Maschinenliebe Sonderausgabe Game On Stage

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Sonderausgabe/ 2014

machina eX || FFT Düsseldorf || Kulturstiftung des Bundes

GAME ON STAGE.

#spEcial gefördert von:


Editorial Liebe Leser*innen,

machina eX und das FFT Düsseldorf tauften ihr gemeinsames Projekt Game ON Stage. 2012 fiel der Startschuss für ein Adventure, das weit mehr war als ein auf die Theaterbühne übertragenes Computerspiel. Als wir den „ON“-Button drückten, konnten wir noch nicht ahnen, in welch vielfältigen Formen die Beschäftigung mit Gaming im Theater sich von der Bühne aus durch das ganze Haus und hinaus in die Stadt ausbreiten würde: Von neuen Arten der kollektiven Wissensproduktion beim Bar-Camp, über ein virales Netzwerk aus lokalen Hackern und Bastlern jeden Alters beim SpielZeug-Festival und dem Workshop „Hack your School“ bis hin zu drängenden Fragen nach der Verantwortung für das eigene Handeln nicht nur im Theater, die durch die Open World der Abschlussproduktion „Right of Passage“ im März 2014 angestoßen wurden... Diese Sonderausgabe der „Maschinenliebe“ wird kaum in der Lage sein, alles abzubilden, was die zweijährige Zusammenarbeit zwischen FFT und machina eX hervorgebracht hat. Betrachtet sie als erweiterbare und vernetzte Chronik, die Eindrücke und Ideen aus zwei Jahren festhält! Sie folgt der Logik des Projekts: Level für Level könnt ihr euch durch die Recherchen und Tasks klicken und zum Beispiel mit dem Game-Designer und Game ON Stage-Mentor Martin Ganteföhr in Erinnerungen an „15.000 Gray“ schwelgen oder mit GarageLab-Vorstand Axel Ganz über Leib und Seele eines FabLabs sinnieren. Aus Gesprächen zwischen dem FFT-Team und machina eX erfahrt ihr, wovon die Köpfe hinter machina eX heimlich träumen. Die Schauspieler, die in „Right of Passage“ mitwirken, erzählen, was für sie den Unterschied ausmacht zwischen einem Theater-Game und einer Vorstellung, bei der die Vierte Wand intakt bleibt. Schließlich könnt ihr mit dem Theaterwissenschaftler Robin Junicke und dem Kritiker Christian Rakow einen Schritt zurück treten und darüber philosophieren, welche Potenziale in interaktiven Formaten für Theater und Gesellschaft stecken.

Manche der verwendeten Texte und Bilder sind direkt verbunden mit gameonstage.blogspot.de, dem Blog zum Projekt. Links im Heft führen zu mehr Videos, Tutorials, Fotos und so weiter. Hier könnt ihr auch eure Kommentare zu dieser Ausgabe hinterlassen und so mit uns Game ON Stage weiterführen. Wir bedanken uns bei allen Mitspieler*innen für zwei tolle Jahre und wünschen viel Spaß beim Schmökern! machina eX & FFT Düsseldorf

IMPRESSUM/ COPYRIGHT

Herausgeber: FFT Düsseldorf Künstlerische Leitung, Geschäftsführung: Kathrin Tiedemann Redaktion: Katja Grawinkel Mitarbeit Lektorat: Sina Ebert Grafik: Philip Steimel Fotos: S.19,5 oben, unten: (c) Paula Reissig S.12,17, 15 unten, 5 mittig: (ccnc) Robin Junicke S. 58,61: (c) Bande - für Gestaltung! S. 55,62,64,65: (c) Sarah Hüttenberend S.8,48,50,52,56,66: (ccnc) Mathias Prinz S.4,6,22,24,26,34,35: (ccnc) Philip Steimel

Game ON Stage wird gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes

Das FFT wird gefördert durch die Landeshauptstadt Düsseldorf und das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NordrheinWestfalen.

INHALT LEVEL ZERO: »EIN HAUS ZUM SPIELEN« LEVEL ONE: »UNTER SPRACHMASCHINEN« MARTIN GANTEFÖHR LEVEL TWO: »DANCE« LEVEL THREE: »FABLAB BIOSPHÄRE« AXEL GANZ

»WIR SIND NICHT NIKOLA TESLA« MACHINA EX: PHILIP STEIMEL

LEVEL FOUR: »IM BILDE - ERSTE AUSBLICKE AUF LEVEL 5« MACHINA EX: ANNA FRIES UND LAURA NAUMANN LEVEL FIVE: »SCHAUSPIELER ALS LEBENDIGE SCHNITTSTELLEN« ANTONIA TITTEL, JAN JAROSZEK, FLORIAN STAMM, KATHRIN TIEDEMANN UND KATJA GRAWINKEL METADATA: »PLAYING DEMOCRACY« CHRISTIAN RAKOW

»DAS AUSWEITEN DER SPIELZONE« ROBIN JUNICKE



EIN HAUS ZUM SPIELEN Ein Gespräch zwischen Katja Grawinkel und Lisa Zehetner (FFT) und Laura Schäffer und Philip Steimel (machina eX) Lisa: Game ON Stage wurde vom FFT und von machina eX als Forschungslabor konzipiert. Explizit ohne den Druck zu produzieren. Philip: Es waren mehrere Fragen. Deshalb haben wir uns eine Levelstruktur überlegt. Für jedes Level gab es eine Frage oder ein Thema. Laura: Der ursprüngliche Plan dabei war, dass wir einen Ort, einen Spielraum haben, wo man sich in verschiedene Richtungen ausprobieren kann und deswegen gab es die verschiedenen Levels. Zum Beispiel in Richtung Tanz, Technologie und Dramaturgie. Lisa: Und das sollte sich alles zusammenfügen. Philip: Genau. Und diese Zusammenfügung ist das, was über die zwei Jahre hinaus reicht. Laura: Nicht alles, was wir in den Levels 1 bis 4 gemacht haben, ist in Level 5 zusammengelaufen. Aber wir merken gerade, dass wir auch für andere Projekte aus diesen Erfahrungen schöpfen. Philip: Level 3 hat zum Beispiel sehr viel für uns gebracht. Das war unser Technik-Level, in dem wir mehrere Wochen unser Bastellabor im GarageLab in Düsseldorf eingerichtet haben. Da ist extrem viel herausgekommen und es hat sich diese Ansteckung entwickelt. Man hat anderen Leuten in Workshops etwas gezeigt und wir haben etwas gezeigt bekommen und wir hatten sehr viel Zeit und Raum, Sachen auszuprobieren. Wir haben diesen Soundschlucker gebaut, der jetzt in einer neuen Produktion zum Einsatz kommt, aber auch dieses GSM-Ding, das Lasse gebaut hat. Und natürlich die vielen Kontakte zum GarageLab und zu den Fabbern, zur Dingfabrik in Köln, dem Chaosdorf... Auch die Tanzphase, Level 2 mit Jochen Roller, hat in sich sehr gut funktioniert, als ein Raum, in dem man mal Sachen ausprobiert hat, die man in der Form sonst niemals ausprobiert hätte. Das gleiche gilt für unsere Abschlussproduktion, das letzte Level. An das Thema, das wir uns zur Aufgabe gestellt haben, hätten wir uns sonst nie in der Form herangewagt. Lisa: Gab es auch Dinge, die nicht so gut funktioniert haben? Philip: Dass wir uns intern als Kollektiv gegenseitig ausbilden, ist in viel zu klei-


Foto (c) Paula Reissig

Foto (c) Paula Reissig

Foto (cc) Robin Junicke

nen Teilen wahr geworden. Laura: Ursprünglich wollten wir bei allen Levels alles zusammen machen, damit wir zum Beispiel beim Technologielevel 3 alle mal sehen, was eigentlich die Technik so macht. Oder beim Tanz, dass alle daran teilnehmen, einfach um auf einen gemeinsamen Stand zu kommen. Das hat sich nicht so eingelöst. Aufgrund von Zeitmangel und internen Schwierigkeiten war dieses „Crossinteresse“ nicht so vorhanden. Laura: In Level 4, in dem wir inhaltlich und dramaturgisch gearbeitet haben, fand ich die Quantität toll,


MASCHINENLIEBE die Gespräche mit den Experten Ulrike Spierling und Martin Gantföhr. Da hatten wir aber zu wenig Zeit. Es waren nur zwei Tage pro Experte. Wir haben gemerkt, dass wir eine sehr eigene Arbeitsstruktur haben, und zum Beispiel mit Martin Ganteföhr hat es einen ganzen Tag gedauert, bis wir uns auf einem Level verstehen konnten. Lisa: Ist das nicht auch eine Frage der Zwänge, in die man sich hineinbewegt, und der Bedingungen, mit denen man arbeiten muss? Für uns am FFT war das auch etwas ganz Neues. Man merkt erst in so einer Forschungsphase, für die man sich von allem anderen frei schaufelt, wie schwierig das ist. Katja: Ist im Angesicht dieser Bedingungen das Theater überhaupt der Raum, in dem ihr euch in Zukunft seht? Philip: Die Frage ist sehr gut, aber superschwierig zu beantworten. Was soll Theater sein? Meint man jetzt das FFT, das HAU in Berlin oder das Düsseldorfer Schauspielhaus? Das sind alles Theater und die sind alle grundverschieden. Laura: Ich glaub, es gibt einen wahnsinnig guten Grund, warum wir im Theater arbeiten. Zu der Struktur, die das Theater bieten kann, gibt es keine vergleichbare Institution. Philip: Das Theater als Ort hat generell die höchste Flexibilität von allen Veranstaltungsorten. Genau das macht es aus. Lisa: Dann meinst du Theater als Produktionshaus. Aber macht ihr eure Arbeit, weil ihr Theater machen wollt, weil ihr explizit Interesse daran habt, euch mit dem Theaterpublikum auseinander zu setzen und mit ihm einen Dialog über Theater zu führen? Oder macht ihr es um des Spielens und Forschens und Her-


ausfindens willen? Dann braucht es vielleicht das Theater als Ort nicht, sondern das Theater verleiht dem ganzen nur seinen Stempel und damit einen kulturellen Wert. Laura: Du hast Recht. Zwischen Spielen, einen Spielraum entdecken, tolle Spiele machen und diesem Kunstanspruch schwanken wir immer hin und her. Und das Pendel schlägt mal in die eine, mal in die andere Richtung aus. Wir haben ja auch in anderen Institutionen gespielt, im Medienkunstverein in Dortmund und anderen Stätten der bildenden Kunst. Katja: Es gibt doch zum Beispiel auch Räume, wo man in einem kommerziellen Rahmen Spiele spielen kann, die jemand für einen vorkonzipiert hat und man zahlt dann 100€ und dann hat man da einen halben Tag lang Spaß. Könntet ihr euch vorstellen, in zehn Jahren einen Adventurepark zu betreiben? Laura: Ich glaube ehrlich gesagt, dass wir das früher oder später, irgendwann machen werden. Wenn ich mir solche Räume anschaue, denke ich immer: „Wir können das zehn mal besser!“ Gerade wegen der Erfahrung, die wir im Theater gemacht haben. In meinem Kopf sind das zwei verschiedene Sachen. Philip: Es ist auch eine Frage der Förderlogik. Theater ist der Bereich, in dem man im deutschsprachigen Raum am ehesten Geld dafür kriegt, Sachen zu produzieren, die vielleicht geil sind, vielleicht aber auch nicht und nicht sofort auf Prinzipien der Wirtschaftlichkeit aufbauen muss. Ich glaube, das, was wir machen, kann auch so designt werden, dass es eine Wirtschaftlichkeit mit sich bringt, aber man müsste es schon auch umbauen dafür. Es wäre auch mein Wunsch, dass wir das probieren. Wir reden schon seit der Gründung von machina eX davon, dass wir unser eigenes Haus brauchen, am besten noch mit Ausbildungsstätte. Katja: Wie sähe dieses Haus aus? Laura: Na am liebsten hätten wir ein Veranstaltungshaus und da kommen wir wieder zurück zur Levelstruktur. Wir bräuchten einen Ort, den man in mehrere Levels einteilt. Dann könnte man mit immer demselben Publikum verschiedene Spiele beziehungsweise verschiedene Levels durchspielen. Und dann haben wir ja noch ein relativ hohes Workshop-Angebot und arbeiten mit vielen verschiedenen Zielgruppen. Ideal wäre, wenn man in diesem Haus nicht nur die Veranstaltung hätte, sondern auch „Education“–Räume. Katja: Das klingt so, als würdet ihr euch dafür interessieren, euch intensiver mit dem jungen Publikum zu befassen? Lisa: Da muss man sich zunächst mal fragen, ob dieses Point’n’Click-Prinzip, in dem eure ersten Spiele aufgebaut sind, bei den ganz jungen Spielern überhaupt präsent ist? Kennen die das Prinzip noch? Philip: Ob Gaming noch so jung ist, ist halt auch noch die Frage. Wir treffen manchmal Jugendliche, die behaupten, sie zocken nicht, weil sie nur noch auf dem Handy zocken, also nicht mehr wie wir an Konsole oder PC. Laura: Wir planen konkret zwei Projekte, in denen wir wieder neue Experimente wagen. Eins, was aus dem Theaterraum rausgeht in den öffentlichen Raum, und eins für Kinder. Ich glaube, dass es da unendlich viele Möglichkeiten gibt, Spiel und Theater zu kombinieren. Lisa: Ich komme noch mal zurück zu eurem Traumhaus voller Spiele und Interaktivität. Ich frage mich: Was geschieht dann mit dem Theatralen? Laura: Für mich ist die Kopräsenz das Wichtige daran und das ist für mich ein eindeutiges Zeichen für Theater.

MASCHINENLIEBE


MASCHINENLIEBE Das Allerwichtigste an machina eX sind nicht die Spielprinzipien und die Charaktere, sondern welche Gruppendynamiken das bei den Zuschauern auslöst. Wenn wir an den Spielprinzipien schrauben, dann schrauben wir an der Spielführung und damit an der Konstellation, wie sich Leute miteinander auseinandersetzen müssen. Katja: Mich hat von Anfang an fasziniert, wie bei machina eX-Veranstaltungen die Kommunikation mit dem Publikum nahtlos funktioniert. Von der ersten Einführung über das Spiel und über das Ende hinaus bis zum Publikumsgespräch. Wie empfindet ihr das, was da so unter den Zuschauern und euch als Mitspielern passiert? Philip: Wir wollen etwas von unseren Spielern. Natürlich ist es im Theater auch wichtig, dass nachher im Foyer bei einem Sekt oder Bier darüber geredet wird, aber wir wollen bereits, während es läuft, was von denen. Und wir sind darauf angewiesen, dass sie auch etwas wollen, auch dass sie etwas voneinander wollen. In „15.000 Gray“ oder auch bei „Hedge Knights“ hat man das super gesehen. In diesen Formaten, wo sie voneinander abhängig werden in einer Art, dass sie sich miteinander auseinandersetzen, sich organisieren, ob sie nun wollen oder nicht. Meistens können wir glücklicherweise davon ausgehen, dass die Leute herausfinden, dass sie mehr erleben wollen und dass sie mehr kriegen, wenn sie sich organisieren. Sie müssen ihre Konflikte austragen, bevor sie weiter spielen können und finden dann ihre eigene Spieldynamik. Lisa: Beim Barcamp zu Beginn von Game ON Stage kam die Frage auf: Wer ist der Spieler und welche Verantwortung übernimmt er, auch in der Gruppe? Das hat sich von „15.000 Gray“ zu „Right of Passage“ total verändert. Statt in der Gruppe gehe ich alleine hinein, ich habe ein Spielziel und es entsteht auch schon mal Missgunst den anderen gegenüber. Vorher war es einfach dieses „Hallo, jetzt denk doch mal mit, hast du dir den Zettel jetzt in die Hosentasche gesteckt? Den brauchen wir noch!“ So entstand eine Mitverantwortung, das Rätsel zu lösen. Und jetzt hat man auch die Tendenz erlebt, dass man denkt: „Okay, ich versuche mich mit den anderen auszutauschen und merke, die können genau so wenig wie ich!“ Um mein Ziel zu erreichen, muss ich zum Teil auch eine egozentrische Spielweise an den Tag legen. Katja: Aber es gibt auf der anderen Seite auch Momente von Kooperation und Hilfestellung. Lisa: Ich finde, dass sich die gesamte Frage danach, wie mit dem Publikum umgegangen wird, total verändert hat. Laura: Es ist komplexer geworden. In Level 4 hatten wir uns die Aufgabe der „Open World“ gestellt und uns gefragt, wie man damit umgeht. Katja: Könnt ihr noch mal kurz erklären, was die „Open World“ von den „Point’n’Click“-Formaten unterscheidet, an denen ihr euch in den vorherigen Spielen orientiert habt? Laura: In „Right of Passage“ haben wir es geschafft, eine neue Perspektive auf die Zuschauerführung und -dynamiken zu werfen, weil man sich ja ständig automatisch über den Begriff Verantwortung Gedanken macht. Einerseits Verantwortung für sich selber, die man vorher nie hatte und andererseits hat man ja auch Verantwortung für die Performer oder für das Spiel und man hat auch ein Stück weit Verantwortung für die anderen.


Eine Freundin hat mir erzählt, sie hat das ganze Spiel über allen anderen geholfen und ganz am Ende wollte sie einen Gefallen zurück haben; der kam dann nicht und das hat sie total frustriert. Philip: Das passiert vielen. Es ist irgendwie ein schreckliches Erlebnis, allerdings für „Right of Passage“ auch irgendwie das richtige Erlebnis. Lisa: Man spürt auf einmal Konsequenzen für sein Handeln und zwar direkt und ohne irgendeinen Filter. Selbst wenn ich mich erstmal mit einer Gruppe zusammen tue, kommt doch irgendwann der Moment, in dem alle an die gleiche Schreibmaschine wollen oder wir alle das gleiche Passwort kriegen, den gleichen Stift brauchen. Man kämpft ja die ganze Zeit und am Ende spüre ich eine Konsequenz und zwar indem ich mit meinen Dokumenten über die Grenze komme oder nicht. Je näher das Spiel dem Ende rückt, desto härter wird es. Philip: So knallhart, dass sich eine ausbeuterische Logik einfach verpflanzt und wenn man lange genug Opfer dieser Logik ist, übernehmen viele sie. Laura: Das geht vielleicht ein bisschen zu weit, aber mich erinnert es manchmal an dieses Buch „Die Welle“. Musstet ihr das auch in der Schule lesen? Philip: Wer nicht? Katja: Du meinst, es ist ein soziales Experiment? Laura: In Interviews mussten wir uns oft rechtfertigen. „Right of Passage“ ist kein Dokumentarprojekt, wir können die Realität gar nicht abbilden. Aber im Kleinen hat dieses soziale Experiment total gut funktioniert. Das ist bei Weitem nicht das, was in der Realität passiert, aber von den Gefühlen, die wir auslösen können, hätte ich gar nicht damit gerechnet, dass es so gut funktioniert. Philip: Eine soziale Skulptur der Grausamkeit. Katja: Welche Rolle spielen die Regeln in diesem experimentellen Spiel? Laura: Die Willkür des imaginierten Flüchtlingslagers und die Wichtigkeit von Regeln in einem Spiel stehen sich diametral entgegen. Das war von Anfang an eine der größten Herausforderungen. Philip: Es ist wichtig, dass man das Spiel trotzdem gewinnen kann. Dass das System nicht so willkürlich ist und nicht so gemein, dass es gar nicht lösbar ist. Aber es gewinnen eben immer nur sehr wenige, das haben wir stark reguliert und dosiert. Laura: Wir haben uns die ganze Zeit gefragt, wie weit wir gehen können, um die Leute zu frustrieren in diesem schlechten Spiel, was wir absichtlich gebaut haben. Jetzt freue ich mich über das Gefühl, dass der Großteil der Spielerfahrung überhaupt nicht von uns als Input kommt, sondern selber gebaut wird von den Spielern. Ich finde, das ist der Inbegriff von interaktivem Theater, also Spiel. Ich bin schon ein echtes „Spielkind“, spiele überwiegend Adventures. Davon, wie machina eX Computerspiele life on stage umgesetzt hat, war ich fasziniert. Besonders gefallen hat mir die „Teamwork“ mit den anderen Teilnehmer, wo jeder seine Ideen einbringen konnte, um zur Lösung zu gelangen. Ich hoffe, dass von machina eX noch mehr kommen wird.

MASCHINENLIEBE


LEV

15’000 GRay +


VEL 1

+ BaRcamp =

Beim ersten machina eX „Theaterstück“ / Adventure waren einige Vereinsmitglieder vom Chaos Computer Club Düsseldorf / Chaosdorf e.V. mit dabei. Wir alle waren fasziniert, dass das Theater uns eingebunden und gefordert hat. Wir fanden uns in einem gelebten Adventure-Spiel wieder. Wir alle wollen so ein Programm erneut erleben! Wir warten auf das nächste Adventure, genauso wie wir früher auf das nächste Spiel aus dem Hause Lucas Arts gewartet haben.


UNTER SPRACHMASCHINEN Martin Ganteföhr, Gamedesigner Liebes Team von machina eX, vor einigen Wochen habe ich Euer theatrales Point-and-Click-Adventure „15.000 Gray“ gespielt. Mit neun anderen Spielern bin ich 30 Minuten lang zwischen den Figuren und Kulissen eines verrückten Thriller(?)-Szenarios herumgehetzt, habe Codes entziffert, Telefonnummern gesucht, eine Bombe entschärft und schließlich: die Welt gerettet. Das war ein ganz großartiges Erlebnis, ein Riesenspaß. Was es sonst noch war, darüber habe ich, nachdem ich meinen Spielrausch ausgeschlafen hatte, eine ganze Weile nachdenken müssen. Figurengeleitetes Interactive Drama, interaktive Rätselei? Ernsthaftes Abenteuerspiel, spielbare Games-Parodie? Mitmach-Theater? Alles zusammen, keins von alledem? Fest steht zunächst: Ihr betretet mit Eurer Arbeit ein kaum kartiertes Gebiet. Gewissermaßen als Rucksack-Pioniere erwandert Ihr eine neue Zone im Niemandsland zwischen digitalem und analogem Drama. Das ist sehr aufregend und es ist sehr gefährlich, denn erfahrungsgemäß folgen den mutigen Entdeckern schon bald die gut organisierten Kolonialkohorten der bekannten Welt, um das Neuland professionell zu „erschließen“, sprich: es nach Wertvollem zu durchwühlen und dann unter Beton zu begraben. Eine solche feindliche Übernahme, das muss ich vorausschicken, habe ich hier nicht vor. Ich betone das, weil ich in der Woche nach meinem Besuch bei Euch die interessante Analyse des nachkritik.de-Autors Christian Rakow gelesen habe. Christian sortiert „15.000 Gray“ in den Theaterkontext ein und mit Bezug auf unsere gemeinsamen Diskussionen im Barcamp schreibt er, wir Games-Experten würden Euch mit „typischen Game-Designer-Problemen“, mit Forderungen nach „Realismus” und „naturalistischem Gaukelspiel“ in die ästhetische Irre leiten. Unsere Agenda sei ein „Einfühlungs-Dogma”. Das habe ich gelesen und gedacht: Einfühlungs-Dogma. Oha. Da spricht man als Gamer mal von inneren Vorgängen statt von Explosionen und Abschussquoten, und zack! hat man gleich das Big Fucking Gun der Theaterkritik an der Schläfe. Menschenverachtende Welt der E-Kultur! Aber im Ernst: Ich bin froh, dass dank Eurer Arbeit eine Verständigung von (und über) Games und Theater möglich wird. Die beiden Disziplinen, das haben wir alle beim Spielen Eures Stücks und in den anschließenden Diskussionen gesehen, haben allerhand zu besprechen – und einander viel zu sagen. Dass im Zuge eines solchen Austauschs zwangsläufig auf beiden Seiten ästhetische (und andere) Präkonzeptionen unter Erklärungsdruck geraten, halte ich für den spannendsten Teil dieses Prozesses.


Was meinen eigenen Debattenbeitrag betrifft, habt Ihr jedenfalls keine „Dogmen“zu befürchten. Erwarten dürft Ihr aber eine kritische, hoffentlich auch konstruktive Auseinandersetzung, die (natürlich!) von meinen Überzeugungen als Game Designer, meiner Arbeit im Bereich der narrativen Games und meinem persönlichen Blick auf das Theater informiert ist. Nun schön. Heraus mit der Sprache. Was halte ich von „15.000 Gray“? Aus einer rein funktionalen Perspektive des Game Designs möchte ich Euch zunächst einmal gratulieren. Ihr habt viel erreicht. „15.000 Gray“ bringt die meisten Elemente eines klassischen Abenteuerspiels auf der Theaterbühne ganz fabelhaft zusammen. Ein Parcours aus Objekt- und Maschinenrätseln liefert das Gameplay, eine Weltrettungsgeschichte den inhaltlichen Überbau. Das Bühnenbild unterstützt wirkungsvoll die Retro-Fiktion, selbstablaufende Sequenzen sorgen für Action an wichtigen Plot Points. Alles ist da, alles läuft, auch Eure genial zusammengehackte Technik hat mich beeindruckt. Wichtigstens aber: Crowd-Puzzling im Theater ist ein verrücktes, spannendes Sozialexperiment. Das Spiel macht Spaß! Wunderbar!  Worum es jetzt aber den Figuren dieses Stücks eigentlich ging? Was da gleich nochmal verhandelt wurde? Woran genau wir da nun rätselnd mitgewirkt haben? Davon blieb bei mir wenig hängen. Aber vielleicht ist das auch nicht so wichtig. Oder doch? Es kommt wohl darauf an, mit wem man darüber spricht. Für das zeitgenössische Theater haben solche Fragen vermutlich keine besondere Relevanz, denn in seinen aktuelleren Strömungen sind, wenn ich es recht sehe, Fabel und Figurenpsychologie ja weitgehend abgemeldet – als Retro-Kram im besseren Fall, als Reizbegriffe im schlimmeren. Für elektronische Games, zumindest für die erzählerischen, sehen die Verhältnisse anders aus – aber darum soll es hier gar nicht vorrangig gehen. Ich will „15.000 Grays“ Potenzial für interaktives Drama aus der Games-Perspektive besprechen. Ich habe dazu – Ihr ahnt es schon – einige recht kritische Anmerkungen. Aber ich will meine Kritik gerade nicht an den konkreten Inhalten des Stücks festmachen, sondern an Elementen des Game Designs und der interaktiven Spielstrukturen. „15.000 Gray“ ist im Kern ein reines Rätselspiel, eine interaktive Schnitzeljagd mit Zeitlimit. Es funktioniert qua Design ausschließlich über Objektmanipulation.


MASCHINENLIEBE Die Figuren haben wenig Screentime, wenig Dialog, kaum Eigen- oder Innenleben, und vor allem: keinen direkten interaktiven Bezug zum Spieler. Sie sind verkapselt in einer Sphäre, die zwar zur Spielwelt gehört, aber mit der Handlungszone der Spielgruppe nur über Bande, über Objekte verbunden ist. Zöge man die Figuren komplett aus dem Stück ab, platzierte an den Gameplay-Stationen aufgabenbezogene Hinweiszettel und stellte eine Bombe in die Mitte: das Spiel bliebe - mitsamt seiner zeitlimitierenden Bedrohung - als Spiel völlig intakt. Es geht auch ohne sie. Nun ist gegen reine Rätselspiele per se überhaupt nichts zu sagen. Es gibt sie ja auch in den elektronischen Games, und ihr Design ist oft sehr anspruchsvoll. In einem Spiel mit explizit theatraler Zielrichtung halte ich es allerdings für keine gute Entscheidung, die Figuren so zu marginalisieren. „15.000 Grays“ Charaktere sind strukturell fast bedeutungslos. Ihre Funktion ist in erster Linie illustrativ. (Ich komme später noch darauf zurück). Für den Stellenwert des figurenbezogenen Dramas kann das natürlich nicht folgenlos bleiben. Nun habt Ihr für dieses Design aber Gründe, und es sind durchaus triftige Gründe. In Euren theoretischen Papieren bezeichnet Ihr die Aufenthaltssphäre Eurer Figuren als die “Geisterebene” – und ihre Verkapselung darin als figurengebundene „Vierte Wand“. Diese Vierte Wand, erklärt Ihr, sei erforderlich, um einerseits das objektgetriebene Gameplay zu etablieren, und andererseits mich (als Spieler und Theaterbesucher) vor der potenziell unangenehmen Rolle des performativen Handelns mit den Figuren, vor Übergriffen im weitesten Sinne, zu beschützen:  „Spieler und Figuren treffen sich weder innerhalb der ästhetischen Wirklichkeit noch der tatsächlichen Lebenswelt der Spieler. Anders gesagt: Erst diese Trennung macht es möglich, dass die Objektebene zur Schnittstelle wird (...). Auf jeden Fall ist die Vierte Wand für das beschriebene System von konstitutiver Wichtigkeit und organisiert die Regelvermittlung während des Spiels. Erst in zweiter Instanz schützt sie die Spieler vor Peinlichkeiten.” (1)  Ich kann diese Argumente nachvollziehen, schätze die Lage aber anders ein. Aus meiner Sicht sind die „Vierten Wände“ vor allem ein Schutz für Eure Performer und die Figuren. Sie sind es, die dort sicher sind – und zwar vor den (natürlich gewaltigen) Problemen der Spieler-Charakter-Interaktion im Bühnenkontext. Es ist wahr, dass zugleich ich vor den Figuren geschützt bin. Aber brauche ich diesen Schutz, will ich ihn in dieser Weise? Ich komme ja als Gamer zu Euch. Natürlich weiß ich,

dass „15.000 Gray“ kein Computerspiel ist. Ein interaktives System ist es aber zweifellos, sein Grundmodus ist dialogisch. Und Ihr verortet es ja als „theatrales Pointand-Click-Adventure“:  „(...) das ist – im Großen und Ganzen – auch eine ziemlich konkrete, unmissverständliche und absolut korrekte Beschreibung.”(2)  Vor diesem Hintergrund ist es keineswegs meine Befürchtung, sondern vielmehr meine Erwartung, mit den wichtigen, den konstitutiven Elementen des Systems interagieren zu können. Zu den wichtigen Elementen zähle ich selbstverständlich auch die Charaktere. Denn erstens stehe ich inmitten eines Spiels, für dessen elektronische Pendants sich interaktive Figuren bis zu den frühesten Interactive Fictions (und notfalls weiter bis zu Weizenbaums KI-Gesprächsmaschine ELIZA) zurückverfolgen lassen. Zweitens bin ich in einer theatralen Veranstaltung. Dort kommt den Figuren ebenfalls große Bedeutung zu. Und drittens (ich werde nun etwas kryptisch) antwortete der Bergsteiger George Mallory auf die Frage, warum er denn unbedingt mit dem Mount Everest interagieren wolle: „Weil er da ist.“ Auch das ist kein schlechter Grund. Aus meiner Sicht sind die Charaktere Eures Stücks also mehrfach als Interaktionskandidaten markiert. Warum sie dennoch abgeschaltet sind, warum ich mit ihnen keinen direkten, keinen dialogischen, emotionalen, handlungsbezogenen Kontakt aufnehmen kann, habe ich bereits im Barcamp gefragt. Mit theaterästhetischen Grundsatzbedenken (– Falsche Einfühlung! Gaukelei! Eskapismus! –) ist diese Frage für mich keineswegs zu erledigen. Denn zum einen scheint es in der Theaterdebatte durchaus Stimmen zu geben, die die Zeitgemäßheit solcher Befürchtungen hinterfragen:  „ich weiß ja, dass ich im theater sitze, wenn ich im theater sitze. eine regie, die mir als zuschauer das hergestelltsein einer theatralen situation ständig unter die nase reibt, unterfordert meine möglichkeiten als zuschauer. wir sind nicht gefährdet – anders als vermutlich noch zeitgenossen der ersten jahrzehnte des letzten jahrhunderts – einfühlender verblödung zu verfallen.” (3), schreibt etwa Frank Kroll, Leiter des Suhrkamp Theaterverlags.  Zum anderen aber, und viel wichtiger: Selbst wenn es dem Theater grundsätzlich um die Herstellung


MASCHINENLIEBE


von Distanz gehen sollte, wäre das noch längst kein automatisch auf theatrale Games übertragbares Prinzip. Denn in Games geht es um die Herstellung von Kontakt.  Ja, natürlich: Typische Game-Designer-Probleme. Wo ich davon spreche: Weiter oben habe ich angekündigt, in diesem Text nicht nur herumzukritteln, sondern auch konstruktive Vorschläge zu machen. Lasst mich also einige Probleme (und Chancen), die sich aus der Interaktivierung Eurer Charaktere ergeben würden, einmal genauer diskutieren. (Mir ist übrigens bewusst, dass Ihr das auch selbst schon ausführlich getan habt. Vielleicht kann ich aber dazu beitragen, den Ball wieder ins Spiel zu bringen.) Was käme auf Euch zu? 1. Hättet Ihr interaktive Charaktere, Ihr müsstet Eure Spieler als auf Figurenebene Handelnde ansetzen.  Gar keine Frage, diese Entscheidung wäre sehr folgenreich, game-changing im Wortsinne, schon für die möglichen inhaltlichen Ausgangssituationen Eurer Stücke. Das Design müsste den Spielern Rollen zuschreiben. Und zwar solche, die sie in die Handlung einbezögen, ohne ihnen vertieftes Welt- und Figurenwissen (oder gar echte Schauspielfähigkeiten) abzuverlangen. Es müssten theatral ungefährliche Rollen sein. Das ist schwierig umzusetzen. Aber ist es – undenkbar? Eine erste Möglichkeit könnte es sein, die Spieler als Gesichter einer Menge zu konzipieren, als Fremde, Wartende, Reisende, Passanten, Zufallsgemeinschaften. Sicher, in handlungskonzeptioneller Hinsicht wäre das einengend. In Bezug auf die Handlungsbeteiligung scheint es mir allerdings ungleich mächtiger als Konstrukte wie „Geist“ oder „Mouse Cursor“(4), die ja beide, wenn auch aus entgegengesetzten Perspektiven, nur die fundamentale Ausgeschlossenheit der Spieler aus der Figurensphäre bedeuten. 2. Ihr müsstet für eine Spielgruppe von zehn Personen performerisches Kommunizieren mit den Figuren organisieren.  Wie wäre das zu machen? Was unterschiede dieses Kommunizieren von anderer Spielerkommunikation? Welchen Eingabemodus bräuchten „Dialoge” zwischen Spielern und Figuren, damit sie inhaltlich beherrschbar und dramatisch sinnvoll blieben? Natürlich-sprachlich, kodifiziert, gestisch? Fragen über Fragen. Aber ich glaube, auch dazu ließen sich Lösungen finden. Sicher habt Ihr „Façade“ gespielt, das als prozedurales Interactive Drama gewissermaßen den komplemen-

MASCHINENLIEBE tären Gegenentwurf zu „15.000 Gray“ darstellt.

„Façade“ setzt den Spieler als Handelnden an und es funktioniert fast ausschließlich über die Kommunikation mit Charakteren. Natürlichsprachliche Texteingaben werden von einer KI ausgewertet und – sofern sie formal und inhaltlich akzeptabel sind – von den Figuren thematisch aufgenommen, mit entsprechenden Folgen für die Handlung. Im Kontext der realen Bühne wäre ein solches Setup natürlich ungleich schwieriger zu realisieren. Die Rahmenbedingungen des performativen Kommunizierens müssten streng definiert, der Austausch selbst womöglich auch formalisiert werden, schon um die befürchtete „Peinlichkeit” zu vermeiden. Denkbar könnte es sein, explizite Performance-Zonen im Bühnenraum auszuweisen, die immer nur Platz für einen einzigen Spieler der Gruppe böten. Euer Prinzip der „Vierten Wand” wäre damit nicht abgeschafft, sondern quasi invertiert – zugunsten der Spieler. (Vielleicht ließen sich auch die Inhalte der Kommunikation steuern, etwa über projizierte Stichwortwolken – aber ich gebe zu: Das geht sehr ins Detail). 3. Auf Eure Performer kämen gewaltige Anforderungen zu.  Allerdings. Die Darsteller müssten in Echtzeit akzeptable von irregulären Spielereingaben unterscheiden, sekundenschnell spiel- und figurenadäquat reagieren. Sie müssten innerhalb eines Möglichkeitskorridors von Handlungsverläufen ständig improvisieren. Kurz: Sie müssten Supercomputer sein. Unmöglich? Nun, Eure Performer sind ja Supercomputer. Sie sind sogar Menschen. Dass sie als solche (gerade in dramatischen Games-Kontexten) das Potenzial haben, jede noch so clevere KI in den Schatten zu stellen, wissen wir spätestens seit Jason Rohrers „Sleep is Death“.  Und Ihr selbst wisst es auch: Zurecht preist Ihr die Bedeutung der Performer-Intelligenz für die Anpassung von Schwierigkeitsgraden des Gameplays: „Performer bei machina eX fungieren (...) als adaptive Sensoren, die Eingaben der Zuschauer aufnehmen und auswerten können. Sie sind darauf getrimmt, jedes kleine Detail, jede Entscheidung und Schwierigkeit der Spieler mitzuverfolgen und im Zweifelsfalle mit Hilfestellungen zu reagieren.” (5) 


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MASCHINENLIEBE Es wäre eine Herausforderung, aber auch eine sehr große Chance, diese Intelligenz für die Figuren selbst fruchtbar zu machen. Keineswegs geht es mir dabei übrigens um „Realismus“ oder „Naturalismus“. Es geht um Eure Methoden der Figurenproduktion und ganz grundlegend um die Kapazität der Figuren.  In „15.000 Gray“ produziert Ihr Eure Figuren mit größter Explizitheit als elektronische Computerspielcharaktere: als in Warteschleifen hängende, bewegungsund ausdruckslimitierte Sprachmaschinen. Das ist vor allem eine ästhetische Entscheidung. Die menschlichen Performer sind ja (anders als ihre virtuellen Pendants) weder in agierender Funktion noch als Regel- und Hinweissysteme auf eine rudimentär-computerspielfigürliche Performance limitiert. Ihre Kapazität ist größer. Auf der Ebene des Spiels entzieht Ihr denselben Figuren dann aber genau jene Eigenschaft, mit der sich im Kontext elektronischer Games der größte Teil ihrer Relevanz begründet: die Interaktivität. Auch hier wäre die Kapazität Eurer Performer (und die Eurer Spieler!) größer. Beide Entscheidungen zusammen verengen die Möglichkeiten Eurer Figurenproduktion auf die Herstellung von Illustrationen, auf (liebevolle) Parodien von Computerspielfiguren. (6) Und wo „15.000 Gray“ kein Rätselspiel ist, ist es damit doch sehr stark Theater über Games – mit Spielern als Zuschauer.

deshalb eine so großartige Errungenschaft, weil es spürbar macht, dass irgendwo da draußen, in diesem Niemandsland zwischen virtuellen Games und realer Bühne, zwischen Spielern und Performern, zwischen Plan und Prozess noch etwas Größeres, ein ganz eigenständiges, wunderbares (auch unheimliches) Spiel- und Erzählsystem liegt. Und womöglich auch eine neue Kategorie der Figürlichkeit: Theatergamefiguren. Sollten diese Dinge existieren: Ihr werdet sie entdecken. Wer, wenn nicht Ihr, hat schließlich das Zeug dazu?  Aber was immer es ist, das Ihr in Eurer weiteren Arbeit findet: sagt mir Bescheid. Ich will das unbedingt spielen. 

Martin Ganteföhr schreibt und gestaltet interaktive Projekte und lehrt unter anderem am Cologne Game Lab der FH Köln, an der Freien Universität Berlin und der Internationalen Filmschule Köln. Game ON Stage begleitete er als Experte mit internen Workshops und Gesprächen.

Ich glaube, dass Ihr mit Euren theatralen Games anderen Dingen auf der Spur seid. „15.000 Gray“ ist

Fußnoten:  (1) Yves Regenass, Laura Schäffer, Phillip Steimel: Die Zukunft des Theaters. Ein E-Mail-Gespräch von machina Ex über Objekttheater, Kulturhybride und Audience Empowerment. In: Christian Esch, Tom Stromberg, Matthias von Hartz (Hg.): Es geht auch anders. Theater Festival Impulse, Verlag der Zeit, 2012, S. 68  (2) Laura Schäffer: „Widerstand ist zweckvoll!“ Von Frustration und Euphorie bei machina eX., Manuskript, 2012, S.4  (3) Frank Kroll: täglich ein Stück weiter. sieben bahnfahrtnotizen aus der unruhezone neuer dramatik. nachtkritik.de, April 2012  (4) Wobei ich das Bild vom Spieler als “Mouse Cursor” auch für etwas irreführend halte, denn Mouse Cursors agieren ja selbst nicht, und in 15.000 Gray handeln die Spieler direkt, mit Körper und Kognition.  (5) Laura Schäffer: „Widerstand ist zweckvoll!“ Von Frustration und Euphorie bei machina eX., Manuskript, 2012, S.11  (6) Als ästhetisches Mittel wird Computerspielfigürlichkeit sich übrigens schnell verbrauchen, glaube ich. Wir haben diese lebensechten limitierten Sprachmaschinen ja schon in David Cronenbergs eXistenZ (1999) gesehen, und auf Youtube wimmelt es von Reenactment-Videos, in denen sich Gamer über die performerischen Leistungen ihrer Spielcharaktere (meist ebenfalls liebevoll) lustig machen. (Drei kleine Beispiele:Counterstrike, L. A. Noire, Heavy Rain)


 

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Computer- und Videospiele passen nicht nur gut zum Theater, sondern erlauben es ihm, sich Darstellungs- und Erzählformen wie multiple Handlungsstränge und Entscheidungsmöglichkeiten für die Bühne „abzugucken“.

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DANCE + MAC


VEL 2

CHINISTINNEN =


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METADATEN: VIDEOS ZUR FORSCHUNGSSPHASE LEVEL 2: https://www.youtube.com/user/ MachinaXSerie/ EPISODE 1 ANFANGEN EPISODE 2 BAUEN EPISODE 3 RENNEN EPISODE 4 ÜBEN EPISODE 5 PROBIEREN EPISODE 6 SCHARADIEREN


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Jochen Roller studierte nach einer klassischen Ballettausbildung Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und Choreografie am Laban Centre London. Seit 1997 produzierte er als freischaffender Choreograf über 40 Arbeiten für Bühnen, Galerien, Mode und Film. Er arbeitet als Dramaturg, Tänzer/ Performer und Dozent u.a. an der FU Berlin und dem LaSalle College Singapur. Bei Game ON Stage coachte er die Machinisten im internen Workshop in Level Two.

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LEV

FABLAB + W


VEL 3

WORKSHOPS =


FABLAB BIOSPHARE 2.0 ODER: WIE DER BESUCH VON MACHINA EX EIN FABLAB VERAENDERT.

Axel Ganz, Vereinsvorstand GarageLab Düsseldorf e.V. Im August 2013 hatte ein Hackerspace in Düsseldorf das Vergnügen infrastrukturstellender Gastgeber für ein künstlerisches Projekt zu sein, das digitale Spiele in avancierter Weise auf Theaterbühnen inszeniert. Für einen Monat arbeitete mit machina eX eine Gruppe im GarageLab Düsseldorf, die in der freien Theaterszene für Furore sorgt. In mehrfacher Sicht stellte diese Kooperation für das Düsseldorfer FabLab ein Novum und eine Bereicherung dar. FabLabs sind aus europäischer Sicht noch ein recht junges Phänomen. So existierte die offene Werkstatt in Düsseldorf im August 2013 gerade mal eineinhalb Jahre. Da überrascht es nicht, dass die Gründungszeit auch dieses FabLabs primär mit Themen wie Infrastrukturaufbau, Selbstfindung und Vernetzung verbracht worden war. Das GarageLab versuchte mit seinen sukzessive hineinwachsenden Mitgliedern erste Themenfelder zu besetzen. Diese waren in der Anfangsphase und sind auch heute noch vorwiegend 3D-Druck, Elektronik, Robotik sowie Holz-, Textil- und Metallbearbeitung. Dabei stehen für ein Fablab naturgemäß immer die technischen Aspekte im Vordergrund. Der Kanon der Fragen reicht von „Sag mal, wie löte ich eigentlich richtig?“ bis „Kennst du dich vielleicht mit der Drucker-Firmware aus?“. Doch dann parkte eines Nachmittags Ende Juli ein bis oben hin mit vielgestaltigem Equipment und Werkzeugen vollgepacktes Automobil vor unserer Tür. machina eX war da! Schnell waren unbekannte Gadgets, Requisiten und Maschinen im Lab untergebracht


MASCHINENLIEBE #2


MASCHINENLIEBE und siehe da, sogleich sah alles viel bewohnter und geschäftiger aus. Endlich „Work in Progress“, die man auf den ersten Blick sieht, dachte ich. Am nächsten Tag begannen sogleich fünf Künstler, Techniker, Planer und Akteure ihre Arbeit, die durch ihre Projektbezogenheit - ja doch - in gewisser Weise eine andere, uns bis dahin noch nicht begegnete Welt repräsentierten. Eine konkretere Welt, eine angewandtere Welt. Eine Welt, die bereits in künstlerische Idee und Form gegossen ist, die ihre Erfahrungen hat, auf abgeschlossene Projekte zurückblicken kann und mit neuen, ganz konkreten Aufgabenstellungen und Fertigstellungsterminen nun in einem FabLab, an einem neuen Ort ihre Arbeit ansatzlos fortsetzt. Es war ein wenig so wie bei einer Party, zu der man die besten Freunde eingeladen hatte, von denen aber auch um 11 Uhr erst die Hälfte eingetroffen war, man als Gastgeber etwas nervös am Buffet rumnestelt, es doch unverhofft noch klingelt und vor der Tür eine Gruppe von ganz neuen Freunden mit DJ, PA und ein paar Kästen Bier mehr steht und sogleich der Abend auf das nächste Level gehoben wird. Mit einem Handstreich war das Primat des Technischen im Sporadischen durchbrochen und das Biotop, das unser Fablab bildete, fand sich auf einem nächsten, spannenderen Level wieder. Denn gleich am ersten Tag ihres Aufenthalts gesellten sich zu unseren Gästen Mitglieder unseres FabLabs, die bis dahin eher selten aktiv waren. Und diese Entwicklung setzte sich in den folgenden Tagen und Wochen fort. Neue Dauernutzer etablierten sich. Dabei erwies sich das zusätzliche Angebot von Workshops als erfolgreiche flankierende Maßnahme von machina eX. Das sprach zusätzlich Interessierte unterschiedlichster Altersgruppen außerhalb des GarageLabs an und so entwickelte sich innerhalb von wenigen Tagen ein intensiveres und gleichzeitig auch offeneres soziales Gefüge, das eine vielgestaltige Plattform für neue Fragestellungen bot. Das Aufeinandertreffen von zuweilen spiele-bezogenen, sehr konkreten Aufgabenstellungen und allgemeinen, elektronischen Fragen erwies sich als Impulsgeber für neue gemeinsame Projekte. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ein sich selbsterhaltender Dauerbetrieb eines FabLabs in Gang gesetzt worden war, indem das gerade Geschehende immer mindestens genau soviel neuen Antrieb und Attraktion für Neue und Wiederholungstäter bietet, dass eine intensive Dauerauslastung und Nutzung eines FabLabs gewährleistet ist. Das ist der Nährboden und die Infrastruktur, die ein dauerhaft erfolgreich agierendes FabLab auszeichnet.


Erst wenn eine Werkstatt auch ein soziales Dauergefüge bietet, können neue aufregende Projektideen umgesetzt werden. Gleichzeitig bietet die Anschauung konkreter Kunstprojekte jede Menge Inspiration, den Kreislauf, das Technische nur um seiner selbst willen zu betreiben, zu durchbrechen. Aus Sicht eines FabLabs gilt es deshalb mehr denn je, Kooperationen dieser Art einzugehen. Vielen Dank und gerne wieder, machina eX! Überraschend an allen Spielen von machina-Ex finde ich, wie hoch die Schwelle lag, gegen Spielregeln zu verstoßen. Dabei erschien es mir stets so, dass die gesamte spielende Gruppe diese Möglichkeit kategorisch ausgeschlossen hatte. Das funktionierte ohne jegliche Verbote oder gar Androhung von Sanktionen seitens der Gruppe. Vielmehr übte das gesamte Setting einen diffusen Druck aus, lediglich angenommenen Regeln unbedingt Folge zu leisten.

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WIR SIND NICHT NIKOLA TESLA ABER WIR SIND AUF NEM GUTEN WEG SOWEIT.

Philip Steimel (machina eX)

Wir basteln ständig. An uns selbst, an unserem Leben, an neuen Rezepten, an unserer Sprache. Aber an Technologien? Da basteln - so der Common Sense eigentlich nur Profis: Ingenieurinnen, Programmierer, Industriedesignerinnen und KFZ-Mechaniker. Es gibt eine solche Vielzahl an Spezialisierungen in der Entwicklung von neuen Dingen; man bekommt das Gefühl, das wilde, freie, erfinderische Basteln des 19ten und 20ten Jahrhunderts gäbe es nicht mehr. „Basteln“ hat (besonders in Deutschland) eher einen faden Beigeschmack von miefigen Hobbykellern voller nerdiger Eigenbrödler. „Basteln“ klingt nach Alleinsein, Sich-Zurückziehen. Nicht nach sozialem Austausch. Und auch bei machina eX erleben wir immer wieder, wie wir selbst mit diesem seltsam verschrobenen Nerd-Label kokettieren, wenn wir unsere interaktiven Requisiten entwickeln. Wenn wir Telefone und Fahrräder hacken, wenn wir Bombenattrappen erfinden und unsere Live-Games mit Magie füllen. Weil‘s irgendwie cool ist, weil die Erzählung immer nach zurückgezogenem Eremiten-Genie klingt. Weil… das halt das Bild ist, das man so bedient, weil es sich eingeschliffen hat. Aber seien wir mal ehrlich: Wir sind nicht Nikola Tesla. Die richtig guten Sachen konzipieren, basteln, frickeln und programmieren wir immer irgendwie eher miteinander als allein und zurückgezogen. Der Austausch während des Bastelns bringt wundervolle Blüten hervor, Variationen, Optimierungen, Anwendungsideen. Wir bekommen eigentlich nie was zu Ende gebaut, wenn wir nicht gemeinsam arbeiten. Und sei es nebeneinander alle an einem anderen Projekt. Meist fehlt für sowas aber nicht nur die Zeit, sondern auch der Raum. machina eX hatte nie einen Ort, an dem wir Technik probieren konnten. Obwohl, ganz wie im Theater die Performance geprobt werden muss, neue Technologien und besonders selbstentwickelte Requisiten probiert werden müssen, damit man sie gut in Szene setzen kann... In Level 3 hat machina eX so einen Ort gefunden: Das GarageLab Düsseldorf ist ein FabLab. Ein Fabrication Laboratory, ein Labor also, in dem Dinge fabriziert werden. Klingt fancy. Ist es auch: Da stehen neben klassischen Werkzeugen wie Hammer, Standbohrmaschine, Kapp- und Dekoupiersäge auch 3D-Drucker, Lötkolben und computergesteuerte Minifräsen. Da werden

Fußballroboter gebaut, genauso wie Gipsabgüsse von Gebrauchsgegenständen gemacht. Da wird an schönen, nützlichen und vollkommen überflüssigen Gegenständen gebastelt. Es wird über Techniken diskutiert, es werden Workshops gegeben, und es wird viel Zeit miteinander verbracht. Ein FabLab ist eine Art offene Werkstatt. Jeder darf hinkommen, Dinge ausprobieren, Dinge bauen, Methoden lernen oder einfach nur schauen, woran andere gerade arbeiten. Das Konzept wurde ursprünglich am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt. Ziel war es, Privatpersonen Zugang zu Produktionsmaschinen wie 3D-Druckern, Lasercuttern oder CNC-Maschinen zu geben. Daraus hat sich innerhalb eines Jahrzehnts eine weltweite Bewegung entwickelt, in der in immer mehr Städten FabLabs aufpoppen, um ihren Bürgern die Möglichkeit zu geben, Dinge selbst herzustellen. Das können Reparaturen sein (das GarageLab veranstaltet dazu alle zwei Monate ein Repair-Café), aber auch komplette Umsetzungen von der Idee, über‘s Design hin zu Einzelstücken. Erfindungen, Kunstobjekte, Spielzeug. Es geht manchmal um Nachhaltigkeit und die Unabhängigkeit von industriell hergestellter Massenware, manchmal um Selbst-


METADATEN: TUTORIAL VIDEOS: https://www.youtube.com/user/ MachinaXSerie/ TUTORIAL 1: ARDUINO + TELEFON TUTORIAL 2: ABLETON LICHTORGEL TUTORIAL 3: HACK YOUR BIKE

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MASCHINENLIEBE ermächtigung und Bildung, aber vor allem immer um den Spaß beim gemeinsamen Arbeiten. Game On Stage bot uns also eine perfekte Grundlage um einmal selbst von der Infrastruktur eines FabLabs zu profitieren: Für vier Wochen wurden wir Mitglieder im GarageLab e.V. Düsseldorf und man könnte sagen: Dauermieter. Zwei Wochen lang begaben wir uns mit ein paar Freunden und Bekannten und den Mitgliedern des GarageLab in Klausur und entwickelten einmal ohne den Druck einer Premiere im Nacken SpielZeug im Sinne von machina eX: Man stürzte sich in abenteuerliche AnwendungsbeiSpiele von SimKarten und baute neben bei Anruf auslösenden Feuerwerkskörpern (die uns mit Sicherheit auf die Liste diverser Staatsorgane brachten) auch einen kompletten Prototypen für ein SMS- und telefonbasiertes Adventuregame. Angetrieben von der Empfehlung eines Vereinsmitglieds entdeckten wir neue Funkmodule, auf deren Basis sich dann in einem wilden Pingpong-Verfahren eine ganz eigene Ghostbustergameidee herauskristallisierte. Unsere ersten Gehversuche mit den 3D-Druckern des GarageLabs produzierten einen Überschuss an Ideen. Die gesamte Zeit standen die Drucker nahezu nie still. Immer war irgendein Prototyp, Adapterteil oder eine Verzierung für die machinaesken Devices in der Mache. Das ermächtigendste Erlebnis war die geballte Wissenspower, der wir durch die GarageLabber und Besucher ausgesetzt waren: Nahezu immer war jemand in der Nähe, den wir Volllaien um physikalische, elektrotechnische oder handwerkliche Beratung bitten konnten. Wer fragt, bekommt Antworten und sei es: „Probier doch mal.“ Genau das macht die FabLab- und die Open Source Community aus: Offenheit. Zugänglichkeit der Orte. Zugänglichkeit des Wissens. Wir bastelten nebeneinander und gemeinsam an unzähligen Projekten, entwickelten mit der Hilfe des GarageLabs binnen 4 Wochen 2 voll funktionstüchtige Konzepte und Devices für komplett neue Theatergame-Formate und erbastelten ein gutes Dutzend Optimierungen in unsere bestehenden interaktiven Requisiten. Dabei entstanden 7 Videos mit einer Gesamtzeit von gut einer Stunde, davon 3 Videotutorials mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen und ein 20-seitiges Webzine (die maschinenliebe #2). Insgesamt gaben wir 5 Tage lang Workshop-Einführungen in Arduino, Elektronik, Max/MSP-Programmierung und Live Soundediting für rund 50 Personen. Von Rentnern bis hin zu Schülern. Von Leuten, die noch nie eine

Zeile Code geschrieben hatten zu professionellen Programmierern, die mal einen Blick in die Elektrotechnikspielzeugkiste werfen wollten. Schließlich kulminierten all die vielen Lehr-, Lern-, Test- und Überstunden im SpielZeug-Festival, auf dem eine faszinierend große Zahl von interessierten Passanten und Nachbarn hereinstolperten und über


den Tag über 100 Menschen, die an 11 Stationen zwischen SpielZeugen, Kunstinstallationen, Gametests, Roboterfußball und Physik zum Anfassen flanierten. Und sich auf dem gesamten Gelände des Coworking-Space GarageBilk bei Kaffee, Kuchen und Bier stundenlang mit uns über Fabbing, Open Source Kultur, Technophilosophie und Spieltrieb unterhielten.

Am Ende, eingepackt in die Watte von 4 Wochen kontinuierlicher Arbeit zwischen Output und Input, Lehren und Lernen, Testen und Präsentieren, neuen und alten Freundinnen, Kulturtechniken und Technologien, Lötzinn und Blödsinn, fühlten wir uns, als hätten wir das Herz der FabLab-Bastel-Kultur gefunden: Irgendwo zwischen Labor, Atelier und soziokulturellem Zentrum. Im Gemeinsammachen.

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LEV HEDGE KNIGHTS


VEL 4 + GAMEEXPERTS


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IM BILDE.

ERSTE AUSBLICKE AUF LEVEL 5

Bilder: Anna Fries (machina eX) Text: Laura Naumann (machina eX)

Verรถffentlicht auf http://gameonstage.blogspot.de/


BILD 1: Dieses Bild zeigt das Motiv für ein neues T-Shirt, mit dem machina eX jetzt, nach Ende von Level 4 unseres Gaming und Theater-Forschungslabors am FFT Düsseldorf, in Produktion geht. Darauf zu sehen: - Eine schöne Landschaft im Hintergrund (Düsseldorf) - Ein Totenkopf (Die Ernsthaftigkeit der Dinge) - Der Schriftzug „machina eX faces open world games“ (Das Motto von Level 4) - Der Ausdruck „to face something“ („vor etwas stehen“, „etwas ins Augen sehen“) auf ein Herz gelegt (Ergo: I Don’t care I love it) - Open World Games (Die offene Welt, also die Realität, könnte man jetzt denken. So einfach ist es aber nicht. Steht ja noch ein „Games“ dahinter. Also: Computerspiel-Genre, in dem Spieler_innen eine große Spielwelt zur Verfügung steht, durch die sie sich uneingeschränkt bewegen können.) - machina eX (Wir. Bekannt für Real-Life-Point’n’click-Adventures. Könnte man jetzt schon einen hint of trouble in the garden of Düsseldorf (siehe Bild 1) ablesen.) Kleine Interpretation der Bild-Komposition also: Nachdem wir in Phase 2 mit Choreograph Jochen Roller bereits etwas mit dem Jump’n’Run-Format rumgemacht haben und schließlich an der Umsetzbarkeit von Eisklippen, tiefen Lava-Schluchten, Feuerbällen und an unseren eigenen körperlichen Lara Croft-Fähigkeiten gescheitert sind, haben wir uns für Level 4 und 5 etwas anderes Schwieriges ausgesucht. Nämlich die Untersuchung der theatralen Open World. Fachkräftige Unterstützung bekamen wir von Interactive Storytelling-Expertin Prof. Dr. Ulrike Spierling und Interactive Writer und Game Designer Martin Ganteföhr. Wie das so war, zeigen die folgenden Bilder.

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BILD 2: Matze, Laura, Anna, Laura und Robin f체hren in GTA ein kleines Konzeptionsgespr채ch.


BILD 3: Bevor sich alle in der Konzeption verirren, düst Prof. Dr. Ulrike Spierling mit ihrem Auto über einen umgefallenen Baum, parkt die Karre im Halteverbot und springt zu uns in den Zug. Auf dem Bild zu sehen: Ulrike Spierling chillt in „Façade“.

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BILD 4: Tausend Flow-Charts, Pen und Paper Simulationen und Pitches später besucht uns das ZDF für eine kleine Homestory, because: Unser nächster Experte ist kein Geringerer als Gamedesigner Martin Ganteföhr, der uns zwei Tage mit kritischen Nachfragen löchert. Hier: Martin Ganteföhr in „Papers Please“.


BILD 5: Die Zukunft. Wir bleiben dran und basteln euch hoffentlich ein innovatives machina eX-Format, das ab dem 11. März 2014 im FFT Düsseldorf und später in den starken Städten Münster, Basel, Zürich und Berlin zu spielen sein wird.

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LEV OPEN WORLD


VEL 5 + MACHINA EX =


MASCHINENLIEBE SCHAUSPIELER ALS LEBENDIGE SCHNITTSTELLEN Die Right Of Passage-Darsteller*innen Antonia Tittel, Jan Jaroszek und Florian Stamm im Gespräch mit Kathrin Tiedemann und Katja Grawinkel (FFT) Kathrin: Ein wichtiges Anliegen von Game ON Stage war die Weiterentwicklung der Figuren in den Live-Videogames. Diese characters interagieren mit den Spielern/Zuschauern, sind aber gleichzeitig auch handelnde Figuren oder Rollen. Sie existieren gewissermaßen in beiden Welten gleichzeitig, in der Welt der Games und der des Theaters, beziehungsweise wechseln ständig zwischen verschiedenen Realitätsebenen. Das Format des Live-Videogames stellt also besondere Anforderungen an die Darsteller dieser Figuren. machina eX haben für „Right of Passage“ ihr Team um eine Schauspielerin und zwei Schauspieler erweitert. Worin bestand für euch die Herausforderung? Wie könnt ihr eure Erfahrung und euer Wissen als Schauspieler einsetzen und was ist das Neue an dieser Aufgabe? Antonia: Ich fand das super interessant, spannend und am Anfang auch echt schwierig, weil einfach alles dabei ist: Man hat die „Cut-Scenes“, also einstudierte Spielszenen, in denen man nicht ansprechbar ist, in denen man eine Art von vierter Wand behauptet oder es zumindest versucht, und dann hat man die „Task-Scenes“, in denen man im Loop ist, auch nicht ansprechbar, in denen man eine ganz spezielle Haltung einnimmt. Dann gibt es noch die dritte Position, dass man einfach nur die Figur ist und auf spontane Weise adäquat und figurentypisch auf die Situation, die anderen Figuren und die Spieler reagieren muss. Das sind eigentlich die drei Spielweisen, die sich komplett unterscheiden. Damit souverän umzugehen, fand ich am Anfang wirklich schwierig. Kathrin: Hat machina eX was die Darsteller angeht so etwas wie eine eigene Methode? Oder habt ihr diese Spielweisen für „Right of Passage“ selber entwickelt? Florian: Es gab kurze biographische Skizzen zu den Figuren und die Ausgestaltung hat sich in den Proben, die stark an den Text gebunden waren, ergeben. Die Kostüme kommen auch noch dazu. Was da entsteht, wirkt zunächst mal sehr holzschnittartig. Dabei muss man bedenken, dass die Spieler während des Spiels noch viele eigene Aufgaben haben und ich glaube es hilft ihnen, wenn die characters möglichst eindeutig sind. Bei diesem Spiel kann der Spieler sich aussuchen, wo er spielt auf dieser Bühne, in diesem Spielraum. Er bekommt Signale durch Licht und durch unsere Loops, aber eigentlich kann er machen, was er will. Das ist genau die Schwierigkeit, denn, wenn wir in den Loops oder Rätseln sind, kriegen die Spieler das häufig gar nicht mit, weil sie irgendwo anders sitzen und zum Beispiel gerade an der Schreibmaschine tippen und dann muss man diese artifiziellen Loops soweit aufbrechen, dass wir die Spieler ansprechen können und ihnen klar machen, wenn das jetzt nicht erledigt wird, geht es nicht weiter. Da sagen wir auch solche Sätze: „Wenn ich jetzt den Stempel nicht kriege, dann macht meine Praxis nicht auf“. Also man muss da wirklich noch einmal in die Figur gehen und da wechseln. Das ist bei diesem Spiel neu aufgrund der nicht geleiteten Spielform, wie es sie in älteren Games von machina eX gibt, in denen die Spieler als Gruppe auf einem Parcours durch das Spiel geführt werden.


Kathrin: Jan, vielleicht könntest du das, was gerade beschrieben wurde, an deiner Rolle erklären? Wie würdest du dein Verhältnis zur Rolle des Doktors charakterisieren? Jan: Das, was mir machina eX zu der Figur geliefert hat und was mir gefallen hat, habe ich sozusagen vergrößert, zum Beispiel den sexuellen Drang des Doktors Frauen gegenüber und irgendwie so etwas Schleimiges und den Alkoholkonsum – das habe ich dann kultiviert. Vor allem das, was mir Spaß macht daran und was mir Spaß macht mit den Spielern. Ich finde es super, dass ich mit dieser Figur auf die Leute eingehen kann. Was ich krass finde, ist, was ich gerade feststelle, dass man sogar Spielszenen öffnen muss, weil Leute zu einem kommen und sagen: „Herr Doktor, Herr Doktor, ich brauche das!“ und man sagen muss: „Moment, ich komme gleich zu Ihnen“, weil man gerade den Fokus voll auf die Kollegen legen muss, weil da etwas extrem Tragisches oder Existentielles verhandelt wird und die Spieler da keine Lust drauf haben, weil sie ihr Gesundheitszertifikat von mir wollen. Das finde ich interessant, weil diese vierte Wand da eher kontraproduktiv ist, weil die Leute, bis man ihnen irgendwie Aufmerksamkeit schenkt, weiter nerven. Katja: Es geht ja sogar so weit, soweit ich es mitbekommen habe, dass die Spieler selber anfangen mitzumachen als wären sie ein character. Das heißt, sie sprengen teilweise die Szenen, indem sie zum Beispiel den Schauspieler angehen, der gerade einen anderen verprügelt. Oder wenn einer in der Szene tot ist, versuchen sie den wiederzubeleben. Was erlebt ihr da und was bedeutet es für Euch, wenn die Spieler so einsteigen? Antonia: Es ist interessant, weil man jeden Abend überrascht wird und weil man dadurch die Figuren jeden Abend weiter ausbauen kann. Auch weil die Spieler Sachen an einen herantragen, sei es jetzt in den Spielszenen oder in einem Loop oder wenn man einfach nur seinen Charakter behauptet, dass man sehr aufpassen muss, dass man nicht komplett rausfällt, weil man einfach nicht spontan genug reagieren kann. Man lernt ständig etwas Neues über die eigene Figur – und das macht Spaß. Jan: Einer hat mich mal gefragt: „Der wievielte ist denn heute eigentlich?“, und ich hab gedacht, keine Ahnung nach Christus garantiert nicht, also habe ich gesagt: „Es ist Herbst.“ Da hat er bei jedem Schritt gefragt: „Wozu ist diese Behandlung eigentlich gut?“ und ich hatte Schweißperlen auf der Stirn und dachte, ich muss mit einfacheren Mitteln arbeiten. Da gibt es einerseits ein paar Gamer, die einfach total Bock haben, in diese Welt einzusteigen, und andererseits gibt es das normale Theaterpublikum, das sich nach einer Weile traut, aus der Zuschauerposition herauszutreten, um zu sagen „Okay, ich mach jetzt nicht nur brav die Rätsel, ich versuch jetzt auch mal mitzuspielen.“ Antonia: Wenn ich dann aus meinem Loop befreit werde, weil jemand mein Rätsel gelöst hat, bin ich dann so gelöst, dass ich die Leute umarme und wirklich herzlich „Danke“ sage und sie fest drücke. Der Ausdruck in den Augen der Spieler ist dann einfach unbeschreiblich schön. Es ist wirklich so ein: „Ja, hab ich gern gemacht, toll, Mensch, viel Glück!“ Das gibt einem auch unglaublich viel. Das ist ein komischer Moment, aber es ist für die Spieler, wenn es so körperlich wird, glaube ich ganz interessant. Katja: Ihr zwei spielt ja auch die sympathischeren Rollen... Antonia: Good Cops...(lacht) Katja: Deshalb würde mich interessieren, wie es für den Bad Cop ist. Was für Dinge passieren dir so? Florian: Der Kontakt ist bei mir natürlich nicht so einfach wie bei den anderen Figuren. Es kostet die Spieler mehr Überwindung und man merkt, dass diese Systeme Uniform und Befehlston immer noch sehr direkt greifen. Bei mir sind die Kontakte dann zum Beispiel so, dass Leute versuchen, mich zu erpressen. Ich hab neulich einem Spieler noch erklärt, wie

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MASCHINENLIEBE eine Erpressung funktioniert, weil er sich wirklich dumm angestellt hat. Das war auch eine schöne Situation. Der fand das irgendwie lustig. Grundsätzlich weiß man nie, wer heute kommt und was die Spieler wieder für Ideen haben werden. Euf, unser anderer Flüchtlingscharakter, den durchsuche ich immer, und jetzt fangen Spieler an, ihr Geld in die Socken zu stecken oder in die Schuhe. Das ist mir gestern aufgefallen, weil sie Angst haben, weil viele beklaut werden. Sie passen sich sehr schnell an das System an und erfinden dann entsprechend ihre Charaktere und Geschichten. Kathrin: Gab es auch grenzwertige Momente? Kommt es vor, dass euch Spieler in die Grenzen weisen? Jan: Einerseits gibt es Frauen, die sagen „Das mache ich nicht!“ und wenn ich dann merke, okay, das ist jetzt wirklich so, dass sie es auf keinen Fall machen will, das wäre sonst nur eine Diskussion, dann sag ich: „Okay, gib mir 200 Prat“, und dann kriegt sie den Stempel. Aber andererseits, wenn ich merke, die möchte eine Herausforderung eingehen mit mir, dann behaupte ich: „Du kriegst diesen Stempel nur, wenn du dieses Kondom über diesen Holzdildo da tütest“, was schon absurd ist. Wenn ich eine ältere Frau vor mir sitzen habe und ihr erkläre, dass sie das Zipfelchen nicht festgehalten hat und deswegen noch mal kommen muss, dann fühl ich mich ziemlich schlecht. Bei jungen Männern liebe ich es, wenn die das Ding so total scheiße da draufzimmern und ich einfach nur denke: „Ja, komm doch nochmal.“ Und dann gibt es auch Situationen, wo ich sage: „Bitte freimachen!“ und junge Männer ziehen einfach blank und fragen: „Auch die Hose?“ und ich denke: „Nein, bitte, das war nur ein Scherz.“ Dann sitzen die da ganz selbstbewusst oben ohne und ich denke mir so: „Na ja...“. Antonia: Diese Distanzlosigkeit bemerke ich auch oft, Grenzen austesten, gerade wenn man im Loop ist. Hauptsächlich Männer kommen einem sehr nah. Die stellen sich mir in den Weg, so Nase an Nase und ich muss dann wirklich ausweichen. Solche Sachen passieren oft oder auch, wenn man so in seiner Figur drin ist, dass die Spieler einen erst mal gar nicht wahrnehmen, weil sie so in ihrem Film sind und dann auch um einen herumgucken. Jan: Die behandeln einen eigentlich wie ein Bühnenbild, als wäre man so eine Puppe. In diesen Loops wird man behandelt wie ein Stück Holz. Es gab einen Moment, wo ich in einem Loop war und dann hat eine in meinen Taschen herumgewühlt, wo ich so denke: „Wow!“. Man hat ja einen privaten Raum, der wird einfach ignoriert, wo ich denke: „Hallo, das machst du doch garantiert nicht mit jemanden auf der Straße.“ Aber in dem Moment ist man wirklich eine Puppe. Kathrin: Wie unterscheidet sich das Live-Videogame von einer Bühnensituation, in der ihr mit Kollegen auf der Bühne seid und das Publikum im Saal sitzt? Jan: In der normalen „Guckkastensituation“ bleibt das Publikum oft eine schwarze Masse. Man sieht dann vielleicht ein, zwei Personen, aber hier lerne ich Leute regelrecht kennen in diesen drei Stunden. Das ist auch ziemlich anstrengend. Ich bin nach diesem Spiel eigentlich immer so fertig, bin aber gleichzeitig auch so drauf, dass ich nicht sofort ins Bett könnte. Es ist eine ziemlich intensive Begegnung. Antonia: Man bekommt ein noch direkteres Feedback als in dieser „Vierten-Wand-Situation“ und man ist danach total angefüllt. Ich träum immer das ganze Stück noch mal durch. Ich brauche ziemlich lang, um so einen Abend zu verarbeiten, weil es immer wieder neu ist. Bei einer normalen Büh-


nensituation, wo man ein fertig geprobtes Ganzes hat, ein Stück, dass man abspult, mal besser, mal schlechter, dann geht man nach Hause, macht die Tür zu und ja... es ist okay. Hier ist es, dadurch dass es jeden Abend immer wieder neu und anders ist, komplett verschieden. Florian: Bei uns können die Leute einfach herumlaufen, die Gruppe konstituiert sich selber, das ist das Interessante. Wie haben sich die Spieler gestern zum Beispiel wieder organisiert? Da gab es zehn Leute, die scheinbar für sich gespielt haben. Die Spieler können herumlaufen, sie können interagieren, sie können sich zusammenschließen. Da wir ja jetzt vom typischen Theater sprechen, da gibt es diese Möglichkeiten nicht. Aber für mich besteht der qualitative Unterschied vor allem darin, dass immer wieder neue Situationen entstehen, das finde ich das Spannende und das ist vielleicht auch das Anstrengende oder das Herausfordernde, nicht so wie sonst in einem Stück, da kenn ich meinen Ablauf, da weiß ich, wo ich stehe in der Szene und so weiter. Wir mussten neulich die Nacht unterbrechen, weil Chanel mit zwei Spielern hinter der Grenze lag und dann mussten wir halt vorzeitig den Tag einläuten, wir mussten die Szene, die erst drei, vier Minuten später gekommen wäre, vorziehen, um unsere Kollegin aus dieser Lage zu befreien. Diese Unvorhersehbarkeit und die Notwendigkeit zu reagieren und für das Gesamte Verantwortung zu übernehmen, das habe ich sonst nicht in einem normalen Theaterstück, da spricht man zwar auch davon, „Wir wollen uns heute wieder überraschen und wir erfinden uns heute wieder neu,“ aber letztendlich ist ja alles inszeniert. Bei „Right of Passage“ gibt es keine klare Regie. Wenn wir proben, kann jeder sich dazu äußern. Es ist ja auch so, dass Laura und Anna, die die Szenen mit uns inszeniert haben, auch spielen und dadurch findet ein ganz anderer Austausch statt. machina eX ist ein Kollektiv, das ist halt der Unterschied. Und die Spieler sind als Gruppe so heterogen, dass wir nie wissen, wie es laufen wird. Kathrin: Ihr sagtet vorhin, dass die Figuren holzschnittartig angelegt sind. Ist das möglicherweise eine notwendige Voraussetzung, um diese Offenheit für die Aktionen der Spieler zu haben? Wenn die Figuren komplexer oder psychologisch ausgefeilter wären, würden sich die Spieler vermutlich gar nicht zu Interaktion ermutigt fühlen. Gibt es da einen Zusammenhang? Jan: Ich finde diese Holzschnittartigkeit gut, weil ich es oft schwierig finde in meiner Figur. Der Doktor ist ja viel älter geschrieben und hat irgendwie auch eine WahnsinnsBiographie und war in verschiedenen Ländern - Erfahrungen, die ich nicht vorzuweisen habe - wo ich auch sagen könnte: „Okay, ich kann diese Figur gar nicht authentisch verkörpern, da bräuchte man einen Schauspieler, der 20 Jahre älter ist, der anders aussieht, der Einiges hinter sich hat.“ Und mir ist es eigentlich auch ganz lieb, dass wir nicht zu 100% versuchen, ein Auffanglager an einer fiktiven Grenze darzustellen, weil ich glaube, wir sind dazu gar nicht fähig, und es wäre auch vermessen zu sagen: „Wir versuchen das mit einem Todesernst zu behaupten!“ Ich finde auch, dass wir in den Spielszenen nicht die Tragik verhandeln müssen, sondern dass man merkt, wie nervig das ist, beim Arzt zu warten oder vom Soldaten rassistische Parolen um die Ohren zu bekommen, also diese Frustration finde ich eigentlich wertvoller für die Zuschauer als die Erfahrung, die sie in den Szenen machen können. Insofern ist mir das ganz recht, dass wir so einen guten Mittelweg, einen Seiltanz haben, dass man auch mal versucht, tiefer in eine Psychologie einzutreten. Die Zuschauer nehmen uns dann ernster und die Figur, die sie dann teilweise selbst performen. Wenn zum Beispiel jemand kommt und sagt: „Meine Hände sind kaputt, weil ich so lange gearbeitet habe,“ und das sind dann wunderschöne Hände, dann kann ich ihn nur auslachen und sagen: „Ja, aber die sehen doch wunderbar aus.“ Aber wenn jemand eine plausible Geschichte erzählt und es mir erklärt, dann muss ich sagen: „Ja okay, ich muss auf die Biographie, die du da behauptest, eingehen und darauf reagieren.“ Kathrin: Worin besteht die Faszination, die ihr selber auch spürt, und worin könnte für die Spieler das Faszinierende an diesen Situationen bestehen? Florian: Also ich finde, dass die Faszination darin besteht, dass es eben nicht so hundert-

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MASCHINENLIEBE prozentig real ist, also dass es sich auf einer abstrakten Ebene abspielt. Wir haben alle einen klaren Bühnenraum, wir wissen alle, dass wir im Theaterraum sind. Das finde ich erstmal das Spannende, dass wir auch keine Grenzüberschreitung im eigentlichen Sinne machen, sondern die Spieler starten irgendwann ihren eigenen Film, ihre eigene Vorstellung beginnt zu arbeiten. Ich finde es interessant zu sehen, wie die Spieler entscheiden müssen, ob sie zusammen arbeiten, ob sie sich alleine durchschlagen. Man muss als Spieler Grundsatzentscheidungen treffen. Und man erfährt, wie Systeme funktionieren: Obwohl wir Spielgeld haben, obwohl wir nur Spieluniformen haben, diese Systeme funktionieren immer noch sehr, sehr schnell. Wenn ich einen 500 Prat-Schein zerreiße, kommen manchen Spielern die Tränen, weil in ihnen ein System mit Geld hochkommt, und ich steig jetzt nicht aus, sondern ich denke mir: „Es ist doch nur Spielgeld. So, das musst Du jetzt auch mal erlebt haben!“ Ich kann Grenzsituationen für Spieler kreieren im Moment und wenn ich den Spieler sehe, merke ich: „Ah, das ist eine Grenze für ihn, dann probiere ich doch mal, wo wir da jetzt hinkommen können.“ Natürlich versuche ich, den Spieler nicht zu überfordern und versuche dann, einen Weg hinzubekommen, dass der nicht weint, soweit muss man ja nicht gehen. Die spannenden Momente finden im Kopf statt. Wie reagiere ich auf Anweisungen und Befehle? Wir haben zum Beispiel an der Grenze unterschiedliche Typen. Die einen versuchen zu schleimen, die anderen versuchen, besonders freundlich, wieder andere besonders witzig zu sein. Es gibt so verschiedene Muster, wie man darauf reagiert und jeder versucht, seinen Weg zu finden. Das Situative, das finde ich das Spannende. Jan: Es gibt Leute, die sind extrem ehrgeizig, die wollen unbedingt das Spielziel erreichen und strengen sich an. Man merkt dann auch, da ist ein großer Energieaufwand und nach dem Spiel sind die total fertig und fanden es geil. Andere Leute, die setzen sich als Zuschauer einfach hin und versuchen es gar nicht zu lösen. Es ist faszinierend zu beobachten, um welche Grundsatzentscheidungen es gehen kann. Meine Schwester war am Tag nach dem Spiel total bedrückt, sie hat Euf nicht gerettet und stand direkt daneben, als er von Lord verprügelt wurde. Sie war total fertig, weil sie keine Zivilcourage gezeigt hatte. Beim Betatest war ein junger Mann, der meinte: „Ach, verdammt, ich hätte mich mit anderen zusammenschließen können, warum habe ich das denn nicht gemacht?“ Man merkt, da werden grundsätzliche Dinge verhandelt. Ob man im Egoshooter-Modus durchgeht oder ob man als Gruppenspieler durchs Spiel geht, das sind eigentlich total geile, gesellschaftliche Lerneffekte, es ist teilweise ein Lehrstück. Kathrin: Wenn man euch so zuhört, hat man das Gefühl, ihr seid gleichzeitig auch Zuschauer, die die Spieler beobachten. Jan: Absolut... Kathrin: Das Bewusstsein beobachtet zu werden, blendet man als Spieler eher aus, wenn man richtig ins Spiel eintaucht. Die Spieler legen gewisse Mechanismen der Sozialkontrolle ab und die Schauspieler werden zu teilnehmenden Beobachtern in einer sozialen Versuchsanordnung. Antonia: Man merkt, wie abhängig beide Gruppen, Spieler und Charaktere, voneinander sind und wie sehr das Spiel der einen, das Spiel der anderen beeinflusst. Wenn eine Gruppe nicht so lustig oder unsicher ist, dann fällt man auch automatisch in das eigene Spiel zurück oder versucht dagegen zu gehen, man merkt, wie das eine


Symbiose wird. Kathrin: Habt ihr als Schauspieler ein bestimmtes soziales Anliegen, das ihr mit eurem Beruf verbindet? Inwieweit könnt ihr das in diesem speziellen Format verwirklichen? Florian: Ich habe immer Theater gemacht, weil ich in Probenprozessen Menschen ganz schnell anders kennen lerne als üblicherweise, und beim Spielen ist das auch so. Bei „Right of Passage“ lerne ich einzelne Spieler in drei Stunden ganz anders kennen, als wenn ich die drei Stunden auf der Straße treffen würde. Ich würde sagen, es geht mir um Liebe zum Menschen und dieses Game ist natürlich eine Form, bei der man keine Berührungsängste zu Menschen haben darf. Die Menschen zu sehen, wie sie reagieren, auch manchmal dumm oder falsch oder komisch, also das ist schon eine große Faszination. Jetzt nicht als Naturbeobachter, man fühlt es ja direkt mit und merkt dann auch selber, auf was man reagiert oder in welchen Systemen man selbst festhängt. Antonia: Ich glaube, es geht um das Geben, also viel zu geben, aber auch viel zurück zu bekommen. Ich kenne das aus Arbeiten im soziokulturellen Bereich, bei den Mitwirkenden und Experten des Alltags merkt man dann nach einer Aufführung ein Glitzern in den Augen oder ein zufriedenes Lächeln, wenn der Applaus kommt und man Komplimente bekommen hat. Man hat einfach viel gegeben und dieses Lächeln und dieser entspannte Ausdruck und diese glitzernden Augen, das ist das, was man zurück bekommt. Also ein permanentes Geben und Nehmen. Jan: Die Kommunikation ist sehr direkt. Das finde ich total geil. Hier stimmt der Rahmen, die Leute, die hier reinkommen, haben Lust, sich auf das Prinzip einzulassen und auch Lust, sich in diesen Raum zu begeben: Ich finde es geil, da solche Dinge zu kommunizieren: Also, was bedeutet Bürokratie oder was bedeutet es, so ausgesetzt zu sein in so einer Auffangsituation, und das finde ich so viel schwerer, wenn man das über eine Geschichte oder über eine Bühnensituation verhandelt. Mich fasziniert das sehr, was da stattfindet bei machina eX, diese Kommunikation so direkt zu machen. Im klassischen Theater interessieren mich auch provozierende Stoffe oder irgendwie etwas anzustoßen, und zu sehen, was kommt dann zurück, aber so eine Hau-drauf-Nummer muss hier gar nicht stattfinden, weil die Kommunikation direkt stattfindet und nicht aufgebrochen werden muss, wie bei einer bürgerlichen „Wir sind hier unten, also zeigt uns etwas Schönes“-Haltung, sondern die Unterhaltung findet in einem Raum statt, der offen ist. Das liegt mir sehr am Herzen. Kathrin: Vielen Dank für das Gespräch.

Nachdem ich „Right of Passage“ schon zweimal gespielt hatte, habe ich meine Schülerinnen (zwischen 15 und 17 Jahre) davon überzeugt, es auch auszuprobieren. Erst vor der Tür wurde ihnen klar, dass ich nicht mitkomme. Sie waren wirklich verschüchtert, weil ich sie dahingehend vorbereitet hatte, dass es ein „Mitmachtheater“ werden würde. Hinterher waren sie aber so begeistert und von der Atmosphäre gefangen, dass ich bis spät in die Nacht Chatnachrichten über ihre Erlebnisse (Nationalität, Religion, Doktorerfahrungen etc.) lesen konnte.

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PLAYING DEMOCRACY ÜBER DAS NEUE GAME-THEATER UND SEINE POLITISCHE RELEVANZ VON CHRISTIAN RAKOW Zürich, 9. November 2013. Ich muss gestehen, dass ich ein wenig überrascht war, als ich meinen Vortrag über Game-Theater im Tagungsprogramm unter dem Titel „Playing Revolution“ angekündigt fand. Revolution ist für mich eine politische und historische Kategorie. Und ich glaube, dass wir uns hier in der Schweiz ebenso wenig wie in Deutschland derzeit in einer revolutionären Situation befinden. Weshalb man mit dem Versuch, Revolution zu spielen, schnell Gefahr läuft, unfreiwillig in der Farce zu enden (mit Karl Marx gesprochen). Was, man muss es leider sagen, auf deutschsprachigen Bühnen mit unschöner Regelmäßigkeit passiert. Denn natürlich wird landauf, landab mit Revolution gespielt, oder vielmehr mit der revolutionären Geste. Erlauben Sie mir ein Beispiel aus der Stadttheaterpraxis, weil ich glaube, dass das Game-Theater eine wichtige Antwort auf diese „Ästhetik des Revolutionären“ bereithält. Das Beispiel stammt aus der Schaubühne Berlin, aus der jüngsten Volksfeind-Inszenierung von Thomas Ostermeier. Im Zentrum des Stückes steht bekanntlich ein sehr konkreter Konflikt: Der Badearzt Thomas Stockmann hat in Hygiene-Untersuchungen herausgefunden, dass die städtische Badeanstalt derart verunreinigt ist, dass das Bad eigentlich geschlossen und saniert werden müsste. Aus ökonomischen Gründen sperrt sich sein Bruder, ein hoher städtischer Beamter, aber gegen eine Schließung und mobilisiert stattdessen die Presse gegen Stockmann. Zunehmend in die Enge getrieben, radikalisiert sich Stockmann und wettert auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung im Gemeindesaal gegen die politische Herrschaft und die Meinungsmacht der Masse. Er wird, in den Worten des Stücks, zum „Volksfeind“. In Berlin hat Ostermeier für diese Klimax Stockmann mit dem emphatischen Internet-Manifest „Der kommende Aufstand“ ausgerüstet. Es ist eine derzeit einschlägige Anklageschrift gegen die Überhitzung der Lebensverhältnisse im Spätkapitalismus und gegen die Ermattung der Demokratien. Während Stefan Stern als Stockmann sich mit diesem Manifest die Seele aus dem Leib schrie, polemisierten die anderen Schauspieler aus dem Publikum heraus, stachelten auf und sollten im Ganzen für eine aufgeheizte Stimmung sorgen. Es ging um alles, um das Großeganze, die Badeanstalt war längst vergessen. Der Umsturz der Verhältnisse schien nah. Zumindest aus Sicht der Inszenierung. Zuschauer wurden direkt angesprochen, was sie zur Philippika des Volksfeinds Stockmann sagen: „Was würden Sie denn tun?“, wandte sich einer der Akteure ans Publikum. Woraufhin eine Dame mit schlagender Nüchternheit antwortete: „Nun ja, die Badeanstalt sanieren.“ Offenbar war der Inszenierung im Bestreben, die ganz großen Themen aufs Tapet zu bringen, die Logik der Fabel um die Badeanstalt ein wenig entglitten. Sie konnte etwas Erdung vertragen. Bildungshuberische Barrieren Ich glaube, eine Szene wie diese ist durchaus exemplarisch für viele Stadttheaterinszenierungen heute. Regelmäßig „laden“ Regisseure Stücke durch Fremdtexteinschübe „auf“, sie assoziieren aktuelle Kontexte und öffnen mit größtmöglichem Verallgemeinerungsbegehren gesellschaftliche Referenzräume. Aber die konkrete Verankerung dieser Diskursfelder in der Mikrostruktur der Geschichte bleibt dabei gern mal auf der Strecke. Was dann droht, ist das Abgleiten des Theaters ins Floskelhafte. In der Floskel raunt das Allgemeine gleichsam unabhängig vom konkreten Geschehen. Man kann dieses Problem noch eine Stufe grundsätzlicher anschauen, so



MASCHINENLIEBE wie es der Autor und Dramaturg Björn Bicker in einem wichtigen Vortrag auf dem Jubiläumskongress des Wiener Burgtheaters unlängst tat. Dann offenbart sich eine politische Dimension. Bicker argumentierte, dass durch das neuere Regietheater (und man muss sagen: nicht durch Größen wie Castorf, sondern eher durch seine zahlreichen Epigonen) ein gewisser Elitismus, ja Snobismus auf den Bühnen Einzug gehalten hat. Bicker sprach von den „bildungshuberischen Barrieren“ des Theaters. Auf mein Problem bezogen, lässt sich das so übersetzen: Viel zu oft setzen Inszenierungen bereits die Kenntnis des verhandelten Textes voraus, viel zu oft überspringen sie seine Geschichte zugunsten von Anspielungen und Konnotationen, deren Relevanz dann meist im Programmheft oder im Publikumsgespräch erörtert wird. Dadurch aber verliert das Bühnenereignis seine integrative Kraft. Denn letztlich sind in diesen Inszenierungen nur diejenigen angesprochen, die das erforderliche Vorwissen für die Dekodierung der Aufführung und ihrer Referenzsysteme bereits mitbringen. Die postdemokratische Herausforderung Bicker hat vor diesem Hintergrund ein „Theater der Teilhabe“ gefordert. Das „Theater der Teilhabe“ senkt die Zugangsschwellen und lädt Menschen ein, zunächst einmal ganz konkret ihre Wirklichkeitserfahrung zu verhandeln. Ich glaube, um zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen zurückzukehren: So ein „Theater der Teilhabe“ ist um einiges dringlicher als das vollmundige „Playing Revolution“. Es ist ja keineswegs so, dass unsere Gesellschaft nicht zahlreiche Defizite kennt. Mit Colin Crouch gesprochen, gibt es in der Postdemokratie, in der wir leben, einen Mangel an politischer Partizipation der Bürger, eine Verlagerung der Macht aus dem Parlament in Fokusgruppen und Lobbyverbände. Die wachsende Heterogenität der sozialen Klassen erschwert den Prozess politischer Willensbildung von unten. Hier, meine ich, hat das Theater eine konkrete Funktion: Es kann eine Zentripetalkraft entwickeln, die dem Auseinanderdriften der Gesellschaft in eine Vielzahl von Parallelgesellschaften entgegenwirkt. In diesem Sinne plädiere ich für ein „Playing Democracy“ statt „Playing Revolution“.
Björn Bicker hat seine Vision eines „Theaters der Teilhabe“ selbst in Stadtprojekten und dokumentarischen Theaterformen entwickelt, in denen er etwa die religiösen Gemeinschaften Münchens in Kontakt miteinander brachte (im Projekt Urban Prayers an den Münchner Kammerspielen). Für mich gehört zu diesem „Theater der Teilhabe“ auch das, was ich das neue „Game-Theater“ nennen möchte. Unter „Game-Theater“ verstehe ich Theaterformen, die sich explizit auf Computerspiele als Inspirationsquelle des Theaters berufen. Im Kern zeichnet sich diese Kunstform durch Interaktivität aus, das heißt in ihr wird das Kunstwerk durch den Eingriff des Rezipienten (des Spielers) mitgestaltet, auf Grundlage eines Sets von Spielregeln. Die Entscheidungen der Spieler bestimmen dabei über den Verlauf des ästhetischen Vorgangs. Von der Möglichkeit der Ereignisse her denken Im Gegensatz zum Dokumentartheater steht das „Game-Theater“ noch ganz am Anfang. Selbst prägende Gruppen wie die Live-Adventure-Macher machina eX sind nach wie vor in der Erprobungsphase ihres Spielformats. Aber schon jetzt lässt sich das Potenzial dieser Kunst erkennen: Zum einen kehrt mit dem „Game-Theater“ tatsächlich der Fokus auf die unmittelbare Erfahrung von Ereignissen zurück, die sich in den Arbeiten von machina eX regelmäßig auch zu einer Geschichte, einer story, zusammenfügen. Wer aus einem Abend von machina eX kommt, der spricht zunächst einmal sehr konkret darüber, was er erlebt hat und wie sich das zusammensetzt. Die logische Verknüpfung von Handlungsmomenten und mithin die erzählerische Stimmigkeit kriegen hier volle Aufmerksamkeit.


Das besagt auch: Man kann praktisch voraussetzungslos in solch einen Abend eintreten, weil er seine Abläufe und alles zum Verständnis notwendige aus sich heraus motiviert. In dem Börsen-Adventure Hedge Knights, das hier in diesen Tagen an der Gessnerallee läuft, gibt es, soweit ich informiert bin, bis zu acht unterschiedliche Enden, abhängig von den Entscheidungen, die die Teilnehmer im Spielverlauf in rund neunzig Minuten treffen. In dieser Variabilität liegt für mich ein Vorteil des Game-Theaters gegenüber vielen dokumentarischen Theaterabenden. Das Dokumentartheater hat vor allem einen Berichtcharakter. Leute treten darin auf die Bühne und informieren uns über ihre Berufserfahrungen, ihre Biographie, besondere Erlebnisse und dergleichen. „Es ist so“, sagt uns das Dokumentartheater. Und darin nähert es sich durchaus dem Journalismus an. Oft genug versäumt es, das Material in eine ästhetische Komposition zu bringen, die über eine bloß katalogische Präsentation der Berichte hinausgeht. Das Game-Theater denkt in seinem konstruktivistischen Charakter demgegenüber viel stärker von der Möglichkeit der Ereignisse her. Seine Botschaft lautet: „Es könnte auch anders sein“. Und da es seine Fabel nie als automatisch gegeben ansetzt, sondern als interaktiv und offen ausstellt, schließt es sehr eng an die ästhetischen Bestrebungen der Moderne an: Seit dem russischen Formalismus ging es in der Kunst ja um die Ausstellung der Gemachtheit eines Werkes, um die Denaturalisierung der Zeichen, um den Eigenwert des Ästhetischen. Zum zweiten ist das Game-Theater in seinem Kern kooperativ. „Hedge Knights“ wird in Gruppen von bis zu zehn Spielern gespielt, die gemeinsam Rätsel lösen und über die nächsten Handlungsschritte entscheiden, die die Figuren dann an ihrer statt vollziehen (in diesem Sinne sind die von den Schauspielern dargestellten Figuren bei machina eX tatsächlich Avatare, die den Handlungsinput der Spieler umsetzen). Man entscheidet sich in „Hedge Knights“ etwa, ob man kurz- oder langfristige Termingeschäfte verfolgt, ob man die Jagd nach Renditen mitmacht, oder ob man einer Figur hilft, als Investigativjournalistin die Machenschaften des Hedgefonds, in dem die Geschichte spielt, aufzudecken. Indem dieses Theater die Spieler permanent Entscheidungszwängen aussetzt, die in der Gruppe ausgetragen werden müssen, entfaltet es seine politische Relevanz. Es wird zu einem Ort, an dem Präferenzen verhandelt und Konflikte ausgetragen werden. Es wird zum Testparcours für demokratische Basiskompetenz. Neue Aktionsräume in einer künstlichen Welt Die genuin politische Disposition dieser neuen Kunstform wird vielleicht noch stärker ersichtlich in einem zweiten Sub-Genre, das in Anlehnung an die Computerspiel-Terminologie als „Open World Game“ anzusprechen ist. Während bei machina eX der Spieler im Rahmen der Möglichkeiten eines multilinearen Skripts so agiert, dass er am Ende eine lineare Geschichte durchlebt hat, sind die Aktionsräume eines Spielers im „Open World Game“ ungleich größer. Er durchlebt hier nicht einen schlauchartigen Parcours, sondern eben eine künstliche Welt mit einer spezifischen Topographie, die er quasi frei durchstreifen kann. In dieser Welt lauern hier und da Aufgaben und kleine Geschichten auf ihn, nicht aber die eine einzige, große Narration, auf die sein Handeln hinausläuft. Genau so ein „Open World Game“ lief unter dem Titel Regiodrom im vergangenen Juni am Theater Freiburg als 24-Stunden-Spiel, und es war für mich eines der eindrucksvollsten Game-Theatererlebnisse dieses Jahres. Der Regisseur Klaus Gehre hat dort gemeinsam mit dem Game-Designer Lev Ledit auf dem Theatervorplatz und im Theater selbst eine Art Goldgräbersiedlung aufgebaut. Ich skizziere kurz die Topographie dieser Welt: Auf dem Vorplatz gab es eine Mine, in der man Sand abbaute und nach Goldnuggets schürfte. Die Arbeit in der Mine wurde wie alles im „Regiodrom“ in der fiktiven Inlandswährung, den „Blüten“ bezahlt. Anderes, „richtiges“ Geld durfte man nicht in die Spielwelt mit hineinnehmen. Im Gebäude gab es für Spieler noch verschiedene Dienstleistungen zu verrichten (Klavierspiel im Theatercafé, Tanzen, Berichterstattung für den eigens aufgebauten, internen Fernsehsender des „Regiodroms“). Der Quell des Reichtums war aber für die meisten die Arbeit in der Mine.

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Soziales Experiment Neben dem Wirtschaftskreislaufs gab es eine politische Einheit: das Dorf. Die Spieler waren vorab einem von zwei Dörfern zugeordnet, um ihre Aktivitäten untereinander koordinieren zu können. Es gab auch eine Art Wettbewerb unter den Dörfern in der Frage, wer seine Bewohner glücklicher macht (weshalb von Mitarbeitern des „Regiodroms“ stündlich der Glücksindex gemessen wurde). Aber die Konkurrenzfrage war zweitrangig. Vor allem ging es in den Dörfern um das Selbstmanagement der Gruppe. Hierfür wurden regelmäßig Bürgermeisterwahlen durchgeführt und Expertengremien für die Dorfregierung zusammengestellt. Schließlich und perfiderweise wurde am Abend in einer Kellerbar die sogenannte „Unterwelt“ eröffnet, in der Spieler Alkohol erwerben und in Glücksspielen wie dem Kakerlaken-Rennen Geld verwetten konnten. Diese „Unterwelt“ hatte ein kreditbasiertes Zahlungssystem, das die Spekulationswut anheizte. Man musste seine Blüten umtauschen, konnte Gewinne aber nicht mehr zurück konvertieren. In diesem Setting lief nun rund 20 Stunden, die das Spiel letztlich dauerte, ein veritables soziales Experiment ab. Man erlebte Spieler, die in „Trittbrettfahrer“-Manier Lücken im Währungssystem des „Regiodroms“ ausmachten und mit gefälschten Kreditpapieren die Nacht in Saus und Braus in der Unterwelt verbrachten. Ich selbst war etwas biederer unterwegs, was zu meinem bleibenden Theatererlebnis in diesem Jahr führte: Nachts um 2.30 Uhr ging ich noch einmal für eine halbe Stunde in der Mine Sand schippen, um mir von dem sauren Verdienst in der Unterwelt ein weiteres Bier leisten zu können. Die Preise waren inzwischen explodiert. Das „Regiodrom“ kehrte aber nicht nur den Individualisten und Epikureer in uns hervor. Es erlaubte auch über die Dorfgemeinschaft, eine Reihe basisdemokratische Hoffnungen auf die Probe zu stellen. Was größtenteils zu Enttäuschungen führte, aber nicht nur. Ich beginne mit den Enttäuschungen: In der langen Dauer des Spiels hatte unser Dorf im Ganzen nur drei unterschiedliche Bürgermeister. Trotz Neuwahlmöglichkeit alle zwei Stunden. Die Wahlbeteiligung schrumpfte über die Dauer des Abends radikal. Zum einen ließ es sich im „Regiodrom“ auch ohne politische Repräsentation als Zocker im Keller oder als stumpfer Schufter in der Mine und anderen Arbeitsbereichen ganz gut leben. Da hat es das Spiel seinen Teilnehmern sicher zu leicht gemacht. Problemstellung: bedingungsloses Grundeinkommen Andererseits offenbarten sich im Dorf schon früh Aporien, die das Vertrauen in die politische Ebene erheblich schwächten. In der ersten relevanten Entscheidung wurde in unserem Dorf mit großer Mehrheit der Vorschlag der Bürgermeisterin, ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ einzuführen, angenommen (in solchen Vorhaben kann man sich auf das traditionell politisch links orientierte Theaterpublikum verlassen). Allerdings kam es hernach zu keiner Einigung, wie das für ein solches sozialharmonisches Verteilungsmodell erforderliche Steuersystem organisiert werden sollte, wie die Transparenz


der Einkünfte sichergestellt werden könnte und wie überhaupt die finanzpolitische Struktur des Dorfes mit regelmäßigen Treffen aufrecht zu erhalten sei. Für einen solch sozialistischen Weg der strikten Überprüfung herrschte unter den Teilnehmern denn doch zu viel anarchische Lust und zu viel Beharren auf die freie Entfaltungsmöglichkeit des Einzelnen. Was fraglos eine nicht unwesentliche Erkenntnis bedeutete: Für unsere Gruppe existierte das „bedingungslose Grundeinkommen“ lediglich als Floskel, um meinen Begriff vom Anfang aufzugreifen. Es gibt aber auch Hoffnungsvolles zu vermelden. Die Kooperationsbereitschaft innerhalb des Dorfes und sogar mit dem Nachbardorf wuchs, als die Mine nach einigen Stunden ausgebeutet war. Plötzlich wurde Arbeit knapp, die Rezession schlug auf die Gemüter. Und tatsächlich fanden sich in Windeseile Leute zusammen, um über die Lösung so genannter Forschungsaufträge zur Öffnung der hinteren Bereiche der Mine beizutragen. Die Forschungsaufträge bestanden im Wesentlichen aus Puzzle-Aufgaben. Das war gewissermaßen ein echter machina eX-Moment: Man musste knobeln, um das Geschehen voranzutreiben. Die Wirklichkeit ist veränderbar Abstrakter formuliert findet sich darin die Gemeinsamkeit dieser beiden Game-Theaterformate: Je konkreter ein Problem und die damit verbundene Zielvorstellung, desto stärker die Kooperation. Die sinnliche Entfaltung, die Spürbarmachung einer Herausforderung aktivierte die Teilnehmer, nicht die hohle Phrase. Vom Pathos der Revolution sind wir hier ein gutes Stück entfernt, nicht aber von einem Willen zur Veränderbarkeit der Wirklichkeit, von einer Reflexion der individuellen und kollektiven Bedürfnisse. Das Game entfaltet seine eigene Poesie der Schaffenskraft. Ich glaube, wir werden in Zukunft eine sprunghafte Entwicklung solcher Game-Theaterformen erleben. Es lässt sich ausdenken, wie in einer Welt wie dem „Regiodrom“ konkrete kommunale Belange spielerisch verhandelt werden. Wie sollte unser Dorf gestaltet sein: mit Moschee oder Kirche, mit Sportplatz oder Badeanstalt? Wie wollen wir investieren? Wie bilden wir Mehrheiten für solche Gestaltungsfragen? Denn das scheint mir der politische Kern des avancierten Game-Theaters zu sein. Es ist ein Theater der Teilhabe, ein Laboratorium des Miteinanders. Vielen Dank. Bei diesem Text handelt es sich um die deutsche Fassung eines Vortrages, der am 9. November 2013 im Rahmen der Konferenz „rePLAYCE: theCity“ in englischer Sprache gehalten wurde. Er wurde zuerst veröffentlicht bei nachtkritik.de

Christian Rakow ist Literaturwissenschaftler und arbeitet als Theaterkritiker unter anderem für Theater heute und die Berliner Zeiung. Er ist Redakteur bei nachtkritik.de. Hier schrieb er unter anderem über das Barcamp zur Eröffnung von Game ON Stage.

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AUSWEITUNG DER SPIELZON ROBIN JUNICKE

Bedrohliche Welten, schwerwiegende Entscheidungen, Zeitnot und Entscheidungsdruck - und die Zuschauer sind mitten drin. Das Spielerische wird verstärkt in szenischen Entwürfen eingesetzt, auch außerhalb von Strategien performativer Partizipation. Spätestens seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts versuchen sich diverse Gruppen daran, Spiele für die Bühne oder einen mit dieser in Beziehung stehenden öffentlichen Raum zu entwickeln. machina eX mit ihren begehbaren Point-and-Click-Adventures sind hier ganz vorn mit dabei und arbeiten daran, das Genre weiterzuentwickeln. Im Zuge einer allgemeinen Aufwertung des Spielerischen, wird auch spielerischen Bühnenformen immer mehr Aufmerksamkeit zu teil. Dies ist zum einen eine Chance für diese Spielformen, sich an ein breiteres Publikum zu richten, aber auch eine Herausforderung, sich mit den Verwandtschaftsbeziehungen von Spiel und Theater auseinanderzusetzen. Spiel als Form Beim Spielen handelt es sich auf den ersten Blick um ein freiwilliges, zweckfreies Handeln, welches allein aus der Freude am Tun ausgeführt wird, zumeist in Gesellschaft anderer. Spiele unterschiedlichster Form lassen sich in allen sozialen, wie animalischen Umgebungen beobachten. Von einfachen, körperbetonten Spielen wie dem Fangen oder einem spielerischen Kampf bis hin zu komplexen Als-Ob-Spielen oder Anordnungen mit extern festgelegten Regeln wie Gesellschaftsspielen oder Sport. Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga ist einer der ersten Wissenschaftler, die sich aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive mit dem Spiel auseinandergesetzt haben. Huizinga bündelte seine vielfältigen Thesen und Beobachtungen zu einer grundständigen Theorie des Spiels: Sein Buch „Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel“ kann als Geburtsstunde der Spielwissenschaft angesehen werden. Huizinga untersucht hierin das Spiel unter den verschiedensten Bedingungen. Das Prinzip des Ludischen ist in seiner Weltsicht allgegenwärtig, so beobachtet er spielerische Dispositive in Bereichen wie Recht, Krieg, Wissen oder Kunst. Jede Kultur wird anfänglich gespielt, so seine Grundthese – der Homo Ludens ist allgegenwärtig. So unterschiedlich die Erscheinungsformen auch sein mögen, welchen Huizinga spielerische Elemente attestiert, findet er doch Grundregeln, die den Terminus Spiel definieren. Zunächst und vor allem ist ein Spiel in dieser Definition abgetrennt vom alltäglichen Leben: „Spiel ist nicht das ‚gewöhnliche‘ oder das ‚eigentliche‘ Leben. Es ist vielmehr das Heraustreten aus ihm in eine zeit-

weilige Sphäre von Aktivität mit einer eigenen Tendenz.“ Hieraus folgt nicht nur die Einzigartigkeit der Spielsituation, sondern auch die Notwendigkeit von spielinhärenten Ordnungen und Idealen. Huizinga bemerkt hierzu: „In der Sphäre des Spiels haben die Gesetze und Gebräuche des gewöhnlichen Lebens keine Geltung.“ Es müssen eigene gefunden, oder vom Spielsystem zur Verfügung gestellt werden. Zugleich attestiert er dem Spiel jedoch auch, Wunscherfüllungsmaschine des sozialen Menschen zu sein. Das Spiel vermag es demnach, zeitlich und räumlich begrenzt idealisierte Gesellschaften zur Verfügung zu stellen und so den Spielenden zu ermöglichen, bestmögliche Welten selbst zu gestalten. Spielerische Strukturen durchwirken demnach sinnvoll alle Lebensbereiche, in denen es um idealisierbare Formen geht. Der französische Soziologe Roger Caillois übernimmt 1966 die Analyse der Spielsituationen von Huizinga, entwickelt aus ihnen dann jedoch einen formaleren Katalog. Mit diesem Instrumentarium wird die spezifische Spielsituation präziser beschreibbar, zugleich bleibt die Definition jedoch auf diese Weise offener für ungewöhnliche Formen. Die Definition baut auf sechs fundamentale Bedingungen eines Spiels auf. Es ist demnach freiwillig, separiert, ungewiss, unproduktiv, regelhaft und fiktiv. Der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi widmet sich in seinen Studien der Erforschung von Glück und Kreativität. In seinem Hauptwerk untersucht er den Zustand, in welchem sich Menschen befinden, wenn sie gänzlich in ihrem Tun aufgehen. Hierzu prägte er den Begriff des flow. Es geht um das Gefühl, von einem Erlebnis zum nächsten zu schweben, ohne aus dem Erleben herausgerissen zu werden. Dies ist in einer Freizeitaktivität wie dem Bergsteigen oder dem Spielen ebenso möglich, wie in Aktivitäten, welche erwerbstätig ausgeführt werden, wie dies (so eines seiner Beispiele) ein Chirurg tut. Für Spielende bedeutet dies, dass sie ganz in ihrem Tun aufgehen und sich voll und ganz in das Spiel begeben können. Hierin werden nicht nur Erfolgserlebnisse für die Spielenden als Akteure generiert, sondern es wird zudem noch ein spielerischer Umgang mit der Welt offeriert. Die Spieler erleben ihr Handeln somit unmittelbar als sinnvoll und relevant und bekommen stetige Rückmeldungen über das eigene Tun. Solange die Anforderungen an die Spieler sich mit ihren Fähigkeiten die Waage halten, können sie ganz im Spiel und zugleich ganz bei sich sein.

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Die Wahrnehmung des Spiels in der Öffentlichkeit ist einem steten Wandel unterworfen, es scheint sich jedoch eine stärkere Wertschätzung durchzusetzen. Es tauchen sogar vereinzelt Befunde auf, die das Spiel als neues Leitmedium ausmachen. Ein Leitmedium übt einen dominanten Einfluss auf die Konstitution von Gesellschaft und Öffentlichkeit aus. Vielleicht ist diese Zuschreibung überzogen und (noch) nicht zutreffend, aber es zeigt die Stellung, welche das Spielerische in der öffentlichen Wahrnehmung inzwischen einnimmt. Dies geht weit über das Computerspiel hinaus, wie beispielsweise der Begriff der gamification zeigt. Dieser versammelt den Einsatz verschiedener spielerischer Strategien in nichtspielerischen Umfeldern, von pädagogischen Einfällen bis hin zu Treuepunktekarten. Auf diesen Umgang mit Spielen auf der einen Seite und Systemen, die auf spielerischen Strukturen aufbauen andererseits, kann auch in spielerischen Theaterformen als Grundlagenwissen aufgebaut werden. Spiel und Bühne Um die Einbettung ludischer Strukturen in szenische Zusammenhänge beschreibbar zu machen, ist es hilfreich, der Ritualtheorie innerhalb der Performancestudies Aufmerksamkeit zu schenken. Richard Schechner beschreibt den Zustand innerhalb einer Performance oder eines Rituals als Transformation des Seins und/oder des Bewusstseins. „Die Performer selbst und manchmal auch die Zuschauer werden entweder dauerhaft wie durch Initiationsriten oder zeitweilig, wie im ästhetischen Theater oder im Trancetanz durch den Akt der Aufführung verändert.“ Diejenigen, die das Ritual durchführen, legen also ihre Alltagsidentität ab um eine neue anzulegen (beispielsweise die eines heiligen Tieres), sie aber nicht zu übernehmen. Der somit entstehende Zustand der doppelten Nichtidentität lässt sich in Spielformen mit performativen Anteilen übertragen und bedeutet dort also für die Teilnehmenden zur gleichen Zeit Nicht-Spieler und Nicht-Spielfigur zu sein. Es sei für den Performer unmöglich zu bestimmen, wer er ist. Dies zeichnet den Menschen vor dem Tier aus, dass er die Fähigkeit besitzt, verschiedene Identitäten zugleich zu haben und diese auch darzustellen. Was sich daraus ergibt, ist ein Zustand des Dazwischen, der Passage, welchen Victor Turner als Liminal bzw. als Liminoid bezeichnet. Turners Ritualtheorie basiert auf einer grundlegenden Beobachtung: Rituale haben immer einen prozesshaften Charakter und müssen somit unter einer zeitlichen Perspektive untersucht werden. „Rituale […] sind vom Nützlichkeitsprinzip des sozialen Lebens abgehoben. Sie sind symbolisch-expressive, kultische Handlungssequenzen, sakrale

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Zwischenphasen im Kontinuum des Alltagslebens oder mit kultureller Symbolik aufgeladene konventionalisierte symbolische Handlungsweisen.“ Wenn es um die Frage des Performativen geht, wird das Rituelle über die Sphäre des Sakralen hinaus gedacht; Erving Goffmann etwa spricht von Alltagsritualen, Turner nennt es soziale Dramen. Hieraus ergibt sich auch seine heute häufig ausgelassene Unterscheidung zwischen dem den Sakralen zugeordneten Liminalen und dem profanen Liminoiden. Das Spiel – speziell innerhalb der institutionellen Rahmung des Theaters – kann als prototypisches Beispiel eines solchen liminioden Raums betrachtet werden. In der liminalen Phase ist das freie Spiel mit den Zeichen eine Subversion ohne weitreichende Folgen – in liminoiden Zusammenhängen jedoch kann daraus eine Keimzelle des Umbruchs werden, die Saat des Zweifels in der Gewissheit des Alltags; das, was Brecht im Kern meint, wenn er über den Schauspielstiel seines neuen Theaters spricht: Die Darstellung im Bewusstsein, dass alles immer auch anders sein könnte. Im Zentrum aller Riten steht unabhängig von ihrem Einfluss, durch eben jenen freien Umgang mit den Symbolen, eine gewisse Form von Kreativität im Bewerten der eigenen Umwelt und im Handeln nach den neuen Regeln. Den Teilnehmenden solcher Aktivitäten kommt somit eine besondere Rolle zu: Innerhalb der explizit als außerhalb des Alltags stehend markierten Rahmung können sie mit zur Verfügung gestellten Elementen sowie mit dem eigenen Erfahrungshorizont innerhalb der vorgegebenen Regeln experimentieren, werden darin zu Akteuren und müssen sich in das Entstehen des kollektiven Erlebens einbringen. Die Frage der Teilhabe stellt sich insofern in diesen Formen ganz besonders. Es finden sich starke Aspekte des Spielerischen, aber auch durchaus Anklänge partizipativer Performances. Das Spiel lässt die Spielenden nach vorgefassten Regeln etwas erschaffen wohingegen die partizipativen Formen ein Werk erstellen, dem in einem zweiten Schritt von den Teilnehmenden etwas Substanzielles hinzugefügt werden kann. Die Grenzen sind schwimmend und Mischformen, wie im szenischen Kontext stehende Spielformen, sind eher die Regel als die Ausnahme. Es stellt sich jedoch die Frage, wie sich der einzelne Spieler in das Geschehen einfügen kann, was und an welcher Stelle beigetragen werden kann. Wie stark wird das Geschehen des Spiels beeinflusst; werden durch richtiges Verhalten Handlungen ausgelöst oder gibt es eine wechselseitige Beeinflussung? Die Bühne als Ort (oder schlicht der Kontext der Veranstaltung) gibt dem Spiel eine Rahmung und ermöglicht eine neue Art der Darstellung. Über diesen Spielen leuchten zwei große Überschriften:


MASCHINENLIEBE Kunst und Spiel. Beide Zuschreibungen beeinflussen Erwartung und Rezeption. Das Spiel ermöglicht durch sein Versprechen, außerhalb der Alltagsrealität und Nützlichkeitslogiken zu stehen, allen Beteiligten sonst nur ungleich schwerer vorstellbaren Handlungen und Narrationen zu folgen. Die Kunst verschiebt die Wahrnehmung des Geschehens in einen Kontext, in dem allen möglichen Elementen eher Bedeutung zugewiesen wird. Das Theater hat sich schon immer mit neuen Medien auseinandergesetzt; auch die Beschäftigung mit dem Computerspiel und anderen zeitgleich entstandenen Spielformen kann in diesem Sinne verstanden werden. Sei es als Zitat, in dem Computerspiele als Folie genutzt werden, um der Inszenierung einen jugendlichen Anstrich zu verleihen, oder als direkte Übersetzung der Mechanismen von einem in das andere Medium. machina eX machina eX etabliert Spiele in Theaterräumen als begehbare Point-andclick Adventures. Der Aufbau von für dieses Computerspielgenre typischen Tableaus mit zu entdeckenden und auszulösenden Elementen wird im Theaterraum nun auf eine szenische Installation übertragen. In kleinen Gruppen durchlaufen die Zuschauer hier Spielräume, in denen sie sich durch das Finden von Hinweisen und das Lösen von Rätseln nach und nach die Geschichte erspielen. Eine technisch aufwändige, interaktive Umgebung zusammen mit Darstellern, welche ganz wie Computerspielfiguren reagieren, bildet hierfür das Umfeld. Die Figuren, denen die Zuschauer dabei begegnen, agieren in einer Geschichte, die von den Zuschauern an wohl definierten Punkten beeinflusst werden kann. Der mürrische Grenzbeamte, der suspekte Lagerarzt, die Bardame, die für ihren Grenzübertritt spart, die Ladenbesitzerin, schwankend zwischen altruistischem Hilfsbedürfnis und marktwirtschaftlichen Interessen, oder der mittellose Gestrandete – sie alle haben ihre eigenen Geschichten, sind jedoch auch eng miteinander verwoben. In den meisten Fällen geschieht die Beeinflussung der Handlung durch die Spielenden, durch das richtige oder falsche Lösen von Rätseln oder thematisch passenden Aufgaben, wie dem (Mit)Bieten auf dem Aktienmarkt. An einigen Punkten werden jedoch auch moralische Entscheidungen eingefordert. Das Schau-Spiel pausiert in diesen Momenten. Performer und Zuschauer agieren abwechselnd und reagieren jeweils auf die Aktionen der anderen Seite. Man könnte von einem rundenbasierten Spiel sprechen. Der Zuschauer ist dabei nicht im eigentlichen Sinne anwesend, er kann zwar mit Personen und Objekten interagieren, wird von diesen jedoch nicht wahrgenommen; die Diegese macht den Zuschauer unsichtbar. Dies minimiert die Immersion und den Freiheitsgrad der (Mit)Spielenden zugunsten der spielerischen Aspekte und einer planbaren Narration. Das Point-and-Click-Genre erlaubt den Spielen von machina eX eine sehr installative Arbeitsweise; durch die Nähe zum Tableau vivant werden Räume zentral, die zu einem umherschweifenden Blick und einem eigenständigen Erkunden einladen. Der Zuschauer kommt in einen Schwebezustand – nicht ganz anwesend und nicht ganz abwesend. Das Interface des Spiels macht die Spieler zum Mauszeiger. Es scheint weniger eine Form der Interaktion als der gegenseitigen Reaktion zu sein. Brenda Laurel setzt in ihrem Buch „Computers as Theatre“ bei der langen Erfahrung des Theaters mit menschlicher Interaktion an und nimmt diese als Model für eine ideale Mensch-Maschine-Interaktion. Kennzeichnend sind ihre anthropomorphen Vorstellungen von direkter Erfahrung und persönlichen Agenten, die sich in ihren Ausführungen auch in ihren Idealvorstellungen von Interface und Applikation niederschlagen. In den begehbaren Point-andClick-Spielen finden wir nun die Rückbindung dieser Überlegungen an den Ort des Theaters. Die direkte Erfahrung des Individuums wird zum Schlüsselelement des Interfaces, wie des individuellen Erlebens. Zugleich jedoch wirkt


eine Dramaturgie, die der Logik des Algorithmus folgt. Es ergibt sich also auch auf dieser Ebene ein Schwebezustand: hier zwischen der direkten Erfahrung des Interfaces und dem Algorithmus des Regelwerks sowie der narrativen Struktur. Right of Passage Das Spiel „Right of Passage“ ist das Ergebnis einer steten Auseinandersetzung mit der eigenen Form, seinen Möglichkeiten und Beschränkungen, besonders in den zwei Jahren voller Workshops und Versuche innerhalb der Doppelpass Förderung von 2012-2014 am FFT in Düsseldorf. Das Spiel hatte im März 2014 Premiere in den Kammerspielen des FFT und weitet das spielerische Prinzip weiter aus; die Spielzone vergrößert sich. Nach einer kurzen Einführung werden die Spielenden ins Spiel geworfen: In einem bürokratischen Akt werden Fotos geschossen, Fragen gestellt und schließlich der eigene Ausweis ausgehändigt. Jedem Spieler wird eine rudimentäre Identität zugewiesen, ohne Namen aber mit spezifischen Attributen: Religionszugehörigkeit, Ethnie, Alter. In manchen

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MASCHINENLIEBE der Ausweise stecken ein paar Geldscheine. Ohne eine Rolle anzunehmen werden so Rollenattribute übernommen. Danach wird man in kleinen Gruppen in ein Auffanglager geleitet – angedeutete Hütten, gerade genug um eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. Menschen irren dort umher, wirken gehetzt, es wirkt unübersichtlich und tendenziell bedrohlich – eine kalkulierte Überforderung, das pädagogische Prinzip der Zumutung. Mit sanftem Druck findet man den Weg zum ersten Schalter, wo einem ein Laufzettel mit noch zu beschaffenden Dokumenten und Bescheinigungen ausgehändigt wird, die man braucht um über die Grenze zu gelangen – das Ziel des Spiels. Von nun an ist jeder auf sich alleine gestellt. Schon bald aber ergeben sich Möglichkeiten der Kooperation: Die Laufzettel sind nur mit vagen Aufgaben versehen – die Intelligenz der Masse strukturiert das Chaos vor Ort, versucht die benötigten Dokumente spezifischen Orten und Aktionen zuzuordnen. Spieler arbeiten zusammen und geben Informationen weiter, sind jedoch auch oft darauf bedacht, in ihrem individuellen Fortschritt nicht behindert zu werden. Es besteht ein Gleichgewicht zwischen individuellen und kollektiven Aufgaben. Das Spiel folgt einem System von Tag und Nacht in einer schnellen Taktung, dargestellt durch Licht und Sound. In unregelmäßigen Abständen tauchen in dem, so von dem Fortschritt der Spieler unabhängigen Zeitsystem, Plotpoints auf, die Ereignisse auslösen, die die Spieler gemeinsam lösen sollten. Zum einen wird hier die Geschichte des Lagers und ihrer Bewohner selbst erzählt, zum anderen stehen die Figuren für die individuellen Aufgaben solange nicht zur Verfügung, wie sie in den Kollektivaufgaben feststecken. Die Zeitökonomie ist ein wichtiges Element dieses Spiels: Aufgaben konkurrieren um die Zeit der Spielenden, Spielende um die Aufmerksamkeit der Nichtspielerfiguren. Die Schauspieler sind in ihre Rollen eingetaucht – teils in Form eines Rollenspiels mit einer interaktiven Beziehung zu den Spielenden, teils in den altbekannten Schleifen des Point-and-click Adventures. Die Aufgaben der Spielenden sind mit Minigames verbunden – Geschicklichkeitsspiele, Logikrätsel, Kombinationsaufgaben. In „Right of Passage“ überlagern sich verschiedene Elemente: spielerische Momente, eine dichte Atmosphäre, eine übergreifende Narration sowie die Vermittlung einer situativen Kenntnis. Je nach Involvierung der Spielenden haben diese Elemente ein unterschiedliches Gewicht. Die verschiedenen Angebote können angenommen oder ignoriert werden. Die Funktion des Spielenden geht dabei über den Mauszeiger hinaus – der individuelle Spieler wird vereinzelt direkt in seiner Rolle des Flüchtlings angesprochen. Dennoch existiert eine Art narratives Sicherheitsnetz: Wer nicht in seine Rolle schlüpfen möchte und sich der eigenen Aktivität verwehrt, kann dennoch die anderen Angebote in Anspruch nehmen, das Setting erkunden und der übergreifenden Narration folgen. Das Spiel würde in diesem Falle verloren, das Ereignis kann weiter verfolgt werden. Die Spieler changieren zwischen einer klassischen Zuschauerposition und eigenständigem Agieren. Das Spiel verortet sich damit zwischen einer partizipativen Performance und einem ludischen Angebot. Das Liminoide wird hier gleich auf mehreren Ebenen verhandelt: das Verwischen von Genregrenzen, die Überlagerung verschiedener Orte ebenso wie die Thematisierung von Transitorten selbst. Immer mehr Gruppen probieren sich an ludischen Formen für die Bühne. Etwa „Zarathustra 1.2“ der Schweizer Theatergruppe 400asa. Ein Spiel im öffentlichen Raum Zürichs, welches im Storyuniversum „Der Polder“ angesiedelt ist und die Zuschauer auf die Spur Zarathustras setzt. Oder aber die Stadtspiele der Gruppe Invisible Playground, welche international ortsspezifische Spiele entwickelt. Es sind jedoch auch Versuche zu sehen, welche das Spiel als Zitat benutzen, um eine Geschichte zu erzählen, oder im schlimmsten Falle damit eine Geschichte interessanter zu machen. Die vielfältigen Möglichkeiten, welche sich durch die Verschränkung einer szenisch tradierten Rahmung mit


ludischen Strategien – oder kurz gesagt durch die Wechselwirkungen von Theater und Spiel ergeben werden verstärkt erprobt, man möchte jedoch mutmaßen, dass dieses weite Feld noch so manchen Schatz bereit hält, welcher auf seine Entdeckung wartet.

Robin Junicke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theaterweissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Dort promoviert er zu Aspekten von Performativität und Fantastik im Rollenspiel. Mit seinen Studierenden war er regelmäßiger Gast und Begleiter von Game ON Stage.

machina eX haben gezeigt, dass Videospiel-Mechaniken sehr wohl auch auf der Bühne funktionieren können. Noch nie hat mich ein Theaterabend so gefesselt und so schnell mit fremden Leuten zusammen gebracht. Ich würde es wieder tun.

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