politikorange Pressefreiheit

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PRESSEFREIHEIT DEZEMBER 2018

SONDERAUSGABE DES UNABHÄNGIGEN MAGAZINS DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND E.V.


Bild, Titelbild: Kurt Sauer

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SCHLEICHENDER VERFALL

NICHT NUR IN KRIEGSGEBIETEN LEBEN JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN GEFÄHRLICH. AUCH IN DEMOKRATISCHEN STAATEN WERDEN SIE IN IHRER ARBEIT IMMER HÄUFIGER EINGESCHRÄNKT. ABER WIE SIEHT DIE LAGE AUS? CHRISTINA HEUSCHEN BERICHTET.

IM FOKUS: DIE PRESSEFREIHEIT IN DEUTSCHLAND

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n Hamburg ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Oliver Schröm, den Chefredakteur des Recherchezentrums „Correctiv”, weil er Banker angestiftet habe, Bankengeheimnisse zu verraten. Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten haben bereits einen offenen Brief an die Justizministerin Katarina Barley und den Finanzminister Olaf Scholz geschrieben. Sie fordern, dass sich die Strafverfolgung auf den Steuerskandal konzentrieren solle und die Ermittlungen gegen Schröm eingestellt werden. Weltweit sieht es nicht besser aus. „Die Zahlen der Reporter ohne Grenzen-Jahresbilanz zeigen, dass nach wie vor bewaffnete Konflikte die größte Gefahr für Journalisten weltweit sind. Dass aber zugleich so viele Journalisten außerhalb von Kriegsregionen ermordet werden, ist ein erschreckendes Zeichen“, sagt der Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen, Michael Rediske, bei der Bekanntgabe der Bilanz. Viel zu oft könnten Täterinnen und Täter sowie Auftraggeberinnen und Auftraggeber damit rechnen, dass selbst Morde für sie folgenlos blieben. Die Staatengemeinschaft müsse endlich wirksame Mittel finden, Straflosigkeit überall auf der Welt zu beenden. In Mexiko wurden laut Reporter ohne Grenzen seit dem Jahr 2000 mehr als 80 Medienschaffende ermordet. Weitere seien entführt worden oder verschwunden. Viele von ihnen hatten über Drogenhandel, Korruption und die Verbindungen von Politik und organisiertem Verbrechen berichtet. In der Türkei wurden nach dem Putschversuch 2016 Journalistinnen und Journalisten verhaftet, Medienhäuser geschlossen und Presseausweise annuliert. In allen Fällen sprechen Journalistenverbände und Menschenrechtsorganisationen von einer Behinderung der Presse. Laut Reporter ohne Grenzen liegt Deutschland auf Platz 15 der Pressefreiheit, Mexiko auf Platz 147 und die Türkei auf Platz 157.

Bild: Annkathrin Weis

Auch wenn sich die Länder der sogenannten freien Welt weiterhin die vorderen Plätze teilen und hinten Länder wie Syrien, Turkmenistan, Eritrea oder Nordkorea liegen, hat sich eines entscheidend verändert: Während in letzteren Ländern Pressefreiheit kaum oder sogar nie Thema war, so scheint sie in demokratischen Ländern einzuschlafen.

EINSCHRÄNKUNGEN IN DEUTSCHLAND In Deutschland beispielsweise registrierte Reporter ohne Grenzen seit dem letzten Ranking eine hohe Zahl an tätlichen Übergriffen, Drohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Journalistinnen und Journalisten – insbesondere bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017. Auch das Anfang 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hassäußerungen in sozialen Medien sieht Reporter ohne Grenzen kritisch. Als aktuell größte Gefahr für die Pressefreiheit in Deutschland wertet der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Frank Überall, jedoch das systematische Vorgehen extremistischer Politikerinnen und Politiker gegen die freie Berichterstattung und die Versuche von Populistinnen und Populisten, die Glaubwürdigkeit unabhängiger Medien nachhaltig zu beschädigen. „Es ist die Aufgabe der Anständigen in unserem Land, den Feinden der Pressefreiheit die rote Karte zu zeigen.“

CORRECTIV ALS NEUER FALL Es scheint, dass die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten sowie die Behinderung der Presse nicht mehr nur autoritären Staaten und Diktaturen

vorbehalten ist. Auch vermeintlich demokratische Musterstaaten beschränken vermehrt die Freiheit der Medien. Gleichzeitig fallen die Länder, die sich als Vorreiter der Presse- und Meinungsfreiheit sehen, bei deren Schutz immer weiter zurück. So werden Journalistinnen und Journalisten häufiger überwacht und kontrolliert. Das Recht auf Pressefreiheit und Quellenschutz ist keineswegs unangreifbar, vermehrt arbeitet das Strafrecht gegen Journalistinnen und Journalisten. Das scheint auch im aktuellen Fall von „Correctiv“ so. „Die Staatsanwaltschaft Hamburg macht sich zum Handlanger einer wohl interessengeleiteten Schweizer Justiz: Investigative Journalisten und ihre Informanten aus der Bankenbranche sollen zum Schweigen gebracht werden“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes. Überall fordert Konsequenzen: „Der Bundestag muss bei der geplanten Gesetzesnovelle zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen die besondere Rolle der verfassungsmäßig garantierten Pressefreiheit erkennen und entsprechende verbindliche Schutzvorschriften festlegen.“

EDI TOR I A L Liebe Leserinnen und Leser, dass in Deutschland Pressefreiheit herrscht, scheint für die meisten Menschen selbstverständlich. Doch auch in demokratischen Staaten wie Deutschland kommt es immer wieder zu Zwischenfällen und fragwürdigen Entscheidungen. Weltweit sieht es nicht besser aus. Es steht schlecht um die Pressefreiheit. Immer wieder wird diese eingeschränkt, sobald sie politisch Verantwortlichen nicht mehr passt. Recherchen werden verhindert. Medienschaffende werden pauschal diffamiert, überwacht, bedroht oder gar getötet. Doch die Behinderung journalistischer Arbeit, die Überwachung und Bedrohung von Journalistinnen und Journalisten und die Zensur der Medien sind gefährlich. Denn sie stellen einen Angriff auf die Demokratie dar: Können Journalistinnen und Journalisten nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen, so können sie weder ihrer Kontrollfunktion nachkommen noch tragen sie zur Meinungsbildung bei. Aber was ist Pressefreiheit überhaupt? Und was ist erlaubt? Die Redaktion der Yalla Media Akademie, ein Projekt der Jugendpresse Deutschlands und des Vereins Eed Be Eed, hat sich bei den Jugendmedientagen 2018 mit dem Thema auseinandergesetzt. Außerdem waren zwei Reporter am Tag der Pressefreiheit 2018 mit einem Plakatbike des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger in Berlin unterwegs. In dieser Sonderausgabe von politikorange könnt ihr lesen, wie sich die Pressefreiheit in Deutschland entwickelt hat und was es für Hindernisse gibt. Vor allem werdet ihr auch erfahren, wie Menschen damit umgehen. Wir hoffen, dass wir so einen kleinen Beitrag geleistet haben und zeigen konnten, wie wichtig Pressefreiheit ist. Viel Spaß beim Lesen! Christina Heuschen (Chefredakteurin)

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»Zäsur« Von der Spiegel-Affäre bis zum Pressekodex. Seite 4

»Ziele« Franziska Görner spricht über Forderungen von Reporter ohne Grenzen Seite 6

»Zensur« Christina Heuschen 31, Berlin

Wie eine syrische Zeitschrift im Untergrund produziert wurde. Seite 11

… sieht es kritisch, dass Medienmachende vermehrt um Pressefreiheit kämpfen müssen, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzugehen.

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MEILENSTEINE FÜR DIE PRESSEFREIHEIT

JEDER HAT DAS RECHT IHRE ODER SEINE MEINUNG FREI ZU ÄUSSERN UND ZU VERBREITEN. SO STEHT ES IM GRUNDGESETZ. DOCH DAS WAR NICHT IMMER SO. ZOE BUNJE BERICHTET VON DEN KÄMPFEN FÜR DIE PRESSEFREIHEIT.

CAROLYN PLIQUET VON DER DEKRA HOCHSCHULE IN IHREM WORKSHOP BEI DEN JUGENDMEDIENTAGEN

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olizei im Haus! Hausdurchsuchung!“, ruft der Pförtner durch die Freisprechanlage des Pressehauses in Hamburg. Robert Spiering muss den Ruf des Pförtners gehört haben. Aus einer Ahnung heraus versteckt der Journalist das Manuskript des Berichts „Bedingt abwehrbereit“, der zwei Wochen zuvor im „Spiegel“ erschienen war. Kurze Zeit später wird die Redaktion von den Polizisten geräumt. Dieser Vorfall wird später als entscheidendes Ereignis in der Entwicklung der Pressefreiheit in Deutschland begriffen werden. „Bedingt abwehrbereit“ hatte zuvor den deutschen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß entblößt: Deutschland könne einen möglichen Angriff der Sowjetunion nicht abwehren. „Deswegen versprach sich die Staatsmacht, dass die Informanten im Manuskript vermerkt waren“, erläutert Heinz Egleder. In seiner langjährigen Arbeit beim Spiegel hat der Journalist persönlich mit allen Zeitzeugen des Vorfalls am Abend des 26. Oktobers 1962 gesprochen. Im Auftrag der Bundesanwaltschaft durchsuchten damals Kriminalbeamte die Redaktionsräume des Spiegels in Hamburg und Bonn. Es wurden mehrere Journalisten des Landesverrats beschuldigt und festgenommen. Das von Robert Spiering versteckte Manuskript fanden sie nicht.

„SPIEGEL-AFFÄRE“ NUR EIN ANFANG Es soll dieser Abend sein, der als Beginn der „Spiegel-Affäre“ in die Geschichte eingehen wird. Die Öffentlichkeit wurde auf das Handeln der Regierung aufmerksam. In den darauffolgenden Wochen

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begannen sich Medien und Studierende mit dem Nachrichtenmagazin zu solidarisieren. Auch unterschiedliche Zeitungen unterstützen den Spiegel. Protestierende fordern mit den Worten: „Augstein raus, Strauß rein!“ die Freilassung der festgenommenen Journalisten. Die „SpiegelAffäre“ wird zu einem Meilenstein für die deutsche Pressefreiheit. Sie ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer gesetzlich verankerten Pressefreiheit in Deutschland. „Letztendlich hat die Spiegel-Affäre den Obrigkeitsstaat beendet. Und wenn junge Menschen heute ein ganz anderes, gutes, demokratisches Grundwertesystem haben, ist das 1962 neu erkämpft worden“, bewertet Egleder den auf die Proteste folgenden Umschwung: Der für die Verhaftung verantwortliche Verteidigungsminister Strauß wurde seines Amtes enthoben, die festgenommenen Journalisten kamen frei. „Es ist das erste Mal, dass echte Demokratie stattgefunden hat“, sagt Egleder. 1966 legt das Bundesverfassungsgericht als Nachwirkung der Ereignisse von 1962 die Wichtigkeit der freien Presse für den Staat fest: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“ Mit dem Inkrafttreten des fünften Artikels des Grundgesetzes reiht sich Deutschland in die Liste der Länder ein, in denen die Pressefreiheit gesetzlich gesichert ist. Dennoch wiederholte sich ein ähnliches Ereignis im Jahre 2005. Bei der sogenannten Cicero-Affäre kam es zu einer Durchsuchung der Redaktion des politischen Magazins Cicero – aufgrund des Verdachts des Geheimnisverrats. Ursache war ein Bericht über den

Terroristen Abu Mussab Al Sarkawi auf Grundlage eines BKA-Berichts. 2007 beurteilte das Bundesverfassungsgericht die Durchsuchung als verfassungswidrig und setzte damit ein Symbol für eine freie deutsche Presse.

PRESSEKODEX ALS QUALITÄTSKRITERIUM Das sind nicht die einzigen Meilensteine für die deutsche Pressefreiheit: Auch die seit 1949 existierende Bundespressekonferenz sei ein wichtiger Meilenstein für die deutsche Pressefreiheit, erklären Carolyn Pliquet und Professor Michael Beuthner von der Berliner DEKRA Hochschule für Medien. Für sie ist besonders bemerkenswert, dass die Politikerinnen und Politiker bei der Bundespressekonferenz von den Journalistinnen und Journalisten eingeladen werden. Die Bundespressekonferenz ist eine Vereinigung von Journalistinnen und Journalisten. Gemeinsames Ziel ist es, durch Pressekonferenzen möglichst schnell an objektive Informationen zu kommen. Als einen weiteren Meilenstein der deutschen Pressefreiheit sehen sie auch das Informationsfreiheitsgesetz von 2006: Es legt fest, dass jedem der Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden gewährleistet sein muss. Auch der Pressekodex soll in Deutschland einen freien und qualitativ hochwertigen Journalismus gewährleisten. So legt er beispielsweise die journalistische Sorgfalts- und Wahrhaftigkeitspflicht fest. Doch Beuthner unterstreicht auch, dass die bereits erklommenen Meilensteine nicht das Ende des Kampfes

Bild: Annkathrin Weis

um die Pressefreiheit sind: „Besonders in Zeiten des Webs 2.0 stehen wir als Journalisten im Rahmen der Pressefreiheit immer neuen Herausforderungen gegenüber.“ Große Unternehmen wie Facebook und Google würden auf ihren Portalen so genannte Echokammern erzeugen: Sie würden den Nutzerinnen und Nutzern immer nur Inhalte zeigen, die ihren vorher konsumierten Inhalten ähneln. So werde die Vielfältigkeit von Information und damit auch die Freiheit der Presse eingeschränkt. Meilensteine wie die Spiegel-Affäre zeigen deutlich, dass nicht nur journalistische Berichterstattung sondern auch die Bevölkerung aktiv das Handeln der Regierung hinterfragen sollte. Nur durch eine aktive Anteilnahme an der Politik können falsches Handeln aufgedeckt – und wie im Jahre 1962 – für tatsächliche Verbesserungen gesorgt werden.

Zoe Bunje 19, Wilhelmshafen … findet, dass der Kampf um Pressefreiheit noch nicht vorbei ist.


ZWISCHEN KLICKZWANG UND WEISSEN FLECKEN

OB KORRUPTION, ÖKONOMISCHE ZWÄNGE ODER HATE SPEECH: JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN SIND TAGTÄGLICH MIT GANZ UNTERSCHIEDLICHEN SCHWIERIGKEITEN KONFRONTIERT. BEI DEN JUGENDMEDIENTAGEN IN BREMEN DISKUTIERTEN MENSCHEN, DIE ES WISSEN MÜSSEN. ANNICK GOERGEN HAT MITGESCHRIEBEN.

AUF DEM PODIUM: GEMMA PÖRZGEN, ANGELIQUE GERAY, MARKUS BICKEL UND LUTZ KINKEL (VON LINKS)

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erade Kollegen, die im Ausland und in Krisengebieten arbeiten, werden nicht mehr adäquat bezahlt“, kritisiert Gemma Pörzgen von Reporter ohne Grenzen die derzeitigen Arbeitsbedingungen für Journalisten und Journalistinnen. Es mangele an Festanstellungen, sagt die Journalistin. Nur Medienschaffende, die vor Ort leben, könnten über die tagtäglichen Missstände der jeweiligen Region berichten. Wenn es jedoch beispielsweise nur einen Auslandskorrespondenten oder eine Auslandskorrespondentin für ganz Zentralafrika gebe, werde die Berichterstattung merklich an Substanz und Qualität verlieren. Die Folge? Weiße Flecken in der Berichterstattung.

KORRUPTION ALS GRÖSSTES PROBLEM Lutz Kinkel vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit geht sogar weiter: „Das größte Problem ist die Korruption. Möchte ich in einem korrupten Staat über eben diesen recherchieren, schützt mich niemand mehr. Nicht mal mehr die Polizei.” Auf diesem Weg werde eine gute Recherche und eine umfangreiche Berichterstattung verhindert. Die eigentliche Aufgabe der Presse, nämlich das Aufklären von Missständen, könne somit nicht erfüllt werden. Es sei denn, dass die Berichtenden sich selbst in Gefahr begeben. „Das war auch der Fall bei Daphne Caruana Galizia in Malta und bei Ján Kuciak in der Slowakei. Beide wur-

den demonstrativ exekutiert“, sagt Kinkel. So berichtete Kuciak über Verbindungen zwischen Regierungsparteien und organisierter Kriminalität, Galizia über die mögliche Korruption des Premierministers in Malta. Ziel dieser Morde sei es gewesen, eine deutliche Botschaft zu senden: Lasst die Finger von unseren Geschäften.

DAS INTERNET: FLUCH UND SEGEN?

formen vermarkten lässt, „sollte kein Argument sein, nicht über ein Thema zu berichten”, sagt auch Angelique Geray von der Axel Springer Akademie. Dennoch konsumieren und beziehen immer mehr Menschen ihre Nachrichten über die Sozialen Netzwerke. „Wir müssen uns wieder auf unsere ursprüngliche Rolle als Gatekeeper besinnen. Auch wenn Social Media uns diese Arbeit nicht unbedingt leichtmacht”, sagt Geray. In der Vergangenheit seien Journalistinnen und Journalisten meist die wichtigsten Vermittlerinnen und Vermittler zwischen den zwei Fronten gewesen: die der Wissenden und die der zu informierenden Menschen.

Doch nicht nur die Berichterstattung aus dem Ausland bereitet den Medienmachenden Sorgen. Der ökonomische Druck, der auf jedem Journalisten und jeder Journalistin lastet, ist ein großes Thema der Medienlandschaft. Immer mehr Zeitungen beklagen niedrigere Auf- JEDER KANN SEINE MEINUNG lagen und somit auch deutlich geringere ÄUSSERN Einnahmen. Während sich Journalisten und Journalistinnen früher unter Um- Auch heute liege es in ihren Händen, ständen weniger Gedanken um die Inte- welche Themen behandelt würden und ressen ihrer Lesenden machen mussten, mit welcher Gewichtung man sich dieser um ihre Zeitung zu verkaufen, müssen Themen innerhalb des eigenen Mediums sie heute viel schneller Nachrichten ver- widmen wolle. Doch im Zeitalter des öffentlichen. Kinkel glaubt jedoch, dass Internets kann jeder seine Meinung äudiese Schnelllebigkeit ebenfalls ihren ßern und auf Gehör stoßen. Geray sieht Preis fordere. Wer in kürzester Zeit viele in dieser Freiheit sowohl Fluch als auch Artikel schreiben müsse, habe notge- Segen, denn obwohl eine funktionierendrungen weniger Zeit für Recherche und de Demokratie von der Partizipation ihVorbereitung. Gleichzeitig gelte es immer rer Mitbürger und Mitbürgerinnen lebe, öfter, klickbare Artikel zu publizieren, wird es für die Rezipierenden immer die online auf große Resonanz stoßen. schwieriger, zwischen Meinungen und Für Gemma Pörzgen und Lutz Kinkel Fakten zu unterscheiden. Markus Bickel ist die Situation alles andere als optimal. vom Amnesty Journal behauptet sogar: Wie gut sich das Thema auf Online-Platt- „Die Idee vom Web 2.0, die die Demo-

Bild: Kurt Sauer

kratie näher an den Bürger bringen soll, ist gescheitert.” Er berichtet von einem vermehrten Aufkommen von Hate Speech und Beschimpfungen online. „Journalisten werden als ­Feindbild a­ufgebaut”, sagt Kinkel. ­­Dies führe dazu, dass Journalistinnen und Journalisten immer öfter mit Gewalt konfrontiert würden. „Wir müssen im Netz lernen, neu miteinander zu kommunizieren. Dafür sind SocialMedia-affine Redakteure unabdinglich“, sagt Pörzgen. Bickel stimmt dem zu. Er glaubt, dass soziales Konfliktmanagement daher zum zukünftigen Berufsbild des Journalismus gehört. „Für den direkten Dialog ist es wichtig, dass die Lesenden ein Gesicht zur Geschichte haben”, sagt Geray.

Annick Goergen 26, Köln … ist der Meinung, dass Pressefreiheit und Presseethik für eine funktionierende Berichterstattung Hand in Hand gehen müssen.

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Z UR PERS O N FRAN Z IS K A GÖR NER ist seit Anfang 2018 Referentin der Geschäftsführung bei Reporter ohne Grenzen. Davor hat sie viele Jahre bei der Jugendpresse Deutschland gearbeitet. Außerdem ist sie ausgebildete Mediatorin und interkulturelle Trainerin. An der Viadrina in Frankfurt (Oder) hat sie Kulturwissenschaften und an der Humboldt Universität zu Berlin Erwachsenenpädagogik studiert. Längere Auslandsaufenthalte und Reisen in die USA, Mexiko, Guatemala und Kuba haben ihr Interesse für die nord- und mittelamerikanische Region geprägt.

Bild: Nour Alabras

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»DANN MACHT UNSERE ARBEIT WIRKLICH SINN« GEFECHTE AN VIELEN FRONTEN IM INTERVIEW SPRICHT FRANZISKA GÖRNER VON REPORTER OHNE GRENZEN MIT QASIM ALQASIM ÜBER DEN KAMPF FÜR DIE PRESSEFREIHEIT, DIE SITUATION VON JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN SOWIE ÜBERWACHUNGSTECHNOLOGIEN.

FRAU GÖRNER, AUSLANDSAUFENTHALTE FÜHRTEN SIE UNTER ANDEREM NACH KUBA, MEXIKO UND GUATEMALA. WIE BEWERTEN SIE DIE PRESSEFREIHEIT IN DIESEN LÄNDERN? Ganz explizit kann ich etwas zu Mexiko sagen, weil ich da zwei Jahre gelebt habe. Wenn man Staaten wie Syrien, in denen derzeit Krieg herrscht, einmal ausklammert, ist Mexiko tatsächlich das gefährlichste Land, obwohl es eigentlich eine Demokratie ist. Diese Bewertung hat etwas damit zu tun, dass dort im Vergleich die meisten Journalisten ermordet werden. Es herrscht ein Krieg der Drogenkartelle im Hintergrund, in den Politik, Verwaltung und Polizei involviert sind. Journalisten geraten von mehreren Seiten ins Gefecht. Wenn sie über Korruption berichten, dann kriegen sie nicht nur Gegenwind von den Drogenkartellen selbst, sondern auch von Politikern und der Polizei. Sie können eigentlich niemandem vertrauen. Und sie werden von niemandem beschützt.

REPORTER OHNE GRENZEN MACHT WELTWEIT AUF DIE SITUATION VON JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN AUFMERKSAM. DEUTSCHE FIRMEN PRODUZIEREN ÜBERWACHUNGSTECHNOLOGIEN, MIT DER IN ANDEREN LÄNDERN JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN OBSERVIERT WERDEN. WIE BEURTEILEN SIE DAS? Wir sehen das total kritisch. Wir wissen, dass Deutschland dasjenige Land in der EU ist, das die meisten Güter mit doppelter Verwendung exportiert. Ich erkläre es mal so: Ein Messer kann zum Tomatenschneiden verwendet werden – oder um jemanden umzubringen. Und so ist das allgemein bei sogenannten Dual-Use-Gütern. Da gibt es noch viel zu wenige Restriktionen. Die EU-Kommission hat 2016 einen Entwurf ins Parlament gegeben, mit dem eine Reform der entsprechenden Verordnung dazu angestrebt wird. Da hat Reporter ohne Grenzen ganz viele Vorschläge eingebracht. Wir fordern, dass die Unternehmen und die für die Ausfuhrkontrolle zuständigen Behörden den Export von Überwachungstechnologien transparenter dokumentieren müssen. Letztendlich hat das EU-Parlament noch bis Ende März 2019 Zeit, das Gesetz zu reformieren. Anschließend sind Europawahlen. Ansonsten haben wir wieder zwei Jahre lang kein Ergebnis, also bis 2021.

HELFEN DIE REGELN, DIE IM EU-PARLAMENT UND IN DER KOMMISSION BESPROCHEN WERDEN, BEI DER DURCHSETZUNG VON PRESSEFREIHEIT?

Wenn diese Reform wirklich durchkommt, also so, wie wir sie durchhaben wollen, dann auf jeden Fall. Dann gibt eine sogenannte „Catch-All“-Klausel, durch die Unternehmen in die Verantwortung genommen werden. Das heißt, sie müssen prüfen, ob die Produkte, die sie exportieren, in den Zielländern auch für die Überwachung von Journalisten verwendet werden können und dadurch ein Menschenrecht verletzen. Wenn man es ganz objektiv sieht, würden diese ganzen Produkte eigentlich nicht mehr exportiert werden dürfen. Denn mit ihnen könnte theoretisch immer ein Menschenrecht verletzt werden. Wenn herauskommen würde, dass Unternehmen zum Beispiel in die Türkei Technologien geliefert haben, die zur Überwachung von Journalisten eingesetzt werden, dann müssten sie nach dieser Reform mit Strafen rechnen. Im Moment besteht keine Kontrolle. Denn solche Technologien kommen so schnell auf den Markt, dass man gar nicht alles mitbekommt.

WIE VERHÄLT SICH REPORTER OHNE GRENZEN ZU DIESER PROBLEMATIK? Wir fordern zum Beispiel Transparenz. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle sollte auflisten, welche Güter wann und wohin transportiert wurden. Das passiert bisher nicht. Das Amt sagt, es habe dafür keine Kapazitäten, sie haben keine Mitarbeiter, wir sollen ihnen vertrauen, dass nichts genehmigt wird, was Menschenrechte verletzt. Aber am Anfang des Bürgerkriegs in Syrien hat zum Beispiel eine deutsch-arabische Firma eindeutig Überwachungstechnologie zur syrischen Regierung geliefert, die dann auch zur Überwachung genutzt wurde. Wir stehen dafür ein, dass die Öffentlichkeit darüber informiert wird.

WELCHE FÄLLE VON VERLETZUNGEN DER PRESSEFREIHEIT GAB ES IN DIESEM JAHR? Wir hatten einzelne Fälle. Es gibt zum Beispiel den Journalisten Shawkan, der seit fünf Jahren in Ägypten in Haft saß. Er hat für internationale Medien gearbeitet und Fotos von Demonstrationen in Ägypten gemacht, wo Leute gegen die Regierung auf die Straße gegangen sind. Er wurde vom Regime verhaftet und sitzt dafür im Gefängnis, dass er Fotos für die internationale Berichterstattung gemacht hat. Andere, die auch verhaftet wurden, kamen nach einem Tag wieder frei. Sie haben genau dasselbe gemacht wie er. Im Frühling 2018 wurde gegen ihn die Todesstrafe verhängt. Da ging ein großer Aufruf durch die Medien. Wir haben Kampagnen organisiert, wir haben mit Politikern gesprochen, und kürzlich ist er freigelassen worden. Dann macht unsere Arbeit wirklich Sinn.

WENN SIE ERGEBNISSE HABEN? Genau. Wenn wir Ergebnisse haben. Es gibt eine Rangliste, die wir veröffentlichen. Da hat 2018 keine Region in der Welt so schlecht abgeschnitten wie Europa. Dazu haben die Ermordungen von Daphne Caruana Galizia in Malta oder Ján Kuciak in der Slowakei beigetragen. In Europa wurden zwei Journalisten wegen ihrer Arbeit ermordet. Das ist schon krass, weil Europa ja immer dieses Vorzeigebeispiel in Fragen der Pressefreiheit ist. In Polen und Ungarn werden Mediengesetze erlassen, die eindeutig gegen die Pressefreiheit gehen.

WAS HILFT JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN IN DER PRAXIS, UM FÜR MEHR PRESSEFREIHEIT ZU KÄMPFEN? Das kann man nicht so allgemein beantworten, weil es davon abhängt, wo man arbeitet. Wenn wir uns zwischen einem Journalisten entscheiden sollen, dem in Deutschland die Kamera weggenommen wurde und einem, dem in einem irakischen Gefängnis Misshandlungen und die Todesstrafe drohen, dann würden wir uns eher für den Journalisten im Irak einsetzen. Denn in Deutschland gibt es genügend Organisationen, die sich kümmern. Wir schauen auch in Regionen, wo niemand hinschaut. Da gibt es ja genug auf der Welt. In diesen Regionen ist es sehr wichtig und wird zunehmend wichtiger, dass die Journalisten verschlüsselt telefonieren und digital kommunizieren. Ich persönlich – ich habe auch Familie – wenn ich dort Journalistin wäre und mein Mann und meine Kinder täglich bedroht würden – ich denke nicht, dass ich wirklich den Mut hätte, weiterzumachen.

ICH KÖNNTE DAS AUCH NICHT MACHEN. Ja. Hut ab vor den Journalisten, die das einfach machen. Und da kann man nicht genug tun, um sie zu unterstützen. Das ist sehr wichtig. Und so lange es diese Menschen noch gibt, so lange lebt auch die Pressefreiheit.

Qasim Alqasim 28, Bremen ... findet, dass Pressefreiheit der Sauerstoff des Journalismus ist.

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F R E E D O M OF THE PRES

Reporter ohne Grenzen e.V. www.reporter-ohne-grenzen.de Spendenkonto: IBAN DE93 1002 0500 0003 2054 00 BIC BFSWDE33BER Bank für Sozialwirtschaft © Reporters sans frontières

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Quelle: Reporter ohne Grenzen / www.reporter-ohne-grenzen.de

SS WORLDWIDE IN 2018

Gute Lage Good situation Zufriedenstellende Lage Satisfactory situation Erkennbare Probleme Noticeable problems Schwierige Lage Difficult situation Sehr ernste Lage Very serious situation

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PRESSEFREIHEIT FÄLLT NICHT VOM HIMMEL

VON ZENSIERTEN ARTIKELN BIS HIN ZUR VERBOTENEN DISTRIBUTION: WELTWEIT WIRD DIE PRESSEFREIHEIT EINGESCHRÄNKT. AUCH IN DEUTSCHLAND. PRESSEFREIHEIT IST NICHT SELBSTVERSTÄNDLICH. WAS ABER HABEN SCHÜLERZEITUNGEN DAMIT ZU TUN? HEBA ALKADRI BERICHTET.

HOFFNUNG DES JOURNALISMUS: NACHWUCHSMEDIENSCHAFFENDE BEIM SCHÜLERZEITUNGSWETTBEWERB DER LÄNDER 2018

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gal ob sie unterhalten oder informie- Nachdenken, Nachahmen und Erfahren: Schülerzeitungen gehören zum rung. Durch das Nachahmen der LehrSchulalltag dazu. Wer wissen möchte, kräfte und das eigene Handeln lernen die was Schülerinnen und Schüler denken, Schülerinnen und Schüler. Der Soziologe der muss nur eine lesen. „Eine Schüler- Richard Paluch stimmt dem zu. „Freiheit zeitung ist genau der Ort, an dem sich und Würde sind keine menschlichen Eidie jungen Menschen ausprobieren und genschaften, die zu jeder Zeit da sind. Sie gleichzeitig der (Schul-)Gesellschaft zei- müssen vielmehr gesellschaftlich institugen können, was sie gerade bewegt“, sagt tionalisiert und durch Erziehung gelernt Martin Winter. Für den Bundesvorsitzen- werden, damit sie Relevanz haben und den der Jugendpresse Deutschland ist verteidigt werden können.“ eine Schülerzeitungsredaktion immer das Sprachrohr aller Schülerinnen und Schü- DIE SCHÜLERZEITUNG ALS ler. Er glaubt, dass Schülerzeitungen da- DEMOKRATIEPLATTFORM mit auch zur Meinungsvielfalt und letztendlich zur Demokratie beitragen. In ihren Zeitungen schreiben sie daher „In unserer Gesellschaft ist Demo- über ihren Alltag und verleihen ihren kratie einer der wichtigsten Grundwerte Mitschülerinnen und Mitschülern eine überhaupt – und mit dieser Tatsache Stimme, wenn diese selbst keine haben. unterstützt eine Schülerzeitung natür- „Genau durch diese Möglichkeiten bietet lich auch die Ziele der Erziehung eines eine Schülerzeitung die beste Plattform, Menschen zum mündigen Mitmenschen“, um Demokratie – also das sich selbst an sagt Winter. Doch Demokratie falle nicht der Gestaltung der Gesellschaft Beteiligen einfach vom Himmel, sie müsse gelernt – zu lernen und zu leben“, sagt Winter. werden. Wie entwickeln sich junge Men- Schülerinnen und Schüler lernen in der schen also zu selbstbewussten, demo- Praxis, welche Rolle Journalismus spielt, kratischen Persönlichkeiten und werden was Pressefreiheit bedeutet und wie diese vielleicht sogar Journalistinnen und Jour- funktioniert. Damit stärken Schulen den nalisten? journalistischen Nachwuchs. Die Schule sei der Ort, an dem junge Und dennoch werden auch bei den Menschen Grundfähigkeiten und Kompe- so produzierten Zeitungen immer wieder tenzen erlangen, glaubt Winter. Für ihn Absätze gestrichen und Artikel zensiert. sind dafür vor allem drei Dinge relevant: Auch Schülerzeitungen kämpfen für ihre

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Pressefreiheit. Laut Winter wenden sich durchschnittlich ein bis zwei ernstere Fälle im Jahr an die Jugendpresse Deutschland, um Hilfe zu erhalten. Eine genaue Statistik gebe es nicht, würde es sie geben, wäre die Dunkelziffer noch viel höher als die gemeldeten Zahlen, sagt Winter. „Die jungen Menschen trauen sich oft nicht, gegen die Erwachsenen, die Lehrkräfte anzusprechen – auch wenn sie im Recht sind“, sagt Winter. In solchen Fällen kann die Jugendpresse Deutschland als Unterstützer angesprochen werden. So könne eine kostenfreie Rechtsberatung für Mitglieder der Landesverbände der Jugendverbände in Kooperation mit einer Berliner Kanzlei zur Schlichtung bei Verstößen gegen die Pressefreiheit beitragen. Im Notfall würden Fälle auch vor Gericht gebracht.

Bild: Annkathrin Weis

Kontext gerissenes Zitat in der Schülerzeitung zu einer schlechteren Bewertung führe. Doch aus seiner Erfahrung bei der Jugendpresse kennt Winter viele positive Beispiele aus Schulen, in welchen sich die Schulfamilie als solche versteht und in diesen Fällen dann vermittelnd auftritt.

VIELE POSITIVE BEISPIELE Doch das geschehe zum Glück nur selten. Grundsätzlich habe eine Lehrkraft objektiv die Ergebnisse einer Schülerin oder eines Schülers zu beurteilen und ihn oder sie durch geeignete Hilfestellungen dazu zu ermutigen, sich selbst zu verbessern. Es könne schon einmal geschehen, dass eine Lehrkraft die Objektivität als Grundsatz in der Bewertung fallen ließe und ein aus dem

Heba Alkadri 24, Wilhelmshaven … ist der Meinung, dass für eine starke Demokratie Pressefreiheit unverzichtbar ist.


JOURNALISMUS IM UNTERGRUND

ZENSIERTE NACHRICHTEN, ZUGESPIELTE INFORMATIONEN, VERHAFTETE ODER GAR GEFOLTERTE MEDIENSCHAFFENDE: PRESSEFREIHEIT EXISTIERT IN SYRIEN NICHT. MIDAS AZIZI HAT ES DENNOCH GEWAGT, IM UNTERGRUND JOURNALISTISCH ZU ARBEITEN. WIE DAS FUNKTIONIERT HAT, BERICHTET KUTAIBA BAKIER.

Bild: Michael Gaida, Pixabay

VERBORGEN VOR DER ÖFFENTLICHKEIT HAT MIDAS AZIZI EINE ZEITSCHRIFT GEGRÜNDET

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iele Menschen in Syrien träumen davon, Grenzen ohne Hindernisse zu überqueren. Sie sehnen sich danach, aus ihrem Käfig auszubrechen: zu sagen, was sie möchten und auszusprechen, was sie denken. Doch sie alle leben in einem Land, das sich im Krieg befindet. Ihr Leben ist voller Gefahren und Verbote. Dies gilt insbesondere für Menschen, die eigentlich über die Wahrheit und ohne Vorschriften berichten sollen: die Journalistinnen und Journalisten. Doch das syrische Regime lässt es nicht zu, dass sie offen berichten, was in Syrien passiert. Denn um in dem Land als journalistisch arbeiten zu können, müssen Journalistinnen und Journalisten der Linie des Regimes folgen und zeigen, dass sie loyal sind. So wird diese Berufsgruppe zu einem Machtinstrument. Für Kreativität und Pressefreiheit ist unter diesen Umständen kein Platz.

PRODUKTION UNTER ERSCHWERTEN BEDINGUNGEN Gesetzlich gesehen ist es in Syrien nicht möglich, eine Zeitung herauszugeben, ohne vorher eine Lizenz durch den Staatssicherheitsdienst zu erhalten. In der Realität erhält jedoch niemand eine. Denn alle Medien gehören zu staatlichen Organen. Die dort beschäftigten Journalistinnen und Journalisten arbeiten wie Beamte, die Regeln treu befolgen. Trotz dieser Umstände und Gefahren haben es einige gewagt, im Untergrund journalistisch zu arbeiten. Einer von ihnen ist Midas Azizi. Der 1973 in Al-Darbasiyah geborene Journalist gründete trotz all dieser Hürden eine geheime politische Zeitung in Damaskus. „Ich glaubte daran, Brücken zwischen den Bürgern bauen zu können. Denn ich bin überzeugt davon, dass man seine Mei-

nung äußern, seinem Zorn Ausdruck verleihen und darüber sprechen muss, was die Menschen beschäftigt“, sagt Azizi.

MEHR ÜBER DIE ANDEREN GEMEINSCHAFTEN ERFAHREN Weil dies jedoch in keinem staatlich kontrollierten Medium geschah, machte er dies selbst ab 2005 möglich – in seiner eigenen Zeitung. Anfangs wurde „Dijla“ auf Arabisch und unter der Schreibweise „Dicle“ auf Kurdisch gedruckt, später dann auch auf Assyrisch. Damit war sie die eine der ersten Zeitschriften, die die verschiedenen kulturellen Gemeinschaften Syriens ansprach und es ihren Leserinnen und Lesern ermöglichte, mehr über die anderen Gemeinschaften zu erfahren. Viele Autorinnen und Autoren unterstützten die Idee und veröffentlichten ihre Artikel in der Zeitschrift. Unter ihnen waren auch die Autoren und Journalisten Akram Al-Bunni und Jad Al-Karim AlJibai. Gemeinsam übten sie in ihren Artikeln scharfe Kritik am politischen System Syriens und der Herrschaftspolitik des Präsidenten Baschar Al-Assads. Sie analysierten, warum immer mehr Syrerinnen und Syrer sich von der Politik distanzierten. Einfach war das jedoch nicht. Azizi lebte damals in der syrischen Hauptstadt Damaskus, die stark durch die verschiedenen Sicherheitsdienste kontrolliert wurde. Zusammen mit vier Freunden produzierte er die Zeitschrift also unter erschwerten Bedingungen. Sie arbeiteten zu Hause an „Dijla“, druckten die Zeitschrift per Hand und verteilten sie anschließend nur über ein Netzwerk an Freundinnen und Freunden, denen sie vertrauen konnten. Einzelne Personen bekamen von ih-

nen eine geringe Menge an Zeitschriften, die diese dann in Städte in ganz Syrien brachten und dort weiterverteilten. Alle Mitarbeitenden des Blattes fürchteten sich davor, dass der Staatsicherheitsdienst etwas von ihren Aktivitäten erführe, erzählt Midas Azizi. So arbeiteten alle äußerst vorsichtig. Nach der Verteilung einer jeden Ausgabe erwarteten sie, verhaftet zu werden. „Es war so, als würden wir Handgranaten verteilen“, beschreibt der Journalist die Distribution der Zeitschrift. Trotz all dieser Schwierigkeiten überlebte „Dijla“ drei Jahre lang. 2008 war Midas Azizi schließlich in das Büro des Staatssicherheitsdienstes in Damaskus geladen und angeklagt worden. Geheime Informantinnen und Informanten hatten dem Regime zuvor regelmäßig Hinweise über die Arbeit der Redaktion und ihrer Mitarbeitenden zugespielt. Kurz darauf veröffentlichte der Journalist eine Ausgabe von „Dijla“ unter dem Titel „Herausforderung“. Enthalten war unter anderem ein Interview mit dem Regimekritiker Ali Abdullah. Dies sollte für einige Jahre die letzte Ausgabe der Zeitschrift sein.

Land zu verlassen und nach Deutschland zu flüchten. Heute lebt der ehemalige Herausgeber und Chefredakteur von „Dijla“ in Hannover. Jungen Journalistinnen und Journalisten gibt er den Ratschlag, diesen Beruf dennoch auszuüben. Sie sollten sich stets mit Entschlossenheit wappnen, immer zu ihren Überzeugungen stehen und denen eine Stimme geben, die keine haben, fordert Azizi. „Sie dürfen sich niemals von einer Regierung instrumentalisieren lassen und zu einem Sprachrohr von Machthabern werden.“ Junge Menschen, die sich für Medien interessieren, sollten auch in Zukunft den Sinn des Journalismus bewahren. Denn ohne wahren Journalismus gebe es keine Freiheit.

ANGST UM DIE FAMILIE Denn Azizi fürchtete sich zu sehr um seine Familie. Er sah keine andere Möglichkeit mehr und entschloss sich schließlich dazu, die Arbeit an „Dijla“ einzustellen. Als die Revolution in Syrien im Jahr 2011 begann, kehrte die Zeitschrift kurzfristig als Stimme des Widerstands zurück und kämpfte mit ihren Artikeln erneut gegen die Unterdrückung der Pressefreiheit. Als 2012 jedoch das Damaszener Stadtteil Harasta vom syrischen Militär blockiert wurde, sah sich Midas Azizi gezwungen, das

Kutaiba Bakier 26, Hamburg … ist der Meinung, dass Presse ohne Freiheit nicht möglich ist.

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FA HR R ADAK T IO N Z UM TAG DER PRES S EFREIHEIT 2018

SCHON EIN HÜSTELN ERSCHÜTTERT DIE DEMOKRATIE AM 3. MAI 2018, DEM INTERNATIONALEN TAG DER PRESSEFREIHEIT, WAREN DIE POLITIKORANGE-REPORTER SASCHA KEMPER UND LENNART GLASER MIT EINEM PLAKATBIKE DES BUNDESVERBANDS DEUTSCHER ZEITUNGSVERLEGER IN BERLIN UNTERWEGS. IHR ZIEL: AUF DAS THEMA AUFMERKSAM ZU MACHEN UND MIT PASSANTINNEN UND PASSANTEN INS GESPRÄCH ZU KOMMEN.

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er Ausdruck #FreeThemAll – ein quasi omnipräsenter Hashtag der heutigen Zeit. So omnipräsent, dass man sich eigentlich schon daran gewöhnt hat. Er ist, zumindest hierzulande, ein Überbleibsel, ein Rudiment der Empörungswellen über die Festnahme sowie die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücels in der Türkei. Dabei entwickelt er sich zu einem Symbol des Kampfes für Pressefreiheit weltweit: Hinter jedem Tweet zu diesem Thema, hinter jedem Beitrag steckt ein brutales und vor allem undemokratisches Ereignis. Nach wie vor werden Journalistinnen und Journalisten auf der ganzen Welt angefeindet, festgenommen und getötet – nur weil sie ihre Arbeit machen. „Mitglied einer terroristischen Vereinigung“ zu sein, ist gerade als Vorwurf in Mode, um Reporterinnen und Reporter aus dem Verkehr zu ziehen. Das ist tragisch und erschreckend zugleich, spielt die Presse doch eine entscheidende Rolle in einem Rechtsstaat: Sie stellt eine Instanz dar, die von Regierung und Wirtschaft unabhängig ist und „denen da oben“ auf die Finger schauen kann – was auch hierzulande nicht jeder und jede verstanden hat und was weiterhin zu Anfeindungen und Einschränkungen des Journalismus führt.

UNTERWEGS MIT BLOCK, STIFT UND KAMERA Um für diese Rolle des Journalismus einzustehen und weiterhin auf dieses Bild: Sascha Kemper/Lennart Glaser DAS PLAKATBIKE UNTERWEGS IN BERLIN Thema aufmerksam zu machen, war politikorange am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, in Berlin unterwegs – mit einem Plakatbike des den Weg durch das politische und tou- GRUNDBESTANDTEIL DER Bundesverbands Deutscher Zeitungs- ristische Berlin. Die erste Station war DEMOKRATIE verleger (BDZV), sowie mit Stift und der Checkpoint Charlie. Dort betrieben Block und Kamera, um an diesem Tag erwartungsgemäß viele Tourismusgrup- Ähnlich äußerten sich Passantinnen und Menschen zur Pressefreiheit zu befra- pen Sightseeing und junge Schülerinnen Passanten bei den nächsten Stopps am gen. und Schüler auf Abschlussfahrt präsen- Gendarmenmarkt, vor dem ReichstagsGleich morgens lieferte der Haupt- tierten dem kompletten Platz sowje- gebäude oder am Potsdamer Platz. Eine geschäftsführer des BDZV, Dietmar tische Flaggen, die sie an Straßenstän- Touristin adelte die Pressefreiheit gar als Wolff, das Motto des Tages. Er ver- den erworben hatten, als Mitbringsel für „Grundbestandteil der Freiheit an sich“. steht die Pressefreiheit als Essenz eines ihre Großeltern. Reflektierter äußerten Allgemein war auffällig, wie viele Menfunktionierenden Zusammenlebens: sie sich zur Pressefreiheit. Sie sei wich- schen sich zu dem Thema äußern wollten „Pressefreiheit ist, genauso wie die Mei- tig, damit es nicht wieder dazu komme, und wie viele die gleiche, klare Meinung nungsfreiheit, konstitutiv für eine Ge- „dass Meinungen von Personen unter- vertraten: Pressefreiheit ist Grundbesellschaft.“ drückt werden, wie es zum Beispiel zu standteil der Demokratie. Kritische StimMit diesen Worten im Gepäck Zeiten des Nationalsozialismus der Fall men waren rar, lediglich ein norddeutmachte sich der Plakatbike-Trupp um war.“ Eine Schülerin bemerkte, die Pres- scher Tourist am Brandenburger Tor, der die beiden politikorange-Redakteure sefreiheit sei unverzichtbar, wenn eine namentlich nicht erwähnt werden wollte, Sascha Kemper und Lennart Glaser auf Demokratie funktionieren wolle. kritisierte die Homogenität deutscher Me-

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dien. Anders sah das eine Berliner Medizinstudentin: Pressefreiheit bedeute für sie die Möglichkeit, die Medien, durch die sie sich informieren möchte, frei wählen zu dürfen. Überraschend war allerdings, wie sehr sich junge Menschen sträubten, ein Statement vor der Kamera zu geben. Ältere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner hatten da deutlich weniger Berührungsängste und zogen diese Umfragevariante der schriftlichen teilweise sogar vor.

ZU BESUCH BEI DER RE:PUBLICA Den Abschluss der Fahrradtour bildete ein Spontanbesuch der InternetKonferenz re:publica, der von einem Interview mit Fernsehmoderator und YouTuber Mirko Drotschmann gekrönt wurde. Als Insider der deutschen Journalismusszene betonte er die Wichtigkeit der Pressefreiheit, kritisierte aber auch die Situation in Deutschland. Mit der anschließenden Rückkehr zum Sitz des BDZV in der Markgrafenstraße endete ein Tag der gemischten Gefühle: Fast schon ein Fünkchen Euphorie hinterließen die Äußerungen der Passantinnen und Passanten, die generationenübergreifend die Pressefreiheit als einen der fundamentalsten Werte der Demokratie definierten und um jeden Preis schützen wollten. Andererseits wurde auch deutlich, welchen Gefahren die Pressefreiheit ausgesetzt ist, welche sichtbaren und unsichtbaren Faktoren die objektive Berichterstattung einschränken können. Selbst in Deutschland hat die Pressefreiheit Probleme: allein durch die finanzielle Situation der Verlage und Zeitungen. Das Fazit des Tages: Der Kampf für die Pressefreiheit ist ein Kampf, den wir alle führen müssen. BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff bringt es auf den Punkt: „Wenn die Pressefreiheit hüstelt, krankt der ganze Staat.“


FA HR R ADAK T IO N Z UM TAG DER PRES S EFREIHEIT 2018

SPEKULATIONEN ÜBER DIE FRAU AM ABGRUND

GEORG BASELITZ LIEFERT FÜR DEUTSCHE MEDIEN EIN MOTIV ZUM TAG DER PRESSEFREIHEIT 2018: EINE STÜRZENDE FRAU IN HELLEN FARBEN. LENNART GLASER UND SASCHA KEMPER HABEN PASSANTINNEN UND PASSANTEN IN BERLIN BEFRAGT, WAS SIE MIT DEM BILD ANFANGEN KÖNNEN.

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ufmerksamen Printlesenden dürfte es am 3. Mai 2018 nicht entgangen sein: Bereits im dritten Jahr in Folge haben Zeitungen in ganz Deutschland im Rahmen des Internationalen Tags der Pressefreiheit auf eine ganz besondere Art auf das Thema Freiheit der Medien und der Presse aufmerksam gemacht. Viele Blätter – von der Südwest Presse bis zur Nordsee-Zeitung – folgten dem Aufruf des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und druckten auf ihren Titelseiten das Werk „Frau am Abgrund“ des deutschen Malers und Bildhauers Georg Baselitz ab. Er hatte sein 1998 erschaffenes Kunstwerk für diesen Zweck zur Verfügung gestellt. Baselitz folgt damit dem Beispiel Yoko Onos und Ai Weiweis, die 2017 und 2016 Bildern für die Aktion stifteten. Das Bild zeigt eine Frauengestalt kopfüber auf blauem Hintergrund und deren Schatten, der von ihren Füßen aus rechts ins Bild ragt. Angelehnt ist das Bild an Caspar David Friedrichs „Frau mit Raben am Abgrund“, erkennbar an den Initialen Friedrichs, die Baselitz vor seiner eigenen Signatur verewigt hat. Dass „Frau am Abgrund“ ein frühes Werk Baselitz‘ ist, zeigt die Tatsache, dass die abgebildete Gestalt stürzend dargestellt ist.

Bild: BDZV/Twitter.com

GEORG BASELITZ’ „FRAU AM ABGRUND” WAR DAS MOTIV DES BDZV ZUM TAG DER PRESSEFREIHEIT 2018.

Genau das führt aber zu einem interpretatorischen Paradoxon: Obwohl das Motiv und der Titel Dramatisches transportieren, wirkt das Bild durch die bunte Farbgebung positiv – oder vielleicht sogar fröhlich.

Das löste bei einigen Passantinnen und Passanten, die zu dem Bild befragt wurden, Irritationen aus. Weder eine Verbindung zum Titel, geschweige denn zum Thema Pressefreiheit könne sie herstellen, sagte eine der Befragten. Sie verbinde mit dem Bild eher etwas Positives. Anderen Personen fiel es sogar schwer, allgemeine Ideen zu dem Bild zu formulieren. Nach Angaben des BDZV möchte Georg Baselitz selbst aber gar keine Interpretation seines Werks vorgeben, er überlasse diese Aufgabe den betrachtenden Personen selbst. Angesichts der „MeToo“Debatte fiel diese Assoziation im Gespräch mit Passanten und Passantinnen häufig: Das Bild zeige die Benachteiligungen und Schwierigkeiten von Frauen im Journalismus auf, vermuteten einige von ihnen. Eine Person zog eine Parallele zwischen Kunst- und Pressefreiheit. Beide seien für eine Gesellschaft unverzichtbar und müssten vor Einschränkungen und Repression geschützt werden. In einem Zitat Baselitz‘, das den Tageszeitungen gemeinsam mit dem Bild zur Verfügung gestellt wurde, spricht der Künstler genau diese Thematik an: „Presse und Kunst gehören nicht in die Obhut des Staates. Wer anderes propagiert, manövriert die freie Gesellschaft ins Verderben.“

Ähnlich formuliert es der Hauptgeschäftsführer des BDZV, Dietmar Wolff. Er mahnt, der Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit sei nicht Sache der Medien allein, sondern der Gesellschaft insgesamt. „Wir können die Verteidigung dieses wunderbaren, demokratiestiftenden Rechts auf Meinungs- und Pressefreiheit nicht delegieren, nicht an Journalisten und auch nicht an den Staat.“

Lennart Glaser 18, Tübingen Sascha Kemper 19, Karlsruhe … brennen beide für Medien.

FRUCHTFLEISCH WO LIEGEN DIE GRENZEN DER PRESSEFREIHEIT?

Bilder: Nour Alabras

»VERANTWORTUNG«

»ANGEFEINDET«

»GRENZENLOS«

FEYZA MORGÜL, 43 JAHRE, FRANKFURT

ERHARD BRUM, 62 JAHRE, FRANKFURT

PAULINA NITZSCHKE, 17 JAHRE, LEIPZIG

PRESSEFREIHEIT BEDEUTET FÜR MICH VERANTWORTUNG. EIN BILD DER REALITÄT SOLLTE IMMER VON VERSCHIEDENEN SEITEN GEZEIGT UND VERIFIZIERT WERDEN .

IN VIELEN TEILEN DER WELT GIBT ES GRENZEN FÜR DIE PRESSEFREIHEIT. LEIDER ERLEBEN WIR ES AUCH IN DEUTSCHLAND, DASS VIELE JOURNALISTEN MITTLERWEILE ANGEFEINDET WERDEN.

ES DARF KEINE GRENZEN FÜR DIE PRESSEFREIHEIT GEBEN. MAN SOLL EINFACH DARÜBER SCHREIBEN KÖNNEN, WAS EINE REGIERUNG FALSCH MACHT. AUCH WENN SICH DIESE DAGEGEN STRÄUBT.

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FA HR R ADAK T IO N Z UM TAG DER PRES S EFREIHEIT 2018

„WIR SOLLTEN SIE MIT ALLER MACHT VERTEIDIGEN“ WARUM PRESSEFREIHEIT WICHTIG IST, WODURCH SIE IN GEFAHR GEBRACHT WIRD UND WO SIE WOMÖGLICH ENDET, HABEN LENNART GLASER UND SASCHA KEMPER DEN JOURNALISTEN MIRKO DROTSCHMANN GEFRAGT. DER VIDEO-BLOGGER IST UNTER ANDEREM DURCH DAS YOUTUBE-FORMAT „MRWISSEN2GO“ BEKANNT GEWORDEN.

HERR DROTSCHMANN, WIR WÜRDEN SIE GERNE DEN SATZ VERVOLLSTÄNDIGEN LASSEN: PRESSEFREIHEIT IST WICHTIG, WEIL... ... sie absolut zu unserer demokratischen Welt gehört, beziehungsweise zu unserem demokratischen Zusammenleben. Ich finde überhaupt: Meinungsfreiheit und damit auch Pressefreiheit ist eines der wichtigsten Güter, das wir durch das Grundgesetz zugesichert bekommen haben. Und deshalb sollte man dieses Gut auch hochhalten.

WIE IST ES DENN GERADE KONKRET UM DIE PRESSEFREIHEIT IN DEUTSCHLAND BESTELLT? MAN SAGT HIERZULANDE JA HÄUFIG, PRESSEFREIHEIT SEI KEIN GROSSES THEMA – ES GIBT SIE JA... Wir sind momentan auf Platz 15, da könnte man sagen: Hm, gar nicht so gut. Aber wenn man guckt, wie viele Länder es weltweit gibt, dann sind wir gar nicht so schlecht dran. Aber ich würde schon sagen, dass man sich die Gefahren für die Pressefreiheit in Deutschland angucken sollte. Da merkt man: Diese Gefahren nehmen gerade zu. Bedrohungen gegenüber Journalisten zum Beispiel. Ich kenne Journalisten, die nicht mehr ohne Personenschutz auf Demonstrationen gehen können – und so etwas in Deutschland. Es gibt auch Journalisten, die Morddrohungen bekommen. Ich selber bekomme auch manchmal Morddrohungen und Hassnachrichten. Es gibt Leute, die versuchen, einen einzuschüchtern, eine Schere im Kopf zu erzeugen, so dass man seine Arbeit nicht mehr frei ausüben kann. Das ist eine Gefahr, die zunimmt. Dieser Gefahr müssen wir uns als Demokraten ganz entschieden entgegenstellen. Ich hoffe, dass Deutschland nicht noch weiter abrutscht.

WOHER MEINEN SIE, KOMMT DIESE ENTWICKLUNG? Es gibt verschiedene Kräfte, die unsere Demokratie – und dazu gehört auch die Pressefreiheit – destabilisieren wollen, und die Interesse daran haben, dass das, was die Demokratie trägt, beschädigt wird. Das kann von staatlicher Seite kommen, das kann von Geheimdiensten kommen – ohne jetzt zu große Verschwörungstheorien aufzustellen. Das kann aber auch von einzelnen Gruppierungen und Akteuren kommen oder von politischen Parteien. Da haben einige Interesse daran. Es nimmt immer mehr zu, weil es ja immer einfacher wird, übers Internet daran zu rütteln.

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MIRKO DROTSCHMANN: DER 32-JÄHRIGE HAT FÜR DIE VIDEOPLATTFORM YOUTUBE SOGAR SCHON ANGELA MERKEL INTERVIEWT

WO ENDET DENN DIE PRESSEFREIHEIT? SIE SAGEN, IM INTERNET HAT MAN DIE MÖGLICHKEIT, DINGE ZU SCHREIBEN UND SICH SELBST ALS JOURNALISTIN ODER JOURNALIST AUSZUGEBEN – DAS IST JA AUCH KEIN GESCHÜTZTER BEGRIFF. WO ENDEN DENN JOURNALISMUS ODER AUCH JOURNALISTISCHE FREIHEIT? Das ist eigentlich so wie generell bei den Freiheiten. Sie enden dort, wo die Freiheit des anderen anfängt. Es gibt den Pressecodex, der kein Gesetz ist, sondern ein Regelwerk, an das sich alle freiwillig halten. In diesem Pressecodex steht zum Beispiel drin, das man nicht über Suizide berichtet, dass man die Würde des Menschen achtet – und vieles mehr. Das sind die Punkte, an denen die Pressefreiheit – wenn man so will – endet.

Bild: Sascha Kemper/Lennart Glaser

WENN WIR SIE JETZT BITTEN WÜRDEN, EINEN APPELL FÜR DIE PRESSEFREIHEIT AN DIE WELT ZU RICHTEN, WAS WÜRDEN SIE SAGEN? Dann würde ich sagen: Ein Land, in dem es keine freie Presse gibt, kann kein demokratisches Land sein. Pressefreiheit ist so ein wichtiges Gut. Wenn wir in die Geschichte schauen und uns Zeiten angucken, in denen in Deutschland keine Pressefreiheit geherrscht hat, dann sind das die dunkelsten Zeiten – und genau das sollte nicht mehr passieren. Deswegen ist es extrem wichtig, dass wir Pressefreiheit haben und wir sollten sie mit aller Macht verteidigen.


F R I S CH , F R UC HTIG, S E L BS TGE P R ES S T – M IT M ACHEN @PO LIT IK O RAN G E.DE

I MPR ESSUM Diese Ausgabe von politikorange umfasst Artikel von Aktionen rund um den Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2018 und der Yalla Media Akademie bei den Jugendmedientagen 2018, die vom 4. bis zum 7. Oktober 2018 in Bremen stattfanden. Herausgeber und Redaktion: politikorange c/o Jugendpresse Deutschland e.V., Alt-Moabit 89, 10559 Berlin, www.politikorange.de

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rintmagazine, Blog und Videos: politikorange erreicht sein Publikum über viele Kanäle und steht neuen Wegen offen gegenüber. Junge, kreative Köpfe berichten in wechselnden Redaktionsteams aus einer frischen Perspektive. Ob aktuelle Themen aus Politik und Gesellschaft oder die kritische Begleitung von Veranstaltungen – politikorange ist mittendrin.

POLITIKORANGE – DAS MULTIMEDIUM politikorange wurde 2002 als Veranstaltungszeitung ins Leben gerufen. Rund 130 Ausgaben wurden seither produziert. Seit Anfang an gehören Kongresse, Festivals, Parteitage und Events zum Programm. 2004 kamen Themenhefte hinzu, die aktuelle Fragen aus einer jugendlichen Sichtweise betrachten. 2009 nahm politikorange Video und Blog ins Portfolio auf und präsentiert spannende Beiträge unter den Labels politikorange TV und politikorange.de.

WO KANN ICH POLITIKORANGE LESEN?

spruchsvolle Ergebnisse aus jugendlicher Perspektive. Frei nach dem Motto: frisch, fruchtig, selbstgepresst.

Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen und über die Landes- WER MACHT POLITIKORANGE? verbände der Jugendpresse Deutschland e.V. verteilt. Im Online-Archiv auf poli- Junge Journalistinnen und Journalisten tikorange.de können digitalisierte Ma- – sie recherchieren, berichten und komgazine durchgeblättert und Videos auf- mentieren. Wer neugierig und engagiert gerufen werden. Printausgaben können in Richtung Journalismus gehen will, ist kostenlos nachbestellt werden – natür- bei politikorange an der richtigen Adreslich nur, solange der Vorrat reicht. Für se. Genauso willkommen sind begeisterdas Stöbern auf dem Blog genügt der te Fotografinnen und Fotografen, VideoAufruf von blog.politikorange.de. redakteurinnen und -redakteure sowie kreative Köpfe fürs Layout. politikorange funktioniert als Lehrredaktion: Die TeilWARUM EIGENTLICH nahme ist kostenlos und wird für jede POLITIKORANGE? Ausgabe neu ausgeschrieben – der EinWelchen Blick haben Jugendliche auf stieg ist damit ganz einfach. Den Rahmen Politik und gesellschaftliche Verände- für Organisation und Vertrieb stellt die rungen? politikorange bietet jungen Jugendpresse Deutschland. Menschen zwischen 16 und 26 Jahren Du willst dabei sein? Infos zum eine Plattform für Meinungsaustausch Mitmachen gibt es unter politikorange.de­, und den Ausbau eigener Fähigkeiten. in unserem Newsletter und via Facebook Engagement und Begeisterung sind und Twitter. die Grundpfeiler für journalistisch an- mitmachen@politikorange.de

Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Christina Heuschen (christina.heuschen@gmx.de) Bilder: Nour Alabras, Kurt Sauer, Annkathrin Weis Layout: Henri Maiworm Redaktion: Heba Alkadri, Qasim Alqasim, Kutaiba Bakier, Jan Hendrik Blanke, Zoe Bunje, Lennart Glaser, Annick Goergen, Samira El Hattab, Sascha Kemper Projektleitung: Inga Dreyer Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH Auflage: 5.000 Exemplare Unser Dank gilt der Stiftung Presse-Haus NRZ, die mit einem Druckkostenzuschuss die Produktion dieser Ausgabe ermöglicht hat und der Bundeszentrale für politische Bildung, die die Projekte der Yalla Media Akademie finanziell unterstützt. Nicht zuletzt danken wir unseren Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern, dem Team der Jugendpresse Deutschland und allen Menschen, die weltweit für die Pressefreiheit kämpfen. Die „Yalla Media Akademie“ ist ein gemeinsames Projekt von „politikorange“, dem Magazin der Jugendpresse Deutschland, und dem Verein Eed Be Eed („Hand in Hand“). Mit ihren Workshops bringt die „Yalla Media Akademie“ junge Journalistinnen und Journalisten mit und ohne Flucht- und Migrationshintergrund zusammen.

DIE REDAKTION DER YALLA MEDIA AKADEMIE BEI DEN JUGENDMEDIENTAGEN 2018 IN BREMEN

Bild: Annkathrin Weis

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OHNE WORTE... OLIVER TRENKAMP TEXTCHEF SPIEGEL ONLINE

TABEA GRZESZYK FREIE JOURNALISTIN

PHILIPP WALULIS SATIRIKER

Bilder: Jan Hendrik Blanke/ Samira El Hattab

WIE STEHT ES UM DIE PRESSEFREIHEIT IN DEUTSCHLAND? DAS WOLLTEN SAMIRA EL HATTAB UND JAN HENDRIK BLANKE WISSEN. MEDIENMACHENDE ANTWORTETEN MIT GESTEN. JOSEFA RACHENDORFER REDAKTEURIN ZEIT CAMPUS

KAI SCHMITZER GRAFIKERIN ZEIT CAMPUS

KAI GNIFFKE CHEFREDAKTEUR ARD AKTUELL

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liver Trenkamp, Textchef bei Spiegel Online, verzieht DAS THEMA TRIFFT EINEN NERV das Gesicht nachdenklich, bevor er mit seiner rechten Hand eine vage Bewegung macht. Er überlegt noch einen Mo- Warum so mehrdeutig? Was ist los in Deutschland? Eine richtige ment und entscheidet sich dann für einen „Thumb up“, einen Antwort können die Profis auch nicht geben. An dem Format, nach oben gestreckten Daumen für die Pressefreiheit. „Verg- „Interview ohne Worte“, liegt das nicht: Oliver Trenkamp atmet lichen mit Ländern wie der Türkei, haben wir hier in Deutsch- lautstark aus, als er die Frage hört. Es scheint eher die allgemeiland wirklich Glück“, erklärt der Journalist. ne Unsicherheit zu sein, die momentan in ganz Deutschland zu Trotzdem, wirklich eindeutig ist Trenkamps Gestik nicht. spüren ist. Eines ist dabei sicher: Ein Thema ist Pressefreiheit in Auf der Rangliste der Pressefreiheit, die jährlich von Repor- Deutschland auf jeden Fall. Auch auf den Jugendmedientagen ter ohne Grenzen herausgegeben wird, landete Deutschland 2018 wird immer wieder über die Freiheit der Presse diskutiert. jüngst auf Platz 15. Die internationale Organisation kritisiert Damit haben die Organisatorinnen und Organisatoren einen Anfeindungen und Gewalt gegen Journalisten und Journali- Nerv getroffen. stinnen. Gemma Pörzgen, Mitbegründerin von Reporter ohne Drei Tage beschäftigten sich Nachwuchsjournalistinnen Grenzen Deutschland, unterstreicht dies. Sie fordert mehr Poli- und -journalisten unter dem Motto „Bewegt(e) Grenzen“ mit zeischutz für Presse in schwierigen Arbeitsbedingungen, zum dem Oberthema beschäftigt. „Gerade angesichts der aktuellen Beispiel während Großdemonstrationen. Neben den direkten Entwicklung von Fake-News- oder Lügenpresse-Vorwürfen ist Angriffen seien strukturelle Informationszurückhaltung durch es für einen Medienverband wichtig, sich mit Pressefreiheit Behörden und öffentliche Institutionen ein Problem. zu beschäftigen“, sagt Julian Kugoth, geschäftsführender Vorstand der Jugendpresse Deutschland. „Es wäre seltsam gewesen, hätten wir uns dieses Jahr nicht mit dem Thema JANUSKOPF ALS SYMBOL FÜR beschäftigt“, betont er. DIE AKTUELLE SITUATION Auch Zeit Campus-Redakteurin Josefa Rachendorfer und die Grafikerin Kai Schmitzer heben mit vager Geste ihre Hände und schütteln sie. Einen Daumen nach oben geben sie der Pressefreiheit in Deutschland nicht. Pressefreiheit – so lala? In diesen Tenor stimmen auch Dr. Kai Gniffke, Chefredakteur bei ARD-aktuell und der Hörfunk- und Fernsehmoderator Philipp Walulis ein. Die freie Journalistin Tabea Grzeszyk geht noch weiter und formt mit ihren Händen einen Januskopf. Die griechische Gottheit mit zwei Gesichtern, die in unterschiedliche Richtungen schauen, steht für Zwiespältigkeit. Tabea Grzeszyk ist Mitbegründerin von hostwriter.org, einem internationalen Recherchenetzwerk.

Jan Hendrik Blanke 21, Mainz Samira El Hattab 20, Köln … ringen um Worte.


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