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Kolumnen 24, 26, 28, 72
DIE SCHEINLÖSUNG ATOMSTROM
von Gabi Schweiger
Atomstrom zu nutzen war zuletzt in vielen Gesellschaften zu Recht in Verruf geraten, ein Aus der Atommeiler schien greifbar. Ökologische und ökonomische Unzulänglichkeiten wurden benannt, die Risiken aufgrund der drastischen Unfälle in Tschernobyl und Fukushima endlich realistischer eingestuft. Die Endlagerung des Mülls ist weiter eine ungelöste Herausforderung. Und doch scheint diese Zäsur für manche schon wieder zu lange her. Längst sammeln sich die Atomlobbyisten hinter der Bühne der Klimadebatte, polieren alte Propaganda neu auf und massieren damit die Köpfe politischer Leitfiguren.
Die Problematik der Klimaerhitzung hat zwar jetzt die nötige Aufmerksamkeit, die flotte Umsetzung notwendiger Massnahmen fehlt noch. So richtig fatal ist aber, dass fragwürdige Ansätze diskutiert werden – wie eben das Zurück zur Atomkraft. Das kostet wertvolle Zeit und verschärft somit das Problem, weil der Diskurs für echte, grosse, überzeugende Lösungen blockiert wird. Denn, ganz profan gesagt: Atomkraft nutzt dem Klima nicht.
Schon die immer wieder angeführte, scheinbar gute CO2-Bilanz ist eine Mogelpackung. Sie beziffert nur den Ausstoss während der laufenden Stromproduktion. Jahrzehnte dauernder Bau mit konventionellen Materialien, Produktion und Transport technischer Komponenten, landraubender, toxischer Uranabbau nebst energieintensiver Aufbereitung zum Brennstoff, Kühlung und Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente und nach Ende der Lebensdauer des Meilers noch die Rückbau-Phase, von der man erst zu erfahren beginnt, wie aufwendig diese in der Realität ausfällt, und zuletzt noch die ungelöste Frage des radioaktiven Abfalls – all dies bleibt in der Berechnung aussen vor. Auch die Laufzeitverlängerung alter Meiler hat nur verschiebende Wirkung, bringt Unverlässlichkeit durch veraltete Technik und Materialermüdung – oder führt schlimmstenfalls zum nächsten GAU. Zudem erweist sich Atomkraft als nicht kompatibel mit den volatilen erneuerbaren Energien. Will man diese ernsthaft forcieren, braucht es flexibel steuerbare Ausgleichsenergie. Auch das kann Atomkraft nicht, AKW liefern ausschliesslich Grundlast. Sie verstopfen folglich die Netze für ein komplexes Zusammenspiel im zukunftsfähigen Energieportfolio.
Weitaus effektiver investiert, wer auf Energieeffizienz und -einsparung setzt. Beides erzielt rasch messbare Ergebnisse. Das Gebot der Stunde ist zudem, an der Optimierung von Speichertechnologien zu arbeiten – und natürlich am zügigen, volkswirtschaftlich höchst impulsgebenden Ausbau eines klugen Mixes aus regenerativen Energien.
Wirtschaftlichkeit und AKW ist ein Widerspruch in sich. Ohne staatliche Subventionen geht gar nichts, obwohl, wie schon bei der CO2-Bilanz, unbequeme Faktoren nicht von den Konzernen eingepreist werden müssen. Ob Haftung bei erheblichen Schäden im gesamten Zyklus oder Sicherung radioaktiver Abfälle für Hunderttausende Jahre: Das ist Sache des Staates, also der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Wir dürfen also nicht zulassen, dass beim Versuch, mit Atomkraft das Klima stabilisieren zu wollen, der Bock zum Gärtner gekürt wird.
In der Totale betrachtet, können mit Atomstrom gar keine Emissionseinsparungen erzielt werden. Gerade mal 4.3Prozent des Weltenergiebedarfs decken AKW derzeit, Tendenz stetig fallend. Eine Steigerung ist komplett unrealistisch. Selbst in wenig ausgeprägten Demokratien mit fragwürden Menschenrechts- und Umweltstandards dauert der Bau eines Reaktors zehn Jahre. In Europa liegt diese Bauzeit eher beim Doppelten, wie die Beispiele Flamanville (Frankreich) und Olkiluoto (Finnland) eindrücklich zeigen. Wollen wir das Klima noch einigermassen retten, brauchen wir Tempo, das ist Konsens.
GABI SCHWEIGER
arbeitet als Geschäftsführerin bei der Organisation atomstopp.
www.atomstopp.at
DIE NEGATIVE KOHLENSTOFFGESELLSCHAFT
von Professor Peter Droege
Die wachsende Carbon-Blase, auf der unsere Zivilisation, ihre Wirtschaft und unsere Städte seit 200Jahren schweben, stellt eine der massivsten, radikalsten und abruptesten Störungen in der bekannten Geschichte dieses Planeten dar. Der European Green Deal (EGD) reagiert jedoch viel zu wenig auf die Tatsache, dass ohne massive konzertierte Aktionen diese Blase eine existenzielle Unausweichlichkeit hat. Die im EGD vorgeschlagenen Massnahmen müssen verschärft und umgedacht werden, um über den Deal hinauszugehen – in dem Bewusstsein, dass es nicht darum geht, noch ein letztes schwaches Win-win zu schaffen, sondern den ganz grossen Verlust zu vermeiden. Vor allem in den Städten kann und muss diese Agenda der NKG – der negativen Kohlenstoffgesellschaft – konkret, spezifisch und greifbar werden.
Nur eine auf erneuerbaren Energien basierende, die atmosphärischen Kohlenstoffkonzentration senkende europäische Wirtschaft kann die Grundlage für die städtische regenerative Gesellschaft bieten, die dringend geschaffen werden muss. Eine rechnerische Neutralisierung – der falsche Traum der Netto-Null – reicht nicht aus. Nur durch die a) Elimination der Ausstösse und b) Umkehrung des Flusses von Treibhausgasemissionen aus dem Baugewerbe, dem Bauwesen – Zement und andere Materialien – und der Nahrungsmittelproduktion (Landwirtschaft) sowie dem Verbrauch können wir beginnen, die Richtung des Emissionsvektors zu korrigieren – mit anderen Worten, ihn umzukehren.
Da Städte und ihre politischen Institutionen bei diesem Wandel eine wichtige Rolle spielen, müssen sie bei ihren Bemühungen, dieser grossen Katastrophe zu begegnen, mehr Wissen sowie technische und finanzielle Unterstützung erhalten. Die lokale, nationale und globale Verbreitung der Prinzipien, die den dokumentierten Initiativen zugrunde liegen, ist längst kritisch geworden – ohne dass die derzeitigen politischen, regulatorischen und marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausreichend angepasst worden wären. tischer und stadtnaher ökologischer und kohlenstoffnegativer landwirtschaftlicher Versorgungssysteme.
Entscheidend ist auch, dass Wege zur Regeneration und Nachrüstung bestehender Stadtteile und ihres Gebäudebestands gefunden werden, die zu einer Überschussproduktion an erneuerbaren Energien und gleichzeitigen negativen Kohlenstoffflüssen führen. Zu den weiteren vorrangigen politischen Zielen gehören Investitionen in die Umstellung der Land- und Forstwirtschaft auf regenerative Energien, die Kohlenstoffbindung in Gebäuden und in der Industrie sowie der rasche Ausstieg aus Kohle, Erdgas und Erdöl.
Die europäischen Direktiven zur Kreislaufwirtschaft schaffen eine gute Ausgangsposition, um Grundlage und Motor einer kohlenstoffnegativen Wirtschaft zu werden. Im Moment ist sie noch ein schwaches und wenig angewandtes Führungsinstrument: Nur ein winziger Teil des Ressourcenstroms in der EU wird wiederverwendet oder recycelt. Die Prozesse der Kreislaufwirtschaft müssen jedoch in einer Weise gestärkt werden, die sicherstellt, dass die Prozesse in der Landwirtschaft, im Bauwesen, in der Strasseninfrastruktur, im Energiesektor und in der Industrie zu Kohlenstoffspeichern werden, und zwar zum Teil in Form nachhaltiger Holznutzung oder anderen aus der Atmosphäre gewonnenen kohlenstoffreichen Materialien wie aus Algen gewonnenen Kohlenstofffasern. Gleichzeitig müssen grundsätzlich fehlerhafte Technologien wie Kernkraft, Erdgas als «Übergangsenergie», «saubere Kohle» und Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) – eine nicht nur kostspielige, sondern auch beunruhigende und unpraktische Technologie – mit Nachdruck vermieden werden.
PROFESSOR PETER DROEGE
Die Förderung der biologischen Vielfalt ist nun im Grunde eine Kernaufgabe der Stadt- und Regionalplanung. Die europäischen Städte und städtischen Gemeinden sind gefordert, ökologisch verantwortungsvollere und bewusstere Lebensstilentscheidungen und Konsummuster zu fördern, einschliesslich integrierter städist Direktor der Liechtenstein Institute for Strategic Development AG und Präsident von EUROSOLAR - Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien e.V
www.eurosolar.de www.eurisd.org