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Lesezeit
Es treibt der Wind im Winterwalde
(Rainer Maria Rilke, 1875-1926)
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Es treibt der Wind im Winterwalde die Flockenherde wie ein Hirt und manche Tanne ahnt wie balde sie fromm und lichterheilig wird; und lauscht hinaus. Den weißen Wegen streckt sie die Zweige hin – bereit und wehrt dem Wind und wächst entgegen der einen Nacht der Herrlichkeit. Ruhig sein... (Theodor Fontane, 1819-1898)
Ruhig sein, nicht ärgern, nicht kränken, Ist das allerbeste Schenken; Aber mit diesem Pfe erkuchen Will ich es noch mal versuchen.
Weihnachten
(Joachim Ringelnatz, 1883-1934)
Liebeläutend zieht durch Kerzenhelle, mild, wie Wälderduft, die Weihnachtszeit. Und ein schlichtes Glück streut auf die Schwelle schöne Blumen der Vergangenheit. Hand schmiegt sich an Hand im engen Kreise, und das alte Lied von Gott und Christ bebt durch Seelen und verkündet leise, dass die kleinste Welt die größte ist.
Das Weihnachtsbaumlein ..
Christian Morgenstern (1871-1914)
Es war einmal ein Tännelein mit braunen Kuchenherzlein und Glitzergold und Äpfl ein fein und vielen bunten Kerzlein: Das war am Weihnachtsfest so grün als fi ng es eben an zu blühn.
Doch nach nicht gar zu langer Zeit, da stands im Garten unten, und seine ganze Herrlichkeit war, ach, dahingeschwunden. die grünen Nadeln warn'n verdorrt, die Herzlein und die Kerzlein fort.
Bis eines Tags der Gärtner kam, den fror zu Haus im Dunkeln, und es in seinen Ofen nahm. Hei! Tats da sprühn und funkeln! Und fl ammte jubelnd himmelwärts in hundert Flämmlein an Gottes Herz.
Großstadt - Weihnachten
(Kurt Tucholsky, 1890-1935)
Nun senkt sich wieder auf die heim'schen Fluren Nun senkt sich wieder auf die heim'schen Fluren die Weihenacht! die Weihenacht! die Weihenacht! die Weihenacht! Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren, Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren, wir kriegens jetzo freundlich dargebracht. wir kriegens jetzo freundlich dargebracht. Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen? Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen? Die Braut kramt schämig in dem Portemonnaie. Die Braut kramt schämig in dem Portemonnaie. Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen, Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen, den Aschenbecher aus Emalch glasé. den Aschenbecher aus Emalch glasé.
Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen auf einen stillen heiligen Grammophon. auf einen stillen heiligen Grammophon. Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen den Schlips, die Puppe und das Lexikohn, den Schlips, die Puppe und das Lexikohn, Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen, Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen, voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn, voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn, dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen: dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen: “Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!” “Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!”
Und frohgelaunt spricht er vom Weihnachtswetter Und frohgelaunt spricht er vom Weihnachtswetter mag es nun regnen oder mag es schnein, mag es nun regnen oder mag es schnein, Jovial und schmauchend liest er seine Morgenblätter, Jovial und schmauchend liest er seine Morgenblätter, die trächtig sind von süßen Plauderein. die trächtig sind von süßen Plauderein. So tri t denn nur auf eitel Glück hienieden So tri t denn nur auf eitel Glück hienieden in dieser Residenz Christkindleins Flug? in dieser Residenz Christkindleins Flug? Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden. Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden. “Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.” “Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.”
Das Weihnachtsfest
(Theodor Storm, 1817-1888)
Vom Himmel in die tiefsten Klüfte Ein milder Stern herniederlacht; Vom Tannenwalde steigen Düfte und hauchen durch die Winterlüfte, Und kerzenhelle wird die Nacht.
Mir ist das Herz so froh erschrocken. Das ist die liebe Weihnachtszeit! Ich höre fernher Kirchenglocken Mich lieblich heimatlich verlocken In märchenstille Herrlichkeit.
Ein frommer Zauber hält mich wieder, Anbetend, staunend muß ich stehn; Es sinkt auf meine Augenlider Ein goldner Kindertraum hernieder, Ich fühl's, ein Wunder ist geschehn.
Weihnachten
(Joseph von Eichendor , 1788-1857)
Markt und Straßen stehn verlassen, Still erleuchtet jedes Haus, Sinnend geh’ ich durch die Gassen, Alles sieht so festlich aus. An den Fenstern haben Frauen Buntes Spielzeug fromm geschmückt, Tausend Kindlein stehn und schauen, Sind so wunderstill beglückt. Und ich wandre aus den Mauern Bis hinaus in’s freie Feld, Hehres Glänzen, heil’ges Schauern! Wie so weit und still die Welt! Sterne hoch die Kreise schlingen, Aus des Schneees Einsamkeit Steigt’s wie wunderbares Singen –O du gnadenreiche Zeit!
Neujahrsgedicht (Rainer Maria Rilke, 1875-1926) Und nun wollen wir glauben an ein langes Jahr, das uns gegeben ist, neu, unberührt, voll nie gewesener Dinge, voll nie getaner Arbeit, voll Aufgabe, Anspruch und Zumutung. Und wollen sehen, dass wirs nehmen lernen, ohne allzuviel fallen zu lassen von dem, was es zu vergeben hat, an die, die Notwendiges, Ernstes und Großes von ihm verlangen. Guten Neujahrsmorgen!
Chaotische Weihnachten
(Norbert van Tiggelen, 1964)
Wenn der Hund vor Heiterkeit unterm Christbaum macht sich breit, um ihn artig zu markieren und mit seinem Duft zu zieren –
Wenn die Kids die Eltern nerven und mit Spekulatius werfen, dass die Oma ist empört, doch die Mutti es nicht stört –
Wenn die Lichterketten schmoren, Hardrocksound betäubt die Ohren, Kinder sind vor Jähzorn blind, weil die Gaben uncool sind –
Wenn trotz Schein von Baum und Kerzen einem arg die Augen schmerzen, man vor Rauch nichts mehr erkennt, weil’s im Nachbarhaus schon brennt –
Wenn der Vati hat ein’ sitzen, aus dem Ofen Funken blitzen, verbrannt ist auch der Festtagsschmaus – dann wird’s Weihnachtsfest zum Graus.