Katharina Duve, Filmemacherin; Katharina Kohl, Künstlerin, Katharina Schütz, Schauspielerin; Kathrin Wildner, Stadtethnologin; Kathrin Zinkant, Autorin; Kathrine Altaparmakov, Bühnenbilderin; Katrin Bahrs, Künstlerin; Katrin Gebbe, Regisseurin; Katrin Markworth, Grafikerin; Katrin Mayer, Künstlerin; Katrin Weiland, Literaturveranstalterin; Kerstin Davies, Grafikerin; Kettcar; Kopfthema; Kriton Klingler-Ioannides, Komponist / Musiker; Lars Brinkmann, Journalist; Lars Lewerenz, Audiolith Records, Lars Precht, Musiker; Leonid Kharlamov, Künstler; Leslie Strohmeyer, Designerin; Liliane Oser, Illustratorin; Lilli Thalgott, Kamerafrau; Lorin Strohm, Musikerin / Designerin; Mailiss Wollenhaupt, Künstlerin; Maike Höhne, Filmemacherin / Kuratorin; Malte Urbschat, Künstler; Manuel Herwig, Schauspieler; Manuel Mack, Kameramann/Fotograf; Manuel Muerte, Künstler; Marcela Moraga, Künstlerin; Marek Meyer, Tourmanager; Maren Amini, Illustratorin; Maren Grimm, Filmemacherin; Marga Glanz, Groove City Record Store; Margit Czenky, Künsterin / Filmemacherin; Mario Stresow, Molotow
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ANFÄNGERGLÜCK und bespielbaren Platz gibt. Mittlerweile, liebe Standortpolitiker, habt ihr bemerkt, dass das zum Problem für euer Vorhaben wird. Doch eure Lösungsvorschläge bewegen sich tragischerweise kein Jota außerhalb der Logik der unternehmerischen Stadt. Eine frische Senatsdrucksache etwa kündigt an „die Zukunftspotenziale der Kreativwirtschaft durch Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu erschließen“. Eine „Kreativagentur“ soll zukünftig u.a. „Anlaufstelle für die Vermittlung von Immobilienangeboten“ sein. Wer sich die Mieten nicht leisten kann, muss sich als „künstlerischer Nachwuchs“ einsortieren lassen und bei der Kreativagentur um „temporäre Nutzung von Leerständen“ ersuchen. Dafür gibt es sogar einen Mietzuschuss, allerdings nur, wenn „die Dringlichkeit des Bedarfs und die Relevanz für den Kreativstandort Hamburg“ gegeben sind. Unmissverständlicher kann man nicht klarstellen, was „Kreativität“ hier zu sein hat: Nämlich ein Profit Center für die „Wachsende Stadt“. Und da sind wir nicht dabei. Wir wollen nämlich keine von Quartiersentwicklern strategisch platzierten „Kreativimmobilien“ und „Kreativhöfe“. Wir kommen aus besetzten Häusern, aus muffigen Proberaumbunkern, wir haben Clubs in feuchten Souterrains gemacht und in leerstehenden Kaufhäusern, unsere Ateliers lagen in aufgegebenen Verwaltungsgebäuden und wir zogen den unsanierten dem sanierten Altbau vor, weil die Miete billiger war. Wir haben in dieser Stadt immer Orte aufgesucht, die zeitweilig aus dem Markt gefallen waren – weil wir dort freier, autonomer, unabhängiger sein konnten. Wir wollen jetzt nicht helfen, sie in Wert zu setzen. Wir wollen die Frage „Wie wollen wir leben?“ nicht auf Stadtentwicklungs-Workshops diskutieren. Für uns hat das, was wir in dieser Stadt machen, immer mit Freiräumen zu tun, mit Gegenentwürfen, mit Utopien, mit dem Unterlaufen von Verwertungs- und Standortlogik. Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der „Wachsenden Stadt“ gehören. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich weigern, Standortfaktor zu sein. Wir solidarisieren uns mit den Besetzern des Gängeviertels, mit der Frappant-Initiative gegen Ikea in Altona, mit dem Centro Sociale und der Roten Flora, mit den Initiativen gegen die Zerstörung der Grünstreifen am Isebek-Kanal und entlang der geplanten Moorburg-Trasse in Altona, mit No-BNQ in St. Pauli, mit dem Aktionsnetzwerk gegen Gentrifizierung und mit den vielen anderen Initiativen von Wilhelmsburg bis St. Georg, die sich Stadt der Investoren entgegenstellen.
Booking; Mariola Brillowska, Künstlerin / Professorin; Marion dos Santos, Fotografin; Marita Mayer Trickfilmerin; Markus Beck, Theater-/ Filmemacher; Markus Koehler, Grafikdesigner; Markus Lohmann, Künstler; Mathias Will, Künstler; Matthias Arfmann, Manager / Produzent / Musiker; Matthias Meyer, Künstler; Mbemba Ceesay, DJ; Meike Schrader, Sängerin; Melina Moersdorf, Fotografin; Mense Reents, Musiker; Mica Ani, DJ; Michael Thomas, Hinterconti; Milla Kay, Musikerin / Produzentin; Mimi Lenz, Journalistin; Miriam Nawroth; Buchhändlerin, Muck Giovanett, Musiker; Natascha Geier, Autorin; Nicolai Beverungen, Echobeach; Nicolai von Schweder-Schreiner, Übersetzer / Musiker; Nicole Hartmann, Künstlerin; Niels Frevert, Musiker; Niels Kramer, Musiker; Nikolai Hartmann, Cutter; Nils Knott, Sammler; Nils Koppruch/SAM, Musiker/Künstler; Nina Pagalies, Illustratorin; Nina Schley, Cutterin; Nurhan Sekerci, Corazon International Filmproduktion; Olaf Sobczak, Filmenacher; Olaf Zelewski, Comiczeichner; Ole Grönwoldt, Designer; Oliver Ferreira, Illustrator; Oliver Frank, Musikmanager; Oliver Görnandt, Fotograf / Kunstverein Linda; Pascal Finkenauer, Musiker; Pascal Fuhlbrügge, Musiker; Peggy Kostaras, Musikmanagerin; Pelle Buys; Peter Kersten aka Lawrence, Smallville / Dial Rec.; Peter Lohmeyer, Schauspieler; Peter Ott, Filmemacher / -professor; Petra Kolitsch, Künstlerin / Illustratorin; Pia Burnette, Sängerin; quartieren.org; Ralf Köster, DJ / MFOC; Ralf Krüger, Galerist; Ralf Poerschke, Journalist; Rica Blunck, Choreographin / Sängerin; Richard von der Schulenburg, Musiker; Rocko Schamoni, Autor und Musiker; Sabine Skiba, Fotografie; Sami Khatib, Künstler; Sandra Trostel, Filmemacherin; Sara Mously, Journalistin; Sarah Wiener, Köchin und Autorin; Sascha Piroth, Künstler; Saskia J.-E. Timm, DJ / Veranstalterin; Schwabinggrad Ballett; Sebastian Reier, Musiker / Autor; Semkye Ling, Künstler; Siggy Johannson, Schmuckmacherin; Silke Burmester, Journalistin; Sima Niroumand, Grafikerin; Simon Strotmann, DJ / Kiss Kiss Club; Simona Caranica, Designerin / Kamerafrau; Simone Bruehl, Künstlerin; Sina Klimach, Buchhändlerin; Siri Keil, Radiomoderatorin; Soenke Dorau, Musiker; Sonja Umstätter, Filmemacherin; Sophia Klipstein, Illustratorin; Station 17; Stefan Ebinger, Hörbar e.V.; Stefan Muhle, Videotechniker Thalia Theater; Steffen Baraniak, Grafiker; Stephan Fust, Musiker; Stephanie Janssen, Journalistin; Sünne Walter, Illustratorin; Suse Wilke, Architektin / Künstlerin; Suzanna Ortego, Freie Künstlerin; Sven Elsner, Musiker; Sven Janetzko, Künstler/Musiker; Sylvi New Kids on the Block: Kretschmar, Künstlerin/Performerin; Tanju Börü, Hasenschaukel; Tatjana Greiner, Künstlerin; The Tex Turner Experience; Thomas Lengefeld, Drumbule/Hafenklang; Thomas Maringer, Tontechniker; Thomas Piesbergen, Musiker; Till Haupt, Kuenstler; Till Laßmann, Illustrator; Tillmann Terbuyken, Künstler; Tilman Knop, Künstler; Tim-Ove Kuhlmann, DJ; Tina Petersen, Journalistin; Tino Hanekamp, Uebel & Gefährlich; Tobias Schmidt, DJ; Tocotronic; Ute Zimmermann, Grafikerin; Verena Braun, Künstlerin / Musikerin; Viktor Marek Musiker; Vito Avantario, Journalist ...und viele, viele mehr: www.buback.de/nion
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HAMBURG – DAS MAGAZIN DER METROPOLE
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WARUM, HAMBURG?
URBAN UTOPIA Die Stadt-Ethnologin Kathrin Wildner lebt in Hamburg und lehrt an der EuropaUniversität Viadrina in Frankfurt/Oder. Gedanken über die „ideale Stadt“ Aufgezeichnet von Eliane Romeck
„Dass eine Stadt wie Hamburg als Unternehmen geführt wird, ist eine neue Erfindung und steht nirgendwo festgeschrieben. Es steht konträr zur Stadt als politischem und sozialem Gefüge, in dem es verschiedene Interessengruppen gibt, die miteinander konkurrieren, aber auch verhandeln. In den heutigen Veränderungsprozessen ist das nicht mehr möglich. In der Firma Hamburg geht es um Ertragserhöhung und Kapitalakkumulation, alle anderen sind raus aus dem Spiel. Das ist meiner Meinung nach der Grund, warum sich derzeit in Hamburg so viele Initiativen gegen Gentrifizierungsprozesse organisieren. Städtische, öffentliche Räume werden dicht gemacht und hermetisch abgeriegelt – nicht physisch, es werden keine Tore errichtet, aber durch die Art der Preispolitik, wie Plätze gestaltet werden, wie und für wen sie zugänglich sind. Dadurch gibt es keine Heterogentität und keine Möglichkeit des Andersseins mehr. Das ist einer der wesentlichen Punkte, gegen den sich die Kritik an Gentrifizierung richtet. Sie geht nicht gegen fünf Anzugträger und zwei Porsche, wohl aber dagegen, dass jemand, der keinen Anzug trägt und keinen Porsche fährt, im Weinladen nicht mehr bedient wird. Was Stadt ausmacht, sind eben Heterogenität, Vielschichtigkeit, Unübersichtlichkeit, Konflikte und Aushandlungsprozesse zwischen den verschiedenen Akteuren. Das ‚Recht auf Stadt‘, ein Begriff von Henri Lefebvre, bedeutet Teilhabe an den Infrastrukturen der Stadt – aber vor allem, Stadt mitgestalten zu können und mitzuentscheiden. Ich spreche hier nicht von Partizipation im Sinne eines ‚Runden Tisches‘, wie er heutzutage in Stadtplanungsdiskursen üblich ist. Das sind in erster Linie Tools, um etwas zu rechtfertigen: Alle dürfen sagen, wie sie sich Stadt vorstellen, dann hängen die Zettel an der Wand, bis sie weggeschmissen
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werden. Die Machtverhältnisse sind von vorneherein klar. Die Stadtforscherin Faranak Miraftab spricht in diesem Zusammenhang von ‚invited spaces‘, zu denen man eingeladen wird und ‚invented spaces‘, die man erfindet. Vor allem in letzteren entwickeln sich Gegenpositionen, die in Frage stellen, die Widersprüche deutlich machen und nicht zukleistern. In einer Stadt gibt es immer unvereinbare Widersprüche, und man muss sehen, wie man damit umgeht. Das erfordert basisdemokratische Prozesse, die langwierig und nervig sein können, in denen man sich oft fragt, ob nicht jetzt mal jemand sagen kann, was zu tun ist. Ich war gerade mit Studenten in Venezuelas Hauptstadt Caracas, wo wir mit Leuten aus den Consejos Communales gesprochen haben, den kommunalen Räten, die die Belange der einzelnen Viertel regeln. Ein Vertreter sagte mir: ‚Wenn wir von Revolution reden, dann kann das doch nur heißen, Zeit und Raum zu bekommen. Zeit vor allem.‘ Das trifft es in meinen Augen genau. Es bedarf langer Diskussionen, und dann müssen die Ideen ausprobiert und auch wieder verworfen werden können. Es ist schwierig, so eine Haltung zu verteidigen, weil man immer wieder mit der Frage konfrontiert wird: Wie soll das gehen? Wer soll das bezahlen? In der Tat ist es utopisch und angreifbar, was ich sage, aber ich finde es wichtig, sich immer wieder vorzustellen, dass es auch anders gehen könnte, ohne von vorneherein zu wissen, wie. Gentrifizierung ist kein typisches Phänomen und vor allem kein natürliches, wie behauptet wird. Gentrifizierung heißt, dass gezielt Stadtteile auf- und abgewertet und dadurch Verdrängungsprozesse in Gang gesetzt werden. Das ist ein gelenkter Prozess, der ökonomischen Bedingungen und politischen Entscheidungen unterliegt, die auch andere sein können oder eben regulierbar sind.“
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Anteil der Hamburger Kinder (bis sechs Jahre), die auf Sozialleistungen angewiesen sind: 26 % Anteil der Hamburger Kinder und Jugendlichen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind: 22 % Bundesdeutscher Durchschnitt (bis 18 Jahre): 15,6 % Einwohner Hamburgs, die pro Kalenderjahr ein zu versteuerndes Einkommen von mehr als einer Million Euro erzielen: 880 Anzahl von Angehörigen dieser Gruppe, bei denen im Jahr 2007 eine Betriebsprüfung stattfand: 11 Anteil des Monatseinkommens, den Hamburgs Bürger im Durchschnitt für Wohnen ausgeben: 36 bis 45 % Bundesdeutscher Durchschnitt: 25,5 % Jährlicher Baubedarf an Wohnungen in Hamburg: 5000-6000 Einheiten Voraussichtlicher Neubau an Wohnungen bis Ende 2009: Unter 3000 Einheiten Steigerung der Mieten auf St. Pauli seit 2005: 27,7 % Anzahl der Sozialwohnungen in Hamburg 1993: 211 000 Anzahl der Sozialwohnungen in Hamburg derzeit: 116 000 Derzeit unvermietete Büro- und Gewerbefläche in Hamburg: 968 800 qm In der Hafencity entstehende Büro- und Gewerbefläche: 950 000 qm Kostensteigerung für den Bau der Elbphilharmonie seit Planungsbeginn: 246 Millionen (320 %) Zeitpunkt der Einführung eines Kosten-Controllings: Sommer 2008 Porschefahrerdichte in Hamburg: 5,89 Promille Bundesdeutscher Durchschnitt: 2,62 Promille
Hamburg wächst. Wir liefern den Protest. Hamburg grows. We provide the protest.
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Recht auf Stadt www.rechtaufstadt.net
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