TagesSatz 2010/09

Page 1

TagesSatz

* 09/10

1


A N Z E I G E C ARITAS 2

2

TagesSatz

* 09/10


EDITO R I A L Liebe Leserinnen und Leser, Kassel, die spröde nordhessische Schönheit, hat im Zweiten Weltkrieg im Gegensatz zu Göttingen und vielen anderen Städten durch die ansässige Rüstungsindustrie mächtig gelitten. Die Alliierten haben die Rüstungsbetriebe, die zumeist in Stadtnähe angesiedelt waren, bombardiert. Von daher ist an historischer Bausubstanz nicht mehr viel vorhanden. Der alte Stadtkern ist weitestgehend zerstört und man muss schon suchen, um noch ein altes schmuckes Fachwerkhäuschen zu finden. Da man mit dem Stadtbild nicht mehr locken kann, setzen die hiesigen Stadtväter, unterstützt von vielen interessierten Bürgern, vermehrt auf kulturelle Angebote, um die Attraktivität für Bewohner und Besucher gleichermaßen zu erhöhen. Hier punktet Kassel mit vielfältigen Angeboten, wie der Artikel zur „Festivalisierung“ aufzeigt. In Zeiten knapper Ressourcen kommt auch dem Thema Nachhaltigkeit immer mehr Bedeutung zu. Darauf geht unser Beitrag über das Passivhaus-Konzept ein. Die Anforderungen der heutigen Berufswelt an die Mobilität der Arbeitnehmer sowie sinkende Geburtenraten führen mancherorts zu überproportionaler Zunahme von alten Menschen in der Gesellschaft. Deshalb sehen gerade die im städtischen Besitz befindlichen Wohnungsbaugesellschaften eine künftige Herausforderung, wie das Projekt „piAno“ der Kasseler GWG zeigt. Die Göttinger Kollegen stellen indes das Konzept der „Transition Towns“ vor, die im Zuge einer relokalisierten Wirtschaft den Schwerpunkt wieder mehr auf Selbstversorgung und Nachhaltigkeit legen. Weiterhin setzen sie sich mit dem Thema „Ghettoisierung“ auseinander. In unserer neuen Rubrik Kaffeeklatsch präsentieren Ihnen diesmal die Sängerin Lena Meyer-Landrut. In dem Exklusiv-Interview, bei dem außerdem die Kollegen der Süddeutschen Zeitung und der Nachrichtenagentur dpa anwesend waren, lernen Sie einmal ganz andere Seiten der jungen Künstlerin kennen. Unser Interview erscheint auch in zahlreichen anderen Straßenmagazinen wie Hinz & Kunzt und Asphalt mit einer Gesamtauflage von über 120.000! Im Lokalteil präsentieren unsere Kollegen die „Göttinger Wagenburg“, während in Kassel Trudi Kindl das Konzept „Unterstütztes Wohnen für Menschen mit Körperbehinderung und/oder chronischen Erkrankungen“ erläutert. Alles in Allem eine recht breite und hoffentlich anregende Mischung, so hoffen wir. Viel Spaß bei der Lektüre

TagesSatz. Hilft sofort.

*

*

Der TagesSatz wird von Menschen in sozialen Schwierigkeiten auf der Straße verkauft. Vom Verkaufspreis der Zeitung (2,00 Euro) behalten die VerkäuferInnen 1,00 Euro. Sie können damit ihre finanzielle Situation verbessern und sind nicht mehr auf Almosen angewiesen.

*

Die Mitarbeit in Redaktion und Vertrieb des TagesSatz bietet arbeits- und wohnungslosen Menschen eine Aufgabe und die Möglichkeit, neue soziale Kontakte zu knüpfen und ermöglicht langfristig gesehen den Wiedereinstieg ins Berufsleben.

*

Der TagesSatz finanziert sich ausschließlich durch Verkaufserlöse, Anzeigen und Spenden. Das Straßenmagazin erhält keine regelmäßigen Fördermittel.

*

Wenn Sie den TagesSatz über den Kauf hinaus unterstützen wollen, können Sie auf folgendes Konto eine Spende überweisen: TagesSatz e.V. Kassler Sparkasse Kto.: 1183379 Blz.: 52050353 TagesSatz e.V. Sparkasse Göttingen Kto.: 50581511 Blz.: 26050001

Harald Wörner (Redaktionsleitung Kassel)

Bitte geben Sie Ihre Adresse im Feld Verwendungszweck an, damit wir Ihnen eine Spendenbescheinigung zusenden können.

Wir danken der Sparkassenstiftung für ihre finanzielle Unterstützung.

Der TagesSatz ist Mitglied von:

TagesSatz

* 09/10

3


Sie blüht nur zwei Nächte Im Rahmen des Projektes Tellerrand unternahmen Verkäufer des TagesSatzes im August einen Ausflug in den Botanischen Garten Göttingen. Ihr Ziel war eine Führung mit Vortrag von Frau Dr. Gabriele Weis zur Seerose Victoria.

* ANDREAS PRAMANN

V

on der Victoria gibt es zwei Arten: Victoria amazonica und Victoria cruciana. Im Göttinger Gewächshaus ist die cruciana, die laut Fachliteratur kleinere Art mit einem Durchmesser der Blätter von 1,50 Meter. Die Blätter in Göttingen haben aber dank guter Pflege einen Durchmesser von zwei Metern. Erste Versuche, die Victoria nach Europa zu bringen sind im 19. Jahrhundert zunächst fehlgeschlagen, bis man auf die Idee kam, die Samen in Wasser eingelegt zu transportieren. 1847 gelang in England die erste Kultivierung.

Die Victoria blüht in zwei Nächten. Die Blüte ist 30 Zentimeter groß. In der ersten Nacht ist sie weiß und erwärmt sich, wodurch sie einen Duft verströmt, der eine Käferart anlockt. Sind die Käfer erst einmal in der Blüte, werden sie eine Nacht lang festgehalten. Am nächsten Tag freigelassen, passieren sie Staubbeutel und begeben sich mit reichlich Blütenstaub bedeckt

zur nächsten Blüte. An diesem zweiten Tag nimmt die Blüte eine rosa Färbung an. Gegenüber konkurrierenden Pflanzen kann sich die Victoria gut durchsetzen. Einerseits ist die Blattunterseite mit Stacheln übersäht, die andere Pflanzen aufschlitzen und auch Fische davon abhalten, von den Blättern zu fressen. Andererseits legen sich die Blätter wie eine Wagenburg schützend um die Blüte und entwickeln eine ungeheure Kraft, mit der sie andere Pflanzen zur Seite drängen. Der Abend im Botanischen Garten endete mit einigen Erinnerungsfotos, die ein Besucher von den Verkäufern und Frau Dr. Weis machte. Der anwesende Fotograf Harald Wenzel stellte dem TagesSatz Fotos zur Verfügung. Herzlichen Dank dafür.

*

Harald Wenzel & Passant

Die Victoria ist eine einjährige Pflanze. Das aktuelle Exemplar im Botanischen Garten ist neun Monate alt. Die Blätter haben an ihrer Unterseite ein Stützskelett mit Luftkammern. Versuche haben ergeben, dass die Blätter

Lasten von über 80 kg tragen können, wenn die Last gleichmäßig verteilt wird, indem man etwa ein Brett auf das Blatt legt. Wird die Last auf einen Punkt konzentriert, bricht man ein. Eingeborene des Amazonasgebietes haben allerdings eine Lauftechnik entwickelt, die es ihnen erlaubt, schnell über die Blätter zu laufen. Europäische Forscher, die das zum erstenmal sahen, glaubten, die Menschen liefen über das Wasser.

Das Projekt Tellerand fördert Aktivitäten der Göttinger TagesSatz-Verkäufer, die deren Horizont erweitern. Die Tellerand-Aktion dieses Monats wurde finanziert von Göttinger Firmen und vorbereitend unterstützt von PLAZEBO, Werbeagentur für Soziales, Kultur & Gesundheit. 4

TagesSatz

* 09/10


IN H A LT

*

WIE WILLST DU LEBEN? 8 10 11 12 14

Das Passivhaus von TOBIAS & STEFAN GIEBEL Städtewettbewerb um Attraktionen von NORA mey Das Gesicht von PiAno von harald wörner Göttingens Ghettos von ANNA KNOKE Transition Towns VON JÖRG SANDERS

Rubriken

tagesklatsch mit kaffeesatz

6

mit LENA MEYER-LANDRUT von KHOA LY

Göttingen 18 Die Experten der Weststadt von jenny lepies 19 Flucht in die Natur von KHOA LY 20 20 Jahre Essen für Bedürftige von RALF REINKE

Kassel

*

22 Standort-Report (age) Ai Wei Wei von ARMIN SCHULZE & VIRGINIA HILL 24 Eigenmotivation als Grundlage von trudi kindl

Kultur 28 Gute Aussichten von FABIAN WAGENER 29 Urbanes Zwielicht von SABINE PARSUNKA

3 4 16 17 21 25 26 30 31 32 33 34

Editorial Projekt Tellerrand Der Stolperstein Paragraphenreiter Straßengeflüster Winkeladvokat Die Kochnische Kultur-Empfehlungen Hinter den Kulissen Zwischen den Zeilen In der Nahaufnahme Der Ticker Nächstes Mal Impressum Wohin, wenn

Bitte ausschneiden und zurücksenden an: TagesSatz e.V., Westring 69, 34127 Kassel

Fördermitglied oder ABO?

Grundsätzlich möchten wir Sie darum bitten, die Zeitung auf der Straße zu kaufen. Für diejenigen, die dazu keine Möglichkeit haben, bieten wir ein Abo für 50 € / Jahr an. Damit wird Ihnen der TagesSatz ein Jahr lang (12 Ausgaben) zugestellt. Selbstverständlich können Sie das Abo auch verschenken. Wer den TagesSatz darüber hinaus unterstützen möchte, der kann Fördermitglied werden. Eine Spendenquittung wird Ihnen am Jahresende automatisch zugesandt.

Ja, ich möchte dem TagesSatz e.V. als förderndes Mitglied beitreten.

Hiermit ermächtige ich den TagesSatz e.V. meinen Jahresbeitrag / meine jährl. Abokosten bis auf Widerruf von folgendem Konto abzubuchen: Name, Vorname:

Den Jahresbeitrag ( Mindestbeitrag von 75,- € ) in Höhe von

Straße, Hausnr.:

_____ € lasse ich jeweils vom angegebenem Konto abbuchen.

PLZ, Ort:

Der TagesSatz soll mir monatlich zugesandt werden.

Kontonummer: BLZ:

Geldinstitut:

Ja, ich möchte das Straßenmagazin TagesSatz für mindestens ein Jahr abonnieren. Die Kosten von 50,- € (incl. Versand) lasse ich jeweils vom angegebenem Konto abbuchen.

TagesSatz

* 09/10

Ort, Datum

Unterschrift

5


Dario Gödecke

D A S G E S P R Ä CH

tagesklatsch mit kaffeesatz

„Öfter mal eine Pause machen“ Im Juli startete die neue TagesSatz-Rubrik „TagesKlatsch mit KaffeeSatz“, in der mit prominenten Persönlichkeiten über Gott und die Welt gesprochen wird. Nachdem Jürgen Trittin den Anfang machte, freuen wir uns, Ihnen nun ein exklusives Gespräch mit Lena Meyer-Landrut präsentieren zu können, das der TagesSatz am 4. August in Köln führte.

* KHOA LY IM GESPRÄCH MIT LENA MEYER-LANDRUT

D

eine Single „Touch a New Day“ ist am 6.8. erschienen. Um was geht es da genau?

Darum, eine Pause zu machen. Ein bisschen zu entspannen und alles nicht so wichtig zu nehmen, und ich glaube, den tieferen Sinn kann man sich selber überlegen, was man darin sehen möchte. Ich finde, dass es nicht so wichtig ist, was jeden Tag passiert, sondern dass es viel wichtiger ist, dass man insgesamt zufrieden ist. Was wäre Deine Vorstellung von einem schönen Zuhause? 6

Ich bin ein wenig zwiegespalten. Ich finde viele Sachen total toll. Ich bin ein riesen Fan von Einrichtungskram. Ich mag es, wenn es total minimalistisch ist. Weiß, kalt, alles. Das finde ich total geil auf der einen Seite. Auf der anderen Seite finde ich es total toll, wenn da Kordeln und Teppiche sind, die Wände voll mit Decken. Alles bunt. Flohmarktmäßig. Ich habe da noch einen weiteren Vorschlag. Es gibt sogenannte Bauwagensiedlungen: Menschen besetzen einen Platz und leben in bunten Bauwagen ohne fließendes Wasser und TagesSatz

* 09/10


DAS GESP R Ä C H Strom. Manche gehen weiter ihrem Beruf nach, einige nicht und wohnen dort entspannt. Kannst Du Dir das auch vorstellen? Haben wir in Hannover auch. Die haben aber statt Bauwagen Hütten gebaut und holen sich alles von überall. Wenn Leute ihren Sperrmüll auf die Straße stellen, dann ist die Hälfte davon noch vollkommen in Ordnung. Nur die Leute finden es dann einfach nicht mehr schön oder zeitgemäß. Die holen sich dann den ganzen Kram, wohnen dann dort. Die machen ganz oft Partys, und da gehen wir ganz oft hin. Das ist total geil, dass macht wahnsinnig viel Spaß. Ein bisschen alternativ? Total, auch teilweise mit Drogen und so.

in solchen Situationen ganz intensiv. Warum bist Du nach Taizé gefahren? Ich bin nach Taizé gefahren, weil ich mir das Video angeschaut habe auf der Homepage von Taizé. Dann war ich geflashed und habe gesagt, alles klar, da geht es hin. Das Video hat Taizé beschrieben, aber das ist wie, wenn man mit jemandem zusammen ist und man ist auf jeden Fall man selbst, aber dann trifft man jemand anderen, bei dem man noch viel, viel mehr man selbst ist. So war das in Taizé. Das war richtig krass. Man konnte da einfach sein, wie man vielleicht eigentlich alleine ist, aber trotzdem sind viertausend Menschen um einen herum. Und so ein krasses Gefühl von Gemeinschaft hatte ich noch nie. Vermisst Du das in Deutschland?

ches Bild hat? Oder willst Du lieber, dass die Öffentlichkeit weiß: „Das bin ich, die Person, die nachdenkt, die in Hannover auf eine Bauwagenparty geht. Oder bin ich nur die Lena, deren Schulranzen pink ist?“ Ich glaube, ich bin auf jeden Fall die Lena, bei der der Schulranzen pink ist, für die Öffentlichkeit. Weil ich mich dazu entschieden habe, mein privates Ich größtenteils für mich selbst zu behalten und für meine Familie und meine Freunde. Trotzdem gebe ich ja andauernd Einblicke in mich, was glaube ich auch wichtig ist, weil das einfach so funktioniert. Deine Tour startet im April 2011. Der Vorverkauf beginnt bereits. Es wurden große Konzerthallen in Köln oder Berlin gebucht mit über zehntausend Sitzplätzen. Ich kann mir das nicht

„Respekt und soziales Denken: total wichtig“ Aber Lena hat damit nichts zu tun … Man sieht das ganz oft, aber damit habe ich überhaupt nichts zu tun. Ich finde die Atmosphäre einfach schön. Man hat dann ein Lagerfeuer, und dort sind fünfzig bis sechzig Leute, die sich dort treffen und einfach Spaß haben. Kannst Du Dir das selber vorstellen, dort zu wohnen? Wie in Deiner neuen Single: Den Stress sein lassen, eine Pause machen und mitten in Hannover die Seele baumeln lassen? Man sollte auf jeden Fall, öfter mal eine Pause machen und die Seele baumeln lassen. Ich habe es auch schon öfters gemacht. Ich bin zum Beispiel nach Taizé gefahren, und da hatte man auch keinen Strom und kein fließend Wasser. Ich finde das ganz wichtig, zwischendurch auf jeden Fall. Ich kann das nicht mein ganzes Leben machen, dafür weiß ich ganz genau, was ich dann vermissen werde. Zum Beispiel Duschen. Aber ich glaube, dass es zwischendurch total wichtig ist, um zu sich zu finden, auch irgendwie nachzudenken. Darüber nachzudenken, was man eigentlich macht. Das macht man TagesSatz

* 09/10

In Deutschland spricht man von einer Ellbogengesellschaft, von Menschen, die sich um andere gar nicht kümmern. Glaubst Du das? Ja, ich glaube das schon. Ich denke sehr oft daran und ich merke teilweise an mir selbst: „Scheiße, was machst Du gerade? So willst Du doch eigentlich nie sein!“ Kleinigkeiten einfach. Unhöflichkeiten oder kleine Respektlosigkeiten, die man nicht bewusst macht, sondern die einem einfach im Alltag passieren. Und ich finde, dass es total wichtig ist, da immer zu denken, dass man so handelt, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Da ist Respekt und soziales Denken total wichtig.

vorstellen: Hier die Lena, die gerne auf irgendwelchen kleinen Partys ist, die gute Freunde hat und nicht nur oberflächlich ist, die eher auf Qualität statt auf Quantität setzt – warum macht sie ihre Tour in Großstädten, nicht etwa in einer Kleinstadt in einer kleinen Lokalität zum Beispiel?

Total. Aber so ist das Leben. Man darf das nicht so ernst nehmen. Ich glaube es ist eine ganz natürliche Sache.

Ich habe die Entscheidung, dass wir das in den Städten machen, für ganz gut empfunden, weil ich für mich selber gesagt habe: „Freunde, ich kann nicht dreißig oder vierzig Konzerte spielen, weil ich das noch nie gemacht habe und weil ich glaube, dass sogar neun Konzerte schon ganz schön hart werden und ganz schön schwierig und ganz schön anstrengend.“ Und deswegen kann ich nicht dreißig bis vierzig kleinere Konzerte spielen in jeder Stadt, in der ich gerne sein möchte, weil ich für mich entschieden habe, dass es für mich körperlich zu viel ist. Und da habe ich gesagt, dass wir es dann lieber in den großen Städten machen. Wenn es dann nicht voll wird, wird es nicht voll.

Aber wünschst Du Dir, dass die Öffentlichkeit von Dir ein oberflächli-

Lena, ich danke Dir für das Gespräch!

Und Oberflächlichkeit unwichtig. Ich habe einen Artikel gelesen, Überschrift „Lenas erster Schulranzen war pink“. Findest Du die Medienlandschaft oberflächlich?

*

7


T I T E LT H E M A

Das Passivhaus Eine Alternative für das Wohnen im 22. Jahrhundert In Zeiten des zunehmenden Verbrauchs von Ressourcen, die nicht nur für die Heizung und die Mobilität, sondern auch für die Zukunft des Menschen unter anderem im Bereich der Medizin notwendig sind, ist ein Umdenken erforderlich. Gerade angesichts der unabsehbaren Folgen für das Klima und damit für das gesamte Leben auf dem noch „blauen Planeten“ sind neue effiziente, umweltfreundliche Konzepte in Haushalt und Hausbau gefragt.

* TOBIAS & STEFAN GIEBEL

D

Jörg „Yogi“ Müller

ie Entwicklung von Alternativen in den Energie verzehrenden Bereichen unseres mittlerweile hohen Lebensstandards wird nicht nur angesichts des Verbrauchs in den westlichen Industrienationen dringlicher denn je, sondern auch aufgrund des rasanten wirtschaftlichen Aufstiegs von ehemaligen Schwellenländern wie China.

8

*

Der Energiebedarf, der allein für die Aufrechterhaltung einer konstanten Raumtemperatur benötigt wird, ist immens, und macht mehr als drei Viertel des Energieverbrauchs in privaten Haushalten in Deutschland aus. Ein Drittel der Energiekosten verschwindet bereits im Gebäude. Die Materialkosten für den Bau bewegen sich ebenfalls auf einem hohem Niveau. Wie häufig stellen wir uns beim alltäglichen Umgang mit Energie die Frage, woher diese nur scheinbar unbegrenzte Energie kommt? Trotz aller Fortschritte von Solar-, Wind und Wasserenergie sowie Biogas macht die ebenfalls staatlich subventionierte Kernenergie einen erheblichen Anteil an der Energieerzeugung aus. Bis heute hat keiner ein Interesse daran, das, was am Ende der Kernenergie steht, im sicheren Endlager vor der Haustür zu haben. Ganz abgesehen davon, dass trotz des vergleichsweise hohen Sicherheitsstandards deutscher Kernkraftwerke ein Zwischenfall mit TagesSatz

* 09/10


TITELTH E M A kaum absehbaren Folgen in einer so dicht besiedelten Region wie Mitteleuropa nicht auszuschließen ist. Der andere Energieträger sind die fossilen Brennstoffe. Welche Konsequenzen die CO2-Emissionen auf unser Klima wirklich haben, ist nicht prognostizierbar, doch die fehlende Prognose sollte besonders Anlass zum Umdenken sein. Eine Lagerung von CO2 unter der Erde, wie in Brandenburg geplant, ist noch längst nicht ausgereift. Welche Folgen allein schon die Energiegewinnung in bisher vom Menschen unberührten Flecken des Planeten hat, wird in dem Unglück der Ölbohrstation vor der Küste von Louisiana erschreckend deutlich. Wie könnte die wirkliche Alternative zu unserem bisherigen Energieverbrauch im Haus – an Stelle der reinen, angeblich ökologisch motivierte Preissteigerung – aussehen? Die langfristige Zukunft sollte uns wichtiger sein als die kurzfristige wirtschaftliche Rendite, in der die Folgekosten für alle späteren Generationen fehlen. Dabei bedeutet eine solche Energie schonende Zukunft nicht unbedingt ein Verlust an Lebensqualität.

Stattdessen reagieren Sensoren auf Handbewegungen und setzen diese in Befehle um. Doch in so einem Passivhaus steckt noch mehr: Roboter saugen Staub; über Spiegel wie den Mirror TV, der mit LCD-Technik arbeitet, lässt sich der gewünschte Fernsehkanal aufrufen, und die Toilette fungiert als Körpermessgerät, etwa zur Analyse des Zuckergehalts im Urin. Vieles von dem hier Beschriebenen könnte direkt aus einem Science-Fiction-Film stammen, doch das erste Passivhaus wur-

chen Baus liegen zum einen in der Konstruktion, wobei auf nachwachsende Rohstoffe wie Holz, Lehm und Stroh gesetzt wird, zum anderen in der Einsparung von Strom, Wasser und Öl. Die Sonne dient als Wärmequelle, die über dreifach verglaste Fenster die nötige Energie für den Wärmebedarf und genügend Licht liefert. Die Frischluft wird in das Erdreich geleitet, wo die Luft vorgewärmt wird und schließlich ins Haus gelangt. Im Sommer wird diese dementsprechend gekühlt und sorgt für angenehme Verhältnisse im Inneren.

Selbstversorgung statt Abhängigkeit

Nach der Arbeit kommt der Bewohner mit einem funktionierenden und alle Regionen vernetzenden öffentlichen Nahverkehr an den Eingang seines Hauses. Mittels Scannererkennung werden seine Gesichtsproportionen mit denen des Hausbesitzers verglichen. Alternativ könnte er auch den Fingerabdruckscanner benutzen. Wird der Besucher als Eigentümer erkannt, öffnet sich die Haustür. Denn nur das Gesicht oder der Fingerabdruck verschafft dem Bewohner den Zugang zu seinem Haus. Endlich keine lästige Schlüsselsuche mehr. Im Inneren lassen sich mit Hilfe eines Touchscreens an einem Computer alle wesentlichen Funktionen des Hauses steuern, so etwa das Öffnen der Fenster, das Einschalten des Lichtes oder die Anpassung der Raumtemperatur an die individuellen Bedürfnisse der Bewohner. Ein Passivhaus kommt ohne jegliche Schalter oder Klinken aus. Auch einen Griff wird man vergeblich suchen. TagesSatz

* 09/10

de bereits 1991 in Darmstadt gebaut und seitdem schreitet die Entwicklung immer weiter voran. Mittlerweile existieren allein in Deutschland achttausend Passivhäuser mit steigender Tendenz. In Europa hat Österreich die größte Passiv-hausdichte und auch die Technologieführerschaft. Mit Projekten wie Passivhausschulen und Passivhäusern in alpinen Regionen entwickelt sich diese Technologie weiter. Die ökologischen Vorteile eines sol-

Seltsamerweise bedeutet gerade die Verwendung der Baustoffe und des Wärmeaustauschs ein Rückgriff auf Erkenntnisse, die bereits den antiken Römern und Arabern eigen waren. Hat uns die Energie, die unter unseren Füßen liegt, möglicherweise bequemer und dümmer werden lassen? So gesehen kann der Mangel an einfach zu gewinnender Energie neue Innovationen freisetzen.

*

ANZEIGE

nze oder das ga 24 Stunden r mobil für nu Wochenende t elPlus-Gebie 6,50€ im Kass

Schöne Momente teilen Mit dem MultiTicket zum Einkaufen − ganz einfach mit Bus, Tram und RegioTram. Gilt für zwei Erwachsene und bis zu drei Kindern unter 18 Jahren oder für drei Jugendliche allein. Das Beste: Das MultiTicket ist frei übertragbar.

Gemeinsam mehr bewegen.

9


*

Privat

T I T E LT H E M A

Städtewettbewerb um Attraktionen Spätestens seit den Toten von Duisburg weiß man, dass Mega-Events, mit denen die Städte ImagePflege betreiben möchten, böse enden und sich ins Gegenteil verkehren können.

D

er Wettlauf der Städte, mit besonderen Attraktionen das Image ihrer Stadt aufzuwerten, wird durch diese Katastrophe nicht gebremst werden. Generell geht es einerseits darum, den Bürgern ein kontrastreiches Kulturangebot zu bieten, oder denjenigen, die sich den Urlaub nicht leisten können, Abwechslung und Spaß zu verschaffen. Andererseits sind Feste und Festivals aber auch eine Möglichkeit, Touristen in die Stadt zu locken, Geschäfte anzukurbeln, Umsatz und Arbeitsplätze zu schaffen.

Vieles davon hat sich erst in jüngerer Zeit entwickelt. Schön ist, dass es für fast jeden Geschmack ein Angebot gibt. Manches davon ist schichtenübergreifend beliebt und besonders familientauglich. Eltern und Kinder können sich gleichermaßen begeistern. Richtig: Mit so einem differenzierten Kulturangebot bekommt man noch keine Schlagzeilen, keine Fernsehbil-

* NORA MEY

ten realisiert, soll Aufschwung angeschoben werden. Bekanntestes Beispiel dieser Art ist das GuggenheimMuseum in Bilbao/Nordspanien. Dort hat man richtig tief in die Tasche gegriffen und in den Jahren 1993 bis 1997 von Frank O. Gehry ein spektakuläres Museumsgebäude errichten lassen. Tatsächlich übte es auf viele Kulturtouristen eine überraschende Anziehungskraft aus, zählt bis heute

Wunschdenken: den Bilbao-Effekt nachahmen

„Festivalisierung“ – den Begriff versteht am Ende eines Sommers fast jeder sofort, obwohl es sich um sehr Unterschiedliches handelt, was da für die Bürger, für die Jugend, für die Touristen inszeniert wird. In Kassel beispielsweise ist es nicht nur der „Zissel“, auf den man sich freut. Auch der Kultursommer in Nordhessen, das Kulturzelt in der Aue, das Lichterfest im Bergpark, das Stadtfest, der Marathon-Lauf, die Wehlheider oder sonstige Kirmes, die Museumsnacht und so etliches mehr werden veranstaltet.

der, nicht das große Spektakel, von dem manch einer meint, es sei unverzichtbar und mache, wie zum Beispiel die Loveparade, die Stadt erst richtig lebenswert. Eine Tagung an der Hochschule zum Thema „Festivalisierung und Stadterneuerung“ machte unlängst deutlich, dass unter dem Begriff der Festivalisierung auch noch etwas anders verstanden wird: Wirtschaftliche Umbrüche und Umstrukturierungen haben insbesondere alte Städte, die mit der Schwerindustrie- und großen Hafen- und Schiffbau-Anlagen gesegnet waren, zu bewältigen – in Deutschland insbesondere im Osten und im Ruhrgebiet. Um dort dem Niedergang entgegenzuwirken, setzt man auf eine besondere Art der Festivalisierung: Durch bauliche Großprojekte, möglichst spektakulär von Star-Architek-

noch jährlich eine Million Besucher und hat viele Folgeinvestitionen in der Stadt hervorgebracht. Vom „BilbaoEffekt“ träumt seither manche Stadt, die sich mit besonders aufwendigen Architekturprojekten zu neuer Blüte treiben möchte. Das gelingt nicht immer. Schon deshalb nicht, weil auch prosperierende Städte, die es eigentlich nicht nötig hätten, wie beispielsweise Hamburg mit der Elbphilharmonie, mitmischen und den bedürftigeren Städten gern die Show stehlen. Berücksichtigt man dann noch die Kosten in drei- bis vierstelliger Millionenhöhe und setzt sie in Beziehung zu den Einsparungen, die immer mal wieder gern bei den Ärmsten angesetzt werden (Wohngeld, Heizkostenzuschuss, Fahrtkosten), so erweisen sich solche Ansätze prinzipiell als ebenso fragwürdig wie das Streben nach immer größeren Mega-Events.

* 10

MEHR ZUM THEMA: Stadterneuerung und Festivalisierung www.uni-kassel.de/fb6/ssu TagesSatz

* 09/10


TITELTH E M A

D

ie Projektpartner Sozialamt der Stadt Kassel, gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Kassel (GWG) und Diakonisches Werk (DW) reagierten mit ihrem Projekt piAno auf diese Tendenz. Mitte 2008 hat Stadtkämmerer und Aufsichtratvorsitzender der GWG, Dr. Jürgen Barthel, gemeinsam mit der GWG und dem Diakonischen Werk Kassel die Einführung des Projektes beschlossen und strukturiert. Zielgruppe waren sozial benachteiligte oder ältere Menschen, die oft keinen genügenden Kontakt zur Außenwelt haben und nicht so mobil sind. Der Ansatz war, ein Netzwerk für Integration und gute Nachbarschaft zu schaffen.

Von Arbeitgebern geforderte berufliche Mobilität, gepaart mit sinkenden Geburtenraten, sorgen neben anderen Ursachen seit Jahren für die Entwicklung, dass die Zahl der älteren Mitbürger kontinuierlich steigt.

* HARALD WÖRNER

keit der Nachbarn wieder mehr füreinander zu stärken. Und hier leisten die Nachbarschaftshelfer einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Sie geben uns die Rückmeldung, wie es um die einzelnen Mieter steht.“ Gedacht war piAno ursprünglich für ältere Bewohner. Doch die Zielgruppe hat sich stark verändert und auch erweitert: „Heute wollen wir alle Mieter ansprechen. Ganz gleich, ob das Alleinerziehende, -stehende, Kinder oder Jugendliche sind“, so die Projektleiterin. Da ein nicht unerheblicher Teil der Aktivitäten auch den Freizeitbereich streift, arbeitet die GWG hier auch mit anderen Institutionen wie etwa dem Freiwilligenzentrum zusammen. Das Ziel ist hier ganz klar, Kontakte zwischen den einzelnen Institutionen und Trägern herzustellen und dann ein stabiles Netzwerk aufzubauen. Finanziert wird piAno unter anderem durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Europäische Union und den Europäischen Sozial-

fonds. Künftig soll das ehrenamtliche Engagement sowie der Netzwerkgedanke noch intensiviert werden. In den Stadtteilen Forstfeld, Philippinenhof, Mitte, Nord, dem Samowar (Waldau) und im Bürgerbüro Mattenberg arbeiten insgesamt zwölf Nachbarschaftshelfer. „Sie sind das Gesicht von piAno. Nach einer Zeit des Kennenlernens haben die Bürgerinnen und Bürger ihre Helfer inzwischen richtig ins Herz geschlossen“, erläutert Anett Martin. „Mittlerweile suchen unsere Mieter den Kontakt zu den piAno-Mitarbeitern von sich aus. Diese sind inzwischen wirklich zu Vertrauenspersonen im Quartier geworden. Das ist auch wichtig, denn nur so ist es möglich, Hilfe und Unterstützung anzubieten.“

*

MEHR ZUM THEMA: www.dw-web.info/pdf/ dwzp201031.pdf

GwG

Wie GWG-Geschäftsführer Peter Ley im Gespräch erläutert, sei es der Wunsch der älteren Menschen, möglichst lange in der eigenen Wohnung zu wohnen. Einschneidende Ereignisse, wie etwa der Tod des Ehepartners, hätten oft zur Folge, dass Betroffene sich abkapseln und dadurch mehr und mehr vereinsamten. „Haben sich Nachbarn früher wenigstens noch gegrüßt, so laufen sie heute oft still aneinander vorbei“, so Projektleiterin Anett Martin. Hier setzt das Projekt piAno an. Es steht für „persönlich individuell Alltagshilfen organisieren“. Das Angebot ist für GWG-Mieter kostenlos, doch auch andere Interessierte können es gegen ein geringes Entgelt ebenfalls nutzen: „Eines der Ziele von piAno ist es, die Aufmerksam-

Das Gesicht von piAno

*

TagesSatz

* 09/10

Helfer wurden Vertrauenspersonen

11


T I T E LT H E M A

D

* ANNA KNOKE

as sind eigentlich typische Merkmale eines Ghettos. „Aus einem Ghetto kommt man nicht mehr raus“, erklärt Stadtsoziologe Dr. Rainer Neef. Viele der hier lebenden Familien bleiben länger als zwanzig Jahre. Die meisten von ihnen hätten nur einen kurzen Aufenthalt geplant. Ihnen wird der (Wieder-) Einstieg in die Gesellschaft jedoch erschwert. „Wenn man als Adresse den Hagenweg angeben muss, hat man kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt“, erklärt Neef weiter. Damit einher geht wiederum der Verbleib im Viertel. Die Wohnungen sind billig. „In den sechziger und siebziger Jahren sind sie als Neubausiedlungen in Weende, Grone und Holtenser Berg entstanden“, erzählt Klaus Habermann-Nieße vom Planungsbüro „planzwei“, Stadtplanung und Ar12

*

Weststadt, Grone-Süd und AltGrone, Holtenser Berg – diese Viertel werden im Göttinger Volksmund häufig als Problemviertel bezeichnet. Der Hagenweg 20, ein heruntergekommenes Haus in der Weststadt, ist deutschlandweit bekannt. Hier würden Menschen leben, die ganz unten angekommen seien – so heißt es zumindest in unterschiedlichen überregionalen Medien. Keiner komme hier mehr raus.

Jörg Sanders

In the Ghetto

chitektur. Öffentlicher Wohnraum für ärmere Bevölkerungsteile sollte hiermit geschaffen werden. Der Verbleib oder der Zuzug in das Viertel ist jedoch nicht nur durch Armut oder die Abhängigkeit von Sozialleistungen bedingt. „Die Vermieter können sich ihre Mieter häufig aussuchen“, meint Neef. Hierdurch würden zum Teil auch in Bezug auf Hautfarbe und Herkunft Abgrenzungen geschaffen werden. Das kann unter anderem wiederum als Erklärung für den hohen Migrantenanteil in den sogenannten Problemvierteln dienen. So führen bereits vorhandene Vorurteile und Stigmata unterschiedlichster Ausrichtung zu dem Prozess einer Ghettoisierung. Da die Vermieter in den Problemvierteln nur geringe Mieteinnahmen er-

zielen, wird kaum investiert. Der Hagenweg 20, der im Besitz von Privateigentümern ist, dient wiederum als ein Beispiel dafür. Das Haus bietet keinen Strom, und auch warmes Wasser soll hier eine Seltenheit bleiben. Kaputte Fenster werden nicht ersetzt, sondern lediglich mit einer Plastikfolie geflickt. Die soziale Umgebung spielt bei dem Verbleib in einem solchen Haus oder in einem solchen Viertel ebenfalls eine Rolle. „Die Leute nehmen das Verhalten der anderen an, sie gleichen oder passen sich an, damit verlernen sie den Umgang mit den Menschen, die als geachtete Normalverdiener bezeichnet werden“, erklärt Neef. Trotzdem meinen sowohl Neef als auch Habermann-Nieße, dass die meisten Menschen, die in die Problemviertel ziehen und nicht wieder herauskommen, schon vorher Probleme gehabt hätten. TagesSatz

* 09/10


TITELTH E M A „Es gibt genug Familien oder einzelne Menschen, die wieder wegziehen“, erklären sie.

suchen Straßenfeste in Grone, um zu zeigen, dass sie zum Stadtteil stehen“, erläutert er.

Unter anderem an diesem Umstand macht Neef fest, dass es in Göttingen keine Ghettos gibt. Die Chance, dass man aus einem Stadtteil in einen anderen Stadtteil wechselt, besteht. Die Viertel in Göttingen sind nicht komplett voneinander abgeschlossen. Vielmehr existieren einzelne Wohnhäuser, in denen Menschen verschiedenster Art leben müssen. Neben diesen Wohnblöcken stehen kleine Einfamilienhäuser. In Grone wohnen ebenso Professoren wie anderswo. Diese Mischung führt zwar nicht zwangsläufig zu einer Integration der Gesellschaft, genügt aber, um nicht von einer Ghettoisierung sprechen zu müssen. Habermann-Nieße erklärt ein Ghetto als ein Gebiet, das keinen mehr interessiert. Auch insofern könne man also nicht von bestehenden Ghettos in Göttingen sprechen. Seit 2000 investiert die Stadt nämlich im Zusammenhang des Projekts „Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ Gebiete wie Grone-Süd und Alt-Grone. Die Stadtteile wurden sowohl baulich aufgewertet als auch sozial stabilisiert. Durch die Erschaffung von Bildungsprogrammen seien berufliche Chancen insbesondere von Jugendlichen und Frauen verbessert worden. Langzeitarbeitslosen sei dabei geholfen worden, wieder berufliche Perspektiven zu entwickeln. Habermann-Nieße nennt in diesem Sinne die Solidarität als Indikator für die Bezeichnung eines Gebiets als Ghetto. „Politiker der Stadt Göttingen be-

Für Rainer Neef ist ein zentrales Kriterium für ein Ghetto zudem das Zusammenwirken von sozialer und räumlicher Segregation. „Wenn zum Beispiel Lagenachteile bestehen, so dass man weder räumlich noch sozial in der Lage ist, am gesellschaftlichen Leben andernorts teilzunehmen, kann man von einem Ghetto sprechen.“ Dieses sei so in Göttingen aber nicht gegeben. In ganz Deutschland sei dies so nicht gegeben. Von Ghettos könne man eher in den USA sprechen. Die Unterschiede zwischen Problemvierteln oder Ghettos dort und hier bestehen aber vor allem lediglich in der Intensität der Ausgrenzung. Während man hier unter Umständen die Chance

frastrukturelle, ökonomische aber auch soziale Aspekte. Die Bewohner selbst sind benachteiligt – und irgendwie asozial, heißt es im Volksmund häufig. Die unterschiedlichsten Einwohner der Stadtteile werden gleichgemacht. Dadurch wird nicht nur das Selbstwertgefühl der Bewohner der betroffenen Quartiere beschädigt, sondern es wird vor allem der Blick auf vorhandene Ressourcen und Strategien der Lebensbewältigung verschiedener Bewohnergruppen verstellt. Die Handlungsfähigkeit der Bewohner darf aber nicht vergessen werden. Im Zusammenhang von Göttingens Ghettos spricht man also nicht von Ghettos, sondern eher von stigmatisierten Gebieten. Dennoch fällt auf, dass Göttingen eine außerordentlich saubere und geordnete Stadt ist. Geht man durch die Innenstadt oder über den Campus der Universität, könnte man meinen, dass Göttingen eine ausschließlich reiche und behütete Stadt ist. Wohnt man dann noch im Ostviertel, kann es gar etwas langweilig werden, erlebt man doch kaum Unterschiede innerhalb der Bevölkerung. Die „Problemviertel“ sind jedenfalls weit weg. Wenn auch im Ostviertel kaum Migranten und Menschen mit wenig Geld leben können, so können immerhin Professoren in Grone oder auch in der Weststadt leben. Eine Integration findet jedoch auch hier nicht statt. So kann man eventuell von sozialen Ghettos, nicht aber von räumlichen und insofern besser gar nicht von Ghettos in Göttingen sprechen.

Keine Ghettoisierung in Deutschland haben könnte, woanders zu wohnen, gehe das in den USA in manchen Gebieten absolut nicht. „Hautfarbe und Adresse fallen hier viel stärker zusammen“, erklärt Neef. Ein wichtiges Argument, auf das Neef hinweist, ist das der sozialen Stigmatisierung, das erst durch das Gerede über ein Ghetto entsteht. Menschen, die in gewissen Stadtteilen wohnen, möchten nicht als „Ghetto-Menschen“ bezeichnet werden. Ebenso wenig möchten sie, dass ihr Stadtteil als Ghetto bezeichnet wird. Wenn man von einem Ghetto spricht, meint man nämlich immer auch Probleme, man sieht nur das Schlechte am Viertel. Dieses Schlechte oder diese Defizite beziehen sich auf bauliche, in-

*

ANZEIGE

TagesSatz

* 09/10

13


*

Transition Towns

Jörg „Yogi“ Müller

T I T E LT H E M A

Zukunftsfähige Lebensräume oder blanke Utopie? Der unbändige Energiedurst nach fossilen Brennstoffen bringt zahlreiche Probleme mit sich. Was, wenn das Öl endgültig zuneige geht? Wie dem Klimawandel entgegenwirken? Anhänger der „Transition Town Movement“ haben eine Vision von einer besseren Zukunft einer sich verändernden Gesellschaft.

* JÖRG SANDERS

D

ie gesamte Welt steht vor neuen und wachsenden Herausforderungen und Problemen. Beispiel fossile Brennstoffe: Die Welt ist abhängig vom Öl, selbst Klimawandel und Ölkatastrophen wie die von BP verursachte im Golf von Mexiko bremsen kaum den Durst nach dem schwarzen Gold. Auf G8- und G20-Gipfeln und Klimakonferenzen werden faule Kompromisse beschlossen, die Stagnation oder gar Rückschritt bedeuten. Und kaum jemandem nützen; wichtiger erscheint es, das nationale Gesicht halbwegs zu wahren. Das führt in vielen Gesellschaften zu einer Unzufriedenheit mit der Politik. Die Transition Town Movement, was etwa „Bewegung für eine Stadt im Übergang“ bedeutet, will nicht länger der zurückhaltenden Position oder gar Tatenlosigkeit der Politik und Wirtschaft zuschauen, sondern selbst eine (Energie-)Wende herbeiführen; denn „die heutige Welt ist in dieser Form nicht überlebensfähig“, sagt Freimut Hennies, Gründer der noch jungen Transition-Town-Gruppe Göttingen, „und ich möchte meiner Verantwortung gerecht werden“, führt der Familienvater weiter aus. Weltweit gibt es rund dreihundert dieser Transition Towns oder auch Energiewende-Initiativen, über tausend sind in der Entstehung. Sie haben ihren Ursprung in Großbritannien, sind dort am weitesten verbreitet. Initiiert wurden sie durch Rop Hopkins, einem Permakultur-Designer (siehe Info-Kasten). Am Anfang einer Transition Town steht eine kleine Zahl von Menschen, die in ihrer Stadt oder Region Änderungen herbeizuführen versucht. Laut der Transition-Towns-Deutschland-Initiative ist das „Transition-Town-Modell (…) ein Gemeinwesen, dessen Bewohner gemeinsam alle möglichen Anstrengungen unternehmen, um dem Ölfördermaximum und dem Klimawandel Paroli zu bieten“. Ein Umdenken sowie alternatives Handlungs- und Konsumentenverhalten sollen Klimawandel und Ressourcenproblemen folglich entgegenwirken. „Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz und sehen Klimawandel und Ressourcenprobleme als zusammenhängende Aspekte“, erklärt Hennies, und „vor Ort handle ich nach meinen Möglichkeiten, was bedeutet, dass ich meinen Grundbedarf – also Lebensmittel, Baustoffe und Ener-

14

TagesSatz

* 09/10


TITELTH E M A gie – lokal zu befriedigen versuche“, so Hennies weiter. In der Praxis der Transition Towns bedeutet das: die lokale und regionale Wirtschaft stärken, lokales Wirtschaften, lokale Ernährung und Energieversorgung – kurzum: zwar global denken, aber lokal handeln. Regionale Produkte werden gekauft statt Erdbeeren aus Spanien zu importieren, Energie wird beispielsweise aus Solarenergie gewonnen, das Auto wird stehen gelassen, dafür auf Rad oder Bus umgestiegen. Auch der hauseigene Garten sei ein guter Anfang. Da die fossilen Energiequellen zunehmend schwinden, nehmen die Anhänger der Transition-Town-Bewegung an, dass mit der unvermeidlichen Energiewende auch eine kulturelle einhergeht. Unter anderem werde das durch eine stärkere Regionalisierung geschehen, in der lokale (wirtschaftliche) Kontakte wieder mehr Bedeutung erhalten, aber auch durch die „Stärkung der Widerstandskraft der Gemeinden gegenüber globalen Veränderungen (Rohstoffversorgung, Nahrungsmittelproduktion, Transportwege, Freizeitverhalten)“, schreibt die Bielefelder Initiative auf ihrer Homepage.

ma widmen, beispielsweise dem Verkehr, alternativen Wirtschaften oder der Permakultur. In Göttingen wurden bisher drei Arbeitsgruppen gebildet: „Ernährung und Landwirtschaft“, „Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit“ sowie „Visionen sichtbar machen“. Weitere geplante Gruppen werden sich den Themen „Wirtschaften“ und „Energie“ beschäftigen. Am Ende der Planung in einer TransitionTown-Gruppe steht ein gemeinschaftlich ausgearbeiteter Aktionsplan für die nächsten 15 bis 20 Jahre. Um diesen Plan umsetzen zu können, tauschen sich die Transition Towns un-

Klimawandel durch eine Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe entgegenzuwirken. Aber ist dieses Ziel erreichbar und umsetzbar? Beispiel Solarenergie: Sie wird häufig durch Photovoltaikanlagen gewonnen, die zumeist mit Silizium ausgestattet sind – ein Halbmetall, das unter enormem Energieaufwand gewonnen und anschließend aufbereitet wird. Bei der Herstellung eines Kilogramms Reinstsilizium fallen 19 Kilogramm Abfall- und Nebenstoffe an. Als ökologisch, ökonomisch und nachhaltig kann das nicht bezeichnet werden. Doch auch hier gibt es Alternativen, beispielsweise die organische Solarzelle, wenngleich auch noch mit einem wesentlich geringerem Wirkungsgrad.

Global denken – lokal handeln

In den betreffenden Städten bilden die Mitglieder unterschiedliche Arbeitskreise, die sich einem speziellen The-

tereinander aus und versuchen, Brücken zur jeweiligen Kommunalverwaltung zu bauen, um beispielsweise Flächen für jedermann zugängliche Streuobstwiesen zu erhalten. Die derzeitige Entstehung und Entwicklung der Transition Town Göttingen kann jede und jeder aktiv mitgestalten. Die Gruppe besteht derzeit aus rund zwanzig Aktiven – vom Studenten bis zur Rentnerin. Im Frühjahr 2011 soll es dann soweit sein: Ein Fest wird die „Stadt im Wandel Göttingen“ einläuten. Letztendlich haben alle Initiativen das hoch gesteckte Ziel gemeinsam, dem

„Jeder Mensch trägt Verantwortung für das, was nach ihm kommt“, resümiert Hennies. Doch diese Einsicht könnte eine Utopie bleiben; das zeigt ein kaum verändertes Verhalten der Politik, Industrie und des einzelnen Konsumenten trotz Klimawandels und zahlreicher Ölkatastrophen wie den derzeitigen im Golf von Mexiko, Indien, Nigeria und China. Und solange diese Einsicht der breiten Masse fehlt, werden die Transition-TownAnhänger wohl nur wenig ausrichten können. Aber die rasant wachsende Anzahl der Initiativen darf sie hoffen lassen. Der Anfang ist gemacht.

*

Transition Town Movement Permakultur

Permakultur ist ein wesentlicher Bestandteil der Transition Towns. Unter Permakultur ist das ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Prinzip zu verstehen, unter dem zukunftsfähige Lebensräume geplant, geschaffen und erhalten werden, die ethischen Grundsätzen entsprechen. Kernpunkte hierbei sind die naturnahe und regionale Nahrungsmittelproduktion, die Energieversorgung mit regenerativen Energien, die Landschaftsplanung und die Gestaltung sozialer (Infra-)Strukturen.

TagesSatz

* 09/10

Initiativen weltweit: etwa 300 Initiator: Rop Hopkins, irischer Permakulturalist Ursprung: Großbritannien (2006) Verbreitung: primär westliche industrialisierte Staaten, alle Kontinente mit Ausnahme Afrikas Größte Verbreitung: Australien, Großbritannien, Kanada, USA Initiativen in Deutschland: Berlin, Bielefeld, Göttingen, Hannover, Kiel, Wiehl, Witzenhausen

*

MEHR ZUM THEMA: Transition Town Göttingen: www.tt-goettingen.de Transition Towns im deutschsprachigen Raum: www.transition-initiativen.de Transition Towns-WIKI: www.transitiontowns.org

15


D E R S T O L P ERSTEIN

Auf den ersten Blick? Anzug, Krawatte, Lederschuhe – der Mann muss Geld haben. Lesebrille, Bluse, Rock, dazu ein Buch – die Frau muss intellektuell sein. Wie schnell bilden wir uns doch anhand von Äußerlichkeiten Urteile über Personen, die uns doch völlig unbekannt sind.

Jörg „Yogi“ Müller

* GLOSSE VON CHRISTOPHER PILTZ

V

or einigen Wochen abends in der Göttinger Fußgängerzone: Ich komme von einer Veranstaltung, bei der ein Anzug Pflicht war. Nun will ich noch kurz mit ein paar Freunden ein Bier trinken. Da sprechen uns Jugendliche an und fragen, ob wir nicht etwas Geld hätten. Ich verneine, habe wirklich keinen Cent in der Tasche, da mein Portemonnaie zu Hause liegt. Ein kurzer Blick auf mein Outfit genügt, und schon bilden sich die ersten Vorurteile. Ich bekomme ein „Gerade du hast kein Geld, du Scheiß-Bonze“ an den Kopf geworfen, gefolgt von einem „Schau dich doch mal an“. Ich kann nur irritiert lachen, traurig den Kopf schütteln und gehe weiter – aber nicht ohne mein Jacket auszuziehen und meine Krawatte zu lösen. Den Anzug trage ich nun sehr selten, normalerweise Jeans, Sneakers und oft einen Kapuzenpullover. So bekleidet stehe ich am Tag vor der Eröffnung eines großen Buchladens in der Göttinger Innenstadt mit einem Freund vor dem Schaufenster und betrachte die neuen Auslagen. Kein aufdringliches Nase-an-die-Scheibe-drücken. Nur ein paar Sekunden einen Eindruck gewinnen. Drinnen stehen einige Frauen und Männer, schick angezogen mit Anzug und Blazer, und prosten sich mit Sekt gegenseitig zu, stolz auf die bevorstehende Eröffnung des Geschäfts. Einer der Männer kommt mit einer Kamera aus dem Laden. Als er uns sieht, fragt er provozierend, was wir denn hier schauen würden, dies sei doch nicht der neue Apple-Store. Ich blicke nur verwundert und antworte, da habe er Recht, und Bücher würden uns eh nicht interessieren. Dann gehen wir. Anscheinend hatte er ein bestimmtes Klientel für den neuen Laden im Visier – und mich als normalen Studenten dabei vergessen. Schade, dabei gibt es in dem Buchladen auch CDs und DVDs. Die wären bestimmt etwas für mich gewesen.

*

16

TagesSatz

* 09/10


misterQM (photocase.com)

PARAGRAPHENR E I T E R

Zu den Urteilen der Sozialgerichte Es wird spannend in den nächsten Wochen. Anfang August konnten Empfänger von staatlichen Leistungen aufhorchen. Kein geringerer als der Spiegel will in Erfahrung gebracht haben, dass die „Hartz-IV-Reform“ zu deutlichen finanziellen Verbesserungen führen könnte.

* HANS PETER PUNG

S

ozialministerin Ursula von der Leyen ließ entsprechende Berichte umgehend dementieren. Wir dürfen also gespannt sein welche Veränderungen die Reform der Sozialgesetzgebung mit sich bringen wird. Eins scheint jedoch ziemlich klar zu sein: die Einführung von Gutscheinen für die Kindererziehung. Ob dies der richtige Weg ist, ist fraglich; zudem auch befremdlich. War nicht gerade die Selbstverantwortung ein Gedanke der Hartz-IV-Reform? Auch diesmal haben wir wieder Urteile zur Sozialgesetzgebung gesichtet und einige möchten wir Ihnen näher bringen:

Antrag umgehend stellen! Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende werden nur auf Antrag erbracht. Sie werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung gezahlt. Dies gilt für den Erstantrag aber auch für Folgeanträge. Das geht aus mehreren Urteilen, zuletzt durch das Landessozialgericht NRW, hervor. Allerdings ist zu diesem Thema eine Revision beim Bundessozialgericht anhänglich. LSG NRW Urteil vom 11.05.2010 L 6 AS 189/10

TagesSatz

* 09/10

Nachzahlung Mietnebenkosten Nachforderungen auf Mietneben- und Heizkosten, die trotz ordnungsgemäßer Zahlung der vertraglich vereinbarten monatlichen Vorauszahlungen entstehen und vom Vermieter geltend gemacht werden, sind grundsätzlich gegenwärtiger Bedarf im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Es handelt dabei nicht um Schulden unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II. Als Teil der Unterkunftskosten muss die Nachzahlung nicht extra beantragt werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundessozialgerichts hervor. BSG Urteil vom 22.03.2010 B 4 AS 62/09 R

Anspruch erloschen Der Anspruch auf Übernahme von Energiekostenrückständen erlischt, wenn der Grund für die Rückstände beim Hilfesuchenden liegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Leistungsempfänger die Vorauszahlungen bewusst nicht an seinen Vermieter gezahlt hat, weil er davon ausging, dass die Rückstände später vom Leistungsträger darlehensweise übernommen würden, es sich also um eine gezielte Herbeiführung einer Notlage handelt. Dies könne vom Leistungsträger nicht

hingenommen werden. Bei einer unmittelbar drohenden Sperre der Energiezufuhr ist das Ermessen auch dann nicht reduziert, wenn sich der Hilfesuchende ein sozialwidriges, unwirtschaftliches sowie die Möglichkeiten der Selbsthilfe ignorierendes Verhalten vorwerfen lassen muss. LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 09.06.2010 L 13 AS 147/10 B ER

Anspruch auf Leistungen Das Sozialgericht Köln hat entschieden, dass die objektive Beweislast, das heißt das Risiko der Unerweislichkeit des für die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende notwendigen Tatbestandsmerkmals Hilfebedürftigkeit nicht auf Seiten des Grundsicherungsträgers liegt, sondern auf Seiten des Hilfesuchenden. Kurz gesagt bedeutet dies: Wer eine Leistung nach dem SGB in Anspruch nehmen möchte, muss die Bedürftigkeit nachweisen. SG Köln Urteil vom 06.05.2010 S 31 AS 226/09 auch LSG NRW Beschluss vom 19.11.2009 L 12 B 93/09 AS ER

*

MEHR ZUM THEMA: Tacheles-Rechtsprechungsticker www.tacheles-sozialhilfe.de 17


Jenny Lepies

GÖTTINGEN

Die Experten der Weststadt Dass Jugendliche ihren Stadtteil aktiv mitgestalten, hat das Projekt „StadtteilJugendKasse“ zum Ziel. Die Jugendhilfe Göttingen, das Weststadtbüro und Stadtplaner wollen so Göttingens Weststadt für die jungen Bewohner attraktiver machen.

* JENNY LEPIES

E

in Stadtteil, in dem sich auch die jungen Bewohner wohl fühlen, ein Quartier, an dessen Gestaltung die Jugendlichen selbst mitwirken und so zu einer sozialen Stadtentwicklung beitragen – das wollen die Initiatoren des Projekts „StadtteilJugendKasse“ erreichen. Dazu unternahmen die Mitarbeiterinnen Dörthe Wilbers und Lisa Beutler mit rund 35 Jugendlichen im Alter von 10 bis 18 Jahren Rundgänge durch Göttingens Weststadt. Sie besichtigten Straßen und Plätze um den Maschmühlenweg, das so genannte Blümchenviertel und den Hagenberg. Die jungen Göttin-

sich die Hobby-Kickerin Lea über den staubigen Boden. Sie wünscht sich deshalb einen besseren Untergrund. „So etwas wie Hartgummi“, schlägt der 18-jährige Ferit vor. Blümchenviertel-Bewohner Marvin denkt noch weiter: „Man muss auch an die kleineren Kinder denken. Für die gibt’s keine Rutsche oder Babyschaukel.“ Für die Kleineren müsste doch auch etwas zum Spielen da sein. Kritisiert wird ebenso der Sandkasten. „Da geht keiner mehr rein. Dort sind immer Glasscherben, Dreck oder Hundekot drin“, ärgert sich Fe-

Glasscherben im Sandkasten ger wiesen auf Mängel bei Spielplätzen und ihren anderen Aufenthaltsorten hin. Nun kamen die Jugendlichen und alle Projektbeteiligten zu einem Workshop zusammen, wo die Ideen und Verbesserungsvorschläge der Bewohner vorgestellt wurden. Die erste Baustelle ist schnell klar: der Spielplatz an der Pfalz-Grona-Breite, im Blümchenviertel. Marvin, Lea und Laura sind sich schnell einig, dass auf dem Fußballplatz etwas getan werden muss. „Wenn es regnet, bilden sich die Pfützen genau vor den Toren. Dann ist man schnell dreckig“, beschwert 18

rit. Er könne sich auch kleine Aktionen auf dem Platz vorstellen, „sowas wie Fußballturniere zum Beispiel.“ Ihre Änderungswünsche basteln die Jugendlichen und platzieren die kleinen Objekte aus Papier, Knete und Holz auf einer großformatigen Stadtkarte. Dass es bei dem Vorstellen der Ideen nicht bleiben soll, versprechen HansDieter Ohlow und Brigitte Nieße. Die beiden Stadtplaner sind beim Workshop dabei und hören den Jugendlichen zu. Sie sind begeistert vom Engagement der jungen Weststadt-Bewoh-

ner: „Dass ihr Euch Zeit dafür nehmt, finde ich fantastisch. Und diese Hoffnung, dass das was bringt, habe ich auch“, erklärt Ohlow, der Stadtplaner von der Stadt Göttingen, „doch dazu müssen wir uns noch ganz stark anstrengen. Ihr bei Euch, ich bei mir und auch die Politiker.“ Auch Stadtplanerin Nieße, die im Auftrag der Stadt tätig ist, appelliert an die besondere Kompetenz der Jugendlichen, „denn ihr seid die Experten“, meint sie und verspricht: „Bei diesem Treffen soll es nicht bleiben, es folgen weitere Zusammenkommen, um Eure Vorschläge umzusetzen.“ In einem nächsten Schritt soll daher eine Jury aus Jugendlichen gebildet werden, die, beraten von den zwei Stadtplanern, entscheidet, was umgesetzt werden soll. Das Projekt „StadtteilJugendKasse“ ist eines von vierzig so genannten Leuchtturmprojekten der Initiative „Mit neuem Mut“ im „Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“. Damit wurde das Weststadt-Projekt vom Bundesarbeitsministerium zur Förderung ausgewählt, 11.000 Euro stehen bis zum Ende des Jahres für die Belange der Jugendlichen zur Verfügung.

*

TagesSatz

* 09/10


GÖTTI N G E N

Flucht in die Natur Wenn Anton Marckus (Name geändert. d. Red.), 31, sich in seinem Wohnzimmer ausruht, dann legt er sich auf ein braunes, etwas ausgefranstes Sofa mitten in die Natur. Um ihn herum stehen Ahorn- und Birkenbäume, der Fußboden: eine wildwachsende Wiese mit Gänseblümchen, Kamillen und Kleeblättern. Es gibt keine Tür zu seinem Wohnzimmer, eine Hausklingel ist nicht vorhanden. Gäste sind zwar willkommen, doch sie werden kritisch begutachtet.

V

or fünfzehn Jahren war Schröders fußballfeldgroßes Wohnzimmer in der Jheringstraße 9 noch ganz unbewohnt. Es befand sich im Bereich einer früheren Tonkuhle. Eigentümer des Geländes ist die Stadt Göttingen, die ihre Fläche kostenfrei zur Verfügung stellt und den Bewohnern genaue Auflagen setzt: eine geregelte An- oder Abmeldung bei der Stadt sowie die Garantie einer geordneten Entsorgung von Abfällen und Exkrementen. Die Bewohner werden auf dem Gelände unbefristet geduldet. Heute entdeckt man im Grünen knapp zwanzig bunt bemalte und in unterschiedlichen Formen gestaltete Bauwagen, jeder von ihnen ein kleines Kunstobjekt. Sie erinnern ein wenig an den Bauwagen von dem ehemaligen Löwenzahnstar Peter Lustig. „Vielleicht sind wir schon ein bisschen wie er“, kommentiert Nachbar Günter Kutowski (Name geändert. d. Red.), 27, den Vergleich und lacht dabei verlegen. „Wir sind kreativ, erfinderisch und bastelfreudig.“ Und an fast jedem Bauwagen ragt eine Photovoltaik-Anlage em-

por; sie dient als einzige Energiequelle für die Bewohner. Es wird vieles weiter verwertet: Sperrhölzer werden zu Möbeln geformt und Nahrungsmittel, welche die Menschen außerhalb des Bauwagendorfes nicht mehr kaufen wollen, werden dankend angenommen. Ein Öko-Frischmarkt stellt jede Woche ein paar Kisten Obst und Gemüse zum Abholen bereit. Es gibt keinen Wasseranschluss, deshalb muss Wasser aufwändig bei Freuden in Kanistern besorgt werden. Dies ist zwar anstrengend, aber dafür brauchen die Bewohner sich nicht mit Mieterhöhungen oder fristgerechten Kündigungen abzuplagen. „Es ist ein Ausdruck von Freiheit. Ich kann morgen hier für paar Monate ausziehen und brauche keine Leermiete bezahlen“, zählt Marckus seine Vorteile auf, „und ich kann an der Verwirklichung meines eigenen Lebensentwurfes arbeiten.“ Sein Lebensentwurf ist die Realisierung eines gemeinsamen Bauwagenplatz-Traumes: Eine Welt ohne Rassismus und Sexismus. Aber wie? „Darüber reden, uns austauschen und wenn

* KHOA LY

nötig auch entsprechend handeln“, schildert Günter Kutowski das Vorhaben. Hinter dem Bauwagenplatz steckt ein eigener ideeller und solidarischer Schutzraum. Sie dient als Rückzugsort aus einer hektischen Gesellschaft, in dem Geld nicht das Entscheidende sein soll. „Wir haben hier sogar eine berufstätige Ärztin, den einfachen Arbeiter und auch den Hartz-IV-Empfänger. Der Großteil befindet sich aber im Erwerbsleben“, sagt Marckus. „Wer etwas Kohle hat, der unterstützt den, der halt weniger Kohle hat, und wer weniger hat, der unterstützt halt weniger. Jeder nach seinen eigenen Stärken“, ergänzt ihn Kutowski. Könne man sich aber trotz dieser Freiheit ein Leben in einer Stadtvilla vorstellen? „Ja!“, antwortet der 27-Jährige ganz schnell und schweigt. Warum? „Hier ist das Leben besonders im Winter schon manchmal anstrengend und schwierig. Letzten Winter hatten wir minus zwanzig Grad, aber der Sommer entschädigt für Vieles. Dann ist das hier für mich der schönste Ort in Göttingen.“ Momentan überlegt er, ob er vor der Winterperiode nicht ausziehen möchte.

*

Khoa Ly

Ein Ausdruck von Freiheit

TagesSatz

* 09/10

19


GÖTTINGEN

Jörg Sanders

20 Jahre Essen für Bedürftige

* RALF REINKE (MITTAGSTISCH ST. MICHAEL) Zur Zeit wird der Gästebereich des Mittagstisches St. Michael komplett umgebaut und neu gestaltet – mit der Küche ist das bereits im letzten Jahr geschehen. Die Essensausgabe findet bis zur Fertigstellung im Keller statt.

A

m 1. September besteht der Mittagstisch in der Turmstraße zwanzig Jahre. Wir wollen diesen Anlass und die Wiedereröffnung am 17. und 18. September sowohl feierlich als auch öffentlich begehen. Am Freitag, 17.09.2010, gibt es um 11 Uhr einen Festakt für geladene Gäste sowie einem Vertreter des Sozialministeriums. Zudem soll eine Fotoausstellung eröffnet werden, deren Motive über den

20

Mittagstisch hinausweisen, aber das Thema Armut in Göttingen beleuchten. Anschließend wird es eine kurze Besichtigung der Räume des Mittagstisches mit einem anschließenden Imbiss für die geladenen Gäste im Gemeindezentrum geben. Im Mittagstisch sollen unsere üblichen Gäste um 13 Uhr – also eine Stunde später als sonst – ein festliches Essen bekommen. Um 18.30 Uhr findet ein Dankgottesdienst statt.

Am Samstag, 18.09.2010, zeigt sich der Mittagstisch zwischen 10 und 14 Uhr der allgemeinen Öffentlichkeit. Ab 10 Uhr geben wir in der Kurzen Straße vor der Kirche Suppe für alle aus und informieren über den Mittagstisch. In den Gasträumen in der Turmstraße informieren wir von 10 bis 12 Uhr über den Mittagstisch. Ab 12 Uhr findet dann die reguläre Essensausgabe statt.

*

TagesSatz

* 09/10


Jörg „Yogi“ Müller

GÖTTIN G E N

Straßengeflüster

* JÖRG „YOGI“ MÜLLER UND NELLY SAUTTER

Das Stuttgarter Straßenmagazin „trott!war“ hat ein Dankesschreiben von der Bundeministerin für Arbeit und Soziales Ursula von der Leyen bekommen, weil trott!war den Workshop für Deutschsprachige Staßenmagazine in Berlin so gut organisiert hatte (TagesSatz berichtete). Die Ministerin räumte ein, die Rolle der Straßenmagazine in der Vergangenheit unterschätzt zu haben. Jetzt findet sie die Arbeit von Straßenmagazinen wichtig, weil sie Menschen Perspektiven und Zukunftschancen gebe. „Dass sie bislang keine öffentlichen Mittel in Anspruch genommen haben und sich allein mit Spenden und Sponsoren finanziell getragen haben, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ (jm)

Winkeladvokat

Der Nürnberger Straßenmagazin „Straßenkreuzer“ entwickelte in den letzten Monaten ein ganz neues Projekt: Die „Straßenkreuzer Uni“ – eine Universität fürs Leben. Unter dem Leitsatz „Bildung für alle“ entwickelte der Straßenkreuzer mehrere kostenlose Vorlesungsreihen, die während des Semesters in den Einrichtungen der Obdachlosenhilfe abgehalten werden. Jeder kann teilnehmen, wobei sich das Angebot beson-

TagesSatz

* 09/10

Feministischer Wetterbericht Früher war vieles anders. Die Hochs hatten Männernamen, die Tiefs Frauennamen. Doch im Rahmen moderner Frauenbewegung machte sich Unmut breit. Warum sollten gerade die schönen Frauennamen für die Tiefdruckgebiete herhalten, die doch meist mit Wolken und Regen einhergingen? Nach einer medialen Diskussion Ende der Neunziger lenkte der deutsche Wetterdienst ein: Fortan wechseln sich Namen beiderlei Geschlechts im jährlichen Turnus ab. Wer aber meint, solche Konflikte hätte es früher nicht gegeben, der irrt. Schon vor gut zwanzig Jahren klagte eine fast achtzigjährige Frau gegen die Bundesrepublik Deutschland. Sie fühlte sich von dem Begriff „Altweibersommer“, den ein Meteorologe im Rahmen eines Wetterberichts gebraucht hatte, diskriminiert. „Weib“ sei ein abfälliges Wort für Frau, „Altweiber“ wären im allgemeinen Sprach-

ders an Menschen richtet, die aufgrund ihrer Herkunft und sozialen Stellung wenig Zugang zu Bildungsangeboten haben. Die Inhalte werden praxis- und lebensnah vermittelt, Themenschwerpunkte sind zum Beispiel „Geld“ und „Sozialrecht“. Jedes Semester wird mit einer gemeinsamen Feier abgerundet, an der alle Mitwirkenden und Hörer teilnehmen. Auf dem Programm steht auch eine kleine Preisverleihung, denn wer eine Vorlesungsreihe komplett besucht hat, wird mit einer Urkunde geehrt. Die Veranstalter des Projekts können mit Erfolg auf das erste Semester zurückblicken: Die elf Veranstaltungen wurden von insgesamt 428 Menschen besucht, davon 285 Hörer aus Einrichtungen der Obdachlosenhilfe. (ns)

*

MEHR ZUM THEMA: www.trott-war.de www.strassenkreuzer.info

* ANDREA TIEDEMANN gebrauch keine richtigen Frauen mehr. Sie forderte, das Wort solle in Wettermeldungen nicht mehr auftauchen. Das Landgericht wies die Klage der Frau jedoch ab. Ein Herabwürdigung der Ehre durch die Verwendung des Begriffs „Altweibersommer“ konnte das Gericht nicht erkennen. Für eine Beleidigung hätte die Frau zudem persönlich angesprochen werden müssen. Auch das war mit dem allgemeinen Begriff nicht der Fall. Ein Schmunzeln wird dem Gericht schon auf den Lippen gelegen haben, als es das Urteil verkündete. Der Urteilstermin lag auf dem zweiten Februar, auch bekannt als „Altweiberfastnacht“. War das ein Zufall?

*

21


KASSEL

Stand-By-Report (age) Ai Wei Wei

E

Der chinesische Künstler Ai Wei Wei erhält am 26.09.2010 in Kassel für sein politisches und gesellschaftliches Engagement den Bürgerpreis „Glas der Vernunft“.

in Mensch wie ein Donnerhall auf der Künstlerebene. 2007 – die documenta 12. Er kam, sah, elektrisierte die Kunstwelt mit seinen Installationen, siegte, wurde bestaunt und all dies in unglaublicher Manier. Wie einst Picasso oder Beuys schuf Ai Wei Wei die Faszination des Augenblicks neu. Dieser Künstler chinesischer Herkunft leistete Atemberaubendes.

Privat

Ich denke als Schreiberling und erahne, dass Ai Wei Wie noch längst nicht auf seinem künstlerischen Höhepunkt angekommen ist. Sein Block aus Eisenholz, die Welle aus Porzellan, die Skulptur aus Türen und Fenstern, die Mitarbeit als Architekt am Nest in Peking! In all diesen künstlerischen Fingerzeigen kommt seine Entschlossenheit zum Ausdruck, sein Pro und Contra zu den kapitalistischen und totalitären Systemen auf dieser Erde abzugeben! Seine Aussagen und seine Kunst sind in diesem Universum, in dem wir leben und atmen, einzigartig. Die körperlichen und mentalen Angriffe, so hoffe ich im Namen aller Menschen, sollte er überwunden haben.

* ARMIN SCHULZE & VIRGINIA HILL

Als ich ihn das erste Mal traf, hier in Kassel 2007, da erschein er lieb, nett und fast unscheinbar. Doch jetzt, nachdem beinahe eintausend Tage vergangen sind, fließt seine Arbeit in unsere Welt ein. London, München und so weiter. Mit Ehrlichkeit, Verzückung, Erstaunen und Beglückung wird ihm am 26.09.2010 hier in Kassel im Staatstheater der Bürgerpreis „Glas der Vernunft“ verliehen. Die Juroren haben alles richtig gemacht.

Das Phänomen

Im Namen aller Menschen hier in Kassel und auf der ganzen Welt gratuliere ich ihm zu diesem Preis der Vernunft. Ehrfurchtsvoll, Arminius 22

TagesSatz

* 09/10


KA S S E L

Privat

Chinese Artist Ai Wei Wei receives at September, 26th., 2010 in Kassel the citizen prize “Glas der Vernunft” for his politcal and social engagement. A man like al clap of thunder in the artistic stratosphere! 2007 – documenta 12. He came, saw, he electrified the artistic world with his installations, he conquered, amazed people and he did all these things with incredible style. Like Picasso and Beuys before him, Ai Wei Wei fashioned a new fascination for visual perception. This artist with Chinese background is breathtakingly creative. Although I´m just a scribbler, I think Ai Wei Wei has in no way yet reached the absolute high point of his artistic genius. His block crafted from ironwood, the porcelain wave, the sculpture made out of doors and windows, his architectural contribution to the giant ´nest` in Peking! All these artistic achievements display clear indications of his determined standpoints for and against in the realms of political and economic malcontent of capitalistic and totalitarian systems on our planet! His verbal and artistic statements about the universe in which we live and breath are completely unique. For the sake of humanity, I hope that he has overcome all the physical and mental attacks he has suffered.

A Diamond

When I met him for the first time here in Kassel in 2007, he came across as a really nice, kind and unpretentious man. But now, about thousand days later, his artistic work has flowed into our world. London, Munich and so on. On 26th September 2010, he will be awarded the citizen prize `Glas der Vernunft` here in Kassel in the City Theatre, along with sincere and rapturous admiration and best wishes. The jury has picked the right winner. On behalf of all people in Kassel and over the whole world, I congratulate him for achieving this `Preis der Vernunft´. Yours respectfully, Arminius TagesSatz

* 09/10

* 23


KASSEL

Eigenmotivation als Grundlage Körperliche und psychische Leiden sowie Suchterkrankungen hindern Betroffene oft, ein selbstständiges Leben zu führen. Welche Hilfen es für sie gibt, erläutert Andreas Glawe vom Unterstützten Wohnen/FAB e.V.

* TRUDI KINDL

I

westfalenfleiss.de

m betreuten Wohnen lebt man allein oder mit Partner zu Hause und wird dort unterstützt, wo man selber nicht zurechtkommt. Verschiedene Träger bieten es bei körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung und bei psychischen und Suchterkrankungen an. Im unterstützten Wohnen des FAB steht die Körperbehinderung im Vordergrund. Kunden müssen bei Antragstellung zwischen 18 und 65 Jahren sein. Junge wollen beispielsweise bei den Eltern ausziehen, um selbständiger zu werden. Viele haben MS und brauchen wegen fortschreitender Erkrankung Hilfe. Wenige kommen durch Unfälle oder Partnerverlust zum unterstützten Wohnen. Die meisten leben in eigenen Wohnungen. Wird jemand aus Reha oder Krankenhaus entlassen, kann er in einer Übergangswohnung in einer

scher Begründung durch: Das ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand Hemmungen hat, zum Arzt zu gehen, um mit ihm zu sprechen. Der Kontakt zum FAB erfolgt durch Betroffene, Angehörige oder andere Institutionen. Im Vorgespräch stellt sich der Kunde mit Fragen und Wünschen vor, und der FAB erklärt seine möglichen Hilfsangebote. Der Kunde hat genug Zeit, sich klar darüber zu werden, ob er sich darauf einlassen will. Falls ja, wird im Folgegespräch ein Hilfeplan erarbeitet: Fähigkeiten und Probleme in verschiedenen Lebensbereichen (Gesundheitssorge, tägliche Lebensführung) werden zunächst beschrieben. Dann nennt der Kunde selbst die anvisierten Ziele. Das stärkt Selbstverantwortung und die Motivation zur Mitarbeit. FAB und der Kunde legen fest, wie man die Ziele erreichen kann und wieviel Zeit dazu nötig ist. Zusammen mit einem Sozialhilfeantrag, der auch Einkommen und Vermögen berücksichtigt, wird der Hilfeplan an die Kostenträger LWV, Sozial- und Gesundheitsamt geschickt. Diese sprechen in einer Hilfekonferenz, an der sich der Kunde beteiligen kann, das weitere Vorgehen ab. Meistens werden Leistungen für ein halbes Jahr bewilligt. In der praktischen Zusammenarbeit hält man tatsächliche Bedürfnisse und benötigte Hilfen konkret fest. Deshalb wird der Hilfeplan auch halbjährlich angepasst und an den LWV weitergegeben, der die Folgekosten in der Regel bewilligt. Einige Kunden mit chronischen Erkrankungen nutzen schon über zehn Jahre das Angebot. Ideales Ziel für den FAB ist, den Selbständigkeitsverlust zu verlangsamen oder sich bei den Hilfen überflüssig zu machen.

Stärkung der Selbstverantwortung WG unterkommen, bis er mit Hilfe des FAB eine Wohnung gefunden hat. Derzeit gibt es 26 Kunden.

*

24

MEHR ZUM THEMA: Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (FAB e. V.), Kölnische Straße 99, 34119 Kassel. Andreas Glawe, Tel.: 0561/72885-12, andreas.glawe@fab-kassel.de

Die Hilfen stellt man individuell zusammen: Hat man Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung, kann man diese einkommensunabhängig beziehen und auch für Arbeiten im Haushalt einsetzen. Bei Hilfen zur Freizeitgestaltung oder im Umgang mit Behörden werden bei Hausbesuchen psychosoziale Gespräche geführt, um offene Fragen und Wünsche zu erfassen und den weiteren Umgang damit festzulegen. Bei Arztbesuchen hilft der Pflegedienst. Braucht man Begleitung, um ins Kino zu gehen oder um Freunde zu besuchen, kann eine Assistenz über den LWV beantragt werden. Im unterstützten Wohnen arbeiten acht SozialarbeiterInnen. Sie führen Begleitungen nur bei pädagogi-

*

TagesSatz

* 09/10


DIE KOCHNI S C H E

Kochen mit dem TagesSatz * HANS PETER PUNG & TEAM

Volker Stosberg (photocase.com)

Leckere Gerichte für Sie entdeckt

Aufläufe Aufläufe sind das Richtige für die kalte Jahreszeit. Sie brauchen etwas Zeit in der Vorbereitung, eignen sich jedoch prima zur Resteverwertung. Lassen Sie also ihrer Phantasie freien Lauf und kreieren Sie doch einmal Ihren persönlichen Auflauf. Übrigens: Gratins gehören auch zur großen Familie der Aufläufe.

Döppekoche 2 kg Kartoffeln festkochend, 150g durchwachsenen Speck, 4 Mettwürstchen, 500g Zwiebeln, Salz, Pfeffer, Paprika, Muskat, Öl, 1 großes Glas Apfelmus Kartoffeln schälen, grob reiben. Vom Speck die Schwarte abschneiden, würfeln. Mettwürstchen in Scheiben schneiden. Zwiebeln schälen, in grobe Würfel schneiden. Von den geriebenen Kartoffeln die Flüssigkeit abgießen, dabei darauf achten, dass die Stärke aufgefangen wird. Alle Zutaten in einer Schüssel miteinander vermischen. Mit Salz, Pfeffer, Paprika und Muskat würzen. Die Masse in einen Bräter geben, etwas Öl darüber gießen und im Backofen bei 170°C (Umluft) circa 90 Minunten backen. Der Auflauf ist fertig, wenn sich eine durchgängige braune Kruste gebildet hat. Auflauf aus dem Ofen nehmen, in Portionen TagesSatz

* 09/10

schneiden und heiß servieren. Apfelmus in eine Schüssel geben, mit etwas Zimt abschmecken und dazu reichen. Tipp: Sie können auch zwei Eier in die Masse geben, so wird sie etwas fester. 4 Portionen / etwa 1,50 Euro pro Portion

Nudelauflauf 1 Paprika (rot), 1 Zucchini, ½ Kopf Wirsing, 2 Zwiebeln, 2 EL Petersilie gehackt, Öl, Salz, Pfeffer, Muskat, Chilipulver, 100 ml Brühe, 1 mittelgroßen Muskatkürbis, 1 Orange, 100g Schmelzkäse, 500g Spiralnudeln, etwas Sesam, Butter zum Fetten der Form Nudeln nach Packungsanweisung garen, abgießen. Gemüse in mundgerechte Stücke schneiden. Zwiebeln, schälen, in Würfel schneiden. Die Hälfte der Zwiebeln in einer Pfanne mit etwas Öl glasig dünsten, Gemüse zufügen und anschwitzen. 50 ml Brühe zufügen, maximal 5 Minuten dünsten. Mit Pfeffer, Salz und Muskat würzen. Nudeln, Petersilie und das Gemüse vermischen. In eine gebutterte Auflaufform geben. Gratinmasse: Vom Kürbis Stiel- sowie Blütenansatz entfernen. Halbieren, Kerngehäuse entfernen, ungeschält in kleine Würfel schneiden. Restliche Zwiebel in Öl glasig dün-

sten, Kürbiswürfel zugeben und anschwitzen. Restliche Brühe angießen. Orangenschale (ohne das Weiße) abreiben, auspressen. Saft und Schale zum Kürbis geben. Den Kürbis in etwa 15 Minuten weich dünsten, pürieren. Schmelzkäse unterheben, mit Pfeffer, Salz, Muskat und Chili würzen. Sesam in einer Pfanne ohne Öl rösten, in die Masse geben. Den Auflauf mit der Gratinmasse großzügig bedecken. Die restliche Masse portionsweise einfrieren. Im vorgeheizten Backofen bei 180°C 10 Minuten erwärmen, danach noch einmal 10 Minuten mit Oberhitze gratinieren. Der Auflauf ist fertig, wenn sich eine Kruste gebildet hat. Tipp: 4 Portionen / etwa 2,50 Euro pro Portion Sie können Aufläufe abwandeln, in dem Sie das Gemüse nach ihrem Geschmack verändern. Fügen Sie angebratenen durchwachsenen Speck hinzu. Edler wird der Auflauf, wenn sie Fischfilets zufügen. Natürlich können Sie statt Nudeln auch Reis oder Kartoffeln verwenden. Oder fügen sie doch einfach Bratenreste zu. Gratinmassen können Sie auch aus Avocado, Karotten, Zucchini, gelbe Rüben und ähnlichem herstellen. Kombinieren Sie dazu das Gemüse einfach mit Käse oder Schmand. Die Herstellung erfolgt jeweils wie oben beschrieben.

*

25


K U LT U RT I P PS

Die Empfehlung

GÖTTINGEN

* VIOLA WIEGAND

Tatjana Pfennig

chen einander im Dunkeln nicht erkennen. Als sie sich auf das scheinbar harmlose Experiment einlassen, fallen jedoch die Fassaden. In der Tragikomödie „Happy“ der renommierten Regisseurin Doris Dörrie geht es um die Frage nach dem wahren Glück und die Enthüllung von Oberflächlichkeiten. Der Spielkreis Theater präsentiert sein Gastspiel in der stimmungsvollen Atmosphäre der Notaufnahme mit Platz für nur dreißig Zuschauer.

Happy Theater im OP Bei einem Wiedersehen wollen drei Paare spontan die Theorie widerlegen, dass die meisten Pär-

So 19.09. - Mi 10.11. St. Jacobi-Kirche, St. Johannis-Kirche, St. Nikolai-Kirche, Evangelisches Studienhaus, Obere Karspüle 30, Gö

Ernst Barlach – Käthe Kollwitz in Göttingen Mi 01.09. / 20.15 Uhr Theater im OP, Gö Premiere: Dr. med. Hiob Prätorius (Curt Goetz) Eintritt: 9 Euro, erm. 6 Euro Do 02.09. / 20.30 Uhr Kulturzentrum Schlachthof, Ks Jam-Session: Eintritt frei!

*

MEHR ZUR EMPFEHLUNG: Premiere: Mo 20.09. / 20.15 Uhr Weitere Vorstellungen: 22. bis 26.09., jeweils um 20.15 Uhr Eintritt: 9 Euro, erm. 6 Euro www.thop.uni-goettingen.de

Rund 40 Museen und Kultureinrichtungen bieten zwischen 17.00 und 01.00 Uhr Ausstellungen, Führungen, Aktionen und Performances Eintritt: 9 Euro, erm. 6 Euro Kontakt: Kulturamt Stadt Kassel, Tel.: 0561. 787-4007, info@museumsnacht.de, www.museumsnacht.de Sa 04.09. / 21.00 Uhr Innenhof Düstere Str. / Groner Str. (beim Paulaner), Gö „Im Stillen“ von Clemens Mädge im Rahmen des Innenhof-Theater-Festivals Eintritt: 17 Euro, erm. 14 Euro

Mo 06.09. / 21.15 Uhr Cinema, Gö Micmacs – Uns gehört Paris: Kinofilm von Jean-Pierre Jeunet Komödie über einen Mann, der sich an der Waffenindustrie rächen will Eintritt: bis zu 6,50 Euro Di 07.09. / 20.00 Uhr Junges Theater, Gö Die Räuber nach Friedrich Schiller Eintritt: 13 Euro, erm. 9 Euro, Schüler 6,50 Euro Di 07.09. / 21.00 Uhr Kulturzentrum Schlachthof, Ks Acoustic Bar: Eintritt frei! Mi 08.09. / 10.00 - 18.00 Uhr Freie Altenarbeit, Gö Schulung OWOG – oder wie wollen SIE wohnen? Anmeldung: 0551/43606, Gebühr 40 Euro Do 09.09. / 19.00 Uhr Mediothek der BBS II, Gö Die Bücherverbrennungen von 1933: Szenische Lesung der Stillen Hunde zum Abschluss der Austellung „Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit. Südniedersachsen 1939-1945“ Fr 10.09. / 20.00 Uhr Lutherkirche (Lutherplatz), Ks Kasseler Organtheater: Aus einem traurigen Arsch kommt kein fröhlicher Furz VVK: 11 Euro, AK: 13 Euro Sa 11.09. / 20.00 Uhr Deutsches Theater (Großes Haus), Gö

Fr 03.09. / 20.00 Uhr Deuerlich, Gö

So 05.09. / 11.15 Uhr Ethnologische Sammlung (Theaterplatz 15), Gö

Neue polnische Dramatik: Lesung Eintritt frei

Grimms Wörter: Buchvorstellung mit Günther Grass Ausklang bei einem Glas Wein Eintritt: 12 Euro, erm. 8 Euro

Ozeanien – Kultur und Kunst in der Südsee: Führung Eintritt: 5 Euro, erm. 3,50 Euro

Di 14.09./ 21.00 Uhr Kulturzentrum Schlachthof, Ks

So 05.09. / 20.00 Uhr Kulturhaus Dock 4, Ks

Mi 15.09. / 16.00 Uhr Haltestelle Markt, Gö

Studioebene deck 1: Ensemble ajar: WerDuIch

Stadtrundfahrt im Londonbus Erw.: 6,50 Euro, Kinder: 4,00 Euro

Sa 04.09. / 17.00 – 01.00 Uhr Kasseler Museumsnacht, Ks Die 10. Kasseler Museumsnacht lädt unter dem Motto KULTUR LIVE! ein. 26

Funk-Session: Eintritt frei!

TagesSatz

* 09/10


KULTURT I P P S

Brüder Grimm in Kassel – auf dem Weg zu einer neuen Präsentation (Vortragsreihe Teil 2)

Die Empfehlung

Fr 17.09. / 17.00 Uhr Kulturhaus Dock 4, Ks Spielraum-Theater: das tapfere Schneiderlein (ab drei Jahren) Fr. 17.09. / 18.00 Uhr St. Jacobi-Kirche, Gö Konzert mit Stefan Möhle (Blockflöte) und Michael Rupprecht Null (Orgel) Eintritt frei Sa 18.09. / 19.30-22.00 Uhr Staatstheater (Opernhaus), Ks König Lear (Pemiere) So 19.09. / 10.00 Uhr Bootsverleih am Kiessee (Treffpunkt), Gö Offene Ateliers im Göttinger Land: Leichte Radtour organisiert vom ADFC in Kooperation mit der Galerie Göttinger Land Di 21.09. / 10.00-21.00 Uhr Kulturhaus Dock 4, Ks FLUX – Auftakt-Tagung und Aktionstag Fr 24.09. / 19.45 Uhr Stadthalle, Gö Göttinger Symphonieorchester: 1. Promenadenkonzert Ouvertüre zum Musical „Goldilocks“ von Leroy Anderson Eintritt: 6,44 Euro (erm.) - 27,50 Euro

* HARALD WÖRNER

Kassel

Agentur

Do 16.09. / 18.00 Uhr Kulturnetz Kassel e. V., Ks

Zwischen Jazz und Ohrwurm Hellmut Hattler mit Band im Kulturzentrum Schlachthof Die unnachahmliche Melange aus coolen Clubsounds, Psychedelic-Pop und NuJazz ist es, die ihn und seine legendären Mitmusiker kennzeichnet. Hattler, die Band des legendären Bassisten Hellmut Hattler (Kraan, Tab Two) mit den Musikern Fola Dada (Vocals), Torsten de Winkel (Guitars, E-Sitar)

und Oli Rubow (Drums, Electronics) schafft scheinbar mühelos die Gratwanderung zwischen modernster Elektronik und handgemachter instrumentaler Virtuosität: kraftund druckvoll, aber auch smoothy und mellow, mit einem sicheren Gespür für besondere Melodien. Hattler stellt seine brandneue CD erstmals der Öffentlichkeit vor!

*

MEHR ZUR EMPFEHLUNG: Hattler Kulturzentrum Schlachthof, Ks Do., 30.09.10 / 21.00 Uhr VVK: 13 Euro, AK: 16 Euro www.schlachthof-kassel.de www.helmut-hattler.de

Sa 25.09./ 19.30-22.00 Uhr Staatstheater (Schauspielhaus), Ks

Mi 29.09. / 20.00 Uhr Kulturhaus Dock 4, Ks

Warten auf Godot (Premiere)

Konzert mit HOLMES

Sa 25.09. / 22.15-0.00 Uhr Staatstheater (Opernfoyer, Ks

Do 30.09. / 17.00 Uhr St. Godehard Gemeindesaal (Godehardstr. 22), Gö

ABBA-Party Mo 27.09. / 19.00 Uhr Apex, Gö Komplexität und Politik – Politische Entscheidungen und die Themendurchdringung: Vortrag von KarlLudwig Baader mit anschließender Diskussion Kostenbeitrag: 5 Euro

Interkulturelles Stadtteil-Erzählcafé Eintritt frei Do 30.09./ 21.00 Uhr Kulturzentrum Schlachthof, Ks HATTLER: Konzert VVK: 13 Euro, AK: 16 Euro (siehe auch Empfehlung Kassel!) ANZEIGE

a ff e n W ir v e r s c h n z v o ll e I h n e n g la A u ft r it te

TagesSatz

* 09/10

Color-Druck GmbH Lindenallee 19 · 37603 Holzminden Fon (0 5531) 93 20-0 · Fax 93 20-50 e-mail: info@color-druck.net

27


K U LT U R G Ö TTINGEN

Gute Aussichten Wie die meisten Kultureinrichtungen in Deutschland verfügt auch die Göttinger Musa nur über sehr begrenzte finanzielle Möglichkeiten. Derzeit aber blicken die Mitarbeiter optimistisch in die Zukunft: Besonders der nahende Kauf des Musagebäudes durch die Stadt gibt Anlass zur Hoffnung.

* FABIAN WAGENER

Z

weimal im Monat dreht Albi die Plattenteller. Der 56-jährige DJ mit dem goldenen Ohrring und den schulterlangen Haaren ist bekannt in Göttingen. Seine Party mit dem selbstironischen Titel „Rock gegen Rheuma“ genießt fast Legendenstatus. Weit über dreihundert Besucher strömen regelmäßig in Richtung Musa, wenn Albi im großen Saal Rock, Soul oder Funk auflegt. „Am 7. Oktober besteht die Partyreihe seit zehn Jahren“, verrät er nicht ohne Stolz. Ein Grund zur Freude für Albi – seine gute Stimmung aber passt in gewisser Weise zur derzeitigen Situation rund um die Musa. Insbesondere zwei Entwicklungen geben Anlass zur Hoffnung: Ende 2010 fiel der Startschuss für die Erneuerung der Weststadt im Zuge des Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“. Demnach stehen der Stadt in den nächsten Jahren 4,6 Millionen Euro zur Verfügung, die vor allem für infrastrukturelle Maßnahmen wie dem Bau von Spielplätzen oder der Restaurierung von Wohnungen verwendet werden sollen. Auch die Musa hofft, als kulturelles Zentrum der Weststadt, von der Aufwertung des sozial schwachen Stadtteils zu profitieren. Signale von Seiten der Stadt, direkt in die Musa zu investieren, hat es bereits gegeben.

Die zweite Entwicklung steht laut Göttinger Stadtverwaltung unmittelbar bevor: der Kauf des Musagebäudes und eines Teilstücks des Geländes durch die Stadt. Derzeit befinden sich Gelände und Gebäude im Besitz des Bundes, werden an die Stadt vermietet und dann an den Musa e.V. weiter vermietet. Eine Konstellation, die in der Vergangenheit nicht immer von Vorteil war: „Der Bund hat sich nicht wirklich für unsere Belange interessiert“, sagt Christiane Mielke, Mitarbeiterin der Musa. Der Kauf durch die Stadt könnte die Situation deutlich verbessern: „Die Grundbedingungen sind viel besser, wenn der Besitzer gleichzeitig der Vermieter ist. Wir könnten gemeinsam mit der Stadt überlegen, was an der Musa verändert werden soll.“ Gleichwohl wird die Ankündigung des nahenden Vertragsabschlusses zwischen Stadt und Bund im Umfeld der Musa mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Die Verhandlungen dauern bereits seit mehr als einem Jahr an, mehrfach schien der Kauf bevorzustehen. Ein Zurück dürfte es jedoch nicht geben, und so erklärt Detlef Johannson, Pressesprecher der Stadt Göttingen, gegenüber dem TagesSatz: „Wir gehen davon

aus, dass der entsprechende Vertrag mit der Bundesanstalt im Anschluss an die Sommerferien unterzeichnet werden kann. Der Kaufpreis beträgt 400.000 Euro.“ Die baldige Abwicklung des Kaufs wäre zu wünschen, denn zu tun gibt es genug: Zentral erscheint die Verbesserung des Lärmschutzes, da sich die Beschwerden der Anwohner über den Geräuschpegel vor der Musa in jüngster Zeit häuften. Durch die Verlegung des Haupteingangs auf die andere Seite des Gebäudes soll das Problem behoben werden. Ein weiteres Anliegen der Mitarbeiter: die Steigerung der Attraktivität des Geländes. Derzeit gibt es weder befestigte Parkplätze noch ausreichende Beleuchtung. Für derlei Maßnahmen, aber auch für die Ausweitung des Kulturangebots sind finanzielle Mittel erforderlich, deren Beschaffung durch die jüngsten Entwicklungen leichter werden könnte. Auch DJ Albi freut sich über die positiven Meldungen: „Das ist nicht nur gut für die Weststadt, sondern für ganz Göttingen.“

*

musa

„Gut für ganz Göttingen“ 28

TagesSatz

* 09/10


heiniger-net

KULTUR KA S S E L

Urbanes Zwielicht * LYRIK VON SABINE PARSUNKA Sag mir! Welcher Stadtteil kennt noch keinen Vandalismus? Welch grüne Wegbegrenzung ist kein Sammelplatz für Dreck? Wer ist nicht angesteckt vom Egoismus? Wie viel` Menschen schweigen und seh´n weg? Welches Kind geht ohne Angst in seine Klasse? Welch alter Mensch eilt nicht im Hellen noch nach Haus? Wer wurd´ noch nie beleidigt wegen seiner Rasse? Wer nutzte nie die Schwäche andrer Menschen aus? Welche Bank war nicht schon Fußabtreter? Welch Teil des Gehwegs ist von Spuckeflecken frei? Wer von diesen Menschen ist ein Täter? Wer von den Bekannten wird bald Mobbing-Opfer sein? Wann findet man den nächsten Toten? Wie oft wird Reichtum nur durch Gutes angeschafft? Welche Firma hat noch keine Sklavenarbeit angeboten? Welcher Tag bringt keine Nachricht von überflüss´ger Arbeitskraft?

Meterlang Zwischen Sitzecke und Schrank dehnen sich die Meter, Meter, Meter......meterlang. Hier sitzt doch die Drossel im Busch und singt. Hörst Du sie nicht? Ohren zu und zähl die Meter! Zwischen Bett und Wandbehang Dehnen sich die Meter, Meter, Meter......meterlang Hier leben doch Falter mit leuchtenden Farben. Siehst Du sie nicht? Augen zu und zähl die Meter! Zwischen Herd und Küchenbank dehnen sich die Meter, Meter, Meter……meterlang. Hier duften doch Maiglöckchen im Schatten der Bäume. Riechst Du sie nicht? Nase zu und zähl die Meter!

TagesSatz

* 09/10

29


H I N T E R D E N KULISSEN

„An die Ränder schauen“

W

* ANDREA TIEDEMANN

as ohnehin marktgängig ist, müssen wir hier nicht nochmal bewerben. Wir möchten an die Ränder schauen.“ Johannsen geht es darum, das Publikum auf Texte hinweisen, die es zu entdecken gilt. Zudem hat sich die neue Leiterin eine schwierige Aufgabe gestellt: Der Literaturbetrieb, dem sie selber angehört, soll kritisch von oben betrachtet werden. Johannsen, die selber sowohl den Literaturbetrieb als auch die literaturwissenschaftliche Seite kennt, möchte im besten Sinne zweigleisig fahren. Sie versteht sich als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis.

Andrea Tiedemann

Dr. Anja Johannsen ist seit Mai Kopf des Literarischen Zentrums Göttingen. Bei der Vorstellung des neuen Programms gibt sie einen Vorgeschmack auf die im September startende Lesezeit.

Sozialpolitisches Interesse als persönliche Note

Ihre persönliche Note gibt die neue Leiterin dem Literaturzentrum mit einem sozialpolitischen Interesse. So erzählt Johannsen bei der Vorstellung des neuen Programms begeistert von dem geplanten Gespräch mit Sineb El Masrar, Herausgeberin der Gazelle. Die Gazelle ist ein Magazin, das sich ausdrücklich an Frauen mit Migrationshintergrund wendet. Um unabhängig publizieren zu können, hat die 1981 geborene El Masrar ihren eigenen Verlag in Berlin gegründet. Der wohl bekannteste Name der neuen Lesezeit ist der ungarische Autor Peter Esterhazy. Sein „Produktionsroman (Zwei Produktionsromane)“, der die Probleme der Arbeiter schildert, erschien bereits 1979 in Ungarn, wurde aber erst jetzt ins Deutsche übersetzt. Sein Werk ist eine Parodie auf den Produktionsroman, der eine Gattung der sozialistischen Kulturpolitik ist. 30

Bewährte Traditionen des Literarischen Zentrums möchte Johannsen beibehalten. Der Hausbesuch findet dieses Jahr bei der Autorin Nino Haratischwili statt, die ihren ersten Roman Juja vorstellt. Haratischwili war bereits durch einige Theaterstücke, die sie zärtlich als „Liebhaber“ bezeichnet, bekannt geworden. Ihr erster Roman, den sie schriftstellerisch mit einer Ehe vergleicht, handelt von einer 17-jährigen im Paris der fünfziger Jahre: Eine junge Frau schreibt einen aufwühlenden Prosatext und begeht Suizid. Zwei Jahrzehnte später töten sich zwei Frauen, die den Text zuvor gelesen haben. Der Sog der Worte hatte sie in ihren Bann gezogen. Als Antwort auf das „Fräuleinzunder“ des vergangenen Jahres findet im Februar 2011 ein „Herrengedeck“ statt: sechs junge Gegenwartslyriker stellen ihre Texte vor. Doch Johannsen möchte noch eine neue Perspektive ins Literarische Zentrum einbringen. Sie legt Wert auf Medien übergreifende Werke. So finden

sich zum Beispiel die Minutentexte von Michael Baute (Autor, Filmkritiker) und Volker Pantenburg (Medienwissenschaftler) im Programm. Sie ließen verschiedene Menschen den gleichen Ausschnitt aus dem Film „The Night of the Hunter“ kommentieren. Bevor das Projekt vorgestellt wird, werden Ausschnitte aus dem Film gezeigt. Ebenso visuell einladend ist der Abend mit Ulli Lust, Comiczeichnerin aus Berlin. Ihre Graphic Novel „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“, über die sie mit dem Literaturwissenschaftler Daniel Stein spricht, wird an die Wände des Zentrums projiziert. Die Poetikvorlesung des bekannten Dramatikers John von Düffel sowie ein Besuch von Christoph von der Maus bei „Literatur macht Schule“ runden das neue Programm ab.

*

MEHR ZUM THEMA: Mehr Infos im Programm-Flyer oder unter www.lit-zentrum-goe.de Karten von 3,50 Euro bis 16,50 Euro (Eintritt frei bei einzelnen Veranstaltungen)

TagesSatz

* 09/10


ZWISCHEN DEN ZE I L E N

Habitate auf Papier Wie wohnen die Kreativen in den Metropolen? Wo lebt es sich in Deutschland am besten? Wie baut man eine intelligente Stadt? Mit diesen Fragen setzen sich die aktuellen Buchvorstellungen auseinander – und finden spannende und verblüffende Antworten.

* DANIELE PALU Wirtschaft und Wohnen Wirtschaft – ein Buch mit sieben Siegeln? Eine so komplizierte Angelegenheit, dass Laien sie erst gar nicht versuchen sollten zu begreifen? Das wollen uns Spezialisten, Börsianer und Zahlenfreaks zumindest oft weismachen. Detlef Gürtler, Wirtschaftsexperte und Unternehmensberater, bringt auf kluge und originelle Weise Licht in dieses Dunkel. Sein Wirtschaftsatlas Deutschland bietet in acht Kapiteln und auf mehr als achtzig großen Karten und zahlreichen Grafiken die wichtigsten Informationen über das Land und seine Bürger, aufgeschlüsselt nach Regionen. Wo leben die reichsten Deutschen? Welche Region hat die höchste Arbeitslosigkeit? Wo in Deutschland gibt es die beste Kinderbetreuung? Gürtler erklärt die regionalen Unterschiede von Jugendarbeitslosigkeit, Pisa-Ergebnissen und Altenquotient ebenso knapp und kompetent wie unterhaltsam. Detlef Gürtler: Wirtschaftsatlas Deutschland. Rowohlt 19,95 Euro. Taschenbuch, 192 Seiten

Wohnst Du noch oder lebst Du schon? Einrichtungs-Bücher gibt es viele. Die meisten zeigen wahlweise hippe LoftWohnungen oder aber verträumte Landhäuser inmitten schwülstig-romantischer Lavendelfelder. Eines haben sie aber alle gemeinsam: Die Interieurs ähneln dem Showroom eines Designmöbelhauses. Nicht so Francesca Gavin: Die Autorin besuchte Künstlerinnen und Designer, Grafiker und Architekten, Schriftsteller und Filmemacher in Barcelona, Berlin, London, New York, Paris und Tokio. Ihr Buch verdeutlich vor allem eines: Immer mehr, primär junge Menschen, leben und arbeiten in der gleichen Wohnung. Jedes Zuhause muss multifunktionell und flexibel sein, Platz für Kinder und Schreibtische bieten und Raum lassen für Kreativität. Insofern vermittelt Gavins Buch nicht nur einen Eindruck davon, wie schick es sich in den weltweiten Metropolen leben lässt. Sie zeigt auch, welche Flexibilität das moderne Leben von vielen Menschen verlangt. Nicht zuletzt punktet der schöne Bildband mit zahllosen farbenfrohen Fotos – und echten Insidertipps, denn die porträtierten Kreativköpfe verraten auch die Adressen ihrer Lieblingslokale. Francesca Gavin: Die neuen Urbanisten. DVA, 39,95 Euro. Gebunden mit Paperback, 208 Seiten

TagesSatz

* 09/10

Intelligent und Öko Stadtplaner haben einen miserablen Ruf. Schuld daran tragen Plattenbausiedlungen, Waschbetonkübel oder Abrisse zugunsten fragwürdiger architektonischer Entscheidungen. Die Liste ist lang, und wohl jeder kann eigene (subjektive) Beispiele für fehlgeleitete Stadtplanung nennen. „Die Landflucht, die öden Vorstädte, die immer rasanter voranschreitende Zersiedelung, die Verschandelung unserer Lebenswelt, – all das müsste gar nicht sein“, sagt Albert Speer. Der Sohn von Hitlers einstigem Baumeister und Rüstungsminister, ist einer der erfolgreichsten deutschen, international agierenden Architekten. Sein Ideal, so wird er nicht müde zu betonen, ist eine grüne Stadt, in der man wohnen, arbeiten, einkaufen und leben kann. Seine zentralen Thesen lauten: „Nutze den Raum der Stadt“ und „Reduziere den Energieverbrauch und den Einsatz von Technik“. Dass das keine leeren Worte sind, beweist dieses Buch. Es zeigt realisierte und aktuelle Projekte Speers – von den Plänen für ein intelligentes Verkehrsnetz in Kairo bis hin zu einer umweltverträglichen „Öko-Stadt“ für eine halbe Million Menschen in Changchun. Jeremy Gaines, Stefan Jäger: Albert Speer & Partner. Ein Manifest für nachhaltige Stadtplanung. Prestel, 29,95 Euro. Hardcover, 224 Seiten

31


I N D E R N A H AUFNAHME Diese zwei Kinofilme retten den qualitativ eher lauen Blockbuster-Sommer und entführen in entfernte Traumwelten. Unser Themen-Tipp aus Brasilien holt uns allerdings wieder auf den harten Boden der Realität zurück.

DVD-Tipp

outnow.ch

* CLIFFORD SPENCER

Inception R.: Christopher Nolan USA/GB 2010, FSK 12 Cobb (Leonardo DiCaprio) ist ein besonderer Industriespion: Er dringt in Träume ein und stiehlt geheime Informationen. Nach einer gescheiterten Mission an dem Industriellen Saito (Ken Watanabe) wird er prompt von ihm angeheuert. Er soll einem Energiemagnaten die Idee einpflanzen, seinen eigenen Konzern zu zerschlagen. Als Lohn winkt dem gesuchten Cobb die Rückkehr in die USA zu seinen zwei Kindern. Es ist ein gefährlicher Job, denn er und sein Team (unter anderem Ellen Page) müssen so tief ins Unterbewusstsein eindringen, dass es vielleicht kein Zurück mehr gibt. Doch die größte Gefahr ist Cobbs eigene Psyche. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einer enorm komplexen Handlung. „Inception“ stopft in zehn Minuten mehr Ideen als andere Blockbuster in voller Länge abliefern. Die Geschichte bietet so viele Möglichkeiten der Interpretation, dass einem schwindelig werden kann. Selbst ohne große Kopfarbeit bleibt ein fast perfekt inszenierter Sci-Fi-Actioner übrig. Für Regisseur Nolan waren „Memento“ und „The Dark Knight“ anscheinend nur Fingerübungen: „Inception“ ist wirklich ein Traum von einem Film. 32

Toy Story 3

City of God

R.: Lee Unkrich USA 2010, FSK 0

R.: F. Meirelles, K. Lund BR/F 2002, FSK 16

Woody (deutsche Stimme: Michael „Bully“ Herbig), Buzz Lightyear und seine Freunde waren über viele Jahre das Lieblingsspielzeug ihres Besitzers Andy. Aber Andy geht bald aufs College und kann mit seinen alten Plastikfiguren nicht mehr viel anfangen. Aus Angst vor einem traurigen Schicksal auf dem Dachboden – oder noch schlimmer – in einem Müllwagen, schummeln sich die Freunde in eine Kita. Die nennt sich zwar „Sunnyside“, hat aber gar grausige Schattenseiten. Mit „Toy Story“ revolutionierte Pixar 1995 den Animationsfilm und startete eine unglaubliche Erfolgsserie, die bis heute anhält. 1999 folgte mit „Toy Story 2“ ein Musterbeispiel für eine gelungene Fortsetzung. Jetzt läuft der dritte Teil in den Kinos und hat schon mehr eingespielt als jeder andere Trickfilm. Der Erfolg ist auch hier hochverdient, denn „Toy Story 3“ ist ein würdiger Abschluss der originellen Spielzeug-Saga. Typisch für amerikanische Kinderfilme der letzten Zeit sind einige vielleicht zu düstere Passagen für Kleinkinder dabei. Dafür entschädigt ein Happy End, das jeden zu Tränen rührt, der jemals seinem alten Spielzeug hinterherweinte.

Die „Stadt Gottes“ ist der Name eines Ende der Sechziger eilig hochgezogenen Neubauviertels in Rio. Bitterarm und oft ohne das Nötigste ausgestattet, versuchen einige Bewohner sich mit kleinen Gaunereien über Wasser zu halten. In den nächsten zehn Jahren entwickelt sich das Viertel zu einem verdreckten Slum, in dem Drogen und Gewalt den Alltag beherrschen. Hier wächst Buscapé (Alexandre Rodrigues) auf, der von einer Karriere als Fotograf träumt. Seine Chance kommt unerwartet, als ein Bandenkrieg beginnt und die „Stadt Gottes“ endgültig zur Hölle wird. „City of God“ schockiert in seiner kompromisslosen Härte. Kinder morden und werden ermordet am hellichten Tag, während Banden unbehelligt ihre Kriege auf offener Straße austragen. Und es beruht alles auf wahren Begebenheiten, geschickt und glaubhaft verflochten in einzelnen Episoden. Dabei überzeugt der Film nicht zuletzt durch die großartigen Laiendarsteller. „City of God“ ist ein äußerst eindrucksvolles und spannendes Lehrstück über Ghettoisierung und Gewalt. TagesSatz

* 09/10


DAS LE T Z T E

DER TiCKER NACHRICHTEN AUF DEN LETZTEN DRÜCKER Impressum Aus der Elternzeit zurück ins Büro GÖTTINGEN – Frauen und Männer, die ihre Berufstätigkeit für die Arbeit in der Familie unterbrochen haben, aber auch berufstätige Frauen, sollen mit dem Weiterbildungsprogramm „Zurück in den Beruf“ beim Wiedereinstieg in die Arbeitswelt unterstützt werden. Fortbildungsangebote gibt es in Göttingen, Hann. Münden und Duderstadt. Die Kurse finden am Vormittag statt, damit Probleme mit der Kinderbetreuung möglichst gering sind. Möglich sind unter anderem eine Ausbildung in Finanzbuchhaltung, Kurse zu EDV-Grundlagen, sowie ein Bewerbungs-Choaching. ür speziellere berufliche Weiterbildungen kann ein Weiterbildungsscheck bei der Koordinierungsstelle beantragt werden. (nw)

*

MEHR ZUM THEMA: www.frauen-wirtschaft.de

Uni Göttingen im fernen Osten GÖTTINGEN – Die Universitäten Göttingen und Heidelberg sowie das Karlsruher Institut für Technologie werden in Zukunft mit den drei japanischen Universitäten Kyoto, Osaka und Tohoku zusammenarbeiten. Ende Juli trafen sich Vertreter beider Länder in Heidelberg und gründeten dort ein deutsch-japanisches Hochschulkonsortium.

Dieser Zusammenschluss soll den Informationsaustausch erleichtern. Weiterhin sollen Kooperationen in Forschung und Lehre sowie der Austausch von Wissenschaftlern und Studenten ausgebaut werden. (nw)

Streit um Hartz-IV-Mieten hält an Kassel – Die Auseinandersetzungen um die Kosten der Unterkunft für Hartz-IVBezieher ziehen sich hin. Die Stadtverordnetenversammlung hatte im Februar die Abschaffung der seit ihrer Einführung umstrittenen Pauschale beschlossen. Seitdem müssen die Kosten in tatsächlicher Höhe erstattet werden, sofern sie angemessen sind. Kritiker der Stadt sehen sich durch dieses Urteil gestärkt. Zwar betreibe die Stadt Kassel einen enorm hohen Aufwand, ihr Konzept zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten auf die Beine zu stellen; doch gelungen sei das bisher nicht. „Ein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) liegt daher nicht vor“, heißt es im Urteil. Denn die Grenzen der Angemessenheit seien unzureichend errechnet worden. Das Urteil des Sozialgerichts ist vorläufig und so etwas wie eine Art Eilentscheidung. Der Fachmann nennt das auch einstweiligen Rechtsschutz. Nach der Systemumstellung bekommen nicht wenige ALG-II-Empfänger deutlich weniger Geld. Stichtag hierfür war der 01.07.10. Momentan werde noch ermittelt, wie viele Menschen weniger Geld als vorher bekommen, so Detlev Ruchhöft, der Geschäftsführer der Arbeitsförderung Kassel Stadt (AFK). (hw)

*

Detlef „Rocky“ Bernhard

Nächstes Mal OKTOBER-Ausgabe 2010

Im Oktober widmet sich der TagesSatz, passend zur Jahreszeit, dem Thema der „Sozialen Kälte“. Wir werfen einen kritischen Blick auf die Göttinger Abschiebepolitik und das Kirchenasyl und schauen, welchen Problemen Behinderte in Baustellen gegenüberstehen. Nicht zuletzt gibt es einen neuen Kaffeeklatsch, dieses Mal mit Florian Bernschneider (FDP) – das mit 23 Jahren jüngste Bundestagsmitglied.

*

TagesSatz

* 09/10

*

TagesSatz, das Straßenmagazin Herausgeber: TagesSatz e.V. 1. Vorsitzender: Hans Peter Pung Adresse der Redaktion Kassel: Westring 69, 34127 Kassel Telefon: 0561 / 861 58 43 Fax: 0561 / 861 58 61 E-Mail: kassel@tagessatz.de Mo, Di, Do: 10-12 Uhr Mi & Fr: 17-19 Uhr Adresse der Redaktion Göttingen: Obere Karspüle 18, 37073 Gö. Telefon: 0551 / 531 14 62 E-Mail: goettingen@tagessatz.de Mo, Di, Do, Fr: 10-13 Uhr Mi: 14-16 Uhr Homepage: www.tagessatz.de Bankverbindung: Kasseler Sparkasse Kto.: 11 833 79 Blz.: 520 503 53 Sparkasse Göttingen Kto.: 505 815 11 Blz.: 260 500 01 Redaktionsleitung: Jörg Sanders, Malte Schiller (GÖ), Harald Wörner (KS) Pressesprecher: Malte Schiller Vertriebsleitung: Kassel: Christian Piontek Tel.: 0561 / 861 58 18 Göttingen: Juliane Michael Tel./Fax: 0551 / 531 14 62 Anzeigenleitung: Büro Kassel Tel.: 0561 / 861 58 43 Jörg Sanders (GÖ) Tel.: 0163 / 685 99 98 Redaktion Kassel: Stefan Giebel, Trudi Kindl, Stephanie Kommor, Fritz Krogmann, Bianca Kuchenbrod, Nora Mey, Hans Peter Pung Kultur KS: Fritz Krogmann Redaktion Göttingen: Anna Knoke, Jenny Lepies, Khoa Ly, Daniele Palu, Christopher Piltz, Andreas Pramann, Jörg Sanders, Nelly Sautter, Clifford Spencer, Andrea Tiedemann, Fabian Wagener, Viola Wiegand News GÖ: Nora Wetzel (nw) Illustration GÖ: Pilar Garcia Fotografie: Detlef „Rocky“ Bernhard, Jenny Lepies, Dario Gödecke, Khoa Ly, Jörg „Yogi“ Müller, Jörg Sanders, Andrea Tiedemann, Harald Wenzel, Tobias Wojcik, www.photocase. com, u.a. Umschlag: Dirk Mederer Layout: Dirk Mederer / plazebo.net Druck: COLOR-Druck GmbH ViSdP: Jörg Sanders, Malte Schiller TagesSatz erscheint zwölfmal im Jahr im Straßenverkauf in Kassel und Göttingen. Auflage dieser Ausgabe: 2.500

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe in gekürzter Version zu veröffentlichen. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verkaufspreis: 2,00 EUR, davon geht 1,00 EUR direkt an den Verkäufer.

33


W O H I N , W E NN Allgemeine Hilfen

EssenSAUSGABEN

Göttingen

Göttingen

Caritasverband Göttingen Allgemeine Lebens- und Sozialberatungsstelle Godehardstr. 18 37081 Göttingen 0551/999590

Die Göttinger Tafel Jakobikirchhof 1 37073 Göttingen Tel. 0551–51030

Opferhilfebüro Göttingen für Opfer von Straftaten Maschmühlenweg 11(Landger.) 37073 Göttingen 0551/5213883 Weißer Ring e.V. Hilfen für Opfer von Straftaten Ansprechpartner: Herr Bayer 0551/6338876 Sozialdienst für Migranten, RABaZ-Beratungs- & Vermittlungsstelle für ausländische Jugendliche Karspüle 16 37073 Göttingen 0551/57739 BONUS Freiwilligenzentrum Godehardstr. 18 37081 Göttingen 0551/9995917 Neue Arbeit Brockensammlung Levinstr.1 37079 Göttingen 0551/5067320 Pro Familia Rote Str.19 37073 Göttingen 0551/58627 Selbsthilfe Körperbehinderte Prinzenstr. 19 37073 Göttingen 0551/54733-0 Selbsthilfegruppe für Mobbing-geschädigte – Rainer Beutler 05602/1860 BürgerInnenberatung Stadt Göttingen Hiroshimaplatz 2 37083 Göttingen Kassel Kasseler Hilfe Opfer- und Zeugenhilfe e.V. Wilhelmshöher Allee 101 34121 Kassel 0561/282070 Weißer Ring e.V. Hilfen für Opfer von Straftaten Ansprechpartner: Hr. Holler 0561/6029458 Pro Familia Kassel Frankfurter Straße 133 a 34121 Kassel 0561/27413 Außenstelle Witzenhausen (Rathaus/EG/Raum 10) Am Mart 1/ Witzenhausen Arbeitslosenhilfe Göttingen Arbeiterwohlfahrt Hospitalstr. 10 37073 Göttingen 0551/50091-0 Mensch & Arbeit - Beratungsstelle für Arbeitnehmer und Arbeitslose Kurze Str. 13a 37073 Göttingen 0551/43373 Verein zur Erschließung neuer Beschäftigungsformen e.V. Lange Geismarstr. 2 37073 Göttingen 0551/485622 Kassel Beratungsstelle für Arbeitslose des DGB Kreis Kassel Spohrstraße 6-8 34117 Kassel 0561/7209536

34

Mittagstisch St. Michael Turmstr. 5 37073 Göttingen 0551/5479540 Straßensozialarbeit Rosdorfer Weg 17 37073 Göttingen 0551/517980 Kassel Kasseler Tafel Holländische Straße 141 34127 Kassel 0561/23003 Suppentopf der Heilsarmee jeden Montag von 14-15 Uhr Martinsplatz Gesegnete Mahlzeit Diakonisches Werk Kassel Hermannstraße 6 34117 Kassel weitere Ausgabestellen: Neue Brüderkirche, Johanneskirche, Auferstehungskirche

Kassel Fahrende Ärzte Dr. Giesler/Dr. Moog Mo 14-15.30 Uhr auf dem Martinsplatz Do 20-24 Uhr in der Gießbergstraße

Deutsches Rotes Kreuz Zollstock 17 37081 Göttingen 0551/5096322 Ausgabe: Mo & Do 8.30-11 Uhr jeden 3. Mi im Monat 16-18 Uhr Kassel

Kabera e.V. Beratung bei Essstörungen Kurt - Schumacher Straße 2 34117 Kassel 0561/780505

Diakonisches Werk Kassel Sprungbrett & Sprungbrett spezial Steinweg 5 34117 Kassel 0561/572090

Gesundheitsamt Region Kassel Wilhelmshöher Allee 19-21 34117 Kassel 0561/10031920

Deutsches Rotes Kreuz Königstor 24 34117 Kassel 0561/7290441

Haftentlassene

Lebenskrisen

Göttingen

Telefonseelsorge für Jugendliche 0800/1110333

KIK – Kontakt in Krisen Königsallee 254 37079 Göttingen 0551/632977 Kassel Beratungsstelle für Haftentlassene Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/787-5061 oder 0561/70738-00

Göttingen Telefonseelsorge 0800/1110111 & 0800/1110222 Kassel Telefonseelsorge 0800/1110111 PSKB Stadt & Landkreis Kassel 0561/1003-0 & 0561/787-5361

Hilfe & Selbsthilfe bei AIDS

Notschlafstellen

Frauen in Not

Göttingen

Göttingen

Göttingen

Göttinger AIDS-Hilfe Obere Karspüle 14 37073 Göttingen 0551/43735 werktags: 10-13 Uhr Beratung: 0551/19411

Heilsarmee Untere Maschstr. 13b 37073 Göttingen 0551/42484

AIDS-Beratungsstelle Gesundheitsamt Göttingen Theaterplatz 4 37073 Göttingen 0551/4004831

Soziale Hilfe e.V. / Panama (für alleinstehende Wohnungslose) Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/70738-00

Kassel

Café Nautilus (für Drogenabhängige) Erzberger Straße 45 34117 Kassel 0561/12115

KORE e.V. - Sozialberat. f. Frauen Papendieck 24-26 (Hinterhof, EG) 37073 Göttingen 0551/57453 Frauen-Notruf e.V. Postfach 18 25 37008 Göttingen 0551/44684 Frauenhaus e.V. Göttingen Postfach1911 37009 Göttingen 0551/5211800 Kassel Übergangseinrichtung für wohnungslose Frauen Am Donarbrunnen 32 34132 Kassel 0561/43113 Karla 3 Aufenthalt und Beratung für wohnungslose Frauen Karlsplatz 3 34117 Kassel 0561/15532 Autonomes Frauenhaus 0561/898889 Frauen in Not 0561/9892929 Notruf für vergewaltigte Frauen Frauen gegen Vergewaltigung e.V. 0561/772244 Frauen informieren Frauen e.V. Beratung bei häuslicher Gewalt Westring 67 34127 Kassel 0561/ 89 31 36 Gesundheit Göttingen Gesundheitsamt Sozialpsychiatrischer Dienst Am Reinsgraben 1 37085 Göttingen 0551/4004802 Frauengesundheitszentrum Göttingen e.V. Groner Straße 32/33 37073 Göttingen 0551/484530 Gesundheitszentrum Albanikirchhof 4-5 37073 Göttingen 0551/486766

Aids-Hilfe Kassel Motzstraße 1 34117 Kassel 0561/97975910 Stadt Kassel – Gesundheitsamt AIDS-Beratungsstelle Obere Königsstraße 3 34117 Kassel 0561/787–5380 Kinder & Jugendliche in Not Göttingen Omnibus - Beratungsstelle für Jugendliche & junge Erwachsene Goßlarstr. 23 37073 Göttingen 0551/392690 Kassel Deutscher Kinderschutzbund Siemensstraße 1 34127 Kassel 0561/899852 Verein zur Förderung der Erziehungshilfen in Nordhessen e.V. Wilhelmshöher Allee 32a 0561/78449-0 Stadt Kassel Sozialer Dienst des Jugendamtes Friedrich-Ebert-Straße 1 34117 Kassel 0561/787–5301 Kleiderkammern Göttingen Ev.-ref. Gemeinde – Kleiderkammer Untere Karspüle 11 37073 Göttingen Kleiderladen Ausgabe: Do 9-12 Uhr Eingang über Jüdenstraße, Zufahrt Tiefgaragen der BBS III 0551/5473717

Kassel

Rechtsberatung & Hilfe Kassel Schuldnerberatung Gottschalkstraße 51 34127 Kassel 0561/893099 Verbraucherzentrale Hessen e.V. Bahnhofsplatz 1 34117 Kassel 0561/772934 Göttingen AWO Schulden- & Insolvenzberatung, Kreisverband Göttingen e.V. Hospitalstraße 10 37073 Göttingen 0551/50091-0 Verbraucherzentrale Niedersachen Papendiek 24 37073 Göttingen 0551/57094 Suchtberatung: Alkohol Kassel Anonyme Alkoholiker 0561/5108806 Blaues Kreuz Kassel Landgraf-Karl-Straße 22 34131 Kassel 0561/93545-0 Suchtberatung Diakonisches Werk Goethestraße 96 34119 Kassel 0561/938950 Suchtberatung: Drogen Göttingen DROBZ (Drogenberatungszentrum) Mauerstr.2 37073 Göttingen 0551/45033

Beratungsstelle für Suchtkranke – Diakonieverband Schillerstr 21 37083 Göttingen 0551/72051 Kassel Drogenhilfe Nordhessen e.V. Schillerstraße 2 34117 Kassel 0561/103641 Kontaktladen „Nautilus“ Erzberger Straße 45 34117 Kassel 0561/12115 SAM – Substitutionsfachambulanz Wilhelmshöher Allee 124 34119 Kassel 0561/711813 SAM 2 – Substitutionsfachambulanz Schillerstraße 2 34117 Kassel 0561/103878 WohnungslosenHilfe Göttingen Ambulante Hilfe für alleinstehende Wohnungslose Wiesenstr. 7 37073 Göttingen 0551/42300 Diakonische Heime in Kästorf e.V. – Außenstelle Göttingen Wienstraße 4f 37079 Göttingen 0551/5053302 Straßensozialarbeit (Kleiderkammer) Rosdorfer Weg 17 37073 Göttingen 0551/517980 Bahnhofsmission Bahnhof, Gleis 4-5 37073 Göttingen 0551/56190 Hann. Münden Ambulante Hilfe für alleinstehende Wohnungslose Lange Str. 35 34346 Hann. Münden 05541/71034 / Fax: 05541/903210 Kassel Die Heilsarmee / Sozial Center Ks Eisenacher Straße 18 34123 Kassel 0561/570359-0 Beratungsstelle für Nichtsesshafte Sozialamt der Stadt Kassel Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/787-5061 Beratungsstelle für alleinstehende Wohnungslose – Soziale Hilfe e.V. Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/70738–00 Betreutes Wohnen Diakonisches Werk Kassel Hermannstr. 6 34117 Kassel 0561/7128829 Wohnungsprobleme Kassel Zentrale Fachstelle Wohnen Wohnungsamt (Rathaus) Obere Königsstraße 8 34112 Kassel 0561/787-6252 oder -6255 Deutscher Mieterbund Mieterverein Kassel u. U. e.V. Königsplatz 59 34117 Kassel 0561/103861 Wenn Ihre Einrichtung hier nicht enthalten, oder wir eine Korrektur durchführen sollen, schicken Sie bitte eine E-Mail mit den Daten an goettingen@ tagessatz.de!

TagesSatz

* 09/10


DAS ALLERLETZTE

TagesSatz

* 09/10

35


36

TagesSatz

* 09/10


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.