Powision #10 - Krise

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Neue Räume für Politik

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Die Krise ist allgegenwärtig. Täglich grüßt sie aus der Atomhavarie, aus der Erderwärmung, aus Wahlergebnissen, aus der Selbstwahrnehmung, dem Wechselkurs oder ganz allgemein aus der Natur des Kapitalismus. Als Nahtoderfahrung scheint sie in diesen „interessanten Zeiten“, um Slavoj Zizeks Beitrag in diesem Heft zu folgen, nicht nur ein Begriff für das Debakel des Alltäglichen zu sein, sondern verweist auf Geschichte und Zukunft. Im grenznahen Niemandsland zwischen diesen Zuständen entsteht eine eigentümliche Spannung aus Stagnieren und Entstehen, Resignation und Hoffnung: früher oder später ist vielleicht alles besser (gewesen). Diese Situation des Dazwischen sein schafft den Ausgangspunkt für viele der Beiträge dieser Ausgabe. Dabei handelt es sich nicht um gänzlich unterschiedliche Brüche, Vergangenheiten und Zukünfte, denn die Finanzkrise beeinflusst den politischen Gestaltungsraum, sie verändert die Wahrnehmung und wird selbst beeinflusst durch die Demographiekrise, die Medienkrise, die Parteienkrise und Andere. Nicht zuletzt, weil die Krise des Einen, häufig auch die Chance des Anderen ist. In dieser Weise kommunizieren die einzelnen Beiträge miteinander und bilden multiple Verknüpfungsmöglichkeiten. Daher haben wir uns in dieser Ausgabe dazu entschieden, das Inhaltsverzeichnis durch eine Netzdarstellung zu ersetzen, die die Verbindungen der Artikel zueinander erfasst. Dieses Netzwerk beeinflusst auch das Ordnungssystem im Heft. Die Artikel stehen scheinbar zusammenhangslos aneinandergereiht, lassen sich aber durch ihre Artikelnummer in der Netzdarstellung wieder finden. Die Artikel ordnen sich sozusagen selbst. Sie haben daher in dieser Krisenausgabe die Fessel der Seitenzahlen abgeworfen und sind im Heft fortlaufend nummeriert1. Im Netz der Artikel gelten alternative Lesarten, es suggeriert andere und neue Zusammenhänge und verbildlicht das für dieses Heft geschaffenen „Feld der Krise“. Um das Zitieren der Texte nicht zu verunmöglichen, befindet sich neben den Autorenbeschreibungen ein Index der Artikel am Ende des Heftes – mit Seitenzahlen. 1

Gleichzeitig bilden diese Zuschreibungen ein Ordnungsprinzip, das neue Schubladen öffnet und vielleicht auch den einzelnen Beiträgen nicht hinreichend gerecht wird: „So schwebt der Zweifel über dem, was wir angeblich zusammen tun. Der Sinn für Zugehörigkeit ist in eine Krise geraten“ (Bruno Latour, 2007). >Diese Krise der Zugehörigkeit existiert nun schon seit fünf Jahren und zehn Ausgaben. Powision entstand als Kritik an Grenzziehungen, ohne diese kategorisch auflösen zu wollen. Ansatz war und ist es, durch ein Nebeneinander Bezüge zwischen einzelnen Ordnungseinheiten darzustellen, ohne ihre Existenz gleich in Frage zu stellen. Begriffe formen Netzwerke, die auf unterschiedliche Weise in verschiedene Bereiche diffundieren. Folgt man diesen Begriffen – Krise, Identitäten, Frieden, Räume und Grenzen, Liebe, Europa usw. – ist es problemlos möglich, Physiker mit Soziologen sprechen zu lassen. Manchmal sind die Anschlussstellen offensichtlich, manchmal öffnet sich aber erst durch das Nebeneinander eine interessante Verbindung oder eine neue Idee. Dies gilt für die horizontalen „Zugehörigkeiten“ des Diskursraumes. Auf der vertikalen Ebene versucht Powision Stimmen zusammen zu bringen, die sonst auf diese Weise nicht miteinander kommunizieren würden: Studierende, Nachwuchswissenschaftler, Akademia aber auch Journalisten, Praktiker und ab und an auch Betroffene – immer im Glauben, dass das qualifizierte Miteinander vielleicht nicht die „Krise der Zugehörigkeit“ überwindet aber ihr doch neue festigende/ordnende Stimmen verleihen kann. >Wir danken den bisherigen und jetzigen Autoren, den – über die Jahre – zahlreichen helfenden Händen, unseren Unterstützern und vor allem den Lesenden für die Unterstützung die sie diesem Magazin über die Jahre entgegen gebracht haben und wünschen viel Spaß mit der Jubiläumsausgabe. Das Powisions-Team


Medien

Stadt

Subjekt

15>G. Wiedemann

11 > A. Jahnel

13 > P. Zima

16 > M. Künzler

10> R. Richter

14 > U.J. Schneider

Frieden

6 > A. WielandKarimi

9 > A. Dölemeyer

Finanzen

Subaltern 3 > P. Spahn

17 > G. Spivak

4 > J. Preunkert

Souveränität

KRISE

2 > D. Palm

7 > P. Kuzev & A. Trültzsch

Politik Klima 19 > W. Fach 8 > H. Scheck 20 > O. D’Antonio

Politikwissenschaft

Sozialstaat

21 > A. Lorenz

5 > G. Vobruba

23 > A. Mitterle

1 > D. Baecker

12 >R. KrätschmarHahn

25 > T. Heim

18 > S. Žižek

Rezensionen

24 > J. Kiess 22 > M. Fischer

Gesellschaft


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dirk baecker Die moderne Gesellschaft ist auch hierin eigentümlich.1 Kannten die alten Griechen die krísis als Moment der Entscheidung, der eher zu vermeiden war, weil man ab diesem Moment seinem von den Göttern gelenkten Schicksal nicht mehr aus dem Weg gehen konnte, so hat man es in der modernen Gesellschaft mit einer regelrechten Krisenwissenschaft zu tun, die vor allem herauszufinden versucht, woher die Unordnung kommt (nicht mehr von den Göttern), in der man steckt, wenn man in einer Krise steckt. Die politische Ökonomie zunächst und dann die Wirtschaftswissenschaften sprechen von einer Krise, wenn Arbeits-, Güter- und Kapitalmärkte im Ungleichgewicht sind. Entweder werden Arbeit, Güter und Kapital nicht in dem Maße nachgefragt, wie sie vorhanden sind, dann drängen ungenutzte Ressourcen auf eine Verwendung, die es nicht gibt, oder es werden mehr Arbeit, mehr Güter und mehr Kapital nachgefragt, als vorhanden sind, dann entstehen Mangelsituationen. Beide Ungleichgewichte führen zu Krisen, da im Fall des Angebotsüberschusses bereits geleistete Produktivität frustriert wird und im Fall des Nachfrageüberschusses Produktionspläne, Konsumwünsche und Investitionsabsichten unbefriedigt bleiben. Die Krise ist hier identisch mit dem Auftreten eines Ungleichgewichts, das heißt identisch mit der Störung eines Gleichgewichts, von dem klassische Ökonomen glauben, dass es sich von alleine wieder herstellen wird, wenn man nur allen auftretenden Kräften ihren Spielraum lässt. >Vielleicht schaut man hierbei jedoch zu schnell auf den Zustand eines wiederhergestellten Gleichgewichts und achtet zu wenig darauf, was diesen Kräften einfällt, die innerhalb einer Krise darauf drängen, sie zu überwinden. Immerhin müssen jetzt reihenweise Entscheidungen getroffen werden, die entweder dort eine Nachfrage schaffen, wo im Moment keine ist, oder dort ein Angebot

Wie in einer Krise die Gesellschaft funktioniert aufbieten, wo im Moment keines zu finden ist. Wer sagt denn, dass die je aktuellen Arbeits-, Güter- und Kapitalmärkte für diesen Ausgleich irgendeinen Spielraum haben? John Maynard Keynes war nicht der einzige Ökonom, der den klassischen Gleichgewichtsökonomen vorwarf, sie würden die Trägheitskräfte einmal gefundener Ungleichgewichte unterschätzen. Woher sollen die Arbeitsplätze kommen, wenn keine Güternachfrage auftritt, die bedient werden kann, und daher auch kein Investor gefunden werden kann, der bereit ist, Kapital bereitzustellen? Und wie soll das Kapital verwendet werden, das auf einen Markt drängt, auf dem alle Produktivitätsreserven bereits ausgeschöpft sind und niemand mit neuen Produktideen aufwartet, auf deren Erfolg man spekulieren könnte? >Krisen sind jetzt schon deshalb Krisen, weil man nicht weiß, wie man herauskommt und unter Umständen Entscheidungen trifft, die keine nachhaltige Abhilfe schaffen, sondern die Lage eher noch verschlimmern. Je mehr Gewicht hinter solche Entscheidungen gelegt werden kann, etwa weil der Staat mit seiner unvergleichlichen Wirtschaftskraft als Arbeitgeber, Konsument und Schuldner sie unterstützt oder sogar zu seinen eigenen Entscheidungen macht, desto hartnäckiger können die Ungleichgewichte werden, wenn sie Wetten auf eine Entwicklung enthalten, die nicht eintritt. >In der modernen Gesellschaft muss man sowohl den Krisenzustand als auch den möglichen Ausweg aus der Krise eigenen Entscheidungen, eigenen Verantwortungen zurechnen, deren Reichweite zugleich kaum noch überblickt wird. Gab es in der Stammesgesellschaft nur die Verfehlung, die gesühnt werden musste und in der Antike nur die Entscheidung, die sich so oder so nur in ein bereits beschlossenes Schicksal einfädeln konnte, so hat man es in der Moderne mit einer unklaren Gegenwart, einer unbekann Gekürzter Wiederabdruck aus: Revue für Postheroisches Management, Heft 7 (2010), S. 30–43. 1

ten Zukunft und mit einer Vergangenheit zu tun, deren Lehren, da aus jeweils anderen Situationen stammend, nur begrenzt zu gebrauchen sind. Und mittendrin stehen wir und sollen unsere Entscheidungen treffen, für die wir verantwortlich gemacht werden, obwohl jeder weiß, dass wir für ihre Voraussetzungen und für ihre Folgen nur in einem sehr begrenzten Umfang verantwortlich sein können. >Eine Krise ist in der modernen Gesellschaft das Signal, dass wir nicht mehr weiter wissen. Wir gestehen unsere Mitschuld ein. Ohne unsere eigenen Fehlentscheidungen gäbe es die Krise nicht. Zugleich jedoch verweisen wir auf eine Dynamik im Zeitablauf, eine Komplexität in der Sache und eine Diversität in der sozialen Einschätzung, die unseren Verständnishorizont allesamt überschreiten, obwohl sie eine Welt beschreiben, in der wir die wichtigsten, wenn nicht die einzigen Akteure sind. Wir überfordern uns selbst. Die moderne Gesellschaft ist jene Gesellschaft, die einen Normalzustand kennt, in dem der Mensch das seiner selbst und seiner Welt mächtige Subjekt ist, und einen Krisenzustand, in dem der Mensch entdeckt, dass er mit sich etwas anstellt, was er selbst nicht versteht. Oder versteht er es doch, versteht er es nur allzu gut? >Eine Krise ist der Zustand einer Gesellschaft, in der bestimmte Dinge nicht mehr, andere dafür jedoch noch sehr gut funktionieren. Zum Beispiel war es im Herbst 2007 verblüffend, wie schnell es den Massenmedien gelang, durchaus differenzierte Beschreibungen und Erklärungen des Ausbruchs der Finanzkrise nach dem Zusammenbruch des Bankhauses Lehmann Brothers & Co. zu liefern. Wer auch immer durch die Finanzkrise in eine Krise geriet, die Massenmedien waren es zunächst einmal nicht, so sehr sie dann auch unter dem Ausfall von Werbeeinnahmen zu leiden hatten. Qualitätszeitungen wie die New York Times nutzten ihre Onlineseiten und deren Möglichkeit, Leserkommentare einzuladen, dazu, in Windeseile Zuschriften etwa von Risikomanagern großer und kleiner Bankhäuser einzusammeln, die sehr genau beschrieben, wie es so weit kommen konnte. Auch die Politik befand sich in keiner Krise. Ganz im Gegenteil, sie begrüßte den Handlungsdruck, weil man jetzt entweder zeigen konnte, wie schnell man kluge Entscheidungen treffen konnte oder wie klug man abzuwarten und keine Entscheidungen zu treffen in der Lage war. Besorgte Mienen

zu gefährlichen Zuständen der Gesellschaft bedeuten nicht, dass man überfordert ist. Im Gegenteil, man war ganz bei sich und machte sich nur Sorgen, die falschen Entscheidungen zu treffen und dafür vom Wähler irgendwann die Quittung ausgestellt zu bekommen. Doch diese Sorgen macht man sich immer; sie sind zentraler Bestandteil der Politik. >Eine Krise ist ein Hinweis darauf, dass andere Teile der Gesellschaft funktionieren. Mehr noch: Eine Krise ist ein Hinweis darauf, dass die Gesellschaft insgesamt funktioniert, denn sie nimmt zur Kenntnis, dass sie in einer Krise ist, und sie reagiert auf die Krise. Das heißt nicht, dass sie – und wer soll das sein? – sofort oder auch nur langfristig das Richtige tut. Aber es heißt, dass die Gesellschaft das tut, was sie am besten tut, nämlich ihre eigenen Zustände zu beobachten, zu kommentieren und schon im nächsten Schritt in eine gewisse Vielzahl von Meinungen auseinander zu fallen, was man jetzt tun könne, wann man es tun solle und wer es am besten tue. >Eine Krise ist ein Ereignis, von dem man nicht sicher sein kann, ob überall aus ihm dieselben oder auch nur ähnliche Konsequenzen gezogen werden. Davor schützt uns, positiv formuliert, die Differenzierung der Gesellschaft. Die Massenmedien sorgen dafür, dass sich die Kunde von der Krise rasend schnell um den gesamten Globus verbreitet. Aber die Politik, so sehr sie auf die Massenmedien reagieren muss, wird anders reagieren als diese, von Kunst und Wissenschaft, Religion und Erziehung zu schweigen. Denn in allen diesen modernen Funktionssystemen sitzen Organisationen, die große Mühe hatten, ihre Routinen sicherzustellen und die schon durch die Kleinformatierung ihrer Entscheidungen und durch die Entmutigung von kritischen Nachfragen innerhalb der Hierarchie sich davor schützen, sofort auf Veränderungen ihrer Umwelt zu reagieren. Auch das ist ziemlich paradox. Organisationen sind Einrichtungen, die Entscheidungen treffen müssen und die laufend Entscheidungen treffen müssen. Sie könnten also jederzeit andere Entscheidungen treffen und somit auf Veränderungen reagieren. Aber gerade weil sie laufend Entscheidungen treffen müssen und hier eine Entscheidung die eine voraussetzt und in die andere greift, sind Organisationen auf Routinen angewiesen, die nur ausnahmsweise und in der Regel mit erheblichem Aufwand geändert werden können. Organisationen schützen sich davor zu lernen. Nur so sind sie arbeitsfähig.


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>Eine Krise ist ein Ereignis, das noch lange nicht jeden betrifft. Noch schärfer formuliert: Eine Krise ist ein Ereignis, das von vielen Positionen der Gesellschaft systematisch ignoriert wird, ja werden muss. Das bringt eine enorme Trägheit ins Spiel, von der man nicht sicher sein kann, ob sie die Krise nicht verschlimmert und verlängert, da allzu lange so getan wird, als gäbe es keinen Handlungsbedarf. Das bringt jedoch auch eine Trägheit ins Spiel, die heilsam ist, weil sie im Unterschied zur Krise jene Normalität produziert, auf die sich jeder Ausweg aus der Krise ja wird stützen müssen. Umgekehrt heißt dies jedoch, dass unser von den Massenmedien produzierter Eindruck, dass die Krise überall ist, auf einer optischen Illusion beruht, nämlich darauf, dass wir im Moment dieses Eindrucks nicht darauf achten, wie viele Bereiche der Gesellschaft ganz normal weiterfunktionieren. >Die Krise regt nur auf, um gleich anschließend zu beruhigen, dass man zu einem dynamischen Gleichgewicht zurückfände, in dem zwar Vieles neu, aber nichts wirklich unvertraut ist. Denn letztlich hat die Vernunft sich durchgesetzt; und mit der kennt man sich aus. >Mit diesem Muster bricht erst die nächste Gesellschaft, mit der wir es seit der Einführung der Elektrizität und der deren Möglichkeiten ausbeutenden Computer zu tun haben. >Man kann darüber spekulieren, ob der 1. Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise und der 2. Weltkrieg noch zu den Krisen der modernen Gesellschaft oder bereits zu den Krisen der nächsten Gesellschaft gehören. Immerhin beutelt die Elektrizität seit 1900 unsere Gesellschaft und immerhin hat Hugo von Hofmannsthal bereits zu diesem Zeitpunkt jenes „nervöse Zeitalter“ ausgerufen, von dem andere glauben, es sei erst mit der New Economy der 1980er Jahre ausgebrochen. Ohne Frage jedoch ist es die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise, die uns zeigt, dass wir es nicht mehr mit den Krisen der modernen Gesellschaft zu tun haben. Mit Sicherheit waren bereits die faschistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts Beispiele für hoch unwahrscheinliche Entwicklungen im statistischen Extrembereich des nicht mehr Normalen. Aber ebenso sicher ist auch die Blasenökonomie der vergangenen 15 Jahre ein Beispiel für Krisenphänomene der nächsten Gesellschaft. Die Krisen des 20. Jahrhunderts sind keine Gleichgewichtsstörungen mehr und sie

sind auch keine Rückschläge mehr auf dem mehr oder minder gleichgewichtigen Pfad des Fortschritts, den das 18. und 19. Jahrhundert beschworen hatten. Die Krisen des 20. Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts sind Zusammenbrüche von Extrementwicklungen, aus denen es uns nur auszusteigen gelingt, wenn wir gleichzeitig in andere Extrementwicklungen einsteigen. Wir haben es mit einem Stichwort von Philip Ball nur noch mit "kritischen Massen" zu tun. Das Gesetz dieser Krisen ist die Wahrscheinlichkeit, mit der sich unscheinbare Abweichungen über positive Rückkopplungen zu Blasen entwickeln, die nur platzen, wenn die nächste Blase die überschüssigen Spekulationen aufzufangen verspricht. Krisen sind keine Störungen von Gleichgewichten mehr, sondern Zusammenbrüche von Komplexitäten. Und Komplexitäten sind wie in der Mathematik Konstellationen oder auch Konjunkturen des Zusammentreffens von reellen und imaginären Entwicklungen, von Phantasie und Wirklichkeit, die für eine gewisse Zeitlang einen Trend beschwören können, denen viele zu folgen bereit sind, bis auch dieser Trend seine Attraktivität verliert und der nächste Trend sich aufbaut. >In den Sozialwissenschaften verwendet man seit einiger Zeit wieder den Begriff des Regimes. Regime sind hoch unwahrscheinliche Konstellationen von Organisationen, Leuten, Milieus, Technologien, Symbolen und Emotionen, die ihre Anfangsplausibilität aus einer überzeugenden Geschichte, einer gelungenen Problemdiagnose oder auch aus einem innovativen Produkt gewinnen und aus dieser Anfangsplausibilität eine Karriere spinnen, die genau so lange hält, wie sie hält. Kein Mensch beschäftigt sich noch mit der Frage, woher diese Regime kommen und wohin sie gehen. Jeden interessiert nur noch die Frage, wie stark sie sind, für wen sie welche Art von Attraktivität haben und wie lange sie wohl dauern werden. Die meisten dieser Regime haben einen Eigennamen und für alle lässt sich ein Zeitraum nennen, in dem sie sich gegenüber mehr oder minder gleichplausiblen Rivalen durchsetzen konnten und geherrscht haben. Eine Krise markiert den unbegründeten Zusammenbruch eines unbegründeten Regimes und damit die Eigendynamik einer sozialen Komplexität, in der es nur unwahrscheinliche Kombinationen gibt und jede Unwahrscheinlichkeit sich auch irgendwann zu erkennen gibt. Nur Nostalgiker glauben, dass es irgendwann ge-

lingen wird, zu einer normalen Wirklichkeit zurückzufinden. Realisten wissen, dass wir in ein Zeitalter eingetreten sind, in dem es nur noch Regime gibt, von denen einige für eine Zeit die Lufthoheit gewinnen und andere bereits darauf warten, sie abzulösen. Jede Krise ist eine Totenglocke für das eine und eine Geburtsglocke für das nächste Regime. Die Zeichen der Zeit erkennt daher nicht der, der nach den Ursachen einer Krise und nach den Möglichkeiten ihrer Behebung fragt, sondern der, der sich fragt, was nach der Krise kommt. >LITERATUR Baecker, D. (2007): Studien zur nächsten Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a.M. Ball, P. (2004): Critical Mass: How One Thing Leads to Another, Being an Enquiry into the Interplay of Chance and Necessity in the Way that Human Culture, Customs, Institutions, Cooperation and Conflict Arise, Arrow Books, London. Keynes, J. M. (1973): The General Theory of Employment, Interest, and Money, Macmillan, London. McLuhan, M. (1968): Die magischen Kanäle, Econ, Düsseldorf.

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daniel palm Die Ereignisse um den Zusammenbruch von Lehmann Brothers sind von einer Kritischen Theorie weitestgehend umgangen worden. Wirtschaftstheorie scheint ihre Analyse maßgeblich mit der Intention der Wiedererschaffung des status quo ante betrieben zu haben, während sich die kritischeren Texte eine hinderliche Häme kaum verkneifen konnten: „In der Krise zeigt sich erst die Wahrheit dieser Gesellschaft.“ (Dornis, 2009) >Beide dieser zugegebenermaßen recht pauschalen Typen der Reaktionen auf das, was sich als „Finanzkrise“ in den Schlagzeilen und Lebenswelten niederschlug, werden dem Anspruch einer Kritischen Theorie nicht gerecht. Während sich bei dem kritischen Abklopfen ihrer Prämissen in der Wirtschaftstheorie kein rechter Wille zu einer rückhaltlosen Analyse zeigen will, verharrt externe Kritik an dem, was „Finanzkrise“ genannt wird zu gern in moralischen Kategorien oder im Vorhof der Ideologiekritik. Einer explizit Kritischen Theorie der Finanzkrise gälte aber nach Link: „Es geht nicht darum, Theorie zugunsten der Wirklichkeit mit aller Macht zu retten, sondern unerträgliche Zustände auf den Begriff zu bringen, um sie verändern zu können.“ (Link, 1976: 19) >Der Rückzug von Kritik auf das Feld der Ideologiekritik ist beim Begriff der Finanzkrise sowenig hinreichend wie seine moralische Abqualifizierung. Gerade bei der moralischen Bewertung der Ereignisse zeigt sich eher eine nur zu bequeme Haltung zu den bestehenden Verhältnissen: „Der oft demagogische Kampf gegen die Gier der Bankmanager gefällt. Kapitalismus ist amoralisch, nicht notwendig unmoralisch – um die Freiheit der Wahl der moralischen Maßstäbe zu gewährleisten.“ (Elsenhans, 2010: 92). Spätestens die Pluralität der moralischen Maßstäbe verhindert hierbei einen Konsens zur Veränderung. >Während solche eher bürgerlichen1 Annäherungen an eine Negation der Finanzkrise sich in ihrer Pluralität selbst verhindern,

Bürgerlich, weil von von (post-)kapitalistischen Gesellschaft(en) geprägten Subjekten ausgehend. 1

Wanted: Kritische Theorie der Finanzkrise versucht die selbsternannte „ideologiekritische“ Seite mit einer abstrakten Negation von „Tauschwert“ qua „materialistischer Gesellschaftskritik“ den Spagat sowohl „anarchistisch [...] als auch kommunistisch“ (Dornis, 2009) zu sein. „Sie ist bestrebt, die gewaltförmige Vergleichung von Produkten zu Waren durch den Wert und von Individuen zu Subjekten durch den Staat zu beenden.“ (Ebd.). Doch die durch Tauschwert durchdrungene Gesellschaft ist eben nicht zwingend als eine kapitalistische zu begreifen und somit erscheint die bloße Negation von „Tauschwert“ als zu allgemein zur Kritik der bestehenden Verhältnisse. Die Abstraktion von Nutzwerten der Ware auf ihren Tauschwert als relevantes Merkmal kann in den verschiedensten Gesellschaftsformen beobachtet werden.2 >Durch die Allgemeinheit der Kritik wird verpasst, Kapitalismus „auf den Begriff zu bringen“, also eine Theorie über die Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise zu entfalten. „Philosophische Sachverhalte aus den ökonomischen Zusammenhängen zu entwickeln heißt, die Ursachen geistiger Erfahrungen und Bewusstseinsursachen in den Tausch und Eigentumsverhältnissen zu suchen und sie klar zu benennen.“ (Link, 1976: 21). Erst mit einer solchen ökonomischen Theorie ließe sich dann auch erkennen, welche Phänomene als kapitalistisch zu werten sind – und welche eben nicht. Nun kann in diesem Rahmen kein Kapitalismusbegriff entwickelt werden,3 doch die Betrachtung der folgenden zwei Aspekte der Finanzmärkte bricht wohl mit intuitiven4 Einordnungen der Finanzkrise unter vorherrschende Kapitalismusbegriffe. >Zum einen kann kaum aufrecht behauptet werden, dass „der Finanzmarkt“ einen idealtypischen Markt darstellt und als solcher dann als kapitalistisch zu begreifen sei. Der (Wirtschafts)Theorie nach, hätte ein Markt von frei wirkender Konkurrenz um

Hier zu argumentieren, dass jegliche Erscheinung des Tauschwertes bloßes Glied in der „Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise [sei], die man sich als eine katastrophische Kette von Enteignungsprozessen vorzustellen hat“ (Dornis, 2009 D.P.) lässt ein „Elend des Historizismus“ (Popper, 1971: 83-102) durchscheinen. 2

die „optimalen“ Preise geprägt zu sein. Heiner Flassbeck, Autor des „Trade and Development Report“ der United Nations Conference on Trade and Development (UNCATD) ist einer unter jenen, die argumentieren, dass dieses vom „Finanzmarkt“ gerade nicht geleistet wird. In seiner Studie zu den Prozessen an „Finanzmärkten“ kommt er zu dem Schluss, dass dieses auch nicht ernsthaft erwartet werden kann: „They are not able to evaluate the future of societies and to find a reasonable price for the risk of default or any other severe shock. What makes us believe that anonymous herds on the financial markets should be able to generate knowledge that even the best an brightest brains are not able to produce?“ (Flassbeck, 2010: 30). >Der andere Aspekt betrifft eine Argumentation, welche als Grundlage verschiedenster Politiken, über alle Parteigrenzen hinweg, vor allem auch in der Bundesrepublik Deutschland, diente und noch immer dient. Gemeint ist die angebliche Ordnung der Gesellschaft durch „das Kapital“, also eines vermeintlichen Anpassungszwangs der Gesellschaft(en) an die Vorgaben des seit einer „Globalisierung“ weltweit mobilen Kapitals. Das, was als Finanzkrise zu begreifen ist, negierte die Notwendigkeit solcher (Anpassungs-)Politiken: „In der Krise ‚haute‘ das Finanzkapital nicht ab. Es brach einfach zusammen. Und als es zusammengebrochen war, sah man, dass es – in der Form wie behauptet – gar nicht notwendig gewesen war: Man konnte ‚ohne‘ und konnte sogar die Banken wieder beleben.“ (Elsenhans, 2010: 99) >Die Kritik an der „Krise“ der Finanzmärkte muss solche „nichtkapitalistische“ Aspekte mit reflektieren, um zu einer Kritik der bestehenden Verhältnisse zu kommen. Erst mit dem Begriff von der Finanzkrise wird sich von dieser emanzipiert werden können.5 Abstrakter Negation wie auch moralischer Abqualifizierung ist entgegenzuhalten, dass sie die oben genannten Aspekte gar nicht mehr aufnehmen und somit unter dem Etikett der Kapitalismuskritik kaum mehr Konkretes zu reflektieren vermögen. Mit der Enthaltung einer politökonomischen Analyse wird auch die Voraussetzung für eine bestimmte Negation der Verhältnisse verpasst: „Das Überschreiten der Praxis versteht sich in der kritischen Theorie stets als bestimmte Negation, als permanentes reflektiertes Distanzieren von einer sich stabilisierenden Praxis, die natürlich nicht ignoriert werden darf, sondern um ihrer möglichen Veränderung willen analysiert werden muß, jedoch ohne dass es eine Anpassung zur Folge hätte.“  Eine mögliche Annäherung bei Hartmut Elsenhans (Elsenhans, 1983; 2000; 2007) und im speziellen als Reaktion auf die sogenannte Finanzkrise bei Elsenhans, 2010. 3

(Link, 1976: 17). Diese bestimmte Negation der Finanzkrise ist umso nötiger zu leisten, weil es wohl nicht allzu spekulativ ist, zu behaupten, dass sie von der institutionalisierten Wirtschaftstheorie nicht geleistet werden wird. >LITERATUR Dornis, M. (2009): „K wie Krise“, in: Cee Ieh, H. 161, Link: http://www.conneisland.de/nf/161/15.html (aufgerufen: 25.03.2011). Elsenhans, H. (1983): „Rising Mass Incomes as a Condition of Capitalist Growth: Implications for t he World Economy“, in: International Organization, Jg. 37, H. 1, S. 1-39. Elsenhans, H. (2000): „Die Globalisierung der Finanzmärkte und die Entstehung einer neuen Rentenklasse“, in U. Menzel (Hg.): Vom Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen. Dieter Senghaas zum 60. Geburtstag, Suhrkamp, Frankfurt a. M., S. 518-542. Elsenhans, H. (2007): Geschichte und Ökonomie der europäischen Welteroberung. Vom Zeitalter der Entdeckungen zum Ersten Weltkrieg, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig. Elsenhans, H. (2010): „Finanzkrise als Chance. Die Entstehung fiktiven Reichtums“, in: Welt Trends, H. 71, S. 92-101. Flassbeck, H. (2010): “The wisdom of the herd – What the financial markets can tell about sovereign risk”, in: Swiss Derivates Review, Jg. 42, S. 28-30. Link, J. (1973): Theorie der Gesellschaft. Kritische und historische Einführung, Raith, Starnberg. Popper, K. (1971): Das Elend des Historizismus, Mohr, Tübingen.

Auch mit durchaus theoriengeleiteten Kapitalismusbegriffen. Diese Diskussion kann hier aber nicht geleistet werden. 4

Emanzipation von Kapitalismus selbst bedarf der Vorherrschaft von selbigem, ob und inwiefern es einer solchen Emanzipation von Kapitalismus überhaupt noch bedarf, (weil es vielleicht schon gar nicht mehr das bestimmende System ist) ist eine Diskussion, die hier nicht geleistet werden kann. 5


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peter spahn Den Menschen in Europa geht es relativ gut. In Deutschland ist der historisch einmalige Wirtschaftseinbruch um 5% im Jahr 2009 nahezu ohne Folgen geblieben. Der Arbeitsmarkt wurde durch eine kluge Kurzarbeiterregelung von der Krise abgekoppelt und erholt sich weiter. Deutsche Unternehmen bewegen sich erfolgreich auf den Weltmärkten. >Gleichwohl befinden sich Deutschland und die Länder Europas in einer tiefen Krise. Sie besteht in einer Inkonsistenz zwischen vereinbarten Normen und institutionellen Regelungen einerseits und vom Finanzmarktgeschehen ausgehenden Handlungszwängen andererseits. Krise heißt nicht zwingend: Einbußen an wirtschaftlichem Wohl­stand, sondern: die Erfahrung, dass gesellschaftliche Regeln, die zur Vermeidung von Problem­lagen getroffen wurden, nicht beachtet worden sind oder möglicherweise gerade die Ursache plötzlicher Störungen sind. Im ersten Fall ist die mangelnde Verbindlichkeit getroffener Vereinbarungen das Problem, was langfristig den Bestand der Normen und den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährden kann; im zweiten Fall haben verantwortliche Stellen offenbar einer falschen Weltsicht angehangen. >Die Gründung der Europäischen Währungsunion (EWU) war ein historisches Experiment: die Schaffung einer gemeinsamen Währung ohne eine politische Union. Es gab durchaus Stimmen, die sich gerade von diesem Integrationsmodell (das bei früheren Versuchen in der Wirtschaftsgeschichte stets gescheitert war) eine Lösung politischökonomischer Schwachpunkte erhofften: Regierungen, die über einen Zugang zu „ihrer“ nationalen Zentralbank verfügen, waren in der Vergangenheit des Öfteren in die Versuchung gekommen, den Staatshaushalt durch einen zinslosen Notenbankkredit zu finanzieren. Der Europäischen Zentralbank (EZB) ist jedoch jeder direkte Staatskredit verboten. Zudem haben EWU-Teilnehmerstaaten

Die Krise des Euro

bei staatlichen Schuldenproblemen auch nicht mehr die Möglichkeit einer Währungsabwertung, welche die Last einer in eigener Währung aufgenommenen Staatsschuld entwertet und über vermehrte Exporte höhere Steuereinnahmen einbringt. >Mit dem Übergang zur EWU geriet die Haushaltspolitik in den Mitgliedsländern somit in eine starke Abhängigkeit von der Anlagebereitschaft privater Gläubiger. Dies hätte einen mar­kanten Disziplinierungsdruck auf die Finanzpolitik ausüben müssen. Tatsächlich war davon wenig zu spüren. Die Bemühungen zur Konsolidierung der Haushalte (ablesbar an der Entwicklung der Primärsalden, d.h. Budgetsalden abzüglich Zinskosten) ließen nach Eintritt in die EWU nach. Dies lässt sich zum einen damit erklären, dass die nationalen Finanzminister nun Zugang zu einem erweiterten Anlagepotential auf dem großen EuroKapitalmarkt hatten. Zum anderen gingen die Kreditgeber offenbar davon aus, dass einzelne Länder durch ihre EWU-Mitgliedschaft gleichsam ein Soliditätssiegel verdient hätten (oder im Krisenfall auf Unterstützung der Gemeinschaft zählen könnten). Jedenfalls sanken die Zinsen für Staatsschuldtitel südeuropäischer „Problemländer“ auf das deutsche Niveau; griechische und deutsche Staatspapiere galten als gleichwertig. >Dieses Geschenk niedriger Zinsen hat die Staatshaushalte in den „Südländern“ zunächst entlastet und zugleich im Privatsektor einen kreditfinanzierten Investitions- und Konsumboom angetrieben. Platzende Immobilienblasen brachten die Banken in Probleme, ihre Rettung und die konjunkturpolitischen Kosten zur Bekämpfung der von den USA ausgehenden Weltwirtschaftskrise stürzten die europäischen Staatshaushalte tief in die Defizite. Der Rückzug von wieder stärker risikobewussten Anlegern, zunächst aus griechischen Staatsanleihen, ließ die Zinsen steigen; schnell wurde die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands deutlich.

>Ein effektiver Bankrott Griechenlands wäre finanzwirtschaftlich kein unmittelbar systemisches Problem gewesen. Die Banken als wichtigste Kreditgeber hätten allerdings nach der Verlustabschreibung (und auch nach einer teilweisen Übernahme der Verluste durch heimische Fiskalbehörden) die Risikoeinschätzung anderer Staatspapiere angepasst. Ein Verkauf von nun kritischer bewerteten Papieren hätte den Zinsendienst in den betreffenden Staaten verteuert. Vor allem aber wäre die Neukreditvergabe knapper und teurer ausgefallen. Für die europäischen Finanzminister wäre dieses Szenario –nach dem Zugang zu ihren Notenbanken auch die Geschäftsbanken als willige Kreditanbieter zu verlieren – ein Desaster gewesen. Es gab deshalb zur Griechenlandrettung, zumindest aus ihrer Sicht, keine Alternative. Nachdem Irland, Portugal und Spanien in den Strudel von Bankrottvermutungen geraten sind, ist ein großer Rettungsschirm aufgezogen worden, mit dem sich die europäischen Finanzminister wechselseitig ihre Staatsschulden garantieren. Das ist historisch ein einmaliger Vorgang. Die Glaubwürdigkeit dieses Rettungsschirms ist denn auch zweifelhaft, ablesbar an den immer noch großen Zinsdifferenzen zwischen den Anleihen „solider“ und „gefährdeter“ Staaten. Sie könnte verbessert werden, wenn die erste Staatengruppe, allen voran Deutschland, im Zweifelsfall wirklich für die Schulden der zweiten Gruppe einstehen würde. Dies ist jedoch, allen Ankündigungen zum Trotze, kaum vorstellbar: Erstens wären die finanziellen Lasten bei einer Schuldenkrise großer Südländer so erheblich, dass eben auch die soliden Länder nicht länger solide wären. Zweitens hat man in diesen Ländern die Zustimmung der Bevölkerung zur EWU nur durch die Versicherung erhalten, dass derartige Finanzgarantien ausgeschlossen sind. >Geist und Buchstabe des Maastrichter Vertrages und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sehen aus ordnungs- wie europapolitischen Gründen ein striktes Bailout-Verbot vor: Rettungsoperationen bei zahlungsunfähigen Schuldnern bringen die Gefahr des Moral Hazard mit sich, die strategische Ausnutzung erwarteter Hilfsbereitschaft anderer. Dagegen gerichtete institutionelle Vorkehrungen sind mit hohem Überwachungsaufwand verbunden und beschädigen das wechselseitige politische Vertrauen. Potentielle Geberländer müssen im Interesse ihrer Steuerzahler auf Kontrol-

len und Sanktionen bestehen, die weit in die politische Autonomie der Schuldnerländer hineinreichen und dort Abneigung gegen die „Retter“ und die europäische Idee überhaupt provozieren. Garantien für die Finanzen untergeordneter Körperschaften kann es in föderativen Bundesstaaten geben, nicht jedoch in einem Staatenbund, in dem die Bevölkerung keine politische Union i.S. eines fiskalischen Gesamthaushalts wünscht. >Die Beteiligung privater Gläubiger (durch einen anteiligen Forderungsverzicht) an den Rettungskosten ist aus der Perspektive finanzwirtschaftlicher und polit-ökonomischer Prinzipien selbstverständlich, erzeugt aber jetzt den fatalen Anreiz, gefährdete Papiere frühzeitig abzustoßen, wodurch weitere Länder über steigende Marktzinsen unter den Schirm gezwungen werden – ein Beispiel für das Dilemma interventionistischer Markteingriffe: das für den Kapitalismus unverzichtbare Prinzip des Gläubigerrisikos erscheint als Störfaktor! Mitt­ler­weile muss die EZB aushelfen und Papiere besonders gefährdeter Staaten aufkaufen, um deren Kurse nicht noch mehr abstürzen zu lassen. Damit wird das regulative Dilemma vollkommen, weil auch die strikte Trennung zwischen Finanz- und Geldpolitik, die den Grundstein der EWU bildet, ausgehebelt wird. >Die Sparpolitik der überschuldeten Staaten wirkt hilflos, weil sie zwar die notwendigen Schritte zum Ausgleich des laufenden Haushaltsvollzugs einleitet aber nicht das Problem eines überhöhten Schuldenstandes löst. Eine Grundregel des Kapitalismus lautet, dass uneinbringbare Forderungen abgeschrieben werden müssen, d.h. irgendjemand muss den Vermögensverlust übernehmen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden es die Deutschen sein, als Kunden deutscher Banken und Versicherungen, die große Bestände ausländischer Staatsschulden halten. Damit würden sich die Gewinne aus permanenten Exportüberschüssen z.T. in Luft auflösen.

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jenny preunkert

Krisengewinner: Währung

Seit sich abzeichnet, dass einige Staaten Probleme haben, ihre Schulden auf den Finanzmärkten zu refinanzieren, ist in der Öffentlichkeit von einer Eurokrise die Rede. Es wird vor einer Inflationsgefahr gewarnt und diskutiert, ob der Euro als Gemeinschaftswährung eine Zukunft hat. Unklar bleibt jedoch meist, was die Eurokrise ausmacht. Im Folgenden wird argumentiert, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise zwar die Stabilität der europäischen Währungsunion erschüttert hat, jedoch wenig dafür spricht, die Turbulenzen als Eurokrise zu bezeichnen. Vielmehr deutet vieles darauf hin, dass der Euro institutionell gestärkt aus seiner sogenannten Krise hervorgehen wird.

nem Bankrott eines Staates münden kann. Eine solche Krise kann bisher jedoch nur in Griechenland und, mit Abstrichen, in Irland beobachtet werden. Eine Krisengefahr kann man dagegen in Spanien, Portugal und Italien sehen. Für den Euro bedeutet diese Krise bzw. Krisengefahr für seine Mitglieder, dass die internen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten wachsen und so die Gefahr einer destruktiven Eigendynamik innerhalb der Währungsunion zunimmt. Der Euro als Gemeinschaftswährung ist also in keiner Krise, jedoch durchaus einer Krisengefahr ausgesetzt.

Gibt es eine Eurokrise?

Stabilisierung des Euro

Von einer Krise ist aus institutioneller Perspektive dann zu sprechen, wenn eine institutionelle Ordnung durch interne oder externe Schocks so destabilisiert wird, dass ihr Fortbestand gefährdet ist, ohne dass dies von den Akteuren intendiert oder gewollt ist. Was also ist eine Währungskrise? Vereinfacht gesprochen: Eine Währung ist dann in einer Krise, wenn ihr Austauschwert intern (im Tausch gegen Güter, Dienstleistungen) oder extern (gegenüber anderen Währungen) so instabil ist, dass sie ihre primäre Funktion als ein territorial begrenztes Zahlungsmittel nicht mehr erfüllen kann. Der Euro war dagegen trotz einiger Schwankungen im Lauf der Finanz- und Wirtschaftskrise immer relativ stabil. Wenn es aktuell eine Krise gibt, dann muss von einer fiskalpolitischen Krise einiger Euro-Mitglieder gesprochen werden, da es diesen Staaten nicht mehr bzw. nur unter sehr schwierigen Bedingungen möglich ist, Geld auf den Finanzmärkten aufzutreiben. Eine Krise ist dies deshalb, weil das Ausbleiben einer Refinanzierung der Staatsschulden die staatliche Ordnung nachhaltig erschüttern und im schlimmsten Fall in ei-

Warum der Euro trotz der tiefgreifenden Probleme einiger seiner Mitgliedsstaaten bisher noch nicht in eine akute Krise geraten ist, kann an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden. Ein Faktor waren sicher die europäischen Maßnahmen zur Stabilisierung der nationalen finanziellen Handlungsfähigkeit. Denn die nationalen Krisen zeigten, dass die bisherige institutionelle Ordnung der Eurozone ungenügend auf solche Krisen eingestellt war bzw. die Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung solcher Probleme im aktuellen Fall nicht griffen. Die Gefahr einer Eurokrise erhöhte ferner auch die Reformbereitschaft der beteiligten Staaten und ist daher ein „window of opportunity“, um die institutionelle Ordnung der Währungszone zu stärken und neu zu gestalten. >Vor der Krise beruhte der Euro auf einer institutionellen Ordnung, die erstens vom Prinzip der Aufgabenteilung zwischen nationaler und europäischer Ebene geprägt war (Dullien/Schwarzer, 2009). Während die Geldpolitik zentral auf europäischer Ebene organisiert wurde, lagen Fiskal- und Wirtschaftspolitik dezentral in den Händen der Mitgliedstaaten. Koordiniert wurden die nationalen Politikbereiche durch gemeinsame

Ziele, deren Umsetzung mittels Benchmarkingverfahren kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert werden sollten. Ein zweites Prinzip war die Betonung der nationalstaatlichen Eigenverantwortung, d.h. eine Transferunion wurde prinzipiell ausgeschlossen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt nun, dass die nationalen Wirtschaften stärker als bisher gedacht miteinander verwoben sind. Deshalb fürchteten die Euromitgliedstaaten, entgegen anders lautender Rhetorik, dass der Bankrott eines Staates die Gemeinschaftswährung in nicht kalkulierbarer Weise destabilisieren würde (Hodson, 2010). >Um die Gefahr eines griechischen Staatsbankrotts abzuwenden, entschieden sich die Euro-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme der Slowakei) dafür, Griechenland Kredite zur Verfügung zu stellen. Der bilaterale Ansatz erlaubt es den Staaten, das Transferverbot zu umgehen. Als später weitere Staaten Probleme bekamen, Schulden zu tragbaren Zinsen auf den Finanzmärkten zu refinanzieren, entschlossen sich die Euro-Staaten, den sogenannten Europäischen Stabilisierungsmechanismus einzuführen.1 Vereinfacht gesprochen, können im Rahmen dieses Rettungsansatzes Staaten Kredite von der EU bekommen, deren Zinssatz unter dem liegt, den sie auf den Finanzmärkten zahlen müssten. Unter den „Rettungsschirm“ ist bisher nur Irland geschlüpft. Andere Staaten halten sich dagegen zurück, da die Hilfen mit massiven Auflagen und Eingriffen in den staatlichen Handlungsspielraum verbunden sind. Zwecks unmittelbarer Bewältigung der akuten Refinanzierungsprobleme einiger Eurostaaten waren die Euromitglieder somit bereit, nicht nur den rechtlichen Rahmen der Eurozone neu zu definieren sondern auch selbst Kredite bzw. Garantien zur Verfügung zu stellen. >Neben diesen Ad-hoc-Maßnahmen geht es zurzeit auch um die Frage, wie der bisher nur temporär eingerichtete Krisenbewältigungsmechanismus dauerhaft gestaltet werden kann. Entscheidend für meine Ausgangsthese ist dabei, dass die Einrichtung eines solchen Mechanismus an sich nicht mehr in Frage steht, sondern nur noch ausgehandelt wird, zu welchen Konditionen er eingeführt werden soll. Parallel dazu begann auch eine Diskussion, wie die Währungsunion künftig zu gestalten sei (De Grauwe, 2010). Trotz unterschiedlicher Standpunkte der Regierungen zeichnet sich hierbei ab, dass die europäische Kontrolle der Fiskal- und Wirtschaftspolitik  Dieser Stabilisierungsmechanismus beruht auf drei Säulen: Erstens gewährt die Europäische Kommission Kredite, zweitens stellen die europäischen Staaten freiwillig Kredite zur Verfügung bzw. Sicherheiten zur Gewährung der Kredite und drittens werden durch den Internationalen Währungsfond Kredite bereit gestellt. 1

gestärkt wird. Am Ansatz der weichen Koordinierung wird somit zwar festgehalten, nationale Souveränität soll möglichst geschont werden, die europäischen Handlungsspielräume sollen aber ausgebaut werden.

Fazit Der Euro ist bisher in keine akute Krise geraten. Vielmehr wurde die Krise einiger seiner Mitglieder als eine Krisengefahr für die Gemeinschaftswährung wahrgenommen. Diese Krisengefahr löste politische Reaktionen aus, welche die institutionelle Ordnung der Gemeinschaftswährung nachhaltig verändern. So wurde erstmals ein EU-Management nationaler fiskalpolitischer Krisen betrieben, wobei freilich noch nicht klar ist, wie es langfristig institutionalisiert werden soll. Des Weiteren wurde offensichtlich, dass der bisherige Koordinierungsansatz nicht ausreicht, um die nationalen Haushalte stabil zu halten und die wirtschaftliche Konvergenz innerhalb der Eurozone voranzutreiben. Die Finanz- und Wirtschaftskrise zeigte jedoch nicht nur Lücken in der bestehenden institutionellen Ordnung auf, sondern führte auch dazu, dass die Regierungen versuchen, diese zu beheben. Zwar kam es nicht zu radikalen Innovationen, doch wurden bestehende Handlungsansätze weiter entwickelt. Im Ergebnis kam es zu einem Integrationsschub innerhalb der Eurozone, der so vor der Krise nicht denkbar gewesen wäre. Als Reaktion auf die Krise wurde die institutionelle Ordnung des Euros ausgebaut und gestärkt. Also: Der Euro ist ein Krisengewinner. >LITERATUR De Grauwe, P. (2010): “The Fragility of the Eurozone’s Institutions“, in: Open Economy Review, Vol. 21, S. 167–174. Dullien, S./Schwarzer, D. (2009): “Bringing Macroeconomics into the EU Budget Debate: Why and How?”, in: Journal of Common Market Studies, Vol. 47, No. 1, S. 153–174. Hodson, D. (2010): “The EU Economy: The Euro Area in 2009”, in: Journal of Common Market Studies, Vol. 48, S. 225–242.


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sozialstaat

georg vobruba

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Der Wohlfahrtsstaat ist eine nationalstaatliche Angelegenheit. Der Nationalstaat wird von der Globalisierung unterspült, und die Europäische Integration ist eine Erscheinungsform der Globalisierung. Die Europäische Integration war von Anfang an ein ökonomisches Projekt. Im Kern ging es immer schon darum, großflächige Märkte mit möglichst einheitlichen Marktregeln zu schaffen. Also führt die Europäische Integration zur Erosion des Wohlfahrtsstaats (vgl. Münch, 2010). >Das ist die allgemein übliche Argumentation. Dazu kommt, dass durch die Finanzund Euro-Krise der Druck auf die nationalen Wohlfahrtsstaaten verstärkt wird. Die Argumentation ist so überzeugend, dass es sich lohnt, den Spieß umzudrehen und zu fragen: Löst sich der nationale Wohlfahrtsstaat tatsächlich auf? Vollzieht die Finanzkrise am Wohlfahrtsstaat wirklich das, was in der Europäischen Integration ohnehin schon immer angelegt war? Oder erweist sich der Wohlfahrtsstaat auch unter verschärften Bedingungen als irreversibel (Therborn/Roebroek, 1986; Vobruba, 2005)? Und falls dies nicht der Fall sein sollte: Gibt es Anzeichen, dass der Wohlfahrtsstaat durch eine supranationale, europäische Sozialpolitik schrittweise ersetzt wird? Soziale Sicherheit auf der europäischen Ebene sehen nur jene entstehen, die einen extrem weiten Begriff von Sozialpolitik verwenden (vgl. Leibfried/Pierson, 1995). Dehnt man den Begriff von Sozialpolitik auf Arbeitsschutz, Gleichstellung der Geschlechter, Initiativen zur Verlängerung des Elternurlaubs, Strukturhilfen und Agrarsubventionen aus, so findet man tatsächlich deutliche Ansätze einer europäischen Sozialpolitik. Aber von großzügigen Definitionen kann man nicht leben. Arbeitssuchende, denen das Arbeitslosengeld gekürzt wird oder Krankenversicherte, für die der Zugang zu Gesundheitsleistungen immer kostspieliger

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Krisenverlierer: Wohlfahrtsstaat

wird, haben von solchen Erfolgen im Definitionskampf nichts. In den Kernbereichen der Sozialpolitik ist nicht zu erkennen, dass der nationale Wohlfahrtsstaat durch Institutionenbildung auf der europäischen Ebene abgelöst würde (vgl. Ganßmann, 2010). Weder greifen die Ansätze weicher Regulierung, die Offene Methode der Koordination, in der Sozialpolitik (vgl. Preunkert, 2009), noch sind die nationalstaatlichen politischen Eliten bereit, mit der Kommission ihre Steuer- und Beitragshoheit zu teilen. Im Übrigen sind auch nur Angehörige solcher Länder für einen sozialpolitischen Verantwortungstransfer vom Nationalstaat auf die europäische Ebene, in denen die Sozialpolitik des eigenen Landes als leistungsschwach einschätzt wird (vgl. Mau, 2005). Das sind genau jene Länder, deren Sozialpolitik durch die internationale Finanzkrise unter Druck geriet. Der Abbaudiskurs begleitet die Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten schon seit dreißig Jahren. Ihre tatsächliche Entwicklung steht dazu bisher freilich in einem merkwürdigen Kontrast. Zwar gibt es eine breite politische Dauerdebatte, die auf Individualisierung und Reprivatisierung von Verantwortung für sozialpolitische Problemlagen, auf die aktive Mitwirkung der Sozialstaatsklientel bei der Bewältigung sozialpolitischer Probleme und auf private Beteiligung an sozialpolitischen Kosten zielt (vgl. Vobruba, 1983; Lessenich, 2008). Aber die Sozialleistungsquoten sind in den meisten Ländern über Jahrzehnte konstant, allenfalls leicht rückläufig. In mehreren Mitgliedsländern der EU findet man zwar eine Verschärfung von Zugangsbedingungen zu Lohnersatzleistungen und eine Absenkungen der Transferniveaus, zugleich aber werden in einigen die familienbezogenen Leistungsarten ausgebaut (vgl. Bleses/ Seeleib-Kaiser, 2004). >Mit all dem ist freilich nicht gesagt, dass die Qualität der sozialpolitischen Versorgung

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konstant geblieben ist. Es sind zwei Entwicklungstendenzen, die zu ihrer deutlichen Verschlechterung geführt haben. Zum einen hat der administrative Aufwand zugenommen, der mit der Vergabe wohlfahrtsstaatlicher Leistungen verbunden ist. Das ist die unmittelbare Folge der Individualisierung von sozialpolitischen Problemen und der Reprivatisierung von Verantwortung. Beides führt zu erhöhtem Verwaltungsaufwand und zu erweiterten administrativen Ermessensspielräumen mit der Konsequenz, dass Leistungsversprechen weniger verlässlich werden. Und zum anderen muss mit gleichbleibenden oder leicht abnehmenden Sozialleistungsquoten ein deutlich zunehmender Problemanfall abgedeckt werden. Im Ergebnis hat die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung also dazu geführt, dass die Sozialtransfers pro Fall weniger und weniger verlässlich wurden. Alles in allem gab es also Verluste von sozialer Sicherheit in quantitativem und qualitativem Sinn. Wie wirkt dabei die Finanzkrise?   Im Zuge der internationalen Finanzkrise hat sich das Gläubigervertrauen in die Mitgliedsländer der Euro-Zone stark differenziert. Bis zum Jahr 2008 war man offensichtlich von etwa der gleichen Bonität aller Euro-Länder oder von einer de facto Ausfallshaftung der reichen für die ärmeren Länder ausgegangen. Dies ist daran zu erkennen, dass sich die langfristigen nominalen Kapitalmarktzinsen in den einzelnen Euro-Ländern kaum voneinander unterschieden (vgl. Sachverständigenrat, 2010: 82). Die Finanzkrise zerstörte diese „Illusion eines homogenen EuroKapitalmarktes” (Spahn, 2011), steigerte das Risikobewusstsein und machte die (Re-) Finanzierungsprobleme der Staatsschulden einzelner Länder manifest. Die geforderten Zinsen innerhalb der Euro-Zone entwickelten sich stark auseinander und verstärkten die Finanzierungsprobleme der schwachen Euro-Schuldnerländer massiv. >Die internationale Finanzkrise wirkt – vermittelt über die Staatsschuldenprobleme in der Euro-Zone – in zweierlei Weise destruktiv auf die Wohlfahrtsstaaten. Zum einen geraten die sozialen Sicherungssysteme der ärmeren Euro-Länder durch die Versuche, ihre exzessive Staatsverschuldung zurückzufahren, unter Druck. Zum anderen müssen die reichen Euro-Länder für Rettungsaktionen für Banken und ganze Volkswirtschaften Mittel aufwenden, die für sozialpolitische Zwecke fehlen. Also sind

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auch die Wohlfahrtsstaaten der reichen Euro-Länder Krisenverlierer. Diese Effekte für die reichen Euro-Länder (in der Praxis vor allem für Deutschland) könnten allerdings deshalb milder ausfallen, weil durch den aktuellen Rückgang der Arbeitslosigkeit der Problemdruck auf den Wohlfahrtsstaat abnimmt. Dagegen besteht kein Zweifel, dass die Aussichten der Wohlfahrtsstaaten in den ärmeren, hoch verschuldeten Euro-Ländern schlecht sind. >Im politischen Diskurs über die aktuelle finanzielle Rettung der ärmeren Euro-Länder und über die langfristige Absicherung der Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Währung geht es einerseits um Maßnahmen zur Wiederherstellung des Gläubigervertrauens, andererseits um die Verteilung der damit verbundenen Kosten. Kurzfristig spricht dabei alles dafür, dass sich die ärmeren Schuldnerländer der Regulierung durch die reichen fügen müssen; dass sie also den Löwenanteil der Kosten zu tragen haben und dass die Finanzsparzwänge ihre Wohlfahrtsstaaten schwer beschädigen. Es könnte aber sein, dass sich dieses Bild ändert, wenn man die fiskalischen Erwägungen in eine weitere Konfliktkonstellation stellt.   Die Austerity-Politik in den ärmeren Euro-Schuldnerländern an der Peripherie der Europäischen Union stößt jedenfalls dann an Grenzen, wenn der Abbau ihrer Wohlfahrtsstaaten soziale Unruhe erzeugt, die vom reichen EU-Kern als Stabilitätsproblem wahrgenommen wird. Dieser Mechanismus, der sich aus den Interessenverflechtungen zwischen Zentrum und Peripherie innerhalb der Europäischen Union ergibt (vgl. Vobruba, 2007), könnte durch die gegenwärtigen Entwicklungen in Nordafrika noch verstärkt werden. Denn in dem Maße, in dem die Peripherie außerhalb der EU durch soziale Revolten an Stabilität verliert, gewinnen die peripheren Staaten innerhalb der EU als Stabilitätspuffer für den reichen EU-Kern an Bedeutung. Damit aktualisiert sich der politische Tausch, der das Verhältnis zwischen Kern und Peripherie der EU immer schon bestimmt hat: Finanztransfers von reich an arm für Stabilitätsgarantien von arm an reich. >Versteht man die Zukunft der sozialen Sicherheit als nur von Finanzierungsproblemen bestimmt, so ist der Wohlfahrtsstaat klar Krisenverlierer. Rekonstruiert man ein umfassenderes politisches Kalkül, das darüber hinaus auch Probleme politischer

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Stabilität einbezieht, sieht die Zukunft der Wohlfahrtsstaaten der ärmeren Euro-Länder weniger düster aus. Es könnte sein, dass sich die soziale Stabilität der Peripherie der EU nur mit wohlfahrtsstaatlichen Mitteln halten lässt, und dass sich der reiche Kern der EU dies etwas kosten lassen muss. Das ist nichts anderes als der aktuelle Ausdruck einer alten konflikttheoretischen Einsicht (vgl. Alber, 1982): Um zu sozialer Sicherheit zu kommen, haben die Armen nichts anzubieten, als ihren Verzicht auf Revolte. >LITERATUR Alber, J. (1982): Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat, Campus, Frankfurt a. M./ New York. Bleses, P./Seeleib-Kaiser, M. (2004): The Dual Transformation of the German Welfare State, Palgrave, Mcmillan Basingstoke, New York. Ganßmann, H. (2010): „Soziale Sicherheit durch die EU? Staatstheoretische und europasoziologische Perspektiven“, in: Eigmüller, Monika/Mau, Steffen (Hrsg.): Gesellschaftstheorie und Europapolitik, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 329-352. Leibfried, S./ Pierson P. (Hrsg.) (1995): European Social Policy: Between Fragmentation and Integration, Brookings Institute, Washington D. C.. Lessenich, S. (2008): Die Neuerfindung des Sozialen, Transcript, Bielefeld. Mau, S. (2005): “Democratic Demand for a Social Europe? Preferences of the European Citizenry”, in: International Journal of Social Welfare, Vol. 14, S. 76-85. Münch, R. (2010): European Governmentality. The Liberal Drift of Multilevel Governance, Routledge, London. Preunkert, J. (2009): Chancen für ein soziales Europa?, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. Sachverständigenrat (2010): Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2010/11. Chancen für einen stabilen Aufschwung. Spahn, P. (2011): Die Schuldenkrise der Europäischen Währungsunion. Verv. Ms., Link: http://library.fes.de/pdf-files/ wiso/07686.pdf Therborn, G./Joop, R. (1986): “The Irreversible Welfare State. Its Recent Maturation, its Encounter with the Economic

Crisis, and its Future Prospects”, in: International Journal of Health Services, Vol. 16, No. 3, S. 319-338. Vobruba, G. (1983): Politik mit dem Wohlfahrtsstaat, Suhrkamp, Frankfurt am Main. Vobruba, G. (2005): “The Irreversible Welfare State Within the Globalization Dilemma”, in: Cantillon, Bea/Marx, Ive (Hrsg.): International Cooperation in Social Security. How to Cope With Globalization?, Intersentia, Antwerpen/Oxford, S. 81-91. Vobruba, G. (2007): Die Dynamik Europas, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

n io rle s n e ze itt e M R . A

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almut wielandkarimi Dr. Almut Wieland-Karimi zur Frage, was die Finanzkrise für die Zukunft der UN-Friedenseinsätze bedeutet, über Alternativen zu UN-Truppen und die UN-Mission in Afghanistan. >Wieland-Karimi promovierte in den neunziger Jahren zu Afghanistan und leitete von 2003 bis 2005 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul. Seit 2009 ist sie Direktorin des Berliner Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), einer Vorfeldorganisation des Auswärtigen Amtes, die für die Rekrutierung von deutschen zivilen Experten für Missionen der internationalen Organisationen, wie etwa der UN, zuständig ist. >Powision: Sind umfangreiche Einsätze der UN und anderer internationaler Organisationen, angesichts unter Druck geratener Haushalte überhaupt noch finanzierbar? >Wieland-Karimi: Die Krisen und Konflikte, die entstehen, orientieren sich natürlich nicht an den Finanzen, die zur Verfügung stehen. Aber die Finanzkrise bewirkt natürlich schon, dass den internationalen Organisationen und damit auch dem Peacekeeping weniger Mittel zur Verfügung stehen. Trotzdem ist UN-Peacekeeping im Verhältnis zu allen anderen Instrumenten, die wir kennen, um sich mit gewaltsamen Auseinandersetzungen zu beschäftigen, ein kostengünstiges Mittel. Und es gibt auch keine wirklichen Alternativen dazu, außer hohen ökonomischen und humanitären Kosten, die entstehen, wenn man die Konflikte nicht bearbeitet. Wir brauchen deshalb trotz Finanzkrise antizyklische Investitionen in die UN und die UNFriedensmissionen. Diese These wird gerade überrollt durch die aktuelle Entwicklung im Nahen Osten, wo ganz klar ist, dass es internationale Unterstützung für diese Transformationsprozesse braucht. Ich bin sicher, dass es trotz Finanzkrise Investitionen in die Konfliktregion geben wird, weil es einfach von immanentem Interesse ist, diese Konflikte

„Ist der politische Wille da, werden auch die Mittel bereitgestellt, um ihn umzusetzen“ ohne Gewalt zu transformieren und weiterhin auch Nachbarstaaten zu haben, in denen es Stabilität gibt und möglichst auch einen demokratischen Prozess. >Powision: Wie sieht es mit laufenden UN-Operationen aus? Ist da ein schrumpfendes Engagement von Deutschland oder etwa Japan zu erwarten, also den großen Beitragszahlern bei UN-Friedensmissionen? >Wieland-Karimi: Da gibt es natürlich Verpflichtungen, welche die Länder schon eingegangen sind. Diese Verpflichtungen werden Staaten wie Deutschland oder Japan auch einhalten. Aber im Sudan zum Beispiel hat jetzt das Referendum stattgefunden und die UNMIS1 wird im Juli auslaufen. Dann werden die Finanzen sicherlich auch eine Rolle spielen bei der Überlegung, ob es eine Anschlussmission geben und wenn ja, ob diese nur im Süden Sudans oder auch im Norden durchgeführt wird. >Powision: Und wie sehen Sie die Rolle der emerging powers, wie China, Brasilien und Indien, die ja inzwischen durchaus die ökonomischen Möglichkeiten hätten, sich zu beteiligen, finanziell aber noch immer kaum zu UN-Missionen beitragen? >Wieland-Karimi: Da gibt es große Hoffnung, dass diese Länder sich stärker beteiligen werden. Die Chinesen haben ja auch schon einige konkrete Schritte unternommen, einen größeren Beitrag zu leisten. Davon versprechen sich auch diejenigen, die bis jetzt die Hauptlast tragen, also Länder aus dem Westen und Japan, dass es in Zukunft eine größere Lastenverteilung geben wird. Was in dem Zusammenhang wichtig ist zu überlegen: Es gibt einerseits die finanzielle Beteiligung der Mitgliedsstaaten und andererseits die Frage, woher die Truppen kommen. Hier ist es so, dass bestimmte Länder die Truppen stellen und andere ausschließlich finanzielle Beiträge leisten. Das ist ein – vorsichtig ausgedrückt – ungesundes Verhältnis. United Nations Missions in Sudan 1


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>Powision: Inwiefern? >Wieland-Karimi: Weil die Truppen vor allem aus Südasien, Indien, Pakistan, Nepal kommen und sich zum Teil über die Beiträge finanzieren. Wir hingegen bezahlen diese Truppen, haben aber keine boots on the ground, wie das so schön heißt. Wir können also kaum verfolgen, was genau vor Ort passiert und verlieren so Gestaltungsmöglichkeiten. Zudem gibt es ebenso Länder, die sich beschweren, dass immer nur südasiatische Truppen eingesetzt werden, die zum Teil gut, zum Teil aber auch weniger gut ausgebildet sind. >Powision: Welche Alternativen gibt es denn zu kostspieligen militärischen Einsätzen? >Wieland-Karimi: Neben den Peacekeeping-Missionen gibt es die politischen Missionen und es gibt Integrated Peacebuilding Offices. Beide Modelle funktionieren aber nicht in der sogenannten „heißen Phase“, denn Gewalt kann man nicht mit zivilen Experten unterbinden, sondern nur mit Militärs die sich zwischen rivalisierende Gruppen stellen. Aber es gibt Situationen, in denen politische Missionen eine sehr positive Rolle spielen können, beispielsweise das Integrated Peacebuilding Office in Sierra Leone. >Powision: Wo sehen Sie die Vorteile gegenüber „traditionellen“ BlauhelmMissionen? >Wieland-Karimi: Der Vorteil, der auf der Hand liegt, ist natürlich die Frage der Kosten. Häufig kosten solche politischen Missionen drei bis fünf Prozent von einer PeacekeepingMission, die eben sehr aufwendig ist. Ich glaube aber nicht, dass man Peacekeeping-Missionen und politische Missionen gegenüber stellen kann, denn es kommt auf die Rahmenbedingungen in dem Land an, in dem eine Mission stattfinden soll. Es gibt Situationen, in denen es keine offene gewalttätige Konfrontation gibt. Dann machen politische Missionen sehr viel Sinn. Manchmal braucht man also die militärische Komponente von vornherein nicht. Aber es gibt kein Patentrezept dafür. Wenn irgend möglich, würden wir eine politische Mission bevorzugen, ohne die teure militärische Komponente, aber letztlich hängt alles von der Situation im Konfliktland ab.

„Es ist ein Mythos, dass alle Soldaten 2014 aus Afghanistan abziehen werden.“

>Powision: Wie ist das denn zum Beispiel mit UNAMA, also der UN-Mission in Afghanistan, die keine eigene militärische Komponente hat und mit rund 500 Millionen Euro im Jahr vergleichsweise günstig ist? Ist diese Mission denn überhaupt eigenständig handlungsfähig? Immerhin profitiert sie von der Präsenz anderer ausländischer Militärs. >Wieland-Karimi: Natürlich kann UNAMA nur deshalb eine politische Mission sein, weil die NATO mit der ISAF-Truppe vor Ort ist. Gäbe es die ISAF nicht, welche die militärische Verantwortung übernommen hat, könnte die UNAMA auch keine politische Mission sein. Da existiert eine Arbeitsteilung zwischen beiden Missionen. Was die Handlungsfähigkeit angeht, ist das eindeutig eine Herausforderung, wenn der militärische und der politische Zweig nicht unter einem Dach sind. Denn klassischerweise ist der militärische Zweig viel stärker, weil er über viel mehr Menschen, viel mehr Logistik und viel mehr finanzielle Mittel verfügt als der politische. Über diese Komponenten hinaus ist so eine militärische Mission natürlich auch mächtiger. UNAMA hat zwar ein anderes Mandat, nämlich die Koordinierung des Aufbauprozesses in Afghanistan, aber da sie für die Sicherheit vor Ort nicht selbst sorgen kann, ist sie nicht immer ein gleichberechtigter Partner mit der ISAF. Die große Herausforderung in Afghanistan ist ganz klar die Koordination zwischen den vielen internationalen Akteuren. >Powision: Bereits jetzt ziehen Teile der ISAF ab. Braucht UNAMA, wenn dieser Abzug einmal abgeschlossen ist, eine eigene militärische Komponente? >Wieland-Karimi: Es gibt ja die Vorstellung, dass der Abzug bis 2014 erfolgen soll. Ich bin fest davon überzeugt, dass nicht alle Soldaten abziehen werden, sondern dass, analog zum Irak, diejenigen, die mit Trainings befasst sind, dort bleiben werden und der Schutz internationaler Einrichtungen weiter von Seiten internationaler Militärs gewährleistet wird. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass aus der politischen Mission UNAMA eine Peacekeeping-Mission wird. Ich kann mir eher vorstellen, dass die bisherige Arbeitsteilung weiter bestehen bleibt, nur in einem sehr viel kleineren Rahmen. Es ist ein Mythos, dass alle Soldaten 2014 aus Afghanistan abziehen werden. Das wird nicht passieren. Die ISAF wird kleiner, die UNAMA wird, unter diesem Mandat oder unter einem anderen, wohl noch eine ganze Zeit lang im Land bleiben.

>Powision: Kann die Finanzkrise trotzdem eine Chance für die zivile Lösung des Konflikts in Afghanistan sein? Wenn einige Truppensteller aus Kostengründen aus Afghanistan abrücken, könnte das nicht die Handlungsfähigkeit der UNAMA erhöhen und politische Lösungen in den Vordergrund stellen? >Wieland-Karimi: Im Moment ist es so, dass die Kanadier abziehen, die Holländer dafür wieder zurück kommen und insgesamt die Truppenzahl trotz der Finanzkrise nicht geringer wird. Es gibt eine Planungszahl der NATO, die von der militärischen Situation vor Ort ausgeht. Dass diese Zahlen heruntergehen werden, ist eine politische Entscheidung. Ich wäre vorsichtig, ob die Finanzen tatsächlich eine so große Rolle spielen. Wenn man sich die Fälle ansieht, also Holland und Kanada, dann sind das ganz politische Diskussionen, genau wie bei uns in Deutschland. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, ob das Militär die Situation stabilisieren kann. Ist der politische Wille da, werden auch die Mittel bereitgestellt, um diesen umzusetzen. Insgesamt glaube ich aber, dass der Höhepunkt von Friedensoperationen mit allein 120.000 Truppen im Einsatz für die UN überschritten ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Zahlen – global gesehen – noch weiter ansteigen. >Powision: Lassen Sie uns noch kurz über die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten spekulieren: Können Sie sich vorstellen, dass die UN Missionen dorthin entsendet? >Wieland-Karimi: Das ist in der Tat sehr spekulativ. Ich könnte mir vorstellen, dass relativ viel Regionalexpertise durch die Afrikanische Union und die Arabische Liga mit einbezogen wird. Sicher wird sich auch die EU in der einen oder anderen Form beteiligen. UN-Truppen sehe ich dort keine. >Powision: Wie ist es denn mit politischen Missionen? Die würden sich doch anbieten? >Wieland-Karimi: Für Tunesien, die Golfstaaten oder Ägypten wären politische Missionen sinnvoll. Ich glaube aber nicht, dass das passiert. Ob politische oder militärische Mission hängt wie gesagt immer davon ab, wie die Situation vor Ort ist. >Powision: Vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Toni Kaatz-Dubberke.

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souveränität

pencho kuzev arno trültzsch Ein mazedonisches Stimmungsbild Die Abschaffung des Visa-Regimes für die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (FYROM)1 fiel 2009 mit dem zwanzigjährigen Jubiläum des Mauerfalls zusammen. Wohin aber steuert der Staat, der als erster in der Region das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (EU) unterzeichnete? Die Antwort ist eindeutig: Während die anderen Balkanländer Fortschritte machen, ist das Land mit einer Situation konfrontiert, die es seit 20 Jahren in einer Art Dauerkrise gefangen hält – dem Streit mit Griechenland über den Namen Mazedonien. Dieses Problem ist einzigartig und für unabhängige Beobachter schwierig nachvollziehbar. Grundsätzlich wird um den verfassungsmäßigen Namen des Landes, das sich selbst „Mazedonien“ nennt, gerungen. Durch historische, nationalistische aber auch machtpolitische Erwägungen hat sich der Streit mit dem Nachbarn Griechenland soweit verfestigt, dass eine konstruktive Einigung momentan kaum möglich erscheint. Abstrakt betrachtet könnte der Namensstreit in einer stabilen geopolitischen Umgebung ignoriert werden. Das ist aber in der konkreten Situation nicht der Fall. Mazedonien ist ein multiethnischer Staat, der von weit mächtigeren Nachbarn umkreist und wirtschaftlich abhängig ist. >Erstaunlich dabei ist, dass in dieser komplizierten Situation Mazedonien die einzige Republik des ehemaligen Jugoslawiens ist, welche ihre Unabhängigkeit auf friedliche Art und Weise erlangte. Außerdem unterstreicht die in der bürgerlichen Verfassung Mazedoniens gefundene Einigung das Prinzip der Inklusivität der unterschiedlichen ethnischen Gemeinschaften.2 Zwar wirkten sich die Entwicklungen der Kosovo-Krise indirekt auf das Land aus und führten zeitweilig zu innenpolitischer Destabilisierung. Diese gipfelte in kriegerischen Auseinander Während eine völkerrechtliche Klärung des Namensstreits noch auf sich warten lässt, haben 121 Staaten (darunter Russland, die USA und China, nicht aber die Mitgliedsländer der Eurpäischen Union) sich darauf geeinigt FYROM in bilateralen Verhandlungen als „Republik Mazedonien“ zu bezeichnen. Im folgenden wird der Einfachheit halber die Bezeichnung „Mazedonien“ geführt – siehe auch Fn. 5. 1

Die griechischmazedonische Dauerkrise: ein spannender Frieden setzungen mit der lokalen albanischen UÇK im Jahre 2001, doch gelang es dem Land, deutliche Fortschritte zu machen, trotz der sichtbaren Spuren des Krieges. Das Rahmenabkommen von Ohrid (2001) bezeugt diese Bestrebungen: Als einziges in allen Teilen funktionales Abkommen in einem ehemaligen Krisengebiet legte es den Grundstein für eine multikulturelle Gesellschaft und kann als Modell auch für die Mitgliedsländer der EU gelten. Unabhängig betrachtet gab es also nicht nur positive Voraussetzungen für einen EU-Beitritt in der Reihe weiterer ostmitteleuropäischer Länder 2004, sondern es wäre auch ein unterstützender Schritt zur innenpolitischen Stabilisierung gewesen. >Dass dies nicht geschah, lag zum einen an der völkerrechtlichen Isolierung und dem Widerstand Griechenlands (vgl. Kofos, 1999), die sich beide aus der Namensproblematik ergeben. Historisch betrachtet musste Mazedonien 1991, als Bedingung für die Aufnahme in die Vereinten Nationen (UNO), auf seinen verfassungsmäßigen Namen verzichten und seitdem die Referenz Former Yugoslav Republic of Macedonia (FYROM) verwenden, solange keine Lösung gefunden wird. Im Prinzip handelte die UNO gar indirekt gegen geltendes Völkerrecht in Form des Artikels 4 ihrer eigenen Charta, indem sie ein zusätzliches Kriterium (Änderung des Namens) für die Anerkennung eines Staates schuf. >Für Mazedonien war diese Übergangslösung allerdings der einzige Weg, internationale Anerkennung zu erlangen. Einer der Kernpunkte des bilateralen Interimsabkommens, das im Jahre 1995 mit Griechenland geschlossen wurde und die Beziehungen weitgehend normalisierte, war die Verpflichtung, den Beitritt Mazedoniens zu internationalen Organisationen unter der temporären Bezeichnung nicht zu blockieren. >Mit dem Beschluss des NATO-Gipfels 2008, der unterstrich, dass Mazedonien alle Beitrittskriterien erfülle, zeigte sich aller In Mazedonien leben neben ethnischen Mazedoniern (ca. 60%) vor allem Albaner (ca. 30%), Türken (ca. 4%), Serben (1%), Roma und Sinti (3 %) sowie romanischsprachige Aromunen (ca. 1%), die alle als staatstragende Nationalitäten anerkannt sind. Daher ist der Begriff der Minderheit an sich ungeeignet, um ihren rechtlich-politischen Status zu beschreiben. 2

dings die relative Machtlosigkeit Mazedoniens, selbst wenn es sich den auferlegten Kriterien beugen würde: Sowohl auf dem Gipfel als auch in der eigentlich positiv beschiedenen EU-Beitrittsfrage nutzte Griechenland seine Position, um den Beitritt unter der Referenz FYROM zu blockieren. >Das Verhalten Griechenlands zeigt, dass eine Zustimmung dafür, dass im neuen Namen das Wort „Mazedonien“ enthalten sein dürfe, als äußerster Kompromiss zu verstehen ist. Die griechische Politik fordert dabei einen komplexen Namen mit einer geografischen Differenzierung. Hauptargument in dieser Positionierung ist das griechische Empfinden, der nördliche Nachbar würde illegitimerweise einen Teil der griechischen Geschichte für sich beanspruchen. Die griechische Argumentation folgt hierbei der Begründung, dass die Bezeichnung „Mazedonien“ ihren Ursprung in der griechischen Hochkultur der Antike habe, während die Population der FYROM auf „rein“ slawische Wurzeln zurückgehe.3 Somit könne nur die nordgriechische Region Makedonien4 als Träger dieses Namens und Erbes gelten. Außer Acht bleibt in dieser Argumentation, dass die heutigen Nationen – inklusive der griechischen – erst im 19. Jahrhundert entstanden sind und die (Teil-)Region erst seit 1913 zum griechischen Staat gehört. Von daher scheint es fragwürdig, eine ethnisch-kulturelle Kontinuität der Völker aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. bis zum heutigen Zeitpunkt zu ziehen. Ebenso unberücksichtigt bleibt die Frage, wieso das Gebiet der heutigen Republik Mazedonien in osmanischer Zeit ebenso zur Großregion Makedonien gehörte. >In den letzten Monaten wurde ein möglicher neuer Name immer häufiger genannt: Northern Republic of Macedonia. Auch hier scheinen die griechischen Bedingungen nicht erfüllt, da Griechenland - neuerdings wieder nachdrücklicher - fordert, dass weder Sprache noch Nationalität des Nachbarn als „mazedonisch“ definiert werden dürften, und der neue Name erga omnes verwendet werden solle. Vielmehr unterstreicht die griechische Seite ihre Exklusivität über die Antike als Erbe der heutigen Griechen und fordert von Mazedonien den Gebrauch von (neu-)griechischen Ortsnamen in der griechischen Region Makedonien (statt der bisher üblichen historischen mazedonischen oder türkischen Bezeichnungen). >Progressive und pragmatische Stimmen in Mazedonien sehen eine mögliche Na-

Diese Position wird mehr oder weniger akzentuiert vertreten; Grundkonsens ist aber, dass der nördliche Nachbar möglichst nicht den Namen „Makedonien/ Mazedonien“ führen sollte (vgl. Zahariadis 1994 sowie Kofos 2005).

mensänderung als einen schmerzhaften aber nötigen Kompromiss an. Die Bezeichnung der Sprache und der Nationalität werden jedoch als sogenannte „rote Linien“ definiert, die unter keinen Umständen zur Disposition stehen. Die verweigerte Mitgliedschaft in der NATO rief dabei Enttäuschung hervor, weil weniger die staatsbildenden Leistungen und Anstrengungen entscheidend waren, sondern das Selbstempfinden der meisten Bürger des Landes als „Mazedonier“ negativ quittiert wurde. Paradoxerweise führte gerade die griechische Blockadehaltung dazu, dass sich die albanischen mit den ethnisch mazedonischen Bürgern des Landes solidarisierten. Dieser kurzfristige positive Kohäsionseffekt spiegelte sich auch in den Verlautbarungen einiger albanischer Politiker in Mazedonien wider. Sie verurteilten die Ergebnisse von Bukarest und verteidigten die mazedonische nationale Identität. Alle anderen Ergebnisse des Gipfels in Bukarest geben Anlass zur Sorge, denn seit jenem April 2008 ist eine Reihe negativer Reaktionen auf die griechische Blockade zu beobachten (vgl. Trueltzsch, 2010). Diese lassen sich wie folgt diagnostizieren: 1) das Erstarken der rückwärtsgewandten Kräfte im Lande und 2) eine neuerliche Blüte des Nationalismus. >Durch die ungelöste Namensfrage wurden des Weiteren die EU-Beitrittsverhandlungen eingefroren, was die Situation zusätzlich dramatisierte. Obwohl das NATO-Veto Griechenlands allgemein einen kohäsiven Effekt auf die Bürger Mazedoniens hatte, spaltete die Tatsache, dass vorerst auch keine Verhandlungen mit der EU aufgenommen wurden, nicht nur die politischen Parteien, sondern auch die Meinungen der Bürger. Dies geschah mehr als je zuvor entlang ethnischer und religiöser Trennlinien. Die Schuld an dieser scheinbar ausweglosen Situation ist auch bei der mazedonischen Regierung zu suchen. Das liegt vor allem an ihren Reaktionen auf die Problematik. So legitimiert beispielsweise die sogenannte „Antikisierung“ (antikvizacija) 5 zum Teil die griechische Blockade vor der europäischen Öffentlichkeit. Unter der Maske des Patriotismus werden megalomane Projekte realisiert, die das nationale Selbstbewusstsein stärken sollen. Diese reichen von der Errichtung neuer Denkmäler antiker Helden über orthodoxe Kirchenneubauten bis hin zur Finanzierung von patriotischen Liedern. Selbst das Projekt „Skopje 2014“ schließt unter anderem ein gigantisches Denkmal Alexanders des Großen

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Im Deutschen kann man sehr hilfreich zwischen „Mazedonien“ als Staat und „Makedonien“ als historischer (und heute zum Teil griechischer) Region unterscheiden. In den jeweiligen Landessprachen oder auf Englisch ist das aber nicht möglich. 4


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sowie einen Triumphbogen ein. Zwar hat jedes Volk ein legitimes Recht darauf, gefundene historische Artefakte zu präsentieren, Denkmäler zu bauen und unterschiedliche Einrichtungen nach eigener Wahl zu benennen. Jedoch stellt sich die Frage nach Umfang und Zweckmäßigkeit sowie der Wahl der richtigen Zeitpunkte für eine solche Politik. Schließlich verpflichtete sich das Land im Interimsabkommen von Maßnahmen abzusehen, die für den Verhandlungsprozess schädlich sind. Und dachte man gerade, das Land befinde sich bei den interethnischen Beziehungen auf dem richtigen Kurs, beunruhigt jener Antike-Trend auch noch die ethnischen Albaner des Landes, die wiederum eine Majorisierung und ethnozentrische Dominanz erkennen wollen. Als Antwort stellen die Albaner nun eigene Forderungen nach neuen religiösen und Heldendenkmälern aus ihrer Geschichte, einschließlich der Würdigung von UÇK-Kämpfern. Dies sorgt für neue Spannungen zwischen den Ethnien. Dass die Situation stabil ist, dem widersprechen die neusten Entwicklungen. Mit den im Juni anstehenden Neuwahlen wird immer deutlicher, dass die Loyalität der albanischen Minderheit beim Namensstreit nachlässt. >Die Enttäuschung in der mazedonischen Öffentlichkeit ist so groß, dass sogar manche national gesinnte Journalisten und Wissenschaftler wie Aleksandar Damovski bereits von Alternativen für die Mitgliedschaft in der EU und NATO gesprochen haben, ohne dabei zu erklären, was diese Alternativen wären (vgl. ebd., 55–60). Dies geht einher mit einem Wiederaufleben des Nationalismus. Diese Art des Nationalismus kann man insofern als „verspätet“ bezeichnen, als er in dieser zunehmend aggressiven Form typisch für die anderen ehemals jugoslawischen Republiken in den neunziger Jahren war, nicht aber für Mazedonien. >Außerdem wird erneut Kriegsterminologie im politischen Diskurs verwendet. Während die albanische Partei in der Regierung eher mildere Töne anschlägt, sendet ihr Kontrahent aus der Opposition drohende Signale. Nach dem politischen Bypass des Rahmenabkommens6 kann sich Mazedonien jedoch keinen zweiten in so kurzer Zeit leisten. Eine Mitgliedschaft in der NATO und die Aussicht auf einen Platz in der EU könnten dabei helfen, die Stabilität des Staates abzusichern. Eine eventuelle neue Destabilisierung könnte jedoch regionale Domino-Effekte auslösen. Von kleineren Zwischenfällen im

Süden Serbiens, über Unruhen im Kosovo, bis hin zur allgemein angespannten Situation im Dayton-Bosnien zeugt die Region von keiner sonderlichen Stabilität. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Position des derzeit arg krisengeschüttelten Griechenlands und der anderen europäischen Staaten entwickelt. Mit einer unter allseitigem Einverständnis herbeigeführten Lösung würde in jedem Fall ein nachhaltiger Beitrag geleistet, um eine dauerhafte Sicherung des Existenzrechts Mazedoniens zu gewährleisten. Die Lösung des Namensstreits, oder zumindest ein vorübergehender beidseitiger Kompromiss bis zu einer profunden bilateralen Klärung, würde der ganzen westlichen Balkanregion eine positive Perspektive bieten. >Bislang allerdings, fern einer Lösung dieses Problems, also ohne eine (ehemals jugoslawische) Republik Mazedonien in EU und NATO, zeichnet sich für die ganze Region ein spannungsvoller und krisenbehafteter Frieden ab.  Seit dem Amtsantritt des Ministerpräsidenten N. Gruevski 2006, mit Nachdruck aber eben seit 2008, nimmt der Einfluss dieses geschichtspolitischen Phänomens, scherzhaft auch bukefalizam (nach Bukephalos, dem Pferd Alexanders des Großen) zu, speziell in Form monumentaler neoklassizistischer Bauten, sowie der anachronistischen Annahme historischer Verbindungen zwischen den antiken Makedonen und den heutigen Mazedoniern. Solcher „Neomakedonismus“ hat seinen Kern im griechischen Nationalismus um 1900, um die Bevölkerung des osmanischen Makedonien über eine angebliche Herkunft von den antiken Makedonen zu hellenisieren. Das wird aber bewusst ausgeblendet, da damit Verluste aus dem Zusammenbruch Jugoslawiens, welches für ein geeintes, sozialistisches Südslawentum stand, mit der Zugabe eines antiken Kontexts zum eigenen Makedonismus kompensiert werden sollen. Diese unglücklichen Anmaßungen provozieren die griechische Seite, aus der diese Kontextualisierung der Antike ja stammt, und überschatten seitdem jeden Lösungsversuch des Namensstreits. – vgl. Trültzsch 2010: 38. 5

>LITERATUR Kofos. E. (2005): „The Unresolved ‚difference over the name’ – a Greek perspective“ in: ders. u. V. Vlasidis (Hrsg.): AthensSkopje: An Uneasy Symbiosis 1995-2002, Hellenic Foundation for European and Foreign Policy, Athens , pp. 125-223. Kofos, E. (1999): „Greece’s Macedonian Adventure: The Controversy over FYROM’s Independence and Recognition“, in: J.Pettifer (Ed.): The New Macedonian Question, Palgrave Macmillan, Houndsmills/New York.

Das Rahmenabkommen räumte den ethnischen Gemeinschaften (nicht „Minderheiten“) sehr weitgehende politische und kulturelle Autonomie auf lokaler wie gesamtstaatlicher Ebene ein, vor allem den Albanern. Es sollte einen historischen Neuanfang im gleichberechtigten Zusammenleben aller Ethnien geben. Daher rührt die drastische Bezeichnung „Bypass“. 6

Trültzsch, A. (2010): Territorium, Nation, Identität: Mazedonien und Griechenland im Namensstreit – eine Diskursanalyse anhand ausgewählter mazedonischer Tageszeitungen, unveröff. B.A.-Arbeit, Halle/Wittenberg. Zahariadis, N. (1994): “Nationalism and Small State Foreign Policy: The Greek Response to the Macedonian Issue” in: Political Science Quarterly, Vol. 109, No. 4, pp. 647–668. >ZUM WEITERLESEN Troebst, S. (2007): Das Makedonische Jahrhundert: Von den Anfängen der Nationalrevolutionären Bewegung zum Abkommen von Ohrid 1893 – 2001, München, Oldenburg.

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hanna scheck Wetterextreme wie Dürren und Überschwemmungen, eine Erwärmung der Meere, schmelzende Gletscher und Polkappen und ein dadurch ansteigender Meeresspiegel: Dies sind nur einige Beispiele dessen, was der Globus angesichts der globalen Erwärmung zu erwarten hat. Zwar ist ein Wandel des Klimas für das Ökosystem Erde zunächst nichts Neues – Klimaerwärmungen und Eiszeiten gab es in den vergangenen Jahrtausenden zu Genüge. Heutzutage erweist sich die Menschheit jedoch gegenüber politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen als ausgesprochen verwundbar. >Beim Problem des Klimawandels geht es für die Menschheit um nichts weniger als die Frage der Gerechtigkeit im Treibhaus (Ott & Brouns, 2004; Santarius, 2007). Die Definition einer nachhaltigen Entwicklung wie sie die Brundtlandt-Kommission 1987 formuliert hat, macht diesen Gerechtigkeitsaspekt deutlich. Wir müssen die globale menschliche Entwicklung so gestalten, dass die „Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt [werden], ohne zu riskieren, daß zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ 150 Jahre Industrialisierung und der damit verbundene Anstieg der Treibhausgasemissionen führten in den industrialisierten Staaten zu Wachstum und Wohlstand. Gleichzeitig trifft der mit dieser Wohlstandsentwicklung verbundene Klimawandel und dessen Folgewirkungen – z.B. der Anstieg des Meeresspiegels – in erster Linie besonders verwundbare Entwicklungsländer wie z.B. tiefer gelegene Küstengebiete wie Bangladesch oder Inseln wie die Mitglieder der Alliance of Small Island States (AOSIS). Die Menschen in diesen Ländern konnten an der Wohlstandsentwicklung der industrialisierten Welt aber bis dato nicht teilhaben. Für eine global nachhaltige Entwicklung, die auch der Bevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern angemessene Lebensbedingungen ermöglicht, wird angesichts der

Klimakrise! – oder einfach nur „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“? natürlichen Grenzen des Wachstums immer stärker deutlich, dass die in den westlichen Industrienationen eingeschlagenen Entwicklungspfade nicht globalisierbar sein werden. Der Aufholbedarf in Entwicklungsländern wird – verfolgen sie ähnliche Entwicklungspfade – zwangsläufig auch zu einer Verschärfung des Klimawandels und zur Knappheit von Ressourcen führen. >Drei in der Nachhaltigkeitsdebatte verankerte Prinzipien müssen für die Realisierung einer global nachhaltigen Entwicklung handlungsleitend sein: Das Verursacherprinzip, das Vorsorgeprinzip und das Prinzip der gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung. Sie erfordern das Aufzeigen nachhaltiger Entwicklungspfade in den industrialisierten Staaten, die als Leitbild dafür dienen können, dass Wohlstand auch ohne eine exzessive Inanspruchnahme und Belastung von Klima und Ressourcen möglich ist. >In der internationalen Klimadiplomatie anerkannt ist seit dem Klimagipfel 2009 in Kopenhagen das Zwei-Grad-Ziel, d.h. eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2° Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Dies ist das Minimalziel, um die Folgewirkungen des Klimawandels für die Menschheit beherrschbar zu halten. Die Einhaltung dieses Ziels bedeutet nach den Berechnungen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen für die Reduktion der anthropogenen Treibhausgasemissionen: ◊ Ein globales Budget von 750 Mrd. Tonnen CO2 für die Jahre 2010-2050 ◊ und daraus folgend ein pro Kopf-Budget von jährlich 2,7 Tonnen CO2, und das zunächst ohne Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums(!) (WBGU, 2009) Das bedeutet für einen Durchschnitts-Deutschen eine Reduktion seiner pro Kopf-Emission auf weniger als ein Viertel dessen, was er heute an CO2 verursacht – nämlich 12 Tonnen. Ein US-Amerikaner müsste seinen

pro-Kopf-Ausstoß auf ein Neuntel – von heute etwa 23,5 Tonnen pro Kopf – senken. Ein Chinese müsste seine heutigen 5,5 Tonnen halbieren, ein Inder hätte noch 1 Tonne zur Verfügung. Diese Zahlen machen deutlich, dass wir zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels vor einem einschneidenden Transformationsprozess stehen. >Diese Transformation kann unter anderem durch klimafreundliche und effiziente Technologien erleichtert werden – z.B. durch den Einsatz erneuerbarer Energien. Die Vision einer 100% erneuerbaren Energieversorgung wird aber nur im Verbund mit Energieeffizienz und -einsparungen realisierbar sein. Das Problem hierbei ist, dass die in vielen Bereichen erzielten Effizienzerfolge in der Vergangenheit auf Grund eines erhöhten Konsums oder der Verlagerung des Konsums in weniger klimafreundliche Bereiche nur unzureichend abgeschöpft werden konnten. Motoren werden zwar effizienter, die Autos insgesamt aber größer und steigen in der Anzahl; dadurch wird das Potenzial absoluter Einsparungen wieder „aufgefressen“ (so genannter Rebound-Effekt). Hinzu kommt, dass mit vermeintlich klimafreundlichen Technologien Problemverschiebungen in andere Bereiche stattfinden, die ebenfalls negative Auswirkungen haben. Beispiel hierfür sind Biokraftstoffe, deren Nachhaltigkeitsbilanz auf Grund drohender verschärfter Landnutzungskonkurrenzen mit der Nahrungsmittelproduktion berechtigterweise in Frage gestellt wird. Und auch die „saubere“ Kernenergie stellt langfristig – das führen uns die aktuellen Ereignisse in Japan, 25 Jahre nach Tschernobyl, erneut schmerzlich vor Augen – keine nachhaltige Option für eine klimafreundliche Energieversorgung dar. >Rebound-Effekte und nicht nachhaltige Problemverschiebungen in andere Umweltbereiche machen deutlich, dass systemoptimierende Lösungen wie Energieeffizienz durch gänzlich innovative Gesamtsystem-Lösungen ergänzt werden müssen. Grundlegende Innovationen – wie z.B. urbane Mobilitätskonzepte, die auf elektrobasiertes Car Sharing, Fahrradverleihsysteme und öffentlichen Nahverkehr setzen – sind aber immer eingebettet in gesellschaftliche Strukturen. Diese „radikalen“ Neuerungen entfalten ihre Nachhaltigkeitswirkung immer erst in ihrem Zusammenspiel mit der „gesellschaftlichen Akzeptanz und Nutzung [...], sowie entsprechenden Konsum- und Verhaltensmustern.“ (Grunwald, 2003: 13). Die Konsequenz ist, dass Wandel nicht mehr rein

technologisch gedacht werden kann, sondern im Verbund mit gesellschaftlichen Entwicklungen als sozio-technischer Wandel begriffen werden muss. >Diese gesellschaftspolitische Seite des für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels notwendigen, tiefgreifenden sozio-technischen Wandels bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger als einen Kulturwandel (Leggewie & Welzer, 2009). Die Vision eines blauen Himmels über der Ruhr, wie sie Willy Brandt im Bundestagswahlkampf von 1961 formulierte, konnte durch von einem „starken“ Staat ordnungsrechtlich vorgegebene Regelungen und vergleichsweise einfache, nachgeschaltete Technologien wie z.B. Filteranlagen realisiert werden. Die Vision einer postkarbonen Gesellschaft – einer Low Carbon Society – erfordert auf Grund ihrer substanziellen Reichweite „radikal veränderte soziale, politische und kulturelle Parameter“ (Leggewie & Welzer, 2009: 13). >Grundlegende Nachhaltigkeitslösungen beinhalten klima- und ressourcenfreundliche Produktions- und Konsummuster sowie ein Wohlstandsmodell, das nicht nur auf ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts setzt. Hierfür gibt es keine universellen Blaupausen. Um diesen fundamentalen Werte- und Kulturwandel herbeizuführen, kommt die Politik nicht um ein verändertes Selbstverständnis herum, denn die Einflussmöglichkeiten und Machtressourcen für diesen Wandel sind gesamtgesellschaftlich verteilt: Jeder einzelne Konsument entscheidet über das, was er kauft, Unternehmensstrategien können klimafreundlich oder – feindlich ausgerichtet sein, die Politik kann mehr oder weniger ambitionierte Ziele verabschieden oder bestimmte Forschungsbereiche und Technologien fördern. Es wird deutlich, dass rationale politische Steuerung die Kohärenz dieser Einzelfaktoren nicht wird leisten können. Die Politik kann aber den Rahmen schaffen für eine interaktive Strategieentwicklung, die Betroffene und Beteiligte aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft integriert (Voß, 2008). >Der Weg ist nicht einfach und er ist nicht vorgezeichnet. Das zeigt auch die in Deutschland wieder aufgeflammte Atomdiskussion nach den Ereignissen in Japan. Die Ausgestaltung unserer zukünftigen Energieversorgung braucht einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs – über Energieeffizienz und – einsparungen in Industrie und Haushalten, über den Mix von zentralen und de-


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zentralen Energieversorgungsstrukturen, über Pumpspeicherkraftwerke und Hochspannungsleitungen. Das bietet die Chance für eine „Demokratisierung der Demokratie“ (Leggewie & Welzer, 2009: 14), die wir ergreifen sollten. Denn so oder so bedeutet der Klimawandel das Ende der Welt, wie wir sie kannten. >LITERATUR Grunwald, A. (2003), „Nachhaltigkeit und Schlüsseltechnologien. Ein ambivalentes Verhältnis“, in Ökologisches Wirtschaften, H. 6, S.13–14. Leggewie, C. und H. Welzer (2009), Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie, S. Fischer, Frankfurt a.M. Ott, H. E. und Brouns, B. (2004), „Gerechtigkeit im Treibhaus. Dialog zwischen Nord und Süd für den Klimaschutz“, in Politische Ökologie, H. 87/88, S.34–37. Santarius, T. (2007), „Klimawandel und globale Gerechtigkeit“, in Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 24, S.18–24. Voß, J. P. (2008), „Nebenwirkungen und Nachhaltigkeit: Reflexive Gestaltungsansätze zum Umgang mit sozial-ökologischen Ko-Evolutionsprozessen“, in Lange, H. (Hg.), Nachhaltigkeit als radikaler Wandel: die Quadratur des Kreises, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 236-260. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2009), Der WBGU-Budgetansatz, Factsheet Nr. 10/2009, Link: http://www. wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/ veroeffentlichungen/factsheets/fs2009fs3/wbgu_factsheet_3.pdf (aufgerufen: 25.02.2011).

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Als Ende August 2005 ein auf den Namen Katrina getaufter Hurrikan die U.S.-amerikanische Golfküste erreichte, war dies der Beginn einer offensichtlichen Katastrophe: breitflächige Zerstörungen, mehr als 1.400 Tote allein in Louisiana und über eine Million zumindest vorübergehend Evakuierte in der Golfküstenregion (GNOCDC, April 2010). Der monetäre Schadenswert wurde auf 135 Milliarden Dollar beziffert (ebd.). Nicht nur der Hurrikan selbst verursachte ernsthafte Destabilisierungen, auch das Katastrophenmanagement und die mittelfristige staatliche Organisation der Erholungs- und Wiederaufbauphase wurden als unzureichend wahrgenommen. Vorwürfe von Korruption und Missmanagement sowohl in Bezug auf verpasste und unzureichende Präventionsmaßnahmen als auch im Hinblick auf die unmittelbaren Rettungseinsätze und die anschließenden Aufräum- und Wiederaufbauanstrengungen wurden laut (u.a. U.S. House of Representatives, 2006). Die krisenhaften Zustände endeten nicht mit der Evakuierung der Stadt nach dem Hurrikan, sondern dauerten an – in einigen Hinsichten bis heute. >Letztendlich bestehen Krisen in Destabilisierungen bisheriger Routinen und Strukturen (Stallings, 2003: 45). Katastrophen bilden eine besonders drastische und folgenreiche Krisenform. In der Situation eines akuten katastrophalen Ereignisses ist eine weitgehende Entkoppelung zu beobachten: Aus „Interagierenden und ihren Interaktionen werden Agierende und Aktionen, die nichts mehr miteinander zu tun haben.“ (Dombrowsky, 2004: 181). In akuten Katastrophensituationen ist kein Verlass darauf, dass bisher selbstverständliche Netzwerke und Mechanismen auch weiterhin stabil funktionieren, die Lage wird unkontrollierbar. In der Zeit der Erholung restrukturieren und stabilisieren sich Routineabläufe und Beziehungen erneut. Ob dies nach altem Muster geschieht oder ob eine (partielle)

Disconnected. Katastrophen und die kleinen Dinge des alltäglichen Regierens. Neuordnung erfolgt, ist einzelfallabhängig, ebenso wie die Bewertung der eventuellen Veränderungen. >Die Entkoppelung im Augenblick der akuten Krisensituation betrifft Interaktionen zwischen Menschen, zwischen Menschen und Artefakten sowie zwischen verschiedenen Artefakten. Auch Bereiche, die auf den ersten Blick durch rein soziale Beziehungen bestimmt scheinen, bleiben auf eine Vielzahl nichtmenschlicher Artefakte angewiesen, die diese Beziehungen erst ermöglichen und dauerhaft stabilisieren (Callon & Latour, 2006; Latour, 2006a; Latour, 2007). Normalerweise arbeiten diese soziotechnischen Akteurs-Netzwerke lautlos. Erst in Momenten der Destabilisierung zeigt sich, wie wichtig Artefakte für das gesellschaftliche Funktionieren sind. Krisen lassen eine große Menge sonst unsichtbarer „nichtmenschlicher Akteure“ deutlich in Erscheinung treten. Dass gesellschaftliches Zusammenleben von ihnen abhängt und wie sehr gerade Behörden moderner Staaten (und nicht nur sie – auch die betroffenen BürgerInnen) auf das Funktionieren dieser nichtmenschlichen Elemente angewiesen sind, zeigte sich auch in New Orleans in dem Moment, als mit Katrina der Flutschutz versagte, das Wasser in die Stadt kam, das Kommunikationssystem zusammenbrach, Verkehrswege und Autos nicht mehr nutzbar waren und die verbliebene Bevölkerung weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten wurde. Mittelfristig wurde auch der Verlust von Dokumenten zu einem nicht zu vernachlässigenden Problem. Dies will ich in thesenartiger Form anhand dreier Aspekte etwas ausführen: der Behauptung, dass die Katastrophe 2005 das Ergebnis einer ca. 300jährigen Entwicklungsgeschichte war, einer näheren Betrachtung des akuten Krisenmanagements im Spätsommer 2005, und einem Blick auf längerfristige Krisen des Regierens in den ersten Monaten nach Katrina.


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Diverse KommentatorInnen verweisen darauf, dass die Katastrophe 2005 eine lange Vorgeschichte hatte. Einige lassen diese Vorgeschichte mit der ersten europäischen Siedlung Anfang des 18. Jahrhunderts beginnen (z.B. Campanella, 2007; Colten, 2006; Turner, 2007). New Orleans liegt im Flussdelta des Mississippi und ist zu einem großen Teil auf ehemaligem Sumpfgebiet gebaut. Seit deren Trockenlegung sinkt der Boden aufgrund von Verdichtung, und dort, wo der Anteil organischer Stoffe wie Blätter noch relativ hoch ist, zusätzlich auch aufgrund von Verrottungsvorgängen. Dieser Prozess beschleunigt sich bei Bebauung und dem damit verbundenen Gewicht, das auf den Boden drückt. In der Folge sinken die betroffenen Stadteile um mehrere Zentimeter pro Jahr. Trocken gehalten werden sie durch ein System von Entwässerungskanälen und Pumpen, die Grund- und Regenwasser in den Mississippi bzw. in den im Norden gelegenen Lake Pontchartrain leiten. Von außen ist New Orleans durch Dämme und Flutwälle gegen Hochwasser geschützt. Als jener Sturm im August 2005 auf die Stadt traf, vor sich eine große Flutwelle herschiebend und jede Menge Niederschlag mit sich bringend, war er es also nicht allein, der die Katastrophe ausmachte; Letztere war u.a. das Ergebnis des Zusammenspiels zwischen Sturmflut, Bodenbeschaffenheit, Höhenlagen, Flutschutzanlagen und dem System der Trockenlegung, das in diesem Moment versagte. Auch die Bebauungsgeschichte und die Entwicklung der sozialen Geographie von New Orleans spielten hier mit hinein, von den Bauweisen der Wohnhäuser bis hin zur sozialen und ethnischen Verteilung der Bevölkerung. Diese Aufzählung ließe sich sicher noch erweitern. All diese stabilisierten Beziehungsgeflechte, die fest etablierten Hybride – Produkte menschlichen Handelns und nichtmenschlicher, „natürlicher“ Elemente – wurden wieder sichtbar, als dieses scheinbar solide Gefüge aufbrach. New Orleans wurde buchstäblich in seinen Fundamenten durcheinander gewirbelt. Die Entkoppelung bzw. Zerstörung der Infrastruktur machte sich auch im staatlichen Krisenmanagement bemerkbar. Jedes Regieren ist auf Techniken der Wissensgenerierung, der Vernetzung und der Steuerung angewiesen, die wiederum nur mithilfe nicht-menschlicher Bindeglieder bzw. „Übersetzer“ und „Vermittler“ möglich sind: Dokumente, Tabellen, Straßen, Com-

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putersysteme, Kommunikationswege, Büros, Transportmittel, u.v.m. (Latour, 2007; Rose & Miller, 1992). Erst mithilfe dieser langen Netzwerke ist das Regieren größerer Einheiten, auch in westlich-liberalen Staaten, überhaupt möglich (Latour, 2006a). Genau diese Netzwerke brachen mit Katrina (wie in jeder Katastrophe) in New Orleans zusammen. Unmittelbar deutlich wurde dies in Bezug auf Kommunikations- und Transportwege: Daten zu Wasserpegeln, in der Stadt befindlichen Menschen, Versorgungssituation, Sicherheit, Todesfälle etc., selbst wenn sie vor Ort erfasst wurden, drangen aufgrund zusammengebrochener Telekommunikationsnetzwerke nur schwer in die Zentralen des Katastrophenmanagements durch. Hilfe von außen kam wegen der z.T. zerstörten Transportwege nur unter erschwerten Bedingungen in die Stadt. Schwierigkeiten ganz anderer Art brachte es mit sich, dass z.B. Strafregister, Dateien mit Listen der in New Orleans zum Zeitpunkt der Flut in den Gefängnissen Inhaftierten oder Patientenkarteien durch das Wasser zerstört wurden. Die üblichen Praktiken der Verwaltung dieser (aus staatlicher Sicht) „Problempopulationen“ konnten ebenso wenig greifen wie die für den Notfall vorgesehenen Evakuierungsprogramme. Auch mittelfristig zeigte sich, dass die Strukturen und Netzwerke, auf denen die (auch vor Katrina schon keinesfalls nach Lehrbuch funktionierende) staatliche Steuerung und Flankierung des städtischen Lebens in New Orleans beruhten, dauerhaft unterbrochen waren. Dies reichte vom fehlenden Personal aufgrund kommunaler Finanzknappheit über zerstörte Liegenschaften und technische Geräte (z.B. bei der Müllabfuhr) bis hin zum Zusammenbruch alter Routinen, die zudem angesichts der besonderen Anforderungen der Katastrophensituation zumindest temporär nutzlos geworden waren. Einen großen Faktor machte aber auch das Fehlen von (elektronischen wie analogen) Dokumenten aus, die entweder nie erstellt oder durch die Flut zerstört worden waren. Dokumente machen die Lagerung und den Transport von Inhalten möglich, ohne dass diese auf ihrer Reise oder über die Zeit verändert werden (vgl. Latour, 2006b). Sie versammeln sehr unterschiedliche Elemente, die in einem oder mehreren Schritten in textliche Darstellungen „übersetzt“ werden, machen sie so nebeneinander synoptisch erfassbar (Latour, 2002). Auf Grundlage dieser Um-

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wandlung diverser Phänomene in aggregierte Information, wird (liberales) Regieren im Sinne einer Steuerung größerer Einheiten erst möglich (Rose & Miller, 1992: 185 f.). Die mangelnde Übersicht über den Umfang und Grad der Schäden, über den Stand der Bevölkerung u.Ä. entzog zunächst die Grundlage z.B. für konkrete Wiederaufbauszenarien. Beschädigte Grundbucheinträge machten es schwierig, die Besitzer_innen von Häusern ausfindig zu machen, und erschwerten anders herum den Eigentümer_innen, ihren Besitz nachzuweisen.1 Natürlich setzten in der Folge große Anstrengungen ein, die erforderlichen Dokumentationen zu rekonstruieren oder neu zu erstellen. Eines der spannenden Phänomene dieser Zeit ist die massenhafte Aktivierung und Selbstorganisation von New Orleaner_innen in diversen Bürgerinitiativen und NGOs, und deren Kampf um die Deutungshoheit des Ist-Zustandes ebenso wie der Zukunft der diversen Stadtviertel von New Orleans. Dazu gehörte insbesondere das Sammeln von Daten und deren Aufbereitung, als Ergänzung, zum Teil auch als Gegenprogramm zur Datenproduktion auf behördlicher Seite. >Das, was hier kurz für New Orleans skizziert wurde, lässt sich (in der ein oder anderen Ausprägung) wahrscheinlich im Kontext von vielen „Natur-“Katastrophen größeren Ausmaßes beobachten. Der Punkt war hier dementsprechend auch nicht, Besonderheiten eines bestimmten Krisenfalles zu dokumentieren, sondern auf einige Mechanismen der Entkoppelung und Restrukturierung aufmerksam zu machen, die für die Analyse von Krisen verschiedenster Art von Interesse sein dürften. >LITERATUR Callon, M. und Latour, B. (2006): „Die Demontage des großen Leviathans: Wie Akteure die Makrostruktur der Realität bestimmen und Soziologen ihnen dabei helfen“, in: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, hg. v. A. Bellinger und D. J. Krieger, Transcript, Bielefeld, S. 75–102. Campanella, R. (2007): „An Ethnic Geography of New Orleans“, in: Journal of American History, Vol. 94, No. 3, S. 704–715. Colten, C. (2006): An Unnatural Metropolis. Wrestling New Orleans from Nature, Louisiana State University, Lafayette. Dombrowsky, W. R. (2004): „Entstehung,

Ablauf und Bewältigung von Katastrophen. Anmerkungen zum kollektiven Lernen“, in: Katastrophen und ihre Bewältigung. Perspektiven und Positionen, hg. v. Ch. Pfister und S. Summermatter, Haupt Verlag, Berlin et al., S. 165–183. Greater New Orleans Community Data Center (GNOCDC) (2010): Hurricane Katrina Impact, 15.April 2010, Link: www. gnocdc.org. Latour, B. (2002): Die Hoffnung der Pandora, Suhrkamp, Frankfurt a.M. Latour, B. (2006a): „Die Macht der Assoziation“, in: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, hg. v. A. Bellinger und D. J. Krieger, Transcript, Bielefeld, S. 195–212. Latour, B. (2006b): „Drawing Things Together: Die Macht der unveränderlich mobilen Elemente“, in: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-NetzwerkTheorie, hg. v. A. Belliger und D. J. Krieger, Transcript, Bielefeld, S. 259–308. Latour, B. (2007): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a.M. Rose, N. und Miller, P. (1992): „Political Power beyond the State: Problematics of Government“, in: The British Journal of Sociology, Vol. 43, No. 2, S. 173–205. Stallings, R. A. (2003), „Soziologische Theorien und Desaster-Studien“, in Entsetzliche soziale Prozesse. Theorie und Empirie der Katastrophen, hg. v. L. Clausen et al., LIT-Verlag, Münster, S. 35–49. U.S. House of Representatives (2006), A Failure of Initiative. Final Report of the Select Bipartisan Committee to Investigate the Preparation for and the Response to Hurricane Katrina, Link: http://www.gpoacess.gov/ congress/index.html. Turner, S. E. (2007), „Geomorphology, Geography and New Orleans after Iberville and Bienville“, in Technology in Society, Vol. 29, S. 227–237.

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Dies galt selbst für den Nachweis des Anspruchs auf Katastrophenhilfe: In den USA gibt es kein Einwohnermeldesystem wie in Deutschland. Wer nicht mehr z.B. durch einen Mietvertrag beweisen konnte, zum Zeitpunkt von Katrina einen Wohnsitz in New Orleans gehabt zu haben, konnte kein Geld oder andere Unterstützungen beanspruchen, die Flutopfern zustanden. 1

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ralph richter Vor mehr als 30 Jahren schrieben Hartmut Häußermann und Walter Siebel, die Doyen der deutschsprachigen Stadtsoziologie: „Die Formel von der ‚Krise der Stadt’ ist schon so abgeklappert, daß man sie schon kaum noch zu gebrauchen wagt. Und das mit gutem Grund: solch unterschiedliche Phänomene werden unter dieser Allerweltsformel gefaßt, daß sie längst zur leeren Hülse geworden ist. Was mit Krise der Stadt gemeint ist, muß also jeweils neu und präzise beschrieben werden.“ (Häußermann und Siebel, 1978: 471) Bis heute haben Krisenszenarien nichts von ihrer Anziehungskraft für Stadtforscher eingebüßt. Städte sind so vielschichtige Gegenstände, dass es kaum Mühe kostet, Krisendiskurse mit ihnen in Verbindung zu bringen. Mit „Stadt“ und „Krise“ treffen zwei Begriffe aufeinander, die gleichermaßen präzisionsbedürftig wie anschlussfähig sind. Der Beitrag unternimmt den Versuch, drei Pfade durch den Deutungsdschungel zu schlagen.

Krise städtischer Lebensweise Wer die Bilder der Großstädte um die vorletzte Jahrhundertwende oder die Metropolen des Südens kennt, wird heute beim Gang durch die meisten westlichen Städte vor allem eines feststellen: Uns umgibt eine Weiträumigkeit, Großzügigkeit, oft aber auch Trostlosigkeit, die weit von der Enge aber auch von der Lebendigkeit der früh industrialisierten Großstadt und von heutigen Megacities entfernt ist. Durch Kriegszerstörung, Massenmobilität und die bis heute anhaltende Großstadtkritik haben unsere Städte eine Entdichtung erfahren, deren Folgen sich nicht nur an zugigen Verkehrsschneisen und monotonen Einfamilienhaussiedlungen studieren lassen, sondern potenziell auch an der spezifischen Lebensweise in Städten, an Urbanität. Denn gerade die Dichte von Interaktionen, Eindrücken und Funktionen ist eine der Voraussetzungen dafür, dass ur-

Drei Wege zur „Krise der Stadt“

bane Lebensweise – dazu zählen Offenheit wie Desintegration, Intellektualität wie Blasiertheit, Individualität wie Anomie – entstehen kann. Louis Wirth (1938) und HansPaul Bahrdt (1998 [1961]) haben mit Größe, Heterogenität und Öffentlichkeit weitere sozial-räumliche Bedingungen für Urbanität herausgearbeitet, die mehrfach unter Druck geraten sind. Der Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte folgte in Ost wie West oft dem Prinzip der funktionalen Stadt, also der räumlichen Trennung der städtischen Lebensbereiche Wohnen, Arbeit, Verkehr und Erholung. Bald musste man erkennen, dass die Trennung nicht nur mehr Verkehr produzierte sondern auch eine Homogenisierung von Nutzungen und sozialen Gruppen, mithin einen Rückgang von Heterogenität. Nicht zuletzt sind öffentliche Räume ein gefährdetes Gut. Die Verlagerung des öffentlichen Lebens in Shopping Malls, die Überwachung von Straßen und Plätzen oder der Bau von „gated communities“ unterlaufen das Prinzip der Öffentlichkeit. Die tatsächliche oder vermeintliche Krise urbaner Lebensweise wurde wiederholt beklagt (frühe Beispiele sind Jacobs, 1961; Mitscherlich, 1965). Angesichts der fortschreitenden Urbanisierung in Schwellen- und „Entwicklungsländern“ und den Tendenzen zur Reurbanisierung westlicher Städte fallen die Diagnosen heute differenzierter aus (Dirksmeier, 2009). Mit Blick auf das Wanderungsgeschehen in der Bundesrepublik, das vermehrt zu Lasten der Mittel- und Kleinstädte geht, deutet sich heute eher eine Krise jener Lebensmodelle an, für die Klein- und Mittelstädte der primäre Ort sind.

Krise der Institution Stadt „Rettet unsere Städte jetzt!“ – In den 1990er Jahre verfassten die Oberbürgermeister mehrerer deutscher Großstädte unter dem Aufmerksamkeit heischenden Motto eine

Erklärung, um auf die aus ihrer Sicht katastrophale Finanzausstattung der Städte aufmerksam zu machen (Kronawitter, 1994). Mittlerweile trägt die Debatte um die Unterfinanzierung die Züge einer Dauerkrise. Über den Städten der Bundesrepublik schwebt das Damoklesschwert der Zwangsverwaltung, dem sie durch Privatisierungen und Stellenabbau zu entgehen versuchen. Sie tragen das historische Pfund, im politischen Mehrebenensystem die Rolle als ausführende Organe ohne eigene Hoheitsrechte einzunehmen. Ein vielfach beklagtes Szenario ist die Übertragung von Aufgaben durch Bund und Länder, die nicht ausreichend gegenfinanziert sind. Jürgen Habermas hat einen Krisenbegriff geprägt, der das Dilemma treffend beschreibt. Für Habermas (1973: 11) entstehen Krisen, „[…] wenn die Struktur eines Gesellschaftssystems weniger Möglichkeiten der Problemlösung zulässt, als zur Bestandserhaltung des Systems in Anspruch genommen werden müssten.“ Städte werden als gesellschaftliche Subsysteme verstanden, die aufgrund eingeschränkter Mittel nicht mehr alle Aufgaben erfüllen können, die zur Erhaltung des vormals erreichten Wohlfahrtsniveaus erforderlich sind. Die Rede von der Krise der Städte dient den städtischen Interessenvertretern zur Legitimierung von Forderungen gegenüber übergeordneten Instanzen und sie verweist darauf, dass ökonomische Krisen über Krisen der öffentlichen Finanzen vergesellschaftet werden (Habermas, 1973: 88). Freilich muss im politischen Feld zwischen Krisenerfahrungen und Krisenideologien unterschieden werden. Mit Blick auf städtische Interessenvertreter wäre zu fragen, inwiefern Krisendiagnosen tatsächliche Steuerungsprobleme zugrunde liegen und inwieweit diese primär der Interessendurchsetzung nach außen und der Machtsicherung nach innen dienen. Die Abnutzung und Substanzlosigkeit des Krisenbegriffs verweist auch auf die Inflation politischer Krisendiagnosen.

Städte als Kumulationspunkte sozio-ökonomischer Krisen Eine dritte Kriseninterpretation versteht Städte als Kumulationspunkte gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklung, in welchen sich die Folgen gesellschaftlichen Wandels besonders gut beobachten lassen. Krisen erfassen nicht alle Städte gleicher-

maßen, sondern vor allem solche, die besonders durch das jeweilige Gesellschaftsund Entwicklungsmodell geprägt sind. In Ostdeutschland ist dieses Krisenmodell allerorten zu besichtigen. Seit der politischen Wende ist der überwiegende Teil der ostdeutschen Städte geschrumpft, wobei nicht ohne Grund jene am meisten betroffen sind, welchen sich das Gesellschaftsmodell der DDR am stärksten eingeprägt hat (Eisenhüttenstadt, Hoyerswerda, Halle-Neustadt u.a.). Anknüpfungspunkte zu weltweit vergleichbaren Entwicklungen ergeben sich, wenn die Entleerung nicht nur auf das herrschende Gesellschaftsmodell, sondern auch als Resultat ökonomischer Entwicklung insgesamt betrachtet wird. Ob im Ruhrgebiet oder im Saarland, in Mittelengland oder im amerikanischen „rustbelt“ – Städte, die einst Zentren des industriellen Entwicklungsmodells waren, erlebten mit dem ökonomischen Strukturwandel eine lang anhaltende Phase ökonomischen Abschwungs, die mit der Verschlechterung von Beschäftigungschancen, mit Abwanderung und kommunaler Finanzkrise, kurz mit einer für die Städte insgesamt krisenhaften Entwicklung einher geht. Die Diagnose knüpft dabei an den ökonomischen Krisenbegriff an, wonach Krisen inhärente Phasen kapitalistischer Entwicklung sind. Die Folge ist ein räumlich oder zeitlich begrenzter Niedergang, der als Stufe des Fortschritts in Kauf genommen werden müsse. In dieser Interpretation unterscheiden sich Liberalökonomen nicht wesentlich von der marxistischen Theorie, wobei für letztere Krisen durchaus positiv besetzt sind: „Die Krisis wird mir körperlich ebenso wohltun wie ein Seebad.“ (Engels 1857 in einem Brief an Marx, MEW, 1963: 211) Neomarxistische Kriseninterpretationen lesen sich erkennbar kritischer. Der sich beschleunigende Kapitalkreislauf bringt lokale Infrastrukturen hervor, er schafft Räume des jeweiligen Entwicklungsmodells. Da der gebaute Raum unbeweglicher ist als das Kapital, droht den einmal geschaffenen Räumen in Folge ökonomischen Wandels Vernachlässigung und Niedergang. Der Kapitalismus erzeugt Räume, um diese im nächsten Moment wieder zu zerstören (Ronneberger, 2004: 682). Jedoch, und das ist irgendwie beruhigend, sind jeder Krise Momente ihrer Überwindung immanent. Was folgt, entzieht sich freilich bisherigen Einsichten.


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>LITERATUR Bahrdt, H. P. (1998 [1961]): Die moderne Großstadt. Soziologische Überlegungen zum Städtebau, hrsg. von U. Herlyn, Leske + Budrich, Opladen. Dirksmeier, P. (2009): Urbanität als Habitus. Zur Sozialgeographie städtischen Lebens auf dem Land, (=Urban Studies) Transcript, Bielefeld. Habermas, J. (1973): Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Suhrkamp, Frankfurt an Main. Häußermann, H. und Siebel, W. (1978): „Krise der Stadt - Krise der Stadt?“, in Leviathan, 6. Jg., Heft 4, S. 471–483. Jacobs, J. (1961): The Death and Life of Great American Cities, Random House, New York. Kronawitter, G. [Hrsg.] (1994): Rettet unsere Städte jetzt!, Econ, Düsseldorf, Wien, New York, Moskau. Marx, K. und Engels, F. (1963): Marx Engels Werke, Bd. 29, Dietz, Berlin. Mitscherlich, A. (1965): Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Suhrkamp, Frankfurt am Main. Ronneberger, K. (2004): „Krisenhafter Kapitalismus“, in: P. Oswalt [Hrsg.]: Schrumpfende Städte: Ostfildern-Ruit, Bd. 1, Hatje Cantz Verlag, Berlin, S. 680–684. Wirth, L. (1938): „Urbanism as a Way of Life”, in American Journal of Sociology 44, S. 1–24.

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Vockerode in der Krise

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Bevölkerungsprognosen erhalten seit einigen Jahrzenten vermehrt Gewicht. Dadurch entfalten sie eine enorme Wirkmächtigkeit auf die gegenwärtigen Handlungsmöglichkeiten politischer Akteure (vgl. Hartmann & Vogel, 2010). Obwohl der massive Bevölkerungsschwund in Ostdeutschland, mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus, gänzlich andere Ursachen trägt als der aktuell vorhergesagte Bevölkerungsrückgang, für welchen i.d.R. egozentrische Frauen beschuldigt werden (vgl. Schmidt, 2009), dient das ehemalige DDR-Gebiet auch als Projektionsfläche für eben letztere Krisenbeschwörungen. Dieser Beitrag blickt auf den demografischen Diskurs aus kommunaler Perspektive (Mikroebene) und zeigt, dass für ländliche Gegenden wie das sachsen-anhaltinische Vockerode aus der Überlagerung der Erklärungsmuster eine dialektische Entwicklung folgt. Die gefühlte Krise in dem Ortsteil der Stadt Oranienbaum-Wörlitz (eingemeindet seit 2011) dauert bereits seit der Wiedervereinigung an. Die Stilllegung des anliegenden ‚Kraftwerk Elbe‘ in den 1990er Jahren streckte durch massenhafte Entlassungen auch die komplette Region nieder. Weit eines jeden Ballungszentrums hinterließen Abwanderungsfreudige in den ländlichen Schrumpfungsräumen aber nicht nur Leerstand und gebrochene Identitäten, sondern auch die Hoffnung auf Wiederbelebung (vgl. Oswalt, 2004). Ortsbürgermeisterin Renate Luckmann beschreibt die aktuellen Bedingungen der einstigen 1.500-Einwohner-Landstadt Vockerode wie folgt: „Jetzt ist die Gemeinde überaltert und nichts ist mehr da. Wir können hier nicht einkaufen, die Verkehrsverbindungen sind schlecht [...] Alles was kommt ist besser als das, was jetzt da ist“ (zitiert nach Jahn & Czimmek, 2010). Obwohl diese Diagnose durchaus in Frage gestellt werden kann, zieht sie doch konsequenzenreiche Reaktionen nach sich:

Die folgenden Lösungsansätze bewegen sich zwischen einfacher Umkehrungslogik (Ausweg I), Resignation vor der beschriebenen Krise (Ausweg II) und liberalem Umschreibungsversuch der Diskursstimmung in ein Chancennarrativ durch das Auflösen kognitiver Sackgassen. Mit der Kompensierung wird allerdings auch jeglicher Anspruch auf zukünftige Hilfsleistungen riskiert (Ausweg III). Nicht zuletzt wegen seines emotionalen Potentials wäre dieses Sujet daher geeignet, um für die Bundestagswahl 2013 zum Wahlkampfthema stilisiert zu werden. Politische Aushandlungen und parteiliche Profilbildung sollten daher weiterhin intensiv reflektiert werden, auch wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung derzeitig kaum Interesse an der Demografie und am Aufbau-Ost zu zeigen scheint.

Ausweg I Den Tief- zum Wendepunkt machen sollte in Vockerode jüngst eine exorbitante Ansiedelung von Dienstleistungen. Engagierte Kommunalpolitiker und die Sybilgroup planten mit Hilfe von Investoren und Subventionen das bisweilen kulturell genutzte Kraftwerksgelände zu einem Casino-Komplex und Kongress-Center mit etwa 1000 Arbeitsplätzen umzubauen. Bei der Realisierung von solch höchst ambitionierten Aufbau-Ost-Projekten handelt es sich auch immer um einen Spielplatz für wirtschafts- und demographiepolitische Experimente mit ungewissem Ausgang. So galt etwa der brandenburgische Eurospeedway Lausitz schon bald nach seinem Bau als gescheitert (vgl. Kulick, 2002) – tatsächlich wurde nur ein Bruchteil der anvisierten 1.500 Arbeitsplätze mit staatlichen Subventionen in dreistelliger Millionenhöhe geschaffen. Die Legitimation für solche Vorhaben gleichen sich jedoch immer wieder aufs Neue: Im Zitat von Renate Luckmann wird ein Teufelskreis aus infrastruktu-


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reller Benachteiligung und demografischem Wandel ländlicher Räume suggeriert, der die Handlungsmöglichkeiten der verantwortlichen Politik beschränkt (Demografisierung). Interventionsbedarf besteht, da diese Dynamik eine weitere Abkopplung von gesellschaftlichen Machtzentren der Großstädte (Peripherisierung) vorantreibe und somit die grundgesetzlich verankerte „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ (GG §72 Abs. 2) gefährde (vgl. Barlösius & Neu, 2007). Dies wird bspw. auch in der Rechtfertigung staatlicher Demografiepolitik des ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer (2005-2009) Wolfgang Tiefensee deutlich: „Eine solche Brutalität verbietet gottlob unsere Verfassung und entspricht auch nicht meinem Verständnis von politischer Gestaltung und sozialer Gerechtigkeit […] Der Staat ist der Einzige, der die öffentliche Daseinsvorsorge auch in den vom Bevölkerungsrückgang betroffenen Regionen sichern kann. Daraus ergibt sich eine ganz besondere Verantwortung […] Politik aber muss es [Peripherisierung, Anm. d. Verf.] verhindern! Nur ein Staat, der seine Menschen nicht aufgibt, ist ein demokratischer, ein Rechts- und ein Sozialstaat.“ (Tiefensee, 2009) Politische Interventionen, die sich aus dieser Staatsbürde ergeben, rekurrieren explizit auf ein bestimmtes Staatsverständnis, insofern dieser eine gewisse Gleichheit an Lebenschancen überall innerhalb seiner Staatsgrenzen (Territorium) garantiert. Gleichwertigkeit enthält hier ein Gerechtigkeitspostulat, demzufolge diese sozio-territoriale Homogenität aufrechterhalten werden soll (vgl. Barlösius & Neu, 2007). Um die nötige Integration ländlicher Gebiete in diesen Territorialstaat zu gewährleisten, setzte man im wiedervereinigten Deutschland lange Zeit auf Strategien nachholender Modernisierung: Entlegene Regionen sollten, wie im Fall Vockerode, durch die Implantierung von Industrie und/oder Dienstleistung urbanisiert werden, um ein bestimmtes Existenzniveau zu erreichen. Jedoch impliziert diese Taktik eine Kongruenz (=) von Gleichwertigkeit mit (sozioökonomischer) Gleichförmigkeit, d.h. die Bewertung eines Terrains bemisst sich allein an einer Verstädterungs-Skala. Die Chance, eigene Vorzüge außerhalb dieser sehr spezifischen Definition von Lebensqualität zu entwickeln, wird als langfristig unmöglich oder unwichtig erachtet (vgl. ebd.).

Ausweg II Scheitern die Modernisierungsversuche, können negative Erwartungshaltungen zum

handlungsleitenden Topos werden. Während die Investitionshürden durch Kritik am Casinobau in Vockerode bereits im Vorfeld erhöht wurden,1 kam es in Brandenburg gar zur Transformation politischer Leitprinzipien. Die dort regierende Landes-SPD folgte dem Mainstream der Demografieforschung (siehe Tiefensee, 2009) und schlug medial wirksam ein Konzept der Kontrollierten Verwilderung vor, also der Aufgabe peripherer Landstriche (vgl. Mara, 2007) durch langfristige Einstellung bisheriger Transferleistungen von städtische in ländliche Regionen (Kommunen- und Länderfinanzausgleich, Solidaritätspakt, EU-Regionalentwicklungsfonds). Jeder Versuch der Abwärtsspirale zu entkommen wird hier als aussichtslos erklärt. Da die sozio-territoriale Gleichförmigkeit (Urbanisierung) nicht hergestellt werden kann, wird auch die Gleichwertigkeit fallen gelassen. Das kongruente Verständnis (=) beider Begriffe wird zur Achillesverse. Derartige politische Vorstöße demonstrieren insofern die Akzeptanz der Peripherisierung. Prekär ist dieser Lösungsweg, weil nun mit dem Gerechtigkeitspostulat als solches gebrochen wird. Die neuen politischen Leitlinien in Brandenburg, aber auch die Modernisierungskritik an Vockerode, stellen die Erhaltung des sozialen Friedens durch solidarische Umverteilung zunehmend in Frage. Die Demografisierung wird zur Legitimation für endgültige Handlungsunfähigkeit und plausibilisiert einen Rückzug aus der Verantwortung, für alle Bürger gleichermaßen die Teilhabe am öffentlichen Leben und politischen Prozess zu sichern (vgl. Barlösius & Neu, 2007).

Ausweg III

Modernisierungsstrategie einer Transformation weichen. Ostdeutschland wird dabei als geeignetes Laboratorium für die zukünftige Neuausrichtung der Demografiepolitik betrachtet. Nicht zuletzt da in den neuen Bundesländern die beiden Faktoren sinkender Bevölkerungszahlen und leerer öffentlicher Kassen, auch im Hinblick auf den 2019 endenden Solidarpakt und Klagen gegen den Länderfinanzausgleich, aufeinanderprallen. Derzeitig auslaufende Forschungsprojekte sollen bis Herbst 2011 in einen „Bericht zur demografischen Lage und künftigen Entwicklung“ münden, auf dem aufbauend die CDU/FDP-Regierung 2012 eine ressortübergreifende Demografiestrategie für Gesamtdeutschland vorlegen will. Das Modellvorhaben „Region schafft Zukunft“ zielt, obgleich auch ein vager Vorschlag zu demografisch bedingten Ausgleichszahlungen formuliert wird, zum einen auf die Rationalisierung von öffentlichen Strukturen, den Ausbau technischer Infrastruktur, Identitätstransformation und mehr bürgerlichem Engagement (Bürgerkommune), zum anderen auf eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Verwaltungs- und Regierungsebenen2 (vgl. BVBS, 2010). Die Synthese von Gerechtigkeit mit dem gleichzeitigen Abbau von solidarischer Transferleistung impliziert das Ende der bis dato bestehenden Einheit von Gleichwertigkeit und Gleichförmigkeit (≠). Die Zielsetzungen sollen Desurbanisierung ermöglichen (vgl. Tiefensee, 2009), tragen aber auch typische Merkmale des aktivierenden Sozialstaats. Gelingt also dieser Revitalisierungsversuch durch eine Neudefinition des Ländlichen – als Vorbild gilt ein französisches Provinzverständnis - nicht, wird sich zeigen müssen, wie eng Vockerode den Gürtel noch schnallen kann.

Das Großvorhaben in Vockerode ruht offiziell seit Jahresbeginn. Der Absprung eines Investors und eine unsichere Rechtslage durch die bevorstehende Synchronisation der Glücksspiel-Gesetze in der EU verhindern vorerst einen Casinobau (vgl. Gericke, 2011). Wie nun weiter, wenn überhaupt? Das Krisennarrativ des demografischen Niedergangs der Deutschen gilt im gesamten politischen Feld als sakrosankt (vgl. Schmidt, 2007). Das Zitat Tiefensees ließ bereits erahnen, dass die Demografiepolitik sich mithin als Staatsaufgabe, d.h. auch als Verpflichtung des Bundes, manifestiert hat. An eine Umsetzung der Kontrollierten Verwilderung ist also keinesfalls zu denken. Nach beständigem Misserfolg muss allerdings auch die

>LITERATUR Barlösius, E. und Neu, C. (2007): „Gleichwertigkeit-Ade? Die Demographisierung und Peripherisierung entlegener ländlicher Räume“, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 146, 1/37, S. 77–92. Beermann, J.; Schröder, A und Carius, Ch. (2011): „Eckpunktepapier zur Zusammenarbeit der mitteldeutschen Länder: Gemeinsam den demografischen Wandel gestalten“, Erfurt: Erster Mitteldeutscher Demografie Dialog, 21. Februar 2011. Bundesministerium für Verkehr, Bau und

Etwa könnte unter dem Druck eines durchschlagenden utilitaristischen Diskurses die Länderfusion Mitteldeutschlands, die Tiefensee mittelfristig anstrebte (vgl. PP 2006), wieder Aufwind bekommen (Annäherung, siehe auch Beermann et al., 2011). 2

Grundsätzlich wird die Rentabilität des Projektes, sowie die Nähe zum benachbarten UNESCO-Welterbe, dem Gartenreich Dessau-Wörlitz, in Frage gestellt. Kritiken sind dabei keinesfalls frei von Vorurteilen. Diskriminierende Stereotypisierungen sind m.E. implizit vorhanden, da Misstrauen der Sybilgroup gegenüber immer mit Verweis auf deren Hauptsitz im Nahen Osten verbunden werden. Die Unternehmensgruppe musste bspw. erst einen Vertrauensbeweis erbringen (Kauf der anhaltinischen Spielbanken), um die Zustimmung des Bundeslandes zu erhalten (siehe etwa SO 2010). 1

Straßenentwicklung (Hg.) (2010): Region schafft Zukunft. Demografischen Wandel aktiv gestalten, Berlin. Gericke, G. (2011): „Las Vegas des Ostens pausiert“, in: Immobilien-Zeitung, 20.01.2011, Link: http://www.immobilien-zeitung.de/103759/las-vegas-des-ostens-pausiert (aufgerufen: 26.01.2011). Hartmann, H. und Vogel J. (Hg.) (2010): Zukunftswissen. Prognosen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seit 1900, Campus, Frankfurt a. M., New York. Jahn, O. und Czimmek, S. (2010): „Millionen für Vockerode“, in: Mitteldeutsche Zeitung, 22.05.2010, Link: http:// www.mz-web.de/servlet/ContentServer? pagename=ksta/page&atype=ksAr tikel&aid=1274514579880 (aufgerufen: 26.01.2011). Kulick, H. (2002): „Stolpes teures Erbe. Das Brandenburg-Debakel“, in: Spiegel- Online, 22.06.2002, Link: http://www.spiegel.de/politik/ deutschland/0,1518,201949,00.html (aufgerufen: 26.01.2011). Leonard, H. (2010): „Zocken im Osten – Zyprer planen Las Vegas in SachsenAnhalt“, in: Spiegel Online, 22.03.2010, Link: http://www.spiegel.de/wirtschaft/ unternehmen/0,1518,684197,00.html (aufgerufen: 26.01.2011). Mara, M. (2007): „Verwilderung als Zukunftsvision“, in: Tagesspiegel, 07.05.2007, Link: http:// www.tagesspiegel.de/verwilderung-als- zukunftsvision/843630.html (aufgerufen: 26.01.2011). O.A. (2006): „LVZ: Tiefensee: Mitteldeutsche Länderfusion und Aufbau Ost passen zusammen“, in: Presseportal, 04.05.2006, Link: htt p://www.pressepor tal.de/ pm/6351/818352/leipziger_volkszeitung (aufgerufen: 26.01.2011). Oswalt, Ph. (Hrsg.) (2004): Schrumpfende Städte: Ostfildern-Ruit, Bd. 1, Hatje Cantz Verlag, Berlin. Schmidt, D. (2009): „Reproduktionsmaschinen“, in E. Donat, U. Froböse und R. Pates (Hg.): Nie wieder Sex. Geschlechterforschung am Ende des Geschlechts, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 185–200.


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Kinderlosigkeit ist eines der „großen“ Themen der westlichen Industrienationen der letzten Jahre. Sowohl in der medialen als auch in der gesellschaftlichen Debatte Deutschlands wird das Szenario heraufbeschworen, dass immer weniger Kinder immer mehr Älteren gegenüberstehen. Es ist die Rede von der Krise der Sozialsysteme, einem Generationenkonflikt, einer kinderentfremdeten Gesellschaft und einer egozentrierten Lebensausrichtung der einzelnen Gesellschaftsmitglieder. >Doch warum geht gerade im Bereich der Fertilität und Familiengründung eine solch starke Wertung in der öffentlichen Diskussion einher? Scheinbar galt und gilt der gesellschaftliche Konsens, dass die Menschen im Prinzip Kinder wollen (Burkart, 2007: 403). Kinderwunsch und Kinderkriegen gehört quasi naturgemäß zur Biographie von Individuen. So traf auch Konrad Adenauer 1963 mit seinem Ausspruch „Kinder kriegen die Leute immer!“ das gesellschaftliche Selbstverständnis. Interessanterweise hat sich trotz deutlich veränderter Lage Deutschlands in den letzten 50 Jahren, die gekennzeichnet ist durch eine niedrige Geburtenrate und eine im europäischen Vergleich sehr hohe Kinderlosigkeitsquote in Westdeutschland (Huinink/Konietzka, 2007: 75; Dorbritz/Ruckdeschel, 2007: 60), diese Grundannahme nicht verändert. Besonders herausgestellt wird in der Debatte die Gruppe der kinderlosen Akademikerinnen: Über sie wurde in verschiedenen Medien berichtet, dass sie zu 40% kinderlos blieben (Wirth, 2006: 2) – und das prägte folglich auch die öffentliche und politische Diskussion. Die daraus resultierenden Fragen, warum gerade die hoch qualifizierten Frauen kinderlos blieben, ob dies ungewollt oder gewollt passiere und ob nicht gerade dann die Menschen keine Kinder mehr bekämen, die so wertvoll für die Gesellschaft seien, stehen nun im Fokus. Diese weit verbreitete Prozentzahl entbehrt jedoch einer Kontextualisierung, indem sie

Kinderlosigkeit als Lösung für Geschlechterungleichheit und Arbeitsmarktvorgaben einer Studie entnommen wurde, die nur auf westdeutsche Hochschulabsolventinnen zwischen 35 und 39 Jahren beschränkt ist (Engstler/Menning, 1997), und deshalb eben nicht für alle endgültig kinderlosen Akademikerinnen in Gesamtdeutschland gilt. Ohne weiter auf methodische Details eingehen zu wollen, wird offensichtlich, wie schnell statistische Kennziffern instrumentalisiert werden können, um die Debatte in eine bestimmte Richtung zu lenken. >Die Diskussion heute dreht sich also darum, wie Strukturen und Voraussetzungen geschaffen werden können, um den – vorausgesetzten – existierenden Kinderwunsch zu verwirklichen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht dabei ganz oben auf der Agenda. >Doch eine Frage kommt in der soziologischen Betrachtungsweise von Fertilitätsverhalten bisher zu kurz: Was sind die positiven Funktionen von Kinderlosigkeit für die (west)deutsche Bevölkerung? >Es ist eine Entlastung der Bevölkerungsgruppe, die in der Gesellschaft am meisten leistet – nämlich der Männer und Frauen im mittleren Alter, die sich sowohl um die Versorgung der Alten, als auch um die der Kinder kümmern müssten. Keine Kinder zu bekommen, bedeutet also gerade für die Frauen dieser mittleren Generationen, dass sie sich Luft zum Atmen verschaffen (Hondrich/Krätschmer-Hahn, 2005: 46). Denn sie tragen sowohl im Erwerbsleben ihren Teil zur finanziellen Absicherung bei, als auch im privaten Bereich genau sie es sind, die die Pflege der Eltern oder die Erziehung der Kinder hauptsächlich übernehmen (Dorbritz/ Lengerer/Ruckdeschel, 2005: 50). Um dieser strukturellen Doppelbelastung (Kassner/ Rüling, 2005: 259) zu entfliehen, erscheint Kinderlosigkeit ein wirksames, funktionales Mittel zu sein. Aus dieser Perspektive betrachtet, kann Kinderlosigkeit vielmehr Entlastung statt Verzicht sein.


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>Kinderlosigkeit ist dann eine Lösung, um der Geschlechterungleichheit zu entgehen, die die Strukturen in Familien- und Erwerbsarbeit kennzeichnet: Bei steigender Erwerbsquote und Integration in den Arbeitsmarkt schaffen Frauen es dennoch nicht, sich in gleicher Weise wie Männer zu etablieren (Hofäcker, 2009: 77; Rost 2009: 30f.) – man denke an die weitverbreitete Teilzeitarbeit 1 von Frauen, die immer noch ungleichen Löhne und die geringe Beteiligung von Frauen auf höherer und höchster Managementebene. Das liegt jedoch nicht an ihrer geringeren Qualifizierung und gar, wie oft von konservativer Seite behauptet, an der Abstinenz von Karriereabsichten der Frauen, sondern schlicht an der gesellschaftlichen Struktur der „halben“ Integration in den Arbeitsmarkt gepaart mit einer Übernahme der Haus- und Familienarbeit. Kinderkriegen erfolgt stets im Kontext einer Zuschreibung an das weibliche Geschlecht: Bei der Debatte um eine Frauenquote geht es um die Vereinbarkeitsmöglichkeiten von Familie und Beruf für Frauen; beim Elterngeld geht es um ein Konzept, Opportunitätskosten für Frauen gering zu halten etc. Gesellschaftlicher Konsens ist, und dieser wird nicht in seinen Prämissen angezweifelt, dass Kinderbetreuung und -erziehung den Frauen obliegt. Ob Betreuung und Erziehung von Kindern aber nicht eher paritätisch zwischen den Eltern aufgeteilt werden sollte, ist kein Gegenstand der öffentlichen Diskussion. >Einher geht dieses Selbstverständnis mit einem Arbeitsmarkt, der seine Bedürfnisse auf einen flexiblen, mobilen, allzeitverfügbaren Arbeitnehmer orientiert. Dieses Jobprofil kann nur und wird nur dann geleistet, wenn Frauen die Familienarbeit quasi als „stille“ Ressource (Meuser 2007: 146f.) übernehmen. Zwei Elternteile können diese Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht bedienen – Resultat ist die bereits beschriebene „halbe“ Integration der Frauen in das Erwerbsleben. Somit sollte deutlich geworden sein, dass gesellschaftliche Strukturen und Rahmenbedingungen Familiengründung lange Zeit in der Weise determiniert haben, dass sich das Male-Breadwinner-Modell2 zu einem Zuverdienermodell in Deutschland gewandelt hat (Rost, 2009: 32). Doch die darin immanente Doppelbelastung produziert nun, gleichsam als Lösungsstrategie auf einer neuen Entwicklungsstufe (Hondrich, 2007), Kinderlosigkeit.

In Deutschland arbeitet fast jede zweite Frau (46%) in Teilzeit, und dieser Anteil geht noch auf 43% zurück, wenn das jüngste Kind unter 3 Jahren ist (Rost 2009: 30). 1

>Einem Krisenszenario in der medialen und öffentlichen Debatte, das Kinderlosigkeit als Untergang der deutschen Gesellschaft prognostiziert, kann man gelassen entgegnen, dass soziologisch betrachtet die Kinderlosigkeit überhaupt erst eine Lösung ist, die gesellschaftlichen Teilsysteme so aufrecht zu erhalten, wie sie heute existieren – sie ist somit eher bestandgebendes Element und weniger Element eines heraufbeschworenen Umbruchs. >LITERATUR Burkart, G. (2007): „Eine Kultur des Zweifels: Kinderlosigkeit und die Zukunft der Familie“, in: D. Konietzka/M. Kreyenfeld (ed.), Ein Leben ohne Kinder. Kinderlosigkeit in Deutschland, VS Verlag, Wiesbaden, pp. 401–423. Dorbritz, J./Lengerer, A./Ruckdeschel, K. (2005): Einstellungen zu demographischen Trends und zu bevölkerungsrelevanten Politiken, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen Bundesamt, Wiesbaden [Online verfügbar unter: http://www.bib-demografie. de/cln_099/nn_749852/SharedDocs/ Publikationen/DE/Download/Broschueren/ppas_2005.html, letzter Zugriff: 08.03.2011]. Dorbritz, J./Ruckdeschel, K. (2007): „Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg? Daten, Trends und Gründe“, in: D. Konietzka/M. Kreyenfeld (ed.), Ein Leben ohne Kinder. Kinderlosigkeit in Deutschland, VS Verlag, Wiesbaden, pp. 45–81. Engstler, H./Menning, S. (1997): Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bonn. Hofäcker, D. (2009): „Vom Ernährer- zum Zweiverdienermodell – Bestandsaufnahme und internationale Perspektiven“, in: T. Mühling/H. Rost (ed.), ifb-Familienreport Bayern 2009. Schwerpunkt Familie in Europa, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Bamberg, pp. 65–98. Hondrich, K.O. (2007): Weniger sind mehr. Warum der Geburtenrückgang ein Glücksfall für unsere Gesellschaft ist, Campus Verlag, Frankfurt a.M./New York. Hondrich, K.O./Krätschmer-Hahn, R. (2005): „Glücksfall Geburtenrückgang“, in: EMMA, Heft 6, November/Dezember, pp. 46–49. 2  Dieses Modell postuliert, dass der Mann als Ernährer der Familie fungiert (Schmitt, 2005: 41).

Huinink, J./Konietzka, D. (2007): Familiensoziologie. Eine Einführung, Campus Verlag, Frankfurt/New York. Kassner, K./Rüling, A. (2005): „‚Nicht nur am Samstag gehört Papa mir!‘ Väter in egalitären Arrangements von Arbeit und Leben“, in: A. Tölke/K. Hank (ed.), Männer – Das „vernachlässigte“ Geschlecht in der Familienforschung, Zeitschrift für Familienforschung, Sonderheft 4, VS Verlag, Wiesbaden, pp. 235–264. Meuser, M. (2007): „Vereinbarkeit von Beruf und Familie – ein Problem für Männer? Familien und Lebensverlaufsplanung bei Männern“, in: E. Barlösius/D. Schick (ed.), Demographisierung des gesellschaftlichen. Analysen und Debatten zur demographischen Zukunft Deutschlands, VS Verlag, Wiesbaden, pp. 135–152. Rost, H. (2009): „Familienhaushalte im europäischen Vergleich“, in: T. Mühling /H. Rost, Harald (ed.): ifb-Familienreport Bayern 2009. Schwerpunkt Familie in Europa, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Bamberg, pp. 9–32. Schmitt, C. (2005): „Kinderlosigkeit bei Männern – Geschlechtsspezifische Determinanten ausbleibender Elternschaft“, in: A. TölkeA./K. Hank. (ed.): Männer – Das „vernachlässigte“ Geschlecht in der Familienforschung, Zeitschrift für Familienforschung, Sonderheft 4, VS Verlag, Wiesbaden, pp. 18–43. Wirth, H. (2006): Die kinderlosen Akademikerinnen – Ein Beitrag zur Versachlichung der Debatte, Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA), Mannheim.


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peter zima Das Subjekt ist in der „Krise“, so heißt es. Die ganzheitliche Vorstellung einer Entität des Subjekts hätte sich mit den postmodernen Entwicklungen als ideologische Verkittung herausgestellt. Während es recht einfach ist eine Krise zu diagnostizieren, fehlt in solchen Betrachtungen meist eine klare Vorstellung von dem was das „Subjekt“ eigentlich ist. Da das Wort „Subjekt“ immer wieder als Synonym von „Individuum“ verwendet und „Subjektivität“ häufig mit „Identität“ verwechselt wird, ist es die Hauptaufgabe der folgenden Thesen, die Terminologie zu entwirren und Vorschläge zu einer Neubestimmung der Begriffe zu machen. Es handelt sich um Vorschläge, da es nicht nur vermessen, sondern auch naiv wäre, der Diskussion in diesem Bereich durch eine endgültige Klärung der Termini ein Ende bereiten zu wollen. Jede Begrifflichkeit ist, wie jede Subjektivität, aus der sie hervorgeht, das Ergebnis eines langjährigen Dialogs, der zwar unabschließbar ist, sehr wohl aber übersichtlicher gestaltet werden kann. „Subjekt“ wird bisweilen mit „Individuum“ verwechselt oder gar dem „individuellen Subjekt“ (dem „Einzelnen“) gleichgesetzt. Dabei wird übersehen, dass es auch kollektive, abstrakte und mythische Subjekte gibt, die der Semiotiker Algirdas J. Greimas alle als „Subjekt-Aktanten“ bezeichnet. Diese Bezeichnung deutet bereits an, dass alle Aktanten handelnde Instanzen sind, die danach streben, sich bestimmte Gegenstände oder „Objekt-Aktanten“ (als Gegenstände des Handelns) anzueignen. So kann beispielsweise ein Staat als kollektiver Aktant oder Kollektivsubjekt versuchen, sich durch Verträge oder durch Anwendung von Gewalt Territorien anzueignen. Im ersten Fall handelt der Staat primär als Rechtssubjekt, im zweiten Fall als Inhaber des Gewaltmonopols. Das Objekt einer politischen Partei kann der Wahlsieg sein, das Objekt einer Gewerkschaft die Gehaltserhöhung derjenigen, deren Inte-

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Thesen zum Thema „Subjektivität“ ressen sie vertritt. Abstrakte Aktanten wie die Wissenschaft können nach der Wahrheit als Objekt-Aktant streben oder im Falle der Medizin – wesentlich konkreter – nach einer neuen Heilmethode, die als einsetzbares Objekt so bald wie möglich zur Verfügung (des Subjekts „Medizin“) stehen soll. In neuester Zeit spielen auch mechanische, mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Aktanten wie Roboter und Computer eine wichtige Rolle in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Mythische Aktanten – die Sonne, der Mond, die Fee, die Gottheit im Mythos oder im Märchen – haben es wesentlich leichter: Sie können ohne langwierigen Forschungsaufwand die begehrten Objekte herbeizaubern. Einen ganz anderen Status hat der Mond, der durch seine Anziehungskraft die Gezeiten bewegt: Er ist ein realer Subjekt-Aktant in astronomischen und geographischen Diskursen. Er kann jedoch unversehens zu einem mythischen Aktanten werden, wenn ihm fantastische Eigenschaften, mit denen er auf Gesundheit und Gemüt einwirken soll, zugeschrieben werden. Hier zeigt sich, dass die Grenzen zwischen kollektiven, abstrakten und mythischen Subjekten (Subjekt-Aktanten) fließend sind: Ihr Charakter hängt von ihrer Funktionalisierung in bestimmten Diskursen ab. Das „Volk“ kann in einem Text über ein Volksbegehren noch als kollektiver Aktant aufgefasst werden; in einem nationalistischen Diskurs der romantischen Ära tritt es zumeist als mythisches Kollektivsubjekt auf. Wenn von einer „Krise des Subjekts“ die Rede ist, ist zumeist das individuelle Subjekt gemeint; dabei wird übersehen, dass diese Krise nur erklärt werden kann, wenn die Interaktion dieses Einzelsubjekts mit den anderen – kollektiven, mythischen, abstrakten und mechanischen – Subjekten oder Subjekt-Aktanten betrachtet wird (vgl. These 7 sowie: Zima, 2010). Die hier angeführten Unterscheidungen und Beispiele lassen bereits erkennen, dass es nicht ohne weiteres

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möglich ist, die Beschaffenheit, das Denken und das Handeln individueller Subjekte (Einzelsubjekte) unabhängig von den kollektiven und abstrakten Subjekt-Aktanten zu verstehen. Gehört jemand einem bestimmten Volk oder einer Volksgruppe an, so wird er in der Kultur und der Sprache dieses Kollektivsubjekts, das durch seine Organisationsformen zum Handeln befähigt wird, sozialisiert: zum Subjekt gemacht. Gehört eine Person einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft an, so wird sie von der Ideologie dieser Organisation durch sekundäre Sozialisation als Subjekt konstituiert. Hier gilt, was Louis Althusser über die Subjektwerdung des Einzelnen schreibt: „L’idéologie interpelle les individus en sujets.“ („Die Ideologie ruft die Individuen als Subjekte an.“) Aber auch Kultur, Religion und Sprache machen die Individuen zu Subjekten. Das zeigt sich im interkulturellen Kontext mit aller Deutlichkeit: Wer in eine ihm völlig fremde Kultur versetzt wird, sieht sich in seiner Subjektivität drastisch eingeschränkt, weil er vor allem seine sprachlichen Kommunikationsfähigkeiten nicht (voll) einsetzen kann. Nicht nur kollektive, auch abstrakte Subjekte wie Kunst, Wissenschaft oder Recht tragen mit ihren Wertsetzungen und Normen wesentlich zur (sekundären) Sozialisierung der individuellen Subjekte bei und entscheiden über deren Erfolge und Misserfolge in der Gesellschaft. Freilich können auch mythische Subjekte das Handeln des Einzelnen bestimmen: etwa wenn er meint, dass ihn „das Vaterland“ ruft oder dass die „Vorsehung“ ihm einen historischen Auftrag erteilt hat. Diese Überlegungen lassen den dialogischen Charakter individueller Subjektivität erkennen. Schon die primäre Sozialisation eines Kleinkindes zeigt, dass es ohne ständige Interaktion mit den Eltern weder soziale noch sprachliche Fähigkeiten erwerben könnte. Später setzt die sekundäre Sozialisation in Schule und Beruf einen dialogischen Prozess fort, in dessen Verlauf sich das Subjekt immer weiter bildet. Subjektivität erscheint hier nicht als ein konstanter Zustand der Unveränderbarkeit (wie in den idealistischen Philosophien), sondern als ein Prozess, der durch einen permanenten Dialog mit den anderen in Gang gehalten wird. Dies bedeutet, dass Subjektivität – sowohl die individuelle als auch die kollektive – stets dialogischen Charakter hat. Denn auch kollektive Subjekte wie Gewerkschaften, politische Parteien oder Universitäten können konkret

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nur im gesellschaftlichen Umfeld verstanden und erklärt werden, in dem sie als Aktanten agieren und interagieren. Dabei ist auch das internationale und interkulturelle Umfeld dieser Kollektivsubjekte zu berücksichtigen. Die Auffassung der Subjektivität als Prozess ermöglicht eine Unterscheidung von Subjektivität und Identität. Individuelle und kollektive Subjekte haben keine konstante, unveränderliche Identität, sondern erwerben ihre Identitäten in verschiedenen Sozialisationsprozessen. „Identität“ erscheint hier u.a. als Objekt-Aktant, den sich das Subjekt im Laufe seiner Sozialisierung aneignet, um Subjekt zu werden. Es wird nicht mit einer bestimmten Identität geboren, sondern erwirbt diese nach und nach. Dabei strebt es – sowohl als individuelles als auch als kollektives Subjekt – nach größtmöglicher Kohärenz. Der Einzelne, der in einer Wissenschaftler- oder Künstlerfamilie aufwächst, kann an die Familientradition anknüpfen und die primäre Sozialisation im Elternhaus nahtlos in die sekundäre Sozialisation in Schule, Universität, Konservatorium oder Kunstakademie übergehen lassen. Er kann auch mit der Familientradition brechen und nach einer neuen Kohärenz als erfolgreicher Sportler oder Bankmanager streben. Misserfolge können Brüche und Verwerfungen zeitigen und den Einzelnen zwingen „umzudenken“ und von neuem zu beginnen. Dies gilt auch für Kollektivsubjekte wie Staaten: Nach einem verheerenden Krieg kann ein Staat mit seiner jüngsten Vergangenheit radikal brechen, einen Neubeginn wagen und dabei an ältere Traditionen anknüpfen. Fast alle europäischen Staaten haben einen solchen „Neubeginn“ – als vergangene Zukunft – hinter sich, fast alle sahen sich dabei gezwungen, ihre Geschichte umzuschreiben, um sich als Kollektivsubjekte neue Identitäten anzueignen – ohne die alten restlos aufzugeben. „Österreich-Ungarn“ wurde erst zu „Deutschösterreich“, später zu „Österreich“, das „Deutsche Reich“ wurde zur „Bundesrepublik Deutschland“, die „Sowjetunion“ (wieder) zu „Russland“ usw. In allen diesen Fällen galt es, eine Neukonstruktion auf modifizierter politischer, sprachlicher und rechtlicher Grundlage zu wagen. Die Aneignung der Identität durch ein Subjekt erscheint hier nicht nur als Prozess, sondern auch als narrative Konstruktion. Sowohl individuelle als auch kollektive Subjekte konstruieren ihre Identitäten, indem sie ihre Vergangenheit und

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ihre Zukunft stets von neuem erzählen. Die Auffassung der Subjektivität als Erzählung schließt jede Art von Determinismus aus; aber auch Beliebigkeit und Willkür werden ausgeschlossen. Wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Veränderungen zwingen kollektive und individuelle Subjekte, kreativ zu sein und sowohl ihre Vergangenheit als auch ihre Zukunft stets von neuem zu erzählen. Als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gleichsam neu gegründet wurde, knüpften Politiker und Historiker nicht mehr an germanische und mittelalterliche Mythen, die stets Erzählungen sind, sondern an die demokratisch-parlamentarische Vergangenheit an. Zugleich erzählten sie von Deutschlands neuer Rolle in einer sich entwickelnden europäischen Staatengemeinschaft. Auch individuelle Subjekte sahen sich in fast allen europäischen Nachkriegsgesellschaften gezwungen, ihre Vergangenheit und Zukunft neu zu erzählen. Die moderne Ideologie macht die Individuen zwar zu Subjekten: aber nicht für immer. Es ist auch keineswegs so, dass der Einzelne (wie Althusser und seiner Weggefährten meinen) immer irgendeiner Ideologie zum Opfer fällt. Die nachmoderne Skepsis gilt nicht nur den Metaerzählungen im Sinne von Lyotard; sie gilt allen Ideologien als Erzählungen. Das von Montaignes Skepsis beseelte, kritische Einzelsubjekt ist durchaus frei: nicht weil es alles Denkbare verwirklichen, sondern weil es sich immer wieder kritisch distanzieren und zwischen möglichen Erzählungen als Zukunftsentwürfen wählen kann. Dies schließt freilich die Existenz ideologisch überdeterminierter, unfreier Subjekte nicht aus: Denn das lateinische subiectum bedeutet sowohl Zugrundeliegendes als auch Unterworfenes. Entsprechend sieht es in der Gesellschaft aus. In diesem Zusammenhang bietet sich eine Unterscheidung zwischen Individualität und Subjektivität an: Das Individuum ist der Einzelne ohne gesellschaftliche und sprachliche Identität. Es ist das neugeborene Kind als infans (das „Sprachlose“), dessen Subjektwerdung als Aneignung von sozialer Identität noch nicht begonnen hat – oder gerade beginnt. Allerdings besitzt das Neugeborene eine von den Eltern geerbte biologische Identität, die seine Subjektwerdung als Mann oder Frau, als großer oder kleiner, starker oder schwacher Körper beein-flusst. Somit erscheint die biologische Individualität als die Grundlage der

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Subjektwerdung und des bevorstehenden Identitätserwerbs. Am besten veranschaulicht wird dieser Sachverhalt durch die erbliche künstlerische Begabung: Wer eine solche Begabung erbt, der wird stets einen klaren Ausgangspunkt für seine Lebenserzählung finden können, sofern nicht andere Faktoren einen Bruch mit der Familientradition herbeiführen. Individualität könnte auch als die materielle Basis der gesellschaftlich erworbenen Identität und Subjektivität definiert werden. Alle hier angestellten Überlegungen führen zu der Frage nach der Stellung des Einzelsubjekts in der zeitgenössischen Gesellschaft. Aus verschiedenen Gründen ist diese Stellung gefährdet: (a) In der Wirtschaft entscheidet nur noch selten der einzelne Unternehmer als tycoon, sondern ein Team oder Board of Directors, so dass nicht Unternehmungslust und Einzelinitiative gefragt sind, sondern „Teamfähigkeit“. Michel Crozier meint zwar (in Le phénomène bureaucratique), dass diese Entwicklung nicht unbedingt bedauert werden muss, zumal der Unternehmer der liberalen Ära oft herrschsüchtig oder irrational war und es an demokratischer Gesinnung fehlen ließ. Dies mag sein, aber die Tatsache, dass die Initiative des Einzelnen im Wirtschaftssystem stark zurückgedrängt wurde, ist kaum zu übersehen. Es kommt hinzu, dass sogar der (kleinere) Staat als Kollektivsubjekt zum Spielball internationaler Großkonzerne werden kann, deren Entscheidungsträger (zumeist rasch wechselnde Teams) schwer auszumachen sind. (b) Auf Seiten der Arbeitnehmer wird die Initiative des Einzelsubjekts durch das Auftreten kollektiver Aktanten wie Gewerkschaften, Betriebsräte und Gremien aller Art immer weiter zurückgedrängt. (c) Zudem beeinträchtigt der Einsatz der eingangs erwähnten mechanischen Aktanten (Roboter, Computer) die Autonomie des Einzelnen am Arbeitsplatz. (d) Was für Wirtschaft und Produktion gilt, gilt in abgewandelter Form auch für den Konsumbereich: Die Konsumenten, die immer weniger (anspruchsvolle) Zeitungen lesen, werden in zunehmendem Maße von den Medien – von Fernsehen und Werbung – zu Subjekten gemacht, und zwar noch stärker als von den Ideologien, die im Alltag nach wie vor wirken, auch wenn es nicht mehr die heilverkündenden Großideologien der Zwischenkriegszeit sind. (e) Die allgegenwärtige mediale Manipulation führt dazu, dass individuelle und kollektive

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Subjekte (etwa Reisegruppen) immer passiver reagieren und „Angebote“ konsumieren, statt individuell auszuwählen und selbst etwas zu unternehmen. Die Folge ist eine postmoderne Oberflächlichkeit und Austauschbarkeit, die bewirkt, dass etwa Strandurlaube in Griechenland, Spanien oder Tunesien als „gleichwertige Freizeitangebote“ gehandelt werden – ohne Rücksicht auf sprachliche, historische oder kulturelle Besonderheiten. Zugleich macht sich eine Atrophie der Erfahrung bemerkbar, die mit der Indifferenz als Austauschbarkeit von „Urlaubsländern“, „Angeboten“ und „Events“ zusammenhängt. (f) Ein latenter Analphabetismus, der darin besteht, dass anspruchsvolle, kritische Texte immer seltener zur Kenntnis genommen werden, weil ihre Syntax vielen zu schwierig erscheint, hat zur Folge, dass das kritische Denken, dass seit Montaigne eine Stütze individueller Freiheit war, zur Ausnahme wird, die eher irritiert, als nachdenklich stimmt – wenn sie überhaupt wahrgenommen wird. (g) Das passive Verhalten der Durchschnittskonsumenten lässt die geistige Initiative der Einzelsubjekte verkümmern und zusammen mit ihr deren historisches, politisches, sprachliches und geographisches Gedächtnis. Eine der Folgen ist, dass sie immer weniger in der Lage sind, sich in Wirtschaft, Politik und Kultur zu orientieren. Diese Entwicklungen lassen vermuten, dass die in letzter Zeit oft diskutierte „Krise des Subjekts“ keine leere Phrase ist. Zwar ist die kritische Distanzierung, die für die Freiheit des Einzelsubjekts bürgt, auch in der zeitgenössischen Gesellschaft noch möglich, aber die Fähigkeit, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, verkümmert zusehends. >LITERATUR Zima, P. V. (2010), Theorie des Subjekts. Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne, 3. Aufl., Francke, Tübingen-Basel.

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ulrich johannes schneider Als Michel Foucault 1984 starb, galt er in Deutschland als Gegner der Subjektphilosophie. In Manfred Franks Buch „Was ist Neostrukturalismus?“ (1983) wurde Foucault mit Jacques Derrida und Jacques Lacan als ein Strukturalist der neuen (und üblen) Sorte gebrandmarkt, der die klassischen philosophischen Probleme der subjektiven Selbstentfaltung und der individuellen Selbstbestimmung aufgekündigt habe. Dazu gesellten sich bald Stimmen aus den Bereichen des politischen Denkens und der Gesellschaftsanalyse, die zwar Foucault persönlich als kritischen Intellektuellen wertschätzten, mit seiner Philosophie aber doch große Schwierigkeiten hatten, weil hier ganz offensichtlich Kritik nicht gleichbedeutend war mit Empörung oder gar Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse. Foucault hatte zwar die Macht des Staates analysiert, aber beispielsweise Widerstand dagegen nicht klar und deutlich legitimiert (vgl. dazu Hechler und Philipps, 2008). So ergab sich das Bild eines Denkers, der mit der Tradition der Subjektphilosophie von Descartes bis Sartre gebrochen hat und zugleich die kämpferische Emphase des spätmarxistischen Denkens nicht teilen wollte oder konnte. Die folgenden Bemerkungen kommentieren dieses Bild. >Rechts wie links war man sich einig, dass Foucault das Subjekt in die Krise gestürzt habe bzw. dass seine Philosophie es zu einer bloß vorübergehenden Erscheinung herabwürdige, ähnlich wie am Ende seines Hauptwerks „Die Ordnung der Dinge“ (1966, dt. 1971) vom Konzept des Menschen gesagt wird, es verschwände bald wie ein Gesicht im Sand am Meeresufer. Heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, ist Foucault immer noch in aller Munde, finden seine Texte viele Anschlüsse bei Kulturphilosophen, Politologen, Soziologen und kritischen Geistern allgemein, jedoch die Schwierigkeit bleibt grundlegend: Wie kann eigentlich Foucault so ganz und gar auf das Subjekt verzichten?

Gibt es eine Krise des Subjekts bei Michel Foucault? Darauf ist schwer zu antworten, weil Subjekt und Subjektivität seit Kant und Hegel Begriffe von großer Wucht und Wirksamkeit geworden sind, die wir beim Denken aller möglichen theoretischen und praktischen Probleme immer mit einbe­ziehen. Die Idee der Aufklärung hängt daran, weil sie im Denken des einzelnen Subjekts soziale und ideologische Vorstellungszusammenhänge verändern will und daran appelliert, dass jedes einzelne Bewusstsein sich auf rationale Art und Weise zur Grundlage einer begründbaren Welt­sicht machen kann und darüber hinaus subjektive Urteile die Kraft zur Verallgemeinerung zuge­sprochen bekommen. Wenn ich nur richtig denke, kann Denken Veränderungen herbei­führen und in der Folge auch unser Handeln neu bestimmen. So erklären wir uns meist die Abschaffung von Ungerechtigkeit oder alten Ordnungen überhaupt: Subjektive Erkenntnis­vermögen wie der Verstand und realitätsverändernde Kräfte wie die Vernunft lassen sich mobilisieren, eben weil wir – so unterschiedliche individuelle Positionen wir in der Welt einnehmen – Subjekte sind. >Diese plakative Darstellung erklärt einerseits, warum die Fragen der Ethik und der Moral, der Politik und auch der Ästhetik mit einem starken Subjektbegriff ausgestattet sind, wenn wir sie in gegenwärtigen akademischen und intellektuellen Zusammenhängen diskutieren. Die Zuspitzung vermag andererseits leicht zu der Einsicht überleiten, dass Foucault gänzlich anders denkt. In Foucaults Philosophie spielen Revolutionen keine Rolle, eher schon Transformationen, deren verändernde Kraft ganz häufig als unmerklich dargestellt wird. Es gibt bei Foucault, der viel über historische Sachverhalte gearbeitet hat, niemals die retrospektive Auszeichnung geschichtswirksamer Personen: Bei ihm ist alles Diskurs, Praxis und Verhaltensweise. Foucaults Individuen tragen Funktionsbezeichnungen, es sind der geistig Kranke, der Kranke allgemein, der Delinquent, der Wis-

senschaftler einer bestimmten Epoche, die singuläre Figur des sich selbst regierenden Menschen usw. Foucaults Akteure sind zurückgezogen, stecken Energie in die Verweigerung, wollen nicht behandelt, nicht analysiert, nicht regiert und nicht gelenkt werden. Darum hat Foucault das Wort „Subjektivierung“ mit einer auf den ersten Blick erstaunlichen Doppelbedeutung belegt. Es heißt nämlich nicht nur im traditionellen Sinne „zum Subjekt werden“, es heißt auch sich beugen, sich einer Sache unterordnen, beispielsweise sich in Schule, Militär oder Justizapparat zu disziplinieren. Die große Anstrengung von Foucaults historischen Studien, die Pointe vieler seiner Interviews und kleinen Texte, die langen und gewundenen Ausführungen seiner Vorlesungen dienen hauptsächlich der Ausmalung dieser gewissermaßen ohnmächtigen Position, in die wir gestellt sind – wie historisch oder sozial variabel auch immer – und aus der wir nicht entkommen können. >Während Sartre – in der Meinung der Zeitgenossen Gegenspieler von Foucault – so drama­tische Sätze verlauten ließ wie: „selbst in Ketten sei der Mensch frei“, fehlen bei Foucault programmatische Äußerungen und erst recht die affirmative Verwendung von Begriffen wie Mensch oder Freiheit. Wer nun denkt, damit sei Foucault für all diejenigen philosophischen und theoretischen Ansätze gestorben, die in irgendeiner Weise der Erkenntnis, dem Handeln und auch dem Widerstand verpflichtet sind, liegt richtig. Auf der anderen Seite kann man sagen, dass Foucault Subjekte in philosophisch ungeahnter Komplexität adressiert, dass er nicht von abstrakten Vernunftmaschinen ausgeht, sondern Subjekte, investiert in sehr konkrete und komplexe Situationen, denkt. Anders ist kaum zu erklären, warum er für die Beschreibung von sozialen Verhältnissen – etwa in der Psychiatrie oder der Strafjustiz – so große Anstrengungen zur Konkretion unternommen hat. Wo andere schnell sehen, dass der Mensch unterdrückt lebt und befreit werden muss, will Foucault erst einmal analysieren, wie die Verhältnisse genau beschaffen sind. So wendet er sich in seinem Buch „Der Wille zum Wissen“ (1976) ausdrück­lich gegen die These von der Unterdrückung der Sexualität, indem er darauf verweist, in wie vielfältigen Formen wir sie thematisieren. Unterdrückung ist kein Sachverhalt, sondern eine Kategorie des Denkens. Realität zeigt uns Anderes. Dass wir beispielsweise Sexualität in Diskursen – wie etwa der Beichte – promi-

nent behandeln, gibt ihr einen realen Status in unserem Leben, der selbst dann, wenn wir behaupteten, sie sei durch Regeln und Vorschriften eingeengt, nicht unwahr wird. >Foucaults Investitionen des Subjekts in diskursive wie praktische Regelzusammenhänge kann verstanden werden als ein Aufdie-Füße-Stellen traditioneller Philosophie. Bei Foucault werden die philosophisch entscheidenden Fragen nicht von möglichen Effekten einer Antwort her ruhiggestellt, vielmehr werden sie vertieft und problematisiert bis dahin, dass man selbst zu denken anfängt und die Fragen – etwa aus einem Lehrbuch zur Ethik – mit der Frage nach dem Leben selbst verbindet. Ohne Probleme kann man Foucault auch heute noch einen Strukturalisten nennen, wenn man damit meint, dass er konkrete objektive Regelungszusammenhänge stärker denn abstrakte subjektive Potenziale in das Zentrum seiner Überlegungen gestellt hat. Man muss aber zugleich erkennen, dass er den traditionellen Subjektbegriff in die Krise seiner Verkompli­zierung führt – und konsequenterweise meist vermeidet. Es ist eine tiefe Aversion gegenüber der Fetischisierung von Begriffen, die Foucault von der logischen Fixierung von Konzepten – so gerne geübt, weil damit das Begreifbare auf Distanz gehalten wird – hin zu einer historisch-philosophischen Arbeit geführt hat, die mit dem denkt, was sie benennt, also beispielsweise „Subjekt“ denkt durch „Subjektivierung“. >Das wird in Foucaults letzten, ethischen Werken, die im Jahre seines Todes 1984 veröffentlicht wurden, besonders deutlich, gerade weil dort der Begriff Subjekt keine zentrale Referenz mehr darstellt, sondern eher vom „Ich“ oder „Selbst“ die Rede ist. Aber die Frage, inwieweit Subjekte Regeln aufstellen und inwieweit sie Regeln befolgen müssen, bleibt so aktuell wie im politisch-philo­so­ phischen Kontext der 1970er Jahre, als es um Machtkonstellationen ging. Nun werden moralische Fragen der Lebensführung und der Handlungsentscheidung vor dem Hintergrund philoso­phi­scher Texte aus dem Zeitalter des Hellenismus verhandelt, deren Ertrag man entscheidend mindern würde, würde das Subjekt in seiner erkenntnistheoretischen und moralphilosophischen alten Größe darübergeschrieben. Weit eher geht es um die Frage der Regierung und der Regierung seiner selbst, die in den traditionellen Subjektphilosophien gar nicht erst auftaucht.


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>Wie sich Foucault in der Literaturwissenschaft gegen eine Beschäftigung mit dem Autor ausgesprochen hat, den er als eine Funktion versteht, die für viele Bereiche unseres Verstehens wichtig ist, nicht aber unabhängig von unseren Interessen Realität besitzt, so ist auch das Subjekt bei Foucault abwesend bei den Problematisierungen von Subjektivierung, die seine Konstitution ausmachen. Dies stellt eine Krise dar, wenn man glaubt, philosophische Themen der Vergangenheit samt ihrer Terminologie bewahren zu müssen: Foucault zeigt, dass man auch ohne das Konzept des Subjekts oder der Subjektivität moderne Lebensverhältnisse philosophisch auf den Punkt bringen kann – andere, wie Martin Heidegger, hatten das zuvor noch mit durchaus starkem Rückgriff auf die metaphysische Tradition versucht. Freilich kann es auch sein, wenn man Subjektivität als Fluchtburg der Rationalität anzusehen gewohnt war, dass die Analysen Foucaults auf eine Krise desjenigen Subjekts verweisen, das als Klammer zwischen Weltvernunft und Einsicht fungiert. Denn eigentlich spricht nichts dagegen, Foucaults Arbeiten insgesamt als eine Öffnung der Reflexion anzuerkennen, durch die philosophische Begriffe (wie das Subjekt) und die Analyse der Gesellschaft (in ihren Diskursen und Praxen) neu zueinander finden können. In diesem Sinne ist die Krise des Subjekts bei Foucault gleichbedeutend mit einer produktiven Transformation der Begriffsarbeit wie zugleich mit der analytischen Arbeit an der Gesellschaft, in der jene Begriffsarbeit stattfindet. >LITERATUR Foucault, M. (1971): Die Ordnung der Dinge, Suhrkamp, Frankfurt a.M. Foucault. M. (1976): Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Suhrkamp, Frankfurt am Main. Frank, M. (1983): Was ist Neostrukturalismus?, Suhrkamp, Frankfurt a.M. Hechler, D. und A. Philipps (2008): Widerstand denken – Michel Foucault und die Grenzen der Macht, Transcript, Bielefeld.

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Das Beispiel „Google Street View“ hat es 2010 wieder gezeigt: Datenschutz wird in Deutschland groß geschrieben. In den Medien wurde der Suchmaschinenmonopolist für seine Praxis, Straßenansichten in Großstädten zu fotografieren und ins Internet zu stellen, heftig kritisiert. Fast eine Viertel-Millionen Einwohner legten vorab Widerspruch gegen die Abbildung ihrer Behausungen ein. Die öffentliche Kritik gegen Google schlug Wellen wie in kaum einem anderen Land zuvor (Tagesschau, 2010). >Gleichzeitig ist die Einführung dieser letztmöglichen Zoomstufe eines Internetkartendienstes ein anschauliches Beispiel dafür, dass sich trotz des entwickelten Datenschutzrechts und eines im internationalen Vergleich bemerkenswert ausgeprägten Datenschutzbewusstseins in Deutschland ein bestimmter Trend nicht aufhalten lässt: Die zunehmende Bedeutung der Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Daten. Die informationstechnologische Revolution, die seit den 1980er Jahren die kapitalistische Produktionsweise fundamental neu strukturiert hat, katapultierte die westlichen Gesellschaften zeitgenössischen Diagnosen zufolge in das „Informationszeitalter“ (Castells, 2001). Erstmals in der Geschichte geht es um Technologien, die Informationen bearbeiten und nicht um Informationen, mit denen Technologie bearbeitet wird (ebd.: 75f). Insofern es sich bei dieser Informationsverarbeitung um personenbezogene Daten handelt, scheint die „informationelle Selbstbestimmung“ (IS) mehr und mehr in Bedrängnis zu geraten. >Die IS machte eine bemerkenswerte Karriere: Vom „Randprodukt“ eines Gutachtens im Auftrag des Bundesinnenministeriums von 1971 mauserte sie sich bis hin zu einem Grundrecht mit Verfassungsrang im Jahre 1983 (Bull, 2009: 25). Damals fällte das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil für das deutsche Datenschutz-

Die Krise der informationellen Selbstbestimmung recht. In seiner Entscheidung zum Volkszählungsgesetz (BVerfGE 65, 1), welches die Durchführung einer Totalerhebung von Daten aller Staatsbürger zu in erster Linie statistischen Zwecken vorsah, leitete es das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ als neues Grundrecht aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Dabei entfaltet diese verfassungsrechtliche Konstruktion eine besondere Bedeutung: Sie erlaubt es Verstöße gegen den Datenschutz gleichsam als Verstöße gegen die Menschenwürde zu kritisieren – ein Umstand, der zum hohen Stellenwert des Datenschutzes sowie der lauten Kritik gegen Versuche diesen zu schleifen beigetragen haben dürfte.

Krise I Zwei Ängste speisen den in der Bundesrepublik Deutschland besonders ausgeprägten überwachungskritischen Diskurs: Eine Technikangst, die oft aus einer Skepsis bzw. Unkenntnis der Funktionsweise und der Möglichkeiten neuer Informationstechnologien herrührt und eine „Staatsphobie“, die den Staat als eine autonome Machtquelle missdeutet (Foucault, 2000). So hat sich bspw. unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ eine Art neue Bürgerbewegung etabliert, die sich aus zahlreichen parteilich ungebundenen Gruppen und Einzelpersonen zusammensetzt – unterstützt von einer bis dato ungekannten Parteienkoalition aus LINKEN, GRÜNEN und FDP. Im nicht-staatlichen Bereich sind Skepsis bis hin zur Totalverweigerung gegen neue soziale Kommunikationsnetzwerke wie Facebook und Twitter weit verbreitet. Rabattkartensysteme wie Payback lassen KritikerInnen spotten, wenig sensibilisierte BürgerInnen seien bereit, ihre Privatsphäre für ein Linsengericht zu verhökern (Tangens, 2006). In diesem Sinne baut die liberale überwachungskritische Perspek-


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tive George Orwells „Big Brother“ als diffuses Konglomerat staatlicher und ökonomischer Total-Beobachtung zum Gegenspieler des autonomen Subjekts auf, dessen Grundrecht auf IS im Zuge der Nutzung neuer Technologien unter die Räder gerät.

Krise II Aber noch von einer anderen Seite aus wird die IS in die Zange genommen. In seiner jüngsten Streitschrift stellt der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Hans Peter Bull ihre rechtliche Konstruktion auf Basis des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich in Frage. Die neuere technische Entwicklung zeige, dass das Fundament des deutschen Datenschutzrechts alles andere als verfassungsrechtlich geboten sei: Da es die Datenerhebung und ‑verarbeitung nur als Ausnahme zulasse, blende es die Freiheit zum Umgang mit Informationen aus (Bull, 2009: 56ff): „Informationssuche und Informationsnutzung sind in unserer extrem verflochtenen Gesellschaft elementare Verhaltensweisen eines jeden Menschen und aller menschlichen Vereinigungen und Einrichtungen; sie von vornherein für gefährlich zu halten ist inadäquat.“ (ebd.: 90). Bull bewegt sich damit ganz auf Linie der Entwicklung hin zum „Informationszeitalter“. In der Phase des Kapitalismus, in der die Kommodifizierung von Information die Wertschöpfung in den Fabriken potenziell übersteigt, darf der Datenschutz keinesfalls zum „Verhinderungsinstrument“ für die an sich sinnvolle und nützliche Datenverarbeitung werden. Die von DatenschützerInnen und ÜberwachungskritikerInnen geforderte „Datenaskese“ erscheint angesichts dieser Entwicklungstendenz als kaum durchsetzbares Prinzip (Wiedemann, 2011: 155ff).

Krise III Die liberale Überwachungskritik bleibt allzu oft fixiert auf die Vorstellung eines zentralisierten und totalitären Überwachungsstaates. Anstatt jedoch die Kritik nur auf die disziplinären Zwangsmechanismen zu richten, die im Zuge neuer Sicherheitsgesetze wirksam werden, erscheint es notwendig, die Analyse um Technologien des Selbst zu erweitern, um der „panoptischen Zwangsjacke“, wie die verkürzte Überwachungskritik auch genannt wird (Aas et al., 2009: 4), zu entkommen. Hierbei ent-

Chance? scheidend ist v.a. eine Neubestimmung des Verhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit. >Individualität und Privatheit, die Grundpfeiler liberaler Freiheitsauffassung, sind in der Tat kontingente Konstrukte, die als Ergebnis vielfältiger Machtwirkungen produziert werden. In ihrer gegenwärtigen Ausprägung sind sie nicht nur Garant des Glückspotenzials des Einzelnen, sondern auch auf eine ökonomische Inwertsetzung des Individuums hin ausgerichtet. Die Kontrolle über die eigene Selbstdarstellung zu behalten steht in unmittelbarer Verbindung zum neoliberalen Zwang, sich selbst als produktives, nützliches Individuum ins Werk zu setzen. In dieser Hinsicht wirkt Überwachung als zielgerichtete Beobachtung in der Gouvernementalität der Gegenwart nicht nur als Beschränkung individueller Freiheiten, sondern überhaupt erst subjektbildend. Dabei bringt sie das Individuelle also erst hervor, anstatt es zu bedrohen, und weckt neuerdings geradezu eine Lust an der Überwachung (Rothe, 2009: 69). IS bekommt in einer ökonomisierten Gesellschaft die Bedeutung der Selbstführung und ‑vermarktung, bspw. in den bewussten Inszenierungen der eigenen Person bei der Nutzung sozialer Internetdienste. Diese Inszenierung erfolgt i.d.R. jedoch nicht gegenüber der ‚Öffentlichkeit an sich’, sondern gegenüber wohldefinierten „persönlichen Öffentlichkeiten“ mit denen bewusst jeweils ein ganz unterschiedliches Publikum angesprochen wird (Schmidt, 2008: 105ff).1 >In dieser Perspektive ist nicht der juridisch-disziplinäre Zugriff des zentralen Machtstaates das eigentliche Problem, sondern die Ausweitung eines Normalitätsund Konformitätsdrucks auf das Individuum durch dessen zunehmende Sichtbarkeit und ständige Beobachtung des eigenen Körpers, des Verhaltens, der Kommunikation. Die permanente Informationserhebung und ‑auswertung führt zu einer ungeheuren Ausweitung eines bestimmten Wissens über das Soziale, das auch die Möglichkeiten zur Definition von Norm und Abweichung deutlich erweitert. Die neuen Informationstechnologien eröffnen damit potenziell neue Zugriffsfelder für Soziale Kontrolle (Singelnstein und Stolle, 2008), die letztendlich eine Gefahr für die Vielfalt unterschiedlicher Lebensweisen und politischer Pluralität darstellen kann.  Web-Dienste richten für diese Zwecke zunehmend die technische Infrastruktur ein, z.B. mittels eines komplexen Rechtemanagements. 1

Die IS wie sie das BVerfG einst definierte – „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“ und sicher zu sein „wer was wann und bei welcher Gelegenheit über [einen] weiß“ (BVerfGE 65, 1) – wird künftig in dieser Form kaum bestehen können. Statt uns deswegen aber den neuen Informationstechnologien zu verweigern, sollten wir nach Wegen suchen, verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen und sie in emanzipatorischer Weise nutzbar zu machen. Sie eröffnen nämlich auch die Chance Machtasymmetrien auf Basis von Informationsungleichgewichten durch Symmetrie in den Kontrollmöglichkeiten abzumildern. Informationsfreiheitsrechte oder Projekte wie WikiLeaks sind Ansätze in diese Richtung. >LITERATUR Aas, K. et al. (2009): „Introduction. Technologies of (in)security” in: K. Aas et al. (Hg.): Technologies of Insecurity. The surveillance of everyday life, Routledge-Cavendish, Abingdon England, New York, S. 1–18. Bull, H. P. (2009): Informationelle Selbstbestimmung - Vision oder Illusion? Datenschutz im Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit, Mohr Siebeck, Tübingen. Castells, M. (2001): Das Informationszeitalter. Wirtschaft - Gesellschaft – Kultur, 3 Bände, Leske + Budrich, Opladen. Foucault, M. (2000): „Staatsphobie“, in: U. Bröckling et al. (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Suhrkamp, Frankfurt am Main, S. 68–71. Rothe, M. (2009): „Um die Überwachung geht es nicht“, in: Leipziger Kamera. Initiative gegen Überwachung (Hg.): Kontrollverluste. Interventionen gegen Überwachung, Unrast, Münster, S. 68–75. Schmidt, J. (2009): Das neue Netz. Merkmale Praktiken und Folgen des Web 2.0, UVK, Konstanz. Singelnstein, T. & Stolle, P. (2008): Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. Tagesschau (2010): Hier ein Reiz - dort ein Reizthema, online verfügbar unter http:// www.tagesschau.de/ausland/streetviewausland100.html, 01.02.2011. Tangens, R. (2006): Schwarzbuch Daten-

schutz. Ausgezeichnete Datenkraken der BigBrotherAwards, Edition Nautilus, Hamburg. Wiedemann, G. (2011): Regieren mit Datenschutz und Überwachung. Informationelle Selbstbestimmung zwischen Sicherheit und Freiheit, Tectum, Marburg.


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matthias künzler Medienunternehmen und der Journalismus befinden sich in einer schwerwiegenden Krise. Diese Schlussfolgerung lassen die Hiobsbotschaften zu, die in den letzten zwei Jahren aus der Medienbranche in die Öffentlichkeit drangen. In den USA beispielsweise fuhr die New York Times Co. 2009 einen Verlust von 62 Millionen Dollar ein (Russ-Mohl, 2009). In Deutschland brachen die Anzeigenerlöse der Zeitungen um 15.9 Prozent ein, die Gesamtumsätze der Branche fielen auf das Niveau von 1993 zurück (Keller, 2010). >Diese wirtschaftlichen Probleme trafen den Journalismus hart. In zahlreichen Redaktionen wurden Stellen abgebaut. Ein Beispiel dafür ist die Süddeutsche Zeitung: Nachdem sie 2008 angekündigt hatte, den Redaktionsetat um fünf Mio. € zu kürzen und damit auch die Anzahl der Beschäftigten zu reduzieren, baute sie nur ein Jahr später weitere redaktionelle Stellen ab (Meyer-Lucht, 2008). >Der Journalismus schlittert allerdings auch wegen der vermeintliche Konkurrenz durch „Laienjournalisten“, bzw. „Web-2.0“Journalisten in die Krise. Wegen der zunehmende Nutzung von Onlinemedien wie Facebook, Twitter, Blogs etc. kann jede Bürgerin und jeder Bürger rasch und ohne große technische Kenntnisse Informationen, spezifisches Fach- und Alltagswissen, Ansichten und Meinungen aufbereiten und veröffentlichen. Der professionelle Journalismus scheint damit eine entbehrliche Tätigkeit zu sein, die von jeder Einzelperson, die mit Laptop, Kamera und Internetanschluss ausgerüstet ist, genauso gut wahrgenommen werden kann. Der Medienwissenschaftler Robert Picard hat diesen Umstand in einem Artikel mit dem Titel „Why journalists deserve to pay low“ provozierend dargestellt (Picard, 2009). Aus dieser Perspektive verliert die Medienkrise allerdings auch ein Stück ihrer Bedrohlichkeit: „Bürgerjournalisten“ weisen das Potential auf, die Lücke zu kompensieren, die der Stellenabbau auf Redaktionen hinterlassen hat. An die Stelle von

Medienkrise = Journalismuskrise?

Redakteuren tritt die kollektive Intelligenz vernetzter Bürgerinnen und Bürger, die ihr je spezifisches Fachwissen, ihre Beobachtungen von Ereignissen (z. B. von Demonstrationen in Ägypten), auf verschiedenen Onlineplattformen veröffentlichen. >Trotzdem: Der Journalismus in der modernen „Internetgesellschaft“ ist weniger entbehrlich, als es auf den ersten Blick scheint. Journalismus erbringt für die Demokratie eminent wichtige, gesamtgesellschaftliche Leistungen und ist damit eine unentbehrliche Institution – wie u.a. die Publizistikwissenschaftlerin Marie Luise Kiefer in ihrem neusten Buch (2010) in Erinnerung ruft. Journalismus stösst politische Lernprozesse an, lenkt die Aufmerksamkeit der Bürger auf Ereignisse mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz (z. B. politische Entscheidungen, Wahlen, wirtschaftliche Entwicklungen); vermittelt zwischen Bürger/innen, Interessengruppen, und Regierungen; löst gesellschaftliche Debatten aus, kritisiert mächtige staatliche und wirtschaftliche Akteure und ordnet einzelne Informationen und Beobachtungen in größere Zusammenhänge ein (Ebd). >Diese gesamtgesellschaftliche Leistung des Journalismus können sogenannte „Laienjournalisten“ nur sehr beschränkt wahrnehmen. Da Blogs oder Inhalte auf Facebookprofilen von Einzelpersonen zumeist in deren Freizeit erstellt werden, beschäftigen sich diese Angebote mit wenigen Spezialthemen. Sie richten sich zumeist an „Freunde“ mit ähnlichen Interessen, nicht aber an eine breite Öffentlichkeit (oder werden von dieser zumeist nicht wahrgenommen). Um die gesellschaftliche Leistung des Journalismus wahrzunehmen, bedarf es jedoch eines Medienangebots, das eine Vielfalt an Themen in regelmäßigen Abständen bereit stellt und sich an Personen unterschiedlicher Schichten und verschiedenen Alters richtet. >Diese Leistung des Journalismus kann jedoch nur innerhalb eines Medienunternehmens erbracht werden. Das Medienunternehmen akquiriert Werbung und sorgt dafür, dass

das journalistische Produkt an die Leser oder Zuschauer vertrieben und von großen Teilen der Bevölkerung zur Kenntnis genommen wird. Erst durch die dauerhafte Honorierung professioneller Journalisten können universelle Themeninhalte in regelmäßigen Abständen veröffentlicht werden und erreichen so gesellschaftsweite Aufmerksamkeit (Altmeppen, 2006). >Solche professionell produzierten, journalistischen Inhalte sind in der modernen demokratischen Gesellschaft keineswegs entbehrlich geworden. Wir benötigen eine gesellschaftliche Institution, die aus der schier unüberschaubaren Vielfalt an Informationen, Meinungen, Kommentaren aus Pressemitteilungen, Blog-, Twitterbeiträgen, Facebooknachrichten und PR-Meldungen eine Auswahl trifft und unseren Blick auf gesellschaftlich Relevantes lenkt. Insofern steckt der Journalismus als gesellschaftliche Institution nicht in der Krise – seine Bedeutung nimmt gerade in einer Zeit großer Informationsflut zu. Zunehmend unklar ist jedoch, wie sich die gesellschaftlich wichtige Leistung des Journalismus, die durch bezahlte, professionelle Journalisten ausgeübt wird, finanzieren lässt (Jarren, 2010). Das traditionelle Geschäftsmodell, das redaktionelle Inhalte mit teuer verkaufter Werbung koppelt und als Gesamtprodukt „Zeitung“ oder „Fernseh- und Radioprogramm“ an die Leser oder Zuschauer und -hörer verbreitet, befindet sich im Niedergang. Werbegelder fließen vermehrt Anbietern zu, die selbst keine journalistischen Inhalte produzieren (z.B. Suchmaschinen, soziale Netzwerke). Zugleich ist die Werbewirtschaft im Internet nicht mehr bereit, dieselben Werbepreise zu zahlen, die sie im Print- oder Fernsehbereich zu zahlen bereit war. Die Schweizer Qualitätszeitung „NZZ“ erzielt beispielsweise mit einem Leser der Printausgabe einen 25 Mal höheren jährlichen Werbeumsatz als mit einem Leser der Onlineausgabe (Hitz, 2009). Damit lassen sich momentan im Vergleich zur Tageszeitung nicht genügend Einnahmen erzielen, um eine große, ausgebaute Redaktion zu finanzieren – trotz des Wegfalls der hohen Kosten für Papier, Druck und Vertrieb. >Will die Gesellschaft weiterhin journalistische Leistungen bereitstellen, müssen Medienunternehmen, die Politik und wir Medienkonsumenten nach entsprechenden Lösungen suchen. Die Medienunternehmen müssen neue, ertragreiche Geschäftsmodelle finden. Die Politik sollte sich überlegen, wie

sie mit Anreizen oder gezielter Förderung die Produktion journalistischer Inhalte gezielt unterstützen kann, ohne die Autonomie der Medien zu tangieren. Und bei uns Medienkonsumenten braucht es das Bewusstsein, dass die Produktion journalistischer Inhalte ein anspruchsvoller Vorgang ist, für den wir auch etwas zu zahlen bereit sein sollten. >LITERATUR Altmeppen, K.-D. (2006): Journalismus und Medien als Organisationen. Leistungen, Strukturen und Management, VS Verlag, Wiesbaden. Hitz, M. (2009): „(NZZ-)Online-User bringen nur Peanuts ein“, in medienspiegel, 26.11.2009. Link: http://www.medienspiegel.ch/archives/002508.html (aufgerufen: 15.02.2011). Jarren, O. (2010): „Die Presse in der Wohlfahrtsfalle. Zur institutionellen Krise der Tageszeitungsbranche, in: G. Bartelt-Kircher et al. (Hg.): Krise der Printmedien, Eine Krise der Journalismus? Walter de Gruyter, Berlin/ New York, S. 13–31. Keller, D. (2010): „Schwierige Zeiten - Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Zeitungen, Zeitungen 2010/11“, in: Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (Hrg.): Zeitungen 2010/11, ZV, Berlin, S. 42–80. Kiefer, M. L. (2010): Journalismus und Medien als Institutionen, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz. Meyer-Lucht, R. (2008): „Süddeutsche Zeitung vor einschneidender Sparrunde“, Link: http://carta.info/1468/sueddeutsche-zeitung-vor-einschneidender-sparrunde/ (aufgerufen: 15.02.2011) Picard, Robert G. (2009): „Why Journalists Deserve Low Pay“, in: The Christian Science Monitor, 19.05.2009. Link: http:// www.csmonitor.com/Commentar y/ Opinion/2009/0519/p09s02-coop.html (aufgerufen: 15.02.2011) Russ-Mohl, S. (2009): Kreative Zerstörung, Niedergang und Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA, UVK, Konstanz.

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subaltern

gayatri chakravorty

spivak

Gayatri Chakravorty Spivak, geboren 1942 in Kalkutta, ist Mitbegründerin und Direktorin des Institute for Comparative Literature and Society der Columbia University in New York. Maßgeblich bekannt geworden durch ihre viel beachtete englische Derrida-Übersetzung „Of Grammatology“ (1976) sowie durch den postkolonialen Grundlagentext „Can the Subalterns Speak?“ (1988), gilt sie heute als eine der führenden ForscherInnen weltweit an der Schnittstelle von Feminismus, Marxismus, Dekonstruktion und Globalisierung. Neben ihrer akademischen Profession ist Spivak in zahlreichen sozialen Bewegungen aktiv und bildet LehrerInnen in ländlichen Gebieten Indiens aus. Das Gespräch fand im Oktober 2010 in New York statt und wurde im März 2011 um wenige Verweise (im Text ersichtlich) auf die aktuellen politischen Entwicklungen in Nordafrika ergänzt. >Powision: The financial crisis which was triggered in 2007 is considered by economists as the worst economic crisis since 1929. Over months we could witness surprisingly open debates discussing measures that weren’t imaginable some months ago and indicating that something essentially new could emerge. Today we know it didn’t. What is remarkable in this context was the self-referentiality of these debates in Europe and in the US who primarily took the crisis as their crisis, with the decisions and consequences only on their sides. How was the crisis perceived outside the American and European centre? What could a postcolonial perspective tell us about the self-referentiality of the debates? >Gayatri Chakravorty Spivak: I cannot speak for the whole world. What I can say is that it is a very class-fixed reaction. In the rising Asian countries and in some Latin American countries, the effect was felt but managed among those who were themselves financially involved. The middle and working classes were just as nationalistic as elsewhere.

Bring down the power structures!

The fact that they are suffering from the world class system does not make them particularly non-nationalistic. I think we must stop thinking about the rest of the world as somehow politically advanced and the fact that the Euro-US is criminal does not make them in any sense more advanced. That is some kind of reversed racism. With regard to the people about whom I really know something – the very poor villagers in India: They had no clue of it because they suffer all the time. A small example which can be given and which nobody ever thinks of: Due to the rise of the oil price the children in the villages can no longer study in the evening because obviously they cannot afford oil, thus they cannot study after sunset anymore. Nobody ever thinks about these things – whether they are nationalistic or not. So you must realize that a) I do not have a very positive view of the rest of the world because Europe and the US are the devil; b) I don’t know about the rest of the world; and c) the people I work with really are not in touch with world news. This might be an unsatisfactory response, but it is a realistic response. I no longer have a postcolonial perspective, I think postcolonial is the day before yesterday. >Powision: There were no movements emerging out of the crisis disposing of a language beyond the nationalistic discourse? >Spivak: Only those who are in touch with the Euro-US lobby and who speak of the so-called multitudes and the like. They are called forth by elite urban radicals in the rest of the world. You see this is the problem: They are perceived as the rest of the world. And you have answered your own question. That’s the answer you wanted from me. You are not going to get it from me. The so-called Tunisian and Egyptian and Libyan “revolutions” had not yet taken place when we spoke. I want to have the courage of Marx to write an “Eighteenth Brumière”.

>Powision: So the call for change is either not expressed or not heard? >Spivak: Whose call for change? >Powision: The call of people who got most affected by the crisis and who suffer the most from the international division of labour. >Spivak: Who are they? >Powision: For example the poor villagers you mentioned, or workers somewhere in the third world. >Spivak: Working-class people in the third world? I am talking about changing the Euro-US. They are so completely sure that with the exacerbation of global labour division (e.g. outsourcing) these kinds of things will happen. It is only in the aftermath of Seattle that people from the 1st world, actually good-hearted people, wanted to organize for change. But that is not a serious thing for international capital. I am not a digital idealist. >Powision: Don’t you see any attempts trying to trans-nationalize a critique of global power structures like, for instance, the Green movement in Iran? Do you think that this movement has anything to do with the financial crisis? >Spivak: It might. Many movements are affected in one way or another by the financial crisis. But I don’t buy the idea that it is going to make a global impact. With regard to these local movements, it has more to do with their nationalist sense of how bad their own political scene is. Nationalism is very far from gone. The main impact of the financial crisis has been the exacerbation of the difference between the rich and the poor. And the middle class is not particularly very young, and not even interested in paying taxes. I am not a very hopeful person. Besides some well-placed urban radicals no one really has a sense to substantially change the world. Now we have to think of “the Arab world”, “the African world”, as having “revolutions”, but nation-state by nation-state, dictator by dictator. If there is regionalism, let us wait for its vanguardism, its geopolitics. >Powision: Why are you so sure about the fact that nobody could make a difference? >Spivak: You see, I am not a leader. To be a leader at this point is a kind of a boy thing, as feminists from the 60s would say. I’ve been working for a very long time to re-arrange the desires of the poorest of the poor sections of the electorate. Let’s face it: China crumbled against capitalism, the Sovi-

et-Union crumbled after 70 years, and now, suddenly, these self-selected moral entrepreneurs – mainly from the radical elite youth – should be able to organize against capitalism? The current “revolutions” are freedom “from”; how they will negotiate freedom “to” build against capitalism is anybody’s guess. The following words, from the original interview, refer to the international civil society: I consider it rather important to thoroughly examine what actually happens when these international civil society groups are organizing. I think it’s fine, it’s better than “shop till’ you drop”. But it needs a reality check. >Powision: For some commentators the economic crisis is indicating that Fukuyama’s end of history in fact failed twice – economically with the financial crisis; politically with 9/11 – and that the last remaining superpower is getting more and more undermined. Why is this systemic tendency, the double failure of the only politico-economic superpower, not triggering an opportunity for seriously challenging it? >Spivak: This book you mentioned was a journalistic piece written for people who read political journals. I don’t think that people who are involved in thinking about the world were taken for a minute by that stupid argument. That was part of an academic debate because people have time to waste. Nobody ever thought that history would have come to an end because Fukuyama was writing about it in that way – not even in the EuroUS. With regard to 9/11, I can tell you that I was in New York at that time, and I was very emotionally caught by it. But the only reason why it was so unusual was because it happened so spectacularly in the United States. World-historically, I don’t think that this has profoundly changed the perspective of anything. In contrast, when one thinks about the millions of people at the bottom, for instance the people in India I work with: They don’t even know about 9/11. The only thing that was said to me when I went there after 9/11, was said by a very smart old woman: “I hear where you live there was a kind of a problem?” Thus, it has to be set in proportion. It has been so used, commercially, sentimentally, in terms of communication media etc. and it was kept alive as this cataclysmically world-changing event. It will remain as a kind of effect, but because it happened in the United States. When I am thinking rather than emoting – because I am a New Yorker


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– I can’t be taken by that argument. No one ever thought about Hiroshima or Nagasaki in this way. There: more than 200.000 people and here…I am sorry, but I really don’t want to think about this again. >Powision: Despite the fact that 9/11 has been discursively elevated to a unique global event: It, however, has affected many people in the world, maybe not in India, but… >Spivak: Not “the people in India”! India has a billion people, and most of the people, even the NGOs encounter, are above the radar that I am speaking about. Let’s not generalize India. We are not talking about India, I am talking about a class. >Powision: Let me give you another example. What about Afghanistan or Iraq? >Spivak: These are two countries that are militarily managed by the United States. Of course, anything happening in the US, even a cough, has a huge influence on Afghanistan and Iraq. They are totally, to quote a book, “beneath the United States”. But there is a world which is not being directly militarily managed by the US and where people don’t think about 9/11 as having changed a lot unless it’s in a class. I’m sure some Delhi radicals will agree with you because they have their international networks. But I am not interested in those kinds of groups. >Powision: But 9/11 has triggered a huge reaction within international relations which – potentially or de facto – affects people in large parts of the world, even if those countries were hardly concerned with the political crisis in the aftermath of 9/11. >Spivak: What part of the world are you talking about? Chad? >Powision: Rather about countries like Yemen or Pakistan. >Spivak: Yes, but those are all within that circuit of the war. If you just want to talk about the military sphere of influence of the US, I am with you. You are contradicting me because you want to get some answers. You want me to say certain things, but I am not saying them. Certainly, I will agree with you that within the military sphere of influence, there is a great deal of influence. Also within the US – as I said it is a very class-fixed thing – it has added to Islamophobia. But if you are really thinking about the whole world, as far as I can think it, this large particular group that we are talking about is not metonymically representing the whole world. Because that

mistake is made, a lot of time is wasted. In contrast, nobody ever talks about what really started this: The Sykes-Picot Agreement in 1916. 9/11 is an epiphenomenon, very spectacular, and, because located in the US, to be taken very much more seriously than all the other things, including the only atomic invasion. I can’t give you the answer you want. Anyway, disagree. Now defend yourself. >Powision: I agree partly with what you said. However, I can hardly imagine any event that affects the whole world. There is no such event. >Spivak: If there was a nuclear holocaust where people wouldn’t have to think about anything, it might affect perhaps not everybody in the world, but certainly a much larger section of the world population. It is absolutely true that the world is divided in terms of what people can think. So therefore, if one just takes the persons one kind of imagines as having more or less the same sort of mind-set, then one generalizes irresponsibly. Thus, I would agree with you that, due to the class apartheid in the world, not everybody can think about this in the same way and therefore people are not affected in the same way. The fact that every little person is affected somehow objectively: that’s the story about the children in the villages. Yes, sure, they are affected. But that does not mean that they can think about it and make a change. They are excluded from that argument. The women in Saudi-Arabia who are working in the dirt are not thinking about how to organize against the US just because the latter are influencing their country. This is cognitive damage. I am not calling them unintelligent. Most bourgeois radical ideologues can’t even think this. They presuppose that intelligence is just some given thing. The cognitive damage is a very serious thing and we are not allowed to generalize about the whole world. It is not a pleasing answer, but, revising, I can say that capital subsumes the world, abstractly; global warming subsumes the world, non-cognitively. >Powision: I am not talking about the US-military sphere of influence only, but rather about the fact that a discourse was opened by 9/11 that structurally can affect any country – and anyone in the world. By placing in position the argument that certain universalized norms should be applied globally, interventions into any other societies are made possible. Of course, this is not a new phenomenon. In fact, it

has happened several times before. But this box was opened one more time and is about to spread further. >Spivak: Sure. No problem there. I totally agree. >Powision: Generally speaking, crises can produce opportunities in different ways. For instance, they can be perfectly instrumentalized by hegemonic discourses, but, at the same time, can be symbolically occupied by non-hegemonic or oppositional discourses. Can a crisis be used as an opportunity to build infrastructures for subalterns – who by definition cannot speak or rather: can’t be heard – which helps them being recognized? >Spivak: Who is a subaltern? I have to know what you mean by that word. >Powision: Someone who is cut off from any means of social mobility. >Spivak: Ok, that’s fine. We start from there. Subaltern is such a vague word that one doesn’t know what to make out of it. It has been what Balibar calls “performatively reversed”: Like for instance “Black is beautiful” where a pejoratively connoted concept is reversed into something positively charged. Similarly, the subaltern is claimed by anyone who is an activist. For example Gandhi and Nehru, two upper class people, have been made subalterns by certain activists just because they are Indians. I want to separate the word from that because then it becomes useless. So if we take your definition, and go back to crises as opportunities, I would be more like Marx. When Marx talked about the tendency of the rate of profit to fall, modern economists simply ignored his argument because the rate of profit doesn’t fall. But they don’t really know that Marx was, in fact, talking about a tendency in a Hegelian sense, which means: Unless you change actively that tendency into a crisis nothing will happen. You have to actively use this tendency. The British thinker Raymond Williams gave a beautiful picture of the cultural process accompanying this and being still valid. Williams argued that there are certain things in the past, so called residuals, which once became archaic but still can be used in present times, like tradition etc. But these residuals can be used by the dominant that is constantly appropriating the emergent and making it into an alternative rather than into an opposition. Herbert Marcuse called that “repressive tolerance”, but Williams got it better. Something is emerging and its

oppositional possibility is wrenched by the dominant, turning it into an alternative, like for instance the Tea Party Movement in the US. I want to watch this being resisted in the current “revolutions,” but what I want is not usually what history gives. The same process is what I see happening when young Europeans join with elite radicals from the global South when they face the global dominance of the US. It is a kind of turning it into an alternative. So they talk a lot and have these meetings. In contrast, the South Asian historians who formed in the 80s the Subaltern Studies Group studied examples of subalterns bringing themselves into crisis. No one did or does anything for them. That is what I meant by “They cannot speak”.1 They can’t be heard by people who are supposedly on their side. The way in which the subalterns are now used as cannon fodder in the name of Maoism in my country – it’s despicable. Elite urban radicals are imposing this rational choice leftist vocabulary on the way the subalterns are being used. Subalternity is unfortunately exceptionality – not organization of urban radicals. This is why Gramsci himself is interested in the production of the subaltern intellectual, rather than organize them into crises. Organizing the subalterns is a very class-fixed utopian feeling. The subalterns do it themselves. But they don’t resemble Genoa, Seattle or alter-globalisation. They cannot be recognized in Marx’s sense of “geltend zu machen”. This is completely outside the thinking processes of urban radicals I meet. And I meet hundreds of them. >Powision: If there is someone recognizing somebody being a subaltern, should he remain still, doing nothing? >Spivak: No, he should try to bring down the power structures rather than interfering with the subalterns. That is what is needed – rather than being nice to them and anthropologically join them. The ones who join them can always go back home if they need to go. I have seen hundreds of examples of this. They just dirty the waters because nothing changes up there except for those who joined them and who can acquire a big reputation. It’s a tragic game. >Powision: But if people can recognize them, why should they just focus on bringing down the power structures? >Spivak: Simply because if the subalterns are getting recognized by people they are already in the hegemonic circuit. They are not subaltern anymore. Spivak, Gayatri Chakravorty (1988): „Can the Subaltern Speak?“ in: C.Nelson & L. Grossberg (eds.): Marxism and the Interpretation of Culture. University of Illinois Press, Urbana, IL, pp. 271-313. 1


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>Powision: I’m not talking about the people within the hegemonic discourse. >Spivak: I know! But you and I are in the hegemonic circuit. You and I are supported by welfare. We are done with the class war by intellectuals. But we can’t see that we’re sitting here. Why should the hegemon be elsewhere? The hegemon is right here! Everything that you have done since getting up this morning, every piece of clothing you have put on, everything we have eaten, every public transport we have taken and every public decisions we have taken is a network that is completely within the hegemonic system. And then we have the luxury of recognizing the subaltern? It’s a joke. >Powision: But the hegemonic discourse is not homogeneous. There exists a variety of different attitudes and rationales within the hegemonic discourse, including different perspectives towards the subalterns. It should be possible, then, to approach the subalterns in a way without automatically reproducing the hegemonic discourse. >Spivak: Go ahead. Think so. What can I say? I cannot agree. There will be many people telling you this because it is a much more positive attitude. You may have it. These are the people I call the self-selected moral entrepreneurs – money lenders in the World Bank for example. Of course, you can approach them. I don’t mind. I think it’s better than not working with them. I am sorry but you are talking so someone who is very jaded with all of this boy desire. And some girls are also boys here. The word “boy” has nothing to do with the kind of sex you have. This desire just takes the world. What can I say? I have spent too much in places where this message is not useful. >Powision: Leaving aside the utopias about saving the world, leaving aside the moral entrepreneurs as well as per se selfinterested organizations and states: If an individual, without any double agenda or any other interest than attempting to support the subalterns with infrastructures to get recognized, and emphasizing with their conditions and contexts – isn’t it possible at least for that individual? >Spivak: Of course, that’s fine. It’s a nice Christian story. Using empathy politically is better than not having empathy. >Powision: Isn’t there a difference between this approach and that of the moral entrepreneurs? >Spivak: You want me to say yes.

>Powision: I ask for your opinion. >Spivak: You are asking me to say that – within the existing power structures, the complete non-accountability of the state etc. – if it is just one individual empathizing politically and thinking of making a change, it gives anything to anyone except to that individual feeling good and then writing books about one’s great achievements against global injustices? I am sorry, as I said, I am a very jaded person and I’ve had it with giving positive enforcement to good-hearted young radicals. I feel that I no longer have any obligation to do that. That’s what you’re hearing. >Powision: Why can’t people step out of the hegemonic discourse? Is the only reason for that because they are grown up here? >Spivak: If I didn’t believe that they can step out I wouldn’t be teaching here at Columbia where all of my students are Americans determined by their superpower. But I am not just attaching myself to movements or the like. I rather attach myself to people’s normality because that is what survives and fails. But if you want to step out into this kind of majoritarian counter-hegemonic discourse then you have no sympathy from me. Of course, it is a nice story, but this is not how real change happens. It’s a good story because it is nice for these people to have friends who like them and with whom they will have photo opportunities with their smiling. But don’t ask me to take it seriously. It is really in the interest of those radicals feeling good. It’s a nice feeling, but at the end of the day, it means nothing. >Powision: Strategically speaking: Why not re-introduce a masterword, like for instance the very classical Marxist notion of the working-class, to clearly identify an agent which could challenge hegemonic discourses – and at the same time accept, as the price one has to pay, the violence which is exerted by this word denying all the concrete particularities and historical changes related to it? >Spivak: But what is the classical Marxist argument? Like you said, the hegemonic discourse is not uniform. Who are the workers in this understanding? >Powision: The class who is deprived of the ownership of the means of production. >Spivak: But what is behind that? Marx’ argument was, and I am using contemporary language now, that if the worker understood that commodified, quantified labour – ab-

stract average work was his word – is a weapon in the hand of the workers, rather than an alienation from the working process. If they understood that, they could fight poison with poison because, then, they could produce capital and use it for socialist rather than capitalist purposes. That is why Marx said “ownership of the means of production”. But that didn’t happen, also because there was no education within the working class. Marx called himself a bourgeois ideologue because he was not an idiot, unlike many people who want to change the world now. In his fierce critique of the Gothaer Programm Marx really takes a stand against the idealisation of labour and the workers. It couldn’t work because of the education-shaped hole there. Marx imagined that people would want to do this, but they obviously did not want to do it. Anyway, the argument brings us back to the beginning: By making yourself completely their disciple, you re-arrange the desires of the subaltern, while seeing how they go about it – and maybe your effort never hits. That is a totally different thing from organizing them into Maoist or alter-globalisation movements. Plus: There is no guarantee for success there, it is totally boring and you won’t get any positive feeling out of it. It is more like extracting blood from a stone because you are confronting millennial oppression, domination and exploitation. These are ways of confronting power structures. And slowly the subaltern might reward you. But might not reward you. In contrast, the NGOs come to the places and want quick successes for themselves. They try to change some things and then return to their countries to write in journals about their experience. The fact that some of these “grassroots” teachers are good at the NGO workshops means nothing, it just means that they are good at workshops. They go back to do what they exactly used to do before – and that means exactly zero. So therefore, what I am talking about here is the failure of the so called agent of production, the working class, to change from wanting freedom from oppression – which is what human rights still show – to change into freedom to give things to others. That change comes from the bourgeois radicals. Otherwise, it is a very Christian view that suffering keeps the people pure. That’s bullshit. It’s the enthusiasm of good-hearted people wanting to change and trying to recognize the subalterns for their purposes. Nobody is going to like this. This is the first

interview I’m giving where I am just too tired to say the things that are wanted. I am not a postcolonial person. When I first wrote the postcolonial texts I didn’t know I was being postcolonial. And the moment I realized it I began to criticise it. People are so racist that I can never be given anything except the postcolonial position. The postcolonial position is a kind of luxury of the bourgeois self-styled activists. I don’t think it is a serious position. Gramsci knew about the prejudices of the proletariat. That is one of the reasons why he wanted to think it through. So the world is a complicated myth. You have my sympathy. I’m not against you. I am in fact for you. But I can’t lie to you. >Powision: Thank you very much for the conversation. Das Interview führte Daniel Mützel

n deland e i e r i mi

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F . W ari A K


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gesellschaft

slavoj žižek “The really practical statesman does not fit himself to existing conditions, he denounces the conditions as unfit.” (G. K. Chesterton, “The Man Who Thinks Backwards” 1) >In China, so they say, if you really hate someone, the curse to fling at them is: “May you live in interesting times!” Historically, the “interesting times” have been periods of unrest, war and struggles for power in which millions of innocents suffered the consequences. Today, we are clearly approaching a new epoch of interesting times. After decades of the Welfare State, when financial cuts were limited to short periods and sustained by a promise that things would soon return to normal, we are entering a new period in which the economic crisis has become permanent, simply a way of life. Furthermore, today, crises occur at both extremes of economic life, not at the core of the productive process: ecology (natural externality) and pure financial speculation. This is why it is crucial to avoid the simple common sense solution “we have to get rid of speculators, introduce order there, and real production will go on” – the lesson of capitalism is that “unreal” speculations are the real here; if we squash them, the reality of production suffers. >What is also crucial here is to look at the systemic risks of today’s capitalism rather than playing the undignified game of passing the blame and making the culprits (i.e. the big companies) pay the full price for the damage they have caused. Unfortunately, during the last year’s oil spill in the Gulf of Mexico, President Obama’s condemnation of the three involved companies (BP, Transocean, and Halliburton) was equally risible in its own way. On June 8, 2010, in a (justified) outburst against BP, Obama said regarding the oil spill: “It’s BP’s problem.” The press, predictably, reacted with “No, it’s Obama’s problem now!” Both were clearly wrong: while Obama was pursuing the legalistic log-

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Welcome to Interesting Times!

ic of indemnization totally inappropriate to the scale of the catastrophe, the press were focusing only on how the disaster would hurt Obama’s standing, maybe fatally undermining his chances for re-election. However, the claim that the disaster had become Obama’s problem misses the crucial underlying fact that it is indicative of a much larger problem, a problem for us all, as something which potentially shatters our commons, the natural fundamentals of our way of life. It is a problem for all of us, and nobody will resolve it for us. What is ridiculously naïve here is the idea that a private company, no matter how wealthy, could be capable of paying for the entire damage caused by a serious ecological catastrophe – it would be like demanding from the Nazis that they cover the full price of the Holocaust. >The search for the guilty party who should be made legally responsible for the damage is part of our legalistic frame of mind – people can (and do) sue fast food chains as if they were responsible for the clients’ obesity, and ideas circulate about slavery reparations, arguing that compensation is long overdue. This reductio ad absurdum makes it clear what is fundamentally wrong with this logic: it is not too radical, but rather insufficiently radical. The true challenge is not to collect compensation from those responsible, but to change the situation so that they will no longer be in a position to cause damage (or be pushed into activity which causes damage). What makes the focus on BP absurd is the fact that the same accident could well have happened to another company. The true culprit is not BP (although, to avoid any misunderstanding, it should be most severely punished), but the demand which pushes us towards oil production irrespective of environmental concerns. So we should start to ask basic questions about our way of life – to mobilize the public use of reason. The lesson of such ecological catastrophes is that nei-

ther the market nor the state will do the job. While market mechanisms may work up to a certain level to contain ecological damage, serious large-scale ecological catastrophes are simply out of their reach – any pseudoscientific statistic talk about “sustainable risks” is ridiculous here. >Another sign for the impotence of both state and market to solve the problems of our times was the imminent financial collapse of the Greek state. During May 2010, large demonstrations in Athens and elsewhere in Greece exploded into violence after the government announced the austerity measures it will have to adopt in order to meet the EU’s conditions for the bailout needed to avoid the bankruptcy of the state. Two stories stood out during these events: the predominant Western European establishment story derided the Greeks as a corrupt, inefficient, free-spending and lazy people used to living off EU support, while the Greek Left saw the austerity measures a yet another attempt by international financial capital to dismantle the last vestiges of the Welfare State and subordinate the Greek state to its own dictates. While both stories contain a grain of truth, they are both fundamentally false. The European establishment story obscures the fact that the massive loan given to Greece will be used to repay the country’s debt to the big European banks: the true aim of the measure is to support the banks since, if the Greek state goes bankrupt, they will be seriously affected. The Leftist story bears witness yet again to the misery of the contemporary Left: there is no positive content to its protest, merely a generalized refusal to compromise in defense of the existing Welfare State.

The de-politicized naturalization of the crisis And yet everyone knows that the Greek state will never and cannot ever repay the debt – in a strange gesture of collective make-believe, everyone ignores the obvious nonsense of the financial projection on which the loan is based. The irony is that the measure may nonetheless succeed in its immediate goal of stabilizing the Euro: what matters in contemporary capitalism is that agents act upon their putative beliefs about future prospects, regardless of whether they really believe in those prospects or take them seriously. This fictionalization goes

hand in hand with its apparent opposite: the de-politicized naturalization of the crisis and the proposed regulatory measures. These measures are not presented as decisions grounded in political choices, but as necessities imposed by a neutral economic logic – if we want to stabilize our economy, we simply have to swallow the bitter pill. However, here again one should not miss the grain of truth in this argument: if we remain within the confines of the global capitalist system, then such measures are indeed necessary – the true utopia is not a radical change of the present system, but the idea that one can maintain a Welfare State within that system. >This full naturalization (or self-erasure) of ideology imposes upon us a sad but unavoidable conclusion with regard the contemporary global social dynamic: today, it is capitalism which is properly revolutionary. From technology to ideology, it has changed our entire landscape over the last few decades, while conservatives as well as social democrats have for the most part simply reacted to these changes, desperately trying to hold onto old gains. In such a constellation, the very idea of a radical social transformation may appear to us as an impossible dream. The term “impossible” however, should make us stop and think. Today, the possible and the impossible are distributed in a strange way, both simultaneously exploding into an excess. On the one hand, in the domains of personal freedoms and scientific technology, the impossible is becoming increasingly possible (or so we are told): “nothing is impossible”, we can enjoy sex in all its perverse versions; entire archives of music, films, and TV series are available for downloading; space travel is available to everyone (with the money...); we can enhance our physical and psychic abilities through interventions into the genome, right up to the techno-gnostic dream of achieving immortality by transforming our identity into a software program transferable from one piece of hardware to another… On the other hand, especially in the domain of socio-economic relations, our era sees itself as having reached the age of maturity in which, with the collapse of the Communist states, humanity has abandoned the old millenarian utopian dreams and accepted the constraints of reality (read: of capitalist socio-economic reality) with all its attendant impossibilities: You cannot engage in collective political


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acts (which necessarily end in totalitarian terror), or cling to the old Welfare State (it makes you non-competitive and leads to economic crisis), or isolate yourself from the global market, and so on. (In its ideological version, ecology also adds its own list of impossibilities, in terms of so-called threshold values – no more global warming than two degrees Celsius, etc. – based on “expert opinions”).2 Such is life in the postpolitical era of the naturalized economy: political decisions are as a rule presented as matters of pure economic necessity – when austerity measures are imposed, we are repeatedly told that this is simply what has to be done. >However, even if the general de-politicization of the economy is a crucial point here, the problem is deeper than it may appear: contemporary capitalism tends to generate situations in which rapid and large-scale interventions are needed, but the problem is that the parliamentarydemocratic institutional framework does not easily allow for such interventions. Sudden financial crises, ecological catastrophes, major reorientations of the economy, all call for a body with the full authority to react quickly with the appropriate countermeasures, by-passing the niceties of interminable democratic negotiation. Recall the financial meltdown of 2008: what the much-praised “bi-partisan” response in the US effectively meant was that democracy was de facto suspended. There was no time to engage in the proper democratic procedures, and those who opposed the plan in the US Congress were quickly made to march in step with the majority. Bush, McCain, and Obama all speedily got together, explaining for the benefit of the confused that we were in a state of emergency, and things simply had to be done fast... >Likewise, the Chinese model of an extra-legal body able to impose such solutions is, in this sense, not just a way for the Communist Party to maintain control; it also fulfills a basic need of contemporary capitalism.3 But China is no Singapore (neither, for that matter, is Singapore): it is not a stable country with an authoritarian regime that guarantees harmony and keeps capitalism under control. Every year, thousands of rebellions by workers, farmers, and minorities have to be put down by the police and the army. China is barely under control. It threatens to explode.

I owe this idea to Alenka Zupančič. 2

The need to re-invent (the idea of) communism “The animal wrests the whip from its master and whips itself in order to become master, not knowing that it is only a fantasy produced by a new knot in the master’s whiplash.” (Franz Kafka) >These disturbing questions, which we might prefer to ignore, point towards the need to re-invent communism. How, though, to even approach this task in view of the great failure of the communist project which was the defining feature of the twentieth century? Where and how did things go wrong? >If the most dynamic of today’s capitalists are the Communists in power in China, is this not the ultimate sign of the global triumph of capitalism? Another sign of that triumph is the fact that the ruling ideology can afford to tolerate what appears to be the most ruthless criticism: books, newspaper investigations and TV reports abound on the companies ruthlessly polluting our environment, on the bankers who continue to receive fat bonuses while their institutions are saved by public money, on sweatshops where children are forced to work long hours, and so on. Ruthless as these denunciations may appear, what is as a rule not questioned is the liberal-democratic framework itself. The goal – explicitly stated or otherwise – is to democratize capitalism, to extend democratic control into the economy, through media pressure, parliamentary inquiries, tougher regulations, police investigations, etc. But the democratic institutional framework of the (bourgeois) state remains the sacred cow that even the most radical forms of “ethical anti-capitalism” (the World Social Forum, the altermondialiste movement) do not dare challenge.4 >Here Marx’s key insight remains valid, perhaps more than ever: for Marx, the question of freedom should not be located primarily in the political sphere proper (Does a country have free elections? Are its judges independent? Is its press free from hidden pressures? Does it respect human rights?). Rather, the key to actual freedom resides in the “apolitical” network of social relations, from the market to the family. Here the change required is not political reform but a transformation of the social relations of production – which entails precisely revolutionary class struggle rather than democratic elections or any other “political” measure

Did President Lula of Brazil not find himself in a similar predicament? His administration was often accused of corruption, and the real basis of this accusation was that, in order to enforce key decisions, he had to bribe the small parties on which his parliamentary majority depended. 3

I owe this idea to Saroi Giri. 4

in the narrow sense of the term. We do not vote on who owns what, or about relations in the factory, and so on – such matters remain outside the sphere of the political, and it is illusory to expect that one will effectively change things by “extending” democracy into the economic sphere (by, say, reorganizing the banks to place them under popular control). Radical changes in this domain need to be made outside the sphere of legal “rights.” In “democratic” procedures (which, of course, can have a positive role to play), no matter how radical our anti-capitalism, solutions are sought solely through those democratic mechanisms which themselves form part of the apparatuses of the “bourgeois” state that guarantees the undisturbed reproduction of capital. In this precise sense, Badiou was right to claim that today the name of the ultimate enemy is not capitalism, empire, exploitation, or anything similar, but democracy itself. It is the “democratic illusion,” the acceptance of democratic mechanisms as providing the only framework for all possible change, which prevents any radical transformation of capitalist relations. >Questioning the sacred cow of democracy is even more urgent, if one comes to today’s political spaces in both Western and Eastern Europe which bear signs of a long-term reorganization of their usual coordinates. Until recently, that space was in general dominated by two main parties: a Right-of-centre party (Christian-Democratic, liberal-conservative, People’s Party, etc.) and a Left-of-centre party (socialist, socialdemocratic, etc.), supplemented by smaller parties addressing a narrower electorate (ecologists, liberals, etc.). What is now progressively emerging is a space occupied by, on the one hand, a party standing for global capitalism as such (usually with a degree of tolerance towards abortion, gay rights, religious and ethnic minorities, etc.), and, on the other, an increasingly strong anti-immigrant populist party (accompanied on its fringes by explicitly racist and neo-fascist groups). The exemplary case here is Poland: with the disappearance of the ex-Communists, the main parties are now the “anti-ideological” centrist liberal party of the Prime Minister Donald Tusk and the conservative Christian party of the Kaczynski brothers. Or take the example of the Tea Party movement in the US, as the American version of this Rightist populism, which is gradually emerging as the only true opposition to the liberal

consensus. In Italy, Berlusconi is proof that even this ultimate opposition is not insurmountable: his Forza Italia is both the party of global capitalism and of the populist antiimmigrant tendency. In the de-politicized sphere of post-ideological administration, the only way to mobilize the electorate is to stir up fear (of immigrants, of the neighbor). To quote Gaspar Miklos Tamas, we are thus again slowly approaching a scenario in which “there is no one between the Tsar and Lenin”, i.e., in which a complex situation is reduced to a simple basic choice: community or collective, socialism or communism? Or, to put it in the well-known terms from 1968, in order for its key legacy to survive, liberalism needs the fraternal help of the radical Left.

Why the Idea and Why Communism? The Left is facing the difficult task of emphasizing that we are dealing with political economy – that there is nothing “natural” in the present crisis, that the existing global economic system relies on a series of political decisions – while simultaneously acknowledging that, insofar as we remain within the capitalist system, violating its rules will indeed cause economic breakdown, since the system obeys a pseudonatural logic of its own. So, although we are clearly entering a new phase of enhanced exploitation, facilitated by global market conditions (outsourcing, etc.), we should also bear in mind that this is not the result of an evil plot by capitalists, but an urgency imposed by the functioning of the system itself, always on the brink of financial collapse. For this reason, what is now required is not a moralizing critique of capitalism, but the full re-affirmation of the Idea of communism. >The Idea of communism, as elaborated by Badiou, remains a Kantian regulative idea lacking any mediation with historical reality. Badiou emphatically rejects any such mediation as a regression to an historicist evolutionism which betrays the purity of the Idea, reducing it to a positive order of Being (the Revolution conceived as a moment of the positive historical process). This Kantian mode of reference effectively allows us to characterize Badiou’s deployment of the “communist hypothesis” as a Kritik des reinen Kommunismus. As such, it invites us to repeat the passage from Kant


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to Hegel – to re-conceive the Idea of communism as an Idea in the Hegelian sense, that is, as an Idea which is in the process of its own actualization. The Idea that “makes itself what it is” is thus no longer a concept opposed to reality as its lifeless shadow, but one which gives reality and existence to itself. >Why, then, the Idea of communism? For three reasons, which echo the Lacanian triad of the I-S-R: at the Imaginary level, because it is necessary to maintain continuity with the long tradition of radical millenarian and egalitarian rebellions; at the Symbolic level, because we need to determine the precise conditions under which, in each historical epoch, the space for communism may be opened up; finally, at the level of the Real, because we must assume the harshness of what Badiou calls the eternal communist invariants (egalitarian justice, voluntarism, terror, “trust in the people”). Such an Idea of communism is clearly opposed to socialism, which is precisely not an Idea, but a vague communitarian notion applicable to all kinds of organic social bonds, from spiritualized ideas of solidarity (“we are all part of the same body”) right up to fascist corporatism. The Really Existing Socialist states were precisely that: positively existing states, whereas communism is in its very notion anti-statist. >Our task is thus to remain faithful to this eternal Idea of communism: to the egalitarian spirit kept alive over thousands of years in revolts and utopian dreams, in radical movements from Spartacus to Thomas Müntzer, including within the great religions (Buddhism versus Hinduism, Daoism or Legalism versus Confucianism, etc.). The problem is how to avoid the choice between radical social uprisings which end in defeat, unable to stabilize themselves in a new order, and the retreat into an ideal displaced to a domain outside social reality (for Buddhism we are all equal – in nirvana). It is here that the originality of Western thought becomes clear, particularly in its three great historical ruptures: Greek philosophy’s break with the mythical universe; Christianity’s break with the pagan universe; and modern democracy’s break with traditional authority. In each case, the egalitarian spirit is transposed into a new positive order (limited, but nonetheless actual).

“Now is the time for monsters” Perhaps the most succinct characterization of the epoch which began with the First World War is the well-known phrase attributed to Gramsci: “The old world is dying away, and the new world struggles to come forth: now is the time of monsters.” Were Fascism and Stalinism not the twin monsters of the twentieth century, the one emerging out of the old world’s desperate attempts to survive, the other out of a misbegotten endeavor to build a new one? And what about the monsters we are engendering now, propelled by techno-gnostic dreams of a biogenetically controlled society? All the consequences should be drawn from this paradox: perhaps there is no direct passage to the New, at least not in the way we imagined it, and monsters emerge necessarily emerge in any attempt to force that passage. >One of the signs of a new rise of this monstrosity is that the ruling clases seems less and less able to rule, even in their own interests. It’s not only postmodern capitalism which is clearly running out of control and producing new monsters on its way. The US policy is definitely approaching a stage of madness, and not only in internal policy where the Tea Party proposes to fight the national debt by lowering taxes, i.e., by raising the debt (one cannoy but recall here Stalin’s well known thesis that, in the Soviet Union, the state is withering away through the strengthening of its organs, especially its organs of police repression). In foreign policy also, the spread of Western Judeo-Christian values is organized by setting conditions not for the protection, but for the expulsion of Christians. Like in Iraq there were approximately one million Christians lived under Saddam, leading exactly the same lives as other Iraqi subjects, until something weird happened to Iraqi Christians, a true catastrophy: A Christian army occupied (or liberated, if you want) Iraq, dissolved Iraq’s secular army and thus left the streets open to the Muslim fundamentalist militias to terrorize each other and the Christians. This is definitely not a clash of civilization, but a true dialogue and cooperation between the US and the Muslim fundamentalists.5 >Our situation is thus the very opposite of the classical twentieth-century predicament in which the Left knew what it had to do (establish the dictatorship of the prole I rely here on the analysis of Ervin Hladnik-Milharcic, Ljubljana. 5

tariat, etc.), but simply had to wait patiently for the opportunity to offer itself. Today, we do not know what we have to do, but we have to act now, because the consequences of inaction could be catastrophic. We will have to risk taking steps into the abyss of the New in totally inappropriate situations; we have to be aware of the hard problem of defining the new order any revolution will have to establish after its success. But when inaction is not an option, we have to take the risk. In short, our times can be characterized as none other than Stalin characterized the atom bomb: not for those with weak nerves. >Communism is today not the name of a solution, but the name of a problem: the problem of commons in all its dimensions – the commons of nature as the substance of our life, the problema of our biogenetic commons, the problema of our cultural commons (“intelectual property”), and, last but not least, directly the problema of commons as the universal space of humanity from which no one should be excluded. Whatever the solution, it will have to solve this problem.

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wolfgang fach Das Lamento oder wenigstens Staunen über „die Krise der Politik“ ist neueren Datums. Politik hat na­türlich immer wieder „versagt“, sprich: Probleme verdrängt und Sachen vermasselt. Doch inzwischen scheint mehr auf dem Spiel zu stehen. Worin liegt der Unterschied? Oder anders gefragt: Wie muss man Politik verstehen, damit sie in eine Krise kommen kann?

Reine Politik Niemand wird daran zweifeln, dass Souveräne Politik machen – auch dann, wenn diese Politik kaum „souverän“ genannt zu werden verdient. Nirgendwo findet sich dieser Unterschied dermaßen auf die Spit­­ze ge­trieben wie in Albert Jarys ma­je­­stätsbeleidigender Farce über den ebenso stupid-bru­talen Kö­nig Ubu. „Vater Ubu“ führt sich mit dem Ausruf „Schoi­ße!“ ein und übersteigt dieses Ni­veau im Lau­fe seiner Karriere, die ihn auf den polnischen Kö­nigs­thron führen sollte, kein einziges Mal. Dazu passt die ba­nale Form seiner Machtergreifung: der regierende Mo­ narch wird kurzerhand er­schlagen und halbiert „wie eine Bockwurst“. Einmal an die Macht gekommen er­fährt Ubu zwar, was von ihm erwartet würde, nämlich „Fleisch und Gold“ unters Volk zu bringen, um sich der Masse Gunst zu versichern, doch Ubu denkt gar nicht da­ran, diesen guten Rat zu beherzigen. im Gegenteil: uner­sättlich in seiner Raffgier lässt er kurzer­hand sämt­liche Adligen um­bringen, zusam­men mit den ob­er­sten Richtern und Finanzbeam­ten, die den mörderischen Enteignungsfeldzug für unge­recht oder unver­nünftig halten: „Schoiß drauf!“ >Das Primitive erscheint hier als reine Blödheit, es kann aber auch in der Gestalt purer Bosheit auftreten. Krüppel, heißt es bei Hegel, seien auch Menschen - so wie ein „defigurierter“ Staat als Staat gelten müs­se (1986: 404). Was aber, wenn die Verunstaltung aus ihrem Opfer einen Unmenschen macht, der

Welche Krise? Welche Politik?

sich an seiner defekten Natur dadurch rächt, dass er den Staat skrupellos defiguriert? So liegen die Dinge in Shakespeares Richard der Dritte, dessen Protagonist von allem An­ fang an aus dem bösen Spiel kein Geheimnis macht: „Doch ich,“, setzt sich der ungestalte Richard von seinen wohlgeformten Adelsfreunden ab, „um dieses schöne Ebenmaß ver­kürzt,/Von der Natur um Bildung [körper­ li­che Gestalt] falsch betrogen,/Entstellt, Ver­ wahrlost, vor der Zeit gesandt/In diese Welt des Atmens, halb kaum fertig/Ge­macht, und zwar so lahm und ungeziemend,/Dass Hunde bellen, hink ich wo vor­bei;/Ich nun, in dieser schlaffen Friedenszeit,/Weiß keine Lust, die Zeit mir zu vertreiben, /Als meinen Schatten in der Sonne spähn/Und meine eigne Missgestalt erörtern;/Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter/Kann kürzen diese fein bered­ten Tage,/Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden…“ >Der Unterschied zwischen beiden Königen ist vernachlässigbar klein. Ihr banaler Ab­gang beweist es: Ubu sucht auf dem Schiff das Weite, auch Richard will nichts wie weg, doch findet er kein Pferd. Beide sind „Lum­ pensou­ve­räne“, triebgesteuerte Taugenichtse. Politik findet statt, in ihrer simpelsten, chemisch reinen Form, als pure Machtausübung, eine „Nullnummer“ gewissermaßen, ohne tie­fe­­ren Sinn oder höheren Zweck. Es geht um nichts anderes als Leben (Fressen) und Überleben (Mas­sa­krieren). Für die Herren Könige wird´s irgendwann kritisch, doch das Politische floriert in rei­ner Form: als purer Machtgenuß.

Reflexive Politik Die Sache ist ganz einfach die: Ein gekröntes Haupt, das spinnt, spinnt nicht einfach (wie dies bei nor­malen Menschen wäre), sondern regiert (auf seine Weise). Wäre es anders, könnte niemand nach­voll­ziehen, warum Kronjuristen so viele Gedanken da­rauf ver­

wen­­det haben, den amtierenden König vor sich selbst in Schutz zu nehmen. Nicht dass er ihnen als Person (body natural) am Herzen liegen würde: sie wollen weniger ihn vor seinen Dumm­­hei­ten, sondern die „Krone“ (body politic) vor Scha­den bewahren (Kantorowicz, 1990). Allerdings lassen sich beide Körper nicht einfach separieren, der physische wird zwar immer mal wieder ausgewechselt, doch im­mer muss einer da sein – und er sollte wenigstens imstande sein zu (unter-)schrei­ben: „Wenn man oft gegen Monarchen behaup­ tet“, no­tiert Hegel, „dass es durch ihn von der Zufällig­keit abhänge, wie es im Staat zugehe, da der Monarch übel gebildet sein könne, da er viel­leicht nicht wert sei, an der Spit­ze desselben zu stehen, und dass es widersinnig sei, dass ein solcher Zustand als ein vernünftiger ex­istieren solle, so ist eben die Voraus­setzung hier nichtig, dass es auf die Besonder­heit des Charak­ters ankomme. Es ist bei einer voll­en­deten Organisa­tion nur um die Spit­ze formellen Entscheidens zu tun, und man braucht - zu einem Monarchen nur ei­nen Men­schen, der „Ja“ sagt und den Punkt auf das I setzt; denn die Spitze soll so sein, dass die Beson­der­heit des Charak­ters nicht das Bedeutende ist.“ (1986: 451) >Komplizierter wird das Ganze erst in dem Augenblick, als der Apparat den Souverän nicht nur beobachtet und „bedeckt“, sondern auch daran misst, was von ihm eigentlich zu erwarten wäre. In Sa­­­mu­el Pepys‘ Tagebuch finden sich regelmäßig Klagen dieses Hofbeamten über seinen König, dem es an der notwendigen „sobriety“ fehle, um das Land angemessen zu regieren (Kohlmann, 2009). Hegels Kal­kül treibt diese Differenz noch weiter: Eine „vollendete Organisation“, der preußische „Anstaltsstaat“ (Max Weber), macht selbst Politik und braucht den offiziellen Souverän nur der Form halber – dessen Debil­i­tät da­her auch keine Rolle mehr spielt. Macht­tech­niker solchen Zuschnitts sind dann auch imstande, den nächsten Schritt zu tun: sie sorgen sich ums gemeine Volk. Diese überraschende Sorge ent­springt keiner unversehens aufkommenden Sympathie für Land und Leute; hinter ihr stec­ken auch nicht ältere Vorstellungen vom „guten“ (gottgefälligen) Herrscher; sondern sie ist eine Sa­che der Staatsräson: des Kal­küls, dass das Regime auf Ressourcen der Regierten zurückgreifen muss, wenn es dau­erhaft (über-) le­ben will. Weshalb machtbewusste Souveräne sich um ihre Un­ter­ta­nen, „in deren Kraft ihre eigene Stärke und ihr eigener Ruhm

bestehen“ (Thomas Hobbes), aus eigenem Interesse intensiv küm­m­ern. Also auch hier: Politik ist selbstreferentiell, die Regierenden regieren für sich (Staatsrä­son), nie­man­den sonst. Ein Perspektivwechsel findet nur in einer Hinsicht statt: Die Ubus dieser Welt wol­len selbst leben (nach ihrem Geschmack) und müssen dafür überle­ben; ihre Nach­folger müs­sen um des eigenen Überlebens willen an­dere „leben machen“ (Michel Foucault). >Darin besteht das Plus dessen, was wir gewohnt sind, „verantwortliche“ Politik zu nennen: sie re­flektiert ihren Zustand, entwickelt sich vom naiven Machtgenuss zum rationalen Machtkalkül. Macht­ha­ber üben sich aus strategischer Einsicht in Triebaufschub, wohlwissend, dass „verrückte Augen­blic­ke“ auf län­ge­­re Sicht selbstzerstörerisch sind. Diese Rationalitätszufuhr („Staatsräson“) erhöht einer­seits die Kom­­plexität der Politik und produziert dadurch Legitimität, weil das öffentliche Interesse (sprich: die privaten In­­teressen anderer oder sogar aller) ins herrschaftliche Kalkül eingehen (bis hin zur Vor­ stellung einer „sozialen Monarchie“, wie sie Lorenz v. Stein im 19. Jahrhundert lanciert hat). Irrtü­mer des Regierens sind möglich, doch von einer „Krise der Politik“ kann (immer noch) keine Re­de sein.

Regressive Politik Mal Ubus Gräuel, mal Preußens Gloria – so unterschiedlich kann man „politisieren“. Genuss und Kalkül markieren gleichwohl unterschiedliche Ent­wick­­lungsniveaus des Umgangs mit Politik. Was sich nicht zuletzt daran ablesen lässt, dass die Reflexion in eine Transformation übergehen kann: Das Mittel – allgemeines Wohl – wird zum Zweck er­hoben und den Souveränen als Maß­stab vorgehalten, den zu verfehlen für sie bedeu­tet, dass ihre Tage gezählt sind, weil An­dere („Opposition“) die Chance erhalten sollen und wollen, es besser zu ma­ch­en. Wer diese Wen­dung als Aufstieg der De­mokratie feiert, sollte besser dran denken, dass schon das 17. Jahrhundert Populisten erlebt hat, welche dem König im Namen des Volkes das Leben schwer ge­macht haben – freilich ohne im min­desten dran zu denken, den Pöbel tatsächlich zu Wort kom­ men zu lassen. Ihr Volk war eine idea­li­sierte, eigens erfun­dene (Morgan, 1988) und für sie dienst­bare (nicht umge­kehrt) Größe, sprich: ihm war die Rolle zugedacht, den kaum weniger wortlo­sen Gott als Legitimitätsquelle ab­zu­lö­sen (weshalb damals auch beide


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Stummheiten miteinander ver­mischt werden konnten, um die angemaßte Volks­fürsorge als gött­li­chen Auftrag hinzu­stellen). >Immerhin kommt so hinterrücks, mit oder ohne Gott, ein Legitimitätsbruch in die Welt – und da­mit die Erkenntnis, dass im Zentrum der Politik nicht nur eine Differenz (zwischen Ideal und Wirklich­keit) stehen mag, sondern Heterogenität: Das, was anders sein könnte, ist nicht nur besser, sondern ganz anders, sprich: verhält sich, zu dem, was ist, „antagonistisch“. Erst jetzt wird „Krise der Politik“ – im Gegensatz zu Krise der Macht – üb­erhaupt formulierbar: wenn nämlich, aus welchen Gründen auch im­mer, die Opposition verschwin­det, so dass sich das Feld des Politischen wieder zusammenfaltet und aufs Geschäft der anwesenden Mächtigen reduziert, das ganz Andere also zur sprach­lo­sen Ab­­­wesen­heit verdammt ist. Carl Schmitt (1963) weist in diesem Zusammenhang auf die besondere Rol­le der Technik hin, und zu Zeiten, vor 40, 50 Jahren hat man tatsächlich geglaubt, eine finale Ruhelage sei ein­ge­treten. Einige sahen „kristallisierte“ Zustände kommen, andere sprachen von einer „Opposition ohne Alternative“, und systemtherapeutische Sozialdemokraten hielten schon damals ihren Weg, („kon­zer­ tier­te Aktion“) für konkurrenzlos richtig. Auf alle Fälle würden post­poli­ti­sche Verhältnisse heraufziehen – die Herrschaft sachlicher Gesetzmäßigkeiten oder: Politik im Zustand der Regression. >Als Ideologie wurde diese Vision zuerst von denen gebrand­markt, deren Blick für Ausbeutungs- od­­er we­nig­­stens Ungleichverhältnisse sich von homogenisieren­den Gesellschaftsvi­sionen nicht hat trüben lassen. In dieser Linie stehen Chantal Mouffe (2007) und ihre Kritik am gegenwärtigen Sozial­demo­kra­tis­mus, dem sie, wenn man so will, „Heterogenitätsvergessenheit“ vorwirft, weil seine Suche nach einem „dritten Weg“ das Terrain der (antagonistischen, ja selbst „agonalen“) Spaltungen ausdrück­lich verlässt. Dagegen insistiert sie auf gebremste Militanz - etwa im Sti­le Elias Canettis, des­ sen Deutung des parlamentarischen Abstimmungsrituals den an­tagonistischen Hintergrund nicht aus dem Blick verliert: Es sei „der Rest des blu­tigen Zu­sam­men­sto­ßes, den man auf vielfache Weise spielt, durch Drohung, Beschimp­f­ung, physi­sche Erregtheit, die [in süd­lichen Parla­menten] bis zu Schlägen oder Würfen führen kann. Aber die Zählung der Stimmen ist das Ende der Schlacht.“ (2006:

220). Die Dramatisierung lebt offenkundig von der Idee, dass Politik im Originalzustand (Bürger-)Krieg oder (Klassen-)Kampf war und alles, was danach passiert ist, als Zi­vi­ lisierung einer ursprünglichen Wildheit begriffen wer­den muss. Diese Unter­scheidung zwischen (on­tolo­gischer) Wesentlichkeit und (ontischer) Wirk­lich­keit hat gegenwärtig Konjunktur (Marchart, 2010). Man hält sie essentiell fürs kri­tische Denken, des­sen Substanz ja von „woanders“ herkommen muss, und dafür ist in postmo­dernen Zeiten jedes Mittel recht: Als andere Orte kommen neben dem tiefgründelnden Wesen („Sein“) in­zwi­­ schen auch Flachheiten wie „Fiktion, Zu­ fälligkeit und Kontin­genz“ (Jacques Derrida) in Betracht. Von einer Krise des Politischen könnte man unter solchen Voraussetzungen erst dann spre­chen, wenn die Phantasie erschöpft ist. So - und nur so - gesehen würde sich der Kreis schließen: denn phantastisch war auch der Einfall des (englischen) Adels, gegen den unge­lieb­ten König das neu er­ fundene Volk in Stellung zu bringen. >LITERATUR Canetti, E. (2006): Masse und Macht, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main. Hegel, G.F.W. (1986): Grundlinien der Philosophie des Rechts, Suhrkamp, Frankfurt an Main. Kantorowicz, E. (1990): Die zwei Körper des Königs, dtv, München. Kohlmann, B. (2009): „’Men of Sobriety and Business’: Pepys, Privacy and Public Duty”, in: The Review of English Studies, Jg. 61, S. 553–571. Marchart, O. (2010): Die politische Differenz, Suhrkamp, Frankfurt am Main. Morgan, E. S. (1988): Inventing the People, W. W. Norton & Company, New York/ London. Mouffe, C. (2007): Über das Politische, Suhrkamp, Frankfurt am Main. Schmitt, C. (1963): Der Begriff des Politischen, Duncker & Humblot, Berlin. ft ha er c ls k

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oliver d’antonio Die Krise hat anhaltende Hochkonjunktur. Sie gehört zu den wenigen Universalbegriffen der postindustriellen Gesellschaft und scheint gleichermaßen auf Regierungen, Volkswirtschaften, Interessenverbände oder Sportvereine anwendbar. Sie erweist sich als hochgradig normativ aufgeladen und stellt je nach Krisensubjekt eine andere Deutung bereit. Einer der seit rund einem Jahrhundert stabilsten Krisendiskurse in Deutschland ist der um politische Parteien. Irgendeine Partei, mindestens aber die, die mehrere Jahre in Folge nicht regieren kann, befindet sich scheinbar immer in der Krise. Als Promotoren des Diskurses im parteiskeptischen Deutschland sind einerseits die krisenaffinen Massenmedien zu nennen. Andererseits präsentierte sich auch die Geisteswissenschaft stets als politischer Krisenanalyst: Max Weber beschrieb die Krise der deutschen Parteien im Revolutionswinter 1918/19 (Weber, 1926: 51ff), ebenso wie Sigmund Neumann jene der untergehenden Weimarer Republik (Neumann, 1932). Und der Weg von der Krisendiagnose zur offenen Parteienkritik oder gar zur offenen Schmähung von Parteien war nie besonders weit: Ein anarchistischer Syndikalist wie Robert Michels lehnte den Weimarer Parteienstaat ebenso ab wie der rechtskonservative Carl Schmitt. In der Bundesrepublik verband sich die wissenschaftliche Kritik mit der Analyse einer parteienstaatlichen Krise durch überbordende Machtfülle. Das Korruptionspotenzial der Parteien stand ebenso am Pranger wie die Überdehnung und Abkopplung von der Gesellschaft (Hennis, 1982; Scheuch und Scheuch, 1992). >Die Rede von den Parteienkrisen erfordert somit eine differenzierte Betrachtung. Schließlich scheint der nachfolgend zu diskutierende Fall der Volksparteienkrise eine andere Diskursrichtung zu nehmen als die bisherigen Fälle. Zudem besitzt die Krise der Volksparteien augenscheinlich eine völlig an-

Die Krise der Catch-AllStrategie dere empirische Evidenz. Waren es meist eher Krisen der Demokratie oder des staatlichen Systems, welche durch die legale Machtausübung der Parteien in Frage gestellt würden, so entwickelte sich die in den vergangenen zwei Dekaden stark in den Fokus gerückte Volksparteienkrise tendenziell in eine andere Richtung: Ohnmächtig seien Parteien, Wähler und Mitglieder gingen verloren, was schließlich in eine Legitimitäts- und Vertrauenskrise von geradezu historischem Ausmaß münde, so der Journalist Thomas Leif (Leif, 2009: 436ff). >Woran bemisst sich jedoch die so geortete Krise der Parteien, vornehmlich der Volksparteien? Immerhin funktioniert in der Politik der Bundesrepublik keine Regierung ohne die Führung durch Union oder SPD – die einzigen Parteien, die bis heute einen gemeinhin als legitim erachteten Volksparteienanspruch erheben. Der Ursprung der heutigen Krisendiskurse muss zunächst über die historische Entstehung der Volksparteien erschlossen werden. Die Volksparteien sind Produkte der Nachkriegsjahrzehnte. Im Zeitalter, in dem sich stabile Milieu- und Klassenstrukturen sowie belastbare ParteiSozialgruppen-Bündnisse aufzulösen begannen, erschienen sie als innovatives Erfolgsmodell im sozialen Strukturwandel. Die CDU, die sich von Anfang an zur Volkspartei erklärte, verstand unter diesem Titel eine so genannte Sammlungspartei in der Mitte der Gesellschaft – wobei die Mitte stark an ein kleinbürgerlich-konservatives Gesellschaftsverständnis anknüpfte (Münkler, 2010: 69). Die Union versprach vermittels gesellschaftlichen Wohlstands jedoch die Integration aller sozialen Gruppen in dieses Modell. Dieser erfolgreichen Inszenierung hatte die traditionalistische Facharbeiterpartei SPD zunächst wenig entgegenzusetzen. Erst in den späten 1950er Jahren motivierten die anhaltenden Wahlniederlagen die Sozialdemokraten eine ähnliche Selbstdarstellung anzustreben. Bei-


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de Parteien glaubten den Lehren von Kirchheimer und Downs, nach welchen in modernen Gesellschaften jene Partei erfolgreich sei, die ihr Produkt am besten auf dem Markt platziert, mithin alle Wähler ansprechen will (Catch-All-Strategie) und durch vage Programmatik die größtmögliche Öffnung über die eigene Stammklientel hinaus erreiche (Kirchheimer, 1965). Tatsächlich blieben Christ- und Sozialdemokraten zwar unterscheidbar, doch sie strebten keine großen Gegenentwürfe zur Politik des anderen mehr an, wollten, wie es die SPD in der Ära Brandt formulierte, nicht alles anders, sondern nur vieles besser machen, als die CDU. >Die Bonner Republik mutierte ab Mitte der 1960er Jahren zum Volksparteienstaat. Diese kurze Epoche, die bis in die 1980er Jahre reichte, stellt in der Retrospektive die Glanzzeit der Volksparteien dar. In dieser Zeit gelang es den Unionsparteien und der SPD bei Bundestagswahlen Stimmenanteile von 40 bis 50 Prozentpunkten zu erreichen. Beide Volksparteien gemeinsam erreichten seinerzeit regelmäßig Ergebnisse von rund 90 Prozent der abgegebenen Stimmen. In den 1970er Jahren gelang es sogar, die Freidemokraten aus den Landtagen in Saarbrücken, Kiel und Hannover zu verdrängen, so dass dort phasenweise nur noch Zweiparteienparlamente existierten. Der Volksparteienstaat zeichnete sich neben dem hochkonzentrierten Parteiensystem und beachtlichen Wahlbeteiligungsraten durch eine überaus erfolgreiche Mitgliederwerbung aus: Rund zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger waren in CDU/CSU und SPD Mitte der 1970er Jahre organisiert. >Diese Entwicklung war jedoch lediglich das Resultat einer kurzen historischen Epoche, was den Volksparteien auch eher den Charakter eines historischen Übergangsstadiums, denn eines empirisch messbaren sozialwissenschaftlichen Typus verleiht. Die zunehmende Fragmentierung und Differenzierung der spätindustriellen Gesellschaft erlaubte den selbst erklärten Volksparteien kurzzeitig einen fulminanten Aufstieg, ihre Öffnungs- und Sammlungsstrategien fielen auf fruchtbaren Boden. Doch die anfangs günstigen Bedingungen kehrten sich nach dem Abebben der hochpolitisierten und -polarisierten 1970er Jahre zunehmend um. In einer Gesellschaft mit abnehmender Milieuintegration, ausdifferenzierter Interessenstruktur und nachlassendem Bindungsbedarf an politische Parteien, gibt es – zugegebener-

maßen – auch nur wenig Anlass zu erwarten, dass sich die Bürgerinnen und Bürger dauerhaft in einem polarisierten Zwei- bis Dreiparteiensystem abbilden lassen. >Den Parteien selbst geht diese Einsicht jedoch bis heute ab. Der kurze historische Glücksfall der volksparteilichen Hausse, wurde nun zum Normzustand erklärt. Innerparteiliche Vordenker wie der Christdemokrat Karl-Joachim Kierey erklärten, eine Volkspartei müsse in Wähler- und Mitgliedschaft sowie in den Parlamentsfraktionen die gesellschaftlichen Gruppen angemessen abbilden (Kierey, 1972: 22). Andere machten den Volksparteienstatus am Wahlerfolg fest, nannten Mindest-Prozenthürden oder erwarteten, wie Peter Haungs, eine Volkspartei müsse das Ziel verfolgen, „so viele Stimmen auf sich zu vereinigen, dass sie – möglichst allein – die Regierung bilden könne[n]“ ( 1980, Hervorheb. im Original). Diese Maßstäbe legen durchaus nahe, dass jeder langfristige Zustand, in dem jenen Ansprüchen nicht genügt wird, als krisenhaft interpretiert werden kann. Es gehört jedoch wenig dazu, die Überforderung zu erkennen, die diese Definitionsversuche den Parteien auferlegen. Doch die Parteien verweigern sich diesem Zwang zur Volkspartei nicht, sondern befördern ihn zusätzlich: Sie beschwören mantrahaft ihren Volksparteiencharakter, begegnen der Destabilisierung ihrer Mitglied- und Wählerschaft mit anhaltenden Reformkonzepten und bisweilen atemberaubenden Kehrtwenden in ihrer Politik. Sie wollten Netzwerkpartei oder Bürgerpartei werden, boten Schnuppermitgliedschaften an, präsentierten eigene YouTube-Kanäle und Facebook-Seiten – was sie auch versuchten, es war vergebens, die Volkspartei der 1970er Jahre kehrte nicht wieder. Und die Politikwissenschaft leistet ihnen bisweilen einen Bärendienst, indem sie immer wieder aufs Neue fordert, an den tradierten CatchAll-Strategien festzuhalten (Mayer, 2009: 20f). >Es wäre sicherlich zu einfach zu behaupten, die Volksparteienkrise sei nur aus eigenem Verschulden erwachsen. Doch die Parteien tragen ohne Frage an ihrer Verschärfung und vor allem an der breiten öffentlichen Wahrnehmung einer solchen Krise Schuld. Sie verbarrikadierten sich hinter den Maßstäben einer günstigen, aber überkommenen Epoche und wussten zu keinem Zeitpunkt mit dem gesellschaftlichen Wandel, der ihnen die Erfolgsgrundlagen entzog, um-

zugehen. Statt auf Abspaltungen oder neue Konkurrenten wie die Grünen oder Die Linke zuzugehen, sie koalitionspolitisch einzubinden, Flexibilität unter Beweis zu stellen, folgerten sie stets, die verlorengegangenen Stimmen müssten vermittels organisatorischer Reformen re-integriert werden. >So folgt einer Profilerneuerung, eine Organisationsreform und im Zuge einer Programmerneuerung möglicherweise wieder die Rückkehr zu den ideellen Wurzeln. Auch dies verschärft die Krise, denn Wähler suchen heute verstärkt nach politischer Orientierung und Verlässlichkeit in der komplexer werdenden politischen Landschaft. Man wünscht sich Parteien mit klaren Profilen, die dennoch Bündnisfähigkeit und einen gewissen koalitionspolitischen Pragmatismus unter Beweis stellen. Letztlich wird es darauf ankommen, ob die heutigen Volksparteien in der Lage sind, wieder ein klareres Werteprofil zu entwickeln und damit viele jener Wähler zurückzuholen, die sich aus Frust und Enttäuschung dem Parteiensystem völlig abgewandt haben. Denn Wahlabstinenz und politische Apathie stellen für eine Demokratie die weit gefährlichere Krise dar als die der Volksparteien. Jenseits der Catch-All-Partei wird es nicht mehr möglich sein, potenziell alle Wählerinnen und Wähler anzusprechen, es ist nur wichtig, dass sich diese bei anderen Parteien einreihen, zu deren Profil sie besser passen. Die einstigen Volksparteien binden diese im Idealfall koalitionspolitisch wieder in ihre Regierungspolitik ein. Gelingt es ihnen, sich vom Sammlungsanspruch zu emanzipieren, stabile Koalitionen auf der Grundlage von 30 bis 35 Prozent der Wählerstimmen herzustellen und der Partei- und Regierungspolitik ein klares Profil zu verleihen, so dürfte das Zeitalter der Volksparteien schon bald vergessen sein, ohne dass diesem noch mit großer Wehmut nachgetrauert werden müsste. >LITERATUR Haungs, P. (1980): Parteiendemokratie in der Bundesrepublik Deutschland, Colloquium Verlag, Berlin. Hennis, W. (1982): „Überdehnt und abgekoppelt. An den Grenzen des Parteienstaates“, in: C. Graf v. Krockow (Hg.): Brauchen wir ein neues Parteiensystem?, Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main, S. 28–46. Kierey, K.-J. (1972): „Ist die CDU eine

Volkspartei?“, in Sonde – Neue ChristlichDemo­kratische Blätter für Politik, Jg. 5, S. 17–28. Kirchheimer, O. (1965): „Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems“, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 6, H. 1, S. 20–41. Leif, T. (2009): Angepasst & ausgebrannt. Die Parteien in der Nachwuchsfalle. Warum Deutschland der Stillstand droht, Bertelsmann, München. Mayer, T. (2009): „Von der Mitte her denken. Das bürgerliche Lager und das Potenzial der Volksparteien“, in: V. Kronenberg und T. Mayer (Hg.): Volksparteien: Erfolgsmodell für die Zukunft? Konzepte, Konkurrenzen und Konstellationen, Herder, Freiburg im Breisgau, S. 12–25. Münkler, H. (2010): Mitte und Maß. Der Kampf um die richtige Ordnung, Rowohlt, Berlin. Neumann, S. (1932): Die deutschen Parteien. Wesen und Wandel nach dem Kriege, Junker & Dünnhaupt, Berlin. Scheuch, E. K. und Scheuch, U. (1992): Cliquen, Klüngel und Karrieren: Über den Verfall der politischen Parteien, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg. Weber, M. (1926): Politik als Beruf, München, S. 51–67.

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astrid lorenz Krisen gehören zu den „3 Ks“ der Politikwissenschaft. Steckten Küche, Kinder, Kirche das traditionelle Lebensumfeld von Frauen ab, so bilden Krisen, Kriege und Konflikte die traditionell wichtigsten Untersuchungsgegenstände der Politikwissenschaft. Dabei bezeichnet Krise schlicht einen Wendepunkt, den Punkt, an dem ein Entwicklungstrend von einem anderen abgelöst wird. In der Medizin markiert die Krise den Beginn der Heilung; in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wird der Begriff – wohl im Eindruck des Alltagsgebrauches – meist negativ konnotiert. Die Wissenschaft spürt nicht nur die Ursachen für die Entstehung einer Krise auf, sondern versucht auch zu ermitteln, welche Umstände zu einer Stärkung (oder Schwächung) infolge einer Krise führen. >Auf welche Weise die Politikwissenschaft am besten dazu beitragen kann, Krisen zu erklären, lässt sich anhand des Bandes „Essence of Decision“ von Graham T. Allison verdeutlichen. In diesem Klassiker der Politikwissenschaft erklärte er 1971 die Entstehung der Kuba-Krise. Er hatte nämlich festgestellt, dass es trotz unzähliger Berichte und Bücher über diese 13 Tage im Oktober 1961, die die Welt an den Rand eines Atomkrieges gebracht hatten, auch zehn Jahre danach noch immer keine konsistente Erklärung der Entstehung der Krise gab. Auch wir können heute leicht Fakten ermitteln – über Fernsehen, Printmedien oder Internetseiten wie WikiLeaks –, doch bieten diese Quellen weder eine Garantie auf vollständige Information noch einen sinnvollen Ordnungsrahmen für ihr Verständnis. Komplexe Zusammenhänge systematisch zu ergründen, Ordnungsrahmen und Theorien zu entwickeln, sind Kernkompetenzen der Wissenschaft. Allisons Anliegen, Erkenntnis statt nur Informationen bereitzustellen, ist daher für viele politische Themen weiter aktuell. >Ausgehend von unterschiedlichen Theorien, entwarf Allison in seinem Buch in drei

Krisen erklären. Der Beitrag der Politikwissenschaft

Kapiteln drei unterschiedliche Erklärungen für die Kuba-Krise. Im ersten Szenario führte er sie auf die geopolitische Lage zurück, mit Blick auf Staaten als Spieler, ihre Verhandlungsmacht und den Kalten Krieg. Im zweiten Szenario zeigte er, wie längere organisatorische Prozesse innerhalb der Staaten zur KubaKrise führten, darunter die Entwicklung von Mittelstreckenraketen und der Pläne zu ihrer Stationierung auf der Karibik-Insel sowie Geheimdienstaktivitäten. Im dritten Szenario stützte er sich auf Entscheidungsabläufe und Aushandlungen innerhalb von Regierungen. Durch diese Nutzung alternativer theoretischer Ansätze wollte Allison das Denken in monolithischen Blöcken aufbrechen, das die Analysen der internationalen Beziehungen zum damaligen Zeitpunkt kennzeichnete. Er verfolgte nicht nur die Züge von Regierungen auf dem politischen „Schachbrett“, sondern betrachtete auch die „Schachspieler“ und ihre Entscheidungsfindung (Allison, 1971: 7). Dies war neu. >Spannend liest sich bis heute Allisons Erkenntnis, dass bereits die Wahl des Erklärungsansatzes beeinflusst, was ihr Nutzer jeweils über die Entstehung der Krise erfahren kann, wie er das Problem definiert, seine Forschungsfrage stellt und herunter bricht, welche Ebenen er einbezieht und was er erstaunlich findet. Dies liegt daran, dass sie jeweils bestimmte Sets von Vorannahmen und analytischen Kategorien enthalten und andere ausblenden (Allison, 1971: 245). Dieselbe Frage – Warum kam es zur Kuba-Krise? – wurde je nach genutztem Ansatz ganz unterschiedlich beantwortet. Bemerkenswert ist dabei, dass sich alle Alternativinterpretationen jeweils plausibel auf empirische Daten stützen. Jede von Allisons Erklärungen der Kuba-Krise war in sich schlüssig. Offensichtlich sind also viele sozialwissenschaftliche Variablen nicht eindeutig zu bestimmen, lassen sich die relevanten Erklärungsfaktoren nicht eindeutig isolieren. Aussagen bewäh-

ren sich daher in Hypothesentests immer nur vorläufig. >Die praktische Relevanz dieses in der Politikwissenschaft häufig anzutreffenden Problems besteht darin, dass sich aus unterschiedlichen Erklärungen unterschiedliche, teils widersprüchliche Schlussfolgerungen dazu ergeben, wie Krisen künftig zu verhindern sind. Dies gilt nicht nur für die Vermeidung künftiger Atomkriege. Entkommen wir der Klima-Krise über die drastische Beschränkung des Flugverkehrs oder reicht eine Förderung der Solarindustrie? Braucht der Markt mehr Staat oder ist die Finanzkrise dadurch gelöst, dass Manager für kriminelle Taten zur Rechenschaft gezogen werden? Lässt sich „Stuttgart 21“ nur über eine breite direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungen überwinden, oder reicht es aus, die Verfahren der Verkehrsplanung zu ändern, wenn die Medien sich ein anderes Thema gesucht haben? Die Antworten basieren auf widersprüchlichen Ursachenanalysen. >Selbst die Ortung einer Krise ist nicht immer so eindeutig wie bei der Kuba-Krise. Gibt es überhaupt eine Klima-Krise oder handelt es sich um natürliche Temperaturschwankungen? Indiziert „Stuttgart 21“ tatsächlich eine Krise der Demokratie? Der Grad der Abweichung vom Status quo ante, der eine Bewertung als Krise rechtfertigt, ist immer sozial konstruiert, d.h. es gibt keinen objektiven Maßstab. Je kleiner die übliche Schwankungsbreite, desto eher wird eine Entwicklungsschwankung als Krise bezeichnet. Daraus resultiert das Paradox, dass gerade in stabilen Demokratien allerorten Krisen festgestellt werden, während dieselben Phänomene in fragilen Systemen ganz anders wahrgenommen werden. Und schließlich variiert die Bewertung, ob eine Krise vorliegt oder nicht, mit normativen Überzeugungen und der Hinzuziehung der Merkmale, auf die sich die Messung bezieht. Kriselt die Demokratie, wenn die Menschen sich in Umfragen negativ über die Politik äußern, oder sind noch ganz andere Umstände zu berücksichtigen? >Allisons Studie problematisierte das Phänomen unterschiedlicher Erklärungsansätze, zeigt aber gleichzeitig, dass sie kein Problem der Wahrheitsfindung ist, sondern eine Chance. Jeder Ansatz vertiefte auf seine Weise das Verständnis der komplexen Krisenentwicklung. Vielfalt von Theorien und Methoden, so verwirrend sie auf den ersten Blick sein mag, trägt viel besser zur Krisen-

bewältigung bei als Wissenschaftssysteme, die eine Deutung favorisieren, denn diese kann falsch sein. Die Vielfalt der Erklärungen ist aber, wie das Buch ebenfalls verdeutlicht, nur unter zwei Bedingungen produktiv für alle: Erstens müssen die Grundlagen der Bewertung und die Daten offengelegt werden, damit die Behauptungen für andere nachprüfbar sind. Konfektionierungen von Variablen, die nur dazu dienen, die Gültigkeit einer Theorie zu belegen, können auf diese Weise aufgedeckt, normative Erwartungen diskutiert werden. Zweitens dürfen die Erklärungen nicht einfach nebeneinander stehen, sondern es muss ein Bezug zwischen ihnen hergestellt werden. Erst durch seinen Vergleich zeigte Allison die jeweiligen Erkenntnisse und Lücken bei der Erklärung der Kuba-Krise auf. Vielfalt muss also mit Transparenz und Offenheit zum Dialog einhergehen, um dem Erkenntnisinteresse zu dienen. >Zusammenfassend weist uns Allisons Band über die Kuba-Krise bis heute darauf hin, dass der Beitrag der Politikwissenschaft zur Erklärung und Überwindung von Krisen gerade nicht in der Behauptung universeller Wahrheit besteht, sondern im sorgfältigen Entwurf konsistenter Deutungsrahmen, der Diskussion von Deutungsalternativen und in systematischer, transparenter empirischer Forschung. Die eigenen Unzulänglichkeiten und die Chance des eigenen Scheiterns denkt sie immer gleich mit. Dies macht es ihr freilich schwer, der Öffentlichkeit guten Gewissens schnelle und einfache Ratschläge für politisches Handeln in Krisen zu geben. >LITERATUR Allison, G. T. (1971): Essence of Decision – explaining the Cuban Missile Crisis, Little Brown, Boston (Mass.).

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michael fischer Zäsuren stehen oft im Mittelpunkt der Geschichtsforschung: der Sturm auf die Bastille, der die Französische Revolution und somit das Ende des Absolutismus einleitete oder die Reformen Gorbatschows, welche zum Ende des Kalten Krieges führten. Doch wann ist ein historisches Ereignis eine Zäsur bzw. wann und aus welchem Blickwinkel nehmen wir es als solche wahr? Der Sammelband „Von Zäsuren und Ereignissen – Historische Einschnitte und ihre mediale Verarbeitung“, herausgegeben von Thorsten Schüller und Sascha Seiler, setzt sich mit diesen Fragen auseinander. Der Schwerpunkt der einzelnen Artikel liegt vor allem auf dem medialen, kulturellen oder ästhetischen Umgang mit diversen Zäsuren. Leider zielt der Großteil der Forschungsarbeiten auf die große Zäsur unserer Tage ab, welche wir unter dem Kürzel 9/11 kennen. Daneben werden allerdings auch andere Themen wie der RAF-Terrorismus oder weiter zurück reichende Zäsuren, wie das Erdbeben in Lissabon von 1755 in einzelnen Beiträgen analysiert. >Die Autoren und Autorinnen dieses Sammelbandes kommen aus den verschiedensten Fachrichtungen des Wissenschaftsbetriebes. Durch dieses disziplinübergreifende Autorenteam sind die einzelnen Artikel aus sehr verschiedenen Sichtweisen geschrieben und setzen diverse Schwerpunkte in ihren Analysen. Der einzige gemeinsame Ausgangspunkt aller Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in diesem Sammelband ist ihre Auffassung von Zäsur. Diese teilen die Welt, zumindest in der Wahrnehmung der Menschen, immer in ein „Davor“ und ein „Danach“ ein. Die einzelnen Betrachtungsweisen und Meinungen der Autoren und Autorinnen zu Zäsuren unterscheiden sich allerdings stark. Es wird beispielsweise untersucht ob Zäsuren überhaupt von der ganzen Gesellschaft als Zäsur wahrgenommen werden und wenn ja, ob sie als Zäsuren in derselben Weise wahrgenommen werden. Am Beispiel fundamentaler

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Retrospektive Brüche

Christen, welche die Anschläge auf die Twin Towers als Teil der biblischen Apokalypse sehen, setzt sich dazu die Autorin Christina Rickli speziell damit auseinander, dass Zäsuren von einer Nation oder sogar global zwar kollektiv als solche wahrgenommen, aber ganz unterschiedlich interpretiert werden können. Sie stützt diese Annahme mit einem enormen Anstieg der Verkaufszahlen von evangelikaler Endzeitliteratur nach 9/11. Ein und dasselbe Ereignis kann also, laut ihrer Arbeit, in verschiedenen Teilen einer Gesellschaft unterschiedlich wahrgenommen werden. Außerdem müssen vergleichbare Zäsuren nicht zwangsläufig ähnliche Reaktionen hervorrufen. Thomas Schmidtgall macht in seinem Aufsatz deutlich, dass aufgrund des religiös-kulturellen Hintergrundes die Amerikaner mit Heroismus auf 9/11 reagierten während in Spanien nach 11-M (Anschläge in Madrid am 11. März 2004) eine Art Ritualisierung des Schmerzes und der Trauer zu beobachten war. Besonders aufschlussreiche Indikatoren für Ängste und Krisen, die nach Zäsuren eintreten oder Ereignisse erst zu Zäsuren machen, zeigen Karsten Wind Meyhoffs Untersuchungen zum Genre der Katastrophenfiktion und dessen Entwicklung vom 18. Jahrhundert bis heute. >Bei all diesen Untersuchungsgegenständen fällt es manchmal schwer, die Kernaussage dieses Sammelbandes nicht aus den Augen zu verlieren. Genauer gesagt, dass Zäsuren in den seltensten Fällen eine neue Zeit einläuten. Zäsuren schaffen eher imaginäre Konzentrationspunkte, die sich langfristig entwickelnde Umbrüche in der Gesellschaft an einem Punkt verorten. In den seltensten Fällen existiert also ein „Davor“ und ein „Danach“. Wie so vieles basieren auch die großen Umbrüche der Gesellschaft auf langfristigen Entwicklungen zu einem Ereignis hin, welches dann durch mediale oder kulturelle Reflexion bzw. Ängste und Krisen in einer Gesellschaft zu einer Zäsur erhoben wird.

Thosten Schüller und Sascha Seiler (Hg.)Von Zäsuren und Ereignissen Historische Einschnitte und ihre mediale Verarbeitung Transcript, Bielefeld, 2010, 29,80 €.

alexander mitterle Roughly 15 months after publication this book has been widely reviewed. It is said to be “one of the best, if not the best, books ever written on the history of financial crises” (Kose, 2011) and according to New York Times Op-Ed columnist David Brooks “the best explanation” if you want to understand the recent financial crisis. (Brooks, 2010). In fact, Reinhart and Rogoff’s “overwhelming” achievement has been in having “compiled an impressive database, which covers eight centuries of government debt defaults from around the world” (Chancellor, 2009) thus providing the “first comprehensive series of public debt” (Kose, 2011). In using a “history-based, theory-shy approach” that “offers little guidance to policy” (Krugman & Wells, 2010), they furthermore provide less controversy for economist to quarrel about. So is there any need to, among with all the others, jump on the boat trying to clamper a small part of the fame by reviewing this recent bestseller yet another time? I believe there is. >First of all, the explanation of the recent financial crisis can, by considering the “evidence” Reinhart and Rogoff present, indeed help “any responsible citizen” understand the economic mechanisms that have lead to such disastrous results (Warsh, 2009). The book is full of charts and graphs accumulating all the data the two researchers have collected. However, most of the “800 years of folly” (as the subtitle suggests) actually take their scene from the 19th century onwards. The 800 years rather serve as a proof for the main claim that crises have been around for decades and that our ancestors, no matter how sober in judgment, have always believed that the individual situation was such, that it is not comparable to past crises. For this syndrome the authors coin the notion of “this time is different”. >The analysis itself concentrates on all sorts of “financial behemoth” (282) – in-

“This time is different” – indeed, it is. cluding detailed data on inflation rates, financial capital flows, house prices, domestic debt, etc. – mainly in the period from 1800 to present. The last chapters lower this radius to a comparison of the “Great Depression” (1929+) and, as the authors call it, the “Second Great Concentration” from 2007 onwards. Other than actually providing a picture of the crises and including indicators that so far have been neglected (domestic debt and house prices), they fall short of explaining the factors that actually lead to a crisis. Nevertheless, providing the data in itself is a reasonable achievement because it is a starting point for further research and could improve worldwide risk management through a perfection of so called early warning models (EWM). As Warsh puts it: “The authors have demonstrated that with appropriate evidence, the problems we are suffering through can be foretold” (Warsh, 2009). >Taken into account that the book is more or less written out statistics, “what then do these data tell us?” (Wolf, 2009), or better what don’t they tell us? What strikes the most about the composition is the blatant ignorance towards the historical developments the analysed crises have been embedded in. Apart from some exemplary stories in small boxes (69-71; 88) and a long explanatory chart at the end of the book, the understanding of the so called “historical experience” (52) even spares to name the individual developments that are compared. Rather than missing out on the context, it seems that the authors explicitly cross out the context in order to underline the possibility of their comparison. By doing this “a picture is drawn” that enables trained economists “to relate economic events as they are discussed in the framework of everyday speech to the more rigid framework of mathematical models” (Rosner, 2006: 156). Such a picture entails indicators such as “Gross Domestic Product” (GDP), “sovereign debt”, “Government do-

Reinhart, Carmen M. & Kenneth S. Rogoff (2009): This time is different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton/Oxford: Princeton University Press.


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mestic debt” and other naturalized entities of today’s economics and underlines the claim a much more context based researcher of commercial history has made: “no government can nullify the laws of economy, whether it knows them or not” (Lopez, 1976: 71). In reference to Richard Rorty, the economist Mark Blaug calls this “rational reconstruction” that is opposed to “historical reconstruction” (Blaug, 2001: 150)1. While the latter aims at the impossible task of reconstructing past knowledge without taking the following achievements (charts, graphs, mathematic models, etc.) into account, the former uses up-to-date knowledge to make old ideas and statistics “transparently relevant to modern economists” (Blaug, 151-152). In other words: ”the quantitative technologies used to investigate social and economic life work best if the world they aim to describe can be remade in their image.” (Porter, 1995: 43) >For instance the notion of “GDP” is puzzling. An international standardization that makes a nation state comparison possible only dates back to the foundation of the United Nations in 1944 and that of the Organisation of European Economic Cooperation (OEEC) shortly after (Studenski, 1958). While some approaches to national accounting indeed reach back to the 17th century and widely diverging measures develop in the 19th century, the aligning of theoretical concepts (e.g. equilibrium, economic cycles) to statistics and the rise of econometrics take their main start with the “statistical revolution” in the early 20th century (see Porter, 1995, 2001). Their practical use and hence their widespread support by government was for the early 19th century at best questionable. >Another problem arises from the careless utilization of words such as states and “sovereignty”. Analysing “sovereign debt” in the 13th century has nothing much to do with the state of “Italy” – as suggested by the authors – but rather with merchants from diverse northern Italian towns, that were in constant quarrel with the emperor, the pope and neighbouring dukes. “Financial behemoth” in those days could mean the loss of a treasure case during warfare (Frederick II) and may raise questions of comparability if set aside the “sovereign default” of an in the meantime developed 18th century absolutist state respectively a 19th century nation state.

Blaug refers to the history of economic ideas. I believe the argumentation is equally valid for the history of economic accounting. 1

>Several references to “corruption and “cleptocratic” governments in the book raise further questions in how far 21st century good governance practices can be used as a historical correct judgment for 18th century monarchies (53; 88) who did not put the governing of the people (healthcare, generational fairness, etc.) at the top of their priority list. It may be unfair to suggest that the authors are not really aware of such problems, but by jumping between centuries without giving any indication other then time charts, it often remains unclear what they are actually referring to. >At some points however their generalization indeed turns wrong. For instance, they align the 19th century Germany to Prussia (87). This is historically far from correct. Until at least 1866 the question of the leading country in Germany was still up to decision between Austria and Prussia. In fact a German state that was more than a loosely coupled system of sovereign nation states (without a statistical entity) did not exist before 1871. This makes German GDP estimates going back to 1800 (now without the Prussian distinction; 186) and Germany’s “defaults through inflation” between 15011799 highly questionable (183). The same applies to other late-founding states such as Italy, Turkey, Belgium and the Netherlands. >Finally, the notion of “crisis” itself has to be questioned. The authors do spend a reasonable amount of pages on discussing what they understand as crisis and what sort of crises they refer to if they talk about the financial follies of the last 800 years. A crisis by its term must always be a decisive cut to otherwise “normal” – if not rather equilibrated – circumstances. It is doubtful that the 13th century continental Europe awaiting the rise of an Anti-Christ, lacking an independent press and being involved in crusades and constant wars between neighbouring rivals had any clear feeling for normal circumstances as opposed to crisis in the terms of Reinhart and Rogoff. >This time it indeed is different. While Charles Kindlebergers “Manias, Panics, and Crashes: A History of Financial Crises” had more anecdotal character and needed a sufficient study of historical documents, Reinharts and Rogoffs database entitles future scholars to produce history by numbers. This truely is a “return of history” as David Brooks (2010) argues, but then some history books need an awful lot of rewriting.

>LITERATUR Blaug, M. (2001): “No History of Ideas, Please, We’re Economics”, in: Journal of Economic Perspectives, Jg. 15, H.1, S. 145– 164. Lopez, R.S. (1976): The Commercial Revolution of the Middle Ages, 950–1350, Cambridge/New York/u.a.: Cambridge University Press. Porter, T.M. (1995): Trust in Numbers. The Pursuit of Objectivity in Science and Public Life, Princeton/New Jersey: Princeton University Press. Porter, T.M. (2001): “Economics and the History of Measurement”, in History of Political Economy Jg. 33, Supplement 1, S. 4–22. Rosner, P. (2006): “What goes up, must come down: Images and metaphors in early macroeconomic theory”, in: G. Erreygers & G. Jacobs (Hg.): Language, Communication and the Economy, Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamin Publishing Company (Discourse Approaches to Politics, Society and Culture), S. 153–178. Studentski, P. (1958): The Income of Nations, New York: New York University Press. Brooks, D. (2010): “The Return of History”, in: The New York Times, 26.03.2010, link: http://www.nytimes.com/2010/03/26/ opinion/26brooks.html (aufgerufen: 27.03.2011) Kose, M.A. (2011): “Review of ‘This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly by Carmen M. Reinhart and Kennth S. Rogoff”, In Koc University-Tüsiad Economic Rsearch Forum Working Paoer Series, Nr. 1106, link: http://www.ku.edu.tr/ ku/images/EAF/erf_wp_1106.pdf (aufgerufen: 27.03.2011) Chancellor, E. (2009): “Boom, Bust. Repeat.“, in: The Wall Street Journal, 09.10.2009, link: http://www.economics.har vard.edu/files/faculty/51_ Boom_Bust_Repeat.pdf (aufgerufen: 27.03.2011) Warsh, D. (2010): “What This Country Needs On detecting economic crises”, in: Harvard Magazine, January-February, S. 18–23, link: http://www.economics. harvard.edu/faculty/rogoff/files/What_ This_Country_Needs.pdf (aufgerufen: 27.03.2011) Wolf, M. (2009): “This time will never be different”, in FT.com 28.09.2009, link:

http://www.economics.har vard.edu/ faculty/rogoff/files/This_Time_Will_ Never_Be_Different.pdf (aufgerufen: 27.03.2011) Krugman, P. & R. Wells (2010): “Our Giant Banking Crisis – What to Expect”, in The New York Review of Books, 13.05.2010, S. 11������������������������������������ –����������������������������������� 13, link: http://www.economics.harvard.edu/files/faculty/51_NYT_Review_ Krugman.pdf (aufgerufen: 27.03.2011)

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johannes kiess Das Thema Sicherheit ist alles andere als in der Krise. Fast jeder Beitrag des äußerst spät erschienenen Tagungsbandes „...mit Sicherheit: für Freiheit – Die gesellschaftlichen Dimensionen der Sicherheitsforschung“ (Berlin, Bundesministerium für Bildung und Forschung, November 2008), fordert Innovation und „mehr Forschung“ – gleich ob es sich hierbei um ingenieurwissenschaftliche, juridische Beiträge oder gar die Keynote von Bundesforschungsministerin Annette Schavan handelt. Nicht zuletzt, um auf dem „Sicherheitsmarkt“ „zukunftsfähig“ zu sein (Schavan). Das klingt fast, als müsse manch einer sein wissenschaftliches Dasein rechtfertigen, was dem Charakter des Kongresses entsprungen sein mag. Die ausführliche Einführung in den Band verspricht allerdings mehr: „Zivile Sicherheit in den sicherheitspolitischen Kern zu rücken, basiert auf einer Rationalität, aus der heraus Gefährdungen, Bedrohungen und Risiken heterogener Herkunft in einem gleichen Gefährdungskontext überführt werden“, die darin bestehe, Gefährdungen „auf die Verwundbarkeit des modernen Lebens“ zurückzuführen. >Interessanterweise ist jene Rationalität der zivilen Sicherheit in den wenigsten Beiträgen Gegenstand der Ausführungen und bleibt damit vage. Das ist einerseits schade, weil das Versprechen nicht nur wegen der transdisziplinären Thematik und Besetzung verlockend klingt. Diese Inter- oder Transdisziplinarität bleibt aber wie so oft ein bloßes Etikett. Außerdem mangelt es einigen Beiträgen auch an dieser oder überhaupt einer (gesellschafts-)theoretischen Reflexion. Wenn etwa Menno Harms in seiner Keynote eine Umfrage seines Branchenverbandes BITKOM zur Videoüberwachung als Beschäftigung mit den sozialen Aspekten von Sicherhehtistechnik versteht, spricht das Bände. Dass drei Keynotes den Auftakt bilden müssen ist im Übrigen unnötig, aber wohl ebenfalls der Kongressidentität geschul-

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Die Rationalität ziviler Sicherheit (-sdiskurse) det. Andererseits ist der größere Teil der Beiträge durchaus interessant. So erfährt man etwas zur Hochwasserprävention in Köln und Dresden, zu rechtlichen Regelungen der Vorratsdatenspeicherung, zur Erweiterung des Sicherheitsbegriffs, zur Sicherheitsgesellschaft selbst, zu (ökonomischen) Kosten von Sicherheit, zum Problem Kriminalitätsfurcht, usw. Insbesondere die Beiträge von Albrecht, Herschinger/ Jachtenfuchs/ KraftKasack, Daase, Gusy und Kreissl sind lesenswert: allesamt aber sozialwissenschaftlicher bzw. juristischer Provenienz. Der Beitrag von Albrecht reißt z.B. eine ganze Reihe von Fragen rund um die Stellung von Sicherheit in modernen Gesellschaften an, Gusy schafft es, erkenntnisfördernd ethische Grundüberlegungen mit konkreten Rechtsfragen und vor allem den entstehenden Herausforderungen für Sicherheitsmanagement zu verbinden. Daase bleibt zwar knapp, weißt aber auf ganz entscheidende Veränderungen der Sicherheitskultur hin (z.B. „Von der Bedrohungsgemeinschaft zur Risikogesellschaft“) und Herschinger, Jachtenfuchs und KraftKasack konstatieren durchaus innovativ einen Mangel an Politisierung im europäischen aber auch deutschen Sicherheitsdiskurs. Die übrigen Beiträge sind dagegen eher Anschauungsmaterial: Dass Informationstechnologie hilfreich sein kann (Koch/Plass) und der „internationale Terrorismus“ volkswirtschaftliche Effekte mit sich bringt (Schneider), ist einleuchtend. Dass dabei im weiteren Sinne aber nur Datenmaterial referiert wird, ist bezeichnend. Schließlich erzählt der Band als solches und einige der „technischen“ Artikel im Speziellen dem Leser/der Leserin dann doch ein wenig über die Rationalität ziviler Sicherheit(-sdiskurse).

Peter Zoche, Stefan Kaufmann und Rita Haverkamp (Hrsg.): Zivile Sicherheit. Gesellschaftliche Dimensionen gegenwärtiger Sicherheitspolitiken, Bielefeld: transcript (2011).

thomas heim „[Wir] sollten uns alle im Zeitalter der Globalisierung an ein wenig mehr Dynamik und Unsicherheit gewöhnen. Jeder Job könnte täglich in Gefahr sein, nur weil jemand irgendwo auf der Welt eine strategische Entscheidung getroffen hat, die uns zufällig betrifft.“ >Jetzt ist es schon so weit. Nun kommen nicht einmal mehr die Bewerbungsratgeber ohne den Verweis auf die unsichere, mithin kriselnde Situation auf den Arbeitsmärkten aus. Dabei zielt der Ansatz, den der Karriereberater Dieter L. Schmich in seinem Buch vorstellt, gerade auf das genaue Gegenteil ab: Mit seiner Strategie soll sich jeder Bewerber in die Lage versetzt fühlen, allen Widrigkeiten des Arbeitsmarkts zu widerstehen. Setzt man alle Schmichschen Vorschläge in die Tat um, kann man – so sein Fazit – als Bewerber „auch dynamischeren Zeiten [sic] mehr als gelassen entgegen sehen.“ >Worin besteht nun der Weg in die krisenfeste Zukunft? Wie startet man als Berufseinsteiger gleich so, dass man sich praktisch nie wieder um eine spätere Bewerbung kümmern muss? >Die Antwort von Dieter L. Schmich ist denkbar einfach: Indem man von Anfang an alles genau vorbereitet, jeden seiner Schritte dokumentiert und sich nicht auf die Stellenanzeigen in Zeitungen und im Internet verlässt. Selbst die Initiative ergreifen und sich bekannt machen, ist die Losung der Stunde. Das hat, so Schmich, folgende Hintergründe: Die Zeiten, in denen interessante Stellen noch ausgeschrieben wurden, sind schon lange vorbei. Gerade die von vielen Absolventen gesuchten Einstiegspositionen werden nicht mehr offen, sondern verdeckt über Kontakte und Beziehungen vergeben. Auf öffentlich ausgeschriebene Einstiegspositionen bewerben sich mehrere hundert Hochqualifizierte. Auch wenn das den meisten bekannt sei,

Den verdeckten Stellenmarkt finden - oder auch nicht agierten seiner Beobachtung zufolge viele Hochschulabsolventen auf der Suche nach einem Einstieg immer noch mit Strategien, die „dem heutigen Zeitalter in keiner Weise Rechnung“ trügen. Eine erfolgreiche Bewerbungsstrategie im 21. Jahrhundert nach Schmich umfasst demzufolge fünf Phasen: Vorbereitung, Recherche, Information, Bewerbung und – für die langfristige Wirkung – Nachbereitung. Die Banalität dieser Vorschläge mag auf den ersten Blick verblüffen, Schmich meint es aber durchaus ernst. Gerade die Recherche- und Informationsphase soll die Grundlage bilden für den Aufbau einer umfassenden Datenbank (Schmich: ein simples Ordnersystem) an Kontakten und Ansprechpartnern, die im Optimalfall die ganze spätere Karriere begleiten. Schmich geht davon aus, dass die meisten Hochschulabsolventen im Laufe ihres Studiums schon Gelegenheit hatten, erste Berufserfahrungen zu sammeln. Die Kontakte, die aus diesen Praxisaufenthalten stammen, bilden, zusammen mit den Beziehungen von Kommilitonen, Eltern und Bekannten, das Fundament für ein erstes Netzwerk. Dazu wird eine Liste mit potentiell interessanten Arbeitgebern erstellt. Hat man alle diese Daten beisammen, beginnt die gezielte Suche nach offenen Stellen. Das Mittel der Wahl: Die direkte Ansprache durch E-Mail, Telefon oder persönlich bei Veranstaltungen oder Fachmessen. Die Ergebnisse dieser Anfragen werden in die Datenbank eingepflegt und weiter genutzt. Nach Schmich ist das der erfolgversprechendste Weg, am verdeckten Stellenmarkt zu partizipieren. Dazu liefert er in seinem Buch eine Fülle an Arbeitsblättern und Vorlagen: Assoziationslisten, Spickzettel für Telefongespräche, Vorlagen für Gesprächsnotizen und Kreuzlisten zum Einschätzen der eigenen Softskills. Selbst Formulierungsvorschläge für erste Sätze beim Telefonieren oder Grußworte für E-Mailnachrichten werden

Dieter L. Schmich: Erfolgreicher Karrierestart, Die besten Initiativstrategien für Hochschulabsolventen im verdeckten Stellenmarkt, Wiesbaden: Gabler, 2010, 29,90 €


vom Autor dargeboten. Das erweckt beim Lesen mitunter den Eindruck einer leichten Bevormundung. Wer diese Aspekte ausblenden kann und auf der Suche nach einer Motivations- und Starthilfe für das leidige Thema „Berufseinstieg“ ist, für den kann „Erfolgreicher Karrierestart“ ein praktischer Ratgeber mit vielen Hinweisen sein. >Ungeachtet der Tatsache, dass viele Ratgeber ihren Problembereich erst einmal selbst kreieren müssen, steht eines fest: Der Arbeitsmarkt hat sich entscheidend verändert, die Herangehensweisen und Erwartungen der Elterngeneration an den Prozess „Bewerben“ sind schon lange völlig überholt. Schmichs Buch will die heutigen Absolventen beim Umdenken unterstützen. >Wer sich trotz aller Dynamik und Unsicherheit das Lesen sparen und Dieter L. Schmich persönlich erleben will, der bucht sein einwöchiges „Seminar im Warmen“ auf den Kanarischen Inseln. Preise (natürlich nur auf Anfrage) auf seiner Website.

Demokratie bringt Frieden und Wohlstand. Dieser Satz galt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielen als Selbstverständlichkeit. Doch was, wenn Globalisierung, Finanzkrisen, Lobbyismus, wachsende Einkommensungleichgewichte und nicht zuletzt Bahnhöfe diese Selbstverständlichkeit unterhöhlen? Niedrige Wahlbeteiligungen, „Wutbürger“ und „Mutbürger“, die den „kommenden Aufstand“ proben – aber auch Demokratieverdrossenheit und antidemokratische Einstellungen in großen Teilen der Bevölkerung in Deutschland, Europa und darüber hinaus sind weitere Anzeichen. Während das Volk den Fähigkeiten und den selbstlosen Reden von Politikern misstraut, misstrauen die Politiker der Entscheidungsfähigkeit des Volkes. „Postdemokratie“, „Mediendemokratie“, „Diktatur der Finanzmärkte“ sind nur einige der Begriffe, welche in neuen Analysen das Dilemma des Wahlvolkes zu umschreiben suchen. Schließlich zeugt Bruno Latours „Parlament der Dinge“ auch davon, dass Demokratie nicht nur Staaten und Bürger etwas angeht. Aktanten aller Art können demokratisch agieren, sich konzeptualisieren und neue Formen des Regierens schaffen. In Nordafrika und der arabischen Welt scheint ein vermeintlicher Frühling der Demokratie neuen Aufschwung zu geben. Zeigen sich die etablierten Demokratien reichlich träge, sind die Menschen in Ägypten, Libyen und Syrien bereit für ihre Ideale – oder zumindest bessere (Über-)Lebensstandards – auf die

„Wege aus der Demokratie“ Straße zu gehen und dabei ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Es zeigen sich derzeit also sowohl Wege aus der Demokratie wie andererseits auch Wege in die Demokratie. Powision sucht für diese Ausgabe Beiträge, die sich mit den empirischen und/oder theoretischen Problemen der Demokratie auseinandersetzen. „Wege aus der Demokratie“ meint dabei zunächst ironisch die Veränderungen, die den demokratischen Status quo unterhöhlen. Gleichzeitig soll der Arbeitstitel als Denkanregung dienen. Konzepte, welche „Wege aus dieser Form der Demokratie“ suchen sollen kritisch diskutiert werden. Dazu können die Streitschrift vom „kommenden Aufstand“ ebenso wie Konzepte der „radical democracy“, des steuernden chinesischen Effizienzstaates aber auch des Bienenstaates (Quesney) herhalten. Genauso sind Texte willkommen, die Wege in die Demokratie untersuchen: Demokratische (Staats-)Bildungsprozesse als „bottom-up“-Bewegung (arabische Welt, Zentralasien) oder als „top-down“-Prozess (Demokratische Republik Kongo) verstanden, demokratische Reforminitiativen oder neue theoretische Blickwinkel, können Gegenstand der Betrachtung sein. Der Umfang der Beiträge soll ca. 8000 Zeichen inkl. Leerzeichen und Fußnoten (entspricht etwa 1,5 Seiten mit Times New Roman und Schriftgröße 10) betragen. Zitierhinweise finden sich auf www.powision.de. Zusendeschluss ist der 15.09.2011 Gerne stehen wir für weitere Nachfragen zur Verfügung und schicken auf Wunsch auch ein pdf-Dokument der letzten Ausgabe zu.


Autoren

Pencho Kuzev

Peter Zima

Oliver D‘Antonio

in dieser Ausgabe

hält einen Master of Laws und ist Doktorand an der Universität Bremen.

ist Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Klagenfurt.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

Dirk Baecker

Arno Trültzsch

Peter Zima

ist Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin University in Friedrichshafen.

studiert an der Universität Leipzig im Master European Studies

Ulrich Johannes Schneider ist Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig und außerplanmäßiger Professor für Philosophie am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig.

Daniel Palm

Hanna Scheck

Gregor Wiedemann

Astrid Lorenz

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie.

ist Publizist und unter anderem Autor des 2011 erschienenen Buchs „Regieren mit Datenschutz und Überwachung“.

ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Leipzig.

Anne Dölemeyer

Matthias Künzler

Michael Fischer

ist Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Leipzig.

ist Oberassistent am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich.

absolviert ein Masterstudium der Politikwissenschaft an der Universität Leipzig.

Ralph Richter

Gayatri Spivak

Alexander Mitterle

der Universität Leipzig sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Projekt „Die Inszenierung des Ganzen: Stadtmarketing und die Eigenlogik der Städte“ am Institut für Soziologie der TU Darmstadt.

ist Professorin für Literaturwissenschaft und Direktorin des Center for Comparative Literature and Society an der Columbia University, New York.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Hochschulforschung der Martin-Luther Universität Halle Wittenberg.

Anja Jahnel

Slavoj Žižek

Johannes Kiess

studiert Politikwissenschaft im Bachelor an der Universität Leipzig.

Peter Spahn

ist Inhaber des Lehrstuhls für VWL, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Universität Hohenheim.

Jenny Preunkert

ist Dozentin am Institut für Soziologie an der Universität Leipzig.

Georg Vobruba

ist Professor am Institut für Soziologie an der Universität Leipzig.

ist Doktorand der Soziologie an

studiert Sozialwissenschaften und Philosophie an der Universität Leipzig.

ist Professor am Institut für Philosophie an der Universität von Ljubljana, Professor für Philosophie und Psychoanalyse an der European Graduate School in Saas-Fee, Schweiz und Direktor des Birkbeck Instituts an der Universität von London.

Almut Wieland-Karimi

Rabea Krätschmar-Hahn

ist Geschäftsführerin am Berliner Zentrum für Internationale Friedenseinsätze.

Wolfgang Fach

rin am Institut für Gesellschaftsund Politikanalyse der GoetheUniversität Franlfurt/Main. Die Diplom-Soziologin promoviert zum Thema „Kinderlosigkeit in Deutschland – Zum Verhältnis von Fertilität und Sozialstruktur“.

ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Leipzig.

ist wissenschaftliche Mitarbeite-

ist Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Klagenfurt.

ist Student der Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Leipzig.

Thomas Heim studierte Diplom-Politikund Verwaltungswissenschaften an der Universität Leipzig und arbeitet in Berlin in einer Agentur für Kampagnen.


1 2

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S.4 S.8 S.10 S.12 S.14

dirk baecker Wie in einer Krise die Gesellschaft funktioniert daniel palm Wanted: Kritische Theorie der Finanzkrise

4 5

3

peter spahn Die Krise des Euro jenny preunkert Krisengewinner: Währung

georg vobruba Krisenverlierer: Wohlfahrtsstaat

almut wieland-karimi Ist der politische Wille da, werden auch die Mittel bereitgestellt, um ihn umzusetzen

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pencho kuzev & arno trültzsch Die griechisch-makedonische Dauerkrise: ein spannender Frieden hanna scheck Klimakrise! – oder einfach nur „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“?

S.20 S.24

anne dölemeyer Disconnected. Katastrophen und die kleinen Dinge des alltäglichen Regierens.

x e d n I

12

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ralph richter Drei Wege zur „Krise der Stadt“ anja jahnel Vockerode in der Krise

S.30 S.33

S.27

Rabea Krätschmar-Hahn Kinderlosigkeit als Lösung für Geschlechterungleichheit und Arbeitsmarktvorgaben

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S.40 S.44 S.47 S.50 S.52 S.58 S.64 S.67 S.70 S.72 S.73 S.76 S.77

peter zima Thesen zum Thema „Subjektivität“

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Ulrich Johannes Schneider Gibt es eine Krise des Subjekts bei Michel Foucault? gregor wiedemann Die Krise der informationellen Selbstbestimmung matthias künzler Medienkrise = Journalismuskrise? gayatri spivak Bring down the power structures! slavoj žižek Welcome to Interesting Times! wolfgang fach Welche Krise? Welche Politik?

oliver d’antonio Die Krise der Catch-All-Strategie

astrid lorenz Krisen erklären. Der Beitrag der Politikwissenschaft. michael fischer Retrospektive Brüche

alexander mitterle „This time is different“– indeed, it is.

johannes kiess Die Rationalität ziviler Sicherheit(-sdiskurse)

thomas heim Den verdeckten Stellenmarkt finden – oder auch nicht

S.17

S.37


Herausgegeben von Powision e.V. Jahrgang VI, Heft 1 Erscheinungstermin: Juni 2011 preis 1,00€

anschrift (Leserbriefe erwünscht) Powision, c/o FSR PoWi, Beethovenstraße 15, 04105 Leipzig E-Mail: kontakt@powision.de www.powision.de

redaktion Alexander Mitterle, Dan Orbeck, Katharina Döring, Toni Kaatz-Dubberke, Norman Tannhäuser, Johannes Kiess, Claudia Hildenbrandt, Daniel Mützel, Thomas Heim, Konrad Köthke, Milan Matthiesen, Michael Fischer

in eigener sache: In der letzten Ausgabe kam es zu Fehlern im Satz. Dafür möchte sich die Redaktion bei den Lesern und den Autoren, insbesondere bei Tobias Roscher und Ulrich Brieler, entschuldigen.

layout Camille Le Lous camille.lelous@gmail.com

druck Zimo Druck und Kopie KG Zschochersche Straße 85 04229 Leipzig Verantwortlich für den Inhalt sind die jeweilig aufgeführten AutorInnen der Beiträge. Die Entscheidung hinsichtlich der Rechtschreibregeln unterliegt dem Ermessen der AutorInnen. Das nächste Magazin erscheint voraussichtlich im Wintersemester 2011/12. Dank gilt den Förderern dieser Ausgabe:


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Neue Räume für Politik

1€


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