lichtblickstadt

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lichtblick stadt



die große stadt ist trotz aller häßlichen gebäude, trotz des lärmes, trotz allem, was man an ihr tadeln kann, dem, der sehen will, ein wunder an schönheit und poesie, ein märchen, bunter, farbiger, vielgestaltiger als irgendeines, das je ein dichter erzählte. (August Endell)



Polina Pysmenna

lichtblick stadt



einleitung

In unserer technischen Zivilisation werden Atmosphären vernachlässigt. Unsere Wahrnehmung konzentriert sich auf Zeichen, Personen und Dinge. Doch ist das, was Atmosphären verursachen, in gewisser Hinsicht von entscheidender Bedeutung. Sie muten uns jeweils in charakteristischer Weise an und modifizieren so unsere Befindlichkeit. Das Charakteristische einer Stadt ist das, was sie ausmacht, das Individuelle. Ihre Atmospäre wird geprägt von den Menschen, den Gebäuden und Plätzen, aber auch von den Lebensformen, den Gerüchen und den Geräuchen. Die Fotografien in diesem Buch zeigen die Stadt Düsseldorf und wollen so den Inhalt des Textes bildlich wiedergeben. Die Atmosphäre von Düsseldorf – hier festgehalten in einigen Bildern – ist das, was man spürt, bewusst oder unbewusst, wenn man durch die Straßen dieser Stadt geht, ob als Einheimischer oder Tourist. Somit, einen guten Spaziergang!

Kontraste


gerüche

Früher hatte die Metro in Paris einen ganz besonderen Geruch. Man hätte mich im Schlaf nach Paris versetzen können, und ich hätte an diesem Geruch erkannt, wo ich bin. Heute würde ich etwas darum geben, wenn mir jemand noch einmal ein Fläschchen von diesem Geruch verschaffen könnte. Ich würde daran schnuppern und aus diesem Geruch jenes Paris von damals herausschnüffeln wie Marcel Proust sein Cambrais aus dem Madelaine-Kuchen. Paris ist anders geworden, viel technischer, cleaner, und man muß es wohl heute an etwas anderem erkennen als am Geruch. Vielleicht war ja mein Paris Geruch noch der letzte Hauch jener Miasmen, die – nach der schönen Darstellung von Alain Corbin in seinem Buch Pesthauch und Blütenduft (1982) – von den empfindsam gewordenen Bürgern seit Anfang des 19. Jahrhunderts in mehreren Desodorierungswellen aus der Stadt vertrieben wurden (dazu auch Illich, 1987). Aber vielleicht sind es heute nur andere Gerüche, an denen nun andere, jüngere ihr Paris erkennen, während ich in nostalgischer Laune mich weigere, sie aufzunehmen. Denn daß Städte, Quartiere, Gegenden und Landschaften ihre Gerüche haben, gilt auch heute – trotz Schwemmkanalisation, Ventilation, Desodorierung. So kann man noch immer mit der Nase entscheiden, ob man sich in Ost- oder West-Berlin befindet. Das liegt zwar nicht mehr am Zweitakterbenzin, wohl aber an der Verwendung von Braunkohlenbriketts im Osten. Anderswo liegt es an der Erde, wenn sie feucht wird, oder an Steinen oder an bestimmten




Bäumen, die in der Stadt wachsen, oder daß man das Meer riecht, am verwendeten Benzin, an den Verkehrsmitteln überhaupt und natürlich an den Menschen und ihren Lebens- und Eßgewohnheiten. Die Gerüche sind ein wesentliches Element der Atmosphäre einer Stadt, vielleicht sogar das wesentlichste, denn Gerüche sind wie kaum ein anderes Sinnesphänomen atmosphärisch: Unbestimmt in die Weite ergossen (Schmitz, 1969), hüllen sie ein, sind unausweichlich, sie sind jene Qualität der Umgebung, die am tiefgreifendsten durch das Befinden spüren läßt, wo man sich befindet. Gerüche machen es möglich, Orte zu identifizieren und sich mit Orten zu identifizieren. So ist es nicht verwunderlich, daß das erste wissenschaftliche Buch, das sich mit dem Thema Atmosphäre befaßt, im wesentlichen ein Buch über Gerüche ist. Ich meine das Buch von Hubert Tellenbach Geschmack und Atmosphäre. Tellenbach interessierte als Psychiater primär die Störung von Geruchsatmosphären. Um so deutlicher kommt bei ihm heraus, daß das Vertrauen zwischen Menschen im Atmosphärischen begründet ist. In Analogie zum Nestgeruch bei Tieren konstituiert für ihn die Geruchsatmosphäre die Vertrautheit im Raum von Familie und Heimat.

Über Geruchserfahrungen läßt sich schwer reden, insbesondere im akademischen Diskurs. Schon Tellenbach hat sich deshalb auf die Literatur bezogen, vornehmlich auf Dostojewski. Ich möchte mich, um das Gesagte deutlich zu machen, auf einen anderen russischen Autor beziehen, nämlich Nikolai Gogol, und zwar auf eine Stelle in seinem Roman Die toten Seelen, mit der er Tschitschikows Leibeigenen Petruschka schildert:


er liebte es zu schlafen, ohne ging und stand, in dem bekann te er immer eine eigene atmo lichen geruch, mit sich, der e wohnzimmers erinnerte, so d aufzustellen und seinen man mitzubringen brauchte, um s cken, daĂ&#x; dieses zimmer sei bewohnt werde, selbst wenn gewohnt hatte.


e sich auszukleiden, so wie er nten rock, und ferner schlepposphäre, jenen ihm eigentĂźmein wenig an den duft eines daĂ&#x; er nur irgendwo sein bett ntel und seine habseligkeiten sofort den eindruck zu erweit zehn jahren von menschen n bislang noch niemand darin


Da haben wir das Phänomen in schönster ironischer Verdrehung aufgespießt und festgemacht: Während sonst Räume, weil sie bewohnt sind, einen besonderen, ihnen eigentümlichen Geruch haben, der sie auch wohnlich macht und in dem man sich heimisch fühlen kann, schleppt der dummschlaue Diener Petruschka seine eigene, von Tschitschikow durchaus als penetrant empfundene Atmosphäre mit sich herum, so daß er sich überall hinlegen kann und sich gleich zu Hause fühlt. Der Geruch einer Stadt – vielleicht ist es dieses atmosphärische Element, dessen Vernachlässigung oder sogar dessen Vertreibung unsere Städte so unwirklich gemacht hat, wie es Mitscherlich (1966) in seinem bekannten Pamphlet beschreibt.




eine stadt ohne geruch ist wie ein mensch ohne charakter.





man spĂźrt irgendwie, daĂ&#x; es neben raumordnung und verkehr, neben funktionsteilung und organisation noch etwas anderes sein muĂ&#x;.




der stand der dinge Die Frage nach der anderen Dimension durchzieht die Literatur, solange es modernen Städtebau, moderne Stadtplanung gibt. Irgendwie spürt man, daß es neben Raumordnung und Verkehr, neben Funktionsteilung und Organisation noch etwas anderes sein muß. Dieses andere hat Camillo Sitte in seinem seinerzeit sehr wirkungsvollen Buch Der Städtebau nach künstlerischen Grundsätzen von 1883 das Ästhetische

genannt. Gordon Cullen redet von dem Landschaftlichen in: The Concise Townscape (1968). Kevin Lynch (1965) nennt es Das Bild der Stadt. Nun mag die Über-setzung Bild für Image eine Bedeutungsreduktion darstellen. Jedenfalls ist das Image einer Stadt längst zum Ausdruck der Selbstinszenierung geworden, zu dem, was eine Stadt hermacht, für die Atmosphäre, die sie ausstrahlt. Und der Ausdruck Townscape,


Stadtlandschaft, kann im Rückgriff auf Alexander von Humboldts Rede von dem Totaleindruck einer Landschaft durchaus mehr bedeuten als das, was man sieht. Gleichwohl ist bei den genannten Autoren die Verengung der Untersuchungsperspektive auf das Visuelle oder gar Geometrische unverkennbar. Das wird deutlich, wenn man sich einmal die analytischen Kategorien anschaut. Bei Lynch: Wege, Grenzlinien,

Bereiche, Brennpunkte, Merkzeichen. Bei Cullen: serial, vision, place und content. Unter content kommt neben colour, texture, scale, style immerhin auch character, personality und uniqueness vor. Aber gerade bei ihm lesen wir: »For it is almost entirely through vision that the environment is apprehended.« (1968, 8)


das poetische einer stadt kann sich ganz quer zur architektur und planung ereignen.



Man muß sich schon an einen anderen, älteren Autor wenden, wenn man nicht aus der Belletristik, sondern aus der ästhetischen Literatur etwas über die Atmosphäre einer Stadt erfahren will, nämlich an August Endell. Dieser Jugendstil-Künstler und -Theoretiker hat gegen die jugendbewegte Polemik seiner Zeit, angeregt durch die malerische Eroberung von Großstadt und Technik durch die Impressionisten, ein Buch mit dem Titel Die Schönheit der großen Stadt (1908) geschrieben. Dieses Buch mag in seiner schwärmerischen und unsystematischen Darstellung heute nur noch als Fundgrube und Anregung dienen. Aber Endell hat doch auf viele Phänomene gewiesen, die wir heute unter dem Begriff Atmosphäre fassen können. Ich gebe einige Stichworte: Die Stadt als Natur (30), die Stadt der Geräusche (31), die Stadt als Landschaft (33), die Schleier des Tages (Nebel, Luft, Regen, Dämmerung), die Straße als lebendiges Wesen (65), die Menschen als Natur (66). Worauf Endell gewiesen hat, ist, daß auch in der Großstadt sich Natur abspielt, daß die Stadt ein charakteristisches Eigenleben hat und daß die Schönheit, das Poetische einer Stadt sich auch ganz quer zu Architektur und Planung ereignen kann. Ich werde auf Endell zurückkommen. Aber um ihm auch hier schon die Ehre zu geben, zitiere ich eine kurze charakteristische Darstellung einer Szene.



es war im heißen sommer i ringbahn, wo die eisenbahnsc mit rücksicht auf die ohre auf dämpfende sandschüttu hart und klappernd auf der einer solchen brücke stand zwei schwere Pferde davor, d senkten. sie standen ganz an einer gelblichen ziegelmaue stehen die unterführungsöffn der anderen seite standen, d machen, zwei kinder. draußen gem dunst, die helle schien w mantel den raum vorwärts u den bläuliche schatten erfüllte le rieselten durch die lücken wie durch baumzweige, tause len über die staubige straße gelbe holz und über die schw


irgendwo im norden an der chienen auf den brücken nicht en der anwohner sorgfältig ung gebettet sind, sondern r konstruktion liegen. unter ein wagen mit holzbalken, die müde die mächtigen köpfe n einer seite der straße vor er und machten durch ihr nung größer und weiter. auf den raum noch greifbarer zu n brütete die sonne in stickiwie mit einem durchsichtigen und rückwärts abzuschließen, en. aber in die schattige kühn der eisenbahnkonstruktion, end vereinzelte sonnenstrahe, über die kinder, über das weigenden, riesigen Pferde.  (74 f.)




Kommentierend bezeichnet Endell dann das Ganze, das er hier spürt: Es ist das Leben des Raumes, was hier wie in ähnlichen Fällen, zu Form und Farbe eine so starke, bedeutsame Unterlage gibt... (75). Wir nennen es die Atmosphäre.

eigentümlich ist, das, worin sie individuell ist, und das sich deshalb auch in allgemeinen Begriffen nicht mitteilen läßt. Das soll aber nicht heißen, daß man über die Atmosphäre einer Stadt nicht reden könnte – wir werden noch sehen, daß das sehr wohl möglich ist –, sondern nur, daß die Atmosphäre etwas ist, das man spüren muß, um zu verstehen, worum es in solchem Reden eigentlich geht. Die Atmosphäre einer Stadt ist eben die Art und Weise, wie sich das Leben in ihr vollzieht. Die Ausarbeitung der lebensweltlichen Rede von Atmosphäre zum Begriff der ästhetischen Theorie (Böhme, 1997) bringt zu allererst Vorteile für die ästhetische Theorie selbst: hier der Stadtästhetik. Die Einführung dieses Begriffs befreit sie aus der Verengung auf das Visuelle bzw. auf das Semiotische. Denn alles, was man nicht in Strukturen fassen konnte, hat man in die Bedeutungen verlagert. So redet man etwa von Meaning in Western Architecture (Norberg-Schulz, 1977) oder der Sprache der postmodernen Architektur (Jencks, 1978). Man folgt damit aber nur der Konjunktur der Semiotik und verkennt, daß das Zeitalter der Repräsentation längst an sein Ende gekommen ist (Redner, 1994), anders ausgedrückt: Die multikulturelle Welt unserer großen Städte enthält zwar mehr und mehr allgemeinverständliche Piktoramme, aber keine von der Allgemeinheit verstandene Symbolik mehr. Das heißt aber, was einen anspricht in einer Stadt, läßt sich nicht als Sprache deuten, vielmehr geht es als Anmutungscharakter in das Befinden ein.

der begriff atmosphäre Es ist durchaus nichts Ungewöhnliches, von der Atmosphäre einer Stadt zu reden. Man findet den Ausdruck in der Alltagsrede wie in der Literatur, man findet ihn in den Werbematerialien der Städte und in den Reisebeilagen der Zeitungen. Für diese alltagssprachliche Verwendung des Ausdrucks gilt zweierlei: Erstens wird von der Atmosphäre in der Regel aus der oder für die Perspektive des Fremden gesprochen. Zweitens versucht man damit, etwas für eine Stadt Charakteristisches zu benennen. Wenn nun von Atmosphäre als etwas gesprochen wird, das der Stadt-Fremde erfährt, so geht es gerade nicht um die touristische Perspektive auf die Stadt. Vielmehr meint man mit Atmosphäre das, was für den Bewohner gerade alltäglich und selbstverständlich ist und das der Einheimische mit seinem Leben ständig mitproduziert, das aber erst dem Fremden als Charakteristikum auffällt. Die Atmosphäre einer Stadt ist deshalb nicht dasselbe wie ihr Image. Das Image einer Stadt ist das bewußt nach außen gekehrte Bild ihrer selbst bzw. die Gesamtheit der Vorurteile, die man draußen von einer Stadt hat. Ferner – um auf den zweiten Punkt zu kommen – wird unter der Atmosphäre einer Stadt etwas Charakteristisches verstanden, d.h. etwas, das einer Stadt


Der zweite Vorzug einer Stadtästhetik, die sich des Begriffs Atmosphäre bedient, ist folgender: Es geht in einer solchen Ästhetik nicht bloß darum, wie eine Stadt unter ästhetischen oder kunsthistorischen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, sondern darum, wie man sich in ihr fühlt. Das ist ein entscheidender Schritt zur Einbeziehung dessen, was man etwas ungeschickt den subjektiven Faktor nennt. Zwar spürt man eine Atmosphäre immer nur im eigenen Empfinden, aber gerade als das, was von anderen Menschen, Dingen oder der Umgebung ausgeht.


die atmosph채re einer stadt ist die art und weise, wie sich das leben in ihr vollzieht.




man sp체rt eine atmosph채re immer nur im eigenen empfinden, aber gerade als das, was von anderen menschen, dingen oder der umgebung ausgeht.


Sie ist insofern etwas Subjektives, das man mit anderen teilen kann und über das man sich mit anderen verständigen kann. Beim Studium der Atmosphären geht es um die Frage, wie man sich in der Umgebung bestimmter Qualitäten fühlt, d.h. wie man diese Qualitäten im eigenen Befinden spürt. Über solche Befindlichkeiten kann man sich durch Angabe von Charakteren verständigen. Eine Atmosphäre kann entspannt sein oder bedrückend, sie kann geschäftig sein, heiter oder feierlich. Die Sprache enthält ungezählte Ausdrücke zur Charakterisierung von Atmosphären, unter denen man zwei Hauptgruppen unterscheiden kann. Sie enthält erstens synästhetische Charaktere: Das sind solche, die vor allem in einer Modifikation der leiblichen Befindlichkeit gespürt werden. Und es gibt zweitens gesellschaftliche Charaktere: Das sind solche, in die gesellschaftliche Konventionen eingehen. Beispiele für letztere sind: . Die Analyse von städtischenden Umwelten mit Hilfe von atmosphärischen Charakteristika wäre, historisch gesehen, eine Erweiterung dessen, was Hirschfeld (1779) in die Beschreibung von Parkszenerien eingeführt hat. Sie zielte darauf, städtische Umgebungen in Hinblick auf das Lebensgefühl der Menschen, die in ihnen leben bzw. die sie besuchen, zu bestimmen, bis hin zu den Ursachen möglicher Pathologien.



Der dritte Vorteil des Begriffs Atmosphäre liegt auf der Objektseite. Man kann Atmosphären nämlich nicht bloß von der Seite des Subjekts, d.h. also dadurch, daß man sich ihnen aussetzt, studieren, sondern durchaus auch von der Seite der Objekte her, nämlich der Instanzen, durch die sie erzeugt werden. Das Paradigma für diese Betrachtungsweise liefert das Bühnenbild. Generelles Ziel der Bühnenbildnerei ist die

Erzeugung von Atmosphären mit Hilfe von Licht, Musik und Geräuschen, von räumlichen Konstellationen und durch Einsatz charakteristischer Objekte. Das Paradigma Bühnenbild greift aber für die Stadtplanung insofern zu kurz, als die Atmosphäre hier nicht für einen äußeren Betrachter, sondern quasi für die Schauspieler erzeugt wird, d.h. für die Teilnehmer am städtischen Leben, die durch ihre eigenen Aktivitäten die


städtische Atmosphäre mitproduzieren. Auf die Gefahren, die darin liegen, Stadt-planung als Inszenierung zu verstehen, hat bereits vor Jahrzehnten Werner Durth (1977/1988) hingewiesen. Sie bestehen in dem, was Walter Benjamin seinerzeit als Ästhetisierung der Politik kritisiert hat, nämlich die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen (1979, 42). Aber das Paradigma des Bühnenbildes

bietet doch den Vorteil, daß es ein reiches Spektrum von Kategorien und Instrumenten zur Verfügung stellt, nach dem Atmosphären von der Seite ihrer Erzeugung her bestimmt werden können. Die Frage nach den Erzeugenden von Atmosphären erweitert die Perspektiven und Möglichkeiten der Stadtplanung beträchtlich – und hoffentlich auch ihre Verantwortlichkeit.


erzeugende

Bei den Bereichen bzw. Dimensionen der Erzeugenden von Atmosphären möchte ich mich beispielhaft auf solche konzentrieren, die in der bisherigen Literatur zur Stadtästhetik und Stadtplanung entweder zu kurz gekommen sind oder gar keinen Platz gefunden haben, nämlich auf den Bereich des Akustischen und den Bereich der Lebensformen. Natürlich enthält auch die Dimension des Visuellen, enthalten auch räumliche Strukturen und sichtbare Gestalten Erzeugende, bzw. können sie so interpretiert werden. Einem dementsprechenden Verständnis ginge es dann aber nicht darum, welche Gestalt etwa ein Gebäude hat oder welche Struktur eine Stadt, sondern was sie aufgrund dieser Eigenschaften ausstrahlen, bzw. in welcher Weise sie die Befindlichkeit der Bewohner mitbestimmen. Ansätze zu einer solchen Interpretation lassen sich durchaus auch in der klassischen Literatur finden, so etwa, wenn bei Kevin Lynch die Frage nach der Orientierung leitend ist. Ebenso spricht Cullen gelegentlich durchaus davon, was die geometrische Struktur, die er identifiziert, für the Position of our body (ebd., 9) bedeutet. Allerdings ginge es hier nicht bloß um relative Positionen, sondern darum, wie man sich in so und so strukturierten Räumen befindet.



es macht eben einen unterschie geht oder über breite esplanad ansteigende straßen charakte schaubare fluchten, ob man zw auf ein kirchlein stößt oder, au einen weiten platz vor sich fin


ed, ob man durch enge gassen den, ob für eine stadt winklige, eristisch sind oder lange überwischen hochhäusern plötzlich us einer gasse heraustretend, ndet.




r채umliche strukturen und konstellationen werden leiblich gesp체rt.



Räumliche Strukturen und Konstellationen werden eben nicht bloß gesehen und abgeschätzt, sondern auch leiblich gespürt. In dieser Hinsicht müßten existierende Untersuchungen neu interpretiert werden. Ähnliches gilt für den Bereich, der bisher ganz durch die Rede von Zeichen beherrscht ist, den Bereich, den ich die historische Tiefe einer Stadt nennen möchte. Natürlich ist es für den Gebildeten ein gesteigerter Genuß, wenn er eine Stadt entziffern kann, d.h. wenn ihm durch Stilmerkmale, Heraldik, Inschriften, verwendete Materialien die Geschichte einer Stadt durchsichtig wird. Aber solche Fähigkeiten sind beim Durchschnittsbürger immer weniger vorauszusetzen, und dem geführten Touristen verderben die historischen Informationen in der Regel die Möglichkeit, überhaupt Erfahrungen zu machen. Aber alt sein oder gewachsen sind Qualitäten einer Stadt, die sich keineswegs bloß in Zeichen manifestieren, vielmehr sind sie Anmutungsqualitäten, die gespürt werden. Es können unter Umständen dieselben Qualitäten sein, die man auch als Zeichen lesen kann, also etwa das altertümliche Material oder die altertümliche Linienführung einer Architektur, aber manchmal sind es auch ganz andere Qualitäten. So spürt man etwa die historische Tiefe der Stadt in Lübeck – oder auch Maastricht – daran, daß die Kirchen gewissermaßen eingewachsen sind, oder anders gesagt: sich wie Bäume aus dem Boden erheben.



Bekannt ist auch der desillusionierende Effekt, der sich einstellte, als man die farbigen Fenster der Kathedrale von Chartres reinigte. Umgekehrt heißt das: Es kann sein, daß man an einem historischen Zeichen, das den Schluß auf eine ferne Entstehungsepoche nahelegt, gerade nicht die historische Tiefe des Gebäudes spürt. In diesem Sinn kann originalgetreue Rekonstruktion ebenso kontraproduktiv sein wie die Beseitigung

der Efeuranken von einem alten Turm. Die Dimension der historischen Tiefe bzw. die Atmosphäre einer gewachsenen Stadt ist aber für das Heimatgefühl und das Gefühl der Geborgenheit ihrer Bewohner von größter Wichtigkeit. Der Bereich des Akustischen ist in der bisherigen Stadtplanung fast immer nur quantitativ, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Lärmbelästigung bzw. ihrer Vermeidung, behandelt worden.


Der Charakter von Geräuschen dagegen war fast nie Thema. Die große Ausnahme ist hier wieder Endell, der unter der Überschrift mit Lust der Mannigfaltigkeit der Stimmen in der Stadt nachgeht (ebd., 31 - 33). Ich möchte aber an seiner statt einen anderen Zeugen, der aus der selben Zeit und derselben Stadt, nämlich Berlin, berichtet, zu Wort kommen lassen, nämlich Victor Klemperer mit seinem .

Und zwar deshalb, weil in seinem Text so deutlich herauskommt, daß die Art und Weise, wie Geräusche in der Stadt erfahren werden, nicht nur von den Dezibel, sondern von ihrem Charakter abhängt.


ich hatte ein zimmer in der de haus war recht proletarisch fenster gingen auf den nahen sich nun das gleisnetz des an hofs, tag und nacht waren die gen wechselnden lichter, das und hornsignale des gewalt das berĂźhrte mich immer von verheiĂ&#x;ung.  (Bd. 1, 401)


ennewitzstraĂ&#x;e gefunden. das und wenig hygienisch... die n bahndamm; hier entfaltete nhalter- und potsdamer bahne bilder, die verschiedenfarbis rollen und pfeifen, die rufe tigen fernverkehrs um mich. n neuem wie eine wundervolle




Für die Erforschung der Stadt als akustischer Raum ist von seiten des weltweiten Projekts gute Vorarbeit geleistet. Hier waren es vor allem Komponisten und Toningenieure, die sich nicht nur um die Aufnahme und Komposition von Naturgeräuschen kümmerten, sondern durchaus auch um das akustische Profil von Städten. So betraf eine der Arbeiten des Gründers von , Muray Schafer, die Stadt Vancouver. Die Erforscher des unterscheiden einen akustischen Hintergrund – der sich allerdings über den Tageslauf hin verändert – und charakteristische Ton-ereignisse. Es hat sich herausgestellt, daß es nötig ist, um den Charakter einer Klanglandschaft mitzuteilen, nicht einfach nur Mitschnitte zu präsentieren, sondern Verdichtungsarbeit und vor allem Komposition zu leisten. Ein hervorragendes Beispiel für eine solche Komposition, die die akustische Atmosphäre einer Stadt wiedergibt, ist H.U.Werners und U. Tobinskys(in Ipsen, 1995).

Inzwischen haben auch die Stadtplaner




sich des Themas angenommen. So hat Pascal Amphoux erforscht. Sein besonderer Gesichtspunkt war dabei von der Hypothese bestimmt, daß die Klangatmosphäre von Städten von der Nationalkultur und den unterschiedlichen Lebensformen abhinge. Deshalb hat er am Beispiel der Schweiz die Klangatmosphäre von Lausanne für den französischen Bereich, von Locarno für den italienischen Bereich und von Zürich für den deutschen Bereich erforscht. Inzwischen zeigen Studien der Darmstädter Stadtplanerin Barbara Boczek, daß man sogar Unterschiede in der Klangatmosphäre der Fußgängerzonen deutscher Städte feststellen kann. Die Frage nach den Klangatmosphären verweist schon auf die weitere angekündigte Dimension, nämlich die der Lebensformen – verstanden als Erzeugende von städtischen Atmosphären. Es macht einen Unterschied, ob es in einer Stadt üblich ist zu hupen oder nicht, welche Art von Fahrzeugen man fährt, ob aus offenen Fenstern Radiomusik zu hören ist, ob die Waren ausgerufen werden oder aus den Boutiquen Musik ertönt. Aber das ist nur ein Ausschnitt: Die Bewohner einer Stadt sind durch ihre Lebens-formen auch immer Produzenten ihrer Atmosphäre. Dafür wiederum ein literarisches Zeugnis, ebenfalls aus dem von Victor Klemperer:


überhaupt blieb ich mir trotz tagesstunden wie in einen lee ser atmosphäre ständig bew fröhliche getümmel beim mit kleinen restaurants, wo auf zwischen den füßen der gäste dicke katze unbekümmert her gentlich eine maus fing und der kaffeeschank, an dessen fuhrleute in blusen stehen sa zen stil und der langen schnur ja es schien, als wachse mit de und mit der zeitverknappung das pariser leben.  (Bd. 2, 52)


der arbeit, die mich für viele eren raum kapselte, der pariwußt. dafür sorgte schon das ttag- und abendessen in den dem sandbestreuten boden e und kellner mindestens eine rumspazierte, auch wohl gelein aller ruhe verzehrte, dazu n theke man manchmal noch ah, die peitsche mit dem kurr über die schulter geworfen. er intensität des arbeitseifers meine aufnahmefähigkeit für




Diesen Text habe ich natürlich auch ausgewählt, weil er zugleich ein Zeugnis der frühen Verwendung des Ausdrucks Atmosphäre für den Totaleindruck ist, der als charakteristisch für eine Stadt, hier Paris, empfunden wird. Klemperer verdichtet und bindet hier diesen Eindruck an eine bestimmte Szene, nämlich die der kleinen Pariser Restaurants und Kaffeebars. Er bezieht sich dabei auf bestimmte Ingredienzien, wie den Streusand auf dem Boden; er verweist auf die Nonchalance des Betriebs, die sich etwa im Zulassen der Katze manifestiert; er zeichnet das flüchtige Verweilen und die – damals noch erkennbare – Anwesenheit von Berufs- und Menschentypen. Dem wäre sicher aus den Romanen Zolas und Prousts wie Döblins einiges hinzuzufügen und ebenso aus Walter Benjamins unvollendeter Arbeit über die Pariser Passagen. Für die Atmosphären, die durch bestimmte Lebensformen erzeugt werden, gilt im besonderen Maß die Regel, daß man sie spüren muß, um sie wirklich kennenzulernen: Man muß sich gewissermaßen ein Stück weit selbst auf sie einlassen. Deshalb hat für ihre Mitteilung der Film eine gewisse Priorität. Tatsächlich bedient sich der Film städtischer Atmosphären häufig gerade, aber eben auch nur, um eine gewisse Atmosphäre für ein dramatisches Geschehen entstehen zu lassen. Nur selten, wie etwa in Filmen von Wim Wenders, ist die Atmosphäre einer Stadt selbst Thema, so die Atmosphäre von Berlin, Tokio oder Lissabon (Tokyo-Ga 1984/85, Der Himmel über Berlin 1987, In weiter Ferne, so nah! 1993, Lissabon Story 1994).




Lebensformen kann man in ihrem Beitrag zur Entstehung städtischer Atmosphären studieren, aber sie sind kein Gegenstand der Planung. Wohl aber kann man darüber nachdenken, durch welche städtebauliche Maßnahmen bestimmte Lebensformen ermöglicht oder auch verhindert werden. Damit ergibt sich eine Anknüpfung an die kritischen Arbeiten von Psychologen und Soziologen zum Thema moderne Stadt.





auf atmosphären muß man sich einlassen.



schluß Der Begriff der Postmoderne stammt aus der Architekturtheorie. Er signalisiert, daß in der Architekturentrwicklung etwas zu Ende gekommen ist, nämlich die Moderne, die für die Architektur im besonderen die Herrschaft des Funktionalismus bedeutete. Für die Stadtplanung hieß das nach der Charta von Athen Trennung der Grundfunktionen der Stadt, nämlich Wohnen, Erholung, Verkehr und Arbeit. Das lief faktisch auf die Verödung der Innenstädte, die Intensivierung des Nahverkehrs, die Entwicklung von Trabantenstädten und die Entgrenzung der Stadt hinaus. Das Scheitern dieses Konzepts ist den Architekten und Stadtplanern von außen bescheinigt worden, d.h. durch Psychologen und Soziologen. Aber von dieser Seite konnte im grunde nichts Neues kommen, allenfalls Vorschläge für kompensatorische Maßnahmen, um nämlich die psychischen und gesellschaftlichen Schäden moderner Städteplanung abzupuffern. Denn für Psychologen und Soziologen steht eben nur der subjektive Faktor zur Disposition. Die Frage ist aber für Architekten und Städteplaner, durch welche Maßnahmen am Objekt sie Städte so verändern bzw. entwickeln können, daß die von den Soziologen und Psychologen beklagten psychischen und sozialen Schäden nicht auftreten, bzw. das Leben in den Städten überhaupt lebbar oder gar attraktiv wird.


Immerhin sind im Diskurs der Architekten und Stadtplaner mit ihren Kritikern die notwendigen Stichworte und Zielvorstellungen benannt worden: Urbanität, Wohnumfeld, Identifizierungsmöglichkeiten, Stadtimage, Inszenierung der Alltagswelt oder, allgemeiner und entsprechend vager, Ästhetik. Wirklich neue integrative Ansätze sind aber der Architektur und Stadtplanung hieraus noch nicht erwachsen. Der Vorschlag von Wolfgang Welsch (1991), das Wesen der Postmoderne als Pluralität zu fassen, erfüllt sie auch noch nicht mit einem Inhalt, weil sie darin eben nicht als radikale Revision der Moderne gefaßt wird. Die Postmoderne wird eben nur als Fortsetzung der Moderne verstanden, wenngleich mit anderen Mitteln und auf anderem Niveau. Doch man behält die klassischen Dichotomien bei – Subjekt und Objekt, Kultur und Natur, Rationalität und Gefühl – und beläßt entsprechend bei den bisherigen Verdrängungen.




die atmosph채re einer stadt ist die subjektive erfahrung der stadtwirklichkeit, die die menschen in der stadt miteinander teilen.




Hier könnte der Begriff Atmosphäre zumindest und zunächst wenigstens die Wahrnehmung verändern. Er richtet die Aufmerksamkeit auf die Beziehung von Umgebungsqualitäten und Befindlichkeiten (Böhme, 1993). Die Atmosphäre einer Stadt ist die subjektive Erfahrung der Stadtwirklichkeit, die die Menschen in der Stadt miteinander teilen. Sie erfahren sie als etwas Objektives, als eine Qualität der Stadt. Und in der Tat kann man durch die Analyse der Erzeugenden von Atmosphären von der Seite des Objekts her, d.h. durch die Stadtplanung,die Bedingungen schaffen, aufgrund derer sich Atmosphären eines bestimmten Charakters entfalten können. Die Dimensionen und die Handlungsmöglichkeiten der Stadtplanung werden dadurch erweitert. Aber notwendig auch ihre Haltung, denn im Bereich der Atmosphären heißt Handeln nicht immer bloß machen, sondern auch zulassen.



























lichtblick stadt anmutungen: über das atmosphärische Studienarbeit Fachhochschule Düsseldorf Betreung Stv. Prof. Irmgard Sonnen Text Gernot Böhme Konzept, Gestaltung und Fotografie Polina Pysmenna Druck Alpha Print, Düsseldorf Bindung Buchbinderei Mergemeier, Düsseldorf Schrift Avenir Roman, Avenir Oblique, Avenir Black © Düsseldorf 2010



Atmosphären sind nicht zu vernachlässigende Bestandteile einer Stadtwirklichkeit. Sie sind alltäglich und doch oft übersehen. Sie prägen unser Befinden und geben einer Stadt Charakter. Dieses Buch verbindet einen Text des Philosophen Gernot Böhme über die Atmosphäre einer Stadt mit einem fotografischen Spaziergang durch Düsseldorf.


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