Unterschiedliches sagen
Ulrike Bittner // Wenn mehrere Stimmen
Hannah Neeser // Nicht alles lässt sich mit Checklisten lösen
Christoph Stücklin // Unsere Grundbestimmung ist es, Gott zu ehren
Unterschiedliches sagen
Ulrike Bittner // Wenn mehrere Stimmen
Hannah Neeser // Nicht alles lässt sich mit Checklisten lösen
Christoph Stücklin // Unsere Grundbestimmung ist es, Gott zu ehren
(hebr.) fest, verlässlich, treu, verwandt mit Begriffen wie Glauben, Wahrhaftigkeit und Zuversicht.
Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben , heisst es in Matthäus 10,16. Auch wenn es die beiden nicht in die Top Ten meiner Lieblingstiere schaffen, muss etwas an ihnen dran sein, wenn Jesus sie in Zusammenhang mit der Aussendung seiner Jünger als Sinnbild benutzt. Wenn ich die Eigenschaften von Schlange und Taube genauer betrachte, sagt mir der Vers, dass ich in meinem Sein und Tun Wachheit, Wendigkeit, Flexibilität zeigen und gleichzeitig mir selbst und anderen gegenüber offen, ehrlich und fair sein soll. Ein Anspruch, dem ich selten wirklich gerecht werde. Doch gerade deshalb will ich mir biblische Weisungen wie diese immer wieder vor Augen halten, weil sie mir wichtige Wegweiser im manchmal undurchblickbaren Dickicht namens Leben sind. Meine persönliche Erfahrung ist: Wenn ich das beherzige und immer wieder von Gott erbitte –wach und flexibel, ehrlich und fair zu sein –, überträgt sich das auch auf die Art und Weise, wie ich Entscheidungen fälle. Mit dem Ergebnis, dass ich die in diesem Bewusstsein getroffenen Entschlüsse selten bis nie bereue. Schlange und Taube, wer hätte gedacht, dass ihr zwei unscheinbaren Wesen mir mal zu hilfreichen Ratgebern werdet?
Angela SchmidtApropos gut entscheiden: Ab dieser Ausgabe lancieren wir die Rubrik «Amen dazu», das Personenportrait im Videoformat. Einfach den passenden QR-Code auf Seite 29 scannen und los geht’s: dieses Mal mit dem Fussballschiedsrichter Daniel Siddiqui. Ebenfalls neu ist der Zweiseiter «Faktisch», die Rubrik mit informativen, unterhaltsamen, komischen Top Facts zum jeweiligen Magazinthema. Den Anfang dazu macht unsere Grafikdesignerin Manuela Fassbind. Viel Vergnügen!
UNENTSCHLOSSEN? von Angela Schmidt 06
DAS HIER HAT SCHON MANCHEM GEHOLFEN!
Portrait von Roland Schmidli 12
IN MEINER BIBEL STEHT Kolumne von Sabine Fürbringer 18
GOTTES STIMME ERKENNEN von Ulrike Bittner 20
AMEN DAZU mit Daniel Siddiqui 28
VERANTWORTUNG ENTSCHEIDET von Veronika Schmidt 30
FAKTISCH von Manuela Fassbind 36
GEBOREN FÜR DIE MEDIZIN Portrait von Hannah Neeser 38
GOTT ALS BEVOLLMÄCHTIGER von Peter Höhn 46
KUNSTPAUSE mit Central Arts 52
WENIGER KANN MEHR SEIN Interview mit Pater Philipp & Pater Thomas 54
ZUR HÖHEREN EHRE GOTTES von Christoph Stücklin 62
EIN GEBET von Tamara Boppart 70
GEMEINSAM ENTSCHEIDEN von Andreas «Boppi» Boppart 72
FÜR DAS LEBEN, GEGEN DEN STRICK! von Marie-Odette Mbebi 80
BLICKPUNKT WELT Kolumne von Doris Lindsay 86
ICH WÄRE WOHL BELEIDIGT, WÄRE ES EINFACHER
Interview mit Nicole Metzler Domínguez 88
WAS CAMPUS BEWEGT 94
IMPRESSUM 102
Souverän durchs Leben gehen und komplexe Entscheidungen schnell und gut treffen – wer will das nicht können? Doch was leicht tönt, gestaltet sich in der Praxis manchmal harzig. Ein Artikel darüber, was uns heute bei Entscheidungen in die Quere kommen und wie kluges Entscheiden dennoch gelingen kann.
Wir treffen täglich abertausende Entscheidungen, von denen sich die meisten unserem Bewusstsein entziehen: Atmen, kauen, schlucken, einen Fuss vor den anderen setzen – alles Tätigkeiten, die unser Körper intuitiv ausübt, die unseren Biorhythmus aber bereits ordentlich auf Trab halten. Alles, was obendrauf bewusst entschieden werden muss, bedeutet für unseren Organismus und das vegetative Nervensystem zusätzlichen Aufwand. Nehmen wir an, dass die Qual der Wahl noch nie grösser war als in der heutigen Zeit des digitalen Konsums, ist es wenig verwunderlich, dass laut aktuellen Studien mittlerweile neun von zehn Menschen nicht nur im Berufsalltag, sondern auch im Privatleben öfter Entscheidungen aussitzen. Das sind ganz schön viele. Doch die gute Nachricht ist, dass wir der Prokrastination nicht hilflos ausgeliefert sind. Wer die Faktoren und Einflüsse kennt, die einen am fröhlichen Entscheiden hindern, kann aktiv gegen dieses lähmende Gefühl vorgehen und wieder handlungsfähig werden. Was also kann einer guten Entscheidung alles in die Quere kommen? Und welche Methoden und Prinzipien können helfen, uns wieder auf Kurs zu bringen?
Eine psychosoziale Auslegeordnung mit ergänzenden Lifehacks.
Stress, Angst und Druck sind die am häufigsten erwähnten Faktoren, wenn es um Unentschlossenheit geht. Wohl deshalb, weil Entscheidungen immer auch mit der Möglichkeit verbunden sind, zu scheitern. Scheitern fühlt sich unangenehm an und wird von unserer erfolgsorientierten Gesellschaft oft nicht gern in die Rechnung mit einbezogen. Mit der Konsequenz, dass manchmal folgenreiche Entscheidungen länger als nötig vor sich hergeschoben oder verdrängt werden, nur um ja keinen Fehltritt zu begehen. Was dagegen helfen kann? Sich einzugestehen, dass ein Leben ohne Misstritte schlicht utopisch ist. Fehler gehören zum Leben dazu. Wer sich mit dieser Tatsache versöhnt, kann lockerer mit den eigenen umgehen
und ist gleichzeitig gnädiger mit anderen, wenn ihnen mal ein Patzer unterläuft. Stehen wir ein für eine positive Fehlerkultur, die Momente des Scheiterns nicht als Rückschlag, sondern als wichtiger Teil des eigenen Lernwegs begreift. Üben wir uns in der Kunst des Scheiterns, zum Beispiel, indem wir uns einen Plan B zulegen.
Das Prinzip des Plan B hilft, mit der Wahrscheinlichkeit des Scheiterns besser umzugehen. Es bedeutet nichts weniger als proaktives Handeln, einen oder auch mehrere Alternativpläne als Trumpf im Ärmel bereit zu haben. Insbesondere bei richtungsweisenden Lebensentscheidungen (etwa einem Jobwechsel oder Hauskauf) lohnt sich ein Plan B, da wir schlicht nicht alle Faktoren im Vorfeld überschauen, sich die Rahmenbedingungen ändern können oder sich Plan A ganz grundsätzlich als Fehlentscheid entpuppt. Ein Plan B entschärft nicht nur schon im Vorfeld, er federt im Moment des Scheiterns auch besser ab.
Nebst der Verdrängung möglicher Fehler gibt es das gegenteilige Phänomen, das aber ebenso lähmend wirkt und uns vom Entscheiden abhält: das «Overthinking». Es beschreibt das überdurchschnittliche und zu lange Nachdenken über Ängste oder Sorgen, das weit über das normale Sich-Gedankenüber-eine-Sache-Machen hinausgeht. Fachpersonen beobachten, wie sich das Overthinking, das früher nur partiell bei depressiven Episoden oder Angststörungen vorkam, zu einem flächendeckenden Phänomen entwickelt. Heisst: Wir grübeln zu viel nach. Das macht uns müde, langsam und letzten Endes unproduktiv. Dostojewski hat das schon vor 200 Jahren erkannt: «Zu intensives Nachdenken macht uns krank.» Wer diese Blockiertheit von sich kennt, dem kann der Austausch mit einer Vertrauensperson helfen, seine Sorgen und Ängste wieder in Relation und somit Ordnung in seinen Kopf zu kriegen. Oder aber, er oder sie fängt ganz praktisch mit einem Gedanken-Tagebuch an.
Indem wir die unangenehmen Gedanken, die tagein tagaus durch unseren Kopf schwirren, schriftlich festhalten, können wir die Hemmer respektive Treiber, die uns im freien Entscheiden behindern, besser erkennen. Solche können sein: Perfektionismus, Angst vor persönlicher Verletzung, Versagensangst, Menschenfurcht etc. Sind diese als solche identifiziert, halten wir ihnen ebenfalls schriftlich eine positive, stärkende Gegenstimme entgegen, zum Beispiel: «Mutig sage ich der Menschenfurcht: Das Urteil anderer hat nicht mehr die Kraft, mich zu lähmen, denn .»
Sich für etwas zu entscheiden, heisst gleichzeitig immer auch, Nein zu einer Vielzahl an möglichen Alternativen zu sagen und somit eine Grenze zu ziehen. Doch diese Grenzziehung fällt oft alles andere als leicht, denn sie bedeutet, all das zu opfern, wofür man sich auch noch hätte begeistern und somit entscheiden können. Bestseller-Autor Oliver Burkeman sagt in seinem Anti-Zeitmanagement-Buch «4000 Wochen»: «Die Bequemlichkeitskultur gaukelt uns vor, dass wir Platz für alles Wichtige finden können, wenn wir nur die lästigen Aufgaben des Lebens eliminieren. Doch das ist eine Lüge. Man muss sich für einige wenige Dinge entscheiden, alles andere opfern und mit dem unvermeidlichen Gefühl des Verlustes umgehen, das damit einhergeht.» In anderen Worten: Entscheiden heisst auch trauern – und das kann unter Umständen ganz schön an die Substanz gehen. Nichts desto trotz bleibt uns nichts anderes übrig, als den Stich im Herzen aushalten zu lernen, den eine Entscheidung in Folge ihrer vielen Anti-Entscheidungen mit sich bringt. Das Ziel wäre es, fröhlich Ja zu Wenig zu sagen und noch überzeugter Nein zu allem anderen, damit wir das, wofür wir uns entscheiden, auch wirklich bewusst auskosten können. Dazu eine Imaginationsübung.
«Mein 70. Geburtstag»
Burkemans «4000 Wochen» entsprechen einem 77 Jahre dauernden Leben. Ge -
hen wir von diesem Durchschnittsalter aus (es liegt zwar bereits etwas höher, wir Frauen liegen beim 83. Altersjahr), wird der letzte runde Geburtstag von den meisten von uns wohl der siebzigste sein. Schön, wer so alt werden darf. Noch schöner, wer zu diesem Zeitpunkt nichts zu bereuen hat und von sich behaupten kann, seine Ziele und Werte mit den besten Absichten verfolgt zu haben. Auf was für ein Leben also wollen wir an unserem 70. Geburtstag zurückschauen? Was möchten wir in einer Ansprache über uns und unser Leben hören? Es könnte sein, dass der retrospektive Blick aus der Zukunft uns massgeblich dabei helfen kann, die wenigen Ja’s, die für unser Leben wirklich relevant sind, in der Gegenwart herauszuspüren.
Wir sind Kinder unserer Zeit. Soll heissen, die Zeit, in der wir leben, bestimmt mit ihren spezifischen Dynamiken, Themen und Herausforderungen unser (Entscheidungs-)Verhalten mit. Es lohnt sich daher, ab und zu kritisch hinzuschauen und sich zu fragen, was denn heute als erstrebenswert gilt, und sich in der Folge damit auseinanderzusetzen, in welchen Bereichen wir uns eventuell zu sehr vom «Aussen» –von Meinungen anderer, dem Mainstream etc. –beeinflussen lassen. Die Philosophin Isolde Charim spricht vom Narzissmus als heutigen gesellschaftlichen Treiber und meint damit das Streben nach der optimierten Version unserer selbst, dem so genannten Ich-Ideal. Das permanente gegenseitige Beobachten und Bewerten anhand von Likes und Rankings konfrontiert uns mit all unseren scheinbar unvollkommenen Bereichen (Aussehen, Fitness, Ernährung etc.), die zu verbessern wir nonstop angehalten werden. Wer auf dieser Basis Entscheidungen trifft, wird wohl nicht so rasch zur Ruhe kommen, denn die Krux ist: Wir werden immer etwas an uns finden, das wir optimieren können. Also, besser noch heute aus der Tretmühle der Selbstverbesserung aussteigen und sich auf Wichtigeres im Leben konzentrieren. Helfen dabei, kann die Methode des bewussten Pausierens.
Nachhaltig und im eigenen Interesse zu entscheiden, und bewusst Nein zu sagen, fällt nicht immer leicht. Wie also unsere Willenskraft stärken? Indem wir uns bewusst Pausen gönnen, indem wir a) uns vornehmen, nur ausgeschlafen wichtige Entscheidungen zu fällen – unser Hirn funktioniert dann am effizientesten –, b) uns Gewohnheiten aneignen, um so ein ständiges Neu-entscheiden-Müssen zu umgehen und c) unser Bauchgefühl ab und an zu Rate ziehen, denn schliesslich basiert es auf jahrelanger Erfahrung und ermöglicht es uns darum, einen komplexen Sachverhalt rasch zu analysieren und Prioritäten zu setzen.
Bevor ich dem Diplomaten und Publizisten Paul Roth das Schlusswort überlasse, mein wichtigster Ratschlag zum Schluss: Ob wir bewusst pausieren, Tagebuch schreiben oder uns ins höhere Alter denken: Die treibende Kraft hinter unserem Vorgehen, so rät uns die Bibel (vgl. Lukas 10,27), soll immer die Liebe sein. Uns in allem, was wir tun, an der Liebe zu orientieren, ist das Lebensprinzip schlechthin!
Egal, um welche Entscheidung es sich handelt, diese unschlagbare Frage gibt die nötige Orientierung: «Setzt meine Entscheidung Liebe – gegenüber Gott, meinen Mitmenschen und mir selbst – frei?»
Du kannst dir nicht ein Leben lang die Türen alle offen halten, um keine Chance zu verpassen. Auch wer durch keine Türe geht und keinen Schritt nach vorne tut, dem fallen Jahr für Jahr die Türen eine nach der anderen zu. Wer selber leben will, der muss entscheiden: Ja oder Nein –im Grossen und im Kleinen. Wer sich entscheidet, wertet, wählt, und das bedeutet auch: Verzicht. Denn jede Tür, durch die er geht, verschliesst ihm viele andere. Man darf nicht mogeln und so tun, als könne man beweisen, was hinter jener Tür geschehen wird. Ein jedes Ja – auch überdacht, geprüft –ist zugleich Wagnis und verlangt ein Ziel.
Das aber ist die erste aller Fragen: Wie heisst das Ziel, an dem ich messe Ja und Nein? Und: Wofür will ich leben?
Paul RothSie leitet die Redaktion beim Amen Magazin. Die Lifehacks stammen zwar nicht aus ihrer ganz eigenen Feder, doch ausprobiert hat sie sie alle – und obendrein für gut befunden.