Praxisnahe Fortbildung für Pflegekräfte in der Altenpflege und ambulanten Intensivpflege
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In dieser Ausgabe:
Freiheitsentziehende Maßnahmen Pflege nicht sichergestellt Tracheostomapflege
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Lernen und fortbilden, wann und wo Sie wollen Das neue Fachmagazin Altenpflege Akademie bietet examinierten Pflegekräften und Pflegehelfern in der Altenhilfe und ambulanten Intensivpflege viermal jährlich spannende und hochwertig aufbereitete pflegefachliche Themen. Und Sie bestimmen, wann und was Sie lernen. In Ihrem eigenen Tempo. Zu Themen, die Sie interessieren. Zusätzlich können Sie zu jedem Artikel einen E-LearningTest machen. Bei Bestehen erhalten Sie für jeden bestandenen Test ein anerkanntes Zertifikat als Nachweis über eine Stunde Fortbildung und einen Fortbildungspunkt.
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Katharina Schwarz, Chefredakteurin, Examinierte Krankenschwester und Diplom-Journalistin
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Durch unsere Icons für „Examinierte Pflegekräfte“ und „Pflegehelfer“ erkennen Sie bei jedem Artikel auf den ersten Blick, an wen sich der Inhalt richtet. Die Unterscheidung beruht auf den unterschiedlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Pflegealltag. Doch natürlich können alle Berufsgruppen aus unseren Artikeln etwas mitnehmen. Wir freuen uns daher, wenn Sie auch die nicht auf Sie und Ihren Berufsalltag zugeschnittenen Texte lesen und dazu die entsprechenden Tests machen.
IMPRESSUM
Altenpflege Akademie Praxisnahe Fortbildung für Pflegekräfte in der Altenhilfe und Intensivpflege www.altenpflege-akademie.de
Impressum Eigentümerin und Copyright © 2015/2016 dck media GmbH Chefredakteurin: Katharina Schwarz, Bremen Redaktion: Sasika Wnuck, Oberhausen, Anne Muhle, Caritas Münster, Sabine Pontkees, Seniorenzentrum St. Elisabeth-Haus, Xanten, Birger Schlürmann, Köln Mitarbeiter in dieser Ausgabe: Jutta Althoff, Königswinter; Heike Bohnes, Aachen; Sven Czok, Halle; Horst Küpper, Langerwehe; Patricia Lorenz, Weinböhla; Anne Muhle, Münster; Danica Peters, Hamm; Dr. Stephanie Pfeuffer, Darmstadt; Annett Urban, Norderstedt; Saskia Wnuck, Gelsenkirchen; Herausgeber: Dominik Muhle Akkreditiert durch die Registrierung beruflich Pflegender Verlag dck media GmbH Königsstraße 32–33 48143 Münster Geschäftsführer: Klaartje Droste und Dominik Muhle Kontakt Telefon: +49 (0) 251 / 32 35 06 90 Telefax: +49 (0) 251 / 32 35 06 99 E-Mail: info@altenpflege-akademie.de Internet: www.altenpflege-akademie.de ISSN 2365-5011 Amtsgericht Münster, HR-Nummer HRB 15209 Umsatzsteuer-ID gemäß § 27a UStG: DE297710806 Inhaltlich Verantwortlicher § 55 Abs. 2 RSTV: Programmleitung und Redaktion: Dominik Muhle Satz: Holger Hellendahl Druck: Druckhaus Köthen, Köthen (Anhalt) Verkauf: Kontakt für Pflegeeinrichtungen: muhle@dck-media.de Kontakt für Privatpersonen: info@altenpflege-akademie.de Jahresbezugspreis für Privatpersonen: 99,80 Euro inkl. MwSt. zzgl. einmalig 2,95 Euro Versandkosten Altenpflege Akademie erscheint viermal jährlich. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Altenpflege Akademie ist ein urheberrechtlich geschütztes Werk der dck media Gmbh. Nachdruck, Übersetzung, Entnahme von Abbildungen, Wiedergabe auf sonstigen Wegen, Speicherung auf elektronischen und anderen Datenträgern sowie die Bereitstellung der Inhalte im Internet oder anderen Kommunikationsdiensten sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags möglich. Das gilt auch bei auszugsweiser Verwendung. Haftungsausschluss Pflegerisches Wissen verändert sich ständig. Wenn neue Daten verfügbar sind, können sich Behandlung, Verfahren, Materialien, Geräte sowie Dosierung und Applikation der erforderlichen Medikamente ändern. Unsere Redakteure, Autoren, Übersetzer und Verleger recherchieren mit größter Sorgfalt, um sicherzustellen, dass die Informationen in diesem Magazin korrekt sind. Alle Angaben in den Artikeln dieser Ausgabe wurden genauestens mehrfach durch Experten geprüft. Die Angaben zu Vorgehensweisen, Dosierungsanweisungen und Applikationsformen wurden genauestens recherchiert und sollen dem aktuellen Wissensstand in Pflege und Medizin entsprechen. Allerdings wird dem Leser stark angeraten zu prüfen, ob die Informationen den neuesten Vorschriften, Behandlungsrichtlinien sowie Dosierungs- und Applikationsanleitungen der Hersteller entsprechen. Für die Angaben in diesem Magazin kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Bildquellen Inhalt: © Halfpoint – fotolia.com; © akaMedica GmbH; © DragonImages – fotolia.com
Das Pflegedilemma
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Pflege und Medizin
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Pflege nicht sichergestellt – Patient verwahrlost
Die Pflege von Menschen mit Morbus Parkinson
Es kommt immer wieder vor, dass Pflegende in häusliche Situationen geraten, in denen die Pflege nicht sichergestellt ist, weil z. B. Angehörige nicht die notwendigen Hilfestellungen geben, obwohl sie das Pflegegeld kassieren, oder der Pflegebedürftige körperlich verwahrlost und/oder die Wohnung vermüllt ist. Dann muss eine Pflegekraft wissen, wie sie vorgehen kann, um den Pflegekunden zu schützen, und wie sie sich selbst absichern kann, damit keine unterlassene Hilfestellung oder gefährliche Pflege nachgesagt wird.
Einer von 1.000 Menschen in Deutschland erkrankt an Morbus Parkinson. Zusätzlich zu den Kardinalsymptomen Tremor, Rigor, Brady-, Hypo- und Akinese sowie posturale Instabilität treten vegetative Störungen auf. Behandelt wird der M. Parkinson medikamentös. Doch auch eine aktivierende Therapie und Pflege sind sehr wichtig. Daher sollten Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie und Pflege zur Unterstützung des Patienten/Bewohners unbedingt Hand in Hand arbeiten.
Annett Urban
Danica Peters
Weitere Themen in dieser Ausgabe Fallbesprechung
Pflegewissenschaften
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28 Neue Herausforderung für die Pflege – COPD
Therapie und Pflege der Pneumonie Patrizia Lorenz
Dr. Stephanie Pfeuffer
Pflege und Medizin
Palliativpflege
22 Depressionen bei älteren Menschen
36 Mundtrockenheit am Lebensende
Anne Muhle
Horst Küpper
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ALTENPFLEGE AKADEMIE
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INHALT
Expertenstandards
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Intensivpflege
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Recht
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Dekubitusprophylaxe in 6 einfachen Schritten
Die Grundlagen der Tracheostomapflege im Pflegealltag
Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege
Die wichtigste Ursache eines Dekubitus ist die Immobilität. Hoher Druck kann zur Schädigung des Gewebes führen, auch wenn er nur eine kurze Zeit auf das Gewebe einwirkt. Auch wenn die Entstehung eines Dekubitus nicht in jedem Fall vermeidbar ist, gibt es wirkungsvolle Strategien, dem entgegenzuwirken. Für die erfolgreiche Umsetzung des Expertenstandards braucht es kompetente und aufmerksame Pflegefachkräfte, die kontinuierliche Maßnahmen planen und sicherstellen.
Aktuelle Fortschritte in der intensivmedizinischen Behandlung sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor führen dazu, dass die Versorgung von Patienten mit einem Tracheostoma keine Seltenheit mehr ist. Darum ist es nicht mehr nur für Intensivpflegekräfte von Bedeutung, sich mit der Pflege eines Tracheostomas auszukennen. Auch Pflegekräfte in ambulanten Pflegediensten und Pflegeheimen sollten wissen, wie mit einem Tracheostoma umzugehen und was bei dessen Pflege zu beachten ist.
Gefährdet ein Bewohner sich selbst oder andere, werden oft freiheitseinschränkende Maßnahmen (FEM), wie z. B. Fixierungen der Gliedmaßen, Feststellen des Rollstuhls, Hochstellen der Bettseitenteile, in Erwägung gezogen. FEM dürfen gesetzlich jedoch nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Sind sie nicht vermeidbar, müssen sie vom zuständigen Betreuungsgericht genehmigt werden. Pflegekräfte müssen daher beachten, dass sie sich durch ungerechtfertigte FEM nicht strafbar machen.
Jutta Althoff
Saskia Wnuck
Heike Bohnes
Testfragen Pflichtfortbildungem
64 Wichtig! Arbeitsschutz für Pflegekräfte Sven Czok
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Die Prüfungsfragen zu jedem einzelnen Artikel finden Sie am Ende dieser Ausgabe und natürlich im Internet unter www.altenpflege-akademie.de – hier erhalten Sie als Abonnent für jeden bestandenen Test einen Fortbildungspunkt sowie ein persönliches Zertifikat.
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FALLBESPRECHUNG
Therapie und Pflege der Pneumonie Der Begriff „Pneumonie“ leitet sich von den griechischen Wörtern „pneumon = Lunge, von Lufthauch, Wehen“ und „itis = Entzündung“ ab und bezeichnet eine Entzündung der Lunge. In Deutschland erkranken jährlich etwa 800.000 Menschen daran.(1) Da eine Pneumonie nicht immer typisch verläuft, wird sie oft erst später diagnostiziert. Besonders anfällig sind Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, bestehenden Vorerkrankungen sowie ältere Menschen und Kinder. Sehr häufig tritt eine Pneumonie in intensivmedizinischen Bereichen auf. Tritt sie erstmals im Krankenhaus auf, spricht man von einer nosokomial erworbenen Pneumonie. Die Pneumonieprophylaxe ist in der Pflege deshalb von sehr großer Bedeutung. Einerseits ist sie ein Instrument, um das Risiko an einer Pneumonie zu erkranken, einzuschätzen. Zum anderen beinhaltet sie alle Maßnahmen zur Vorbeugung oder Behandlung einer Pneumonie. Eine frühzeitige Diagnosestellung und somit eine schnelle Therapie können den Verlauf begünstigen und schwere Komplikationen vermeiden. Eine intensive und regelmäßige Krankenbeobachtung durch die Pflegekräfte sowie eine gute Zusammenarbeit mit Ärzten sind ebenso Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung. Autorin: Patrizia Lorenz, examinierte Krankenschwester und Fachgesundheits- und Krankenpflegerin für Onkologie
Ursachen der Pneumonie
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Nach dem Lesen dieses Artikels – Können Sie wichtige Symptome einer Pneumonie erkennen und beschreiben – Kennen Sie Ursachen und Verlaufsformen einer Pneumonie – Wissen Sie, welche Komplikationen bei einer Pneumonie auftreten können – Wissen Sie, welche Therapiemöglichkeiten es zur Behandlung einer Pneumonie gibt – Kennen Sie pflegerische Maßnahmen zur Prophylaxe einer Pneumonie E H EL
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Pneumonie, Lungenentzündung, Symptome, primäre und sekundäre Pneumonie, Bronchopulmonal, alveoläre Pneumonie, Pneumonieprophylaxe
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Am häufigsten wird die Pneumonie über die Atemwege oder durch Tröpfcheninfektion übertragen, seltener über den Blutstrom. Sie kann aber auch durch Aspiration von Mikroben aus dem Rachen oder Magen hervorgerufen werden.(6) Normalerweise verhindern Abwehrmechanismen das Eindringen von Bakterien in die Alveolen. Ist das Abwehrsystem des Betroffenen geschwächt, z. B. durch eine Krebserkrankung, kann dies eine Pneumonie begünstigen.
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Eine Pneumonie wird durch verschiedene Krankheitserreger hervorgerufen. Dazu gehören Bakterien und Viren, aber auch – seltener – Pilze oder Parasiten. 90 % aller Lungenentzündungen sind bakteriell bedingt. Eine Pneumonie kann auch durch Strahlenbelastung verursacht werden.(2)
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Die verschiedenen Typen der Pneumonie Eine Pneumonie kann nach verschiedenen Kriterien eingeteilt werden. Nach Art der Ursache Tritt eine Pneumonie bei einem gesunden Menschen, ohne eine Vorerkrankung der Lunge oder des Herzens, auf, wird von einer primären Pneumonie gesprochen. Haupterreger dabei sind Bakterien und Viren. Hat der Betroffene hingegen bereits eine Vorerkrankung, z. B. eine Linksherzinsuffizienz oder COPD, spricht man von einer sekundären Pneumonie. Zu den Haupterregern zählen hier Herpesviren, anaerobe Bakterien und Pilze. Weitere Ursachen können z. B. die Aspiration oder eine pathologische Bronchus Veränderung sein. ALTENPFLEGE AKADEMIE
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Fallbericht Frau M. (73 Jahre) lebt im Pflegeheim „Gartenröschen“. Frau M. läuft aufgrund einer Hüft-OP nach einem Sturz mithilfe eines Rollators. Wenn die Altenpflegeschüler etwas Zeit haben, gehen sie mit den Bewohnern manchmal hinaus in den Garten spazieren. Die Sonne scheint, aber es weht ein kalter Wind. Nach einer halben Stunde ist Frau M. froh, wieder drinnen zu sein. Seit diesem Tag fühlt sich Frau M. etwas geschwächt, die Nase läuft oft, sie hat leichte Kopf- und Halsschmerzen und ein wenig Husten. Die Altenpflegerin merkt sofort, dass etwas nicht stimmt. Sie kocht Frau M. eine Kanne Erkältungstee, reibt ihr den Rücken mit wohltuendem Aktivgel ein und informiert den zuständigen Arzt. Die Temperaturkontrolle ergibt einen Wert von 37,7 Grad. Am nächsten Morgen wacht Frau M. völlig durchgeschwitzt auf, ihr ist heiß und kalt zugleich. Sie ruft die diensthabende Altenpflegerin, welche sofort die Temperatur ermittelt: 39,1 Grad! Frau M. ist müde und schlapp. Sie hat beim Husten starke Schmerzen in der Brust, und das Atmen fällt ihr schwer. Die Pflegerin gibt ihr noch eine dünne Decke und stellt das Kopfteil hoch, damit sie besser Luft bekommt. Getränke werden ihr regelmäßig angeboten. Appetit hat Frau M. keinen. Der Hausarzt hat sich zum Glück für heute Morgen zur Visite angemeldet. Als der Arzt eintrifft, geht er sofort zu
Nach Art der Entstehung
Frau M. Er befragt sie zuerst bezüglich ihrer Beschwerden und untersucht sie dann genau. Um sicherzugehen, weist er Frau M. zur weiteren Untersuchung in das nahe gelegene Krankenhaus ein. Frau M. wird Blut abgenommen und die Lunge geröntgt. Außerdem wird eine Speichelprobe von ihr genommen. Kurz darauf bestätigt sich die Diagnose des Hausarztes. Frau M. hat eine Lungenentzündung. Zur weiteren Therapie muss sie deshalb vorerst im Krankenhaus bleiben. Ab sofort bekommt Frau M. mehrmals täglich Infusionen. Zum einen das Antibiotikum für die Lungenentzündung und zum anderen Flüssigkeit, da Frau M. in den letzten Tagen nur sehr wenig gegessen und getrunken hat. Bei Schmerzen geben ihr die Schwestern eine Tablette. Es werden weiterhin regelmäßig die Temperatur und der Blutdruck gemessen. Die Physiotherapeuten bringen ihr ein kleines Inhaliergerät. Sie machen außerdem mit Frau M. kleinere Übungen zur Mobilisation am Bett. Frau M. bekommt Hilfe bei der Körperpflege. Frau M. geht es zunehmend besser. Mithilfe des Pflegepersonals kann sie regelmäßig kürzere Wege zu Fuß gehen. Das Fieber ist abgeklungen, und die Schmerzen gehen zurück. Nach insgesamt 10 Tagen Krankenhausaufenthalt geht es Frau M. schon wieder so gut, dass sie zurück in das Pflegeheim gebracht werden kann. Ihre Mitbewohnerin freut sich sehr darüber, und Frau M. kann endlich wieder die schönen Gartenrosen betrachten.
Tritt eine Pneumonie während eines Krankenhausaufenthaltes bzw. direkt danach auf. ohne dass es Anzeichen für eine bestehende Infektion bei Aufnahme gab, spricht man von einer nosokomial erworbenen Pneumonie. Sie ist die häufigste im Krankenhaus erworbene Infektion der Intensivmedizin.
Pneumonie
RISIKOGRUPPEN: PNEUMONIE
Ambulant erworben
Nosokomial erworben
Immungeschwächt erworben
Von einer ambulant erworbenen Pneumonie spricht man, wenn ein Mensch in seiner natürlichen Umgebung, also nicht im Krankenhaus erkrankt. ALTENPFLEGE AKADEMIE
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Die Gefahr, an einer Pneumonie zu erkranken, ist bei immungeschwächten Menschen sehr groß. So z. B. bei Menschen mit Organtransplantation, HIV, Chemotherapie und Leukämie. Des Weiteren zählen Kinder und ältere Menschen sowie Patienten mit Beatmung zu den Risikogruppen. Bestehende Grunderkrankungen wie COPD, Diabetes mellitus, Alkoholismus oder auch Allergien können Pneumonien begünstigen. Die Gefahr, an einer Lungenentzündung zu erkranken, steigt ebenfalls bei Patienten mit Lungentumoren, bestehender Linksherzinsuffizienz und Embolien.
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FALLBESPRECHUNG
Nach Art der Verlaufsform Eine Pneumonie kann typisch oder atypisch verlaufen. Entscheidend dafür ist die bestehende Symptomatik. Im weiteren Verlauf des Artikels wird noch genauer darauf eingegangen. Nach dem Ort der Lokalisation • Bronchopulmonal: betrifft die gesamte Lunge und die Bronchien • Alveolär: betrifft hauptsächlich die Alveolen (6) – Lobärpneumonie: Ein ganzer Lungenlappen ist betroffen. – Bronchopneumonie: Die Lungenbläschen an mehreren Stellen der Lunge sind betroffen.
Symptome Eine Pneumonie kann typisch oder atypisch verlaufen Typischer Verlauf
Atypischer Verlauf
Meist durch Bakterien hervorgerufen
Meist durch Viren hervorgerufen
Akutes plötzliches Auftreten
Schleichendes Auftretet
Schüttelfrost, Fieber bis 40 °C
Kaum Fieber, langsam steigend, nur unter 39 °C
Husten mit Auswurf (rostbraun bis gelbgrün)
Husten ohne bis klarer Auswurf
Schmerzen beim Husten in der Brust, evtl. Pleuraerguss
Keine Brustschmerzen, kein Pleuraerguss
Luftnot, Blaufärbung der Finger und Lippen
Keine Luftnot
Müdigkeit, reduzierter AZ
Kopf- und Gliederschmerzen Fehldiagnose „Grippe“
Diagnostik bei Verdacht auf Pneumonie Zur Feststellung einer Pneumonie wird eine Reihe an Untersuchungsmöglichkeiten, oft auch in Kombination, genutzt. Zu Beginn der Untersuchung erfolgt die Anamnese durch den Arzt. So können Informationen über den Allgemeinzustand des Patienten, bestehende Grunderkrankungen und aktuelle Beschwerden ermittelt werden. Er nutzt außerdem die Auskultation (Abhören) und Perkussion (Abklopfen) zur Diagnostik. Veränderte Atemgeräusche können auf eine Pneumonie hinweisen. Da eine Lungenentzündung nicht immer einfach von einer starken Erkältung unterschieden werden kann, werden zur Diagnosesicherung weiter Untersuchungen genutzt. • Blutabnahme: Nachweis einer Entzündung im Körper durch Entzündungsparameter, z. B. ein erhöhtes CRP 6
(Abk. für C-reaktives Protein), erhöhte Leukozyten bei bakterieller Infektion, verminderte Leukozyten bei viraler Infektion, erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit • Röntgen Thorax: Bei bakterieller Pneumonie erkennt man auf dem Röntgenbild meist Verdichtungen oder begrenzte Infiltrate. • Mikrobiologie: Nachweis von Erregern, z. B. Bakterien, Viren, Pilzen im Sputum, Bronchialsekret oder Blut Bei unklaren Befunden oder Komplikationen können noch weitere Untersuchungen zur Bestimmung des Ausmaßes der Erkrankung genutzt werden. • Sonografie: Nachweis eines Pleuraergusses, evtl. Pleurapunktion zum Erregernachweis • Bronchoskopie: Sichtbarmachung möglicher Fremdkörper oder Tumore in den Atemwegen, mit Biopsie zum Erregernachweis • Computertomografie: genaue Lage und Ausdehnung der Entzündung ersichtlich
Therapie einer Pneumonie Je nach Verlauf der Pneumonie wird über das Maß der Therapie entschieden. Ist der Betroffene in einem allgemein guten Zustand und seine häusliche Versorgung, z. B. in einem Pflegeheim, gesichert, ist eine ambulante Behandlung möglich. Voraussetzung dafür ist eine gute Aufklärung des Patienten über • die Erkrankung, • deren Verlauf und • mögliche Komplikationen. Treten neue Beschwerden auf oder verschlechtert sich der Zustand, ist eine erneute Vorstellung beim Arzt dringend notwendig. Bei bestimmten Risikofaktoren wie z. B. einem Alter ab 65 Jahren, bestehenden Begleiterkrankungen oder eben einer schweren Verlaufsform, muss eine klinische Behandlung und Überwachung gewährleistet sein, um eine erfolgreiche Therapie zu sichern und weitere Komplikationen zu vermeiden. Patienten mit einer Pneumonie erhalten in der Regel eine Antibiotikatherapie. Je nach bestehender Symptomatik oder Erregernachweis wird das passende Medikament vom Arzt verordnet. Liegt das Ergebnis der Mikrobiologie noch nicht vor, wählt der Arzt ein Präparat aus, welches das passende Keimspektrum beinhaltet. Tritt nach wenigen Tagen keine Verbesserung des Zustandes auf, wird die Dosis oder das Präparat geändert. Häufig bestehen Antibiotika-Resistenzen, was die Wahl des passenden Mittels einschränkt. Eine andere spezielle medikamentöse Therapie ist dann ALTENPFLEGE AKADEMIE
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nötig, wenn Viren oder Pilze als Erreger diagnostiziert wurden. Des Weiteren erfolgt eine symptomatische Behandlung. Hat der Patient Fieber, sollte dieses gesenkt und regelmäßig kontrolliert werden. Besonders wichtig ist nun die körperliche Schonung. Jegliche Belastung oder Stress sollte vermieden werden. Dabei muss auch auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Ist dies nicht selbstständig oder nur unzureichend möglich, muss die Einfuhr durch das Pflegepersonal unterstützt, gesichert und auch dokumentiert werden. Ausnahmen stellen möglicherweise Patienten mit bestehender Herz- oder Nierenerkrankung dar. Dort kann eine zu hohe Flüssigkeitszufuhr kontraindiziert sein. Die Patienten erhalten regelmäßig eine Inhalations- und Atemtherapie unter Anleitung der Physiotherapie und des Pflegepersonals bzw. auch selbstständig zu Hause. Klagt der Betroffene über Luftnot, ist eine Sauerstoffgabe über die Nasensonde oder Maske indiziert. Bei Bedarf kann der Arzt schleimlösende und hustenstillende Medikamente verabreichen. Lässt sich der Schleim nur schwer abhusten, kann das Absaugen Erleichterung schaffen.
Organen. Dort können dann ebenfalls Entzündungen auftreten. Eine intensive Behandlung und gegebenenfalls eine Beatmung sind auch hier lebensnotwendig. • Die Gefahr einer chronischen Pneumonie liegt in der Bildung sogenannter Bronchiektasien. Es kommt zu einer Aussackung der Bronchien, welche weitere Entzündungen oder auch Lungenblutungen hervorrufen können. Durch die Vernarbung des Lungengewebes wird die Dehnbarkeit der Lunge eingeschränkt, was sich wiederum auf die Atmung auswirken kann. Bei einer besonders schweren Pneumonie liegen die Patienten oft lange im Bett. Das Risiko, an einer Thrombose zu erkranken, ist deutlich erhöht. Dabei kommt es zum Verschluss einer Vene durch ein Blutgerinnsel. Löst sich dieses und wird weiter über den Blutfluss in die Lunge transportiert, kann es dort zu einer Embolie kommen.
Unterstützend gibt es noch verschiedene alternative Maßnahmen, wie z. B. die orale Aufnahme von Fenchel, Thymian oder Eukalyptus. Deren ätherische Öle werden über die Bronchien ausgeschieden. Es wurde eine sekretionssteigernde Wirkung nachgewiesen. Genutzt werden diese aber eher in der Häuslichkeit. Während des Krankenhausaufenthaltes ist eine gute Krankenbeobachtung sehr wichtig. So können frühzeitig Probleme wie z. B. hohes Fieber oder Luftnot erkannt, Komplikationen vermieden und weitere Maßnahmen eingeleitet werden.
Komplikationen einer Pneumonie Von den etwa 800.000 Menschen, die allein in Deutschland an einer Pneumonie erkranken, sterben ca. 20.000 Menschen. Im Jahre 2011 waren es 18.014 Menschen.(3) Die Komplikationen können sowohl die Lunge selbst, aber auch andere Organe betreffen. • Die respiratorische Insuffizienz ist die schwerwiegendste Komplikation einer Lungenentzündung. Der Patient ist dabei nicht mehr in der Lage, selbstständig zu atmen, es liegt ein Sauerstoffmangel vor. Eine intensivmedizinische Behandlung ist deshalb nötig. • Eine weitere Komplikation ist die Sepsis. Dabei verteilen sich die Erreger über den Blutkreislauf bis hin zu anderen ALTENPFLEGE AKADEMIE
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FALLBESPRECHUNG
Eine Pneumonie kann außerdem eine Meningitis oder einen Hirnabszess hervorrufen. Ebenso können Entzündungen an Organen wie dem Herzen, an Knochen oder Gelenken entstehen.
Die Pneumonieprophylaxe In der Pflege wird regelmäßig die Pneumonieprophylaxe angewendet. Sie dient zum einen dazu, bei Patienten das
Risiko, an einer Pneumonie zu erkranken, zu ermitteln. Dafür werden verschiedene Einschätzungsskalen verwendet. Am häufigsten verwendet wird die Atemskala nach Bienstein. (7) Zur Pneumonieprophylaxe gehört außerdem, alle geeigneten Maßnahmen zur Vorbeugung einer Pneumonie zu bestimmen und durchzuführen.(4)
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ALTENPFLEGE AKADEMIE
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• Frühe Mobilisation nach Arztanordnung, die Zilienbeweglichkeit und somit bessere Belüftung der Lunge wird gefördert. • Durchführung der atemfördernden/-stimulierenden Einreibung (ASE) nach C. Bienstein. Hierbei wird der Rücken, möglichst auch der Brustkorb, durch rhythmische Bewegungen massiert. Dabei wird je nach Indikation ein leichter (zur Beruhigung) bis festerer (z. B. in der Intensivpflege) Händedruck ausgeübt und der Patient zum Ein- bzw. Ausatmen angeleitet.(5) • Anwendung der dosierten Lippenbremse zur Lösung von Sekret, Belüftung tiefer Lungenareale und Stärkung der Atemmuskulatur. Die Lippen werden dabei schmal aufeinandergelegt, die Oberlippe etwas nach vorn gestülpt sowie die Unterlippe etwas eingezogen. Es bleibt nun ein kleiner Spalt, durch den die Luft mit einem lang gezogenen „fffff “ ausgeatmet werden kann. • Atemfördernde Lagerung des Patienten, bewusste Wahrnehmung und Gasaustausch verbessern – Oberkörperhochlagerung (Entlastung des Zwerchfells) – Hochlagern der oberen Extremitäten (Unterstützung der Atemhilfsmuskulatur) – Verschiedene Dehnlagerung (bessere Belüftung, aber nicht bei Patienten mit Wirbelsäulenverletzungen) – VATI-Dehnlagerung
Abbildung 1 VATI-Lagerung (Förderung des Gasaustausches, Vergrößerung der Atemfläche, Förderung der Wahrnehmung, Belüftung der Lunge)
• Unterstützung des Abtransportes von Sekret aus dem Bronchialsystem – Luftbefeuchtung – Unterstützung bei Abhusten – Ausreichend Flüssigkeitszufuhr – Inhalationen, z. B. mit Kochsalz oder Sole – Medikamente und Zusätze nach Anordnung – Brustwickel oder -auflagen • Beachtung der Händehygiene • Hygienemaßnahmen bei eigener Erkrankung, z. B. Tragen von Mundschutz bei Erkältung • Gute Mundpflege • Schmerzanamnese und Beobachtung, z. B. bei Schonhaltung • Aspirationsprophylaxe (z. B. Hochlagerung 30–45 °C bei Sondenernährung, Getränke andicken, Temperatur der Speisen beachten) ALTENPFLEGE AKADEMIE
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DIE ATEMFÖRDERNDE/-STIMULIERENDE EINREIBUNG NACH CHRISTEL BIENSTEIN (5)
• von Nacken Richtung Steiß • rot ausatmen, mit Druckausübung, blau einatmen ohne Druckausübung • Patient sitzt bequem oder 135-Grad-Lagerung im Bett • Ohne Handschuhe, keine Uhr, kein Schmuck • Verwendung einer W/O-Lotion, z. B. Nivea Milk • Bedarf einer regelmäßigen Übung und genauer Durchführung • Ziel: gleichmäßige, ruhige Atmung, Körperwahrnehmung, gute Belüftung, Angstzustände beseitigen, Vertrauen zw. Patient und Pflegendem
Literatur: 1 Georg Thieme Verlag, Stuttgart, I care Pflege , 2015 (BMBF 2013) 2 Thiemes Pflege, 10 Auflage S. 532 ff, 2004 3 Statistisches Bundesamt 2013 ,Georg Thieme Verlag Stuttgart. I care Pflege 2015 4 „Prophylaxen in der Pflege, Ulrich Kamphausen, Kohlhammer Verlag, 5. aktualisierte Auflage (2009) 5 „Basale Stimulation in der Pflege – Die Grundlagen“ von Christel Bienstein und Andreas Fröhlich, 2003 6 www.lungenaerzte-im-netz.de 05/2015 7 http://www.pflegeschulen-hl.de/wp-content/uploads/2014/08/atemerfassungs-skala_nach_bienstein.pdf
Bildquelle: © vbaleha - Fotolia.com; akaMedica GmbH
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DAS PFLEGEDILEMMA
Pflege nicht sichergestellt – Patient verwahrlost In der ambulanten Pflege kommt es immer wieder vor, dass Pflegende in häusliche Situationen geraten, in denen die Pflege nicht sichergestellt ist, weil z. B. Angehörige nicht die notwendigen Hilfestellungen geben, obwohl sie das Pflegegeld kassieren, oder der Pflegebedürftige körperlich verwahrlost und/oder die Wohnung vermüllt ist. Dann muss eine Pflegekraft wissen, wie sie vorgehen kann, um den Pflegekunden zu schützen, und wie sie sich selbst absichern kann, damit keine unterlassene Hilfestellung oder gefährliche Pflege nachgesagt wird. Leider gibt es hierbei keine Patentrezepte. Die Pflegesituation muss immer individuell beurteilt und auf dieser Grundlage Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden. Dies stellt Pflegende vor eine große Herausforderung, da sie individuell, nach sorgfältiger Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte, entscheiden müssen. Denn keine Pflegekraft hat das Recht, ihre pflegebedürftigen Kunden zu erziehen oder zu bessern. Es steht jedem Menschen frei, sein Leben so zu gestalten, wie er will, und nach seiner eigenen Lebensauffassung zu leben. Nur bei erheblicher Eigengefährdung und bei Fremdgefährdung besteht die Möglichkeit einzugreifen. Autorin: Annett Urban, Chefredakteurin von „pdl.konkret ambulant“ beim Fachverlag PPM ProPflegemanagement in Bonn.
Pflegende in der ambulanten Pflege sollten immer dann eingreifen, wenn die Bedingungen der Pflegesituation dazu führen, dass • der Kunde sich selbst gefährdet, • andere gefährdet oder • ihm durch das Handeln seiner pflegenden Angehörigen Schäden entstehen können und er sich nicht gegen dagegen wehren kann.
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Nachdem Sie den Artikel gelesen haben, wissen Sie: – Wie Sie vorgehen können, wenn pflegende Angehörige die Pflege nicht sicherstellen, obwohl sie Pflegegeld erhalten. – Was zu tun ist, wenn ein Pflegekunde notwendige Körperpflege ablehnt. – Welche Institutionen Sie einschalten sollten, wenn ein Patient in seiner Wohnung verwahrlost. E H EL
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Hinweis: Solange der Pflegekunde geschäftsfähig ist, muss die Pflegekraft oder der Pflegedienst nicht eingreifen, es
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Pflege nicht sichergestellt, Verwahrlosung, Selbstgefährdung, Fremdgefährdung, Grundgesetz
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besteht keine Rechtspflicht. Wenn allerdings die Pflegekraft im Einsatz gefährdet ist, muss der Arbeitgeber diese schützen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Fallbericht Die Pflegekraft stellt fest, dass der Pflegekunde Herr H. sich nur unregelmäßig wäscht, die Haare schon seit Wochen nicht mehr gewaschen wurden und die Kleidung selten gewechselt wird. Der Pflegekunde sieht sehr ungepflegt aus. Die Pflegekraft spricht Herrn H. behutsam auf die Grundpflege an. Sie bietet ihm Hilfe beim wöchentlichen Vollbad an, erläutert den Preis des Einsatzes und legt nach Rücksprache mit der Einsatzleitung schon einen festen Badetermin fest. Während des Badetermins macht sie Herrn H. darauf aufmerksam, dass die Fußnägel geschnitten werden müssten. Herr H. stimmt zu, und die Pflegekraft schaltet den Fußpfleger ein. Nach und nach gewöhnt sich Herr H. an die Hilfe des Pflegedienstes.
Wenn ein Pflegekunde länger keine ausreichende Grundpflege mehr durchführt, die Finger- und Fußnägel sehr lang oder die Haare ungepflegt sind, ist die Pflegekraft gefordert. Es kann gut sein, dass der Pflegekunde Hilfe bei der Körperpflege annimmt. Dies ist häufig dann der ALTENPFLEGE AKADEMIE
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Gefährdungsart
Beispiele
Pflegekunde gefährdet sich selbst
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Pflegekunde gefährdet andere
• Überforderung bei den pflegenden Angehörigen durch fordernde und zeitaufwendige Pflegesituationen • Gefährdungen durch kognitive Einschränkungen des Patienten, z. B. Herd anlassen, zündeln • Geruchsbelästigung und mangelnde Hygiene durch Vermüllung und Verwahrlosung des Patienten
Pflegekunde ist durch Dritte gefährdet
• Unterlassene notwendige Pflege- und Hilfeleistung trotz Pflegegeld • Übergriffe durch im Haushalt lebende Personen
Notwendige Hilfeleistungen werden abgelehnt Patient ist verwahrlost Haushalt des Pflegekunden ist vermüllt und verdreckt Patient ist dement und hat Weglauftendenzen oder schaltet unbeaufsichtigt den Herd an Nimmt keine notwendigen Maßnahmen an, um eine Eigengefährdung wie z. B. Stürze zu vermeiden
Übersicht 1: Welche Gefährdungen es in der ambulanten Pflege gibt
Fall, wenn die Pflegekraft behutsam über situationsgerechte Entlastungs- oder Unterstützungsangebote wie z. B. wöchentliche Hilfe beim Vollbad, ambulante Fußpflege und Hauswirtschaftliche Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes informiert.
alle Informationen, die Beratungsinhalte, Lösungsvorschläge und Ablehnungen schriftlich festzuhalten.
Wenn ein Pflegekunde diese Hilfsangebote ablehnt, muss die Pflegekraft dies akzeptieren. Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, wie sauber ein Mensch sein muss. Zudem garantiert das Grundgesetz das Recht auf Selbstbestimmung und die freie Entfaltung der Persönlichkeit, d. h., jeder Mensch kann seinen eigenen Lebensstil frei wählen und seine eigenen Angewohnheiten pflegen.
Verwahrlosung und Vermüllung lassen sich an unterschiedlichen Stellen beobachten, z. B. am Zustand der Wohnung, des Hauses, dem Wohnumfeld oder am Pflegekunden selbst. Meist sind alle diese Dinge und oft auch die Person in einem desolaten Zustand. Eine Pflege des Haushalts ist häufig nicht zu erkennen, und oft ist der Haushalt des betroffenen Kunden mit Gerümpel, Gegenständen wie alten Zeitungen, vollgestellt. Hierbei werden oftmals kein Raum und keine Ecke ausgespart. Erst bei genauerem Hinsehen lassen sich verschiedene Formen der Unordnung unterscheiden.
GESETZLICHE REGELUNG – DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT
Fall 1: Vermüllung und Verwahrlosung – Individualität ist zu berücksichtigen
Das Selbstbestimmungsrecht wird durch den Artikel 2 Absatz 1 i. V. m. Art. 1 Absatz 1 des Grundgesetzes geschützt. Jedem Menschen wird darin das Recht auf die „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ garantiert, „soweit er die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
Dokumentation ist das A und O Pflegekräfte müssen ihr Hilfeangebot an den Patienten und dessen Ablehnung dokumentieren. Denn häufig machen Angehörige den Pflegedienst für solche Situationen verantwortlich. So können die Pflegekräfte klar nachweisen, dass sie Hilfeangebote gemacht haben, die nicht angenommen wurden. Am besten werden die akuten Feststellungen im Pflegebericht dokumentiert. Sollten sich dauerhafte Probleme ergeben, empfiehlt es sich, diese in der Informationssammlung zu erfassen. Denn so sind diese schnell einsehbar und gefunden, z. B. in einer MDK-Prüfung oder bei einer Verlegung ins Krankenhaus. Noch besser ist es aber, ein Beratungsprotokoll zu führen und dort gesammelt ALTENPFLEGE AKADEMIE
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DAS PFLEGEDILEMMA
Form der Unordnung
Erklärung
Geordnete Unordnung
Hier besteht trotz deutlich erkennbarer Verwahrlosung ein Ordnungssystem. Das ist erkennbar durch die Art und Weise, wie die Wohnung durch den pflegebedürftigen Menschen genutzt wird. Er weiß, wo sich welche Gegenstände befinden. Durch die Wohnung sind z. B. Gänge gelegt, die systematisch freigehalten werden, es gibt bestimmte Plätze, an denen eine bestimmte Art von Gegenstand gelagert wird.
Keine Ordnung
Hier werden die Gegenstände ohne Unterschied oder Klassifizierung angehäuft, die Räume gleichen einer Müllhalde, sie sind nicht mehr zweckbestimmt benutzbar. Man spricht hier von einer sogenannten „Vermüllung“. Diese kann so weit gehen, dass der Betroffene sehr häufig die Wohnung verlässt, um z. B. zu schlafen, sich zu waschen oder eine Toilette zu benutzen.
Unbewohnbarkeit
Hier ist die Vermüllung so weit fortgeschritten, dass die Wohnung nicht mehr bewohnt werden kann und die Wohnsubstanz gefährdet ist. Die hygienischen Verhältnisse sind untragbar geworden, und dieser Zustand gefährdet die Gesundheit des pflegebedürftigen Menschen und der Nachbarschaft, z. B. starker Ungezieferbefall, verschimmelte Lebensmittel, Geruchsbelästigung, Schimmelpilze in der Wohnung.
Übersicht 2: Formen von Unordnung (1)
Beim betroffenen Pflegekunden finden sich Anzeichen, wie z. B. Vernachlässigung der Bekleidung, ungepflegter Zustand der Haare, der Nägel, der Haut und Körpergeruch. Kleider werden in mehreren Schichten übereinandergetragen und kaum abgelegt oder gewechselt. Ein weiteres Merkmal ist, dass sich die betroffenen Kunden in die Isolation zurückziehen und Hilfe von außen meist vehement und kategorisch ablehnen. Ursachen von Verwahrlosung sind häufig psychiatrische Erkrankungen, wie z. B. Schizophrenie, Alkoholmissbrauch. Bei der Versorgung alter Menschen in der ambulanten Pflege kommen gerontopsychiatrische Erkrankungen, wie Morbus Alzheimer oder einer Demenz dazu. Oft ist es aber so, dass in der Biografie der betroffenen Pflegekunden Tendenzen der sozialen Absonderung, Selbstbezogenheit und des Argwohns zu finden sind. Bevor Pflegekräfte handeln können, muss abgeschätzt werden, ob eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt. Ist dies nicht gegeben, ist zwangsweises Eingreifen nicht möglich. In dem folgenden Formular werden Aspekte aufgegriffen, die darauf hindeuten können, dass eine Selbstoder Fremdgefährdung vorliegt. Verwahrloste Menschen brauchen Hilfe Bei allen geplanten Schritten müssen Pflegekräfte in der ambulanten Pflege beachten, dass verwahrloste oder von Verwahrlosung bedrohte Menschen Hilfe brauchen – häufig auch professionelle Hilfe. Diese Hilfe können Pflegedienste meist nicht selbst geben. Unterstützung findet sich z. B. bei: • sozialen Diensten der Städte und Gemeinden, • Betreuungsvereinen, • Hausärzten und • in Betreuungsfällen bei den zuständigen Amtsgerichten. Diese Stellen sollten bei der Bewältigung einer derartigen Pflegesituation immer hinzugezogen werden. Ist akute Ge12
fahr in Verzug, müssen die Pflegekräfte den Hausarzt und die weiteren Beteiligten unverzüglich verständigen. Ein weiteres Eingreifen muss dann von dort veranlasst werden. DETAILLIERTE DOKUMENTATION BEI VERWAHRLOSUNG
Wenn der Kunde kotverschmiert im eigenen Urin liegt und die notwendige Körperpflege und Inkontinenzversorgung ablehnt, sollten die Situation und die folgenden Handlungen, etwa die Aufklärung über die Gefahr einer Dekubitusentstehung, genau im Pflegebericht beschrieben werden. Ist der Haushalt des Kunden vermüllt und droht Ungezieferbefall, muss ebenso eine Beratung erfolgen. Alle Gespräche müssen mit Zeitpunkt und Inhalten dokumentiert werden. Hinweis: Lehnt der Kunde die notwendige Medikamenteneinnahme ab und liegt eine Verordnung über Häusliche Krankenpflege vor, müssen Hausarzt und Krankenkasse informiert werden, denn die Durchführung der ärztlichen Maßnahme ist in diesem Fall nicht mehr möglich.
Damit die Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes und der Pflegedienst selbst für solche Situationen nicht verantwortlich gemacht werden können, ist es unerlässlich, dass sie sich absichern. Sie sollten grundsätzlich genau beobachten, ob es sich bei der Verwahrlosung um einen Prozess oder einen stabilen Zustand handelt. Alle Gegebenheiten müssen detailliert dokumentiert werden: • Beschreibung der Situation • Risiken • Maßnahmen • Information an Dritte ALTENPFLEGE AKADEMIE
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Was zu prüfen ist
Beispiel
Ergebnis
Es liegt eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit des Betroffenen oder auch von Dritten, z. B. Nachbarn, vor. Hinweis: Allein das Stapeln von Zeitungen oder Krimskrams ist noch keine Gefährdung der Gesundheit. Ist dies verbunden mit starkem Ungezieferoder Schimmelbefall und Schmutz, ist eine Gefährdung schon wahrscheinlicher.
Die Wohnung des Pflegekunden ist vermüllt und verdreckt. In der Wohnung befindet sich insbesondere in Küche und Bad Ungeziefer.
Selbstgefährdung liegt vor: ja Fremdgefährdung liegt vor: ja
Feststellen, wer am meisten unter der Situation leidet und wer welche Erwartungen äußert.
Nachbarn leiden unter Gestank und haben Angst, dass das Ungeziefer in deren Wohnungen gelangt.
Befürchtungen der Nachbarn sind nachvollziehbar. Fremdgefährdung liegt vor: ja
Ermitteln, welche Lösungsversuche es bereits gab und wer nun welches Vorgehen vorschlägt.
Der Allgemeine Soziale Dienst der Kommune ist bereits eingebunden. Von dort wird die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung empfohlen. Der Pflegekunde lehnt jedoch alle Hilfestellungen ab.
Kontaktaufnahme durch Pflegedienstleitung. Einschätzung des Pflegedienstes wird geteilt. Selbstgefährdung liegt vor: ja Fremdgefährdung liegt vor: ja
Klären, welcher Kontakt mit dem pflegebedürftigen Kunden möglich ist und ob es Möglichkeiten gibt, die Beziehung/den Kontakt so zu gestalten, dass Veränderungen auf langfristige Sicht mit Einverständnis des Betroffenen möglich sind.
Gespräch mit Kunden führen und die Notwendigkeit einer Grundreinigung sowie der Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung besprechen. Pflegekunde ist kognitiv in der Lage, seine Situation zu beurteilen und einzuschätzen. Offenheit besteht gegenüber dem 200 km entfernt wohnenden Neffen.
Gespräch wird durch die PDL geführt. Fremdgefährdung liegt vor: ja
Feststellen, welche fachlichen, personellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stehen und welche Möglichkeiten der Hilfe/ der Veränderung es gibt.
Der Allgemeine Soziale Dienst stellt Kontakt zum Sozialamt her, um zu prüfen, inwieweit finanzielle Hilfestellungen über die Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege möglich sind. Beim Betreuungsgericht wird im Eilantrag ein Betreuungsverfahren angeregt. Der Allgemeine Soziale Dienst nimmt Kontakt zum Neffen auf und klärt, inwieweit er unterstützend tätig werden kann.
Weitere Schritte werden vom Allgemeinen Sozialen Dienst eingeleitet. Selbstgefährdung liegt vor: ja Fremdgefährdung liegt vor: ja
Überprüfen, wer helfen kann, z. B. Behörden, Betreuungsvereine, Arzt.
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In Absprache mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst werden nebenstehende Kontakte aufgenommen.
Betreuungsgericht Allgemeiner Sozialer Dienst, Sozialamt Pflege- und Krankenkasse Neffe Hausarzt
Muster 1: Formular zur Feststellung, ob eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt (2)
Die weiteren an der Versorgung Beteiligten wie Hausarzt, Angehörige oder Betreuer müssen über die Situation informiert werden. Hinweis: Mit der Dokumentation können Pflegekräfte nachweisen, dass sie Hilfeangebote gemacht, notwendige Maßnahmen eingeleitet und Institutionen informiert haben. Wichtig: Bei allem Vorgehen ist immer zu beachten, dass der Pflegedienst nur für die Tätigkeiten verantwortlich ist, die er mit dem Kunden vereinbart hat. Zur eigenen Absicherung sollte der Hausarzt des pflegebedürftigen Kunden nachweislich regelmäßig über die aktuelle Situation informiert werden. Ebenso sollten in Betreuungsfällen das Amtsgericht, das Gesundheitsamt und die Pflege- oder Krankenkasse informiert werden. Dies kann per Fax oder ALTENPFLEGE AKADEMIE
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in einem persönlichen Gespräch erfolgen. Die Gesprächsinhalte müssen im Pflegebericht dokumentiert werden. Gesetzliche Regelung bei Verwahrlosung und Vermüllung Ein Eingreifen in Situationen der Verwahrlosung und Vermüllung ist laut dem Selbstbestimmungsrecht im Grundgesetz schwierig, denn die Grenzen zur Abnormität und Krankheit verschwimmen oft. Der Gesetzgeber sieht ein Eingreifen nur dann vor, wenn eine erhebliche Selbst- und Fremdgefährdung vorliegt. Dies ist z. B. der Fall, wenn der zu Pflegende: • Suizidgedanken äußert, • Essen und Trinken verweigert oder • die hygienischen Zustände in der Wohnung eine Bedrohung für die Nachbarn und Pflegekräfte darstellen. 13
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Nur in solchen Fällen besteht die Möglichkeit, einzugreifen und notfalls Zwangsmaßnamen herbeizuführen. Grundsätzlich bedürfen solche Handlungen der gerichtlichen Anordnung durch das Amtsgericht. So ist etwa Voraussetzung für eine „zivilrechtliche Unterbringung nach § 1906 BGB“ bei unter Betreuung stehenden Personen, dass 1. eine psychische Krankheit, geistige und seelische Behinderung und 2. die Gefahr der Selbsttötung oder eines erheblichen gesundheitlichen Schadens bestehen. Eine drohende Verwahrlosung oder Vermüllung reicht hier nicht aus. Eine psychische Krankheit, geistige oder seelische Behinderung muss in jedem Fall ein Facharzt diagnostizieren. Nur wenn dieser eine „krankhafte Störung der Geistestätigkeit“ z. B. infolge eines hirnorganischen Aufbauprozesses diagnostiziert und eine akute Selbstoder Fremdgefährdung vorliegt, kann eine Unterbringung veranlasst werden. Diese muss immer vom zuständigen Betreuungsgericht genehmigt werden. Im Eilfall ist eine einstweilige Anordnung des Gerichts möglich. Das Betreuungsgericht sollte in solchen Fällen informiert werden. Von dort wird alles Notwendige veranlasst. Gibt es Angehörige, sollten zunächst diese informiert und bewegt werden, die notwendigen Schritte beim Betreuungsgericht zu veranlassen. So fühlen diese sich nicht übergangen.
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Fall 2: Pflege durch Angehörigen nicht sichergestellt Es kommt häufig vor, dass Pflegekräfte feststellen, dass die Pflege bei einem Pflegekunden nicht sichergestellt ist. Obwohl ein Angehöriger das Pflegegeld der Pflegekasse kassiert, erhält der Pflegebedürftige keine angemessene Pflege und Betreuung. Die Gründe für eine nicht sichergestellte Pflegesituation können vielfältig sein. Sie finden sich z. B. in mangelnder Compliance der Pflegekunden oder in der Überforderung pflegender Angehöriger. Aber egal, welche Gründe zur nicht sichergestellten Pflege führen: Pflegekräfte müssen in der Lage sein, derartige Situationen zu erkennen, und über situationsgerechte Entlastungs- oder Unterstützungsleistungen informieren können. Anzeichen einer unzureichenden Pflegesituation sind z. B. • ein beeinträchtigender körperlicher Zustand, z. B. Kachexie oder Adipositas, • ein geschädigter Hautzustand, z. B. Dekubitus, Dermatosen, Hämatome, • physische und psychische Belastung der Pflegeperson sowie • defizitäres pflegerisches Umfeld, z. B. Verwahrlosung. Hilfreiches Instrument: Pflegevisiten Wenn eine Pflegekraft feststellt, dass die Pflege und Betreuung nicht sichergestellt ist, ist es notwendig, dass sie die PDL einschaltet. Diese sollte beim Pflegekunden entweder mit der Pflegekraft oder allein eine Pflegevisite durchführen. Die Pflegevisite ist im Zusammenhang mit der internen Qualitätssicherung ein wichtiges und zielorientiertes Instrument in der ambulanten Pflege. Beim Hausbesuch kann sich die durchführende Pflegefachkraft in Ruhe und ohne den Druck nachfolgender Versorgungen einen Eindruck vom Pflegezustand des Kunden machen. Hierzu ist eine körperliche Inaugenscheinnahme erforderlich. Dabei sollten mögliche Gefährdungen wie Mangelernährung, Kontraktur, Dekubitus usw. erfasst werden. Daneben wird strukturiert festgestellt, ob der Pflegekunde ggf. neue Hilfebedarfe hat, und überprüft, ob er weitere Hilfsmittel benötigt, die ihm das Leben in seiner eigenen Wohnung vereinfachen. In diesem Rahmen können auch Empfehlungen, Hilfestellung und Beratung zur Sicherstellung der häuslichen Pflegesituation gegeben werden wie z. B.: • Entlastung durch Verhinderungspflege sowie Betreuungsund Entlastungsleistungen, • pflegeerleichternde Techniken, • aktivierende Pflege, • Sicherheitsvorkehrungen im häuslichen Bereich, • Pflegekurse, • die Einstufung in die richtige Pflegestufe, • Tages- oder Nachtpflege, • häusliche Pflege nach § 36 SGB XI, ALTENPFLEGE AKADEMIE
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• Kurzzeitpflege, • Einsatz von Pflege-/Hilfsmitteln oder • Anpassung des Wohnraums.
An das Betreuungsgericht des Amtsgerichts Sonnenstadt
Wenn während der Pflegevisite festgestellt wird, dass es Optimierungsbedarf bei der Pflege- und Betreuung gibt, sollte auch stets ein persönliches Gespräch mit den „pflegenden“ Angehörigen und (falls vorhanden) dem Betreuer geführt werden. Hier sollte freundlich, ohne Vorwürfe zu machen, auf Missstände hingewiesen und Maßnahmen zur Verbesserung der Pflege- und Betreuungssituation empfohlen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Durchführung der Beratung und Pflegevisite sowie die dort gemachten Feststellungen und vereinbarten Lösungsschritte müssen dokumentiert werden. Hierzu eignen sich eigene Formulare oder der Pflegebericht. Es ist sehr sinnvoll aufzuschreiben, welche Vorschläge zur Verbesserung der Pflegesituation gemacht, aber abgelehnt wurden. Wenn Angehörige nichts ändern Wenn die Angehörigen des Pflegekunden nicht bereit sind, die Situation zu ändern, sollte unbedingt der Arzt, in Betreuungsfällen das Betreuungsgericht, oder die Pflegekasse über diesen Umstand und die fehlende Sicherstellung informiert werden. Allerdings darf eine Pflegekraft dabei keine Details der pflegerischen Situation weitergeben, sie darf nur anregen, die Situation zu prüfen. Tipp: Die eingeschalteten Stellen sollten gebeten werden, die Informationen des Pflegedienstes vertraulich zu behandeln. Denn wenn die Angehörigen herausfinden, wer die
Betreff: Anregung einer Betreuung
wir versorgen Herrn/Frau (Name, Adresse) mit Leistungen der ambulanten Pflege. Im Rahmen dessen haben wir festgestellt, dass für unsere oben genannte Patientin eine Betreuung sinnvoll erscheint. Wir regen eine Prüfung der Situation vor Ort an. Da die Anregung einer Betreuung von Patienten und deren Angehörigen häufig als negativ bewertet wird, bitten wir Sie, die Tatsache, dass wir die Betreuung angeregt haben, vertraulich zu behandeln. Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen Muster 2: Schreiben an das Betreuungsgericht
Sache ins Rollen gebracht hat, kündigen sie den Pflegevertrag oder reden schlecht über den Pflegedienst.
Literatur 1 In Anlehnung an: Detmering, 1985 in: Beiträge zum Thema „Verwahrlosung im Alter“, Kuratorium Deutsche Altershilfe, Köln 1998 2 In Anlehnung an http://www.gesetzliche-betreuung-dw.de/wb/media/pdf/ Merkblatt%20Nr.%206.pdf
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Problem
Beispiele für Optimierungsmöglichkeiten
Fehlende grundpflegerische Versorgung
Erläutern, welche Maßnahmen notwendig sind, damit die Pflegesituation verbessert werden kann. Leistungen anbieten, z. B. 1- bis 2-mal pro Woche bei der Grundpflege behilflich sein.
Verwahrloster Haushalt
Hinweis auf den verwahrlosten Zustand und erläutern, warum ein Pflegebedürftiger in einem solchen Umfeld nicht gut versorgt ist. Hauswirtschaftskräfte anbieten, die den persönlichen Lebensraum des Pflegebedürftigen reinigen.
Fehlende notwendige Ernährung
Über Defizite bei der Ernährung und die Risiken informieren und zur Notwendigkeit einer angemessenen und ausgewogenen Ernährung beraten. Über „Essen auf Rädern“ und dessen Vorteile informieren. Kontaktdaten eines Anbieters überreichen.
Fehlende Betreuung und Aktivitäten
Information an die Angehörigen, dass der Pflegebedürftige nicht einfach über Stunden im Haus eingesperrt werden darf, denn gerade pflegebedürftige Menschen benötigen Ansprache und Betreuung. Beratung über die stundenweise Verhinderungspflege. Diese kann der Pflegedienst erbringen, ohne dass das Pflegegeld gekürzt wird. Beratung über zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, wie z. B. eine Tagespflegeeinrichtung, die der Pflegedienst erbringen kann und die von der Pflegekasse bezahlt werden.
Fehlendes Verständnis für die Erkrankung des Pflegebedürftigen
Informieren, dass es spezielle Pflegeschulungen (z. B. bei Krankenkassen) für Angehörige gibt.
Fehlende notwendige Dinge wie z. B. Lebensmittel, Kleidung usw.
Informieren, dass das Lebensumfeld des Pflegebedürftigen stets so sein soll, dass er sich darin wohlfühlt. Dazu gehört auch, dass es warm und sauber ist.
Übersicht 3: Optimierungsmöglichkeiten der Pflege- und Betreuungssituation ALTENPFLEGE AKADEMIE
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