DISKURSKRATIE JUNI 2019
UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZU DEN JUGENDPOLITIKTAGEN BERLIN, WASHINGTONPLATZ, 10. BIS 12. MAI 2019
DAS WIRD MAN JA WOHL NOCH SAGEN DÜRFEN!
ED I TO RI AL
ANDERE MEINUNGEN SIND MANCHMAL NUR SCHWER ZU ERTRAGEN. PROVOKATIONEN VON POPULISTEN REGEN ZUR DISKUSSION DARÜBER AN, INWIEWEIT DAS RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUSSERUNG BESTEHT. PAULINE DEICHELMANN ÜBER DIE GRENZEN UND PROBLEMATIK DES RECHTS.
Liebe Leserinnen und Leser, Diskurs und Demokratie – zwei Begriffe, die sich gegenseitig bedingen. Eine Demokratie ohne Diskurs, undenkbar. Umgekehrt genauso. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Privileg. Dieses Privileg nutzen wir jeden Tag. So entstand der Titel unserer Ausgabe: Diskurskratie. Wie vielfältig Meinungen sein können, haben wir während der Arbeit an dieser Ausgabe wieder einmal festgestellt. Die Redaktion der politikorange beschäftigte sich während der JugendPolitikTage 2019 mit der Frage, wie sich Meinungen unterscheiden. Autorinnen und Autoren waren bei der Veranstaltung dabei, um mit Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen, ihre Überzeugungen einzufangen und den Austausch mit politisch Andersdenkenden zu beobachten. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen und vor allem beim Bilden eurer eigenen Meinung.
Eure Redaktionsleiterinnen Maxi Köhler und Pauline Deichelmann
EIN SCHILD, WIE ES AUCH AUF MANCHEN DEMOS AUFTAUCHT – IST DAS NOCH MEINUNG?
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emokratie lebt vom Austausch von Ideen, Erfahrungen und natürlich von Meinungen. Diese frei zu äußern ist ein wichtiger Bestandteil unserer Grundordnung und fest in Artikel 5 im deutschen Grundgesetz verankert. Darunter fallen auch Meinungen, die nicht unbedingt den Vorstellungen der Mehrheit entsprechen. Auch diese Vielfalt kennzeichnet die Meinungsfreiheit. Von Artikel 5 nicht geschützt, sind diskriminierende oder beleidigende Positionen. Jedoch ist die Grenze zur Diskriminierung eher fließend als deutlich und wird daher von jedem anders ausgelegt.
MEINUNGSFREIHEIT GEHT ANDERS
Foto: Annkathrin Weis, Titelfoto: Christopher Folz
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infolgedessen fallen. Da der Straftatbestand der Volksverhetzung somit nicht klar zu definieren ist, wird auch die Abgrenzung von Meinungsfreiheit und Diskriminierung zunehmend erschwert. Es kommt also auf den Einzelfall an – und die Auslegung des Gerichts. Das muss darüber urteilen, wo genau die Grenze der Meinungsfreiheit liegt und was als Beleidigung zu werten ist. Denn auch Beleidigungen müssen bestimmte Kriterien erfüllen, um als solche zu gelten. Letztendlich ist rechts immer noch eine politische Ausrichtung. Entsteht jedoch ein Schaden für andere Menschen, dann findet die Meinungsfreiheit darin ihre Grenze. Es lässt sich streiten, ob Parteien wie die AfD diese Grenze ausreizen oder überschreiten.
Die Äußerungen einiger Parteien und „NIE WIEDER AUSCHWITZ, NIE rechter Demonstranten über muslimische WIEDER FASCHISMUS“ Mitbürgerinnen und Mitbürger reizen diese schwammig gezogenen Grenzen der Äußerungen über den Holocaust und die Meinungsfreiheit massiv aus. In Dresden Leugnung dessen stehen unter Strafe, seitwurde erst kürzlich eine Frau aufgrund dem nach Ende des Zweiten Weltkriegs diskriminierender Äußerungen zu einer Forderungen nach einem absoluten NeuBewährungsstrafe verurteilt. Straftat: anfang laut wurden. „Nie wieder Faschismus“, das war das Ziel. Durch ein VerVolksverhetzung. Als Beatrix von Storch (AfD) die Täter bot dieser Äußerungen und einer freien der Silvesternacht am Kölner Dom 2017 in Meinung sollte die nationalsozialistische einem Tweet als “gruppenvergewaltigende Ideologie aus den Köpfen vertrieben werMännerhorden“ bezeichnete, wurde sie den, um den absoluten Neuanfang zu gazwar angezeigt, doch das Gericht legiti- rantieren. Doch auch was den Holocaust mierte diese Aussage mit Verweis auf die betrifft lässt sich nicht klar definieren, Meinungsfreiheit und lies die Anzeige was als Leugnung gilt und was nicht. Die
Foto: Juliane Reyle
Aussage des AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland, der Holocaust sei nur „ein Vogelschiss in über 1 000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte” ist zwar faktisch falsch, jedoch entschied das zuständige Gericht auch hier, die Aussage sei als Meinungsäußerung zulässig. Was für den einen noch Meinung ist, kann für jemand anderen unhaltbar sein.Das hängt stark mit dem eigenen Empfinden für Diskriminierung und Hetze zusammen und fällt daher bei jedem unterschiedlich aus. Jeder muss sich deshalb ein Bewusstsein schaffen, wie seine Aussagen auf andere Menschen wirken.
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»Mitsprache« – frei von Fesseln und Zensur Seite 09
»Franziska Giffey«
Interview mit der Bundesjugendministerin Seite 12
»Selbstermächtigung«
Wem gehört das Netz? Seite 18 Pauline Deichelmann … 20, Mainz … bastelt in ihrer Freizeit gerne Armbänder für ihre Freunde..
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JUNGE MEINUNG: EHRLICHES INTERESSE ODER NUR HEUCHELEI?
MACHBAR BIS UNMÖGLICH Inwiefern sich die neuen Forderungen umsetzen lassen, bleibt abzuwarten. Was schon klar ist: Auch diesmal sind einige dabei, die deutlich zu kostspielig und umfangreich sind. Viele davon – wie Mindestlohn oder CO2-Steuer – wurden auch bereits in der Öffentlichkeit diskutiert und bislang von mindestens einer Regierungspartei abgelehnt. Ohne einen entsprechenden Druck aus der Gesellschaft scheint es daher unwahrscheinlich, dass sich daran in der aktuellen Legislaturperiode etwas ändert. Bei der Vorstellung der Forderungen gab Caren Marks diesmal ihre Einschätzungen ab. Häufig teilte sie die Meinung der Teilnehmenden, räumte aber bei vielen Vorschlägen sogleich direkt ein, dass die konkrete Umsetzung nicht in ihrer Zuständigkeit liege oder in der aktuellen
AUF DEN JUGENDPOLITIKTAGEN SOLLEN JUGENDLICHE IHRE FORDERUNGEN UND WÜNSCHE AN DIE BUNDESREGIERUNG HERANTRAGEN. NIKLAS HINZPETER HAT SICH GEFRAGT: KOMMT DIE JUNGE MEINUNG TATSÄCHLICH AN – ODER VERSCHWINDET SIE IN DEN SCHUBLADEN DER MINISTERIEN?
Koalition nicht möglich sei. So setze sich ihre Partei, die SPD, bereits für den Mindestlohn von zwölf Euro ein – mit dem Koalitionspartner Union sei das derzeit aber nicht machbar. Aber findet die Meinung der Jugendlichen überhaupt Gehör? Es scheint zumindest so, als wolle die Regierung das mit Veranstaltungen wie den JPT versuchen. Ob die Forderungen jedoch tatsächlich in die Regierungsarbeit einfließen oder nicht, bleibt auch diesmal fraglich. Das mag hart klingen, doch zur Wahrheit zählt auch: Kein Regierungsmitglied hat je versprochen, alle Forderungen der Jugendlichen umzusetzen. Es geht vor allem um eine Verbesserung der Jugendstrategie der Bundesregierung. Bundesjugendministerin Franziska Giffey sprach bei der diesjährigen Eröffnung der JPT deshalb wohl bewusst auch nicht von Forderungen, sondern von „Empfehlungen“. Diese so realis-
tisch wie möglich zu halten, läge in der Verantwortung der Jugendlichen, so Giffey.
WAS BLEIBT
eine eigene Meinung bilden und diese nach außen tragen – für die können sie dann beispielsweise durch Demonstrationen, Petitionen oder Engagement in einer Partei eintreten.
Die Teilnehmenden fühlten sich in diesem Jahr dennoch nicht ernst genommen. Nicht nur der Umgang mit den Forderungen von 2017 frustrierte die Jugendlichen: Auch der Umgang einiger Politikerinnen und Politiker mit den „Fridays for Future“-Demonstrationen hatte im Vorfeld viele gestört. Viele fanden, es wurde mehr über das Schule schwänzen, als über den Inhalt der Demos gesprochen. Andere fanden, dass noch immer zu wenig junge Menschen im Bundestag sitzen würden – aktuell sind nur etwa ein Prozent der Abgeordneten unter 30 Jahre alt. Dennoch bleiben Veranstaltungen wie die JPT wichtig, damit junge Menschen sich untereinander austauschen,
Niklas Hinzpeter … 20, Köln ... meint, Menschen müssten Meinungen mehr mitteilen.
INFORMATION
Über die JugendPolitikTage 2019 Zum zweiten Mal fanden vom 10. bis 12. Mai 2019 die JugendPolitikTage in Berlin statt. Rund 450 junge Menschen im Alter von 16 bis 27 Jahren aus ganz Deutschland trafen sich, um über ihre Vorstellungen von Politik zu sprechen. In Workshops stellten die Jugendlichen 20 Empfehlungen auf, die am Ende der Veranstaltung an das Bundesfamilienministerium übergeben wurden: Sie sollen in der gemeinsamen Jugendstrategie der Bundesregierung berücksichtigt werden.
MACH MIT! LU S T A U F JOU R NA LI S M U S ? OB A LS A U T OR , LAY OU T ER , FOT OGR A F ODER CH EFR EDA K T EU R – BEI P OLI T I K OR A NGE K A NNS T A U CH DU A K T I V WER DEN!
> POLITIKORANGE.DE/MITMACHEN
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. ehr als die Hälfte der Vorschläge ist umsetzbar.” Das sagte Caren Marks, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesjugendministerin (SPD), im politikorange-Interview auf den JugendPolitikTagen 2017. Damals stellten die Teilnehmenden 54 Forderungen auf – unter anderem das bundesweite Wahlrecht ab 16, kostenlosen ÖPNV, ein kostenloses Interrail-Ticket für junge Menschen, eine längere, gemeinsame Beschulung und ein soziales Pflichtjahr für die Gesellschaft. Doch wurden tatsächlich mehr als die Hälfte davon umgesetzt? Im diesjährigen politikorange-Interview auf den JPT schätzt Marks, das sei gelungen. Vor allem Jugendbeteiligungen, Jugendinitiativen und der Freiwilligendienst seien gestärkt und Programme zur Prävention von Extremismus und Menschenfeindlichkeit verlängert worden. Wie viele der damaligen Forderungen tatsächlich so erfolgreich umgesetzt wurden, wie Marks behauptet, ist nicht so einfach herauszufinden: Manche waren ungenau formuliert und boten so einen großen Interpretationsspielraum.
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DAS WAREN DIE FORDERUNGEN 2017 Die Recherche von politikorange zeigt jedoch: Viele der damaligen Wünsche blieben unerfüllt. So hat die EU-Kommission 2018 zwar einige Tausend kostenlose Interrail-Tickets verlost – allerdings streng limitiert und nur an im Jahr 2000 geborene Europäerinnen und Europäer. Die Teilnehmenden forderten 2017 jedoch ein 30-tägiges Ticket für alle 18- bis 25-Jährigen. Auch der ÖPNV blieb auf der Strecke: Die Bundesregierung testet derzeit kostenlosen Nahverkehr in einigen Modellstädten, ein flächendeckend kostenloser ÖPNV bleibt aber in weiter Ferne. Selbst an kostengünstigen Tickets für junge Menschen mangelt es in großen Teilen der Bundesrepublik. Bei diesen Forderungen war allerdings bereits 2017 absehbar, dass sie aufgrund hoher Kosten nicht zeitnah umzusetzen sind. Andere Forderungen wurden hingegen durchaus in der öffentlichen Debatte diskutiert. So forderte 2018 unter anderem die damalige CDU- Generalsekretärin An-
negret Kramp-Karrenbauer einen einjährigen Pflichtdienst für junge Erwachsene. Dagegen sprach sich dann ausgerechnet das SPD- geführte Jugendministerium aus. Marks nannte zwei zentrale Gründe: Zum einen sei Zwangsarbeit ausdrücklich im Grundgesetz verboten, zum anderen befürchte sie, dass sich ein Pflichtdienst negativ auf das ehrenamtliche Engagement der Bevölkerung auswirken würde. Auch das Wahlrecht ab 16 wurde immer wieder öffentlich thematisiert. Die Einführung scheiterte jedoch bislang am Widerstand von CDU, AfD und Teilen der FDP – für eine Änderung im Grundgesetz wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat notwendig.
DAS KLIMA IM FOKUS Zwei Jahre später hatten die Jugendlichen auf den JugendPolitikTagen 2019 nun wieder die Möglichkeit, Themen und Handlungsvorschläge an die Bundesregierung zu richten. In der Zwischenzeit hat sich jedoch der politische Diskurs ge-
FRUCHTFLEISCH „WAS WERDEN DIE JUGENDPOLITIKTAGE KONKRET BEWIRKEN?“
Foto: Sascha Kemper
ändert: Die “Fridays for Future“-Demonstrationen haben das Thema Klimaschutz deutlich präsenter gemacht, zunehmend radikalere Forderungen kommen in der Debatte um mehr bezahlbaren Wohnraum auf. Und wegen der anstehenden EU-Wahl sind Europa und die Europäische Union aktuell überall präsent. Diese Themen spiegeln sich auch in den Forderungen der diesjährigen JPT wieder. Unter anderem verlangten die Teilnehmenden den sofortigen Ausruf des europäischen Klimanotstands, die Verstaatlichung von Wohnraum und einen gesetzlichen europäischen Feiertag. Aber auch Forderungen aus 2017 tauchten wieder auf: Erneut forderten sie das Wahlrecht ab 16 und kostenlosen regionalen ÖPNV. Außerdem forderten die Teilnehmenden unter anderem einen Mindestzertifikatspreis für CO2-Handel, eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, deutschlandweit kostenlose Kita-Plätze für jedes Kind und ein Verbot für Supermärkte, noch essbare Lebensmittel wegzuschmeißen.
»DISKUSSION«
Fotos: Christopher Folz
VINCENT KRETSCHMER UND NIKLAS HINZPETER IM GESPRÄCH MIT DER PARLAMENTARISCHEN STAATSSEKRETÄRIN DES JUGENDMINISTERIUMS, CAREN MARKS.
HELENA GLOTTE, 22, AUS OLDENBURG „Ich finde nicht, dass die JPT nachhaltig wirksam sind, weil die Gespräche nicht darauf abzielen, dass danach etwas passiert. Mir fehlen die Diskussionen, aus denen man etwas mitnehmen kann. Bisher sind das eher Redebeiträge mit Wissen, das bei den meisten schon besteht.“
»PROTEST«
SARAH THORWITH, 17, AUS BAD SCHWARTAU „Ich glaube nicht, dass durch irgendein Format erreicht werden kann, dass Jugendliche von der Politik ernst genommen werden. Wir müssen noch lauter werden, unsere Stimmen erheben, Protestieren und einfach noch mehr Präsenz zeigen.“
»MOTIVATION«
MAX PIETSCHMANN, 22, AUS HAMBURG „Ich denke, dass die JPT vor allem der eigenen Weiterbildung etwas bringen. Dieses Wochenende ist gut, um vielen Leuten einen Motivationsschub zu geben, dieses Engagement lokal weiterzuführen und so langfristig eine Änderung herbeizuführen.“
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MEINUNG KENNT KEINE EMOTIONEN
MANCHE MENSCHEN KÖNNEN EMOTIONEN NICHT VON MEINUNG TRENNEN. WIE SOLLTE FUNDIERTE MEINUNGSBILDUNG AUSSEHEN? UNSERE AUTORIN EVINDAR GÜREL IST DIESER FRAGE AUF DEN GRUND GEGANGEN.
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enn deine Argumente mich nicht überzeugen, bleibe ich bei meiner Meinung“, bringt eine Teilnehmerin der JugendPolitikTage ihre Haltung entschlossen auf den Punkt. Tatsächlich bringen politisch engagierte und rhetorisch begabte Menschen ihre Meinung immer deutlicher und vehementer zum Ausdruck. Die Digitalisierung birgt dabei viele Möglichkeiten, die eigene Meinung publik zu machen. Doch anstatt diese Chance zu nutzen und uns mit unterschiedlichen Positionen auseinanderzusetzen, suchen sich die meisten von uns lieber Gleichgesinnte und präsentieren einander ähnliche Meinungen bei jeder Gelegenheit.
MEINUNGSFREIHEIT KENNT GRENZEN Da unsere eigenen Emotionen die Macht haben, unser Urteil über Sachverhalte enorm zu beeinflussen, verwenden wir den Begriff “Meinung” immer häufiger als Sammelbegriff für Momentaufnahmen unseres emotionalen Zustands. Das zeigt sich auch in politischer Diskussion, sobald nicht mehr klar ist, ob hinter der eigenen Meinung faktisch belegte Tatsachen oder Gefühle wie Angst und Sorge stecken. Wer Meinungen äußert, die sich als in Worte verpackte Ängste entpuppten, muss damit rechnen, zu
polarisieren. Oft verweisen Urheberinnen und Urheber von solchen Befürchtungen auf die Meinungsfreiheit. Doch irgendwo muss Schluss sein, mit der Freiheit von Meinung. Wer jemanden beleidigt oder rassistisch angreift, kann sich nicht mit Artikel 5 des Grundgesetzes herausreden. Denn Emotionen sind keine Meinung – sie sind Ausdruck von Sorge und Angst. Andere dürfen durch sie nicht zur Zielscheibe werden. Deswegen ist es wichtig, sich mit anderen Menschen und ihren Denkmustern auseinanderzusetzen und eigene Positionen zu entwickeln. Fundierte Meinungen sollten dann weiterverbreitet werden, etwa durch
Demonstrationen. Und dann heißt es durchhalten: Gerade in westlichen Ländern sind soziale Bewegungen leider oft kurzlebig. Wir müssen uns daher alle trauen, Missstände in der Gesellschaft beim Namen zu nennen – egal, ob sie uns direkt betreffen oder nicht. Das Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“ darf nicht gelten. Diese Haltung sollten noch mehr Menschen übernehmen und nicht mehr nur die eigenen kurzfristigen Interessen umsetzen wollen. Wenn das gelingt, haben wir den Punkt erreicht, an dem der politische Diskurs belebt werden kann.
WER AM LAUTESTEN SCHREIT
DER DISKURS IM NETZ RÜCKT NACH RECHTS. WELCHEN EINFLUSS HABEN KOMMENTAREAUS EXTREMISTISCHEN LAGERN AUF UNSERE GESELLSCHAFT? UNSERE AUTORIN CAMILLA PAHMEYER HAT DIE ENTWICKLUNG BETRACHTET UND ERFAHREN, DASS ANONYMITÄT IM INTERNET AUCH GUT SEIN KANN.
Evindar Gürel … 24, Köln …träumt von einer Karriere als dreiäugiger Rabe..
DER PROZESS: VOM BILD ZUR MEINUNG
OFT SIND BILDER FÜR DIE MEINUNGSBILDUNG VERANTWORTLICH. WAS SPRICHT UNS AN UND WAS NICHT? UNSERE AUTORIN LINA VON WEDEL WAGT EINEN SPRUNG IN DIE MENSCHLICHE BIOLOGIE UND HINTERFRAGT DIE PSYCHOLOGIE HINTER UNSERER MEINUNG. SOCIAL MEDIA ALS LAUTSPRECHER – WERDEN DIE LAUTESTEN HÄUFIGER GEHÖRT?
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ingequetscht zwischen Menschen stehe ich in der U-Bahn. „Typisch BVG“, raunen Leute um mich herum. Ich schnappe Gesprächsfetzen über neue Strategien für irgendein Computerspiel auf. Am Bildschirm über mir blitzen Bilder einer neuen Inszenierung meines Lieblingstheaters. Und bei der nächsten Station steigt ein neuer Fahrgast ein, dessen bissiger Riesenhund seine Zähne fletscht. Unser Gehirn wird stets von allen Seiten mit neuen Sinneseindrücken bombardiert. Je nach Information reagieren wir mit Gleichmut, Interesse oder gar Furcht. Doch was geht währenddessen (un-)bewusst in unserem Gehirn vor und wie hängt das Ganze mit unserer politischen Meinungsbildung zusammen?
VERTRAUTES MERKEN WIR UNS BESSER Unser Gehirn ordnet ständig neue Informationen in unser Weltbild ein. Dabei erzeugen Sinneseindrücke bestimmte Erregungsmuster, die dann mit bereits bestehenden abgeglichen werden. Volle U-Bahn und genervte Menschen? Das kenne ich. Mein Gehirn findet ein passendes Muster und ich reagiere
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mechanisch: Gleichmütig ziehe ich meine Schultern hoch. Strategien für ein Computerspiel? Dazu findet mein Gehirn kein passendes Muster, stuft die Information als unwichtig ein und verdrängt sie. Eine neue Inszenierung im Berliner Ensemble? Das letzte Stück hat sich positiv in meine Erinnerung gebrannt. Es könnte hieran angeknüpft werden, sodass sich eine neue Information speichert. Bleibt noch der bissige Hund. Angst steigt in mir auf. Der Mandelkern meines Gehirns wird aktiv und ich verfalle in einen Zustand der Wachsamkeit. Rationale Überlegung? Fehlanzeige. Stattdessen: Schnellstmöglich handeln, um der Gefahr zu entkommen und mich selbst zu schützen. Ohne bewusst darüber nachzudenken, mache ich einen leichten Schritt zurück. Unser Gehirn filtert Sinneseindrücke also je nach emotionalem Bezug und Vorerfahrung, sodass wir schnell und unbewusst auf Situationen reagieren können. Dabei kreieren wir unsere eigene Wirklichkeit. Wird diese infrage gestellt, so schaltet sich erneut der Angstzustand im Gehirn ein, um die eigene Identität zu schützen. Aber was bedeutet das für die politische Meinungsbildung? Heißt
D MEINUNG: VOM BILDSCHIRM IN DEN KOPF?
das etwa, dass es nie möglich sein wird, sich konstruktiv und ehrlich mit seinem Selbst- beziehungsweise Weltbild auseinanderzusetzen?
WUNDERWAFFE GEHIRN Nicht unbedingt, denn das Gehirn strukturiert sich ein Leben lang um. Tief liegende Überzeugungen werden zwar durch schrittweise Urteilsprozesse geformt. Jedoch sind politische Meinungen auch oft Randerscheinungen, die intuitiv und oberflächlich aufkommen. Das Gehirn ist also ein soziales Organ, das abhängig von Werten und gesellschaftlichen Beziehungen funktioniert. Es erweitert kontinuierlich seinen Erfahrungsschatz und verknüpft Muster miteinander. Dabei ist die Vielfalt der ab-
Foto: Sascha Kemper
laufenden Prozesse viel zu komplex, um sie vollständig begreifen zu können. Aber eines ist klar: Wenn wir geschickt argumentieren und Fragen stellen, die nicht direkt die Überzeugung unseres Gegenübers anzweifeln, dann können wir es durchaus schaffen, andere Menschen von unserer Meinung zu überzeugen.
Lina von Wedel … 20, Berlin … fürchtet sich vor bissigen Riesenhunden in vollen U-Bahnen.
er Boden des kleinen Seminarraums über den Dächern von Berlin ist bedeckt von Postern und Plakaten. Um sie herum stehen 15 Jugendliche und junge Erwachsene aus ganz Deutschland, die im Rahmen der JugendPolitikTage 2019 in die Hauptstadt gekommen sind. Eine der Teilnehmenden ist Henrike Schenk. Die 19-Jährige ist aus Uelzen nach Berlin gekommen, um mit anderen jungen Menschen jugendpolitische Empfehlungen zu formulieren. Ihre Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Rolle der Medien im 21. Jahrhundert. Henrike beteiligt sich selbst auch an Diskussionen im Internet, postet Beiträge und kommentiert auf Plattformen der sozialen Medien. Bei eigenen Posts erntet sie gelegentlich Kritik, erfährt aber auch Rückenwind – zumindest auf einigen Kanälen.
GEFAHR DER MEHRHEITSMEINUNGEN Meistens sind starke rechte oder linke Meinungen der Auslöser dafür, dass Henrike ihre Meinung im Internet kommentiert. An einigen extremistischen Äußerungen kommt sie oft nicht vorbei,
wenn sie sich in den online geführten Diskussionen bewegt. „Durch die Netzpräsenz solcher Meinungen fühlt es sich so an, als seien es Tausende und jeder zweite Post, den man liest, wirkt links- oder rechtsextremistisch.“ Das ist nicht nur ein Gefühl: WDR, NDR und die Social-Media-Analysefirma Alto untersuchten in den vergangenen Monaten knapp zehn Millionen Beiträge auf Plattformen wie Facebook und Twitter im deutschen Raum. Die Anfang Mai 2019 veröffentlichten Ergebnisse zeigen: Bei knapp der Hälfte (47 Prozent) aller Beiträge können Bezüge zur AfD und anderen rechten Gruppen als Ursprung nachgewiesen werden. Diese Gruppierungen machen zusammen aber nur etwa ein Zehntel aller Nutzerinnen und Nutzer in Deutschland aus. Dadurch entsteht der Eindruck, dass rechte Themen und Beiträge den Diskurs im Internet bestimmen.
MEINUNGSÄUSSERUNG ALS HERAUSFORDERUNG „Ich habe manchmal das Gefühl, dass derjenige der Stärkste ist, der am lautesten schreit. Das ist ein Problem unserer Gesellschaft“, sagt Claudia Hammermüller.
Foto: Sascha Kemper
Sie ist Medienpädagogin und seit zehn Jahren in der Jugendpresse Deutschland aktiv. Bei den JugendPolitikTagen leitet sie Henrikes Arbeitsgruppe an. Hammermüller erwähnt dabei auch die Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neumann. Die Theorie aus den 1970er Jahren beschreibt das Phänomen, dass die Meinung einer kleinen Gruppe den Anschein erwecken kann, sie sei die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung. Das kann andere Menschen hemmen, ihre eigene, konträre Meinung zu äußern. Das Verhalten verstärkt sich umso mehr, desto ausgeprägter die angebliche Mehrheitsmeinung ist. Betrachtet man den aktuellen Diskurs im Netz, dann stellt sich die Frage, ob wir uns nicht vielleicht am Anfang einer solchen Abwärtsspirale befinden, durch die immer weniger Menschen ihre Meinung äußern – aus Angst, sie entspräche nicht der Mehrheitsmeinung. Wie wird diese Entwicklung von jungen Erwachsenen wahrgenommen? Werden sie dadurch beeinflusst oder sogar verunsichert? Eine andere Teilnehmerin der Arbeitsgruppe ist Lara (21) aus Köln. Für sie ist es oft „schwierig und unschön, wenn man sieht, wie viele Menschen von der eigenen Perspektive heraus betrachtet,
eine andere oder gar gefährliche Meinung haben“. Vor allem, wenn die eigene Meinung dann eine Minderheit darstelle. „Wenn die Tagesschau auf Facebook einen Beitrag macht und man durch die Kommentare scrollt, dann hat man schon den Eindruck, dass da Rechte in der Überzahl sind.“ Das kann auch einen Einfluss auf die eigene Meinung haben. Deshalb müssen Quellen immer wieder überprüft und hinterfragt werden. „An meiner Meinung zu den Themen ändert das meistens nichts“, sagt Henrike. Ob sie das trotzdem verunsichert? „Ja, aber wenn so etwas unter dem Label AfD läuft, denke ich, die spinnen sowieso“, erklärt Henrike. Die Diskussionen in sozialen Medien bieten Chancen zur Meinungsäußerung, auch wenn die Beteiligung daran eine Herausforderung sein kann. „Ich glaube, es ist an ganz vielen Stellen einfach der Mut, den man selbst aufbringen muss und auch der Shitstorm, den man im Zweifelsfall aushalten muss“, ermutigt Hammermann jede und jeden dazu, die eigene Meinung zu äußern. Wenn es für die Äußerungen Fakten und Belege gibt, sollten die auch mit angeführt werden. Auch Hammermann hat bereits schlechte Erfahrungen mit Meinungsäußerungen im Internet gemacht. Trotzdem betont sie die Relevanz des sich Äußerns und nennt eine wesentliche Möglichkeit, die das Internet dafür bietet. Die Anonymität könne auch zum Guten umfunktioniert werden: Unter Pseudonymen haben alle die Chance, sich auszuprobieren und fremdenfeindliche oder ähnliche Beiträge zu kommentieren. Wenn man es nicht aushalten könne, solle man lieber nicht lesen, was andere schreiben, sagt Hammermann. Durch Anonymität müsse man sich den Haterinnen und Hatern nicht persönlich stellen, verleihe sich aber trotzdem eine laute Stimme. Auch Henrike ist es wichtig, dass sich unser Einsatz dahingehend erhöht. „Wenn man herausfindet, dass die Quellen dubios sind, motiviert das nur noch mehr“, sagt sie. Nur so können laute Stimmen auch wieder leiser werden.
Camilla Pahmeyer … 21, Bonn
…möchte jeden Hasskommentar durch ein Faultierbabybild ersetzen.
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POLITISCHE TEILHABE: UNTERSCHIEDE VON ORT ZU ORT
POLITISCHE TEILHABE IST FÜR JUGENDLICHE NICHT IMMER EINFACH. WAS GEHT UND WO IST SCHLUSS? UM HERAUSZUFINDEN, WIE MAN SICH BETEILIGEN KANN, HAT SICH UNSER AUTOR ILYA PORTNOY BEI DEN JUGENDPOLITIKTAGEN 2019 UNTER DIE MENGE GEMISCHT.
MITSPRACHE – FREI VON FESSELN UND ZENSUR
VIELE GEFLÜCHTETE IN DEUTSCHLAND ENGAGIEREN SICH POLITISCH. DAS STÄRKT SIE UND ERZEUGT BEI IHNEN DAS GEFÜHL, DAZUZUGEHÖREN. DOCH DIE GEFLÜCHTETEN WERDEN TROTZDEM OFT NUR ALS „UNBETEILIGTE“ BETRACHTET, HAT UNSERE AUTORIN HEBA ALKADRI HERAUSGEFUNDEN.
politische Teilhabe ausleben können“, erklärt Raoul. Auf Demonstrationen sei er selten anzutreffen, stattdessen gebe er Meinungen, die auf Demos oder durch Petitionen geäußert werden, in die Ortsbeiräte weiter.
OPTIMISMUS SCHADET NICHT
IN DER „FISHBOWL“-DISKUSSION STELLEN SICH EXPERTINNEN UND EXPERTEN DEN FRAGEN DER JUGENDLICHEN
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amstagmorgen im Mai am Berliner Washingtonplatz. Am Hauptbahnhof ist es so ruhig wie nie. Doch in direkter Nachbarschaft strömt eine Flut von Jugendlichen in das Veranstaltungszelt der JugendPolitikTage 2019. „Die Macht der Teilhabe – Was (er) trägt Demokratie?“, so heißt das erste Forum am zweiten Tag. Hier haben die Teilnehmenden in einer großen Runde die Möglichkeit, sich zu dem Thema mit Expertinnen und Experten auszutauschen. VoreEinrst werden aber die Handys gezückt. Denn die App „Tweedback“ bietet eine Möglichkeit, anonym Abstimmungen durchzuführen und Meinungen einzufangen. Im Chat kommt die erste Frage des Forums auf: Stellt Demokratie die einzig denkbare Beteiligungsform dar? Auf dem Podium beginnt eine „Fishbowl“-Diskussion, bei der jede und jeder aus dem Publikum in den offenen Dialog mit den eingeladenen Expertinnen und Experten treten kann. Ab und zu macht ein grüner Schaumstoffwürfel die Runde, in dem ein Mikrofon befestigt ist, um weitere Meinungen einfangen.
AUCH DIE DEMOKRATIE IST ENDLICH Michael Frehse, Leiter der Abteilung Heimat im Bundesinnenministerium, eröffnet die Diskussionsrunde. Seine Aussage ist kontrovers: “Alles ist endlich, auch die Demokratie.” Kurze Zeit später bringt ein Teilnehmer die Idee eines Jugendparlaments für ganz Deutschland ein. Eine Reaktion der Expertinnen und Experten bleibt aus.
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Foto: Annkathrin Weis
Als es um die Bedeutung des Politikunter- „Digitale Demokratie”, die sich mit dem richts geht, merkt Thomas Krüger, Präsi- Internet und politischer Beteiligung bedent der Bundeszentrale für politische Bil- schäftigt. Hier geht es gemütlicher zu als dung, an, dass auch Influencerinnen und im Forum, es wird viel gelacht. Zu Beginn steht ein Vortrag über ofInfluencer ein Beispiel für informelle politische Bildung seien. Herr Frehse erntet fizielle und inoffizielle Formen politischer hingegen recht großen Beifall dafür, dass Beteiligung im Mittelpunkt. Bei den Teiler gar nicht erst vorgibt, in der Online- nehmenden zeichnet sich vereinzelt Müdigkeit ab, die sich nach einem kurzen Welt zu Hause zu sein. Am Ende des Forums weist eine Warm-Up rasch verflüchtigt. Eine rege Teilnehmerin auf die Unterschiede poli- Diskussion beginnt. Jede AG erarbeitet Forderungen aus tischer Bildung in der Stadt und auf dem Land hin. Sie fragt die Runde, an wen dem jeweiligen Themenbereich, um sie sie sich deshalb wenden solle. Die junge am Folgetag in großer Runde vorzustellen. Frau hofft auf eine konkrete Antwort, um Voller Motivation stürzen sich die Teilnehdiese an ihren Heimatverband weiterge- menden in die Debatte. Nachdem sie sich ben zu können und bringt damit Bettina auf die drei Aspekte Datenschutz, PartiBundszus vom Bundesjugendministerium zipation und Information geeinigt haben, sichtlich in Verlegenheit. Immerhin wird wird es konkreter. Genauigkeit ist den Teilnehmenden vorgeschlagen, später gemeinsam eine bei der Umschreibung ihrer Forderungen Lösung zu finden. An diesem Forum nimmt auch Mak- ein wichtiges Anliegen. Im Gespräch greisim teil. Der 27-jährige Berliner ist 2016 in fen sie auf abgesprochene Gesten zurück. die SPD eingetreten “als die AfD so stark Für Unwissende mag das ungewöhnlich geworden ist“ und er sich gegen den rech- erscheinen – ich bekomme indessen den ten Flügel stark machen wollte. Dort en- Eindruck, dass es die Verständigung tatgagiert er sich unter anderem in der “AG sächlich erleichtert. Der 24-jährige Raoul hebt beide Migration und Vielfalt” und “SPD queer”. Im Umgang mit den sozialen Medien ist Zeigefinger in die Höhe – das bedeutet er konsequent. “Flagge zeigen, den ein „direkte Antwort“. Der Mainzer engagiert oder anderen Beitrag kommentieren oder sich selbst parteiübergreifend, unter anGegenargumente bringen”, sagt Maksim. derem im Jugendhilfeausschuss und im Er findet, auf persönlicher Ebene könne Landesjugendring. Er findet es problemadas jeder tun. Sein Antrieb? Kritik äußern tisch, dass viele Jugendliche nicht wissen, wo und wie sie sich selbst beteiligen könund auf Ungerechtigkeit hinweisen. nen. So blieben sie oft im Unklaren. Seine eigene Aufgabe umschreibt er so: „Ein SELBSTBETEILIGUNG – ABER bisschen Steigbügel für Leute sein, die WO? sich politisch beteiligen wollen“. Ortswechsel: Am Nachmittag trudelt eine Ohne seine Arbeit sei ein starker Anüberschaubare Gruppe allmählich in stieg der Politikverdrossenheit zu befürcheinen Seminarraum der Humboldt–Uni- ten. „Die Demokratie ist ein verdammt versität ein. Wir befinden uns in der AG wichtiges Instrument, mit dem wir
Die 18-jährige Leona aus Rosbach (Wetteraukreis) diskutiert ebenfalls mit. Sie möchte, dass ihre Forderungen ernst genommen werden. „Hoffentlich werden sie in die Entscheidungen der Regierung in Zukunft einfließen“, sagt sie. Sie ist stellvertretende Vorsitzende im Ortsverein der Jusos. Außerdem macht sie ein Praktikum im Hessischen Landtag, um ihre Erfahrungen in der Politik zu vertiefen. Die AG rege sie zum Nachdenken an. „Es ist spannend, wie digitale Teilnahme am Diskurs den Dialog in der Gesellschaft verändern kann“, sagt Leona. Es sei eine „riesige Chance“, den Menschen Demokratie näher zu bringen. Leona beteiligt sich oft an Online-Petitionen. Auf Demos zu gehen gehöre aber ebenso zu ihrem Alltag. Im Social-Media-Bereich hält sie sich weitgehend zurück, aber wenn es etwas gibt, dass sie aufregt, äußert sie sich auch hier. „Mir geht es sehr nahe, wenn Leute im Internet schreiben, dass sie sich überhaupt nicht für Europa interessieren“, sagt sie. Denn in Form der EU-Konsultationen habe man selbst die Chance, der EU zu schreiben und das werde auch gelesen. Am Sonntag ist es soweit: Die Forderungen aus den Arbeitsgruppen werden in großer Runde vorgestellt. Die Erfahrungen sind unterschiedlich: Viele der Teilnehmenden sind unzufrieden, weil bei der Abschlusspräsentation zu wenig Zeit für echten Austausch blieb. Andere fahren mit dem gesunden Optimismus nach Hause, etwas bewirkt zu haben. Ich für meinen Teil habe viele Menschen aus den verschiedensten Winkeln des Landes kennengelernt und erfahren, wie sehr sich die Voraussetzungen der politischen Teilhabe von Ort zu Ort unterscheiden. Mir bleiben nur Eindrücke und Hoffnungen. Denn letztlich kann sich mit viel Engagement jede und jeder einbringen. Da bin ich mir sicher.
Ilya Portnoy … 21, München
… schreibt schneller als er denkt.
BESAN MUSSTE IHRE HEIMAT VERLASSEN UND HAT BEGONNEN, SICH IN DEUTSCHLAND ZU ENAGAGIEREN.
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esan Kaied ist Teilnehmerin bei den JugendPolitikTagen 2019. Die 17-Jährige ist seit knapp vier Jahren in Deutschland und seit sieben Monaten Vorsitzende des Kinder- und Jugendparlaments in Offenbach. Der vermeintliche Rechtsruck in Deutschland und der Hass, der ihr entgegen schlug, waren für Besan Grund, sich politisch zu engagieren. „Ich wollte nicht nach Hause zurückgeschickt werden, nicht wieder bei null anfangen müssen“, sagt Besan. Sie sei stark, aber für einen Neuanfang habe sie keine Kraft mehr. Durch ihr Engagement hat Besan vieles gelernt, vor allem den Mund aufzumachen. „In Deutschland brauchst du nicht laut schreien“, sagt sie. Auch auf eine zivilisierte Art und Weise könne man hierzulande das erreichen, was man sich wünsche. Besan ist mit ihrem Engagement nicht alleine: Viele Geflüchtete engagieren sich in Deutschland politisch. Oday Almassarani kommt aus Homs in Syrien. Der 23-Jährige studiert Politikwissenschaft in Würzburg. Für ihn hat die Flucht auch eine positive, eine “helle Seite“. Er ist in seiner neuen Heimat von Fesseln und Zensur befreit. Hier darf er Politik studieren, ohne vorher Beweise über seine politische Orientierung liefern zu müssen. Deutschland sei sein Zuhause – sein Heute und sein Morgen. Oday engagiert sich für Menschenrechte, Feminismus und Freiheit.
DAZUGEHÖREN DURCH MITSPRACHE Mit seinen deutschen Mitbewohnern und Kommilitoninnen und Kommilitonen unterhält er sich gern über Politik. Sie fragen ihn nach seiner Meinung und laden ihn zu Demonstrationen ein. Dass er bei politischen Diskussionen mitreden kann, gebe ihm das Gefühl, ein aktiver Teil der Gesellschaft zu sein – dazuzugehören. Das wärme sein Herz. In Deutschland habe er gesehen, dass Politik nicht immer Ausnutzung von Macht bedeuten müsse. Die Polizei sei bei Demonstrationen dabei, um Menschen zu schützen – nicht um sie zu erschießen. Seine Begeisterung für dieses System wachse mit der Zeit mehr und mehr. So viel Glück und Unterstützung wie Oday, erfahren nicht alle Geflüchtete. Oday erzählt, dass viele seiner Freunde sich von einigen Deutschen nicht wahrgenommen fühlen – obwohl sie Politik studieren, eigene Initiativen gründen oder sich Parteien angeschlossen haben. Die Ignoranz der Umgebung verletze. In den Augen der Deutschen sind sie nur die Armen, die Hilfe brauchen – oder die Bösen, die raus müssen. „Es wird viel über Geflüchtete geredet, wobei sie selbst kaum zu Wort kommen und nicht als politische Gestaltungsträger angesehen werden.“ Das betreffe auch diejenigen, die perfektes Deutsch gelernt haben. Die anderen fielen ganz aus dem System.
Das bestätigte auch Lina Antara, Projektleiterin der Studie „Refugees, Asylum Seekers and Democracy”, die von der Robert Bosch Stiftung unterstützt wird. In einem Interview mit der Robert Bosch Stiftung beklagte Antara, dass sich fast alle Debatten auf die humanitären, sozialen und wirtschaftlichen Aspekte von großen Migrationsströmen beschränken. „Was hingegen zu wenig Beachtung findet, sind die Auswirkungen auf die Demokratie. Dabei sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass Geflüchtete gleich ein zweifaches Potenzial haben: Im Idealfall sind sie politische Handlungsträger, sowohl in ihrem Ursprungs- als auch in ihrem Zielland.“
GEFLÜCHTETE BRINGEN NEUE PERSPEKTIVEN MIT Samuel Schidem leitet interkulturelle und Geflüchteten-Bildungsprogramme in der Topographie des Terrors in Berlin, die Völkerrechtsverbrechen dokumentiert. Für Schidem sind Politik und Flucht untrennbar. „Allein Flüchtling zu sein, ist politisch“, sagt Schidem. Die Aktivisten würden ins Exil neue kritische Perspektiven aus ihrem Ursprungsland mitbringen und damit die Gesellschaft bereichern. Daher sei es wichtig, sie als politische Subjekte wahrzunehmen und politische Projekte für sie bereitzustellen. „Die Frage ist nicht, ob die Geflüchteten in der Lage sind, politisch zu denken, sondern ob die
Foto: Sascha Kemper
Mehrheit der Gesellschaft in Deutschland andere Meinungen und Sichtweise akzeptieren wird.“ Eine ähnliche Meinung hat Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Geflüchteten seien hoch politisch engagierte Menschen und keine Objekte. Es sei ein großer Fehler, sie als Problem zu sehen und nicht ihre Kapazitäten und Potenziale, die sie aus ihren Ländern mitbringen, in unsere Gesellschaft einzubringen. Genau das versucht die Bundeszentrale für politische Bildung zu verwirklichen und hat dafür aktuell eine Ausschreibung für Projekte, die politische Bildung im Kontext von Geflüchteten und Politik fördern, gestartet. Zwei Millionen Euro sind dafür bereitgestellt worden, fünfhundert Vorschläge haben sie schon erhalten. Damit wolle man Geflüchtete in politische Prozesse einbringen. „Es muss genauso politische Bildung für Geflüchtete geben, wie auch für Deutsche“, sagt Krüger. Nur durch soziale und politische Teilhabe könne Zusammenhalt in der Gesellschaft funktionieren.
Heba Alkadri … 24, Wilhelmshaven
… findet, dass die Demokratie nie selbstverständlich wird, sie sei wie die Liebe, muss immer neu erfunden werden.
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»DIE FREIHEIT IST EIN DEMOKRATISCHER SCHATZ« WOHIN MIT DER MEINUNG, FRAU GIFFEY?
EGAL OB WAHLRECHT AB 16 ODER FRIDAYS FOR FUTURE – DIE JUGEND DEMONSTRIERT! DOCH WAS DAVON BLEIBT? UNSERE AUTORINNEN LILIAN SEKKAI UND LEONIE THEIDING HABEN MIT BUNDESJUGENDMINISTERIN FRANZISKA GIFFEY ÜBER DIE BERÜCKSICHTIGUNG JUNGER FORDERUNGEN IN DER BUNDESPOLITIK GESPROCHEN.
Guten Tag, Frau Giffey! In zwei Wochen sind Europawahlen. Wie begeistert man Jugend- liche für Europa und für die Europäische Union? Ich denke, das Wichtige ist, dass man ihnen klar macht, was auf dem Spiel steht. Wir haben viel in Europa, was wir ganz selbstverständlich finden und von dem wir manchmal denken, das gab es schon immer: Reisefreiheit, die Freiheit zu leben und zu arbeiten, wo man möchte. Ebenso der Handel, der Wohlstand der deutschen Exportnation. All diese Dinge, auch der Frieden und die Demokratie, sind nicht selbstverständlich. Damit das so bleibt, muss man sich für die Demokratie und den Frieden in Europa einsetzen. Das beginnt schon mit dem Wahrnehmen des Wahlrechts.
Wie vermitteln Sie das an Jugendliche? Viele fordern das Wahlrecht ab 16 Jahren – setzen Sie sich dafür ein? Zunächst einmal finde ich es wichtig, dass alle die jetzt schon ein Wahlrecht haben, es auch wahrnehmen. Es ist wichtig, darüber ins Gespräch zu kommen. Denn nicht überall auf der Welt gibt es diese Freiheit. Dieses demokratische Recht ist ein Schatz. Ich glaube, dass jeder, der politisch interessiert ist, jetzt die Aufgabe hat, in seinem privaten Umfeld – beim Nachbarn oder bei Freunden – dafür zu werben und zu sagen: Kommt, geht wählen!
Bei den JugendPolitikTagen haben Jugendliche die Chance, ihre politische Meinung zu äußern. Haben Sie sich als Jugendliche politisch engagiert, sind Sie auf die Straße gegangen oder haben dafür die Schule geschwänzt?
Z UR PERS ON DR. FRAN ZI SKA GI FFEY ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Bis März 2018 war sie Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, dem größten Bezirk der Stadt Berlin. Dort war sie zuvor von 2010 bis 2015 als Bezirksstadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport tätig.
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(lacht) Also die Schule geschwänzt habe ich nicht. Aber ich hab mich in der Schulgemeinschaft engagiert. Ich war in der Schulbibliothek sehr aktiv und auch immer wieder als Klassen- oder Schülersprecherin. Wir haben uns für die Sachen eingesetzt, die uns wichtig waren. Dass man sich traut, seine Meinung zu äußern und für seine eigene Position einzustehen, finde ich ganz wichtig. Damit beginnt politische Beteiligung.
In den vergangenen Jahren sind Jugendliche wieder auf die Straße gegangen – für ein offenes Europa bei „Pulse of Europe“, gegen „Artikel 13“ oder gegen den Klimawandel bei „Fridays for Future“. Wie kommt die Meinung der jungen Menschen von der Straße in den Bundestag?
Durch alle diese Demonstrationen ist eine sehr starke öffentliche Debatte gewachsen. Das ist in aller Munde und das ist ein Erfolg. Ihr [Anm. d. Red.: Junge Menschen] seid bereits in den Debatten im Bundestag angekommen. Das Engagement spielt immer wieder eine Rolle in verschiedenen Reden. Die JugendPolitiktage sind ein wesentlicher Schritt dafür, dass es so weitergeht. Hier soll ernsthaft über Themen gesprochen und anschließend überlegt werden: Was sind Empfehlungen, was sind Wünsche? Die müssen wir berücksichtigen und sie in die Bundesjugendstrategie einfließen lassen, die wir Ende des Jahres im Kabinett beschließen werden. Wir wollen nicht nur Jugendpolitik vom grünen Tisch im Ministerium machen, sondern junge Menschen aus ganz Deutschland befragen.
Oft heißt es, junge Menschen sind unpolitisch und haben keine politische Meinung. Wir behaupten: Wenn man Jugendliche noch stärker in politische Entscheidungen einbindet, würden sie sich auch mehr für Politik interessieren. Was denken Sie? Erst einmal glaube ich, dass es nicht „die Jugendlichen“ gibt. Es gibt immer solche und solche Jugendliche. Es gibt die, die sind interessiert und engagiert. Es gibt aber auch die, die sagen, dass sie auf Engagement keine Lust haben und sich nicht dafür interessieren. Die Frage ist, wie wir die bisher weniger Aktiven dazu bewegen, aktiver zu werden. Wir leben in einer repräsentativen Demokratie, die davon lebt, dass sich auch junge Menschen stärker in unserem Parteiensystem einbringen. Es war unser Altkanzler Gerhard Schröder, der einst sagte: „Rein in die Organisation und von innen aufmischen.“ Ich finde, es hat nach wie vor Charme sich auch in einer Partei zu engagieren. Die Parteien haben Mangel an jungen Menschen, sind aber die Grundlage für unser politisches System. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Jugendliche in Parteien gehen, sich stärker in der Kommunalpolitik engagieren – insbesondere Frauen. Wir haben nur zehn Prozent Bürgermeisterinnen in Deutschland und wenn wir da mehr hätten, besonders mehr junge Frauen, wäre das sehr gut. Da kann ich nur ermutigen!
Wie erreicht man konkret die Jugendlichen, die sich nicht so sehr für Politik interessieren? Das fängt im Politikunterricht in der Schule an. Ich glaube, wenn man kein Wissen über etwas hat, kann man nicht mitmachen und auch nicht gut entscheiden. Deshalb ist politische Bildung ganz wichtig. Demokratie kann man bereits schon in der Kita lernen. Kinder haben schon im jungen Alter eine Meinung und die sollte auch altersgerecht mit einbezogen werden. Es muss im Kin-
dergarten, in der Grundschule, in der Oberschule immer wieder Möglichkeiten geben, dass junge Menschen an Prozessen der Organisation beteiligt werden. Egal, ob es um die Gestaltung des Sportplatzes oder Schulhofes geht. Und fest steht: Wenn du nicht weißt, wie unsere Bundesrepublik funktioniert, dann kannst du auch nicht gut darüber entscheiden. Deshalb ist es wichtig, dass die Basics gelernt werden.
Sollte mehr auf Veranstaltungen wie die JugendPolitikTage aufmerksam gemacht werden? Auf jeden Fall! Ich finde, JugendPolitikTage müssen nicht nur eine Bundesangelegenheit sein. Das kann auch in den Ländern passieren. Wir haben schon in vielen Kommunen in Deutschland Kinder- und Jugendparlamente. Das finde ich sehr gut. Man muss all diejenigen bestärken, die so etwas machen und viel mehr dafür sorgen, dass das verbreitet wird.
Auch in diesem Jahr erarbeiten die Jugendlichen wieder Forderungen. Bearbeiten Sie die persönlich? Wenn ja, wann? Können die Teilnehmenden darauf hoffen, dass ihre Forderungen berücksichtigt werden? Wir werden das, was bei den JugendPolitikTagen herauskommt, natürlich bei uns im Ministerium besprechen. Wir haben eine eigene Kinder- und Jugendabteilung im Ministerium, von der Kollegen auch während der Veran- staltung vor Ort sind. Meine Staatssekretärin wird auch hier sein. Wir haben verschiedene Vertretende der Bun- desregierung, die in den nächsten Tagen auch mit euch [Anm. d. Red.: den Teilnehmenden der JugendPolitik- Tage] ins Gespräch kommen und wir werden diese Er- gebnisse natürlich auswerten. Anschließend werden wir sortieren und überlegen, wie wir die Ergebnisse einbrin- gen können. Für uns ist der konkrete Anknüpfungspunkt die Bundesjugendstrategie und der Kabinettsbeschluss, der für Ende des Jahres vorbereitet wird. Dort sollen die Ergebnisse einfließen. Ich hoffe, viele Punkte finden sich darin wieder – denn daran arbeiten wir.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Giffey!
Leonie und Lilian … ... rufen alle auf, wählen zu gehen. Denn Demokratie ist eine Chance, die genutzt werden muss.
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Illustration: Alisa Sawchuk
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KANN DIE WIRTSCHAFT UNSER KLIMA RETTEN?
DIE MEINUNGEN ZUM KLMASCHUTZ GEHEN WEIT AUSEINANDER. AUF DEN JUGENDPOLITIKTAGEN HAT AUTORIN ZOE BUNJE MIT ZWEI JUNGEN MENSCHEN GESPROCHEN, DEREN EINSTELLUNGEN UNTERSCHIEDLICHER NICHT SEIN KÖNNTEN. SANDER FRANK IST 21 JAHRE ALT, KOMMT AUS FRIEDRICHSHAFEN UND MITGLIED DER PARTEI DIE LINKE. ER ORGANISIERT VERSCHIEDENE “FRIDAYS FOR FUTURE“-DEMONSTRATIONEN UND WÜNSCHT SICH KLARE KLIMASCHUTZAUFLAGEN.
GLENN IST 18 JAHRE ALT, KOMMT AUS DER NÄHE VON HAMBURG UND IST FDP-MITGLIED. ER HINTERFRAGT “FRIDAYS FOR FUTURE“ UND SIEHT DIE ZUKUNFT DES KLIMASCHUTZES IN EINER FREIEN WIRTSCHAFT.
KANN DIE WIRTSCHAFT ALLEINE DEN KLIMAWANDEL STOPPEN? SANDER FRANK WÜNSCHT SICH MEHR VERSTÄNDNIS FÜR DEN KLIMAWANDEL.
WIE STEHST DU ZUM KLIMASCHUTZ? Für mich ist der Klimaschutz die zentrale Frage für die Zukunft. Es kommen enorme Veränderungen auf uns zu und unsere Lebensgrundlage wird sich radikal verändern. Wenn wir jetzt nichts verändern, wird alles den Bach runtergehen.
ENGAGIERST DU DICH SELBST? Ja, ich habe die allererste “Fridays for Future“-Initiative am Bodensee in Friedrichshafen gegründet. Ich organisiere die Demos, habe einen Überblick über die Arbeitskreise. Wir haben mittlerweile in zehn Orten am Bodensee Initiativen, die ich unterstütze und vernetze.
WAS FORDERT IHR? Unser übergeordnetes Ziel ist, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Jahr zu begrenzen. Dafür müssen die Kohlekraftwerke bis 2030 abgeschaltet werden, bis 2035 brauchen wir eine 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung.
WARUM FINDEST DU ES SO WICHTIG, DASS DU DICH SELBST ENGAGIERST?
fristig auf dieser Welt leben können. Bis alle verstanden haben, wie wichtig das Thema ist, wird es sehr lange dauern. Wir sind im 21. Jahrhundert und haben keinen Feminismus und keine Gleichberechtigung erreicht. Bis wir den Klimaschutz wirklich angehen würden, hätten wir unsere Welt schon längst zerstört.
GLAUBST DU, WIRTSCHAFTLICHE ANREIZE KÖNNEN DEN KLIMAWANDEL STOPPEN? Das halte ich für absoluten Schwachsinn. Wir haben auch gesagt, wenn wir die Wirtschaft einfach machen lassen, erreichen wir Wohlstand für alle. Wir haben mittlerweile in Deutschland den größten Niedriglohnsektor in Europa und auch Leute, die unter dem Existenzminimum leben. Ich glaube, es ist eine falsche Annahme, dass sich das alles von selbst reguliert.
KÖNNTE DIE WIRTSCHAFT AUCH CHANCEN FÜR DEN KLIMASCHUTZ BIETEN?
Wir sind die letzte Generation, die das Ganze in der Hand hat. Wir treffen wichtige Entscheidungen, sei es beim Thema Klimaschutz, der Digitalisierung oder der Gleichberechtigung. Wir sind dabei, die Grundsteine zu legen und sehr viel für die Zukunft zu entscheiden. Wir haben so viele Chancen wie keine Generation vor uns. Deswegen müssen wir handeln. Wir sind in der Pflicht.
Ja, auf jeden Fall! Der Grundgedanke der Wirtschaft ist Effizienz. Wenn wir unsere Ressourcen effizienter nutzen könnten, würde das für die Wirtschaft einen Mehrwert bedeuten, weil die Unternehmen dann billiger produzieren könnten. Sie müssten weniger Ressourcen verbrauchen, um die gleichen Produkte herzustellen. Eigentlich macht es aus wirtschaftlicher Sicht absolut Sinn, nachhaltig zu handeln. Aber die Umstellung ist schwer. Unser System ist jetzt gerade darin festgefahren, sehr viel zu verschwenden. Das müssen wir verändern.
WAS HÄLTST DU VON KONKRETEN KLIMASCHUTZAUFLAGEN?
WAS WÜNSCHST DU DIR VON DER POLITIK?
Ich fände es super, eine Plastiksteuer und eine CO2-Steuer einzuführen. Wir brauchen konkrete Regulierungen. Sonst schützen wir das Klima nicht so, dass wir lang-
Es müssen andere Maßstäbe gesetzt werden. Nachhaltigkeit muss eine zentrale Rolle spielen. Eine CO2-neutrale Verwaltung ist sehr wichtig. Wir dürfen nicht so viel Pa-
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Foto: Christopher Folz
pier in der Verwaltung zu nutzen, es muss mehr elektronisch ablaufen. Alle Gebäude der Verwaltung sollten energetisch saniert werden. Die Politik muss in grünen Strom und nachhaltige Projekte in Kommunen investieren.
WAS WÜNSCHST DU DIR VON DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG? Ich wünsche mir, dass die Leute verstehen, was der Klimawandel für Auswirkungen hat, ohne ihn am eigenen Leib erfahren zu müssen. Es ist leider so, dass die Leute Dinge erst verstehen, sobald sie direkt betroffen sind.
DENKST DU, DASS JEDER EINZELNE HANDELN MUSS? Auf jeden Fall. Jeder muss sich die Frage stellen, was er oder sie tun kann. Die Plastiktüte mag heute billig sein, doch später wird der Preis ein ganz anderer sein. Wir sind sehr bequem, aber da muss jeder bei sich selbst anfangen. Wir können viel verändern.
GLENN ÜBERLÄSST PROFIS DEN KLIMASCHUTZ.
WIE STEHST DU ZUM KLIMASCHUTZ?
ENGAGIERST DU DICH SELBST?
Der Klimaschutz ist eine wichtige Sache. Aber an der Klimadebatte hängen nicht nur die Umwelt, sondern auch ökonomische und soziale Aspekte, beispielsweise die Automobilbranche. Bei BMW und VW arbeiten Ingenieure, die speziell für den Dieselmotor ausgebildet sind. Sollten wir den Dieselmotor verbieten, bräuchten wir Umschulungsmaßnahmen, sonst würden diese Jobs wegfallen. Die Ingenieure wären dann arbeitslos
Ich gehe nicht zu den “Fridays for Future“-Demonstrationen, weil mir die Schule wichtiger ist. Wenn ich demonstriere, dann am Wochenende. Ich achte darauf, nicht viel Fleisch zu essen und vor allem kein Rindfleisch. Außerdem fahre ich viel Fahrrad. Das Wichtigste ist natürlich, dass ich kurze Strecken nicht fliege, sondern mit dem Zug fahre.
WAS HÄLTST DU VON DEN “FRIDAYS FOR FUTURE“-DEMOS? Die “Fridays for Future”-Demonstrationen beachten viele Aspekte nicht: Wenn wir Dieselautos verbieten, hat das auch Risiken. Was passiert mit einem Familienvater, der in eine größere Stadt pendeln muss und aufgrund der schlechten Zugverbindung auf das Auto angewiesen ist? “Fridays for Future” darf nicht nur den ökologischen, sondern muss auch den ökonomischen Aspekt berücksichtigen. Denn wir sind die Generation, die die Suppe auslöffeln muss, wenn alles unbezahlbar wird.
WIE WILLST DU DAS KLIMA DANN SCHÜTZEN?
Zoe Bunje … 19, Wilhelmshaven ... mag Lasagne, weil sie vielschichtig und geschmackvoll ist.
Foto: Christopher Folz
Ich sehe die Chancen für den Klimaschutz in einem weiterhin liberalen Markt. Wir sollten Firmen nicht kollektivieren, sondern weiter privatisieren. Wir sollten den CO2-Emissionshandel erweitern lassen und EU-weit fördern. Wir brauchen einen Binnenmarkt für Energie. Wenn wir CO2 einen Preis geben, werden Firmen innovativer, um einzusparen. Dabei werden CO2-Zertifikate vergeben, die jährlich (in der Stückzahl, Anm. d. Red.) immer weniger werden. Wenn eine Firma nicht innovativer wird, muss sie sich CO2-Zertifikate dazukaufen. Firmen, die sowieso wenig CO2 ausstoßen, können ihre zusätzlichen Zertifikate verkaufen und das Geld in weitere Innovationen investieren.
STATT “FRIDAYS FOR FUTURE” FORDERST DU “MONDAYS FOR ECONOMY”? Die “Fridays for Future”-Demonstrationen sind da, um den Klimaschutz voranzutreiben. Wir leben in einer Industrienation und sind wirtschaftlich stark aufgestellt. Trotzdem haben wir soziale Schichten, in denen nicht jede oder jeder von der Wirtschaft profitiert. “Mondays for Economy” war eigentlich eine Spaßidee der FDP. Trotzdem ist es nicht falsch, auf Defizite in der Wirtschaft einzugehen, sich zum Beispiel für Arbeitsplätze oder den Mindestlohn einzusetzen. “Mondays for Economy” könnte dazu dienen, sich für diese wirtschaftlichen Ziele einzusetzen.
WAS HÄLTST DU VON KONKRETEN KLIMASCHUTZAUFLAGEN? Der Staat sollte sich aus dem Markt heraushalten. Die Klimadebatte kann die Politik mit dem CO2-Emissionshandel lösen. Es ist egal, wo wir CO2 einsparen - Hauptsache wir sparen CO2 ein. Der Staat kann Anreize setzen, aber sollte nichts verbieten. Anreize würden zu einer schnellen Veränderung führen und der CO2-Handel schnell genug etwas bewirken, wenn er richtig durchgesetzt würde.
Auch der einzelne Mensch muss sein Konsumverhalten einschränken. Aber wir Menschen sind schon soweit entwickelt, dass wir selbst wissen, wann Schluss ist. Wir brauchen keinen Staat, der Verbote setzt. Der Staat verbietet kein Fleisch, aber ich habe selbst gemerkt, dass ich meinen Fleischkonsum einschränken muss, wenn ich weiter auf dieser Erde leben will.
WAS WÜNSCHST DU DIR VON DER POLITIK? Der Klimaschutz ist eine europäische Aufgabe. Wenn wir aus der Kohle aussteigen, kostet das enorm viel Geld und hat keinen Einfluss, wenn die anderen EU-Mitgliedsstaaten nicht mitziehen. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass alle Mitgliedstaaten mitziehen. Denn der Klimaschutz ist keine deutsche Aufgabe, sondern eine europäische Aufgabe. Deshalb muss Deutschland sich dafür einsetzen, dass andere Staaten mitziehen, aber sollte keinen Einzelgang starten. Das verursacht Kosten und die würden auf den Steuerzahler zurückfallen. Und wieso sollten wir für etwas zahlen, das keinen Einfluss hat.
WAS WÜNSCHST DU DIR VON DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG IN BEZUG AUF DEN KLIMASCHUTZ? Ich wünsche mir, dass nicht so einspurig gedacht wird. Wir müssen uns bewusst machen, dass die Nachhaltigkeit nicht mit der Wirtschaft ausgespielt werden kann. Die beiden Themen sind sehr eng verknüpft. Die meisten Leute denken, es sei möglich, innerhalb von einem Tag aus der Kohlekraft auszusteigen. Das funktioniert nicht. Da hängen sehr viele ökonomische Prozesse dran. Der Spruch von Lindner „Wir sind keine Profis“ stimmt genau. Ich kenne mich nicht mit den ökonomischen und ökologischen Zusammenhängen aus. Die meisten Leute kämpfen für den Klimaschutz, aber “Fridays for Future“ ist auch eine Plattform, um andere politische Überzeugungen rüberzubringen. Zum Beispiel sieht man dort Antifa-Plakate. Ich wünsche mir, dass die Ziele dort etwas mit dem Klimaschutz zu tun haben und realisierbar sind.
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POLITISCHE BILDUNG FÜR ALLE – ABER WIE?
IMMER WIEDER WIRD ÜBER DIE ENTSCHEIDENDE ROLLE VON POLITISCHER BILDUNG IN UNSERER GESELLSCHAFT GESPROCHEN. UM JUGENDLICHE ZU ERREICHEN, MÜSSEN NEUE WEGE GEFUNDEN WERDEN. WIE YOUTUBER DABEI HELFEN KÖNNEN, HAT UNSERE AUTORIN LEONIE THEIDING ERFAHREN.
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eza Tefera betritt aufrecht die Bühne im großen Zelt der JugendPolitikTage. Ruhig nimmt sie das Mikrofon in die Hand und schaut in die Gesichter der drei Politikerinnen und Politiker, die ihr gegenüber sitzen. Ihr Anliegen kann Beza direkt auf den Punkt bringen: „Jugendliche engagieren sich, wieso wird nichts umgesetzt?“ Sie ist Vorstandsmitglied des StadtschülerInnenrates in Frankfurt am Main, der 2018 Forderungen an den hessischen Landtag stellte – ohne Erfolg. „Das war ziemlich frustrierend”, sagt Beza.
“POLITIK INTERESSIERT EIGENTLICH JEDEN” Miguel Góngora, ein Vorstandsmitglied des Kinder- und Jugendparlaments in
Berlin, ist ebenfalls auf den JugendPolitikTagen. „Jugendlichen müsste gezeigt werden, wie wertvoll die eigene Meinung ist”, sagt der 17-Jährige. Denn Politik interessiere eigentlich alle Jugendlichen. Es müsste nur darüber aufgeklärt werden, was Politik ist und sein kann. Denn auch alltägliche Probleme sind hochpolitisch: In welchen Abständen fährt die Bahn vor meiner Tür? Wann wird der heruntergekommene Skatepark endlich saniert? „Wenn die Bundesregierung einen Kabinettsbeschluss aus den Ergebnissen der JugendPolitikTage plant, dann muss das die Jugend wissen”, sagt Miguel. So bekommen alle mit, dass sie Teil von Politik sein können. Denn selbst in der Schule fiele das noch hinten runter. „Keiner meiner Lehrerinnen und Lehrer hat
von den JugendPolitikTagen erzählt und wahrscheinlich wird niemand aus meiner Klasse davon erfahren”, sagt er. Seiner Meinung nach müsse in Schulen viel mehr über solche Veranstaltungen informiert werden.
DIE JUGEND WIRD NICHT GEHÖRT
einführen. Was aber, wenn Forderungen wie diese nicht berücksichtigt werden? Stefan Luther, Abteilungsleiter für Allgemeine Bildung im Bundesministerium für Bildung und Forschung, denkt, dass im Zweifel auch der Staat eingreifen müsse. „Meistens interessieren sich die Jugendlichen für Politik, die schon politisch gebildet sind”, sagt Krüger. Deshalb sei es wichtig, dass politische Bildung neue Wege und Partnerinnen und Partner finde, wie unter anderem Influencerinnen und Influencer, die für das Netz Videos produzieren. Als Beispiel nennt Krüger den Youtuber “MrTrashpack”, der über Fake News aufklärt. Beza sitzt mittlerweile auf einem der weißen Sessel auf der Bühne. Aufmerksam hört sie den Politikerinnen und Politikern zu und wartet, bis sie wieder zu Wort kommt. Als das Mikrofon dann bei ihr landet, sorgt sie mit ihren Worten für großen Beifall aus dem Publikum: „Politische Bildung muss allen ermöglicht werden.”
Auch Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, ist sich der Problematik bewusst. Schulpolitik sei jedoch Ländersache und deshalb müssten die Regierungen vor Ort aktiv werden. Genau das forderten Beza und der SchülerInnenrat in Frankfurt: Hessen sollte verpflichtenden Politikunterricht
WAHLSPOTS WOLLEN EMOTIONEN WECKEN Für Parteien bringen Werbespots den Vorteil, sich mit einer großen Reichweite bestmöglich und nach ihren Vorstellungen zu präsentieren. Außerdem erreichen sie auf diese Weise auch diejenigen, die sich eher
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weniger für Politik interessieren, wie der Medienwissenschaftler Andreas Dörner und die Soziologin Ludgera Vogt in ihrem Buch “Politik, Ästhetik und Wahlwerbespots” betonen. Inhaltlich werden die Spots meist von Marketingprofis entworfen und zielen darauf ab, die persönlichen Gefühle der Zuschauenden zu erreichen. Dabei soll der Inhalt aber nicht zu komplex sein und die Zuschauenden überfordern. Stattdessen sollen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer mit den Protagonisten der Spots identifizieren und sie im besten Fall sogar sympathisch finden. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt auf ihrer Webseite, dass TV-Wahlspots vor allem Emotionen wecken sollen. Dadurch bestehe allerdings die Gefahr, dass die Gefühle der
Wenn es keine Regeln gibt, fallen manche Gruppe jedoch schnell in alte Strukturen zurück. Ein Beispiel: Frauen melden sich online weniger zu Wort. Auch Wikipedia steht in der Kritik, zu wenige Frauenbiografien zu führen. Zudem sind ganze 87 Prozent der Menschen, die Wikipedia mit Wissen füllen, männlich.
…hatte vor der Recherche für diesen Artikel noch nie von Jugendparlamenten gehört.
MEIN, DEIN, UNSER INTERNET?
BETEILIGUNG PER MAUSKLICK – EIN GEWINN FÜR DIE DEMOKRATIE?
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VOR WAHLEN STELLT SICH IMMER DIE GLEICHE FRAGE: WEN WÄHLEN? PARTEIPROGRAMME WÄLZEN NUR WENIGE, DA KOMMT EIN WAHLWERBESPOT GERADE RECHT. DOCH IST DER EINE ALTERNATIVE? UNSERE AUTORIN LARISSA MENNE ÜBER DEN EINFLUSS UND DIE VOR- UND NACHTEILE VON WAHLWERBESPOTS. urz vor den Wahlen gehen die Parteien nochmal auf Stimmenfang. Neben klassischen Aktionen wie Plakaten und Wahlkampfreden, schalten viele Wahlwerbungen im Fernsehen. Meist geht es in diesen Spots aber eher weniger um den Inhalt der Parteiprogramme, sondern darum potenzielle Wählerinnen und Wähler auf emotionaler Ebene zu erreichen.
WIR GOOGELN TÄGLICH, SCROLLEN DURCH UNSEREN FEED UND DISKUTIEREN MIT ANDEREN AUF FACEBOOK UND CO. IM NETZ FUNKTIONIERT BETEILIGUNG PER MAUSKLICK. UNSERE AUTORIN LEONIE ZIEM HAT SICH GEFRAGT: STÄRKT DAS DIE DEMOKRATIE ODER IST ES EINE GEFAHR?
Leonie Theiding … 19, Hamburg
NACH NUR EINEM SPOT GEHT´S WEITER…
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SELBSTERMÄCHTIGUNG: WEM GEHÖRT DAS NETZ?
IST WAHLWERBUNG EINE GUTE INFORMATIONSQUELLE?
Zuschauerinnen und Zuschauer gezielt manipuliert werden.
WAHLWERBUNG: FLUCH ODER SEGEN? Dennoch bleiben Wahlspots im Fernsehen für die Parteien ein wichtiges Wahlkampfmittel, um noch mehr Reichweite zu erlangen. Wählende sollten jedoch ein bisschen mehr Zeit in ihre Wahlentscheidung investieren und sich
Foto: Sascha Kemper
intensiv über die Parteien informieren, anstatt nur deren TV-Spots anzusehen.
Larissa Menne … 17, Höxter … wird in Zukunft bei Wahlwerbungen noch genauer hinschauen.
omentan ist Frühling im Blog“, sagt Mila Hölze mit Blick auf ihr Smartphone. Mit dem Finger scrollt sie nach unten. Der Hintergrund der Webseite ist rosa. Je nach Jahreszeit wechselt sie die Farben. So selbstverständlich, wie Mila sich durch die analoge Welt bewegt, so sehr ist auch das Netz ihr Zuhause. „Immerhin besteht der Blog schon ein Drittel meines Lebens, er ist ein Teil von mir“, sagt sie. Mila ist 16 Jahre alt und bloggt bereits seit sie elf ist. Angefangen hat sie damit, Buchrezensionen zu schreiben. Mittlerweile veröffentlicht sie auch persönliche Texte, sogar Interviews führt sie gelegentlich. Ein Highlight: das Interview mit Schauspieler und Hörbuch-Stimme Rufus Beck.
EIN BUNTER KANON AN STIMMEN Das Netz bietet Mila und etlichen anderen Menschen einen Raum zum Austoben – im Internet ist immer Tag der offenen Tür. „Wenn jemand etwas liest, hat es einen Effekt. Das heißt, selbst, wenn ich nur fünf Leute erreiche, erreiche ich zumindest diese fünf Leute“, sagt Mila. Dass jede und jeder im Netz publizieren kann, führt zu einem bunten Kanon an Stimmen. Aber bedeutet mehr Meinung auch mehr Demokratie?
„Um sich eine Meinung bilden zu können, muss man wissen, welche Meinungen es überhaupt gibt“, sagt Mila. Für sie bedeutet das Netz Selbstermächtigung: Sie kann dort publizieren, wann sie will und wie sie es will. Neben der Vielzahl an Blogs, die sich mittlerweile im Netz finden lassen, gibt es noch weitere Formen des Aktivismus: Man kann Online-Petitionen unterschreiben oder durch Massenmails Internetseiten blockieren. Augenblicke können gespeichert und dadurch noch einmal erlebt werden. So hat zum Beispiel Greenpeace 2016 den Reichstag mit den TTIP-Leaks, den geheimen Dokumenten der TTIPVerhandlungen, angestrahlt. Die Aktion dauerte nur wenige Minuten – die Bilder bekamen durch die Verbreitung im Netz aber auch von Menschen Aufmerksamkeit, die nicht vor Ort waren. Lea Pfau arbeitet für die “Open Knowledge Foundation”. Der Verein hat sich das Motto “Offenes Wissen für eine digitale Zivilgesellschaft” auf die Fahne – oder eher – auf die Website geschrieben. Dort setzt Lea sich für ein transparentes Netz ein. „Der Grundstein für Beteiligung ist Information, denn ohne kannst du keine informierte Entscheidung treffen“, sagt sie. Doch gibt es im Netz eine klare Grenze zwischen Meinung und Wissen?
Foto: Sascha Kemper
Ilona Stuetz arbeitet für medialepfade.org, einem Verein für Medienpädagogik. Sie sieht ebenfalls viel Potenzial im Internet. Es sei jedoch schwierig, Information von Meinung zu trennen. Das beginne schon bei der Frage, ob man eine Grafik mit roter oder grüner Farbe darstellt. „Es ist wichtig zu wissen, woher die Information kommt, wer sie zur Verfügung stellt und wie sie aufbereitet ist“, erklärt Iona.
Es stellt sich also die Frage, wer den Diskurs im Netz bestimmt. Plattformen, Algorithmen oder doch eine männliche Minderheit? Die Antwort liegt vermutlich irgendwo in der Mitte. Plattformen und Algorithmen werden von Menschen programmiert. Expertinnen und Experten entscheiden also schon in ihrer Entstehung über die Frage, wie die Algorithmen später arbeiten. So teilte die Bilderkennungssoftware von Google vor einiger Zeit eine schwarze Frau in die Kategorie „Gorilla“ ein. Algorithmen sind also nicht neutral, sondern können sogar rassistisch sein. Das Netz ist beides: Ein Spiegel unserer Gesellschaft und ein Ort, um Dinge zu verändern. Ein Lösungsansatz, den Lea vorschlägt: Algorithmen transparent machen. Oder man macht es wie Mila und fügt der digitalen Landschaft mehr Stimmen hinzu – Stimmen, die sonst überhört werden könnten.
SURFEN IN DER SHOPPINGMALL Auf den ersten Blick gehöre das Internet jeder und jedem. „Ein guter Vergleich zum Netz ist das Diskutieren in einer Shoppingmall: Es fühlt sich auch irgendwie öffentlich an, jede und jeder kann hingehen, aber de facto ist es ein privater Raum”, sagt sie. Wenn sie auf Facebook etwas poste, dann habe Facebook die Kontrolle darüber. Das dürfe man nicht aus den Augen verlieren. Zu welchen Konditionen auf Plattformen publiziert wird, bestimmen die Firmen selbst. „In sozialen Medien werden mithilfe von Algorithmen, Machtverhältnisse abgebildet”, sagt Lea. Daran sei nicht das Internet schuld, sondern die Plattformen. „Das Internet hat das Potenzial Strukturen aufzubrechen“, sagt Lea.
Leonie Ziem … 20, Berlin … mag Schokolade mehr als Buchstaben.
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NICHTWÄHLENDE – MENSCHEN OHNE MEINUNG?
SEIT DER WIEDERVEREINIGUNG 1990 HAT SICH DIE ZAHL DER NICHTWÄHLENDEN NAHEZU VERDOPPELT. AUCH DIE WAHLBETEILIGUNG AUF LANDES- UND KOMMUNALEBENE SINKT. UNSERE AUTORIN HANNAH WOLTER SUCHTE NACH DEN GRÜNDEN FÜR DIESE ENTWICKLUNG.
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s sind vor allem die bekennenden Nichtwählenden, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Einige davon nehmen nicht an Wahlen teil, weil sie unzufrieden mit der Parteienlandschaft sind. „Meine Eltern gehen schon seit einer Weile nicht mehr wählen. Sie haben das Gefühl, dass keine der Parteien ihre Interessen vertritt“, sagt Alina Meyer, Teilnehmerin der JugendPolitikTage. „Außerdem haben viele Menschen den Eindruck, ihre Stimme würde nichts ändern”, fährt sie fort. 2013 untersuchte ein Team der Bertelsmann Stiftung das Phänomen der Nichtwählenden. Demnach sind es vor allem sozial schwächere Randgruppen in geringen Bildungsschichten oder Langzeitarbeitslose, die sich seltener oder gar nicht an Wahlen beteiligen.
Ganze Bevölkerungsgruppen ziehen sich somit aus der politischen Teilhabe zurück.
ANDERE KÄMPFEN DAFÜR Dadurch sind sie mit ihren Interessen nicht mehr in den Parlamenten vertreten. In der Gesellschaft wird das Nichtwählen eher negativ gesehen. Viele haben kein Verständnis dafür. „Wir leben in einer Demokratie und jeder sollte sein Recht, für das andere Menschen hart gekämpft haben, auch wahrnehmen“, sagt die 26-jährige Bankkauffrau Denise Müller. Das direkte Umfeld beeinflusst ebenfalls das Wahlverhalten der Menschen. „In meinem Umfeld ist der soziale Druck, an Wahlen teilzunehmen, hoch. In anderen sozialen Gefügen, wo Politik vielleicht
MEINUNG VER(D)ERBEN
HEUTZUTAGE KANN MAN SICH VOR MEINUNG NICHT MEHR RETTEN: SIE IST ÜBERALL. IM NETZ, AUF DER STRASSE, ZU HAUSE. DOCH WOHER UNSERE POLITISCHE EINSTELLUNG EIGENTLICH WIRKLICH KOMMT, HAT UNSER AUTOR RAPHAEL FRÖHLICH RECHERCHIERT. KEINE WAHL, KEINE MEINUNG?
generell kein wichtiges Thema ist, mag das anders aussehen“, sagt die Studentin Samira Rabe.
IST EINE WAHLPFLICHT DIE LÖSUNG? Einer Wahlpflicht stehen die meisten Menschen skeptisch gegenüber. Manche meinen, Politik sollte überzeugen und nicht zur Pflicht werden. Sanktionen oder gar Gefängnisstrafen für Nichtwählende sind für die meisten undenkbar. Schließlich beinhaltet das Wahlrecht genauso die Freiheit, nicht an einer Wahl teilzunehmen. Doch wie kann man die Menschen zum Wählen motivieren? Der ehemalige CDU-Politiker Werner Peters wollte das mit seiner 1998 gegründeten “Partei der Nichtwähler” schaffen. Die Partei forderte mehr Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten durch Volksbegehren und -abstimmungen. Auf diese Weise sollte die direkte Demokratie belebt werden. Allerdings konnten sie nur wenige (Nicht-) Wählende mobilisieren und lösten sich
Foto: Christopher Folz
deshalb 2017 wieder auf. Es gibt jedoch noch einige bestehende Bündnisse und Gruppen von Nichtwählenden und Unzufriedenen. Das Team der Bertelsmann Stiftung ist bei seiner Untersuchung übrigens zu folgendem Fazit gekommen: „Deutschland ist längst zu einer sozial gespaltenen Demokratie der oberen zwei Drittel unserer Gesellschaft geworden“. Inwieweit dieser Entwicklung aktiv entgegengesteuert werden kann und sollte, bleibt allerdings offen.
bereits ein “internationales Portfolio“ haben. Manche Familien könnten an Jugendaustauschen nicht teilnehmen – auch in finanzieller Hinsicht nicht. Deshalb stellt das Bundesjugendministerium mehr Geld für internationale Projekte zu Verfügung. Aber was, wenn Eltern nicht aufgeschlossen gegenüber solchen Programmen sind? Hier gelte es, laut Bundszus, auch für die Schulen genau hinzuschauen. So können Schulleitungen mehr Schüleraustausche als schulische, also verpflichtende Veranstaltungen organisieren. Ein großes Potenzial bringe auch ein guter Politikunterricht mit sich. Durch Beteiligung lernen Schülerinnen und Schüler, ein Recht auf ihre Meinung zu haben. Das kann auch bereits in der frühkindlichen Bildung einsetzen. Übungen in demokratischer Konsensfindung seien wichtig, insbesondere bei Familien, die antidemokratische Tendenzen zeigen.
*Namen durch die Redaktion geändert
Hannah Wolter … 18, Velbert-Langenberg … malt bei Langeweile gerne die Kästchen auf kariertem Papier aus.
ÜBER POLITIK REDEN
ZIVILER UNGEHORSAM: »ILLEGAL, SONST HÖRT UNS KEINER!«
MANCHE WÄHLEN EINEN RADIKALEN WEG, UM IHRE MEINUNG ZU ÄUSSERN: SIE VERSTOSSEN BEWUSST GEGEN RECHT UND GESETZ. UNSERE AUTORIN AMELIE HAT SICH GEFRAGT, OB ZIVILER UNGEHORSAM MITTLERWEILE EIN MUSS IST, UM GEHÖRT ZU WERDEN.
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rage ich die Menschen nach zivilem Ungehorsam vertreten die meisten die Meinung, es würden sich nur linksextreme Aktivisten und Aktivistinnen an solchen Aktionen beteiligen. Jedoch steckt hinter den Beweggründen meist mehr als bloße Provokation. Zum Beispiel die Hoffnung, die Welt zum Besseren zu verändern. Manche bringen dafür sogar ihr eigenes Wohl in Gefahr, indem sie sich freiwillig körperlicher und psychischer Gewalt aussetzen. Frei nach dem Motto „be the change you wish to see in the world“ („Sei der Wandel, den du dir in der Welt wünschst“), leisten sie Widerstand – und müssen im Gegenzug mit Polizeigewalt oder Geldstrafen rechnen. Dadurch möchten sie ihrem Unmut über das politische System Ausdruck verleihen. Doch warum besuchen Aktivistinnen und Aktivisten
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scheinbar ganz bewusst keine angemeldeten, “normalen“ Demos? Wäre legales Demonstrieren nicht weniger gefährlich?
MEINUNGSÄUSSERUNG MIT ALLEN MITTELN Menschen, die sich für diese illegale Art der Meinungsäußerung entscheiden, wollen mehr als nur zusehen. Sie möchten aktiv in das Geschehen eingreifen, weil sie sich sonst nicht gehört fühlen. Die Schul- und Unistreiks der Bewegung „Fridays for Future“ zeichen ein ähnliches Bild: Da die Schulpflicht verletzt wird,
um Aufmerksamkeit für die Klimakrise zu schaffen, handelt es sich auch hierbei um eine Form zivilen Ungehorsams. Ohne die Verletzung der Schulpflicht hätte die Bewegung wohl niemals die mediale Aufmerksamkeit erhalten, die sie seit Monaten bekommt und wäre als nicht weiter erwähnenswerter Aufstand der Jugend abgetan worden. Mit dem Verstoß gegen die Schulpflicht machen die beteiligten Schü-
SOLANGE DU EINE BEINE UNTER MEINEN TISCH STELLST.
lerinnen und Schüler hingegen deutlich, wie dringend und wichtig ihnen das Thema ist. Beteiligen sich Aktivistinnen und Aktivisten an illegalen Demonstrationen, wird ihr Körper wie etwa bei Sitzblockaden zum Protestmittel. Während Forderungen und laute Rufe ignoriert werden können, gestaltet sich die Beseitigung eines menschlichen Körpers von der Straße schon schwieriger. Ziviler Ungehorsam ist umstritten. Dennoch haben Umweltbewegungen wie „Fridays for Future“ und „Ende Gelände“ nicht zuletzt durch ihn an Aussagekraft gewonnen. Trotzdem bezeichnen viele die Jugend weiterhin als unpolitisch. Dabei wissen die Jugendlichen genau, worum es geht und was sie wollen. Die Politik sollte auf die jungen Menschen hören, bevor diese sich mit noch radikaleren Aktionen in Gefahr bringen.
Amelie Bayer … 18, Frankfurt … schreibt einen Artikel über zivilen Ungehorsam um sich vermummt fotografieren zu lassen.
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einungsbildung findet nicht nur in den Medien statt, sondern auch zuhause am Küchentisch. Beim Abendessen mit der Familie wird bei manchen gern über tagesaktuelle Nachrichten gesprochen. Meinungen sind etwas Subjektives, etwas Persönliches – denken wir. Aber stimmt das wirklich? Die politische Sozialisation beschäftigt sich mit dieser Frage und kann helfen, eine Antwort zu finden. Familie spielt in der politischen Sozialisation eine wichtige Rolle. Dabei kommt es gar nicht so sehr darauf an, dass alle Familienmitglieder die gleiche Sichtweise vertreten, sondern dass sie sich einig sind, auf welche Weise sie mit unterschiedlichen Meinungen umgehen.
DER APFEL FÄLLT NICHT WEIT VOM STAMM Dabei entstehen Gewohnheiten und Regeln, die Kinder entweder übernehmen oder gegen die sie sich abgrenzen. Das familiäre Umfeld ist also der Startpunkt für unsere politische Meinung. Wenn ElternKind- Beziehungen stabil und verlässlich sind, werden Modelle aus dem Elternhaus wie die politische Einstellung, tendenziell eher übernommen. Wenn die Beziehung hingegen durch Konflikte geprägt ist, grenzen sich junge Menschen häufiger von den Positionen ihrer Eltern ab.
Die „Moral Politics Theory“ geht beispielsweise davon aus, dass Kinder bei einem fürsorglichen Erziehungsstil eher linkspolitisch eingestellt sind. Eine Umfrage unter einigen Teilnehmenden der JugendPolitikTage zeigte, dass viele der Jugendlichen, die wie sie selbst angaben, eher aus einem friedlichen Elternhaus stammen, eher linkspolitisch eingestellt waren. Da ist zum Beispiel Dörthe Winkler (17) aus Osnabrück. Sie engagiert sich in der Greenpeace Jugend, auch ihre Eltern seien eher „grün“ orientiert. Anders sieht es bei Glenn Depta (18) aus der Nähe von Hamburg, aus. Er engagiert sich in der FDP. Ein direkter Zusammenhang zwischen den Eltern-Kind-Beziehungen und den politischen Einstellungen der Jugendlichen besteht erst einmal nicht. Rückschlüsse können nur vermutet werden. Untersuchungen haben außerdem gezeigt, dass aggressive Ablehnung gegenüber fremd erscheinenden Personen vor allem von solchen Jugendlichen geäußert wird, die von schlechten Beziehungen in der Familie und weniger festen Beziehungen zu Gleichaltrigen berichten. Weniger ausgeprägt ist diese Ablehnung, wenn es verbindliche und harmonische Beziehungen zur Familie und auch zu Gleichaltrigen gibt. Bettina Bundszus, Leiterin der Abteilung Kinder und Jugend im Bundesjugendministerium, meint,
Illustration: Alisa Sawchuk
dass diese Frage auch vom Alter abhängt: „Je älter Jugendliche sind, desto weniger zählt die Meinung der Eltern und umso mehr hat die Meinung der Freundinnen und Freunde Bedeutung.”
ANDERE LÄNDER, ANDERE SITTEN Doch wie kann eine Abgrenzung der Gewohnheiten und Regeln des Elternhauses erfolgen? Bundszus ist der Meinung, dass politische Programme und Austauschfahrten hier helfen könnten, Schülerinnen und Schülern Weltoffenheit zu lehren. Solche Programme seien die beste Prävention gegen Fremdenhass. Din Ferizovic (19) aus Neumünster betont, dass auch die Kultur in der politischen Sozialisation eine Rolle spielt. Er meint, dass die Eltern nicht unbedingt einen politischen Einfluss auf ihre Kinder nehmen, sondern eher kulturell und sozial. Dadurch entsteht die politische Meinung. Er betont dabei die kritische Kultur in Deutschland, die seiner Erfahrung nach stärker ausgeprägt sei als in anderen Ländern.
KOMMT MEINUNG VON UNSEREN ELTERN?
„Aber auch in der Jugendarbeit darf das Thema nicht vernachlässigt werden”, sagt Tino Höfert, jugendpolitischer Koordinator beim Stadtjugendring Greifswald. Man sollte sich die Frage stellen, wie Werte in der Familie gestellt werden und wie über Politik geredet wird. Schaue man nur die Tagesschau oder diskutiere man auch darüber? Hier könne Jugendarbeit einen entscheidenden Beitrag zur politischen Bildung leisten. Beeinflussen Eltern ihre Kinder nun politisch? Eine eindeutige Antwort gibt es darauf nicht. Es kommt dabei immer auf mehrere Faktoren an. Viele Jugendlichen haben durchaus die Fähigkeit, ihre Meinung zu reflektieren und sich von der politischen Einstellung des Elternhauses zu lösen. Dennoch sollte die Rolle von politischen Programmen und Jugendarbeit auch weiter dazu beitragen, politische Bildung voranzutreiben.
Raphael Fröhlich … 16, Stuttgart … recherchiert und bildet sich erst dann eine eigene Meinung.
Für Bundszus ist wichtig, dass an Schüleraustauschen nicht nur Jugendliche teilnehmen, die ohnehin viel reisen und
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DEINE DATEN, KEINE DATEN: CHANCEN UND RISIKEN DER DIGITALISIERUNG
MIT DER DIGITALISIERUNG BESCHÄFTIGTEN WIR UNS ALLE TÄGLICH. DOCH WAS DENKEN JUGENDLICHE ÜBER DIE SICH STETIG ERNEUERNDEN TRENDS? AUTORIN ZOE BUNJE FÄNGT DIE STIMMEN EIN.
BENIAMINO ZAPPIA IST 22 JAHRE ALT UND KOMMT AUS BERLIN. FÜR IHN BRINGT DIE DIGITALISIERUNG VIELE CHANCEN UND NEUE PERSPEKTIVEN MIT SICH.
ZIEHST DU EINE GRENZE BEI DER DIGITALISIERUNG? WIE STEHST DU ZUR DIGITALISIERUNG? In der Politik sehe ich die Digitalisierung kritischer. Es darf nicht erlaubt sein, dass Wahlen durch gekaufte Facebook-Likes manipuliert werden. Solange ein Politiker Wahlkampf über Social Media macht, ist das legitim. Digitalisierung sollte nicht für eigene Machtansprüche missbraucht werden. Diesbezüglich sollte es Kontrollen geben. Das ist eine Aufgabe des Staates.
Ich sehe die Digitalisierung nicht als riesiges Übel, aber ich habe das Gefühl, sie könnte sich sehr schnell zu einem entwickeln. Wir können in unser eigenes Messer laufen. Wir werden zu gläsernen Menschen. Große Firmen wissen aufgrund unseres Suchverhaltens im Internet, was wir gerne essen, welche politische Partei wir unterstützen und auf welches Geschlecht wir stehen.
WAS WÜNSCHT DU DIR VON DER POLITIK?
WOVOR HAST DU ANGST?
Wir brauchen ein Ministerium für Digitalisierung. Alternativ müsste ein konkreter Austausch der Ministerien entstehen. Alle müssen im Bezug auf die Digitalisierung auf demselben Stand sein, auch damit den Menschen Online- Dienste wie in Italien angeboten werden können, die das Leben einfacher gestalten. Wenn ich mich in einer Stadt anmelde oder Wohngeld beantrage, möchte ich nicht fünf Mal zum Bürgeramt laufen müssen.
Ich habe Angst, dass ich durch die Digitalisierung meine motorischen Fähigkeiten verliere. Ich habe viele Kurznachrichten gelesen und es ist mir immer schwerer gefallen, mich auf längere Texte zu konzentrieren. Jetzt habe ich ein Klapphandy und seitdem fällt es mir auch wieder viel leichter, längere Texte und Bücher zu lesen. Ich habe Angst, dass ich in 15 Jahren nicht mehr ohne Smartphone bezahlen kann. Ich liebe meine Freiheit über alles und möchte sie nicht für die Digitalisierung hergeben – auch wenn ich dann zehn Sekunden schneller eine Pizza bestellen kann.
KATHARINA KRÖBEL HAT EINE GANZ ANDERE EINSTELLUNG ZUM THEMA DIGITALISIERUNG. FÜR SIE IST DIESE MIT VIELEN GEFAHREN VERBUNDEN. IHRER MEINUNG NACH SOLLTE DIE POLITIK INTERVENIEREN. BENIAMINO ZAPPIA
Foto: Juliane Reyle
DIGITALISIERUNG – WAS HEISST DAS FÜR DICH? Die Digitalisierung bildet ein ganz neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte. Sie bringt uns neue Chancen, sowohl in der Mobilität, in der Vernetzung und im Handel als auch in der Pflege. Die Risiken schätze ich als gering ein. Es ist wichtig, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen – auch die deutsche Politik muss anfangen, den Fokus auf Digitalisierung zu setzen.
Ja, es ist Zeit für digitale Bürgerportale. Wir brauchen eine zentrale Plattform, auf der alle Daten verwaltet werden können. Das funktioniert seit Jahren in Italien. Dort haben die Einwohner ein Dashboard mit Namen, Sozialversicherungsnummer und Steuernummer. Es wird die letzte Arbeitsstelle und der Verdienst eingetragen. Auch ein Umzug wird vermerkt. Das Portal wird sogar für die Steuererklärung genutzt. In Deutschland sind diese Funktionen alle getrennt. Es gibt beispielsweise die eine Website, um persönliche Daten zu verwalten und eine ganz andere, wenn man einen Strafzettel bekommt.
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WAS MUSS SICH ÄNDERN? Es muss mehr Vereine auf dem Land geben, in denen man sich engagieren kann. Wir Jugendlichen brauchen mehr Anstöße. Uns muss gesagt werden: „Ja, ihr könnt das machen und wir würden euch unterstützen.” Denn die Unterstützung von den Erwachsenen fehlt. Unsere Ideen werden ausgebremst und als Wichtigtuerei runtergemacht. Wenn ich Freunde frage, ob sie etwas mit mir auf die Beine stellen wollen, stoße ich häufig auf Ablehnung. Wir wissen von vornherein, dass wir gegen eine Wand fahren.
WAS SOLL DIE POLITIK TUN? Wir brauchen Fördertöpfe, die zugänglicher für Jugendliche sind. Es sollte Preisausschreibungen für Kulturprojekte geben, damit wir die Motivation bekommen, etwas zu machen. Wir wollen sehen, dass wir die Möglichkeiten haben, unsere Ideen umzusetzen und dass wir gefördert werden.
DENISE JÄKEL, 22 JAHRE ALT, HAT SEIT 2016 DIE ORGANISATION DES FESTIVALS „LAUT UND BUNT“ IN RATHENOW, BRANDENBURG, ÜBERNOMMEN. DAS FESTIVAL SETZT SICH FÜR WELTOFFENHEIT UND TOLERANZ UND GEGEN EXTREMISMUS UND FREMDENFEINDLICHKEIT EIN. AN DEM KOSTENLOSEN FESTIVAL NEHMEN JÄHRLICH RUND 1 000
SIEHST DU AUCH CHANCEN IN DER DIGITALISIERUNG?
LENA SABOKAT
Ja. Besonders die Kommunikation erleichtert die Digitalisierung enorm. Aber ich denke, die Digitalisierung sollte so beschränkt sein, dass sie uns wirklich weiterhilft.
STÖSST DU BEI DER PLANUNG DES FESTIVALS AN GRENZEN?
BIST DU BEI DER PLANUNG DES FESTIVALS AN GRENZEN GESTOSSEN?
Unsere Schule unterstützt unser Festival. Deswegen können wir nicht alle unsere Ideen umsetzen, da wir an rechtliche Vorgaben gebunden sind. Um das zu ändern, haben wir überlegt, eine ähnliche Veranstaltung außerhalb unserer Schule zu organisieren. Doch das ist nicht machbar.
Ich habe die Organisation im Jahr 2016 mit meinen Freunden übernommen, ohne zu wissen, wie man ein Festival organisiert. Das war schwierig. Es gibt viele Hindernisse, über die man ganz schnell stolpert, beispielsweise zu wenige Toiletten oder ein fehlendes Notstromaggregat.
WAS WÜNSCHST DU DIR VON DER POLITIK? Es sollte nicht nur darüber diskutiert werden, wie die Digitalisierung vonstatten geht, sondern darüber, ob wir eine Digitalisierung überhaupt brauchen und wollen. Foto: Juliane Reyle
DIE 17-JÄHRIGE LENA SABOKAT ORGANISIERT IN FÜRSTENFELDBRUCK DAS FESTIVAL „KULTUMULT“, BEI DEM KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER AUS DER REGION IHRE KUNSTWERKE AUSSTELLEN KÖNNEN. DORT KOMMEN ÜBER 700 SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER MIT ANDEREN INTERESSIERTEN ZUSAMMEN, UM GEMEINSAM ZU FEIERN.
Das finde ich absolut kritisch. Unsere Daten sind im Internet nicht sicher. Jetzt leben wir in einer Demokratie, aber das heißt nicht, dass unsere Daten nicht gegen uns verwendet werden können. Vielleicht muss ich irgendwann mehr für meine Krankenversicherung bezahlen, weil ich im Internet preisgegeben habe, dass ich Raucher bin. Es gibt Staaten wie beispielsweise China, in denen es schon eine ähnliche Überwachung gibt.
Bei allen Dingen, die uns keinen Nutzen bringen. Wieso sollte ich im Internet preisgeben, dass ich lange geschlafen habe? Das sind Daten, die wir unnötig preisgeben und die große Konzerne nutzen können.
KATHARINA KRÖBEL
VIELE JUGENDLICHE FORDERN MEHR UNTERSTÜTZUNG BEI DER PLANUNG VON JUNGEN, KULTURELLEN PROJEKTEN AUF DEM LAND. ZOE BUNJE HAT DARÜBER MIT ZWEI JUNGEN ERWACHSENEN GESPROCHEN, DIE FESTIVALS IN IHREM HEIMATORT ORGANISIEREN.
WIE STEHST DU ZU DEM GEDANKEN EINES DIGITALEN BÜRGERBÜROS?
WO ZIEHST DU DIE GRENZE BEI DER DIGITALISIERUNG?
GIBT ES KONKRETE KONZEPTE, DIE DU UNTERSTÜTZT?
LAUT, BUNT, JUNG: FESTIVALPLANUNG IST NICHT IMMER EINFACH
Foto: Juliane Reyle
WORAN LIEGT DAS? Bei uns gibt es nur wenige Räume für Veranstaltungen – und die sind ausgebucht. Es gibt ein bis zwei Dorfdiscos, das war es. Außerdem ist es wirklich schwierig, von der Politik gefördert zu werden. „Kultumult“ finanzieren wir über Fördergelder von Wirtschaftsunternehmen, denn unser Stadtjugendrat hat nicht viel Geld zur Verfügung. Wir werden von jeder Seite ausgebremst.
MENSCHEN TEIL.
DENISE JÄKEL
Foto: Juliane Reyle
eine Brandschutzverordnung ist. Und sie haben uns geholfen, Fördergelder zu beantragen. Denn auch das ist für Jugendliche sehr schwierig.
WIESO IST DIE UNTERSTÜTZUNG SO GROSS? Das hat viel damit zu tun, dass es das „Laut und Bunt“ schon so lange gibt. Davor gab es das „Havellaut“- Festival, das einen ähnlichen politischen Hintergrund hatte. Der Anklang in der Region ist groß. Es gibt rechte Politiker, die die Finanzierung infrage stellen. Das liegt nicht an dem Festival selbst, sondern an dem politischen Grundgedanken, den wir vertreten.
WAS MUSS SICH NOCH ÄNDERN? Die Politik muss anfangen, mit den Jugendlichen zu sprechen. In Brandenburg gibt es seit Anfang des Jahres ein neues Gesetz. Jugendliche sollten an Thematiken, die sie betreffen, beteiligt werden. Das ist ein erster Schritt, stellt aber auch alle Kommunen im Raum Brandenburg vor das Problem: Wie machen wir das mit der Jugendbeteiligung? Die Politik muss Jugendliche einbeziehen – in Bezug auf Mobilität, Schule oder Kultur. Das ist schwierig, aber wichtig. Wenn ich etwas für Jugendliche tue, muss ich erst einmal überlegen, wie ich mit ihnen ins Gespräch komme.
WIESO HAT ES TROTZDEM GEKLAPPT? 2016 gab es das Festival schon elf Jahre. Die Stadtverwaltung und die Jugendkoordination stehen hinter dem Festival und haben es uns wirklich einfach gemacht. Wir hatten Unterstützung von Sozialarbeitenden, Jugendkoordinierenden oder Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern der Stadt. Die sind unsere Ideen gemeinsam mit uns angegangen. Sie konnten uns auch erklären, wie die Gesetzeslage aussieht und was beispielsweise
Zoe Bunje … 19, Wilhelmshaven ... hat schon einmal probiert eine Maus wieder zu beleben. Hat nicht geklappt.
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“JEDER SCHNIPSEL BEWEGT DAS BILD”
FR I SC H, FR UC HTI G, SELBSTGEPR ESST – MI T M AC H EN @ PO L I TI KO RAN GE. D E
I M PRESSU M Diese Ausgabe von politikorange entstand während der JugendPolitikTage in Berlin 2019, die vom 10. bis 12. Mai in Berlin stattfanden.
FÜR ELLEN JUNGER IST KUNST DER WEG, SICH POLITISCH ZU ENGAGIEREN. SIE IST MIT „STRÖMUNGEN“ EINE DER PREISTRAGENDEN BEIM KUNSTWETTBEWERB DER JUGENDPOLITIKTAGE. ZOE BUNJE HAT SIE GETROFFEN UND HERAUSGEFUNDEN WAS DIE BOTSCHAFT DES KUNSTWERKS IST.
Herausgeber und Redaktion: politikorange Netzwerk Demokratieoffensive, c/o Jugendpresse Deutschland e.V., Wöhlertstraße 18, 10115 Berlin, www.politikorange.de Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Jule Zentek
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rintmagazine, Blog und Videos: politikorange erreicht sein Publikum über viele Kanäle und steht neuen Wegen offen gegenüber. Junge, kreative Köpfe berichten in wechselnden Redaktionsteams aus einer frischen Perspektive. Ob aktuelle Themen aus Politik und Gesellschaft oder die kritische Begleitung von Veranstaltungen – politikorange ist mittendrin.
POLITIKORANGE – DAS MULTIMEDIUM politikorange wurde 2002 als Veranstaltungszeitung ins Leben gerufen. Rund 130 Ausgaben wurden seither produziert. Seit Anfang an gehören Kongresse, Festivals, Parteitage und Events zum Programm. 2004 kamen Themenhefte hinzu, die aktuelle Fragen aus einer jugendlichen Sichtweise betrachten. 2009 nahm politikorange Video und Blog ins Portfolio auf und präsentiert spannende Beiträge unter den Labels politikorange TV und blog.politikorange.de.
WO KANN ICH POLITIKORANGE LESEN? Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen und über die Landesverbände der Jugendpresse Deutschland e.V. verteilt. Im Online-Archiv auf politikorange.de können digitalisierte Magazine durchgeblättert und Videos aufgerufen werden. Printausgaben können kostenlos nachbestellt werden – natürlich nur, solange der Vorrat reicht. Für das Stöbern auf dem Blog genügt der Aufruf von blog.politikorange.de.
WARUM EIGENTLICH POLITIKORANGE? Welchen Blick haben Jugendliche auf Politik und gesellschaftliche Veränderungen? politikorange bietet jungen Menschen zwischen 16 und 26 Jahren eine Plattform für Meinungsaustausch und den Ausbau eigener Fähigkeiten. Engagement und Begeisterung sind die Grundpfeiler für journalistisch an-
spruchsvolle Ergebnisse aus jugendlicher Perspektive. Frei nach dem Motto: frisch, fruchtig, selbstgepresst.
WER MACHT POLITIKORANGE? Junge JournalistInnen – sie recherchieren, berichten und kommentieren. Wer neugierig und engagiert in Richtung Journalismus gehen will, ist bei politikorange an der richtigen Adresse. Genauso willkommen sind begeisterte FotografInnen, VideoredakteurInnen und kreative Köpfe fürs Layout. politikorange funktioniert als Lehrredaktion: Die Teilnahme ist kostenlos und wird für jede Ausgabe neu ausgeschrieben – der Einstieg ist damit ganz einfach. Den Rahmen für Organisation und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland. Du willst dabei sein? Infos zum Mitmachen gibt es unter politikorange.de, in unserem Newsletter und via Facebook und Twitter. mitmachen@politikorange.de
Chefin vom Dienst Samira El Hattab Chef vom Dienst Leander Löwe Redaktionsleitung: Maxi Köhler Pauline Deichelmann Redaktion: Raphael Fröhlich, Leonie Ziem, Ilya Portnoy, Lina von Wedel, Evindar Gürel, Camilla Pahmeyer, Niklas Hinzpeter, Larissa Menne, Lilian Sekkai, Leonie Theiding, Hannah Wolter, Amelie Bayer, Heba Alkadri, Zoe Bunje Layout: Alisa Sawchuk Bildredaktion: Sascha Kemper Christopher Folz Juliane Reyle Redaktionsleitung Video: Niklas Thoms Redaktion Video: Tim Tula Hartl, Aylin Lehnert, Levi Kirtschig, Felix Dorn Cuttende: Marco Feldmann Julia Fedlmeier
„VON WEITEM SIEHT MEIN KUNSTWERK ETWAS GRAU AUS – WIE AUCH DIE POLITIK“, BESCHREIBT ELLEN IHR KUNSTWERK.
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unst muss aufrütteln, provozieren, sich Aufmerksamkeit nehmen“, sagt Ellen Junger. Sie ist 24 Jahre alt und studiert BWL an der Uni Potsdam. Für den Kunstwettbewerb der JugendPolitikTage hat sie ihr Werk „Strömungen“ eingereicht. Sie zählt zu den sieben Gewinnerinnen und Gewinnern des Kunstwettbewerbs. Das Kunstwerk besteht aus Tausenden Schnipseln, die Ellen auf einer Leinwand angeordnet hat. „Die Schnipsel sind Abfälle der Fotodruckmaschinen aus Drogeriemärkten“, erklärt Ellen. Sie trägt ihre Haare kurz und lächelt, während sie ihr Kunstwerk an der gegenüberliegenden Wand beschreibt. Dass die anderen Teilnehmenden ihr Kunstwerk sehen und darüber diskutieren, macht sie stolz. Für Ellen ist Kunst die Möglichkeit, sich politisch auszudrücken. Ihre eigene Art, sich zu engagieren.
KUNST IST MEINUNG Ellen hat durch Zufall gesehen, wie eine der Abfallboxen der Fotodruckmaschinen geleert wurde und gefragt, ob sie die
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Schnipsel mitnehmen könnte. „Für ein Kunstprojekt.” Dabei wusste sie damals selbst noch nicht genau, was es werden sollte. „Ich fand es spannend, etwas so Privates wie Foto-Reste von Menschen zu haben, die ich gar nicht kenne.“ Bevor sie mit dem Kunstwerk anfangen konnte, musste sie genügend Material sammeln und fragte in verschiedenen Drogeriemärkten nach weiteren Schnipseln. In den Abfallboxen der Drogeriemärkte liegen pro Woche vielleicht 100 Schnipsel, schätzt Ellen. Für ihr Kunstwerk habe sie mindestens 2.000 Schnipsel gebraucht. Zunächst sortierte sie die Schnipsel nach Farbe, Größe und Form. Ellen hebt ihre Hände, während sie von ihrer künstlerischen Arbeit erzählt. Sie hält einen der Schnipsel in der Hand und betrachtet ihn. „Ich habe mich zuerst mit den einzelnen Schnipseln auseinandergesetzt, viele Schnipsel aussortiert.“ Dann fing sie an zu kleben. Bei ihren ersten Versuchen klebte sie Schnipsel mit Flüssigkleber auf bunte Postkarten, um so ein Gefühl für die Farben der Schnipsel zu bekommen. Erst dann folgte die Leinwand. Dabei begann sie immer an einer
Ecke der Leinwand, niemals in der Mitte. Von dort arbeitete sie sich vor. Ein genaues Konzept habe sie bei ihren Kunstwerken nicht gehabt. Kunst brauche bei Ellen Zeit. „An meinem Kunstwerk für die JugendPolitikTage habe ich Monate gearbeitet“, sagt sie. Als sie von Freunden von dem Kunstwettbewerb der JugendPolitikTage erfuhr, hatte sie schon mit der Arbeit an der Leinwand begonnen. Das Thema passte Ellen: Sie sieht „Szenen der Beteiligung“ im Aufeinandertreffen der Schnipsel.
Redaktionsleitung Online: Henri Maiworm
Foto: Christopher Folz
Redaktion Online: Carolin Schneider, Lena Radmer, Vincent Kretschmer Calderón
passiert und wie viele verschiedene Menschen Teil des Ganzen sind.” Kunst ist für Ellen ein Ausgleich zum Studium, aber trotzdem auch anstrengend. „Ich bin nach zwei Stunden Kunst so erschöpft, wie nach einem Tag körperlicher Arbeit.“ Deswegen arbeite sie langsam. Immer ein Schnipsel nach dem anderen und nur wenige am Tag. Bei ihrem Kunstwerk für die JugendPolitikTage ließ sie bewusst ein paar Ecken der Leinwand leer. „Es gibt immer Möglichkeiten sich der Politik anzuschließen und mitzumachen.“
Teamender: Dominik Glandort Projektbetreuender Vorstand: Jonas Gebauer Projektteam Dennis Beltchikov Nina Heinrich Felicitas Montag Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH Auflage: 15 000 Exemplare
SO VIELE SCHNIPSEL WIE MEINUNGEN Die Schnipsel stehen laut Ellen für Menschen, die sie mit ihrer Kunst zusammenbringt. Die verschiedenen Schnipsel ordnen sich in ihrem Bild in Strömungen ein – so wie Menschen mit ähnlicher politischer Meinung. Dennoch habe jedes Individuum einen Einfluss, jeder Schnipsel bewege das Bild. „Von Weitem sieht mein Kunstwerk etwas grau aus – wie auch die Politik”, sagt Ellen. „Aber wenn man genau hinschaue, sehe man, wie viel
Wir danken dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die finanzielle Förderung der JugendPolitikTage 2019.
Zoe Bunje … 19, Wilhelmshaven ... bellt beim Schlafen manchmal wie ein Hund.
Foto: Annkathrin Weis
Foto: Annkathrin Weis