Das letzte Einhorn Ausgabe 02
Editorial
Als sie auf dem Boden liegend aufwachten, war es wieder hell. Keiner – so erzählte ein jeder später – wusste, wo er war und wie er dort hin kam. Benebelt und entrückt, suchten sie sich ihren Weg Und da an der Lichtung stand es, changierte im aus diesem mysteriösen Wald. Die Tage und Licht zwischen Sichtbarkeit und Vergessen. Dabei Jahre vergingen und sie kehrten in ihr Leben war es doch nie unsterblich, sondern existierte zurück. Nur ab und zu sahen sie noch die immer schon außerhalb unserer Zeit. glitzernden Punkte, die sie wie ein Kokon einhüllten und in eine Art Zwischenwelt verfrachteten, wo Zeit oder Identität keine Rolle spielten und sie sie selbst sein konnten: Das letzte Einhorn.
Dennoch gaben einige unerschrockene Jäger die Suche nach ihm nicht auf. Und so machte man sich auf den Weg und eilte, um schlussendlich doch nur das Glitzern seines Schweifes zu erhaschen. Sie wanden sich immer tiefer ins Geäst bis zu der erhofften Lichtung. Über ihnen das sternenbehangene Firmament, um sie herum das Düstere des Waldes. Überall flirrten weiße, glitzernde Punkte – unerheblich, ob man die Augen offen oder geschlossen hielt. Völlig benommen, taumelten sie durch die Nacht, nicht sicher, ob das Farbenspiel nur ein Abglanz der Sterne oder die Reflexion des Zaubertiers war.
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H NT – das Magazin für Fotografie lud für die zweite Ausgabe alle Thüringer Fotografierende ein, sich auf die Suche nach dem letzten Einhorn zu machen. Im ersten Heft begaben wir uns, während der Butterfahrt nach Bangladesch, auf die Reise in die Vergangenheit und blickten zurück auf unser Werden. Nun wenden wir uns dem Unsichtbaren zu und tauchen in den Abgrund unserer Fantasie. Wir gehen auf die Jagd nach dem edelsten aller Fabeltiere, um zu fragen: Wer ist der Letzte seiner Art? Wo ist der Fremde, was die Fremde?
Wir. Hier. Allen eingesendeten, zauberhaften Bildern sowie Texten ist eines gemein – sie fragen nach Identität und Zeitlichkeit. Zu Recht. Denn wie können sekundenschnelle Portraits etwas über die Persönlichkeit des Abgebildeten aussagen? Ist der Grad von Inszenierung tatsächlich ein Indikator für (Nicht-)Authentizität? Oder steckt nicht vielmehr in der bewussten Konstruktion einer Person, Situation oder gar Welt mehr unverhohlene Hinweise über den Inszenierenden, als ihm lieb wäre? Was die Fotos zeigen, ist die Auseinandersetzung mit sich selbst. Hierbei treffen wir immer wieder von neuem auf das Fremde in uns − dies verdanken wir dem ständigen Zwang zur (Selbst-) Reflexion. In dem nicht aufhörenden Kreislauf der Selbstbeobachtung finden wir uns nach Jahren erschöpft und entfremdet wieder. Schauen wir zurück, scheint es so, als hätten Zeitlöcher den Weg verschluckt, ganze Tage sind vergessen und verloren. Wir werden zu Geistern unserer Erinnerung. Und auf der anderen Seite bohren sich Momente, Situationen und Dinge ins Gedächtnis ein und werden zeitlos. Ähnlich der Tierpräparate, die einen Moment isolieren und einbrennen, während die Zeit parallel dazu weiterläuft. Und ähnlich der Portraits, die an uns oder geliebte Menschen erinnern und jemanden zeigen, der wir nie waren. Oder wie Gegenstände, an die wir uns festklammern, um eine vertraute Vergangenheit zu erwecken.
Erinnerungen sind Fantasien.
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einhorn Dorothee Eva Herrmann zwischen lidern abendbestrahlt zitterndes gold zwischen welten ahnungsschweif auf mondenpfad zwischen herzen wundgebrandet ein klang aus licht
W HIT E
Anna-Lena Thamm, 2012
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Q u ee n D a n i o Kathrin Leisch, 2013
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ohne Titel Kathrin Vitzthum, 2011
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Liesa a u s d e r S e r i e „ E v o l u t i o n “ , M a x i m i l i a n W ö h l e r, 2 0 1 2
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from sinking Marina Kinski, 2012
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A b s u r d e K o n s t e l l at i o n e n a u s g e w 채 h l t e E i n z e l b i l d e r, P h i l i p p H o r t , 2 0 0 9
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Aus verschiedenen Gründen werden Tierkörper mitunter über den Tod hinaus haltbar gemacht, perfektionistisch dem Leben nachempfunden und für die Ewigkeit bewahrt. Die bewusst (über)inszenierten Fotografien von Tierpräparaten in einer menschlichen Alltagswelt mögen Assoziationen zu archaischen Tierkulten, magisch-religiösem Jagdbrauchtum, Fetisch- und Totemritualen, Mumien- und Totenkulten früher Hochkulturen wecken. Die Wirkung von toten, aber lebendig anmutenden Tieren im inszenierten (Stand-)Bild hinterlässt auch in der heutigen Zeit einen eigenartig verstörenden oder seltsam wider-sinnigen Eindruck. Dieser beklemmenden Wirkung, die vielleicht aus einem urtümlichen Gefühl des „Leben-Wollens“ herrührt, kann man sich kaum entziehen und der höchst subjektiven Interpretation sind keine Grenzen gesetzt, ohne dass es gelingen mag, diese ad absurdum zu führen. 15
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C o m f o r t O b j ec t s Lea Hohn, 2012 – 2013
Opa (23), Katharina (25), Hund (3), Giraffe (18) und Bär (4) 18
Knuffeldipuff (3), Frederik (13), Lea (23) und Lechen (24)
Vinzenz (24) und Wedel (20) 19
Hannah (23) und Kuschelweich (30)
Fabian (23) und Lassi (12) 20
B채r (25), Marc (27) und Wali (22) 21
in die Nacht hinein Jule Annel, 2013
U n i c o r n C h r i s t i a n W e r n e r, 2 0 0 8
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P f e r d / W a l d i m Ge g e n l i c h t M a t t h i a s K a r l s t e t t e r, 2 0 1 2
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Das letzte Zimmer A n n a S c h r ö d t e r, 2 0 1 2 – 2 0 1 3
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N a c h r i c h t a n d i e Ta n t e M a r i a Wo l f f An meine liebe Tante Reni, neulich habe ich darüber nachgedacht, wann wir uns eigentlich das letzte Mal gesehen haben. Lang ist es wohl her. War es auf diesem Geburtstag vor eineinhalb Jahren? Du warst nur kurz da und bist dann schnell wieder weg gewesen. Oder war das sogar schon das Jahr davor? Ich weiß es nicht mehr. Letzten Spätsommer war ich noch einmal in deiner Wohnung. Mitgenommen habe ich zwei Bücher (über starke Frauen in der DDR und über Evita Perón), das Bild „Am Strand“ (das ich neulich erst im Original in Dresden hängen sah), unseren Freundschaftsanstecker (mit einem Pinguin darauf), eine Münze (ich dachte, sie sei von Wert), zwei Ketten (aus echtem KahlaPorzellan) und die goldene Schildkrötenuhr. Die Zeiger waren schon stehen geblieben. Am liebsten hätte ich mehr mitgenommen, aber ich wusste auf einmal nicht mehr was. Jemand sagte, du hättest etwas „für die Mädchen“ im Sesselkasten versteckt, aber da war nichts. Wir haben die Tür dann wieder verschlossen. Das letzte Mal. Und jetzt fällt mir ein, dass ich dich noch einmal am Telefon gehört habe, kurz bevor ich nach Amerika bin. Das war schön.
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Mann im Mond B a s t i a n B i s c h o f f / A n n a S c h r ö d t e r, 2 0 1 3
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F l u f f y U n i c o r n De s T o d e s Manuel R ethfeldt, 2013
W e r k s Se l eK t i o n
aus dem Œuvre, A nja Köhne, 2012 – 2013
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D a s Ge s i c h t a l s S y m b o l e i n e r I d e n t i t ä t Jenny S tarick Das Gesicht fungiert als Rettungsanker des BeEin Gesicht hat unser Vertrauen. Wir erkennen greifens und versteht sich für den Betrachter darin Emotionen und meinen einen Charakter zu als Schlüssel zur Interpretation. Das in unserer sehen. Das Gesicht ist viel mehr als nur ein Teil Sehkonvention wahrgenommene Gegenüber bedes Körpers. Es spricht als Spiegel einer Identität kommt ein, von der vermeintlichen Identität aufzu uns. Wir fotografieren, um uns zu erinnern. geladenes Gesicht. Unser bildlich geprägtes Gedächtnis ist abhängig vom dokumentierten Moment, denn dieser wirkt, visuell immer wieder verifizierbar, Unser bildlich geprägtes Gedächtnis verliert sich realer als das Memorieren in Gedanken. in einer Welt von repräsentierten Identitäten und Doch die Maske der Anonymität schleicht reflektiert den eigenen Standpunkt nur über diese sich in das fotografische Abbild und fragt leeren Abbilder. nach der Möglichkeit, ob ein Gesicht als Symbol für ein komplexes Individuum und eine ErDargestelltes rückt aus dem individuellen Sichtfeld innerung als komplexer Gedankengang überhaupt des Betrachtenden und entzieht sich der zeitlichen rein visuell darstellbar sind? Werden sie nicht zum Verankerung. Die verursachte Objektivierung der Repräsentanten eines Intendierten? Wollen wir sie Wahrnehmung blockiert den Filter des Erinnerns deshalb nicht vergessen? und Vergessens. Der Betrachter des Fotos verliert sich in Wir können uns nicht selbst beim ‚Sehen‘ zuder vertrauenerweckenden Realität und schauen. 3 erkennt dieses als konstruiertes Bild nur schwer. Die Gewohnheit des Sehens und der Die individuelle Wahrnehmung wird nicht als interKommunikation, geschaffen aus dem kollektiven pretierender Prozess verinnerlicht und man schenkt Gedächtnis und basierend auf der Übercodierung der Problematik der Selbstverortung während des des Gesichtes,1 begreift Momente der Erinnerung Sehens keine Beachtung. Dieser blinde Fleck drängt sich zwischen das Dargestellte und dessen Abbild. wie Filmstills und beachtet ihre Geschichte kaum Die rein visuelle Anschauung hinterlässt beim Beoder möchte sie erst gar nicht kennenlernen. Das trachter einen anonymen Beigeschmack des eigentkollektive Gedächtnis ersetzt das individuelle, lich so Vertrauten. Die Realerfahrung kann mit fragmentarische Erinnern durch eine kalkulierte ihrem Bild nicht Hand in Hand gehen, doch gerade Auswahl scheinbar narrativer Bilder.2 Doch der Bedas ist das Dilemma des heutigen Sehens. Die dartrachter kennt die Perspektive nicht und taumelt aufhin assoziierte Identität raubt dem Porträtierten durch die kollektive Bilderflut in die individuelle das eigene Ich und deklariert unsere visuell wahrnehBildlosigkeit. mende Gesellschaft zur Gesellschaft von Anonymen. 40
Wir identifizieren uns mit der Maske des Gesichtes und verlieren in der Selbstreflexion den Bezug zu uns selbst, da das identitätslose Abbild uns einen visuellen Spiegel vorhält. Die Anonymität schleicht sich so leise in unsere Wahrnehmung, dass wir sie mit offenen Armen empfangen und uns bereitwillig in der fiktiven Identität auflösen. Das Porträt erweitert sich zum Spiegelbild, obwohl wir darin nichts sehen, als das Imaginierte. Wir gehen auf die Suche nach uns selbst.
Die durch die Medien geprägte Wahrnehmung codiert unsere Wirklichkeit und führt zu einer Analyse der Welt. Die Kamera dient als Filter, als emotionslose Oberfläche, die in ihrer objektiven Natur die Schnittstelle zwischen Betrachter und Betrachtenden erweitert. Der Fotograf, als Instanz des ersten Betrachters, geht im fotografischen Abbild auf und verwurzelt sein individuelles Abbild im Betrachter als objektive Repräsentation – ein für den Abbild-Betrachter anonymes Bild. Denn der Zeitpunkt zwischen dem real Gesehenen und dem Fotografierten verschließt sich hinter der subjektiven Wahrnehmung. Genau an diesem Punkt bröckelt die perfekte Illusion. Das ‚Nicht-Gesehene‘ und die zeitliche Wahrnehmung können sich nicht in einem Abbild einschreiben und verleihen dem porträtierten Gesicht eine unüberbrückbare Maske. Wir sehen das, was wir sehen wollen. Doch wir können nur sehen, was wir gelernt haben zu sehen. Weiterführend könnte es auch heißen, dass wir sehen, wie wir fotografisch wahrnehmen würden. 41
Doch löst sich das Dilemma auf, wenn wir ein Gesicht nicht visuell vor uns sehen? Das Fehlen des Gesichtes des Porträtierten kommt dem Verlust des gesamten Individuums gleich und lässt uns genauso verzweifeln wie die Abbildung eines leeren Raumes. In der Abwesenheit des Spiegels können wir uns nicht mehr reflektieren. Die Anonymität des Dargestellten verleiht der Szenerie eine bizarre Langeweile, über die man nicht länger [1 ] vg l . Del e u z e, G il l e s /G unachdenken will. Genau a tta r i, Fél i x : Ta u s end Pl a tediese Anonymität lohnt a u s . K a p i ta l i s mu s und S chi z es zu beobachten und o phrenie. B erl in: M er ve 1997 vor ihr zu verweilen, (o r i g. 1980). um die Sehgewohnheit zu hinterfragen und die [2] vg l. A ssmann, A leida: Ineigene visuelle Wahr- dividuelles und kollek tives G enehmung zu sensibili- dächtnis – For men, Funk tionen sieren. Die Tradition des und Medien. In: Wetteng l, Kur t Sehens muss gebrochen (Hrs g.): Das G edächtnis der werden, um wieder wahr- Kunst. G eschichte und Er innenehmen zu können. r ung in der Kunst der G e genwar t. Ostfilder n-R uit 2000. [3] vg l. Havekost, E berhard: A usstellung (K atalo g anlässlich der A usstellung E berhard Havekost A usstellung , S taatliche Kunstsammlungen
Dresden,
13. Nov. 2010 - 6. Feb. 2011) B erlin: Distanz Verla g 2010.
Bleichenschau Steffi Loos, 2012
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one thousand shards M a r i n a K i n s k i  /  K a t h r i n L e i s c h , 2 0 1 3
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Hoch Hinaus A n i c a K 채 s t n e r, 2 0 1 3
He l d e n t a t J e n n y W e b e r, 2 0 0 5
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G o r g e o u s , Sp l e n d i d , W o n d e r f u l Pa t r i ck M a r t i n , 2 0 1 3
Die gemeinschaftliche Herausbildung einer Wunschwelt und einer globalen Durchschnittsästhetik ist zentraler Aspekt dieser Serie, in welcher virtuelle Landschaften in Second Life per Screenshot festgehalten wurden. Die Software erlaubt es dem Fotografen dabei Lichtverhältnisse, Wasser- und Wolkenbeschaffenheit genau einzustellen.
Im Gegensatz zu Szenerien aus Videospielen wurden diese Landschaften nicht von einigen wenigen Programmierern und Designern, sondern von einer globalen Spielergemeinschaft selbst, entwickelt. Die Bandbreite der möglichen Eingriffe reicht dabei vom Auswechseln und Arrangieren verschiedener 3D-Objekte und Texturen bis hin zu ganzen Landschaftsumformungen. Auffällig sind die dabei entstandenen, teilweise sehr komplexen Landschaftskompositionen, deren Detailreichtum überrascht und die Unzulänglichkeiten der Software auf den ersten Blick verdecken. Obwohl die 3D-Welt nahezu grenzenlose Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, werden jedoch zumeist altbekannte archetypische Landschaften reproduziert. Für viele Spieler scheint Second Life ein Zufluchtsort vor dem realen Leben darzustellen, welchen sie als perfekten Ort ausgestalten. 52
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E X TR E MA B a s t i a n B i s c h o f f / M a r i n a K i n s k i , 2 0 1 3
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D i e T i n t e n f l ec k e e i n e s N i c h t s c h w i m m e r s Konstantin Kraft du hast (mich) verloren. so wie man kugelschreiber und telefonnummern verliert, oder das straßenbahnticket auf dem weg zum bahngleis. einmal hast du gesagt: es ist immer zu viel und dann bleibt es halt zu wenig. erst habe ich deinen namen nicht verstanden in der regnerischen ordnung rotviolettgelber lichtorangen und blinkender türgriffe. wolken sind spiegel, wenn die sonne nicht scheint, und die umlaufbahnen der kometen kreise fast so wie das o in hoffnung(en). du alltagsgeschädigte sternschnuppensammlerin. zwei personen, die sich in einem zug gegenübersitzen. a verfolgt gedankenverloren den lauf der regentropfen entlang der beschlagenen glasscheibe. währenddessen versucht b die hand von a zu erreichen. zitternd nähern sich die hände von a und b, um schließlich unberührt zu bleiben. am horizont kämpft ein vogel gegen die leichtigkeit von sonnenuntergängen. später hast du dann gesagt:
und du sagst: nein. sehnsucht sind bleistiftnotizen auf kugelbeschriebenen recyclingblöcken. und du sagst: nein. du sprichst und ich werde besprochen. erst eingeschrieben, dann ausradiert, wie strichmännchen im regen, strichmännchen im liebesgewand. es bleiben tintenflecken, braungrünbraunblausalzige flecken. ertrunken.
b schlägt mit dem kopf gegen die scheibe. hoffnung tut weh. a greift in die hosentasche und holt eine münze hervor. die münze ist gerade groß genug, um die untergehende sonne am horizont zu verdecken. teilnahmslos lässt a die münze in seiner hosentasche verschwinden. fluglärm sehnsucht, das ist eine papierfliegernotlandung und der klang von platzenden seifenblasen. auf (d)einer rotbraunvioletten baumwollfaserung. du und ich, die letzten einhörner, sind die meisten esel. bestimmt, sagst du, und dass das ein einzelnes haar kann ein gewicht bis zu einhunrückfahrticket gar nicht so viel teurer ist als das dert gramm tragen. danach ist aber jedes gramm für die hinfahrt. inzwischen ist die landschaft von zu schwer. der nacht verschlungen. in der dunklen glasscheibe spiegelt sich ein lächelndes gesicht. ein lächeln, das stetig bedroht scheint, von dem fluchtversuch einzelner tränen in die rettenden mundwinkel. 59
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Einhorn, erdacht Dorothee Eva Herrmann Wort um Wort Atem formt Gedanken Geschichten silbengewebte M채hne Auge um Auge Blick beatmet Striche zu Formen metamorphosierend Zug um Zug H채nden entf채llt raschelleises Fabeltier im Funkenflug du l채chelst im Schlaf
B l a c k e y e
Frank R ossi, 2012
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Vorstellungskraft Christoph Gorke, 2011
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De r M a n n C o l l a g e u n d Te x t , D o m i n i k B รถ n i s c h , 2 0 1 3
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Ächzend bewegt sich die Tür, durch einen Drehmechanismus angetrieben, der schon seit Jahren eine Inspektion nötig gehabt hätte, langsam im Kreis bis sie die Ursprungsstellung erneut erreicht. In der Zwischenzeit entweichen menschliche Rümpfe dem gläsernen Fächer und blinzeln betroffen in die Sonne.
Der Mann hat die Stadt bereits hinter sich gelassen und gleitet zielstrebig die breit getrampelten Pfade vor seinen Füßen entlang. Die Sonne wird von den Häuserfassaden zurückgehalten „Warm hier, huh?“ „Ja, vielleicht! Wenn man so und wirft nur noch diffuse Strahlen auf den viel auf Reisen ist wie ich, merkt man die Nuan- Rücken des Mannes, der mittlerweile über cen von Temperaturschwankungen nicht mehr.“ wirres Geäst steigt. Zeit fließt zäh über die Zeiger der Taschenuhr im Inneren der verschlissenen Weste, welche den Mann seit Jahren Der Passant nickt verständnislos und beendet das begleitet. Immer tiefer in den Dickicht eindrinflüchtige Gespräch genauso schnell, wie er es begend, streift sein Blick Bäume, deren Enden mit gonnen hat. „Auch egal“, denkt der Mann und geht bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Sein Atem seiner Wege. „Wieso Fremde immer reden müssen, geht ruhig, aber bestimmt. hab ich nie verstanden. Wer hat dafür Zeit?“ Die Sonnenbrille dunkel im Gesicht thronend, blickt der Mann nervös auf den asphaltierten Die frische Luft füllt die Lungen, sodass der BrustBoden, bevor er geübten Schrittes die Häu- korb zu Bersten droht. Dann Stille. Anlegen. Zielen. serschluchten durchschreitet, als hätte er in Der ohrenbetäubende Knall zwingt vereinzelte seinem Leben nichts anderes getan. „Ruhelos“, dränVögel ihrem Instinkt zu folgen und die Heimat in gen sich Gedanken ins Bewusstsein des Mannes‚ „eiden Baumkronen zu verlassen. Selbst als der feine nen anderen Zustand kenne ich nicht mehr, seitdem schwefelhaltige Nebel aus dem Gewehrlauf längst er mir zum ersten Mal begegnet ist. Nun sehe ich verflogen ist, verharrt der Mann unbeweglich in ihn wieder täglich. Nicht nur in meinem traumloseiner Position. Sein Gesicht ist im Zwielicht der sen Schlaf, sondern auch in dem einsamen SekunNacht nicht zu erkennen. Sein Kopf scheint gedenbruchteil eines Lidschlags; da taucht er aus dem senkt. Er atmet nicht aus. Schwarz auf und lächelt mir höhnisch ins Gesicht.“
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Akt T e x t , L i s a P l u m e i e r, B i l d f u n d : 3 8 . 7 1 4 5 0 5 5 − 9 . 1 2 4 4 6 1 4
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Ein Spiel. Ein Zimmer. Drei Körper. Das Geräusch abgleitender Stoffe. Unbeholfen grob legen sich Hände auf Knöpfe und Reißverschlüsse. Finger um Finger bemüht sich. Kleidung fällt zu Boden. Eine Bluse. Ein abgewetzter Kaschmirpullover mit eingenähten Goldfasern. Bewegungen gegen den Rhythmus der Musik. Langsames Wanken. Posieren. Pausieren. Posieren. Blitz. Klicken. Surren. Ich hatte schon immer ein Faible für dünne Frauen. Rippen. Wirbelsäule. Hüftknochen. Sichtbare Strukturen des Skeletts. Von vorne und von hinten. Über den unteren Rücken streichen. Langsam Wirbel für Wirbel. Schulterblätter wölben sich nach außen. Darunter eine Höhle. Ich und Du. Du und Er. Er und Ich. Er atmet dich ein. Atmet dich fort. Schnaufen. Keuchen. Alles verschwimmt. Der Dunst des stickigen Zimmers. Der Dunst der bewegten Leiber. Mentholzigaretten und süßlicher Schnaps. Ich schaue gern zu. Mehr will ich nicht.
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Zw i s c h e n d e n He f t e n
Treppe rauf. Treppe runter. Ich höre das Wort „Einlassstopp“ verdächtig oft in letzter Zeit und von der Seite ruft Paul-Ruben mir zu, es wäre kein Bier mehr da. Björns Catering ist schon alle, dabei habe ich noch nicht einmal probiert und im Diorama soll auch schon wieder irgendwas abgefallen sein. Ich winke Rike an der Kasse zu, während ich realisiere, dass Paul gerade wirklich zu mir meinte, er besorge neues Bier im Späti. Ich mag Parties, aber gerade bin ich latent gestresst. Wohl auch, weil der Schweiß nicht aufhört, mir über den Rücken zu laufen. Hoffentlich merkt das niemand. Doch da fährt eine wohltuende Stimme, getragen von Gitarrenklängen und dank Alex meisterlich abgemischt, durch den Raum. Endlich kurz Augen zu. Durchatmen.
Seitdem hat sich viel bewegt. Sehr viel sogar. Genug, dass ich mich an der Chronik unserer Facebook-Seite entlanghangeln muss, um nichts zu vergessen. Wir haben Interviews bei den netten Jungs von PLAUZ gegeben, waren in Radiosendungen des F.R.E.I. und haben unsere Leber (oder besser meine) beim „Vorglühen“ mit „Pfeffi“ trainiert. Wir sind mit unserem H NT-Stand zum Osterflohmarkt in die Franz Mehlhose gezogen, waren in Jena beim Cellu l’art vertreten, haben dem FÖN-Kunstpreis einen Besuch abgestattet und uns in der Pole Position auf dem Hafenmarkt niedergelassen. Immer begleitet von interessiertem Publikum, netten Gesprächen und dem ein oder anderen Kunstfell. Unser Team hat sich vergrößert. Wir freuen uns von Herzen Kristin, Lisa und Dietmar in unserem Boot zu haben und ich mich noch immer über den Wortwitz, ob denn „Diddi-Da-Da-Da“ sei? Schnell kamen wir auf die irrsinnige Idee, die neue Ausgabe mit „Das letzte Einhorn“ zu betiteln und endlich konnten wir unser Vorhaben umsetzen, das Heft für ALLE zu öffnen.
Es ist der 23.03.2013 und ich befinde mich direkt im Trubel der ersten Release-Party unseres Magazins. Viel war los im Radio F.R.E.I. und alle tanzwütigen Besucher wissen, was ich meine. Alle anderen stellt euch vor, ihr würdet am heißesten Tag des Jahres ins Nordbad wollen, nur dass diesmal das Wasser von der Decke tropft. Seit dem Start des sogenannten „call for entries“ Alles aber ein kleiner Preis, verglichen mit saßen wir also gebannt vor dem Computer und dem Gefühl, die erste Ausgabe des eigenen sprangen wild auf, wenn der vertraute Klang Magazins stolz in den Händen halten und des Mail-Programms uns eine neue Einsendung präsentieren zu dürfen. prophezeite.
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basteln und uns gemeinsam mit den Teilnehmern Wir hatten die Chance, namhafte Künstler soan einer Sinar-Großformatkamera auszuprobiewie Fotografen in unserer Vortragsreihe „Zum ren. Ein Workshop im Rahmen des „Stadt-FinLeuchten“ vor das Mikrofon zu holen und bekaden“ Programms folgte und beim Flussbadetag men zusammen mit zahlreichen Gästen Einblicke im Luisenpark haben wir euch ebenfalls zum in die verschiedenen Arbeitsweisen oder PortfoMitmachen bewegt. lios. Henriette Kriese, Samantha Font-Sala, Jens Hauspurg, Christoph Blankenburg, Nina Röder, Erik Niedling und Marcel Krumm- Ganz nebenbei mussten wir aber auch unfreiwillig rich gaben sich bereits in zwei Veranstal- die Tiefen des deutschen Zollrechts kennenlernen tungen die Klinke im Kunsthaus Erfurt in und DHL finden wir heute eher noch so semigut. die Hand. Eine Einführung durch Prof. Dr. Warum machen wir also all das, könnte die beKai-Uwe Schierz rundete das Spektakel ab. rechtige Frage aufkommen. Weil wir es lieben. Weil wir nicht mehr ohne Fotografie können und Da auch wir gern unser Wissen weitergeben, haweil wir an das Magazin und das Potential in Thüben wir einen Workshop in den Redaktionsräuringen glauben. Am meisten glauben wir demnach men der „Saline34“ durchgeführt. Unter dem an Euch und euer Vertrauen in unser Projekt. In Motto „Einführung in die Großformatkamera“ diesem Sinne erheben wir die Gläser voller „La konnten wir interessante Stunden damit verGioiosa“ und freuen uns auf das, was vor uns liegt. bringen, Portraits zu schießen, Lochkameras zu
Mit Unterstützung:
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D E MNÄ C HST 10.2013 08.10.2013 17.10.2013 14.11.2013 11.12.2013 12.2013 01.2014 03.2014
Ausstellung im Café Hilgenfeld, Domplatz Erfurt HANT im Zentrum für zeitgenössische Fotografie (ZZF e.V.) Leipzig Das HANT Magazin stellt sich im Rahmen von PRINTED MATTER in Leipzig vor ZUM LEUCHTEN No. 3 im Kunsthaus Erfurt Vortragsreihe mit Thüringer FotografInnen HANT-Ausstellung in der Waterlounge @ Club Aquarium Dresden ZUM LEUCHTEN No. 4 im Kunsthaus Erfurt Thüringer FotografInnen stellen ihr Portfolio vor Dunkelkammer-Fotoworkshop in der Saline34 Einsendeschluss HANT-Magazin – Ausgabe No. 3 Erscheinungstermin HANT-Magazin – Ausgabe No. 3
Aktuelle Termine sowie das Thema zur dritten Ausgabe werden auf unserer Internetseite www.hant-magazin.de veröffentlicht. 80
IM P R E SSUM H NT – Magazin für Fotografie – Ausgabe 02 Erscheinungsdatum: 23. September 2013 ISSN 2196-6079 He r a u s g e b e r :
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FOTOINIT Erfurt
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Jenny Weber, Christian Werner, Maximilian Woehler, Maria Wolff Cover: Steffi Loos (S. 42)
R E DAKTIONSMITGLI E D E R – V . i . S . d . P. :
Backcover: Paul-Ruben Mundthal
Dominik Bönisch, Alexander Grüner, Friederike Günther, Paul-Ruben Mundthal, Lisa Plumeier, Björn Schorr, Kristin Schulze,
Vielen Dank an:
Dietmar Schwerdt
alle Einsendenden, Saline34 und Plattform e.V., Radio F.R.E.I., Prof. Dr. Bauer-Wabnegg,, Druckerei Starke, Kunsthaus Erfurt,
Druck:
ZZF e.V., Prof. Dr. Schierz, Nina Röder, Sinar Photography,
Starke Druck und Werbeerzeugnisse, Sondershausen
Ilford Photo, La Gioiosa und alle stillen Helfer
04 White 05 Einhorn 06 Queen Danio 08 ohne Titel 10 Liesa 12 from sinking 14 Absurde Konstellationen 18 Comfort Objects 22 in die Nacht hinein 23 Unicorn 24 Pferd / Wald im Gegenlicht 26 Das letzte Zimmer 29 Nachricht an die Tante 30 Mann im Mond 32 Fluffy Unicorn des Todes
Werksselektion 33 Das Gesicht als Symbol einer Identit채t 40 Bleichenschau 42 one thousand shards 47 Hoch Hinaus 50 Heldentat 51 Gorgeous, Splendid, Wonderful 52 Extrema 56 Die Tintenflecke eines Nichtschwimmers 59 Stein 60 Black eye 62 Einhorn, erdacht 63 Vorstellungskraft 64 Der Mann 66 Akt 74