reuse.it ist das Konzept einer Website/Webapp zur digitalen Erfassung, Sortierung und Verwaltung von verwertbaren Restmaterialien.
Bachelor Projektmodul „Interface Design 1 Methoden und Experimente im Interface Design I“ Dokumentation der Konzept- und Designphase Philipp Wartenberg Bauhaus-Universität Weimar, Professur Interface Design, Prof. Jens Geelhaar
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Kurzbeschreibung des Projektes in Hashtags
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Müllhaufen oder temporäres Materiallager?
Motivation Ich werde in dieser Dokumentation versuchen den Begriff „Sperrmüll“ zu vermeiden. Nicht weil der Begriff für mich persönlich negativ besetzt ist. Für mich ist das Wort ein Schlüsselwort, dass mich an meine Kindheit und Jugendzeit erinnert. Der regelmäßige Termin, an dem die Bewohner der Stadt ihre für sie wertlos gewordenen Objekte: Elektrogeräte, Möbel, Dekoration und anderen Kleinkram auf die Straße stellten, kam einer Aufforderung gleich durch die Straßen zu ziehen. Die Schatzsuche auf den Inseln aus Müll war jedes Jahr erfolgreich. Mein erstes CD-Regal baute ich aus zusammengewürfelten Fundstücken auf. Meine Musikanalage erweiterte ich stetig um weitere Lautsprecher, die ich vor der Zerstörung retten konnte und selbst Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke ließen sich sehr gut aus gefundenen Einzelteilen zusammen-
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bauen. Später wurde die Suche nach Materialien immer spezifischer und genauer. Material für Installationen, elektronische Bauteile und Bauteile für die Möbel der studentischen Wohnung standen auf der Wunsch-
Sperrmüll verwertbare Restmaterialien
liste. Irgendwann verschwanden die Sperrmüllberge aus dem Bild der Stadt Weimar und damit hatten die Schatzsuchen ihr Ende. Diese direkte Möglichkeit kostenloses Material zu sammeln und ihm eine neue Funktion und Form zu geben verlor sich damit.
Die Rezeption des Wortes „Müll“ hat sich im Diskurs um Nachhaltigkeit und Ressourcenverfügbarkeit geändert. Müll wird zunehmend als Endprodukt eines bestimmten Umwandlungsprozesses aufgefasst. Als Restmaterial, als zurückbleibende Form, als Behältnis, dass obsolet wurde, weil der Inhalt verbraucht ist, als selbst obsolet gewordenes Objekt, weil es seine ursprüngliche Funktion durch Alterung, Verschleiß und den damit verbundenen funktionalen Einschränkungen nicht mehr erfüllen kann. Was übrig bleibt, ist ein erschließbares materielles Potenzial, dass durch Energieaufwand nutzbar gemacht werden kann und im Hinblick auf die globalen Probleme, die unsere auf Wachstum und steigenden Konsum ausgerichtete Wirtschaftsordnung mit sich bringt, sogar verfügbar gemacht werden muss.
Ergebnis z.B. Blumentopf
Umwandlung der Form und Funktion durch bewusste und kreative Aufwertung
Restmaterial z.B. PET-Flasche
Restmaterial z.B. PET-Flasche
Zerstörung der Form durch Energieaufwand z.B. durch zusammendrücken, zermahlen und schmelzen
Ergebnis z.B. universell formbares Plastikgranulat
Beim Upcycling behält das verwertbare Restmaterial seine Form in großen Teilen. Das Restmaterial wird unter vergleichsweise niedrigem Energieaufwand in einen neuen Funktionskontext eingebunden.
Downcycling beschreibt Kreislaufwirtschaften, bei denen Restmaterialien in kleinste Teile zerlegt werden. Das Material wird häufig in neuen Verbundmaterialien als Sekundärrohstoff weiterer Nutzung zugeführt.
-> privat, in kleinem Umfang, experimentell
-> industriell, in großem Maßstab, wirtschaftlich Upcycling und Downcycling
Recycling und Design Der Begriff Recycling ist laut Kreislaufwirtschaftsgesetz als „jedes Verwertungsverfahren, durch das Abfälle zu Erzeugnissen, Materialien oder Stoffen entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden.“ definiert. Verwertungsverfahren sind vielfältig und ihre Konzepte sind stark vom zu verwertenden Material und dem angestrebten Ergebnis abhängig. Verwertung zu Sekundärrohstoffen kann allgemein als Downcycling bezeichnet werden. Downcycling, da das Material nicht mehr die ursprüngliche Qualität oder Verarbeitbarkeit erreicht wie das Material bei der Primärherstellung mit sich bringt. Somit findet tendenziell eine Abwertung des Materials statt. Im Gegensatz dazu werden Verwertungsprinzipien, bei denen eine wie auch immer geartete Aufwertung des Materials erfolgt als Upcycling bezeichnet.
Da Verwertungsverfahren, ihre Abläufe, der Energieaufwand und damit ihre ökologische Bilanz und Effizienz vom zu verwertenden Restmaterial abhängig sind, ist es sinnvoll schon bei Konzeption, Design und Produktion von Produkten und Dienstleistungen vorraussichtlich verbleibende Restmaterialien in die Design- und Planungsprozesse einzubetten. Produktdesign und Verwertungsverfahren verschmelzen zu einem neuen Forschungsfeld und bedingen sich gegenseitig. Das optimale Modell der Verzahnung von Produktdesign und Wiederverwertung wird als „cradle-to-cradle“–Design bezechnet (Von der Wiege zur Wiege.“). Innerhalb dieses Kreislaufes entstehen im Idealfall keine oder nur Reststoffe, die organisch abbaubar sind.
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Beispiele für experimentelles Upcycling
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Küche aus gebrauchten Dachlatten und Skateboardteilen (Göttingen) Balkonlampe aus einer kaputten Holzkiste (Weimar) Möbel, Beete und Spielplatz aus Euro-Paletten, u.A. (Berlin) Tischfackel aus einer defekten Glühlampe und einem Schlüsselring
Fokus Upcycling Das Konzept von reuse.it fokussiert Verwertungsverfahren nach dem Up cycling Prinzip. Neben dem Bestre ben Reststoffe einer Verwertung zuzuführen und somit materieller Verschwendung entgegen zu wirken, erfüllen Upcycling-Verfahren Bedürfnisse nach Individualität und Selbstverwirklichung und sind eine Spielwiese für kreative Potenziale. Die Ergebnisse der Verwertung sind im privaten Bereich häufig Unikate, die von den vorgefundenen verwertbaren Restmaterialien inspiriert sind. Form und Materialart beeinflussen das entstehende Produkt in Funktion und
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Design. Upcycling-Designer arbeiten im Ansatz experimentell. Bewähren sich Verwertungskonzepte, entstehen Produktionsserien, wie zum Beispiel bei der Umnutzung alter Euro-Paletten zu den unterschiedlichsten Möbeln. Auch die Firma Freitag betreibt erfolgreich Upcycling und ist bekannt für ihre Taschen aus entsorgten LKW-Planen. Der Ansatz ein für den ursprünglichen Einsatz nicht mehr geeignetes Material zu verwenden und Produkte in Abhängigkeit zu der Verfügbarkeit dieses Materials zu konzipieren, wurde zum Geschäftsmodell. Die Firma hat heute feste Zulie-
ferer ausgedienter LKW-Planen und Sicherheitsgurte und arbeitet ökonomisch gewinnbringend mit einer positiven ökologischen Bilanz.
Möbel aus recycelten Euro-Paletten werden in Serie hergestellt
Als Upcycling-Designer habe ich Erfahrungen Ăźber die Beschaffenheit von verschiedenen Materialien und seine Eignung zur Verarbeitung gesammelt. Diese Erfahrungen lasse ich in den Prozess der Interfacegestaltung von Anfang an einflieĂ&#x;en.
eigene UpcyclingProjekte
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Mockup der Startseite
Interface Um eine einfach verständliche visuelle Sprache einzuführen wird die gesamte App und Website als „Virtueller Sperrmüllhaufen“ verstanden und bebildert. Die Startseite leitet dieses Bild ein. Ähnlich wie bei dem Suchen auf einem Sperrmüllhaufen, gliedert sich das Interface in visuell einfach erfassbare Hauptkategorien:
Standort
Material Form
Das Material bestimmt die Textur des Objektes, seine Verwendbarkeit (bezogen auf Festigkeit, Verarbeitungsmöglichkeiten, etc.) und auch die Mobilität des Objektes (Gewicht). Der Standort beschreibt vorallem die Erreichbarkeit des Objektes (Wie aufwendig ist der Transport?). Die Form beschreibt die Verwendbarkeit des Objektes, den Transportaufwand und trifft Aussagen darüber, wie universell nutzbar das Objekt ist, ohne Energieaufwand für eine Umwandlung der Form aufzuwenden.
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Material Materialien sollen in diesem Kontext zunächst möglichst simpel unterschieden werden. In Erfahrungen im Upcycling-Design und in Befragungen ergaben sich diese Materialkategorien, die am häufigsten gesucht oder vorgefunden werden:
Holz, holzartig sind Reststoffe, deren oberflächliche Erscheinung auf Holz als Rohstoff schließen lässt
Stein, steinartig sind Reststoffe, deren oberflächliche Erscheinung auf Stein als Rohstoff schließen lässt
Metall, metallartig sind Reststoffe, deren oberflächliche Erscheinung auf Metalle als Rohstoff schließen lässt
Kunststoff, kunststoffartig sind Reststoffe, deren oberflächliche Erscheinung auf Plastik als Rohstoff schließen lässt
Textil, textilartig sind Reststoffe, deren oberflächliche Erscheinung auf Textilfasern als Rohstoff schließen lässt
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Form Auch die Formen von Objekten sollen zunächst möglichst simpel unterschieden werden. Die Formen und ihre vektrografischen Darstellungen werden im Laufe der Zeit parallel zur Weiterentwicklung der Anwendung entsprechend erweitert und detailierter ausgeführt. In Erfahrungen im Upcycling-Design und in Befragungen ergaben sich diese Grundformen, die am häufigsten gesucht oder vorgefunden werden:
Würfel, würfelartig sind z.B. Kisten, Kartons, Koffer, Schubfächer, aber auch massive Würfel
Quader, flach, langgestreckt brettförmig, flächig
Quader, langgestreckt leistenförmig, balkenförmig, lattenförmig
Kugel, kugelförmig treten häufig in Kombination mit anderen Formen auf, sind z.B. Türgriffe
Zylinder, zylinderförmig sehr häufig Gefäße, aber auch Tischbeine, Standfüße, etc.
Rollen, rollenförmig z.B. Rohre, Hohlrollen, häufig Transporträger für textile Materialien
Gewebe, gewebeartig die meisten textilen Materialien, aber auch Netze, etc.
Gitter, gitterartig ähnlich wie Gewebe, häufig aus Metall oder Kunststoff
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Aus der Kombination von Material- und Formzuordnung ergeben sich dann Interfaceelemente, die es auf einen Blick einfacher machen das Objekt zu beschreiben. Beispiele defĂźr sind:
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Standort Der Standort des Objektes wird vom Nutzer entweder über eine Markierung auf einer Karte oder automatisiert (App) durch Freigabe der GPS-Koordinaten des mobilen Endgerätes veröffentlicht. Ein Typischer Pin-Marker zeigt die Position des Objektes auf einer Karte.
Mockup der Seite „Übersichtskarte“
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Mockup der Seite „Abstellen“
Das Objekt wird durch den Anwender auf der Seite „Abstellen“ in dieser Art und Weise beschrieben. Zusätzliche Angaben sind:
Name (Schlüsselwörter) Abmessungen (x,y,z) Beschreibung (Kurzbeschreibung) Foto In der Beschreibung können detailliertere Angaben zum Material gemacht werden oder generell Beschreibungen vorgenommen werden, die das grafische Interface nicht abdeckt.
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Mockup der Seite „Finden“
Auf der Seite „Finden“ können Benutzer die Suchmaske bedienen und entweder sehr detailliert nach Objekten mit spezifschen Eigenschaften oder Schlüsselwörtern suchen. Die Suchmaske kann über folgende Parameter engmaschiger oder weitmaschiger gestaltet werden:
Tags
(Schlüsselwörter aus Objektnamen und Beschreibung)
Abmessungen (x,y,z) Material Form Standort Eine „freie Suche“ ist über die Übersichtskarte möglich. Dort kann der Benutzer ohne Einschränkungen nach verfügbaren Objekten Ausschau halten und Ergebnisse auf der Karte geordnet nach Material und Form anzeigen lassen.
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Benutzer Die Benutzergruppen der Anwendung sind vielfältig. Im Fokus stehen Menschen, die Restmaterialien nicht einfach so „aus der Hand“ geben wollen, z.B. weil sie eine persönliche Beziehung zu den Objekten aufgebaut haben oder einen ästhetischen Wert in dem Objekt sehen, aber keine Zeit oder Möglichkeit haben das Objekt aufzuarbeiten. Auch Menschen mit ausgeprägtem ökologischem Bewusstsein sind potenzielle Nutzer der Anwendung. Das ist die Nutzergruppe, die tendenziell eher etwas auf den virtuellen Sperrmüllhaufen abstellen. Auf der anderen Seite stehen die Nutzer, die mit den Objekten arbeiten wollen. Das sind z.B.: Upcycling-Designer, Menschen mit schwachem finanziellem Hintergrund, Bastler, DIY-Enthusiasten und Künstler. Diese Benutzergruppe bedient häufiger und fortgeschrittener die Suchoptionen der Anwendung oder will sich von verfügbaren Materialien und Formen inspirieren lassen. Die folgenden Aussagen stammen aus Gesprächen mit realen Personen über das Konzept von reuse.it:
Simone
72 Jahre, ländlicher Raum, Rentnerin
„Als mein Mann im vergangenen Jahr verstorben ist, wusste ich nicht wohin mit den ganzen Möbeln, die mein Mann [Tischlermeister] angefangen hat. Ich wäre froh, wenn ich sie in gute Hände geben könnte. Auch das ganze Zeug, dass über die Jahre angefallen ist, war ja seins. Und da ist etliches noch gut. Wenn mir mein Enkel hilft, kann ich mir schon vorstellen die Sachen ins Internet zu stellen und dass die von Leuten, die das gebrauchen können oder was Schönes draus machen, abgeholt werden.“
Daniel
33 Jahre, urbaner Raum, Upcycling-Designer und Künstler
„Ich bin ganz stark für diese Idee. Als du mir davon erzählt hast, hab ich dir ja schon gesagt: Ich wäre wahrscheinlich dein bester Kunde. Einen Großteil meiner Zeit verbringe ich tatsächlich damit nach Materialien zu suchen um meine Installationen zu bauen. Selbst hier in Berlin.“
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Nessa
29 Jahre, ländlicher Raum, Umweltaktivistin
„Umweltschutz ist glaube ich eine Sache, die nicht in ganz großen Programmen oder staatlichen Verodnungen wirklich umgesetzt wird. [...] Weißt du, was ich gut finde an deinem Projekt? - Dass du versuchst die Leute einzubeziehen und es ihnen so leicht wie möglich machen willst in kleinen, nachvollziehbaren Schritten ein wenig die Situation zu verbessern. Ich persönlich würde die App auf jeden Fall nutzen. [...] Als Anwenderin, die sucht und auch ihre überflüssige Habe zur Verfügung stellt. Klar ist für jemanden wie mich Mülltrennung absolute Gewissensfrage und ich finde es gut, dass du es noch auf die Spitze treibst. [lachend]“
Stefan
53 Jahre, urbaner Raum, mittelständiger Industriekaufmann
„Ich denke in ein paar Jahren werden wir alle darauf angewiesen sein, dass wir die Ressourcenwirtschaft noch stärker dezidieren. Auch die Industrie verändert sich ja mit den globalen Herausforderungen. Ich sehe persönliche momentan noch keinen klaren ökonomischen Nutzen für mein Unternehmen in der Anwendung, aber ich kann mir vorstellen, dass dein Projekt Diskurse anregt, die später irgendwann auch bei uns auf dem Schreibtisch landen. [...] Als Privatperson: Klar, warum nicht?“
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Ausblick Um die Anwendung zu realisieren werde ich versuchen ein Team aufzustellen. Ein(e) Programmierer(in) muss die Implementierung der Ideen umsetzen. Ein(e) weiterer Grafikdesigner(in) muss mich bei der Gestaltung unterstützen und ein(e) Projektmanager(in) die Finanzierung der Umsetzung klären. Zur Finanzierung in Frage kommen: Crowdfunding, Microfinancing und die Beantragung von Fördermitteln. Ich hoffe das Projekt in den nächsten Jahren umsetzen zu können. Vielen Dank für ihre Unterstützung!
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