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Im Gespräch mit Susanne Tobler

«2050 schauen wir zurück auf unseren Konsum und werden ihn für absurd halten»

In der Küche von Susanne Tobler dreht sich alles um biologische, chemische und physikalische Prozesse. Als Catering-Unternehmen betrieb ihre Firma Tastelab mehrfach ein Mini-Pop-up am WEF in Davos. Sie spricht mit uns über ihre Arbeitsweise, Flexibilität im vergangenen Jahr und die Zukunft der Ernährung.

Interview: Latifa Pichler Bild: Tastelab

• In Ihrem Unternehmen dreht sich alles um Kochen und Wissenschaft. Geben Sie uns einen Einblick in Ihre Küche.

Physik und Chemie ist bei allem, was ich in meinem Leben angehe, Teil meiner Denkweise. Hinter den Kochprozessen und Geschmackskombinationen steckt Wissenschaft in Form biologischer, chemischer und physikalischer Prozesse. Das ist für mich völlig klar und omnipräsent. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich das Nachtessen zuhause oder ein grosses Catering am WEF zubereite. Unser Ansatz im Tastelab ist es, dass wir in der Basis verstehen möchten, was passiert, und dieses Wissen nutzen wir für andere Kombinationen und Zubereitungsarten.

• Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Ja. Wir erhielten einen Auftrag für ein Frühstückscatering und haben uns Gedanken über klassische Produkte für ein Frühstück gemacht und kamen auf Nutella. Wir

Zur Person

Susanne Tobler

Die ETH-Physikerin und Köchin aus Leidenschaft war im vergangenen Jahr mit ihrer Catering-Firma Tastelab in derselben Situation wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. Es lief wenig oder nichts. Zusammen mit ihrem Geschäftspartner suchte sie nach neuen Geschäftsfeldern, um ihr Wissen rund um die Wissenschaft und das Kochen in anderen Formen aufzubereiten. So hat Tastelab eine Koch-App mit Umrechnungs- und Kalkulationsfunktionen für professionelle Köche lanciert.

tastelab.ch

analysierten, wie Nutella entsteht, welches die Komponenten sind, wie diese chemisch zusammenarbeiten und wie wir daraus ein eigenes Produkt kreieren können. So erstellten wir eine Pistazienbutter, bestehend aus Pistazien und Kakaobutter anstelle von Haselnüssen und Kakaopulver. Es entstand eine quietschgrüne Pistazien-Nutella. Das Verfahren dahinter war identisch mit dem Original. Die Herangehensweise ist immer dieselbe: Wir nehmen ein Produkt und einen Prozess, den wir kennen, und überlegen, wie wir das für andere Applikationen anwenden können.

• Das klingt spannend.

Das ist es. Ebenso beim Fermentieren. Alle kennen Sauerkraut oder Kimchi. Auch hier kann man sich fragen, was eine Lakto-Fermentation ist und wieso das mit einem Chinakohl oder Kohl funktioniert und mit anderen Produkten eben nicht. Wir gehen gerne von Kochprinzipien und nicht von Rezepten aus. Ein Rezept ist für mich etwas Alleinstehendes, das nur in einem Kontext funktioniert. Wir möchten immer das Prinzip verstehen und fähig sein, dieses für andere Lebensmittel anzupassen.

• Dahinter steckt wohl auch die Faszination, zu tüfteln und den Ursprung zu finden?

Genau. Als wir das letzte Pop-up-Restaurant betrieben, wollten wir ein BasilikumÖl erstellen. Dieses Öl sollte grün sein und nach Basilikum schmecken. Mein Ansatz beim Kochen ist, dass ich zuerst Bücher für wissenschaftliches Kochen lese. In diesem Fall wollte ich verstehen, was ein grüner Farbstoff ist, und dasselbe beim Geschmacksstoff. Mit dem angelesenen Wissen verstehe ich, welche Temperaturstufe und Zeit zur Herstellung optimal sind. Das war auch die Grundlage für unsere App, Wissen weiterzugeben, und zwar nur die Essenz unseres Wissens, meistens in Form von Zahlen, Daten, Fakten, Zeiten und Verhältnissen. Es kann beispielsweise nachgeschaut werden, welche Zeit- und Temperaturkombination und welche Prozesse für geschmackliche Öle am besten geeignet sind.

• Wer profitiert von der Tastelab-App?

Professionelle Köche und ambitionierte Hobbyköche. Der Aufbau ist «high-level» und reduziert, ohne Bilder und Videos. Die App setzt da an, wo die Menschen bereits Bescheid wissen, und wird durch Zahlen und Fakten ergänzt.

• Was lehrte Sie das Jahr 2020?

Dass einem eine Breite an Interessen und Fähigkeiten sowie Flexibilität entgegenkommen. Wir sind seit fünf Jahren nach diesem Prinzip tätig und haben währenddessen unterschiedlichste Dinge lanciert: von Pop-ups, über Restaurantzwischennutzungen, Caterings, Beratungen bis hin zur App-Entwicklung. Eigentlich hatten wir vor, im Sommer 2020 ein Bistro zu eröffnen. Anfang Jahr, als der Bau gestartet hätte, merkten wir, dass es aufgrund der Investorensituation nicht mehr tragbar ist, und sind ausgestiegen. Dass wir momentan so flexibel die Möglichkeit haben, uns der Situation anzupassen, hilft uns sehr. Wir haben auch kein fixes Büro, sondern arbeiten in Co-Working-Spaces. Auch die Küche mieten wir von Caterern dazu. Für normale Tests nutze ich meine Küche zuhause.

• Sie sind also sehr schmal aufgestellt?

Ja, genau. Mein Geschäftspartner, Remo Gisi, ist ursprünglich Informatiker und hat sich jetzt das App-Programmieren beigebracht. Bei Start des Lockdowns entschieden wir innert kürzester Zeit, dass wir uns vermehrt auf digitale Produkte fokussieren. Fähigkeiten umzunutzen, ist aus meiner Sicht aktuell sehr wichtig. Wir sind nach wie vor in der Umstellung. Im Sommer erhielten wir Anfragen für Caterings, die wieder abgesagt wurden. Der Verlauf ist nicht gradlinig. Doch hilft es,

die Flexibilität, Freude und Innovation beizubehalten, damit das Vakuum für neue Dinge genutzt werden kann. Aktuell arbeiten wir an einer weiteren App, die wir unter normalen Umständen nicht entwickelt hätten, weil wir das Bistro betrieben hätten. Ich habe gelernt, dass unser Wissen ganz verschiedene Formen annehmen kann, das muss kein Restaurant oder Catering sein, sondern kann beispielsweise auch eine Beratung oder ein digitales Produkt sein.

• Wird die Ernährung der Zukunft ebenfalls Teil dieser Arbeit sein?

Ja. Am letztjährigen WEF haben wir mit der ETH zum vierten Mal eine Ausstellung betrieben, dieses Mal rund um das Thema «Zukunft der Ernährung im Kontext von Nachhaltigkeit und Digitalisierung». Das ist auf sehr grosses Interesse gestossen und generierte viele Folgeprojekte. Dieser Ansatz, der auf mehr pflanzliche Produkte hinausläuft, bleibt im Fokus und bildet die Basis für neue digitale Produkte und Beratungen.

• Was finden wir 2050 auf der Speisekarte, und was wird uns zusätzlich zur Auswahl stehen?

Fleischersatzprodukte sind momentan sehr präsent, aber das Spektrum ist viel grösser. Es wird noch viel mehr pflanzliche Produkte geben. Ich denke, 2050 werden wir zurückschauen auf das, was wir konsumiert haben, und es für absurd halten. Wenn ich heute eine Pouletbrust kaufe, sind für mich die Hintergründe, wie das Huhn gehalten wurde, nicht greifbar. Ich bin mir sicher, dass die Herkunft und Haltung von Tieren lückenlos aufgezeigt wird. Der Umweltgedanke erhält einen hohen Wert in der Produktion von Lebensmitteln. Der Fokus wird auf komplett anderen Produkten liegen. Da möchten wir ansetzen, indem wir Zutaten ersetzen, aber keine Einbusse in Geschmack und Qualität haben. Info

App Tastelab: Cooking Knowledge

Die Mobile-App enthält Kochfakten und Zahlen auf einfach zugängliche Art. Für Profi-Köche sowie ambitionierte Heimköche ist sie das allzeit verfügbare Nachschlagewerk mit wissenschaftlich untermauertem Kochwissen.

• Ihre Einschätzung: Wie verändert Corona die Branche?

Ich glaube, je länger das dauert, bis es sich normalisiert, desto schwieriger ist es. Wir gingen alle davon aus, dass wir uns durch die paar Monate Ausnahmesituation Anfang letzten Jahres durchschlängeln können – privat wie beruflich. Selbst als wir mit den digitalen Produkten gestartet sind, haben wir uns nicht überlegt, ob wir davon leben können. Was zeigt, dass wir die Situation als sehr temporär wahrgenommen haben. Je länger das ging und für uns grosse Projekte abgesagt wurden, desto mehr merkten wir, dass der Horizont nach vorne leer wurde. Die grosse Herausforderung ist die Länge des Problems. Ich denke, dass es leider einige Konkurse geben wird – finde es aber schön, zu sehen, wie viele Gastronomiebetriebe schnell auf Heimlieferung, Office-Caterings und ähnliche Lösungen umgestellt haben. ▪

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