Klimawandel • Krankheiten und Schädlinge • Ausdünnung • Fruchtfäule • Lagerungstagung • Scilate/Envy® • SQ159/Natyra®
European Fruit Magazine Nr.
3 – 2023 (168)
In dieser Ausgabe: PL-ISSN 1689-8567
Perfektionierung der Ausdünnung
Fruchtfäule an Pflaumen und Kirschen
Perspektiven für den Apfelanbau
Klimawandel
Tipps für einen erfolgreichen Anbau von SQ159/Natyra®
Und noch viel mehr …
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INHALTSVERZEICHNIS Artikel: Die Folgen des Klimawandels für den Obstbau....................................................................................6 Einfluss des Klimawandels auf Anbau, Krankheiten und Schädlinge..................................8 Perfektionierung der Ausdünnung durch neue Techniken..................................................9 Fruchtfäule an Pflaumen und Kirschen Fungizide allein nicht ausreichend wirksam gegen Fruchtfäule.................................. 12
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Perspektiven für den Apfelanbau?................. 16 Tel: 0031 (0)598-450510
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Lagerungstagung Laimburg Untersuchungen zu Lagerstörungen bei Scilate/Envy®............................................................ 19
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Internationaler Natyra-Tag Tipps für einen erfolgreichen Anbau von SQ159/Natyra®.................................................................20
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Neuigkeiten aus der Forschung........................25 Neuigkeiten von Unternehmen.........................26 Kalender................................................................................29
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Halbwahrheiten Vor einigen Wochen machte sich in der norditalie- te leider nichts Neues. Wie oft passiert es nicht, dass nischen Apfelregion Südtirol Unmut wegen eines etwa eine Umweltschutzorganisation aufgrund eines weiteren Berichts des Umweltinstituts München breit. Berichts über Rückstandsanalysen bei Obst zu dem Diese deutsche Umweltschutzorganisation hat sich Schluss kommt, dass auf xx % der Proben Reste von den Südtiroler Obstbausektor als Feindbild auser- Pflanzenschutzmitteln nachgewiesen wurden, wähkoren und strebt einen ‚giftfreien‘ Obstbau an. Um rend Erzeugerorganisationen aufgrund derselben ihre Ziele zu erreichen, publiziert sie Halbwahrheiten Daten folgern, dass 99,9 % aller Rückstandsanalysen und ruft falsche Annahmen hervor. Der letzte Bericht den geltenden Rückstandsnormen entsprechen... handelte vom Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (die Jeder hört und sieht, was er selbst gerne hören und Umweltschutzorganisation spricht von ‚Pestiziden‘) sehen möchte. in einem Teil Südtirols. Mit schockierenden Aussagen wie „durchschnittlich 38 Pestizidbehandlungen pro Die Herausforderung für den Obstbausektor als GanApfelplantage“ und „zwischen Anfang März und Ende zes ist, die negative Berichterstattung und die HalbSeptember 2017 gab es im Vinschgau keinen einzigen wahrheiten zu ‚managen‘ und somit Damage Control, Tag, an dem nicht gespritzt wurde“ wird den Lesern also Schadensbegrenzung, zu betreiben. Angst eingejagt. Betrachtet man Inhalt und Daten Interessenverbände und Agrarmedien berichten gerdes Berichts jedoch genauer, zeigt sich, dass es sich ne, wie sehr die Obstbauern etwa auf Biodiversität, um Halbwahrheiten und suggestive Berichterstat- CO2-Reduktion, Emissionseinschränkungen oder die tung handelt. Die Südtiroler ‚Arbeitsgruppe Zukunft Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln Landwirtschaft‘ reagierte sofort auf den Bericht und achten. Die Herausforderung ist jedoch, diese posirelativierte die Behauptungen des Umweltinstituts. tive Berichterstattung auch wirklich zu den VerbrauDer Schaden war jedoch bereits angerichtet, da ver- chern zu bringen. Ein Großteil der Medien lebt vom schiedene Medien den Bericht der Umweltschutz- Drama. Negative Berichterstattung ist interessanter organisation nicht nur übernommen, sondern auch als positive. noch ausgeschmückt hatten. Es gibt in Europa unzählige gute Initiativen, die ‚die Beim Schreiben des Namens ‚Umweltinstitut‘ im ers- Geschichte des Bauern‘ erzählen, um Verbraucher ten Satz dieses Textes wurde mir bewusst, dass diese über den Obstbausektor zu informieren und in den Organisation nicht nur mit ihren Berichten die Leu- Sektor einzubeziehen oder Halbwahrheiten aufzute in die Irre führt, sondern dass auch der Name der decken. Die Herausforderung ist nun, diese InitiaOrganisation den Anschein erweckt, dass es sich um tiven zusammenzubringen und deren Wissen und ein renommiertes, unabhängiges (öffentliches) Ins- Berichte unter die Leute zu bringen. Wir haben als titut handelt. Das Umweltinstitut ist jedoch nichts Obstbausektor nicht wie die Umweltschutzorganisaanderes als eine spendenfinanzierte private Umwelt- tionen ein millionenschweres Budget, um die öffentschutzorganisation. liche Meinung und die Verbraucher zu beeinflussen. Wir werden es also intelligent angehen müssen. Wer Die Veröffentlichung von Halbwahrheiten und ten- nicht reich ist, muss clever sein. denziösen Berichten ist in unserer Gesellschaft heu-
Gerard Poldervaart
Chefredakteur EFM
EFM Aktuell HYPERPARASITEN BEDROHEN BIOLOGISCHE BEKÄMPFUNG Hyperparasiten, also Feinde natürlicher Gegenspieler, spielen eine große und noch unterschätzte Rolle in der biologischen Bekämpfung von Schädlingen. Sie können etwa dafür sorgen, dass Schlupfwespen ihre Arbeit nicht mehr machen können. Schlupfwespen sind im Obstbau nützliche Gegenspieler von Läusen. Sie parasitieren Läuse, können aber ihrerseits auch durch Hyperparasiten parasitiert werden. Nach Angaben der Forscher Ammar Alhmedi und Tim Beliën vom belgischen Versuchsbetrieb pcfruit gibt es Fälle, in denen 90 % der primären Parasiten von Hyperparasiten parasitiert werden. Dadurch kann sogar die ganze Population nützlicher Schlupfwespen in einer Anlage oder einem Gewächshaus aussterben. Hyperparasitierung ist erst wenig untersucht, man geht allerdings davon aus, dass dieses Phänomen eine große Auswirkung auf die biologische Bekämpfung hat. (Quelle: Vakblad Fruit)
33.000 T MORGANA BIS 2030 Der europäische Morgana-Club möchte bis 2030 eine Produktion von 33.000 t dieser Clubsorte erreichen. 2022 wurden 7.000 t geerntet, wie der Club auf der Fachmesse Interpoma Mitte November 2022 im norditalienischen Bozen bekannt gab. Morgana ist der Markenname für Äpfel der von Better3Fruit in Belgien
Die vier europäischen Partner streben bis 2030 eine Produktion von 33.000 t Morgana an. EFM
entwickelten Sorte Kizuri. Die vier europäischen Club-Partner sind die Belgische Fruitveiling (BFV), FruitMasters (Niederlande), Krings (Deutschland) und Melinda (Italien). Auf der Südhalbkugel wird Kizuri in Südafrika und Neuseeland angebaut.
EXPORTEURE AUF SÜDHALBKUGEL VERSUCHEN IHR GLÜCK ANDERSWO Die wichtigsten apfelproduzierenden und -exportierenden Länder der Südhalbkugel melden eine gute Apfelernte. Aufgrund der schwierigen Marktlage in Europa verschiffen die Exporteure ihre Äpfel vorzugsweise in andere Regionen als nach Europa.
ZWEI DRITTEL DER KERNOBSTANBAUFLÄCHE IN BELGIEN ENTFALLEN AUF BIRNEN Der in Belgien vorherrschende Trend weg vom Apfelanbau und hin zu mehr Birnenanbau hat sich auch 2022 fortgesetzt. Die Birnenanbaufläche wurde von 10.450 ha im Jahr 2021 auf 10.565 ha im Jahr 2022 ausgeweitet, während die Apfelanbaufläche von 5.438 ha auf 5.234 ha schrumpfte. Die belgische Kernobstanbaufläche besteht nun also zu zwei Drittel aus Birnen und zu einem Drittel aus Äpfeln. Das wirtschaftliche Ergebnis von Birnen war in den letzten Jahrzehnten besser als von Äpfeln. Die immer weiter schrumpfende Apfelanbaufläche hat jedoch auch teilweise mit dem belgischen Sortensortiment bei Äpfeln zu tun. Traditionell wird es von der Sorte Jonagold dominiert. Neue Apfelsorten, die in einem Clubkonzept vermarktet werden, haben in Belgien viel langsamer an Terrain gewonnen als in anderen Ländern und Anbaugebieten.
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Die Birnenanbaufläche wird in Belgien weiter auf Kosten von Äpfeln ausgeweitet.
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EFM Aktuell Nach Angaben der World Apple & Pear Association (WAPA) werden in Südafrika 1.220.000 t bzw. 2 % mehr Äpfel geerntet als im Vorjahr. Die Produktion von Clubsorten wie Pink Lady, Cripps Red und Joya nimmt auf Kosten traditioneller Sorten wie Golden Delicious und Gala zu. Südafrika hofft, die Exporte in den Rest Afrikas vergrößern zu können. Die Apfelernte in Neuseeland soll laut den Daten von Anfang Februar um 7 % größer sein als im Vorjahr und 536.000 t betragen. Die Produktion von Envy nimmt erheblich zu, jene der traditionellen Sorten, aber auch von manchen Clubsorten wie Jazz ist niedriger. Neuseeland versucht immer mehr, in Asien Fuß zu fassen. Der größte Apfelproduzent, Chile, erwartet eine ungefähr gleich große Ernte wie im Vorjahr (1,4 Mio. t). Das Land hofft, in diesem Jahr mehr Äpfel in die USA exportieren zu können. (EFM)
TENDENZIÖSE BERICHTERSTATTUNG ÜBER PFLANZENSCHUTZ IN SÜDTIROL Das deutsche Umweltinstitut München e.V., eine radikal agierende Umweltschutzorganisation, hat sich den Unmut der Obstbauern aus Südtirol (Norditalien) zugezogen. In einem von verschiedenen Medien übernommenen Bericht auf ihrer Website spricht die Organisation von einer alarmierenden Situation. Obstbauern würden in hoher Frequenz und Menge Pestizide einsetzen, die für die menschliche Gesundheit und die Umwelt hochproblematisch seien. Nach Angaben der Umweltschutzorganisation gab es zwischen Anfang März und Ende September keinen einzigen Tag, an dem die Obstbauern Bewohner und Touristen nicht ihrem ‚Pestizidcocktail‘ ausgesetzt hätten. Grundlage für die Behauptungen der Umweltschutzorganisation sind Spritzhefte von 681 Obstbauern im Südtiroler Vinschgau aus dem Jahr 2017.
Arbeitsgruppe Zukunft Landwirtschaft FreshPlaza, ein Nachrichtenportal für den Obst- und Gemüsebereich, übernahm den Bericht des Umweltinstituts ohne eine einzige kritische Anmerkung. Schon am nächsten Tag war auf dem Portal eine Reaktion der Südtiroler ‚Arbeitsgruppe Zukunft Landwirtschaft‘ zu lesen. Diese in erster Linie aus Obstbauern bestehende Arbeitsgruppe kämpft gegen falsche Berichterstattung und Vorstellungen über den Obstbau in der Region. Einige der tendenziösen Aussagen, über die sich die ‚Arbeitsgruppe Zukunft Landwirtschaft‘ ärgert, sind die Behauptung, dass „... durchschnittlich 38 Pestizidbehandlungen pro Apfelplantage...“ durchgeführt worden seien und die Aussage: „Zwischen Anfang März und Ende September 2017 gab es im Vinschgau keinen einzigen Tag, an dem nicht gespritzt wurde.“ Die Zahl 38 bezieht sich nicht auf die Anzahl der Behandlungen, wie suggeriert wird, sondern auf die Anzahl der Pflanzenschutzmittel, die gespritzt wurden. Eine Behandlung mit einer Tankmischung etwa aus drei Mitteln zählt für die Umweltschutzorganisation als drei Pestizidbehandlungen. Nach Angaben der Arbeitsgruppe betrug
Häufiger Pestizideinsatz: 38 Behandlungen in jeder Obstanlage Umweltinstitut München e.V.
die Anzahl der Behandlungen pro Obstanlage zwischen Anfang März und Ende September in Wirklichkeit 15 bis 18, nicht 38. Auch die Aussage, dass kein Tag ohne Spritzen vergehe, wird von der Arbeitsgruppe relativiert: „Nicht erwähnt wird allerdings, dass es in diesem Tal beinahe 3.000 Bauern gibt mit insgesamt fast 10.000 verschiedenen Grundstücken mit verschiedenen Apfel sorten und verschiedenen Vegetationszeiten und verschiedenen Klimabedingungen wie z. B. Niederschläge. Wenn man nun also weiß, dass 10.000 Grundstücke an 180 Tagen behandelt werden sollen und müssen, dann ist es weniger verwunderlich, wenn in diesem langen Tal jeden Tag zwischen März und September irgendwo irgendein Grundstück behandelt wird.“
Kein öffentliches Institut Die Arbeitsgruppe stört sich auch daran, dass die Umweltschutzorganisation sich als ‚Institut‘ bezeichnet und suggeriert, ein objektiv handelndes Institut zu sein statt ein aus Spendengeldern finanzierter Verein. Auch in Gesprächen der Arbeitsgruppenmitglieder mit Journalisten zeigte sich, dass Letztgenannte dachten, mit einer offiziellen Behörde statt mit einer Umweltschutzorganisation zu tun zu haben. Die Arbeitsgruppe wirft der Organisation zudem vor, bewusst Panik zu verbreiten, indem sie von Pestiziden statt von Pflanzenschutzmitteln spricht.
100 % ökologisch Aus den Spritzheften geht hervor, dass 90 % der Behandlungen mit chemisch-synthetischen Mitteln durchgeführt wurden. Das Umweltinstitut München meint, dass es für die meisten davon umweltfreundliche, nachhaltige Alternativen gebe. Über den Einsatz von Glyphosat schreibt die Organisation, dass der Einsatz von Herbiziden überflüssig sei, weil es erprobte und risikoarme mechanische Alternativen gebe. Das Umweltinstitut fordert ein komplettes Verbot chemisch-synthetischer Pestizide in der ganzen EU und plädiert für eine 100 % ökologische Landwirtschaft.
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Arjan de Bruine
Freier Fachjournalist, Niederlande arjandebruine@gmail.com
Die Folgen des Klimawandels für den Obstbau Info Klimaszenarien Laut dem aktuellsten Klimaszenario des Koninklijk Nederlands Meteorologisch Instituut (KNMI) wird die durchschnittliche Sommertemperatur bis 2050 um 1,0 bis 2,3 °C steigen. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge im Winter wird bis dahin um 3 bis 17 % zugenommen haben, während der Meeresspiegel bis 2050 um 15 bis 40 cm angestiegen sein wird.
Quellen Die Studierenden von WUR verwendeten für ihre Berechnungen Daten über die Blüte der Sorte Boskoop. Die Temperaturmessungen des KNMI und die Daten über den Beginn der Blüte zwischen 1951 und 2022 bildeten die Grundlage für das von ihnen erstellte Modell zur Berechnung des Blütenfrostrisikos.
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Das Klima ist weltweit im Wandel. Dies wirkt sich auch auf den Obstbau aus. Welche Folgen hat dies und wie können Obstbauern darauf reagieren? Im Auftrag des Koninklijk Nederlands Meteorologisch Instituut (KNMI) untersuchten Studierende von Wageningen University & Research (WUR) den Einfluss des Klimawandels auf den Obstbau in den Niederlanden. Die Studierenden präsentierten ihre Erkenntnisse Ende November 2022 auf dem von der Nederlandse Fruittelers Organisatie (NFO) und WUR veranstalteten Informationstag für Obstbauern. „Die vor 30 Jahren für Maastricht geltende Durchschnittstemperatur im Sommer (rund 16,5 °C) ist heute die Sommertemperatur in dem fast 300 km nördlicher gelegenen Groningen. Die Temperaturgrenze verschiebt sich jährlich um rund 8 km nach Norden“, berichteten die Studierenden ausgehend von den Wetterdaten des KNMI.
Da Apfelbäume immer früher blühen, der Zeitpunkt möglicher Spätfröste aber gleich bleibt, nimmt die Gefahr von Frostschäden zu. EFM
Die Untersuchung ergab allerdings auch, dass die Gefahr von Blütenfrostschäden gegen Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich abnehmen wird. Abhängig ist dies vom Temperaturanstieg in den nächsten Jahrzehnten. Nur in Klimaszenarien, die von einem geringen Temperaturanstieg (1,5 °C bis Größere Blütenfrostgefahr 2085) ausgehen, bleibt die Blütenfrostgefahr vorhanden. In den Szenarien mit höherem TemperaNach Angaben der WUR-Studierenden hat die Blü- turanstieg ist die Blütenfrostgefahr am Ende dieses tenfrostgefahr in den vergangenen 70 Jahren zu- Jahrhunderts kaum mehr gegeben. genommen. Grund dafür ist, dass die Obstbäume immer früher zu blühen beginnen, während sich Niederschlag und Trockenheit das Datum des letzten strengen Blütenfrostes (Temperatur < -2,2 °C) kaum verändert hat. Der Beginn Die Gesamtniederschlagsmenge in den Niederder Blüte hat sich also weiter in Richtung der Zeit, landen belief sich in den letzten 30 Jahren (1992 in der es zu Blütenfrösten kommen kann, verscho- bis 2021) im Schnitt auf 851 mm pro Jahr und hat ben (siehe Abbildung 1). Zwischen 1951 und 2022 in diesem Zeitraum nur wenig zugenommen. Die trat der letzte strenge Blütenfrost immer ungefähr Anzahl der Regenstunden blieb nahezu gleich, aber Mitte März auf. Die Blüte der Apfelbäume hat sich in die Niederschlagsmenge und die Niederschlagsindemselben Zeitraum durch die im Schnitt höheren tensität im Sommer und Winter nahmen erheblich Temperaturen während der Vegetationsperiode zu. Im Frühjahr und Herbst nahm der Niederschlag um rund 3 Wochen nach vorne verschoben. Mitt- hingegen ab. In dem davor liegenden Zeitraum von lerweile beginnt die Blüte der Apfelbäume in den 30 Jahren (1962 bis 1991) gab es im Schnitt 780 mm Niederlanden im Schnitt Mitte April, während dies Niederschlag pro Jahr. vor rund 70 Jahren erst Anfang Mai war.
Abbildung 1: Blühzeitpunkt (rot) und letzter strenger Blütenfrost (blau) zwischen 1951 und 2022
Die Niederschlagsmenge und die Niederschlagsintensität im Sommer und Winter nahmen erheblich zu. Arjan de Bruine
Auch Niederschlagsmangel (Trockenheit) nimmt durch mehr Verdunstung im Vergleich zum Mittel der letzten 100 Jahre zu. Während der Vegetationsperiode (April bis September) stieg die Verdunstung in den Niederlanden im Schnitt um 12 %. Im April und Mai nahm die Verdunstung im Schnitt sogar um 22 % zu.
Extreme (Hagel-)Unwetter Da es kaum gute Aufzeichnungen über Hagel gibt, ist nicht klar, wie der Trend diesbezüglich aussieht. In der Theorie wird die Hagelgefahr in den kom-
Erklärung: Datum der Vollblüte Tendenz Datum der Vollblüte Datum des letzten strengen Blütenfrostes (Temp.< -2,2 °C) Tendenz strenger Blütenfrost Quelle: KNMI
menden Jahrzehnten zunehmen. Höhere Temperaturen sorgen nämlich für wärmere Luft, die schneller aufsteigt. Die aufsteigende Luft gelangt in die oberen Wolkenschichten, wo Hagelkörner entstehen, weil es dort kälter ist als unten. In den Niederlanden wird die Anzahl der Hagelunwetter mit Hagelkörnern mit einem Durchmesser von 5 cm oder mehr wahrscheinlich genauso wie die Anzahl der extremen Windhosen zunehmen. Im Südosten der Niederlande ist die Gefahr, dass solche Hagelkörner entstehen (derzeit ca. einmal alle 15 Jahre), am größten.
Kennisdag Jedes Jahr organisieren die Nederlandse Fruittelers Organisatie (NFO) und Wageningen University & Research (WUR) den Kennisdag, einen Informationstag für Obstbauern und andere Interessierte. 2022 fand die Veranstaltung am Donnerstag, dem 24. November, in Tiel statt. Rund 260 Teilnehmer ließen sich über die aktuellen Entwicklungen informieren.
Bleiben Mehrgefahrenversicherungen bezahlbar? Gert Jan van Dijk von der niederländischen Versicherung OFH/ BFAO stellte in Reaktion auf die präsentierten Entwicklungen die Frage, ob Mehrgefahrenversicherungen für Obstbauern noch bezahlbar bleiben, wenn sich der Klimawandel fortsetzt. Aufgrund des Klimawandels sind Obstbauern mit extremeren Witterungsbedingungen konfrontiert, die zudem öfter auftreten. OFH/BFAO sieht dies auch an der Schadensstatistik. Auch Rückversicherer machen sich große Sorgen, vor allem in Bezug auf extreme Trockenheit und Hagel. Rückversicherer bieten Deckungsschutz für einen Teil des Risikos von Versicherungen wie OFH/BFAO oder Vereinigte Hagel. Sie werden die Versicherungsprämien, die sie von den Versicherungsgesellschaften verlangen, erhöhen müssen, wenn diese Schadensrisiken zunehmen. Die Versicherungsgesellschaften werden
die höheren Prämien der Rückversicherer an ihre Kunden oder Mitglieder weitergeben. Van Dijk empfahl den Obstbauern ausdrücklich, selbst Maßnahmen zu ergreifen, um die Klimarisiken zu senken. Obstbauern können etwa in trockenheitsanfälligen Anlagen Bewässerungsoder Beregnungssysteme anlegen oder Wasserbecken errichten, um auch in trockenen Zeiten über ausreichend gutes Wasser zu verfügen. Die restlichen Risiken sind dann kleiner und können selbst getragen oder über eine Mehrgefahrenversicherung versichert werden. Nur wenn sich die Obstbauern an die veränderten klimatischen Bedingungen und die Wetterrisiken anpassen, indem sie präventive Maßnahmen ergreifen, bleibt eine Versicherung der Restrisiken möglich und bezahlbar.
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Arjan de Bruine
Freier Fachjournalist, Niederlande arjandebruine@gmail.com
Einfluss des Klimawandels auf Anbau, Krankheiten und Schädlinge Info Winterruhe In zu warmen Wintern wird das Kältebedürfnis der Bäume nicht erfüllt, wodurch die Blüte gestört wird und die Obstbäume zu langsam austreiben. Dies wird unter niederländischen Bedingungen nicht sofort eintreten, kann aber etwa in Südeuropa zu einem Problem werden.
Der Klimawandel wirkt sich auf den Obstbau nicht nur direkt in Form eines höheren Blütenfrostrisikos sowie in Form von mehr Schäden durch Hagel, Trockenheit, Sonnenbrand oder übermäßigem Regen aus, sondern hat auch einen indirekten Einfluss. Dabei handelt es sich vor allem um die Auswirkungen etwa auf Krankheiten und Schädlinge sowie auf Bestäuberinsekten.
von Hitze, Trockenheit, Hagel oder Wind lässt die Anfälligkeit für Krankheitserreger und die Anzahl von deren Eintrittspforten zunehmen. Auch Apfelmehltau (Podosphaera leucotricha) bricht in trockenen Sommern stärker aus. Die Entwicklung von Apfelschorf (Venturia inaequalis) und die Infektionsgefahr durch diesen Erreger nehmen hingegen ab. Die Bedrohung durch Feuerbrand (Erwinia amylovora) und Schorf ist in einem wärmeren und feuchteren Bei einem von der Nederlandse Fruittelers Organi- Frühjahr größer. Wärmere Winter vergrößern die satie (NFO) und Wageningen University & Research Gefahr, dass es zu Infektionen mit Obstbaumkrebs (WUR) veranstalteten Informationstag für Obst- (Neonectria ditissima) kommt. Auch neue asiatische bauern Ende November 2022 bot Forscher Rien Arten des Obstbaumkrebses wie Valsa mali bei Apfel van der Maas von WUR einen Überblick, was den gedeihen bei einer durchschnittlich höheren TemObstbauern alles bevorsteht, falls der Klimawandel peratur, ebenso neue Bakterienkrankheiten wie auch künftig im derzeitigen Tempo voranschreitet. Xylella fastidiosa bei Steinobst. Zudem sind höhere Temperaturen günstig für Insekten, die BakterienFruchtqualität krankheiten übertragen. Nach Angaben von van der Maas sind nassere oder kältere Witterungsbedingungen ungünstig für Bestäuberinsekten. Heiße Sommer können nicht nur Sonnenbrandschäden, sondern auch eine schlechtere Fruchtqualität verursachen. Trockenheit während der Vegetationsperiode sorgt für eine kleinere Fruchtgröße (niedrigere Erträge) und eine schlechtere Fruchtqualität. Ein warmer Herbst kann zu frühen Winterschäden führen, weil die Obstbäume zu langsam abgehärtet werden. Hagel und Wind verursachen Schäden an den Früchten. Darüber hinaus können extreme Unwetter die Bodenstruktur und die Befahrbarkeit von Fahrgassen negativ beeinflussen.
Bei höheren Temperaturen entwickeln sich zusätzliche Generationen der Apfelblutlaus. Arjan de Bruine
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Mehr Krankheiten Wärmere Winter, gefolgt von einem warmen Frühjahr und Starkregenereignissen (nasser Boden) vergrößern laut WUR-Forscher Marcel Wenneker die Gefahr, dass es zu Kragenfäule und Fruchtfäule durch Phytophthora kommt. Pflanzenstress infolge
Einfluss auf Insekten Höhere Temperaturen während der Vegetationsperiode bewirken laut WUR-Forscher Herman Helsen eine schnellere Entwicklung und Fortpflanzung von sowohl nützlichen als auch schädlichen Insekten und Milben. Für die Apfelblutlaus (Eriosoma lanigerum) und die Zehrwespe Aphelinus mali kann dies zweierlei bedeuten: Die Zehrwespe ist wärmeliebend und entwickelt sich deshalb besser in einem wärmeren Klima. Bei höheren Temperaturen entstehen aber auch zusätzliche Apfelblutlausgenerationen. In warmen und trockenen Sommern entwickelt sich in den Niederlanden manchmal eine zweite Generation des Apfelwicklers. Derzeit verursachen diese Raupen zwar Schäden, überleben aber den Winter nicht. Wenn es in Zukunft wärmer wird, kann sich auch in den Niederlanden die zweite Generation der Apfelwickler vollständig entwickeln. Sie überleben den Winter dann als adulte Raupen in einem Kokon und vergrößern den Schädlingsdruck im nächsten Jahr.