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Cyrano

Catfish analog

Wie gut kann ein Musical über die älteste Catfish-Story der Welt sein? Auf keinen Fall besser als „Cyrano“.

LOVE INTEREST

Außer William Shakespeares „Romeo und Julia“ liefert auch die Geschichte von Cyrano de Bergerac, die der Franzose Edmond Rostand 1897 erdachte, einen Plot, der seitdem zu den am öftesten kopierten und mal gut und mal eher schlecht neu erzählten Liebesgeschichten der Welt gehört. Nun hat sich Regisseur Joe Wright (Abbitte, Stolz und Vorurteil, Anna Karenina) des Stoffs angenommen und genialerweise sogar ein Musical daraus gemacht.

Als absolute Glücksgriffe erweisen sich dabei Peter Dinklage (Game of Thrones, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri) und Haley Bennett (The Devil all the Time), die übrigens auch Wrights Ehefrau ist, in den Hauptrollen von Cyrano de Bergerac und seiner angebeteten Roxanne.

ES IST SIMPEL UND KOMPLIZIERT Die Story ist so simpel wie dramatisch kompliziert zugleich: Ein Typ, der von sich selber meint, er wäre nicht sehr liebenswert und nicht sehr attraktiv, verliebt sich in eine Frau, und sie beginnen zu chatten, ohne dass er ihr sagt, wer er ist. Der Chat wird immer heißer (Stichwort: Zustelldauer in Zeiten von Postkutschen), und auch sie verliebt sich allein wegen seiner Worte und Gedanken in ihn. Der Catfish heißt Cyrano de Bergerac, ist Offizier im Frankreich Ende des 17. Jahrhunderts und seiner Zeit weit voraus. Seine intellektuellen Begabungen sind die absolute Ausnahme in dieser finsteren Epoche und ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. Ob als Schriftsteller oder Kämpfer mit dem Degen: Cyrano weiß, wie er überzeugen kann. Doch er leidet unter seinem Erscheinungsbild, das nicht der gefälligen Durchschnittsnorm entspricht, was ihn die Leute gerne spüren lassen. In der Original-Geschichte war es Cyranos

große Nase, die andere gestört hat, nun ist es seine kleine Statur. Dinklage und Wright übersetzen aber nicht nur derart „Beautystandards“ zeitgenössisch in diesen Film.

Auch die Tatsache, dass Roxanne „als Frau“ mit ihrer Intelligenz, ihrer Stärke, ihrer Wortgewandtheit und Brillanz einem Mann wie Cyrano in nichts nachsteht, spielt der Film ganz selbstverständlich aus. So wird schmerzhaft deutlich, wie physisch, aber auch intellektuell eingeschränkt sich Frauen damals nur bewegen durften – und wie viel sich davon bis heute nicht genügend geändert hat.

CHAT VS. REALITY Cyrano und Roxanne pflegen eine Freundschaft, aber er spürt immer deutlicher, wie unsterblich er in sie verliebt ist. Doch niemals würde er sich trauen, sich so einer schönen Frau zu offenbaren. Tag für Tag quält er sich mit seinen romantischen Gedanken und den Vorstellungen einer gemeinsamen Zukunft, die unerreichbar bleibt. Als sie ihm gesteht, sich in den jungen Kadetten Christian (Kelvin Harrison Jr., L.A. Love Songs – Der Sound meines Lebens) verliebt zu haben, beschließt Cyrano, Roxanne zu helfen. Er beginnt, Liebesbriefe in dessen Namen an Roxanne zu schreiben. Roxanne verfällt den Worten, Gefühlen und Gedanken dieser Briefe immer mehr, doch bei jedem physischen Treffen mit Christian ist sie zwar von seiner Optik beeindruckt, aber nicht gerade angetörnt von den Gesprächen mit ihm.

Die intensivsten Liebesgeschichten gehen selten gut aus – und Joe Wright weiß die Zeit mit der spektakulären Inszenierung von klingenden Schwertkämpfen und fantastischen Kamerafahrten zu nutzen. Für die hervorragenden Songs wurden Bryce und Aaron Dessner von „The National“ engagiert (die Lyrics stammen von Matt Berninger und Carin Bessner).

Sängerisch kann Dinklage der großartigen Bennett nicht in jeder Tonlage das Wasser reichen, aber in solch außerordenlicher Höchstform wie hier war er schauspielerisch noch nie. (Ja, Gerard Depardieu war 1990 als Cyrano im Film von Jean-Paul Rappeneau auch sehr gut, aber Dinklage ist besser.)

Gerade in Zeiten von Ghostwriting, Catfishing und rein virtuellen Beziehungen bleibt Cyrano also erstaunlich aktuell. Aber auch, was

die Facetten von menschlicher Liebe angeht, trifft der Film mitten in den Schmerz. Wer sagt denn, dass Cyranos Liebe die bessere, tiefere oder ehrlichere sei? Christian hat schließlich auch Gefühle! Es ist die Ambiguität aus Rostands OriginalWerk, die Wright hier ohne Verluste zeitgemäß übertragen kann. Das Beste zum Schluss: Dieser Film macht nicht den Fehler, Liebe mit Glücklichsein gleichzusetzen. Like, wer‘s kennt. www.facebook.com/CyranoMovie

CYRANO KINOSTART 03.03., UK/ USA/CAN 2021, REGIE Joe Wright, MIT Peter Dinklage, Haley Bennett, Kelvin Harrison Jr., Ben Mendelsohn, FILMLÄNGE 124 Min., © UPI

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