Kriminelle Handlungen bei Spielereignissen im Fußballfan-Kontext und integrative Lösungsansätze am Beispiel Fanarbeit Innsbruck
Bachelorarbeit
Dominic Hübl Matrikelnummer: 0915966 C 033 505 Bachelorstudium Soziologie dominic.huebl@student.uibk.ac.at Innsbruck, November 2013
Eingereicht im: Seminar „Strukturen und Wandel der Gegenwartsgesellschaft 2“ LV-Nr.: 408031, Sommersemester 2013 LV-Leiter: Univ.-Prof. Dr. Preglau Max
Anmerkung Für Leser_innen, die sich mit diesem Thema befassen, wird die Lektüre dieser Arbeit keine großen Erkenntnisse erbringen. Auch wenn sich meine Fragestellung auf die Situation in Österreich bezieht, werden sicherlich starke Ähnlichkeiten zu Nachbarländern auffallen, die bekannt sind und zu denen sich bereits zum Teil einiges an vorhandener (Forschungs-) Literatur findet. Meine Arbeit hier stellt den Beginn einer Forschungsstudie dar, der in diesem Rahmen natürlich ein sehr begrenzter ist. Erschwert wird dieser Umstand durch das Bedürfnis, ein gewisses Verständnis für den „Hauptakteur“ aufzubauen. Meine Fragestellung ergibt sich aus einem sozialpolitischen Interesse und somit bedarf es zwingend der Klärung, für wen überhaupt welche Probleme auftreten und welche Ansätze zur Lösung vorhandener Konflikte denkbar sind. Dadurch liegt auch vom Umfang her ein Schwergewicht auf einer theoretischen Annäherung an das Phänomen „Fußball-Fanschaft“ und seiner für die Fragestellung relevanten Form. Die
präsentierten
Ergebnisse,
also
Konzepte
und
Kategorien,
sollen
als
erste
Benennungsweisen betrachtet werden. Auch wenn sie unter Umständen bereits strukturelle Momente aufzeigen, muss hierbei noch der vorhandenen Literatur, Erfahrungen aus anderen Ländern sowie weiterer intensiver Auseinandersetzung mit der lokal-historischen Genese Rechnung getragen werden. Doch weit aus interessanter ist meines Erachtens, was überhaupt das Begehren der (relevanten) Fans ist um folglich verstehen zu können, welche Bedürfnisse versucht werden zu erfüllen. Meinem Verständnis nach kann nur auf diesem Wege einem gesellschaftlichen Phänomen der Art begegnet, dass integrative Ansätze als sinnvoll anerkannt werden und diskursive Kämpfe nicht von Begrifflichkeiten der Anomie dominiert werden. Diese Frage findet sich aber in dieser Arbeit nur angedeutet wieder.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung………………………………………………………………………………1 2. Fragestellung und Methodik…………………………………………………………...4 2.1 Fragestellung…………………………………………………………………...4 2.2 Methodik………………………………………………………….....................5 2.3 Datengenerierung………………………………………………………………6 3. Überlegungen und theoretische Zugänge………………………………………………7 3.1 Wer sind die Fans, wenn man von Fanarbeit spricht?........................................8 3.2 Einbettung der Fans in theoretische Konstrukte……………………………...11 4. Ergebnisse……………………………….....................................................................17 5. (Zwischen)Fazit und Ausblick………………………………………………………..39 6. Literaturverzeichnis…………………………………………………………………..40 7. Anhang………………………………………………………………………………..43 7.1 Graphik…………………………………………………………………..........43 7.2 Leitfragenkatalog……………………………………………………………..44 7.3 Transkriptionen……………………………………………………………….46 7.4 „Sicherheit bei Sportveranstaltungen in Österreich“
1. Einleitung Die vorliegende Arbeit stellt den Beginn einer qualitativen Studie dar. Der erreichte Stand des hier angewandten wissenschaftlichen Prozesses ist natürlich im Rahmen einer Bachelorarbeit ein begrenzter. Auch wenn kein fortgeschrittener Zeitpunkt einer Untersuchung erreicht werden kann, werde ich trotzdem im Sinne eines Ausblickes aufgrund bereits angefundener Kategorien und der Stützung dieser durch Aussagen der interviewten Experten wagen. Ich muss hierbei auch anmerken, dass neben der wissenschaftlichen Literatur auch ein Teil der begonnen explorativen Phase die Nutzung des Internets mit seinen vielfältigen Formen der Darstellungsmöglichkeiten eine Rolle spielt. Wenn man sich aber mit dem Phänomen Fußballfans und ihrer Fanformen in Verschränkung mit lebensweltlichen Implikationen und vice versa über den Weg der sozialen Medien oder Videoplattformen beschäftigt, verfällt man erstens einer unbearbeitbaren Fülle und zweitens der Darstellung einzelner Engagierter und ihrer selektiven Teilnahme im Internet. Andererseits aber befindet man sich auf diesem Wege am „Puls der Zeit“ und aufkommende Ausprägungen stehen für Aspekte der (Post-) Moderne“, die für soziologische Fragestellungen sehr attraktiv wirken. Diesbezüglich werde ich nur illustrative exemplarische Beispiele anführen. Man sollte beim Lesen dieser Arbeit berücksichtigen, dass verschiedene „Weltbilder“, die somit in die Fankultur hineinwirken, verschiedene Formen von Ansprüchen in Bezug auf das Fußballgeschehen bedingen.
Mein Interesse für dieses Thema und speziell die Fragestellung ergibt sich aus besuchten Lehrveranstaltungen, die sich auf die Beschäftigung mit professionellem Fußball sowie Zuschauer_innen desselbigen konzentrierten. Der Fußball (in Sportstadien), seine jeweilige historische Einbettung und sein (in vielen Nationalstaaten) Status als vorherrschende und omnipotente Mannschaftssportart bindet verschiedenartige Interessen an sich. Er unterliegt der Gestaltung von Akteuren, die wiederum selbst im Raum verschiedener gesellschaftlicher Entwicklungen zu handeln „gezwungen“ sind. So wie das wirtschaftliche Umsetzen eines professionellen Fußballklubs den Implikationen der Gesellschaft umgreifenden Ökonomie unterworfen ist, so folgt auch der Zuschauerfußball (zum Teil) durch den natürlichen Prozess des Generationenwechsels den (gesellschaftlich hervorgerufenen) veränderten Bedürfnissen von Individuen.
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Da der Sport verschiedenartige (auch in der Stärke ihrer gesellschaftlichen Legitimierung) Interessen zusammenführt, sind auch gewisse Konfliktmomente nicht zu verhindern. So treten Spannungen zwischen bestimmten Akteuren auf, die nicht eine gemeinsame Vorstellung der Inszenierung eines Spieles innerhalb und auch außerhalb des Stadions teilen. Oder auch das Verhältnis und seine Ausformung unter verschieden Zuschauergruppen wird zu einer Problematik eines Dritten. Divergierende Wertesysteme und Handlungslogiken sowie darauf aufbauende, bestimmte zeitlich gewachsene und verfestigte (sowie verallgemeinerte) Attribuierungen stellen in der Studie die basalen strukturellen Phänomene von „Fußball-Fanschaft“ dar. Das Interesse dieser Arbeit liegt zuerst auf der banalen Bedingung von sozialpräventiver Fanarbeit - auf den Formen des Fußball-Fan sein. Dabei im Fokus steht aber speziell eine Form, die trotz verschiedener Ausprägungen das Potential für handlungsanleitende Normen in sich trägt. Eine solche Form muss natürlich mehrere Individuen umfassen, die von Anderen auch als eine Gruppe identifiziert werden kann. Wobei hierbei nicht die einzelne Gruppe in irgendeinem Fußballstadion gemeint ist, sondern die hier verwendete Bezeichnung Gruppe eine Struktur umfasst, die in vielen verschiedenen Stadien bei Fußballspielen anzutreffen ist. Dies beginnt bei der kollektiven Anhängerschaft eines bestimmten Fußballklubs und führt hin bis zu Kollektiven, deren einzelne Teile (nicht nur viel) Freizeit investieren, um das „Erlebnis Fußball“ nach ihren Wünschen zu gestalten versuchen. Der erste Teil meiner Arbeit wird sich folglich mit einer Auseinandersetzung zur Bestimmung von für die Fragestellung relevanten Fan-Formen beschäftigen. Eine mögliche Katalogisierung von Fanformen spielt hierbei keine Rolle, sondern die Perspektive darauf erfolgt durch ein sozialpolitisches Verständnis. Das eigentliche Phänomen der Untersuchung ist die Kriminalität bei Spielereignissen im Fußballfan-Kontext und die mögliche Gefährdung Einzelner, einer Integration in die Gesellschaft nicht gerecht werden zu können. Und wie diesem Phänomen begegnet wird und werden könnte. Kriminalität ist natürlich kein isolierter spontaner Einzelakt, sondern eine Konsequenz aus zwei Prozessen. Einerseits muss innerhalb einer Gesellschaft festgelegt werden, welche Handlungen als kriminell gelten und somit eine Sanktion gerecht erscheint.1 Andererseits begehen Individuen kriminelle Handlungen, da gewisse Umstände (auch auf Ebene von Einstellungen) zu einer Entwertung gesellschaftlicher Konventionen führen und drängen, die zusätzlich durch solidarische Bande gestärkt und legitimiert werden können. Speziell bei
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Vgl. Walter, 2005, S.25.
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Fußballereignissen darf auch der Einfluss von Emotionen unter anderem durch das Prinzip des Wettbewerbs nicht außer Acht gelassen werden. Bereits durch das bis hierher gesagte wird deutlich, dass eine rein empirische Beschreibung von kriminellen Handlungen nicht ausreichen kann. Fußball-Fans stehen anderen Akteuren in der Art gegenüber, soweit sie ihrem den Fußball betreffenden Wertesystem entsprechen oder auch nicht. Der Fußballklub (Vereinsführung, Geschäftstelle, etc.), die Ligen- und Turniere organisierenden Verbände, das Sicherheitspersonal, die Exekutive sowie Medien in personalisierter Form werden zum Mitstreiter oder Gegner.
Ziel meiner Arbeit ist es nun, strukturelle Beziehungen sowie (so weit wie möglich) Ursachen aufzudecken, um den Einflussbereich (Effizienz) und die Grenzen von sozialpräventiven Fußballfanprojekten in Österreich aufzuzeigen. Dies zu Beginn der Untersuchung am Beispiel Fanarbeit Innsbruck. Der Aufbau meiner Arbeit ergibt sich aus folgenden Überlegungen. Obwohl man ohne großes Risiko von einer Ultra-Kultur sprechen kann, die in verschiedenen Ländern die gleichen Merkmale trägt, möchte ich doch zuerst auf die Situation in Innsbruck bzw. Österreich skizzenhaft eingehen.2 Diese Überlegung beeinflusste auch die Gestaltung meines LeitfragenKataloges für die Interviews. Wer oder welche Gruppe für sozialpräventive Fanarbeit relevant ist, ergibt sich auch aus den Fans und ihrer Beteiligung an einer Fanszene. Hierfür stehen die Beschreibungen der Interviewten sowie eine gleichzeitige Einbettung von Fans in theoretische Konstrukte. Dadurch ergibt sich auch, dass ich davor die Fragestellung und die gewählte Methode der Erhebung und Interpretation behandle. Nach dem Teil, der sich den relevanten Fans widmet, werde ich zu den eigentlichen Ergebnissen des Phänomens Kriminalität bei Spielereignissen im Fußballfan-Kontext übergehen und meine vorläufigen Ergebnisse darstellen. Bevor ich dann zu meinem Fazit und weiteren Forschungsschritten komme, werde ich noch kurz auf die Bedingungen von sozialpräventiver Fanarbeit in Österreich eingehen.
2
Lüttmer verweist hierzu in seinem Vorwort auch auf seine Erfahrung als Fanbetreuer, dass trotz kultureller und wirtschaftlicher Nähe zu Deutschland die Fankulturen nicht identisch sind.
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2. Fragestellung und Methodik 2.1 Fragestellung Die Fragestellung habe ich in der Einleitung bereits angesprochen. In eine Form gebracht lautet sie: „Welchen Einfluss haben sozialpräventive Fanprojekte in Bezug auf ein kriminelles Potential bei Fußballfans?“
Wichtig hierbei zu beachten ist, dass es in Österreich (momentan) nur ein sozialpräventives Fanprojekt gibt, bei dem sich ein Sozialarbeiter ausschließlich mit Fußballfans befasst. Unter dieser Berücksichtigung kann man anführen, dass die wissenschaftliche Literatur in Bezug auf dieses Thema in Österreich noch in geringem Maße vorhanden ist. Ich möchte somit mit meiner Arbeit einen Teil zur grundsätzlichen Beschäftigung mit diesem Thema erbringen. Ein anfänglicher Zugang bedeutet aber auch zugleich, dass man zuerst abklären muss, wer eigentlich wie in den Blick genommen werden muss. Im Zentrum stehen (jugendliche) Fußballfans, welche als abgrenzbare Gruppe einen Akteur darstellen. Um diesen herum finden sich in unterschiedlicher Qualität und Intensität im Verhältnis andere Akteure, denen von Seiten der Fans durch ihre bestimmte Funktion (Eigenlogik) in unterschiedlicher Weise begegnet wird. Die anderen Akteure (wiederum im abstrakten Sinne) werden hierbei so gewählt, wie sie im wechselseitigen Kontakt-Verhältnis mit Fans stehen. Somit ergeben sich folgende relevanten Akteure: -
Der Fußballklub (Vereinsführung bzw. Geschäftsstelle; hier FC Wacker Innsbruck),
-
Das Sicherheitspersonal (Ordnerdienste),
-
Sozialarbeiterisch tätige Personen (hier Fanarbeit Innsbruck),
-
Die Exekutive (die Sicherheitsbehörden),
-
Die Bundesliga (Österreichische Bundesliga),
-
Der ÖFB (Österreichischer Fußball-Bund).
Die Reihenfolge der Auflistung soll hierbei als gedachtes Kontinuum von Nähe und Distanz fungieren, also das Ausmaß und Intensität des Kontaktes wiedergeben.
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2.2 Methodik Zu Beginn jeder Forschung steht die explorative Phase. Doch die Literaturrecherche sollte hierbei zu Beginn nicht zu ausgeprägt sein, da die Gefahr eines eingeschränkten Blickes auf das Thema und somit präformierte Annahmen die Struktur der Forschung beeinflussen und somit eine nötige Kreativität für das Neue einschränken. Hinzu kommt bei meiner Fragestellung, dass sich hierzu noch keine wissenschaftliche Literatur für sozialpräventive Fanprojekte (im Sinne von längerfristiger Sozialarbeit mit Fußballfans) in Österreich finden lässt. Hinzu kommen die Bedingungen, dass 1) ich mich mit einer Klärung des soziologischen Verständnis von (österreichischen) Fußballfans auseinandersetze möchte und 2) die Rolle von anderen Akteuren im Fußballfan-Kontext in den Mittelpunkt stelle.
Als geeigneten Einstieg betrachte ich als Teil der anfänglichen explorativen Phase, Interviews mit Experten zu führen. Im Falle meiner Fragestellung stellen dies der Sozialerbeiter der Fanarbeit Innsbruck, die für Fans zuständige Person des Fußballklubs FC Wacker Innsbruck sowie eine Person von pro supporters, der Koordinationsstelle für Fußball-Fanprojekte in Österreich, dar. Der für die Experteninterviews verwendete Leitfragenkatalog findet sich im Anhang. Bei der Gestaltung der Fragen flossen folgende Überlegungen ein: -
Welche Art von Fußballfans ist relevant für Fanprojekte?
-
Wie lassen sich diese Fans charakterisieren?
-
Welche Formen der Kriminalität finden sich?
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Welche Akteure stehen in welchem Verhältnis zu den Fans?
-
Wodurch wird die Arbeit mit Fußballfans beeinflusst?
-
Was wären ideale Bedingungen für die Arbeit mit Fußballfans?
Um aus den Interviews geeignete Formen zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Fragestellung zu gewinnen, verwende ich die Methodik der Grounded Theory (GT) nach Barney Glaser und Anselm Strauss.3 Diese hat einerseits den Vorteil, dass sie sich für verschiedenartige Phänomene anwenden lässt und, aufgrund der Historizität des Themenfeldes Fußballfans, auf den Prozesscharakter von 3
Phänomenen
abzielt.
Sozialpräventive
Strauss/Corbin, 1996.
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Fanprojekte
befassen
sich
ihrer
sozialarbeiterischen Natur nach mit gesellschaftlichen „Problemklientel“, welche nur in Abhängigkeit zu gesellschaftlich normativen Vorgaben verstanden werden können. Somit ergibt sich m. E. primär die Notwendigkeit der Klärung der Konfliktpotentiale der FußballFankultur in Österreich. Auch hier eignet sich die GT für den Aufbau eines theoretischen Verständnisses durch die „Entdeckung“ von Kategorien, die durch spezielle Fragetechniken an das empirische Material in ihrer Ausprägung zumindest weiter gedacht und für den weiteren Forschungsprozess anleitend sein können. Ich möchte an dieser Stelle auch darauf Hinweisen, dass ich im Sinne der Methodik bei jetzigem Forschungsstand nicht über die Möglichkeit verfügen kann, eine ausreichende theoretische Dichte aufzubauen. Hinzu kommen noch die Streetwork-Einrichtungen, welche als sozialarbeiterische Tätigkeit unter anderen Bedingungen arbeiten, als es für die Fanarbeit Innsbruck zutrifft. Ein weiterer wichtiger Teil der Forschung aus momentaner Perspektive ist die Analyse von empirischen Beispielen von Konflikten und Konfliktlösungen.
2.3 Datengenerierung Die Interviews fanden allesamt in ruhigen und entspannten Situationen statt. Auch kann ich für alle drei Interviewten sagen, dass sie mir sehr freundlich begegneten und keinerlei skeptische Haltungen erkennen ließen. Der Leiter der Koordinationsstelle pro supporters sowie der Sozialarbeiter der Fanarbeit Innsbruck verzichten auch auf eine Anonymisierung ihrer Aussagen. Bei der Überlegung zur Qualität der Interviews muss natürlich, neben dem Einfluss des Interviewers, seiner Gedanken und Kompetenz in Bezug auf die kommunikative Gestaltung des Gespräches, berücksichtigt werden, dass Einzelne unter einem denkbaren Einfluss von Repräsentationszwängen ihre Antworten formulierten.
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3. Überlegungen und theoretische Zugänge „Es sind die Fußballfans, die den Matches Farbe geben und den Fußball zu einer faszinierenden Angelegenheit machen. Stets sind es aber auch Rituale der Gewalt, die von den Fans gesetzt werden und die eine Art Gemeinschaftserlebnis darstellen. Fußball ohne die Kulisse der Stadien und der Fans ist nicht vorstellbar und höchst langweilig.“4
Männlicher Profi-Fußball in seiner am meisten gespielten Ausprägung ist die beliebteste Mannschaftskampf-Sportart der Welt. Seine über ein Jahrhundert lange Entwicklung, geprägt durch die wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, brachte nicht nur eine Dynamik der Standardisierung und Professionalisierung der Sportart hervor, sondern veränderte zugleich auch die Formen des Zuschauerverhaltens. Von einer gut besuchten, von Klassenkampf inspirierten Zuschaueratmosphäre, über eine geringere Anzahl von Zuschauern, die sich den Vereinen aus Leidenschaft zum Spiel verschrieben, hin zu der UltraBewegung und den Hooligans. Die Ultra-Bewegung entspringt den 60er Jahren in Italien, wo jugendliche Zuschauer begannen, zur Unterstützung ihrer Favoriten „Showeinlagen“ zu inszenieren und sich durch gesellschaftlich relevante Statements zu positionieren. In den 70/80er Jahren traten in Großbritannien die ersten Hooligans auf, welche sich bewusst mit Hooligans gegnerischer Mannschaften auf körperliche Auseinandersetzungen einließen. Dieses Phänomen trat auch in den 80er Jahren in Deutschland auf. Diese Zeit trug viel zum öffentlichen Image von Fußballfans bei und sie wurden als gesellschaftliches Problem erkannt. Mit Ende der 80er treten aber auch schon die ersten Ultra-Gruppierungen auf die Bühne und verdrängten vorhergehende Formen.
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In den späten 80er wurde auch die Ultra-Bewegung in anderen
Ländern aufgenommen und die Showeinlagen im Stadion bis heute weiterentwickelt. In Österreich findet sich die erste Ultra-Gruppierung mit den Ultras Rapid gegründet im Jahre 1988.6 Während durch die Hooligan-Kultur und einiger schrecklicher Ereignisse in englischen und kontinentaleuropäischen Stadien (z.b. Hillsborough Stadium in Sheffield am 15.04.1989 und Heysel Stadium in Brüssel am 29.05.1985) mit mehreren Toten die Wahrnehmung von Fußballereignissen und Fußballfans negativ konnotiert bestimmt ist, nimmt sich die Ultra4
Girtler, 1995, S. 104. Vgl. Langer, 2010, S. 39f. 6 Vgl. http://www.ultrasrapid.at/2013/06/15/25-jahre-ultras-rapid-feier/ [17.11.13] 5
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Kultur selbst als einen Lebensstil war, dessen Zentrum bestimmt wird durch semantische Konzepte wie „Tradition“ und „Anti-Kommerzialisierung“. Im Mittelpunkt von UltraGruppierungen steht die bedingungslos leidenschaftliche Hingabe bei der Unterstützung und immer stärker auch bei der Inszenierung der Unterstützung der eigenen Mannschaft. Bei manchen Ultra-Gruppierungen steht bereits die Inszenierung im Vordergrund. Dies scheint der kleinste gemeinsame Nenner von Ultra-Gruppierungen zu sein, denn „‚[d]ie ῾europäische’ Ultraszene gibt es nicht“7. Da, wie Pilz und Wölki-Schuhmacher auf die (europaweit) nicht vorhandene einheitliche Ultraszene aufmerksam machen, muss ein Teil meiner Studie die Fan-Situation bzw. ausformungen in Österreich berücksichtigen. Wenn man nicht von einer einheitlichen Szene ausgehen kann, darf man meinem Verständnis nach auch von nicht einheitlichen Fan„Identitäten“ ausgehen. Gruppen und Vergemeinschaftungen als emergente Ordnungen ergeben sich letztendlich zu einem Teil aus den einzelnen Persönlichkeiten und ihrem Beitrag zur Konstitution der Gruppe. Da es sich auch um eine eher fluide „Jugend“kultur8 handelt, die (noch) nicht die gleiche Kraft wie eine historisch gewachsene gesellschaftliche Institution besitzt, kann man auch davon ausgehen, dass der/die Einzelne noch mehr Freiheitsgrade in Bezug auf Gestaltung und Beeinflussung von Praktiken und Normen der jeweiligen Gruppe hat. Gleichzeitig gehe ich auch davon aus, dass dadurch eine gewisse Offenheit für den Einfluss anderer auftretender relevanter Themen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen erleichtert Eingang finden.
3.1 Wer sind die Fans, wenn man von Fanarbeit spricht? Es gibt verschiedene Versuche, Fußballfans in ihrer „Ausprägung“ zu kategorisieren.9 Eine Auseinadersetzung mit diesen Klassifikationen ist aber in der vorläufigen Phase noch nicht sinnvoll. Diese sind natürlich durch das jeweilige Interesse und den zeitlichen Kontext geprägt. In meiner Arbeit aber liegt das Interesse vorerst „nur“ auf den für die Akteure in Bezug auf die Fragestellung relevanten Fanformen.
7
Pilz/Wölki-Schuhmacher, 2010, S. Auf den Begriff Jugend und seine Undeutlichkeit gehe ich noch im Kapitel 3.2 ein. 9 z.B. Giulianotti (2002) und Heitmeyer in Langer, 2010, S. 36f. 8
8
Alle drei Interviewten unterscheiden die für ihre Aufgaben relevante Art von Fußballfans in fast deckungsgleichen Beschreibungen. Auf die Frage: „Wie würden Sie die Zuschauer bzw. Fans unterscheiden und welche Aspekte sind vor allem wichtig im Hinblick auf die Unterscheidung?“ bekam ich folgende Antworten:
Weber von Fanarbeit Innsbruck: „Das ist eine ganz schwierige Frage, weil man immer wieder versucht diese Unterscheidungen zu treffen. […] Prinzipiell treffe ich die Unterscheidung zwischen „aktiven Fans“, in dem Sinne aktiv, dass sie organisiert in Fanklubs regelmäßig bei den Spielen des Vereins da sind. Und „aktiv“ heißt, dass sie unterstützen, dass sie Fahnen, Choreographien, etc. verwenden, um ihre Unterstützung kund zu tun. So würde ich die aktive Fanszene einschätzen bzw. das ist die einzige Differenzierung für die Nord-Tribüne in Innsbruck, die man überhaupt treffen kann.“
Verein FC Wacker Innsbruck: „Im Heimstadion unterscheide ich zwischen Nordtribune, also organisierte Fanszene, großteils, da sind auch viele Personen dabei, die bei keinem Fanklub dabei sind aber trotzdem auf Grund der Stimmung oder weil sie vielleicht ein intensiverer Fans sind, als eben die auf Ost, West und teilweise Süden. Beiden denen eine Affinität zum Verein da ist, aber nicht diese tiefe, ganz stark emotionale Bindung wie auf der Nordtribüne. […]Auswärts, wenn man es so nennen kann, ist eher der „harte Kern“ der Nordtribüne. Die wirklich auch wenn wir drei Spiele verloren haben, trotzdem noch mit einem Bus auswärts zur Admira [Wacker Mödling] fahren. Da ist eben dieses Organisierte dahinter, die leben das Ganze intensiver.“
Gaßler von pro supporters: „Also für unsere Arbeit ist eigentlich die organisierte Fanszene relevant, sprich die Fans, die in der Kurve sind, die organisierten Fanclubs, die man auch als Teil einer Jugend- und Subkultur ansieht. Der einzelne Fan, der auf der Längstribune ist, nennen wir ihn Fan. Der normale Fan ist nicht relevant für die sozialpräventive Fanarbeit. Der organisierte Fan in der Kurve, wie zum Beispiel Ultras als Subkultur, und natürlich auch Hooligans sind unsere Zielgruppe.“
Das wichtigste Kriterium bei der Unterscheidung stellt das Engagement dar. Man spricht hierbei von einer „organisierten Fanszene“, welche eindeutig durch die Verwendung optischer Inszenierungsmittel der Ultra-Kultur zuzuordnen ist. Das Attribut zur spezifizierenden Kennzeichnung dieser Fanszene ist „aktiv“. Hinzu kommt noch die Kategorisierung dieser „organisierten aktiven Fanszene“ als Jugend- bzw. Subkultur. Diese Einordnung werde ich noch später noch genauer unter Punkt 3.3 behandeln, da m. E. hierbei eine gewisse Inkonsistenz bzw. Verallgemeinerung vorliegt, die ich in meinem Vorhaben nicht unreflektiert übernehmen kann.
Weiters findet sich auch das Phänomen des Hooliganismus in Österreich und stellt eine Zielgruppe dar. Diese scheint aber ein Randphänomen zu sein:
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„Man hat Hooligans eigentlich wenig organisiert als Gruppen auch aktiv und anerkannt in der Kurve. Das ist im Gesamten gesehen eine Minderheit und bei maximal 2-3 Vereinen relevant, vielleicht vier.“ (Gaßler von pro supporters) „Aber letztendlich gibt es in Österreich diese einschlägigen Hooligan-Gruppierungen so gut wie gar nicht mehr und dementsprechend ist es in Österreich zu subsumieren unter der Ultra-Bewegung.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck)
Anhand dieser Aussage muss ich jedoch ein wenig vorgreifen und darauf aufmerksam machen, dass eine gewisse Problematik bei der Unterscheidung von Fans im praktischen Geschehen für andere Akteure vorliegen kann. Wie ich noch bei den theoretischen Überlegungen einbringen werde, dass es verschiedene Entstehungsarten von Kriminalität gibt, tritt mit Hooligans das Problem auf, dass diese gewalttätige Auseinandersetzungen suchen, also bewusst strafrechtliche Delikte begehen, während Ultras unter Umständen gewaltbereit sind. Hierbei drängt sich z.B. die Frage auf, ob die Exekutivkräfte auch eine solche Unterscheidung von Fans vornehmen können. Die Sicherheitsbehörden (Exekutive) unterscheiden in erster Linie zwischen Fans der Kategorie „Non-Risk Fans“ und „Risk-Fans“. „Non-Risk Fans“ stellen dabei friedliche, also nicht-gewaltbereite Personen dar. „Risk Fans“ sind demnach logisch betrachtet der restliche Anteil im Stadion, also nicht-friedliche, gewaltbereite
Personen.10
M.
E.
eine
problematische
Herangehensweise,
da
die
Betrachtungweise tertium non datur keinen Unterschied zwischen Hooligan (Gewalt suchend) und „gewaltbereit“ (benötigt einen Auslöser) kennt.11 Dieser Dualismus stellt unter folgender Betrachtung ein noch viel schwerwiegenderes Problem dar. Auf die Frage, ob organisierte Fanszenen eine homogene Gruppe darstellen, bekam ich auch durchwegs die gleiche Antwort: „Das ist schwierig zu sagen. Es sind prinzipiell sehr heterogene Personen und Personengruppen in diesen Fanklubs drin. Also wirklich unterschiedliche Schichten, unterschiedliche Schicksale und unterschiedlichste Ausformungen von Verhalten. Was sie gemeinsam haben, ist diese Solidarität, also Gruppensolidarität.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck) I: […] Wie würden den Typus charakterisieren, der im Harten Kern dabei ist? Hauptsächlich männlich? V: Ja, das definitiv. „Das ist aber auch schon das Einzige, das man sagen kann. Das soziale Umfeld ist total unterschiedlich, auch die berufliche Ausbildung ist total unterschiedlich. Das geht vom Selbständigen bis zum Arbeitslosen, vom Rechtsanwalt bis zum Maurer. Da ist alles dabei. Sicher sind vielleicht white-collar worker, wenn man es so bezeichnen will, anteilsmäßig weniger vertreten, aber genauso vertreten. Da gibt es nichts ganz spezifisches für mich. (Verein FC Wacker Innsbruck) 10 11
Vgl. Mähr, 2012, S. 2f. So verweist ebenfalls Pilz (2006, S. 13f) darauf, dass Ultras keine Hooligans sind.
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„Den Ultra in Europa gibt es genau so wenig wie den Fußballfan in Europa. Also Ultras sind ein extrem heterogenes System, auch in einer Kurve mit verschiedenen Ultragruppierungen. Wenn ich jetzt nur den Wacker Innsbruck als Beispiel nehme, mit den Gruppen – Verrückte Köpfe, I Furiosi und Wacker Unser – und ich frage die einzelnen Mitglieder: „Was ist für dich Ultra?“, dann werden genau die Mitglieder von den drei Gruppen dir prinzipiell ganz andere Sachen erzählen, was für sie im Vordergrund steht. Aber auch innerhalb einer Gruppe werden ja nicht alle 50, 70, 20, oder wie viele sie auch immer sind, Leute das Gleiche sagen.“ (Gaßler von pro supporters)
Wie jedes andere gesellschaftliche Phänomen oder Subkultur wird auch die Ultra-Kultur nicht nur durch „ihre“ Selbstdarstellung wahrgenommen, sondern diese hängt auch von Zuschreibungen anderer gesellschaftlicher Akteure ab. Die Massenmedien, getrieben durch den inhärenten Zwang zur Produktion Aufmerksamkeit erregender Berichterstattung, und die Exekutive, mit ihrer eigenen Logik der Sicherheit erhaltenden Aufgabe, präg(t)en ein Bild von „den“ Fußballfans, auf die in Folge Fußballverbände und -vereine zur Wahrung ihrer Integrität innerhalb der Gesellschaft sich zum Teil nicht zu weit von der gleichen Sicht entfernen dürfen/durften. Als Folge werden Ultra-Gruppierungen sowie organisierte Fanklubs als eine homogene Masse begriffen, welcher der sportliche Aspekt rund um das Leder abhanden gekommen scheint. Weber von der Fanarbeit Innsbruck spricht hierbei von einer ambivalenten Beziehung. Einerseits ist es für Ultras wünschenswert, medial wahrgenommen und als eine kraftvolle Gruppe dargestellt zu werden, andererseits aber soll dies nicht einseitig geschehen. Auch Gaßler von pro supporters sieht die Ultras medial generell zu einseitig auf den Gewaltaspekt reduziert dargestellt.
3.2 Einbettung der Fans in theoretische Konstrukte Als Grundlage für die Einbettung der Fußballfans (speziell die Ultra-Bewegung) und ihrer Lage in der Gesellschaft dient die Individualisierungsthese in der Tradition von Ulrich Beck (1986). Die komplexe, pluralisierte und ausdifferenzierte postmoderne Gesellschaft entlässt das Individuum aus den alten Sicherheiten historischer Sozialformen, Normen und Handlungssystemen, um schließlich in die neuen gesellschaftlichen Anforderungen wieder integriert zu werden. Durch diese Freisetzung und somit zugleich steigenden Verantwortung der eigenen Handlungs- und somit Schicksalsautonomie werden neue Formen und Motive einzelner Vergesellschaftungsformen notwendig. M. a. W.: Anstatt von Stand, Klasse, Familie, Geschlecht und Nationalität in einer globalisierten, reflexiven Moderne werden neue Identifikationsressourcen und moralisch normative Handlungssysteme entworfen. Beck 11
spricht hierbei von der Risikogesellschaft, in der neue Anliegen wie ökologische Gefährdungen zu Motiven von Agglomerationen und in Folge gesellschaftliche Bewegungen werden bzw. neuen sozialen Institutionen. Einerseits schwindet dadurch die unanzweifelbare Entscheidungskompetenz der Institutionen wie der politischen Apparate, der wirtschaftlichen Märkte, usw., welche verstärkt um ihre Legitimation kämpfen müssen. Andererseits wird zunehmend die Glaubwürdigkeit des meritokratischen Prinzips der Gesellschaft durch die alten Ungleichheiten sozialer, kultureller und ökonomischer Kapitalien untergraben. Es entstehen neue „enttraditionalisierte“ Solidaritäten und Netzwerke. Die Verflüssigung der Sozialstruktur wirft die „… zentrale Frage […] der gesellschaftlichen Restrukturierung“12 auf. Poferl legt hierbei den Schwerpunkt auf die Individuen mit ihrem „Eigensinn“, die in Wechselwirkung mit Institutionalisierung und sozialer Praxis durch symbolische und diskursive Verfestigung neue kulturelle Semantiken und Bedeutungskomplexe hervorbringen. Diese abstrakte Konzeption des gesellschaftlichen Wandels kann aber nicht vollständig auf die mikrosoziologische Ebene herunter gebrochen werden. Speziell in der Erziehung durch die Familie und das Erziehungssystems werden traditionelle und sozialintegrative Normative weiter tradiert, wenn auch nicht mehr mit einem rigiden Verbindlichkeitscharakter. Speziell für viele Kinder und Jugendliche bietet sich die Situation, dass sie im Gegensatz zu traditionell vorhandenen normativen Statusrollen bzw. sozial institutionalisierten funktionalen Integrationsanforderungen die Potentialität der eigenen Gestaltung verbindlicher Regelungen und symbolischer Ausgestaltung innerhalb bestimmter Gruppen vorfinden, welche dadurch ein hohes Maß an Attraktivität besitzen13. Gebauer spricht hier speziell von popkulturellen Strömungen und der Fußballfanschaft. Hitzler und Niederbacher argumentieren ähnlich Gebauer, dass traditionelle Sozialisationsagenturen wie Kirche oder politische Organisationen und Familie zu einem Großteil nicht mehr als sinnstiftende Ressource ausreichen können. Stattdessen finden sie eine Überfülle an Wahlmöglichkeiten von Lebensstilformationen vor, welche wiederum an die komplexe Ausdifferenzierung der makrostrukturellen Entwicklung der Gesellschaft anschließt. Jugendliche bewegen sich nicht mehr im „eigenen“ Milieu und sehen sich zusehends von der komplexeren „Realität“ konfrontiert. „Sie nehmen […] woanders im sozialen Raum Kontakt auf, suchen Anschlüsse, gehen Beziehungen ein, schließen Freundschaften, finden sich zurecht, gewöhnen sich – und zwar mehr oder weniger an alles, außer daran, atomisiert, solitär, schlicht: einsam, insbesondere mental und emotional einsam zu sein“14. 12
Poferl, 2010, S. 296. Vgl. Gebauer, 2003, S. 100f. 14 Hitzler/Niederbacher, 2010, S.14. 13
12
Man kann an dieser Stelle bereits kritisch anmerken, dass der Massensport Fußball und seine Zuschauermassen weit länger Bestand haben und bei der nach wie vor hohen Popularität wahrscheinlich auch noch lange Zeit bestehen werden. Somit also nicht aus aktuellen Bedürfnissen entstanden und damit nicht mit dem Konzept der Individualisierungsthese vereinbar sind. Dagegen möchte ich anführen, dass zwar der Sport Fußball an sich sehr stark an Kontingenz abgenommen hat, das Phänomen Fußballfans jedoch um diese starre gesellschaftliche Struktur15 herum (wie in der Einleitung angesprochen) variiert. Man kann es als Gedankenspiel analog zu politischen Apparaten betrachten. Ein politischer Apparat stellt vereinfacht ausgedrückt das Machtmittel (Struktur) zur Ausgestaltung von kulturellen sowie normativen Grundlagen einer Gesellschaft dar. Er ist somit das (funktionale) Skelett, das mit Leben unterschiedlichster Art gefüllt werden kann. Der Sport Fußball ist ein solches Skelett, der von Fans in gewissem Maße nach ihren lebensweltlichen Bedürfnissen gefüllt werden kann. Ein weiterer wichtiger Gedanke dabei ist, dass eben dieses Ausgestalten den Interessen der jeweils Beteiligten innerhalb einer Fanszene entspringt bei gleichzeitiger Vorraussetzung nicht vorhandener gesellschaftlichen Restriktionen der Interessensartikulation. Ein Beispiel hierfür wäre eine stärkeres in den Fokus rücken von Homophobie im (Profi-)Fußball, wo Bewusstsein bildende Aktionen mittlerweile auch von Spitzenfunktionären der Deutschen Fußball-Bundesliga sowie einzelnen Ministern unterstützt und gefördert werden.16 Es hat sich auch bereits ein Netzwerk namens Queer Football Fanclubs gebildet, das aus 22 Fanklubs besteht
und
mit
zusammenarbeitet.17
anderen Wie
Zusammenschlüssen hier
gesellschaftliche
und
Verbänden
Entwicklungen
im
Profi-Fußball
und
Fanszene
zusammenhängen, leuchtet durch die einfache Frage ein, ob solche öffentlichen Einforderungen vor 30 Jahren denkbar gewesen wären. Dies sind nur einzelne Beispiele für Gesinnungsgemeinschaften, die sich unter dem Druck der Individualisierung neu konstituieren (können). Es ist hilfreich sich zu vergegenwärtigen, was nun so eine Gruppe oder Szene unter Berücksichtung einer angesprochenen drohenden Atomisierung und Verlust von integrativen Momenten bieten kann. Fanszene und innerhalb einer Fanszene ausdifferenzierte Gruppen heben sich von anderen ab. Sie tragen eindeutig zuordenbare Symbole auf Kleidungsstücken, schwenken „ihre“ Fahnen und singen „ihre“ Lieder. Girtler18 vergleicht sie aus funktionalistischer Perspektive mit archaischen Stämmen, deren Rituale und Fehden realer nicht seien könnten. Aber sie gleichen nicht Stämmen, die 15
Massensportereignisse finden sich in allen größeren Gesellschaften als (Sub-)Subsystem, ob politischer oder wirtschaftlicher Natur. 16 Exemplarisch: http://www.fussball-fuer-vielfalt.de/index.html [28.11.13] 17 http://www.queerfootballfanclubs.org/service/aktuelles/ 8 [28.11.13] 18 Vgl. Girtler (1995) und in Ehalt/Weiß (1993).
13
noch nicht den Prozess der Dezentralisierung eines Weltbildes19 durchgemacht haben, sondern man kann sie als Neo-Tribes betrachten, deren Existenz eine imaginäre, keine existenzielle ist. Auch wenn hierbei einzelne Individuen in ihrer Totalität aufgehen, gilt dies nicht für die ganze Gruppe oder Szene. Fußballfan ist man (in den meisten Fällen) in seiner Freizeit.20 Sie rekurrieren auf bestimmte Identitätsnarrative21 und befinden sich im Wettkampf mit anderen Fanklubs sowie „ihre“ Mannschaften im Wettbewerb stehen. Die lautstarke Inszenierung der Unterstützung durch sogenannte Schlachtgesänge sowie der Einsatz von Choreographien und Pyrotechnik in einer Menschenmasse von tausenden Personen wirken für Teilnehmende euphorisierend, für Außenstehende wahrscheinlich eher beängstigend. Dirigiert werden die Sprechchöre von den sogenannten Capos, die vor der Menge mit einem Megaphon diese anleiten, was wann zu singen ist. Es liegt auf der Hand, dass durch die Menge an Personen eine massive Einschränkung auf der kommunikativen Ebene vorliegt.22 M. E. interessant ist hierbei, ob eine solche hierarchische Funktion nicht auch stark durch natürliche Grenzen einer expressiv-funktionalen Methode einer Menge vorgegeben ist und weniger als ein intraorganisatorischer Machtkampf gesehen werden sollte. Genauso wie für mich fragwürdig ist, ob der primäre angestrebte Effekt von Mitgliedern dieser Fanszenen ein Aufgehen und sich selbst vergessen in der Masse bedeutet, oder nicht vielmehr als die Suche nach der Bestätigung ist, dass man als eigenes „Selbst“ durch eben die anderen „Selbste“ bestätigt wird.23 Natürlich kann man nicht außer Acht lassen, dass Emotionen eine bedeutende Rolle spielen. Fans sind „… Menschen, die längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/oder Geld investieren“.24 Aus soziologischer Perspektive bleibe ich auch auf der Betrachtungsebene von Fanstrukturen.25 Emotionen spielen nämlich auch bei der Selbstorganisation der Hierarchie zwischen und innerhalb von Fanklubs eine essentielle Rolle. Dies ist so zu verstehen, dass Fans analog zu ihrer Hingabe für ihren favorisierten Fußballklub gleichzeitig auch einen höheren Status innerhalb eines Fanklubs bzw. Fanszene einnehmen, da sie für ihr 19
Vgl. Habermas (2011). Vgl. Hitzler/Honer/Pfadenhauer, 2008, S. 11f. 21 M.E. hierbei sehr interessant, wie viele Fußballklubs sich selbst als Traditionsverein, Arbeiterverein, usw. bezeichnen und sich auf ihre Gründungsjahre beziehen, die mit der heutigen Situation von Spielern, Trainern, etc. nicht mehr viel zu tun haben. 22 Luhmann (2008) fasst es mit den einschränkenden drei kommunikativen Dimensionen: Sozial-, Sach- und Zeitdimension. 23 Vgl. Gebauer, 2012. 24 Roose/Schäfer/Schmidt-Lux, 2010, S.12. 25 Hierzu vgl. Schäfer in Roose/Schäfer/Schmidt-Lux, 2010. 20
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Engagement, ihr Wissen oder ihre Bekanntschaften an Autorität gewinnen, die nicht zwingend auf einem „erzwungenen“ Machtverhältnis basiert, sondern auch von den anderen sich unterordnenden Fans zugesprochen wird.26 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass eine Fanszene, die eher mit Gewalt assoziiert wird, augenscheinlich mehr nach dem meritokratischen Prinzip funktioniert, als die Gesellschaft selbst, in der sie sich befindet.
Der gesellschaftliche Wandel hat aber auch den Begriff der Jugend aufgeweicht. Einerseits verleitet der Begriff zu einem Kollektivverständnis, welcher keine homogene Gruppe bezeichnet. Andererseits hat sich die Phase der Adoleszenz stark verändert. „Kindheit, Jugend und Erwachsensein werden als Phasen durchlässiger, aber auch fragiler, gehen zuweilen ineinander über und vermischen sich auf paradoxe Weise“.27 Kinder reifen körperlich früher, denken früher reflexiv, die Zeit der Jugend wird durch gesteigerte Ausbildungszeiten und häufigeren Phasen von Arbeitslosigkeit zu einem offenen Lebensbereich. Traditionelle Reifungsschritte schwinden und der vollreife Erwachsenenstatus wird zu einem fließenden Übergang. Es wird auch davon gesprochen, dass die Jugendphase dadurch bis zu 15 Jahre andauert. Interessant ist auch die Beobachtung, dass die Jugendphase andererseits mittlerweile so stark idealisiert ist, dass manche gar nicht mehr „erwachsen“ werden wollen.28 Mit King29 lässt es sich m. E. letztlich auf den handhabbaren Punkt bringen, dass die Dezentrierung vom kindlichen Ich durch den auferlegten Prozess der Autonomisierung zwangsläufig eine risikoreiche „Selbstfindung“ darstellt. Hierbei ausschlaggebend ist, welche Form des „sicheren Hafens“ sich in Reichweite befindet. Aber es bedeutet auch, dass gerade das Loslassen konventioneller Sicherheiten erst die erwünschte Form der Unabhängigkeit (das eigene Wertesystem) ermöglicht. Wenn man annimmt, dass Ultra-Gruppierungen diese Unabhängigkeit bieten, wäre sie auch als Übergangsphase hin zu neuen, wertvolleren Aspekten eines Wertesystems verständlich. Denn offensichtlich nimmt i. d. R. die Wichtigkeit einer Ultra-Gruppe für ihre Mitglieder mit dem Alter ab.30
Einen weiteren wichtigen Analyseansatz bieten Theorien über Jugendkriminalität. Der Subkulturansatz hierbei stützt sich auf die Pluralisierung und Heterogenität von Lebensweisen als grundlegendes Merkmal moderner Gesellschaften. Hierbei wird Delinquenz durch Rekurs
26
So beschreibt auch Pilz et al. (2006, S. 94f) das herauskristallisieren der Hierarchie in einer Ultra-Gruppe durch langfristiges Engagement. 27 Ferchhoff, 2007, S.101 f. 28 Vgl. Langer, 2010, S.11ff. 29 Vgl. King, 2013, S. 105. 30 Vgl. Pilz et al., 2006, 77f.
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auf divergierende Norm- und Wertbezüge in komplexen Gesellschaften erklärt, worin sich ein starkes, konflikttheoretisches Moment findet. Ein zentraler Angelpunkt hierbei ist die Frage nach Macht und Durchsetzungsfähigkeit auf beiden Seiten – Subkultur vs. Leitkultur.
31
Hierbei muss man aber beachten, dass die Subkultur-Theorien aus der Beforschung von kriminellen Jugendlichen und Gangs herausentwickelten wurden.32 Auch wenn die von F.M. Thrasher angeführten Merkmale von Gangs33 großteils den Merkmalen von UltraGruppierungen ähneln bzw. gleichen, stellt sich für mich die Frage, ob es sich nicht um eine „Teilzeit-Subkultur“ handelt. Auch bleibt die Frage der Leitkultur eine schwierig zu beantwortende. Ein für mich wesentlicher Zweifel an der Anwendung der Subkulturtheorie (im Allgemeinen) lässt sich durch einen wesentlichen Kritikpunkt von Lamnek34 ausdrücken. Warum werden nicht alle, die sich in der gleichen Lage (meinen Ausgangspunkt habe ich bereits dargelegt – darunter fiele dann eine sehr hohe Anzahl) befinden, zu (gewaltbereiten) Fußballfans? Und führen die meisten nicht doch ein „anderes“ Leben nebenbei, dass auf ökonomische Selbstbestimmung drängt? Meinem (aktuellen) Verständnis nach würde die von mir getroffene Bezeichnung „TeilzeitSubkultur“ sich einerseits durch Schütz´ Verständnis der Ekstase35 und andererseits mit der Neutralisierungsthese von Sykes/Matza36 verständlicher machen. Wenn wir mit Schütz von einer Lebenswelt des Alltags ausgehen, so finden sich verschiedene Realitätsbereiche mit geschlossenen Sinnstrukturen. Nun können sich Menschen unbewusst und auch bewusst in andere Wirklichkeitsbereiche „hineinbewegen“, also den Bereich der täglichen Aufmerksamkeit verlassen. Hierbei ist auch wichtig zu betonen, dass die Erfahrungen
im
bewusst
gewählten
Wirklichkeitsbereich
einen
permanenten
Wirklichkeitsakzent beibehalten, auch wenn dieser wieder verlassen wird. Sykes und Matza gehen aufgrund empirischer Beobachtungen davon aus, dass (jugendliche) Straftäter nicht zwingend nur nach Wertesystemen jeweiliger „Subkulturen“ Handlungen beurteilen, sondern auch Normen von Leitkulturen als positiv bewerten. Vereinfacht dargestellt kommen sie zu dem Schluss, das Delinquenz keine Verhaltensform an sich ist, sondern auch Schuld bei Fehlverhalten eingestanden wird. Somit werden kriminelle Handlungen im Kontext beurteilt. Handlungen werden z.B. als illegitim aber nicht als unmoralisch angesehen. Oder die Opfer einer Tat als eigentliche Täter.
31
Vgl. Dollinger/Schabdach, 2013, Kapitel 3. Vgl. Lamnek, 1999, S. 142ff. 33 Vgl. ebenda S. 146f. 34 Vgl. ebenda S. 253. 35 Vgl. Schütz/Luckmann, 2003, S. 622ff. 36 Vgl. Lamnek, 1999, S.212ff. 32
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Wenn wir uns nun Schütz´ „Grenzgänger“ in Kombination mit der angeführten Neutralisierungsthese vergegenwärtigen, lassen sich die „Spielregeln“ der Ultras und der Umgang mit denen, die diese nicht akzeptieren, einigermaßen gut nachvollziehen.37 Ein weiterer fruchtbarer Ansatz zum Verständnis des Verhältnisses zwischen organisierten Fanszenen bzw. Ultras und anderen Akteuren bietet der Etikketierungsansatz (Labeling approach)38. Hierbei interessiert, wer über die Macht verfügt, Handlungen für alle Anderen Mitbürger_innen verbindlich als kriminell einzustufen. In der Konsequenz entsteht der wesentliche Punkt der sekundären Devianz. Die primäre Devianz ist die kriminelle Handlung an sich. Die sekundäre Devianz bezeichnet den Prozess der Internalisierung der anlassgebenden Handlung als eine Charaktereigenschaft. Als Folge wird die zugeschrieben Rolle als kriminelle Person übernommen (in dem Sinne „Wir werden nie so sein, wie ihr uns wollt“). Anders formuliert könnte man sagen, dass auf Grund von einzelnen gewaltbereiten Fans von Massenmedien und der Exekutive ein allgemein negatives Bild von Fußballfans in der Öffentlichkeit produziert wird. Mit diesem Bild begegnet die Exekutive den Fußballfans, welche sich durch diese Form der Stigmatisierung in der sekundären Devianz zum Teil die zugeschriebenen Eigenschaften aneignen und ein „Teufelskreis“ beginnt. Ich wollte in diesem Kapitel mich noch eingehender mit den Begriffen Subkultur und Szene auseinandersetzen, muss dies aber aus der Einsicht, bei weitem nicht über theoretische Sensibilität zu verfügen, auf einen späteren Zeitpunkt der Forschung verlegen.
4. Ergebnisse Die Ergebnisse werde ich anhand des Paradigmatischen Modells der GT darstellen. Dieses befindet sich im Anhang unter Graphik 1. Es stellt ein Grundgerüst zur Darstellung der Forschungsergebnisse dar. Da die GT sich als eine qualitative Methode versteht, die den Prozesscharakter eines Phänomens versucht zu verstehen und wiederzugeben, finden sich auch weiter ausdifferenzierte methodische Schritte von sogenannten Kodierfamilien und Typologisierungen von den Begründern der Methode sowie von anderen Forschenden.39 Ich möchte aber hier noch einmal darauf verweisen, dass es sich bei meiner Arbeit hier um das Anfangsstadium einer qualitativen Erforschung des 37
M. E. auch ein geeigneter Zugang, wenn man wie Sülzle (2011, S. 348) von einer karnevalesken Sonderwelt spricht. 38 Vgl. Eifler, 2002, S. 47f. 39 Vgl. Breuer, 2010, S. 85ff.
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Phänomens Kriminalität bei Spielereignissen im Fußballfankontext handelt (mit eben dem Einfluss von Fanprojekten und anderen Akteuren). Aufgrund dessen (das Datenvolumen ist noch sehr gering) sehe ich es für sinnvoll an, bei der folgenden Darstellung der vorläufigen Ergebnisse zu bleiben. Das Paradigmatische Modell besteht aus den Teilen Ursächliche Bedingung, Intervenierende Bedingungen, Kontext, Phänomen (Kernkategorie), Handlungsstrategien und Konsequenzen. Ich werde im Folgenden der Verständlichkeit und Lesbarkeit wegen die Kategorien der Reihe nach behandeln sowie zugleich meine Ergebnisse zu diesen darlegen. Am Ende der Ergebnispräsentation werde ich das einzeln Erwähnte noch mal als einen durchgehenden Faden zusammenfassen.
Ursächliche Bedingungen: Ursächliche Bedingungen stellen, wie die Bezeichnung andeutet, grundlegende Ereignisse oder Handlungen dar, die zum festgemachten Phänomen führen. Da es sich hierbei um kriminelle Handlungen handelt, wird es ausgesprochen schwierig (abgesehen von der begrenzten „Entdeckungsmöglichkeit“ kausaler Beziehungen in zwischenmenschlichen Angelegenheiten), angeben zu wollen, wann der Keim einer Handlung gelegt wurde. Speziell für (jugendliche) Fußballfans ergibt sich die Problematik, dass man nicht im Stadion geboren wird und vom Stadion sozialisiert, um es zynisch zu formulieren, sondern dass Menschen im Kontext der Primär- und Sekundärsozialisation beeinflusst werden. Man kann sich also gleich zu Beginn fragen, ob ein deviantes Verhalten bereits vor einer Fanschaft erlernt wurde oder ob erst bestimmte Kräfte innerhalb einer Gruppe (Fanklub) Individuen dazu bewegen können. Hinzu kommt das Problem des körperlichen und somit psychischen Reifungsprozesses, der entlang einer Fanbiographie seine Einflüsse zeitigt. Man bedenke z.B., dass die absolute Majorität der Fußballfans der organisierten Fanszene jung und männlich ist. Oder auch das Fußballstadion ein geeigneter Raum für (jugendliche) Fans ist (die Masse an Menschen und das Prinzip des Wettbewerbs), um denkbare Frustrationen abbauen zu können. Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass man unbedingt bedenken muss, dass Individuen im Fußballkontext als Persönlichkeiten sehr heterogene Ausprägungen annehmen und Einflüsse verschiedenster Natur hier zusammen treffen können. Ich werde diese Überlegungen später noch versuchen zu integrieren. Um momentan mit dieser enorm komplexen Problematik umgehen zu können, beschränke ich mich für die Ursächliche Bedingung auf den Ultra-Stil an sich (ohne hierbei die zeitliche
18
Entwicklung von Gesetzeslagen in Bezug auf den rechtlichen Bereich „Sportereignisse“ einzugehen). Für die Ultras war seit Beginn an ihre Inszenierung und somit die Verwendung von Pyrotechnik die Essenz ihrer Existenz. Und natürlich die „Feindschaft“ zu rivalisierenden Ultra-Gruppen. Diese Feindschaft zeichnet sich nun durch bestimmte „Spielregeln“ aus. Es darf beleidigt werden und man steht im Wettstreit um die aufwendigere Inszenierung und langatmigere Unterstützung. Die wichtigste Spielregel unter meiner Betrachtung nun ist aber folgende: Wenn einer Ultra-Gruppe ihr „Fetzen“ (so wird die gruppeneigene Fahne in Österreich bezeichnet) von irgendjemanden gestohlen wird, so muss sich diese Ultra-Gruppe auflösen. „Das ungeschriebene Gesetz ist, wenn ich meinen Fetzen, mein Transparent verliere, muss ich mich auflösen. Und es ist jetzt egal, ob der neu ist oder ob der 20 Jahre alt ist. Das ist das Transparent bei dem Spiel von meiner Gruppe und kommt es mir abhanden, egal ob es der Polizist herunter reißt oder der Ordner oder eine andere Gruppe, dann wird ein Großteil von Ultra-Gruppierungen mit Gewalt versuchen, dies zu verhindern.“ (Gaßler von pro supporters)
Hier sehen wir auch bereits, welche Handlungskonsequenzen mit dem Verlust des eigenen Fetzens einhergehen. Um den Verlust zu verhindern, kommt es bei Bedarf zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob es einen denkbaren Fall ohne den Einsatz von Gewalt geben kann. Hierbei ist noch wichtig zu betonen, dass es keinen Unterschied macht, welcher Akteur nun versucht den Fetzen einer Ultra-Gruppe dieser wegzunehmen. Der normative Zwang, der sich aus der bedrohten Existenz ergibt, also die Sicherung des eigenen Fetzens, steht für Ultras über den staatlichen Gesetzen. Als zweiten offensichtlichen Aspekt der Ultra-Kultur, der seiner Natur nach sehr einfach zu einem Strafbestand wird, ist die Pyrotechnik. Kennzeichnend für die Ultra-Kultur sind ja: „Optische Elemente und der Vorsänger mit Megaphon ist ein klassisches Beispiel. Choreographien natürlich auch. Pyroaffin, Rauchbomben, Bengalische Feuer, die man gerne verwendet, […]“. (Gaßler von pro supporters) „Ein Ultra ist grundsätzlich darum bestrebt, […] und seinen Verein immer und dauernd zu supporten und mit großen Choreographien usw. emotional noch tiefgehender zu unterstützen“. (Verein FC Wacker Innsbruck)
Pyrotechnische Gegenstände erhalten natürlich ihre Wertigkeit aus der Perspektive der Akteure. Während sie für Ultras zu ihrer Inszenierung dazu gehören, stellen sie für Andere gefährliche Gegenstände dar, die die körperliche Unversehrtheit Dritter stark gefährdet. 19
Bengalfackeln z.B. erreichen extrem hohe Temperaturen und sind nicht mit herkömmlichen Löschmitteln zu löschen. Oder Knallkörper („Böller“) können sehr hohe Schalldrücke entwickeln, die zu (bleibenden) Gehörschäden führen können.
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2012 ereignete sich sogar
ein Vorfall, bei dem ein Polizist durch Feuerwerkskörper beim Spiel Red Bull Salzburg gegen FC Wacker Innsbruck schwere Verbrennungen erlitt.41 Pyrotechnik kann somit beabsichtigt aber auch unbeabsichtigt (z.B. beim unkontrollierten Abbrennen innerhalb einer Menge auf der Tribüne) die Sicherheit Einzelner stark einschränken. Das Pyrotechnikgesetz42 von 2010, welches unter die Zuständigkeit der (jeweiligen) Sicherheitsbehörden fällt, sieht mittlerweile für Fußballspiele (Sportereignisse) unter anderem folgende Einschränkungen vor: -
Bereits die Mitführung von pyrotechnischen Gegenständen im zeitlichen, örtlichen oder sachlichem Zusammenhang ist verboten.
-
Bei Verdacht erhält die Polizei Durchsuchungsrecht (z.B. bereits in anreißenden Fanbußen).
-
Bei Missachtung angedrohte Verwaltungsstrafen bis zu 4.360€.
Um dieser immer restriktiveren Umgangsweise der Sicherheitsbehörde entgegenzuwirken, kam es zu einem Zusammenschluss von Fußballfans verschiedener Fußballvereine, der „Pyrotechnik ist kein Verbrechen!“ genannt wurde. Auf diesen werde ich aber erst bei den Konsequenzen eingehen. Auch wurde noch genannt, dass Ultras aus ihrem Selbstverständnis heraus gegen „Alles“ und vor allem den Exekutivkräften als Repräsentant_innen des Staates und damit des vorherrschenden „Systems“ bzw. der gesellschaftlichen Leitkultur eine stark abneigende Haltung entgegenbringen. „Einerseits prinzipiell die Gesellschaftskritik und das kritische Auseinandersetzen mit gegebenen Ordnungsstrukturen, was natürlich eine jugendliche Subkultur auszeichnet. Das heißt, Kritik an den bestehenden Strukturen ist eines der Lebenselixiere von Protestkulturen, wenn man das so sagen will.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck) „Der Ultra generell aus seinem Verständnis, da er von einer Subkultur oder einer Gegenkultur kommt, hat natürlich eine kritische Grundhaltung gegen Alles, was sich so abspielt. Vor allem eine kritische Haltung gegen den sogenannten modernen Fußball, der alle Elemente der Kommerzialisierung beinhaltet. Natürlich in den meisten Fällen ein distanziertes Verhältnis zu einem Spieler, vor allem in größeren 40
Vgl. http://www.bmi.gv.at/cms/BK/presse/files/Pressemappe_Pyrotechnik_2012.pdf [20.11.13] Vgl. http://derstandard.at/1333528649669/Ausschreitungen-Schwer-verletzter-Polizist-in-Salzburg [20.11.13] 42 http://www.oefb.at/_uploads/_elements/48446_INFORMATIONSBLATT%20ZUM%20NEUEN%20PYROT ECHNIKGESETZ.pdf [20.11.13] 41
20
Fußballnationen. Am kritischsten vielleicht gegen Spieler, am kritischsten gegen die Vermarktung des Spiels, vor allem gegen Fernsehstationen und Medien.“ (Gaßler von pro supporters)
Wie bereits erwähnt, ist die Ultra-Kultur in den 1960er Jahren in Italien aus einer gesellschaftskritischen Haltung heraus entstanden. Diese Tradition wird beispielhaft von zwei Interviewten als weiter bestehend bestätigt. Dem gegenüber bleibe ich aber vorerst etwas skeptisch.43 Man müsste sich auch hierzu ins Feld begeben und zusätzlich die von Fans publizierten Fanzines, Internetplattformen und sozialen Medien einer inhaltlichen Analyse unterziehen. Zusammenfassend lässt sich für Ursächliche Bedingungen ausmachen, dass die informellen Wettkampfregeln sowie bestimmte Mittel der Inszenierung als unabdingbar, aber auch mit dem Gesetz schwer vereinbar sind.
Intervenierende Bedingungen: Als intervenierende Bedingungen bezeichne ich bei meiner Untersuchung die individuellen Bedürfnisse, die Einzelne in die Fanszene hineintragen, welche sich aus gesellschaftlichen Anforderungen ergeben.
Geschlechtliches Selbstbild Sülzle führt an, das Fußball nach wie vor einen männlichen Raum darstellt, der eine komplexe Hierarchie von Männlichkeiten beinhaltet. Hier werden klassische zugeschriebene Werte von Männlichkeit wie Direktheit, Härte und Standfestigkeit betont. Der kameradschaftliche sowie körperliche Umgang werden hier vollends ausgelebt und zelebriert. Aber auch eigentlich feminine Eigenschaften wie Emotionalität, irrationales Handeln und sogar öffentliches Weinen finden sich in starker Ausprägung. Die Hierarchieebenen der Männlichkeit etablieren sich einerseits untereinander, ausgetragen in wettkampfartigen Spielen, andererseits gegenüber Frauen durch den Besitzanspruch, dass Fußball männlich sei. Hinzu kommt, dass Männer prinzipiell höhere Wertigkeit zugeschrieben bekommen als Frauen.44 Durch die Darstellung vor allem der Stärke des Körpers45 auf der Tri-„Bühne“ bietet sich für heranwachsende Jugendliche die Gelegenheit, ihre eigene Körperlichkeit und somit ihre
43
Vgl. Kap. 3.3. Vgl. Sülzle, S. 348ff. 45 Z.B. im Winter mit nacktem Oberkörper tanzen, vgl. Pilz et al., 2006, S. 103. 44
21
Geschlechterbedeutung auszuprobieren.46 Oder wie es Weber von Fanarbeit Innsbruck auf den Punkt bringt: „῾Junger Mann’ heißt fü r mich im Alter von 15 bis 20, wo man sein Männlichkeitsbild findet oder finden sollte. Und wie gesagt, ein 15-Jähriger definiert sich schon sehr über körperliche Attribute, über Stärke und wenn man da bei einer Gruppe, einer Gang oder Bande, wie man es auch immer auch nennen will, es unterscheidet sich ja nicht großartig zu anderen Gruppen, dabei ist und medial gefürchtet wird, dann ist das natürlich etwas ganz Tolles.“
Hier
sehen
wir
auch,
auf
welche
Weise
die
Konfrontation
und
körperliche
Auseinandersetzung (unter Berücksichtigung der erlaubten Emotionalität im Stadion) mit anderen „Männern“ [oder den soldatisch gekleideten (Einsatzeinheiten) Exekutivkräften] als Ressource zum Aufbau der Männlichkeit dienen kann.
Informelle
Gruppen
wie
Cliquen
bieten
Jugendlichen
Freiräume
für
ihre
Emanzipationsbestrebungen und somit einen Freiraum, um der „Erwachsenenwelt“ zu entkommen. Es finden sich genügend Gesprächspartner_innen für Themen, die woanders nicht angesprochen werden können. Man begegnet sich auf Augenhöhe und kann aufgrund loser entstehender Beziehungen ein Vertrauen erwarten, dass durch ungleiche hierarchische Positionen nicht gegeben ist.47 Sie bieten Aussichten auf Freundschaften, die ein natürliches Bedürfnis der Menschen sind und vor allem bei Kindern und Jugendlichen ausgeprägt ist.48 Welches soziales Feld außer der Fußball als hegemoniale Sportkultur zeigt sich hierfür naheliegender? Die meisten Jungen kennen Fußball und spielen selbst in ihrer Freizeit (nichts leichter als einen Ball und zwei Dosen als Torstangen zu besorgen). Sie wachsen also damit auf und in vielen Fällen finden sich Verwandte, die mit ihnen zu einem Fußballspiel in das Stadion gehen. Als Jugendliche, also körperlich und geistig reif genug, können sie dann selbst die Pforten zum Stadion öffnen, machen dies wahrscheinlich mit bereits befreundeten Schulkolleg(_innen) und finden leicht unter vielen Gleichaltrigen neue Bekanntschaften.
Kontext: Der Kontext eines Phänomens bezeichnet diejenigen Umstände, welche es in gewisser Weise zeitlich und/oder in der Intensität verstärken bzw. abschwächen. Als ersten (und wahrscheinlich wesentlichen) Punkt möchte ich das Verhältnis zu den anderen Akteuren behandeln. Fans stehen aus verschiedenen Gründen zu verschiedenen Akteuren in bestimmten Verhältnissen. 46
Vgl. King, 2013, S. 183f, zur Verflechtung von Körperbedeutung und Geschlechterbedeutung. Vgl. Scherr in Harring et al., 2010, S. 77ff. 48 Vgl. Rohlfs in ebenda, S. 60. 47
22
Der Verein (Vorstand, Geschäftsstelle) ihrer favorisierten Mannschaft lenkt den Erfolg der Mannschaft maßgeblich mit. Er verpflichtet Spieler und Trainer, akquiriert Sponsoren und auch er verhält sich in gewisser Weise gegenüber den organisierten Fanklubs. Beim FC Wacker Innsbruck stellt sich das Verhältnis als ein gutes dar. „Dem Verein gegenüber in Innsbruck ist die ultra-orientierte Fanszene relativ wohl gesonnen. Das aber nur deswegen, weil in Innsbruck ein sehr gutes Verhältnis zwischen Verein und Fanszene besteht. Das heißt, es wird sehr respektvoll miteinander umgegangen. Das war nicht immer so. Vor allem in den 90er Jahren war der Verein sehr wohl ein zu hinterfragendes Konstrukt in diesem ganzen Gebilde Zuschauerfußball. Der Verein wurde auch sehr oft kritisiert. Das hat sich mittlerweile in Innsbruck, Gott sei Dank, etwas geändert. Das hat eigentlich mit den handelnden Personen über die Jahrzehnte zu tun.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck)
Hier sehen wir bereits, dass ein „respektvolles“ Behandeln der Fanszene durch den Verein eine wesentliche Rolle bei der Konstitution des Verhältnisses zwischen diesen spielt. Respektvoll soll hier bedeuten, dass Anliegen und Bedürfnisse der Fanszene angehört und wenn möglich auch umgesetzt werden.49 Aber auch, dass Handlungen und Entscheidungen einzelner Personen einen substanziellen Einfluss auf das Verhältnis ausübt (dazu noch später). „In den großen Ultraländern auch sehr kritisch gegenüber dem Verein, sehr distanziert. Und gerade in diesem Punkt glaube ich, dass es in Österreich anders ist, verschiedenartig läuft, weil die Ultragruppen sehr alt sind, sehr erfahren, sehr reif und sehr viele Pleiten im Österreichischen Fußball mit ihren Vereinen schon miterlebt haben und damit wissen, es kann relativ schnell sein, [dass z.B. ein Verein nicht mehr in der Bundesliga spielt – Eigene Anmerkung].“ (Gaßler von pro supporters)
Dies ist ein für die weitere Forschung auch ein sehr interessanter Punkt. Ein Vergleich zu den Fanszenen in Deutschland würde wahrscheinlich ein Kontinuum aufzeigen lassen, wie wichtig die Stabilität und Kontinuität der Kategorie Sportlicher Erfolg des Vereins sich auf das Verhalten der organisierten Fanszene auswirkt. Den an den Protesten der Fanszene von SK Rapid Sturm im Jahr 2011 lässt sich leicht erkennen, wie die Schuldzuschreibung an den Verein für den sportlichen Erfolg, hier eben Misserfolg, zu einem anderen Verhältnis und in Folge zu einem anderen Handeln der Fanszene führt.50 Bei SK Rapid Wien jedoch handelt es sich um einen österreichischen Spitzenverein, der, überspitzt formuliert, nichts anderes kennt, als immer in der obersten Liga zu spielen.
49
Hierunter zu verstehen sind Anliegen wie Stehplätze, Mitgestaltung von Trikots-Designs der Spieler, zusätzliche Verwendung von Pyrotechnik als Ausnahmefälle, Freiräume wie am Zaunsitzen, etc. 50 Vgl. http://diepresse.com/home/sport/fussball/664193/Platzsturm_Wiener-FussballDerby-abgebrochen [21.11.13]
23
Ultra-Gruppierungen sehen sich selbst als „Freund und Helfer“ ihrer Mannschaft [der abstrakten Personifizierung der Vereinstradition (Image) – der Verein stellt einen eigenen Akteur
dar)
und
dementsprechend
fordern
sie
auch
unter
Umständen
für
Vereinsentscheidungen ein Mitspracherecht ein.51 Die interviewte Person vom FC Wacker Innsbruck brachte „seine“ Vereinssicht zum Thema Mitspracherecht der Fans bei Vereinsangelegenheiten allgemein auf den Punkt: „Es ist alles ein wenig anonymer geworden, was manchmal ein Vorteil und manchmal ein Nachteil ist. Ich denke, dass eine intensive Beziehung zwischen Vereinsverantwortlichen und Fans auch nicht immer förderlich ist. Zwar in der Sache „Arbeit mit den Fans“, aber in vielen anderen Dingen, wenn es dann darum geht, dass die Fans oder die Mitglieder in Bereichen mitreden wollen, weil man sehr nahe an Ihnen ist, wo sie, das muss man ganz klar sagen, keine Ahnung haben, dann wird es problematisch. Und deswegen ist es so gesehen ein Vorteil, wenn eine gewisse Distanz da ist.“ (Verein FC Wacker Innsbruck)
Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass das Verhältnis zwischen Fanszene und Verein abhängt
von
der
Beachtung
von
Fanszene-Forderungen,
von
Handlungen
und
Entscheidungen einzelner Personen, dem Sportlichen Erfolg des Vereins sowie vom Mitspracherecht der Fans bei Vereinsangelegenheiten.
Die Exekutivkräfte stellen einen „Gegner“ dar: „Also wenn man von meiner Zielgruppe, den ultraorientierten Fanklubs, ausgeht, dann ganz klar kritisch bis negativ bis feindlich gesinnt. Die Polizei ist ein klares Feindbild. Die Polizei schränkt die persönliche Freiheit ein und die Polizei handelt ungerecht. Die Polizei ist einer der Feinde der Ultra-Subkultur und als solches wird sie auch klar gesehen, betitelt und zum Teil bekämpft.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck) „Auch sehr kritisch und distanziert gegenüber Polizei, soweit reichend, dass man sagt, mit der Polizei, ob Zivilpolizei oder andere Polizei, redet man nicht.“ (Gaßler von pro supporters)
Alleine an diesen Aussagen merkt man bereits, wie sich das Verhältnis von Fans gegenüber den Exekutivkräften darstellt. Auch wenn die Exekutive strukturell bedingt askriptiv als „nicht freundlich gesinnt“ attribuiert wird, spielt jedoch auch die historische Genese des Verhältnisses zueinander durch das Handeln beider Parteien eine wesentliche Rolle. Dies lässt sich durch folgende Aussagen verdeutlichen: „Dann kommt einfach dieser zunehmende repressive ordnungspolitische Auftrag hinzu, der vor allem im Fußballumfeld ganz sichtbar wird. Das heißt, im 51
Sehr illustrativ z.B. die pamphlemartige Stellungnahme der Ultras Rapid vom Juli 2013 an den Vorstand gerichtet: http://www.ultrasrapid.at/2013/07/07/aussendung-zur-neuen-saison/ [21.11.13]
24
Fußballumfeld ist dermaßen viel an Überwachungsund Einschüchterungsmethodik dabei, dass man sagen muss, Polizei im Fußballumfeld wird ganz anders wahr genommen als Polizei im normalen Alltag. Das kann sich auch jemand, der nicht zum Fußball geht, nur schwer vorstellen, wie dort die Polizei auftritt und wie sie im normalen Alltag auftritt. Das sind zwei ganz verschiedene Welten. Das wird dann auch als Einschränkung begriffen und zum Teil werden auch Überschreitungen der Polizei wahrgenommen. Das heißt, besonders brutales Vorgehen und Missbrauch der eigenen Staatsgewalt. Und das sind dann Dinge, die die Fans natürlich als Thema aufgreifen und sich ungerecht behandelt fühlen und somit untereinander große Solidarität besteht. Dann schafft man genau dieses Gruppengefüge „Wir und die Anderen“ und die Polizei ist mittlerweile eine Gruppe in diesem ganzen Fußballumfeld. Das heißt, es gibt die gegnerischen Fangruppen, es gibt die Polizei und dann gibt es die eigene Gruppe. Und das ist nicht, aus meiner Sicht, Sinn und Zweck der Sache. Aber mittlerweile wird die Polizei als feindliche Gruppe gesehen und dementsprechend gibt es immer wieder Auseinandersetzungen mit der Exekutive.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck) „Viele Ultra-Gruppen haben negative Erfahrungen gemacht. Es gibt oft willkürliche Verhaftungen und es gibt oft willkürliche Strafen. Man darf nicht vergessen, dass viele gerechtfertigt sind, aber es sind viele Vorfälle passiert, dass sich, so sagt man auch in der Literatur, die Polizei als der Dritte Rivale darstellt. Die erste UltraGruppe, die zweite Ultra-Gruppe und die Polizei. Als Mob auch gekennzeichnet, auch in seinem Dresscode, auch in seinem Gebaren und auch organisiert. Die Polizei ist der dritte Mob und hat sich in den letzten Jahren als Feindbild herauskristallisiert. Das ist jetzt allgemein gesprochen.“ (Gaßler von pro supporters)
Hier findet sich wieder das Einfordern des Rechtes auf respektvolle Behandlung, nur in einem anderen Gewande. Von Seiten der Fans wahrgenommene ungerechtfertigte Handlungen der Exekutive verstärken die Aversion gegenüber dieser. Hinzu kommt das verstärkte dominante und einschüchternde Auftreten den Exekutivkräfte in ihrer Wirkung. Dies kann sich steigern bis zu folgenden Einstellungen: „Aus meiner Sicht, so wie erzählt, werden dann auch schwere Körperverletzungen abgetan als, „Ist ja eh nur ein Polizist“. Es wird wirklich ein Feindbild aufgebaut und wenn ein Feinbild unreflektiert besteht, wird es sehr gefährlich. […] Man merkt eben diese zunehmende Solidarisierung auch gegenüber tatsächlichen Straftätern. Es wird zunehmend undifferenzierter. Also, „Polizei ist Polizei und wenn da jemand verletzt wird, ist es scheiß egal, sind eh nur Bullen“. Und im Umkehrschluss kann man das bei der Polizei ähnlich sehen: „Mein Gott, sind eh nur Fußballfans, gehen wir drauf“. Ich glaube, dass beide Seiten sich in einer komischen Auseinandersetzung befinden. In Deutschland ist das noch viel eher sichtbar, weil es da wirklich an Tagesordnung ist. Gott sei Dank in Österreich noch nicht. Aber die Polizei scheint wirklich ein Mitspieler in diesem ganzen Gewerk geworden zu sein, anstatt eine äußere Instanz zu sein und das ist sehr problematisch. Und die Fans, die sich zunehmend solidarisieren, auch mit Fehlverhalten, das überhaupt nicht zu goutieren ist, merke ich und dass wirklich Hass, ein Feindbild undifferenziert aufgebaut bzw. gefestigt wird.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck)
In der Wahrnehmung unverhältnismäßige Handlungen beider Seiten schaukeln sich gegenseitig auf und führen zur Etablierung anderer Akteure als Feindbilder. Aber auch hier 25
stellt sich heraus, dass Entscheidungen und Handlungen einzelner Personen eine wesentliche Rolle spielen. Während hingegen einzelne Exekutivkräfte befehlsausübende Funktionen innehaben, findet sich ein/e Einsatzleiter/in, welche die Befehle kommandiert. Es liegt somit an der Vorgehensweise einer Einzelperson im Falle der Exekutive, wie mit Fans in bestimmten Situationen umgegangen wird. „Der Einsatzleiter ist der Schlüssel zum Erfolg. Der Schlüssel zum erfolgreichen, für alle Seiten, Spiel und auch für ein Spiel ohne Reibungspunkte. Weil nämlich nur der Einsatzleiter jegliches Kommando geben kann. Auch die mitfahrenden Szenekundigen Beamten oder die mitfahrenden Beamten von deiner Stadt, auch der Fanbeauftragte, auch der Fanarbeiter, haben in diesem Fall nichts zu sagen. Es hat nur der Einsatzleiter etwas zu sagen.“ (Gaßler von pro supporters) „Die Einzelperson ist vor allem bei der Exekutive und vor allem bei den Sicherheitsdiensten enorm wichtig. Und letztendlich bei den Fans genau so. Es gibt ja auch innerhalb der Gruppen Menschen, die haben mehr zu sagen. Letztendlich hängt viel von diesen Einzelpersonen ab.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck)
Auch wenn die Akteure in meinem verwendeten Sinn hier als abstrakte Figuren behandelt werden, ergibt sich aus dem Umstand, dass einzelne Personen teilweise über informelle sowie formelle Freiheitsgrade in Bezug auf ihr oder das Handeln ihrer Weisungsgebundenen innehaben, dass für die weitere Beforschung des Phänomens zwingend Einzelfallstudien von Ereignissen (Eskalationen) in einer höheren Zahl herangezogen werden müssen. Ob es nun die Exekutive oder die Ordnerdienste betrifft. Für die Exekutive gilt, dass es in Bezug auf das Phänomen sehr wohl einen Unterschied macht, ob ein Einsatz gestartet wird oder nicht. Den alleine der Umstand, dass von Seiten der Exekutive bei einem vermeintlichen Zwischenfall etwas unternommen wird oder nicht, führt auch bereits zur Tatsache, dass manchmal bestimmte Handlungen kriminalisiert werden oder eben auch nicht. Ohne hier jetzt die erwähnten Beispiele von Ereignissen, die die Interviewten selbst miterlebt haben, anzuführen, muss man hierbei auch bedenken, dass ein Zugriff der Exekutive nicht nur automatisch ein Delikt begründet, sondern dass in vielen Fällen automatisch weitere Delikte darauf folgen. Wenn z.B. ein Fan auf Grund eines Tatbestandes aus der Masse herausgeholt werden soll und er sich dagegen wehrt, wird diese Handlung als „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ gehandelt.52 Wollte nun z.B. ein anderer Fan versuchen ihm dabei zu helfen, nicht mitgenommen zu werden und berührt dabei einen Exekutivbeamten mit der Hand, könnte dies bereits als „Versuchte Körperverletzung“ gewertet werden und ein weiterer 52
Bei Angaben dieser Art beziehe ich mich auf die Aussagen der Interviewten und verweise somit auf die Interviewtranskriptionen. Da ich über keine juristischen Kenntnisse verfüge, müssten solche Aussagen im weiteren Forschungsprozess mit empirischen Beispielen Betroffener nachgezeichnet und bestätigt werden.
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Delikt ergibt sich an Ort und Stelle. Dies entspricht nicht dem Wertesystem von Fans und wäre somit ungerechtfertigt bzw. „unfair“. Ich möchte hier ein erwähntes Beispiel anführen, dass zugleich die Abhängigkeit eines Vergehens an der Einzelperson festmacht und aber auch aufzeigt, dass die Exekutive sehr wohl zum Wechsel von Ego zu Alter fähig ist. „Ein banales Beispiel: sie [die Fans] sitzen am Zaun vor dem Gästesektor. Für den einen oder anderen Behördenvertreter ein Riesenthema, weil da einer am Zaun sitzt. […] Wenn da jetzt die Polizei hingeht und versucht ihn herunter zu bringen, eskaliert die ganze Situation. Das haben die Einsatzleiter oder Behördenvertreter schon begriffen.“ (Verein FC Wacker Innsbruck)
So wie für die Exekutive gilt auch für die Ordnungsdienste, dass der Ablauf von Spielereignissen von den Handlungen Einzelner abhängt.53 In dieser Aussage ist zugleich eine Lösungsstrategie zur Verhinderung potentieller Gefahren mitgeliefert. V: Wenn da eine persönliche Beziehung da ist, kann man schon viele Probleme im Vorhinein lösen, die sich vielleicht sonst aufschaukeln würden, wenn da ein anonymer Ordner steht, der nur auf seinen Standpunkt beharrt. Gerade das Ordnerpersonal ist dahingehend von uns sehr gut geschult, dass wirklich immer versucht wird, mit einem Kompromiss die Lösung herbeizuführen und ohne das sich irgendwie eine Thematik aufschaukeln kann oder dass es zu Eskalationen kommt. I: Also kann man sagen, dass der Ordnungsdienst im Stadion auch ein relevanter Akteur für die Fußballfans ist? V: Ja, definitiv. Die Schlüsselrolle. I: Die Schlüsselrolle? V: Definitiv. (Verein FC Wacker Innsbruck)
Bei jetzigem Stand der Untersuchung kann nicht gesagt werden, ob das Verhältnis zu Medien54 einen Einfluss auf Fans hinsichtlich krimineller Handlungen ausübt. Was jedoch gesagt werden kann, ist, dass die Medien ihrem eigenen Nutzen nach Aspekte von Fußballfankultur hervorheben, um diese als Produkt absetzen zu können. Dadurch ergibt sich, dass Medien hauptsächlich über Fanszenen berichten, wenn es zu gewaltsamen Eskalationen kommt. Somit tragen sie einen Großteil zur Wahrnehmung von organisierten Fanszenen für gelegentliche Stadienbesucher_innen und Nicht-Fußballfans bei. „Das Thema Medien ist auf diesem Gebiet eine Katastrophe, das muss man ganz ehrlich sagen. Da merkt man sicher am meisten die Sensationshascherei der Medien. [..]Diese Situation, wo Rauch aufgeht, wo vielleicht ein Böller geworfen wird, wo ein Bengale angezündet wird, nehme ich nicht mehr als dieses Riesenproblem war. Und ich glaube, das ist es auch nicht. Wenn der [Fan] am Zaun oben sitzt und seinen 53
Betrachtungen zu den Ordnerdiensten unter Konsequenzen. Unter dem Begriff Medien werden lokale, bundesweite und internationale div. Zeitungen, Zeitschriften, Fernseh- und Radioanstalten sowie deren Print- und Onlineausgaben subsumiert. 54
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Bengalen schwenkt, ist er deswegen ein Schwerverbrecher? Ist das so ein brutales Bild in den Medien, dass ich das aufschaukeln muss? Dass das alle Gesetzlose sind? Ist es wirklich notwendig, dass ich wegen einem Vergehen, dass mit 64€ als Verwaltungsstrafe im Mindestfall verurteilt wird, mit einer uniformierten Armada aufmarschiere? Sind das die Bilder, die wir haben wollen? (Verein FC Wacker Innsbruck)
Den Medien kommt aber in meiner Untersuchung ein wichtiger Stellenwert bezüglich folgender Überlegungen bei: Allgemein gesprochen ist das Ziel von Fanarbeit mit Fußballfans, dass diese die gesellschaftlich anerkannten Formen eines Diskurses anwenden lernen und somit ihrer Interessensäußerung auf legitime Weise äußern. „Partizipation, Teilhabe, Mitspracherecht, Mitbestimmungsrecht von jungen Menschen, Hinführung zu demokratischen Werten und den jungen Leuten die Werkzeuge in die Hand geben, dass sie sich Zusammenschließen und äußern können und wissen wie - und in einem gepflegten Ton.“ (Gaßler von pro supporters) „Gleichzeitig versucht man auch den Fans ein gewisses Maß an Verantwortung und Eigenständigkeit zu überlassen. Man begegnet ihnen ja nicht mit Sanktionen oder Ähnlichem, sondern man erarbeitet mit ihnen gewisse Verhaltensweisen. Wie kann man z.B. im Falle von Stadionverboten reagieren, abseits vom klassischen Protestverhalten, das heißt Boykott oder Solidarisierung mit diversen Leuten. Wie kann man anders auf Problemsituationen reagieren und dabei leitet man sie auch zu einem gewissen Maße an und man versucht in einem partnerschaftlichen Prozess, blöd gesagt, probiert man einfach mit diversen Personen Handlungsalternativen zu entwickeln. Und das ist auch der Sinn und Zweck dahinter, dass man nicht nur mit einer Maßnahme reagieren kann, das heißt, auf Problemsituationen mit der Exekutive reagiert man mit Gruppengewalt, sondern man kann es auch anders lösen.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck)
Wenn wir uns dies vor Augen führen, stellt sich die Frage, wie Vertrauen von Seiten der organisierten Fanszene in öffentliche und private Medien hergestellt und erhalten werden kann. Unter der Prämisse, dass Medien an sich eine Verantwortung für die Legitimation von demokratischen Grundwerten übernehmen.
Als letzten Punkt für die Kategorie Verhältnis zu den anderen Akteuren fanden sich die Österreichische Bundesliga (kurz: Bundesliga) und der Österreichische Fußball-Bund (kurz: ÖFB). Die Bundesliga und der ÖFB stehen nicht im direkten Kontakt mit der Fanszene wie Exekutivkräfte, Ordnerdienste oder die Sicherheitsbeauftragten der Vereine. Sie stellen somit für die Fans selbst eine abstrakte Person dar, die über Entscheidungsmacht bezüglich Stadionordnung und Sanktionsmöglichkeiten (z.B. Stadionverbot für Fans oder durch das Auferlegen von Bußgeldzahlungen an Vereine).
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„Die Bundesliga wird als Kommerzialisierungsinstrument gesehen, also die österreichische Bundesliga gilt auch unter den ultraorientierten Fans als Institution, der auch kritisch gegenüber gestanden wird, so kann man das sagen.“ „Das sind die Sicherheitspersonen von Verein und Sicherheitsdienst, das ist die Exekutive und die Bundesliga über die Stadionverbote und über die diversen Sicherheitsrichtlinien, denen ich mich zu unterwerfen habe. Das sind eigentlich die wichtigsten Institutionen, mit denen ich mich ständig auseinandersetzen muss. „ (Weber von Fanarbeit Innsbruck) „ÖFB [Österreichsicher Fußball-Bund] und [Österreichische] Bundesliga, denke ich, sind für den Ultra in der Kurve etwas ganz Abstraktes und etwas, was ganz weit weg ist. Es ist nicht greifbar und es passieren da sehr oft Verwechslungen. Das ist nicht nur Ultra, sondern überhaupt Fankultur bezogen. Es gibt Lieder gegen den ÖFB, wo der ÖFB teilweise aber gar nicht verantwortlich ist. Es gibt Lieder gegen die Bundesliga, wo die Bundesliga gar nicht verantwortlich ist. Also da muss man schon ein Insider sein, dass man weiß, welche Gremien jetzt genau die Bundesliga ist, wie die Bundesliga zusammengesetzt ist und wie die Entscheidungen in der Bundesliga zu Stande kommen. Die Bundesliga ist ja auch nur der Zusammenschluss der 20 Vereine der Bundesliga.“ (Gaßler von pro supporters)
Relevant hierbei ist, dass die beiden Verbände 1) nicht richtig in ihrer Funktion verstanden werden und 2) nicht „greifbar“ sind wie Personen vor Ort. Dadurch eröffnet sich ein Freiheitsspielraum bei der Zuschreibung von Eigenschaften und somit ein Potential zum Aufbau eines Feindbildes.
Phänomen „Kriminalität bei Spielereignissen im Fußballfan-Kontext“ Wie im theoretischen Teil bereits eingeführt, handelt es sich bei Kriminalität um eine Zuschreibung. Bestimmte Effekte festigen die moralische Richtigkeit des eigenen Handelns und untergraben (zumindest situativ) damit zugleich andere Wertvorstellungen und Legitimationen, auch wenn sie scheinbar der Großteil einer Gesellschaft teilt. Was sind nun aber die „üblichen“ Delikte, die sich im Fußballfan-Kontext ergeben? „Wenn wir es jetzt rein nach dem Strafgesetzbuch betrachten, ganz klar Körperverletzung. Raub ist ein großes Thema, weil unter den Ultra-Gruppierungen dieses Stehlen von Fan-Schals anderer Vereine im Strafrecht als Raub ausgelegt wird, da es unter Nötigung, also unter Androhung von Gewalt, passiert. Das passiert relativ oft. Also wenn man rein strafrechtlich rund ums Fußballstadion schaut, dann hat man Suchtmittel, Raub und die Körperverletzung als sehr häufige Delikte. Wenn man jetzt rein als normaler Zuseher hingeht, dann wird man wahrscheinlich davon relativ wenig merken.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck) „Der Großteil, und das passiert leider in den letzten Jahren inflationär, sind Kleinigkeiten, die Verwaltungsstrafen nach sich ziehen.“ „Beleidigung […]. Pyrotechnik zählt da natürlich schon auch dazu. Irgendwo hin urinieren - Erregung öffentlichen Ärgernisses. In einem Fußballspiel, rund um ein Fußballspiel, ist es als Ultragruppe eigentlich mein Ziel, also nicht öffentliches Ärgernis zu erregen, aber ein bisschen für Wirbel zu sorgen, auch akustisch. Da kann
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man halt relativ schnell relativ viele Leute mit Sachen, die sie auch gemacht haben, belangen.“ (Gaßler von pro supporters)
Verwaltungsdelikte machen einen Großteil der Anzeigen und Strafen von Fußballfans aus. Strafrechtliche Delikte (wie Körperverletzung) wiederum machen im Verhältnis dazu wenig aus. Dies lässt sich auch aus angeführten Statistiken im Bericht „Sicherheit bei Sportveranstaltungen in Österreich“55 für die „tipp3 Bundesliga powered by T-Mobile“ (höchste Spielklasse) herauslesen. Hier stehen 406 Anzeigen wegen Verwaltungsdelikten 169 wegen gerichtlich strafbarer Handlungen gegenüber (inner- sowie außerhalb von Sportstätten). Dies ergibt pro tausend Besucher 0,468 Anzeigen. 56 Ich habe auch Teile des Berichts für die Interviews als Fragestellungen verwendet (siehe Leitfragenkatalog). In jedem Interview wurde aber darauf aufmerksam gemacht, dass solche Statistiken zwar erkennen lassen, dass ein Rückgang von Anzeigen sich einstellte, es sich aber nicht herauslesen lässt, warum. Problematisch z.B. sind Fälle wie der Platzsturm von SK Rapid Wien Fans 2011, welcher in konsequenter Weise sehr viele Anzeigen bei einem einzigen Spielereignis bedingt. Als gröbster Mangel solcher Statistiken wurde aber angemerkt, dass zwar die Anzahl von Anzeigen, aber keine Angabe zu tatsächlichen Verurteilungen gemacht werden. Um diesem Mangel an Relevanz zu verleihen, beziehe ich mich auf ein erwähntes Beispiel von Weber bezüglich eines Spieles vom FC Wacker Innsbruck gegen SK Rapid Wien im Jahr 2012. „Das vermeintliche Problem war, und das ist auch an uns, an Verein und Sozialarbeiter gegangen, dass Fans auf dem Zaun sitzen und sie runter müssen. Jetzt ist es den Fans schwer zu erklären, dass Zaunsitzen nicht erwünscht ist. […] Und siehe da, die Einsatzeinheit WEGA hat wirklich nichts Besseres zu tun gewusst, als da reinzumarschieren und diese „Zaunsitzer“ zur Ordnung zu rufen, wenn man so sagen will. Und das ist natürlich dann eskaliert. […] … also Bierbecher sind gegen die Polizei geflogen. Die Polizei hat sich den Weg frei gemacht, wie man es kennt und hat ein paar Leute verhaftet. Insgesamt waren es acht Personen. […] Die Grundlage für diese freiheitsentziehende Maßnahme war dreimal das Verwaltungsstrafrecht, also sprich eine Übertretung, weil ich schimpfe „Scheiß Bulle“ oder Ähnliches. […] Dann haben von diesen acht Personen fünf Personen eine strafrechtliche Anzeige bekommen. Hauptsächlich wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Bei diesen fünf Personen, sie hatten die Verhandlungen am Landesgericht in Wien, gab es vier Freisprüche und ein Schuldspruch in zweiter Instanz, der dann zu einer bedingten Haftstrafe wegen „Widerstand“ führte. Ein unbescholtener Bürger im Übrigen, der aus dem Stand heraus zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden ist. […] Also von in Summe acht in Gewahrsamnahmen, 5 strafrechtliche Anzeigen, 4 Freisprüche. Der Schnitt „macht es“ aus meiner Sicht.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck)
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Eine Zusammenarbeit von Bundesministerium für Inneres (BM.I), Bundesliga und ÖFB. Chefinspektor Prinz vom BM.I (Abteilung II/2 – Sportveranstaltungen Nationale Fußballinformationsstelle) unterstütze mich bei meiner Arbeit, in dem er mir diese zukommen ließ (siehe Anhang). 56 Ebenda. S.6f.
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Wir sehen also, dass die Anzahl von Anzeigen nicht zwingend der Anzahl tatsächlicher Tatbestände entspricht. Was auch auffällt und Fans als „Schikanierung“ betrachten, ist die scheinbar ungleiche Behandlung von Heim- und Auswärtsfans. Auf die Frage, wie schnell man als Fußballfan in Konflikt mit der Exekutive gerät: „Schneller als Nicht-Fußballfans. Primär würde ich aber zwischen Heim- und Auswärtsspielen unterscheiden. Beim Heimspiel muss man schon Einiges anstellen, dass man in Konflikt mit der Polizei kommt. Bei einem Heimspiel ist das vielleicht nicht höher als im Alltag, wenn man irgendwo einen Blödsinn macht. Beim Auswärtsspiel, vor allem in Österreich, wo die organisierten Gruppen gemeinsam und geschlossen anreisen, kann es schnell zu Situationen kommen, wo man als komplett Unbeteiligter zumindest eine Ausweiskontrolle hat, seinen Namen angeben muss und im schlechtesten Fall in irgendeiner Datei landet – für was? Für das, dass ich auswärts gefahren bin. Das kann praktisch bei einer Auswärtsfahrt, kann das wirklich 100% von den Auswärtsfahrern, die Fälle gibt es, treffen. Unabhängig davon ob einer, zwei oder gar niemand oder 10 oder Alle etwas gemacht haben […].“ (Gaßler von pro supporters)
Hinzu kommt: „Die Chance ist relativ hoch, auch bei Auswärtsspielen, dass man als Unbeteiligter zum Handkuss kommt. Egal, ob man jetzt von einer einmarschierenden oder vorbeimarschierenden Polizeikette ein bisschen geschubst oder gestoßen wird, was vielleicht noch das kleinere Übel ist. Bitterer wird es, wenn es eine Verwaltungsstrafe nach sich zieht für Vorfälle wie Beschimpfung, Pöbeleien oder für irgendetwas, was man dann im Endeffekt entweder als gesamte Masse oder auch überhaupt gar nie gemacht hat.“ (Gaßler von pro supporters)
Interessant bezüglich Gewalthandlungen ist nun, dass eine körperliche Auseinandersetzung (z.B. Schlägerei) unter gegnerischen Ultra-Gruppierungen Teil der Ultra-Kultur ist und somit für Ultras „normal“, also in ihrem Wertesystem nicht als illegitim erscheint. „Meistens ist es so, dass die Mitglieder von Ultra-Gruppierungen sich gerne mit der gegnerischen Ultra-Gruppierung treffen würden, um eine kurze Auseinandersetzung körperlicher Natur zu führen. Das ist eigentlich der Hintergrund. Das ist jetzt relativ unabhängig vom Spielverlauf, das muss man ehrlich sagen.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck)
Dass es sich in einem Rechtsstaat hierbei um strafbare Handlungen handelt, kann von keiner Person bestritten noch verharmlost werden. Auch nicht von Fans. I: Oder was erwarten sich die Fans, wie die Polizei prinzipiell reagiert? W: Die Fans erwarten sich, dass die Polizei bei Zusammenstößen sehr wohl eingreift, damit wird gerechnet. I: Zusammenstöße zwischen Fangruppen?
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W: Genau. Aber nicht, dass sie relativ schnell Zugriffe macht wegen vermeintlicher Verwaltungsstraftatbestände wie z.B. Pyrotechnik zünden. Das ist, so glaube ich, die Erwartung von Fans. Wenn es Ordnungswidrigkeiten gibt, wie man so schön in Deutschland sagt, dann ist von Fanseite aus, glaube ich, die Erwartung, dass da nicht zwingend gepanzerte Einsatzeinheiten in die Kurven gehen und einzelne Fans heraus verhaften. Und umgekehrt: wenn es wirklich zu Auseinandersetzungen kommt, dann ist jedem Fan, der in solche Auseinandersetzungen verwickelt ist, normalerweise schon klar, dass die Einsatzeinheiten ihre Pflicht tun müssen und da reingehen. Das wird, glaube ich, soweit auch akzeptiert. […]Es gibt Faktoren, wo Gewalt als Affekthandlung stattfindet, das betrifft aber meistens die Handlungen der Exekutive. Die meisten Ausschreitungen, die in den Medien sind, sind ja meistens auch Ausschreitungen, die zwischen einer Fan-Gruppe und Polizei stattfinden.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck)
Wir sehen also, dass die Exekutive durch ihre, teilweise als provokant wahrgenommene, Handlungen, in vielen Fällen dazu beitragen, dass Konflikte entstehen. Hinzu kommt der speziell restriktive Ordnungsrahmen bei Fußballereignissen (im Stadion und außerhalb), aber auch schon bei der Anreise von Fans. Es finden sich aber noch weitere Delikte, die nicht dem Handeln der Exekutive zugeschrieben werden können. Suchtmittelmissbrauch und Gewaltdelikte, hervorgerufen durch die Ultra-Kultur, sind (vereinfacht ausgedrückt) individuelle Handlungen von Einzelpersonen als willentliche Akte unter Wissen um gesetzliche Sanktionen. Jedoch ist hierbei eine Rücksichtnahme auf Peer-Einflüsse nicht zu vernachlässigen. Und auch der Tatbestand des „Raubes“ ist unter der Ultra-Kultur und ihrer Spielregeln zu betrachten. „Der große Unterschied ist der Raub. Nur der Raub wird aus meiner Sicht eher hoch stilisiert. Eigentlich ist es Diebstahl und der Diebstahl passiert jedes Wochenende.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck)
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Phänomen Kriminalität bei Spielereignisses im Fußballfan-Kontext einerseits von tatsächlich in der Ultra-Kultur verankerten sowie von „gewöhnlichen“ Tatbeständen von Einzelpersonen (Suchtmittelmissbrauch, etc.) abhängt. Dass diese Tatbestände von den organisierten Fanszenen nicht als solche verstanden werden und
somit
natürliche
Teile
ihres
Wertesystems
darstellen,
spricht
für
die
Neutralisierungsthese. Andererseits ergeben sich Delikte aus der als Provokationen und ungerechtfertigten Handlungen wahrgenommen Gestaltung von Einsätzen der Exekutivkräfte. Diese Attribuierungen führen in Folge zu einer Abwertung der Legitimation der Exekutivkräfte, was ein stärkere emotionale Distanzierung und somit Empathie mit diesen zunehmend verunmöglicht, bis sie schließlich zu einem Feindbild werden, denen der Charakter einer gleichwertigen Würde wie der ihrigen abgesprochen wird. Der Effekt einer sich
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aufschaukelnden Antipathie wirkt als Auslöser für eine höhere Gewaltbereitschaft gegenüber den Exekutivkräften.
Handlungsstrategien: Unter der Kategorie Handlungsstrategien werden Maßnahmen und Veränderungen in Handlungsmustern (auch Einstellungsveränderungen) verstanden, die in Absicht auf eine (hier akteurspezifische) Änderung oder Beibehaltung des Phänomens abzielen. Diese werden unter Betrachtung eigener Akteurslogiken versucht zu implementieren.
Der Verein befindet sich aus ökonomischen Gründen in einem abhängigen Verhältnis zu seinen Stadionbesucher_innen. Hierbei stellt die organisierte Fanszene ein Stammklientel dar, dass nicht nur Saisonkarten in hoher Zahl kauft, sondern auch für eine von allen Stadionbesuchern gewünschte Spielatmosphäre leistet. „Wir hatten einen Vorfall vor zwei Jahren, da wollten 15 Fans von der Nord[tribüne] über die Ost[-tribüne] zum Rapidsektor [Gästesektor]. Da ist genau nichts passiert. […] Sie glauben nicht, was das für eine dramatische Situation war. […] Ihnen [Eltern und anderen Erwachsenen] habe ich es genau so erklärt wie jetzt. […] Es ist Teil dieser Arbeit vom Verein, dass man dieses Bewusstsein beim anderen Publikum schafft. Denn am Ende des Tages jubeln alle, wenn wir gewonnen haben, und die Nord[-tribüne] schreit „F-C-W“ in Richtung Ost[-tribüne] und die Ost schreit zurück. Dann ist auf einmal Alles eitle Wonne. Die [organisierte Fanszene] machen eine Stimmung und die sind immer da und eines muss ich auch ganz klar sagen: der XY, der sich wegen dem Rapid-Spiel beschwert hat, weil da 15 von uns rüber sind, wo es keine Verurteilung, keinen Gesetzesbruch, nichts gegeben hat, der ist vielleicht auch derjenige, der nach der zweiten Niederlage nicht mehr ins Stadion kommt. Und die Nordtribüne habe ich mit 1.200 Leuten Minimum immer besetzt. Egal, ob wir sechs Mal verlieren. Sicher ist dann die Stimmung nicht so, aber die sind da.“ (Verein FC Wacker Innsbruck)
Wirtschaftlich betrachtet muss man auch bedenken, dass Ausschreitungen oder bestimmte Verletzungen der Sicherheitsrichtlinien im Stadion zu Strafzahlungen seitens des Fußballklubs führen. Um hier entgegenzuwirken findet sich beim FC Wacker Innsbruck die Vorgehensweise, dass Stadionorder speziell unterwiesen und zu Auswärtsspielen mitgenommen werden. „Ich weiß nicht, wie tief Sie in der Materie sind, aber es gibt ja auch viel exemplarische Videos oder Bilder wo man sieht, wegen dem Fehlverhalten eines einzelnen Ordners, was das bewirken kann. […] Also ich rede immer nur von der Nordtribüne bei uns, weil zu die anderen Tribünen kann ich auch einen emotionslosen Ordner hinstellen, das sollte nicht das große Problem sein. […] … dieser feine Umgang mit den „Problemklientel“ ist sicher in den Fanblöcken am meisten gefragt. Deswegen macht es auch Sinn, dass wir unsere eigenen Ordner
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auswärts mitnehmen, weil eben die Wiedererkennung, das Gemeinsame von zu Hause, irgendwo.“ (Verein FC Wacker Innsbruck)
Weiters fährt der/die Sicherheitsbeauftragte zu jedem Auswärtsspiel mit, nimmt am Behördenrundgang teil und befindet sich dann in Nähe der Fans. Diese Person nimmt eine, wenn auch beschränkte, Vermittlungsfunktion ein. „Ich gehe in dem Fall zweimal hin und sage: „Burschen, bitte gar schön, wir als Verein zahlen Strafe, also geht bitte herunter“. Ich sage das zweimal und wenn sie das nicht tun, akzeptiere ich das. Weil ich für mich als Vereinvertreter sagen muss, ob er jetzt oben sitzt oder nicht, ist mir völlig gleichgültig. Das ist kein Sicherheitsrisiko, außer er fällt herunter. Dann ist es aber, das muss ich ganz brutal sagen, auch sein Bier und das war es dann auch schon. Wenn da jetzt die Polizei hingeht und versucht, ihn herunter zu bringen, eskaliert die ganze Situation. (Verein FC Wacker Innsbruck)
Als Vermittlungsperson kommt auch der Sozialarbeiter der Fanarbeit Innsbruck zum Zug. Er begleitet die Fans zu allen Spielen und stellt durch seine Arbeit eine Vertrauensperson dar. Sozialpräventive Fanprojekte wie die Fanarbeit Innsbruck stellen eine Handlungsstrategie dar, welche als (für die Fanperspektive) „unparteiische“ Instanz implementiert wird. Aber auch seine Möglichkeiten zur Konfliktminderung sind in Anbetracht eskalierender Situationen beschränkt. Doch wie schon unter dem Punkt Verhältnis zu den Medien angeführt, liegt einer der Aufgaben von sozialpräventiven Fanprojekten im Aufzeigen und Heranführen an alternativen legitimen Konfliktlösungsmöglichkeiten für Fans.
pro supporters versucht hierbei aufzuzeigen, dass der Weg der sozialpräventiven Fanprojekte fruchtbar gemacht werden kann, wenn ein Bewusstsein für Vereinsmitgliedschaften und somit die berechtigte Teilnahme an demokratischen Entscheidungsprozessen gefördert wird. Unter der Berücksichtigung, dass Fans eher die Positionen von anderen Akteuren verstehen, wenn bestimmte Prozesse und Entscheidungsverfahren transparenter gestaltet werden. Gleichzeitig führt die Mitgliedschaft und somit die Stimmberechtigung zur Übernahme von Verantwortung, welche in gewisser Weise Fans an diese Entscheidungsprozesse bindet und somit weniger sich ein Gefühl des „Übergangenwerdens“, „nicht berücksichtig werden“ und somit „nicht respektvoll behandelt werden“ einstellen kann. Beziehungsweise Dispute nicht mehr im Stadion zum Nachteil Aller (die Exekutive ausgenommen) ausgetragen, sondern neue Räume für Diskussionen geschaffen werden, die dies kompensieren.
Die Sicherheitsbehörden (Exekutive) setzen zum Zwecke eines „entspannteren“ Zugangs zu den Fans „Szenekundige Beamte“ (SKB) ein, die, zivil gekleidet, sich ausschließlich mit 34
Fanszenen beschäftigen. Diese sollen für aus sicherheitspolitischer Perspektive relevante Kenntnisse im Bereich Fanszenen erlangen und somit bei Bedarf Einsätze optimieren helfen. Laut Aussagen vom Verein FC Wacker Innsbruck stellen sie das Bindeglied zwischen uniformierten Beamten und Fans her. Diese Aussage muss wahrscheinlich stark relativiert betrachtet werden. Ein Indiz hierfür aus einer der größten Fußballfanszenen Österreichs: „SKBs sind Polizisten und deshalb gilt hier genauso wie bei uniformierten Beamten: kein Kontakt, wenn nicht unbedingt nötig! Die SKBs geben sich meist locker, hilfsbereit und kumpelhaft. Sie vermitteln den Eindruck auf deiner Seite zu sein und wollen dein Vertrauen gewinnen. Ihre eigentliche Aufgabe ist es aber dich zu beobachten und auszuhorchen. Sie fertigen Profile von dir und deiner Umgebung an und spätestens vor Gericht zeigen sie ihr wahres Gesicht!“57
Für organisierte Fanszenen findet sich einerseits als Beispiel der Fans des Fußballklubs SK Rapid Wien, die durch professionelle (ehrenamtliche) Unterstützung präventiv und in Anlassfällen
Rechtshilfe
anbieten.
Ermöglicht
wird
diese
Eigeninitiative
durch
Mitgliedsbeiträge und Spendengeldern. Diese professionelle Hilfe wird von praktizierenden Juristen geleistet, die sich selbst als Rapid-Fans bekennen. Eine andere Form aktiver Handlungsstrategien von Fanszenen stellen Faninitiativen wie die Fan-Initiative Innsbruck dar. Diese wurde 1999 mit den Zielen „…Toleranz und Antirassismus unter den Fußballfans zu promoten“58 gegründet und war als Verein maßgeblich an den Stehplätzen auf der Nordtribüne beteiligt. Laut Gaßler ist hierbei auch in Europa einzigartig, dass eine Fusion zwischen einem Fußballklub (damals FC Wacker Tirol) und einem Fan-Verein (FC Wacker Innsbruck) stattfand. Die Namensrechte liegen nach wie vor bei der Fan-Initiative Innsbruck. Diese war auch maßgeblich an der Etablierung des sozialpräventiven Fanprojekts Fanarbeit Innsbruck beteiligt und ist mitunter Geldgeber für dieses.
Zusammenfassend kann man sagen, dass durch Eigenengagement von Seiten der Fans Initiativen gegründet werden, die in verschiedenen Belangen die Interessen und Bedürfnisse der Fans vertreten bzw. die bei auftretenden rechtlichen Problemen unterstützen (hierunter fällt auch das sozialpräventive Fanprojekt Fanarbeit Innsbruck). Der Verein beschäftigt eine Person, die sich mit den Fans und ihren Bedürfnissen einsetzt und (im Falle von FC Wacker Innsbruck) nicht nur Verständnis entgegenbringt, sondern auch Faninteressen vertritt.
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Zitiert nach: http://www.rechtshilfe-rapid.at/ [29.11.13] Zitiert nach: http://fairplay.vidc.org/aktuelle-news/news/article/bildungsarbeit-mit-jugendlichen-projektemuessen-lokal-zugeschnitten-sein/ [28.11.13] 58
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Die direkten Maßnahmen59 der Sicherheitsbehörden (Exekutivkräfte) zur Verbesserung des Verhältnisses scheinen nicht den erwünschten Effekt zu erzielen.
Konsequenzen: Als Konsequenzen sind Veränderungen zu verstehen, die auf Ursächliche und Intervenierende Bedingungen zurückwirken und somit sich der dargestellte Prozess als zirkulärer Schluss wieder zusammenfügt. Hier hervorzuheben sind zwei sehr erfolgreiche Aktionen. Die erste nennt sich „Stadionverbotskonzept“. „Das heißt, nur weil Jemand Probleme macht, ihn auszusperren, war noch nie ein probates Mittel und wird es nie sein. Das heißt, was gibt es sonst für Lösungen? Und da ist die Lösung etabliert worden, dass ein betroffener Fan mit dem Sozialarbeiter ein sogenanntes Vermittlungsgespräch führt. Dort wird die Situation, die ausschlaggebend war, dass die Bundesliga ein Stadionverbot verhängen möchte, analysiert, wird reflektiert und dann wird ein gemeinsames Protokoll verfasst. Das wird vom Sozialarbeiter und vom Fan unterschrieben, wo drin steht, was in diesem Gespräch passiert ist und ob der Fan die Verantwortung für die Tathandlung übernimmt oder ob er sagt, er war das gar nicht. Das passiert auch manchmal, dass die Polizei anzeigen schreibt, obwohl die betroffene Person unschuldig ist. Und dann wird das ganz transparent der Bundesliga übermittelt. Und die Bundesliga entscheidet auf Basis dieser Stellungnahme, ob ein Stadionverbot verhängt wird oder nicht. Das ist ein sehr transparentes und sehr faires Verfahren für die Fans, weil sie wissen, da hört ihnen Einer zu. […] Und wenn es ein Stadionverbot in Innsbruck gibt, dann ist das auch berechtigt, weil der Fan entweder rechtskräftig verurteilt von einem Gericht wurde oder weil er selbst zu gibt „Ja, da habe ich mich fehl verhalten“. Und dafür gibt es auch die Möglichkeit, dass er dann vereinsnützliche Dienste, so nennen wir das, ableistet anstelle eines Stadionverbots. Beispielsweise, dass er dann an Spieltagen dem Verein hilft, das ganze drum herum aufzubauen, Werbebanden etc. Und somit kann er sich für den Verein nützlich machen und gleichzeitig das Spiel sehr wohl auch ansehen. Das sind alles Methoden, die schaffen eine gute Vertrauensbasis.“ (Weber von Fanarbeit Innsbruck) „Das funktioniert auch einwandfrei. Wenn einer auswärts Pyrotechnik zündet und identifiziert wird, dann tritt der im Gesetz vorgesehene Verlauf in Kraft. Er wird nach dem Pyrotechnik-Gesetz verurteilt und bekommt Stadionverbot. Das läuft aber über das Ministerium und die Bundesliga. Wir als Verein geben dann eine Stellungnahme dazu ab, ob der Fan schon öfter oder noch nie aufgefallen ist. Darauf basierend fällt dann der Senat Bundesliga bzw. das Ministerium die Entscheidung, ob ein Stadionverbot verhängt wird. Wenn ja, kommt er auf die Liste, wenn nein, als Alternative dazu in Kooperation mit Armin z.B. 30 Stunden Arbeit bei unserem Verein. Ein Teil unserer Stellungnahme bzw. der Großteil wird hierbei von Armin abgegeben.“ (Verein FC Wacker Innsbruck)
59
Das BM.I verwendet z.B. auch als präventive Maßnahmen Aktionen wie „Die Welle gegen Gewalt“. Hierbei ist laut Gaßler auch zu bedenken, ob solche Aktionen von Fans überhaupt angenommen werden.
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Diese Ersatzleistungen sind nun als ein „Geben weiterer Chancen“ zu verstehen und kennen auch ihre Grenzen. „So gesehen kennt man ja seine Leute und wenn einer nach drei oder viermal noch immer nicht kapiert hat, dass wir ihm nichts Böses, sondern eigentlich immer helfen wollen, und er frisst wieder etwas aus, dann tritt irgendwann die Sanktion ein, dass ich zur Bundesliga sage: „Dem Herrn helfen wir jetzt einmal nicht mehr. Der muss mit der Situation fertig werden, die er angestellt hat“. Irgendwann ist einfach der Horizont überschritten.“ (Verein FC Wacker Innsbruck)
Hier sehen wir, dass sich Verein, sozialpräventives Fanprojekt, die Bundesliga und das BM.I auf einen Lösungsweg einigten, der für Fans als durchwegs positiv anzusehen ist. Ein Stadionverbot würde bedeuten, dass derjenige Fan für eine gewisse Zeit nicht mehr die jeweilige Sportstätte betreten dürfte.
Die zweite soweit nennenswerte Errungenschaft betrifft den Gebrauch von pyrotechnischen Gegenständen. Der Gebrauch dieser ist bei Fußballveranstaltungen verboten und wird mit unter Umständen hohen Bußgeldzahlungen und einem Stadionverbot geahndet. Auch hier wurde ein Kompromiss gefunden, der nun zumindest die Möglichkeit unter bestimmten Bedingungen erlaubt. „In Österreich ist eine Lösung gefunden worden, die ein Kompromiss war, der zu Teilen der Initiative „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ zuzuschreiben ist. Aber außer Innsbruck bei Heimspielen, die die Ausnahmegenehmigung schon seit über10 Jahren hat, wird dir auch keine Fanszene sagen, dass das die Ideallösung ist. Nur, die Lösung ist besser als in jedem anderen europäischen Land. Außer in Norwegen. […] Auch die Exekutive und die Bundesliga, teilweise auch Vereinsvertreter, sind Fürsprecher von der Ausnahmeregelung. Denn die Pyrotechnik-Vorfälle Anzeigen sind, seit es die Ausnahmeregelung flächendeckend für alle gibt, nicht nur für Innsbruck, zurückgegangen.“ (Gaßler von pro supporters)
Die Aktion „Pyrotechnik ist kein Verbrechen!“ stellt die Bemühungen der Fans um die kontrollierte Verwendung von Pyrotechnik zur Minimierung von Gefahrenquellen in Stadien dar. Um Ausnahmen in Bezug auf das Pyrotechnikgesetz60 vom 04.01.2010 zu erlangen, zeigen sich die Fanszenen verschiedenster Vereine bereit, auf bestimmte Formen von Pyrotechnik vollständig zu verzichten und nur mehr kontrolliert Pyrotechnik zu verwenden. Es zeigt sich hierbei auch die Bereitschaft der Fans, sich um einen Kompromiss zu bemühen (Ausnahmeregelung bei Pyrotechnik).
60
Siehe: http://www.pyrotechnik-ist-kein-verbrechen.at/gesetz/ [28.11.13]
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Zusammenfassend für die Konsequenzen lässt sich zeigen, dass Fans unter Umständen (wenn auch sehr restriktive) die Bereitschaft zeigen, Kompromisse einzugehen um Elemente ihrer Fan-Kultur erhalten zu können sowie andererseits auch ein Entgegenkommen anderer Akteure, nicht unmittelbar Sanktionen anzuwenden, die die Unmöglichkeit eines Spielbesuchs bedeuten.
Um
das
Paradigmatische
Modell
noch
einmal
in
schlussfolgernden
Gedanken
zusammenzufassen: Die Fußball-Fankultur (Ultra-Kultur) bringt inhärente „Spielregeln“ mit sich, die die Prinzipien des Rechtsstaates verletzen. Diese „Spielregeln“ werden zusätzlich durch Bedürfnisse der Eigenkonstruktion der Männlichkeit sowie durch gruppendynamische Prozesse verstärkt. Die Fankultur bringt auch gewisse Antagonismen mit sich, deren Verhältnis zueinander durch das jeweilige Handeln perpetuiert, verbessert oder verschlechtert werden können. Während manche Akteure (Vereine, ÖFB, Bundesliga, Medien) zumindest teilweise einer ökonomischen Logik folgen müssen und sich dadurch divergierende Einstellungen ergeben, ist der Akteur Exekutivkräfte zu einem „Mitspieler“ im Wettkampf unter Fanszenen geworden. Die Entwicklungen einzelner Verhältnisse im Fußballfan-Kontext können als ein „Kräftemessen“ verstanden werden, dessen polarisierenden Effekte auf Grund gegenseitiger Abhängigkeiten für alle beteiligten Akteure nur durch Kompromisse und teilweise veränderten Handlungsmustern gewinnbringend transformiert werden können. Sozialpräventive Fanprojekte und die Koordinationsstelle pro supporters können dabei helfen, derartige Transformationen hervorzubringen.
Zur Situation des/der sozialpräventiven Fanprojekte(s) in Österreich: Aus Platzgründen werde ich das in den Interviews gesagte nur kurz gefasst wiedergeben können. Es sei somit auf die Interviews verwiesen. Wie bei jeder sozialarbeiterischen Einrichtung stellt sich auch hier die Frage der Finanzierung. Bis dato wird die Fanarbeit Innsbruck vom Verein FC Wacker Innsbruck, von der Fan-Initiative Innsbruck sowie vom Land Tirol indirekt über den Verein finanziert. Doch stellt sich die Legitimation der Sozialarbeit aus verschiedenen Gründen erschwert dar. Einerseits finden sich (noch) keine Argumente finanzieller Natur, was Fanarbeit den Vereinen schmackhaft machen könnte. Auch von Seiten der Politik fehlt das klare Bekenntnis zur Fanarbeit und ihrem gesellschaftlichen Nutzen. Erschwert wahrscheinlich 38
auch
durch
das
öffentliche
Image
von
Fußballfans
und
dem
einhergehenden
Legitimationsdruck der öffentlichen Hand, wofür Gelder ausgegeben werden. Auch herrscht (glücklicherweise) noch keine Situation vor, wo bei Fußballereignissen durch die Intensität von Eskalationen Menschen um ihr Leben kommen bzw. gekommen sind (im Unterschied zu Nachbarländern). Somit liegt bei den anderen Akteuren wie ÖFB, Bundesliga, Vereinen oder der öffentlichen Hand kein Zugzwang vor. Diese sind aber nach Angaben von Gaßler, als Leiter der Koordinationsstelle für Fanprojekte in Österreich, alle zu gleichen (finanziellen) Teilen für Fanprojekte zu verpflichten, um eine interessensfreie Arbeit mir Fußballfans zu gestalten.
5. (Zwischen)Fazit und Ausblick Trotz anfänglicher Forschungsphase habe ich versucht, einen theoretischen Faden zu spannen, der als Rahmenkonzept einzelne Aspekte der (zumindest optisch) vorherrschenden Fußballfankultur hervorhebt. Die Bundesrepublik Deutschland als „große“ Fußballnation blickt auf eine nunmehr 20jährige Geschichte ihrer Koordinationsstelle für Fanprojekte (KOS), welche bereits viele erfolgreiche Projekte umsetzte und umsetzt. Es findet sich in Deutschland auch beispielhaft eine intensive Fanforschung („Kompetenzgruppe Fankulturen & Sport bezogene Soziale Arbeit“ an der Leibniz Universität Hannover). Den Blick über die Landesgrenzen habe ich bis jetzt gescheut, da ich mich mit der Situation in Österreich auseinandersetze. Im weiteren Forschungsprozess werde ich die Erkenntnisse aus anderen Ländern mit ein beziehen, da sie einerseits anleitend wirken, andererseits auch Unterschiede und sich somit Besonderheiten aufzeigen lassen. Als nächste Schritte der Forschung würden Interviews mit den restlichen relevanten Akteuren folgen. Ich erwarte hier noch, zumindest bei den Fans, weitere Kategorien ausmachen zu können sowie die bis dahin entwickelten zu verfeinern und dadurch die theoretische Sensibilität zu erhöhen. Dazu benötigt es aber auch noch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des Fußballs in Österreich, Analysen über die Entwicklung einzelner Fanszenen verschiedener Städte und vor allem zur Erhöhung der theoretischen Dichte eine Analyse empirischer Fälle von Konflikten und Diskursen. Wie ich hoffentlich aufzeigen konnte, werden Eigenschaften der abstrakten Akteure im Spannungsfeld Fußballsport auf Grund der Handlungen einzelner Personen sehr stark durch diskursive Praktiken erzeugt. Diese Prozesse gilt es aufzuzeigen. 39
Der gesellschaftliche Nutzen hierbei liegt einerseits bei den angedeuteten, sich den gesellschaftlichen Bedürfnissen heranwachsender Generationen beugenden Freiräumen, getragen von der Struktur „Nationalsport“, und andererseits folglich einer Integration eben dieser in die nationale Gesamtgesellschaft. Der (angestrebte) Freiraum Fußball mit seiner dazugehörigen, bereits vorhandenen enormen Infrastruktur könnte so verschiedene Interessen zusammenführen – wenn man will.
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42
7. Anhang 7.1 Graphik Kontext
Ursächliche Bedingungen - Inszenierungsmittel und „Spielregeln“ der Ultrakultur teilweise inkompatibel mit Gesetzeslage
- Verhältnis zu den anderen Akteuren - Handlungen und Entscheidungen einzelner Personen - Sportlicher Erfolg des Vereins - Mitspracherecht der Fans bei Vereinsangelegenheiten
Intervenierende Bedingungen - Geschlechtliches Selbstbild - informelle Gruppen
Phänomen / Kernkategorie Kriminelle Handlungen bei Spielereignissen im Fußballfan-Kontext
Handlungsstrategien Verein: Sicherheitsbehörden: Fans: pro supporters: sozialp. Fanprojekte:
- Ordnerschulungen; Sicherheitsbeauftragter - SKB, Sensibilisierungs-Kampagnen - Eigeninitiativen - Bewusstseinschaffung für demokratische Prozesse - Hilfestellung für Konfliktverhalten
Konsequenzen -
Stadionverbotskonzept Ausnahmeregelungen bei Pyrotechnik
Graphik 1
7.2 Leitfragenkatalog 43
Interviewleitfaden: Fußball-Fanprojekte in Österreich 1. Einleitung: Allgemeine Vorstellung: Name, Ausbildung, Sinn und Zweck des Interviews, Hintergrund über die Forschung, Rahmen der Untersuchung, Versichern der Anonymität
2. Einstiegsfrage: Würden Sie bitte kurz beschreiben, was Ihre berufliche Tätigkeit in/bei (Unternehmen einfügen) beinhaltet bzw. was Ihre Kompetenzbereiche sind?
3. Fragenblock: Fans
a. Wie würden Sie die Zuschauer bzw. Fans unterscheiden und welche Aspekte sind vor allem wichtig im Hinblick auf die Unterscheidung?
b. In welcher Weise stehen die Fans bzw. Fangruppen anderen Akteuren (wie z.B. einfügen) im Profifußball gegenüber?
c. Welche Gruppe von Fans birgt Ihrer Ansicht nach Konfliktpotential in sich und warum?
d. Wir würden Sie die Charaktere bzw. das Umfeld von Fans einschätzen, die zu den konfliktträchtigen Gruppen gehören?
e. Wie sehr sind diese Personen von strafrechtlichen Konsequenzen betroffen?
f. Was würden Sie aus Ihrer Erfahrung heraus sagen, wie sich diese Konsequenzen auf das weitere Handeln/Verhalten von Fans auswirkt?
g. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass Fans durch ihre Anhängerschaft und möglichen Konflikten mit dem Gesetz in einen „Strudel der Kriminalität“ rutschen könnten? 4. Fragenblock: Kriminalstatistik 44
siehe Beiblatt a. Wie würden Sie den Rückgang bei den Anzeigen österreichweit erklären?
b. Und für Tirol? Und bezüglich Gewaltdelikte?
c. Wie ist der hohe Anteil an Anzeigen gegen Erwachsene im Verhältnis zu den Jugendlichen und jugendlichen Erwachsenen zu beurteilen?
5. Fragenblock: Akteure a. Was bedeutet für Sie Fanarbeit?
b. Wie stellt sich Ihrer Ansicht nach Fan-Arbeit in Österreich dar?
c. Was müsste Ihrer Ansicht nach verändert werden?
d. Welchen Akteuren kommt Ihrer Ansicht welche Aufgabe in Hinblick auf Veränderung zu?
e. Wie schätzen Sie deren Verantwortungs- und Handlungsrahmen bzw. mögliche Abhängigkeiten ein?
7.3 Transkriptionen 45
Interview mit Armin Weber Fanarbeit Innsbruck 12. Oktober 2013 Räumlichkeiten der Fanarbeit Innsbruck I: Interviewer W: Armin Weber von Fanarbeit Innsbruck
I: Mein Name ist Hübl Dominic und ich studiere Soziologie in Innsbruck. Sinn und Zweck des Interviews ist das Führen eines Experteninterviews für meine Bachelorarbeit. Der Titel der Bachelorarbeit ist „Fußball-Fanprojekte in Österreich“. Die Perspektive ergibt sich aus einer sozialpolitischen Betrachtung. Es interessieren also die Akteure, die in diesem Bereich beteiligt, im Hinblick auf die Fans und die Wirksamkeit bzw. wo die Gefahren liegen. Also immer in Bezug auf die Fußballfans und deren Entwicklung. Der Rahmen der Untersuchung beinhaltet vier Experteninterviews. Mit Ihnen, dann wahrscheinlich mit der Bundesliga, mit dem Verein FC Wacker und mit pro supporters. Natürlich wird alles streng anonym behandelt. Das Interview transkribiere ich und verwende dann Methodiken zur Auswertung und würde natürlich gerne, falls Sie das wünschen, Ihnen es vorher auch noch mal schicken. Soweit irgendwelche Fragen? W: Nein, überhaupt nicht. I: Die erste Frage. Würden Sie mir bitte kurz beschreiben, was Ihre berufliche Tätigkeit bei der Fanarbeit ist oder beinhaltet bzw. was Ihre Kompetenzbereiche sind? W: Ich bin leitender Angestellter, Sozialarbeiter, bei der Faninitiative Innsbruck und leite das Projekt Fanarbeit Innsbruck – Sozialarbeit mit Fußballfans. Sinn und Zweck dieses Projektes ist es, die Fußballfans in Innsbruck sozialarbeiterisch zu betreuen und zu begleiten. Die Hauptaufgabengebiete sind die Begleitung bei jedem Spiel des FC Wacker Innsbruck, die Beratung in Problemsituationen, die Intervention in kritischen Situationen und Bildungsarbeit insofern, als dass man versucht, Projekte mit Fans umzusetzen, die von Fanseite aus gewünscht werden. Und dass man auch zum Thema Gewaltprävention vor allem an Schulen und Jugendzentren tätig wird und mittels Workshops Themen wie Gewalt, Diskriminierung und auch Substanzmissbrauch aufarbeitet. Um eine gewisse Sensibilität für diese Themenbereiche, die ja doch den Zuschauerfußball betreffen, Sensibilität aufzubauen, vor allem bei Jugendlichen. I: Indirekt sind jetzt die Fans Ihre Auftraggeber. In wie fern ist Ihre Arbeit noch abhängig von Anderen? Also Finanzierung oder eben auch Auftraggeber? W: Das Schöne daran ist, dass es eben prinzipiell die Fans als Auftraggeber gibt, was sehr untypisch ist für sozialarbeiterische Projekte. Dass die Zielgruppe, die angesprochen werden soll, auch gleichzeitig der Auftraggeber ist, durch die Faninitiative. Die Faninitiative setzt ihren Schwerpunkt wirklich auf die Begeleitung der Fans, auf die Beziehungsarbeit und auf die Projektunterstützung. Die öffentliche Hand, die Abteilungen „Soziales und Sport“ von Stadt und Land setzen natürlich ganz stark auf den Präventionscharakter von Sozialarbeit. Das heißt, extremes Verhalten sollte mittels der Betreuung durch Sozialarbeiter im Vorhinein bereits unterbunden werden. Das ist der klare gesellschaftliche Auftrag. Dass Jugendliche und junge Erwachsene nicht straffällig werden und sich den Regeln entsprechend benehmen. 46
I: Gut. Zu den Fans an sich: Wie würden sie die Zuschauer bzw. die Fans unterscheiden und welche Aspekte sind vor allem wichtig in Hinblick auf diese Unterscheidung? W: Das ist eine ganz schwierige Frage, weil man immer wieder versucht diese Unterscheidungen zu treffen. Man wird dann aber, wenn man in der Praxis arbeitet, eines Besseren belehrt. Prinzipiell treffe ich die Unterscheidung zwischen „aktiven Fans“, in dem Sinne aktiv, dass sie organisiert in Fanklubs, regelmäßig bei den Spielen des Vereins da sind. Und „aktiv“ heißt, dass sie unterstützen, dass sie Fahnen, Choreographien, etc. verwenden, um ihre Unterstützung kund zu tun. So würde ich die aktive Fanszene einschätzen bzw. das ist die einzige Differenzierung für die Nord-Tribüne in Innsbruck, die man überhaupt treffen kann. Das heißt wirklich aktive Fanszene und normale Fanszene unter Anführungszeichen, die eben nicht so organisiert auftritt und mittels der klassischen Stilmittel der Ultra-Subkultur ihre Unterstützung dem Verein gegenüber kund tut. Das sind dann ganz normale Leute, die sich innerhalb ihrer Freundeskreise treffen, zum Fußball gehen, dort ein Bier trinken und auch mitsingen. Aber das tun sie nicht aktiv in dem Sinne, dass sie es organisieren, sondern sie sind quasi Konsumenten der Nord-Tribüne. Die machen zwar mit, aber nur weil es das halt gibt auf der Nord-Tribüne. Und so kann man es ungefähr unterscheiden. Also wirklich dieses „aktiv“ von diesem, „passiv“ kann man schwer sagen, aber von diesem unorganisierten Zugang, der eher in die Richtung geht: „ich gehe heute mal zum Fußballspiel, und dort schaue ich, was passiert“. I: Das heißt, man könnte sagen, diese sind erlebnis- und konsumorientiert, die sie mit „passiv“ ansprechen? W: „Erlebnisorientiert“ ist ein besetzter Begriff der Polizei. Erlebnisorientiert heißt „Hooligan“. Also man darf diese Bezeichnung für die normalen Fußballzuschauer nicht nehmen, weil eben schon so viele Begriffe besetzt sind. Ich sage immer, die aktive Fanszene ist meine Zielgruppe. I: Wen machen sie da genau aus? W: Vorwiegend diese Fans, die sich in Fangruppen und Fanklubs organisiert haben. I: Sie haben den Begriff „Ultras“ bereits verwendet. Diese Fanklubs würden Sie mit dem Begriff Ultras subsumieren? W: Kann man in Innsbruck tun, ja. I: In welcher Weise stehen die Fans anderen Akteuren im Profifußball wie der Polizei, dem Verein oder der Bundesliga gegenüber? W: Also wenn man von meiner Zielgruppe, den ultraorientierten Fanklubs, ausgeht, dann ganz klar kritisch bis negativ bis feindlich gesinnt. Die Polizei ist ein klares Feindbild. Die Polizei schränkt die persönliche Freiheit ein und die Polizei handelt ungerecht. Die Polizei ist einer der Feinde der Ultra-Subkultur und als solches wird sie auch klar gesehen, betitelt und zum Teil bekämpft. Die Bundesliga wird als Kommerzialisierungsinstrument gesehen, also die österreichische Bundesliga gilt auch unter den ultraorientierten Fans als Institution, der auch kritisch gegenüber gestanden wird, so kann man das sagen. I: Dem Verein gegenüber? 47
W: Dem Verein gegenüber in Innsbruck ist die ultra-orientierte Fanszene relativ wohl gesonnen. Das aber nur deswegen, weil in Innsbruck ein sehr gutes Verhältnis zwischen Verein und Fanszene besteht. Das heißt, es wird sehr respektvoll miteinander umgegangen. Das war nicht immer so. Vor allem in den 90er Jahren war der Verein sehr wohl ein zu hinterfragendes Konstrukt in diesem ganzen Gebilde Zuschauerfußball. Der Verein wurde auch sehr oft kritisiert. Das hat sich mittlerweile in Innsbruck, Gott sei Dank, etwas geändert. Das hat eigentlich mit den handelnden Personen über die Jahrzehnte zu tun. I: Darf ich da noch einmal kurz nachhaken? Diese extreme Spannung gegenüber der Polizei: welche Ursachen hat das? W: Viele. Einerseits prinzipiell die Gesellschaftskritik und das kritische Auseinandersetzen mit gegebenen Ordnungsstrukturen, was natürlich eine jugendliche Subkultur auszeichnet. Das heißt, Kritik an den bestehenden Strukturen ist eines der Lebenselixiere von Protestkulturen, wenn man das so sagen will. Dann kommt einfach dieser zunehmende repressive ordnungspolitische Auftrag hinzu, der vor allem im Fußballumfeld ganz sichtbar wird. Das heißt, im Fußballumfeld ist dermaßen viel an Überwachungs- und Einschüchterungsmethodik dabei, dass man sagen muss, Polizei im Fußballumfeld wird ganz anders wahr genommen als Polizei im normalen Alltag. Das kann sich auch jemand, der nicht zum Fußball geht, nur schwer vorstellen, wie dort die Polizei auftritt und wie sie im normalen Alltag auftritt. Das sind zwei ganz verschiedene Welten. Das wird dann auch als Einschränkung begriffen und zum Teil werden auch Überschreitungen der Polizei wahrgenommen. Das heißt, besonders brutales Vorgehen und Missbrauch der eigenen Staatsgewalt. Und das sind dann Dinge, die die Fans natürlich als Thema aufgreifen und sich ungerecht behandelt fühlen und somit untereinander große Solidarität besteht. Dann schafft man genau dieses Gruppengefüge „Wir und die Anderen“ und die Polizei ist mittlerweile eine Gruppe in diesem ganzen Fußballumfeld. Das heißt, es gibt die gegnerischen Fangruppen, es gibt die Polizei und dann gibt es die eigene Gruppe. Und das ist nicht, aus meiner Sicht, Sinn und Zweck der Sache. Aber mittlerweile wird die Polizei als feindliche Gruppe gesehen und dementsprechend gibt es immer wieder Auseinandersetzungen mit der Exekutive. I: Wenn wir auf die Triade eingehen: Eigener Fanklub, gegnerischer Fanklub und Polizei – wie sieht es da mit Solidarisierungen aus? W: Prinzipiell gibt es die. Immer da, wo aus Sicht der Fans Ungerechtigkeiten passieren, wird sich solidarisiert mit anderen Fangruppen. Beispielsweise, wenn die Ultras Rapid, keine Ahnung, massive Probleme bei irgendeinem Polizeieinsatz haben, dann kann es durchaus sein, dass eine andere Fangruppe in Österreich ein Transparent schreibt, wo darauf steht: „Das und das … Solidarität mit Ultras“. Das heißt, es gibt da eine übergeordnete Solidarität unter den ultra-orientierten Fans, die sie auch immer wieder zeigt. Trotz aller Rivalität, die sie unter einander leben. I: Bleiben wir noch kurz bei den anderen Akteuren. Eine Frage zum Verein: Wenn Sie sagen, dass es in den 90er Jahren eher ein problematisches Verhältnis gegeben hat und dann einzelne Personen eine Veränderung hervorgebracht haben, kann man das kurz skizzieren, wie sich das vielleicht entwickelt hat? W: Also es war in den 90er Jahren bis hin zum Ende der 90er, die sehr erfolgreich gewesen sind beim FC Tirol, dort war absolut kein Interesse an dieser Ultra-Subkultur gegeben. Dort 48
wurden diese Fans eher als Übel wahr genommen und nicht als Element, das man durchaus auch vermarkten kann. Das ist erst später gekommen, als die Ultra-Bewegung in ganz Österreich und ganz Europa sehr stark geworden ist. Da haben dann auch in Österreich die Vereine erkannt, „Hoppla, da gibt es ein sehr großes Potential, dass man auch vermarkten kann“. In den 90er waren sie Spinner, die unnötig Radau provozieren, und dementsprechend wurde mit ihnen umgegangen, also respektlos. Das hat sich in Innsbruck nach dem Konkurs und nach der Neugründung geändert, weil ein Obmann da war, der naturgemäß auf die paar Fans, die noch übergeblieben sind aus die FC Tirol-Ära, zurückgegriffen und mit ihnen einen Dialog begonnen hat und dort dann gemerkt hat, „Ah, o.k., die beschäftigen sich intensiv mit der Vereinsgeschichte und beschäftigen sich intensiv mit der Entwicklung des Fußballsports“ und zeitgleich bringen sie Stimmung ins Stadion, was enorm wichtig ist, um das Produkt Fußball zu verkaufen. Also ich glaube, das sind wichtige Aspekte, die die heutige UltraKultur ausmachen. Und die Vereine erkennen, dass das Ganze, trotz aller Probleme, die auftreten, gleichzeitig ganz wichtig ist für den lebendigen Fußballverein. Dann geht es auf einmal und in Innsbruck war es der Obmann Gerhard Stocker, der Gespräche mit den Fans und der Faninitiative geführt hat und dort gemerkt hat, „O.k., das hat durchaus Sinn und Hand und Fuß, was die da machen“. Und dementsprechend geht man aufeinander zu. Das heißt, Wünsche von Fans werden respektiert, nach Möglichkeit auch umgesetzt. Das betrifft vor allem Freiräume im Stadion, damit sie ihre Subkultur bestmöglich leben können. Beispielsweise Kleinigkeiten, die aber im Fußballumfeld viel ausmachen. Eine werbefrei Nordtribüne, damit die Fußballfanklubs ihre Transparente aufhängen können und keine Werbebanden überhängen. Das sind so Kleinigkeiten, die in Innsbruck langsam etabliert worden sind und die funktionieren. Bis hin zur Umbenennung, Rückbenennung eigentlich, in den FC Wacker Innsbruck, was auch von Fanseite her sehr propagiert worden ist und letztendlich dann über den Mitgliederverein wunderbar funktioniert hat. Das heißt, es ist entstanden nach dieser extremen Verkommerzialisierung - FC Tirol- mit diesem riesig aufgebauschten Budget, das aber nur auf Schulden basiert hat, hin zum ehrlichen kleinen Fußballverein, wo die Fans auch wieder Identifikation gefunden haben. Und auf einmal war das Verhältnis auch ein sehr gutes. Und das zieht sich jetzt weiter. Das hat Jeder in Innsbruck verstanden. Der Verein lebt von der Nordtribüne und die Nordtribüne lebt vom Verein. Und dieses Verhältnis funktioniert einfach gut, weil es auch eine sehr freundschaftliche und respektvolle Basis gibt. Ist bei vielen anderen Vereinen in Österreich, wie man bei [SK] Rapid [Wien] z.B. sieht, etwas anders. I: Dieser symbiotische Charakter zeichnet sich jetzt dadurch aus, dass der Verein, wie du erwähnt hast, z.B. auch auf andere Einnahmequellen, auch wenn es nicht dermaßen große sind, wie die Werbebanner, verzichtet, damit er dann doch den Fans den Freiraum bietet, weil er unter anderem ja auch von den Fans lebt. W: Genau. I: Es ist ein Aspekt, wenn nicht auch der Wichtigste, aber doch auch… W: Ich würde sagen, aus Vereinssicht ist es der wichtigste Aspekt. Ich unterstelle nach wie vor allen Vereinsobleuten und Geschäftsstellenmitarbeitern, dass sie jetzt nicht zwingend als Prämisse haben, die Ultra-Subkultur zu fördern, sondern als Prämisse haben sie klar „Wir wollen eine lebendigen Verein, der möglichst viele Zuschauer anspricht“. Und wenn man erkennt, dass gerade in Österreich die Fantribüne die Tribüne ist, die immer voll ist, vor allem in Österreich, und der Rest des Stadions ist leer, dann muss man sich ernsthaft Gedanken darüber machen, wie gehe ich mit dieser Gruppe um, denn sie sind letztlich meine Stammkunden. Deswegen rede ich auch so betriebswirtschaftlich, weil ich nach wie vor den 49
Vereinsobleuten und -funktionären unterstelle, dass sie das zum Teil sehr bewusst machen. Aber es nutzt ja, und das ist das Wichtige. I: Dann denkt man, dass es bei anderen Vereinen, wie du erwähnt hast, bei Rapid z.B., wo die Vereinsobleute nicht so viel Rücksicht nehmen auf die Fans, dass sie andere finanzielle Quellen haben, damit der Verein auch lebendig und weiter auf hoher Klasse in Österreich spielen kann oder wie ist das jetzt zu verstehen? W: Ich glaube, dass nicht alle Fußballvereine oder Funktionäre vor allem, es begriffen haben. Bei Rapid ist es lange Zeit so gewesen, dass Rapid sehr wohl gewusst hat, was sie an den Ultras Rapid haben. Wenn man sich die Mitte der 90er Jahren ansieht, wo Rapid vor 3000 Leuten gespielt hat, egal wie der sportliche Erfolg war und jetzt haben sie die „Hütte“ immer voll, weil genau dieses Erlebnis Fußball im Hanappi-Stadion [Gerhard-Hanappi-Stadion – Heimstadion des SK Rapid Wien] sehr spürbar ist. Dann sage ich sehr wohl auch, in Wien wurde es erkannt und auch gefördert. Das, was bei Rapid nicht passiert ist, glaube ich, ist, dass das Ganze nicht auf eine halbwegs handhabbare, vernünftige Ebene gehievt wurde. Weil die Ultras Rapid als Gruppe natürlich auch eine sehr starke Fangruppe sind, die auch sehr viel Problempotential mitbringt. Und dieses Problempotential wurde von Rapid immer negiert und jetzt haben sie den Scherbenhaufen. In Innsbruck war es so, dass man versucht hat, durch starke Fanbeauftragte, starke Sicherheitsbeauftragte und ständige Kommunikation, immer klar zu sagen, „Jungs, ihr habt die und die Freiheiten, aber wenn Probleme passieren, Ausschreitungen passieren, dann ist klar, dann sind wir als Verein zum Handeln gezwungen“. Und so wurde das in Innsbruck auch immer kommuniziert bis hin zum Stadionverbotsmodell, was in Innsbruck ein wunderbares Beispiel dafür ist. Der Verein FC Wacker Innsbruck hat mit der Fanarbeit dieses Modell geschaffen. Das wird von der Fanszene akzeptiert, von der Bundesliga akzeptiert und zeigt einfach, man kann durch Kommunikation und Dialog viel bewirken, was jetzt bei Rapid nicht mehr der Fall ist. Rapid hat die höchsten Stadionverbotszahlen und natürlich nach diesem Platzsturm [22.05.2011 beim „Wiener Derby“ gegen den FK Austria Wien] auch vergeben müssen. Und das hat bei der Fanszene wiederum für Kritik gesorgt. Da stimmt das Gleichgewicht aus meiner Sicht nicht. Ich habe zwar keinen Einblick, wie es intern bei Rapid funktioniert, aber so wie es sich jetzt darstellt, hat in der Kommunikation irgendetwas doch nicht funktioniert. Da war kein Gleichgewicht gegeben und dementsprechend ist die Situation, wie sie ist. Bei uns hat es dieses Gleichgewicht, Gott sei Dank, seit 2004/05 gegeben und seit dem entwickelt sich das stetig. I: Kurz skizziert, wie sieht das Stadionverbotskonzept in Innsbruck aus? W: Also in Innsbruck waren wir immer, auch von Vereinsseite, dagegen, bei Problemen und Personen, die eventuell Probleme machen, diese auszusperren. Weil Wacker Innsbruck immer seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung irgendwie treu war. Das heißt, nur weil Jemand Probleme macht, ihn auszusperren, war noch nie ein probates Mittel und wird es nie sein. Das heißt, was gibt es sonst für Lösungen? Und da ist die Lösung etabliert worden, dass ein betroffener Fan mit dem Sozialarbeiter ein sogenanntes Vermittlungsgespräch führt. Dort wird die Situation, die ausschlaggebend war, dass die Bundesliga ein Stadionverbot verhängen möchte, analysiert, wird reflektiert und dann wird ein gemeinsames Protokoll verfasst. Das wird vom Sozialarbeiter und vom Fan unterschrieben, wo drin steht, was in diesem Gespräch passiert ist und ob der Fan die Verantwortung für die Tathandlung übernimmt oder ob er sagt, er war das gar nicht. Das passiert auch manchmal, dass die Polizei anzeigen schreibt, obwohl die betroffene Person unschuldig ist. Und dann wird das ganz transparent der Bundesliga übermittelt. Und die Bundesliga entscheidet auf Basis dieser 50
Stellungnahme, ob ein Stadionverbot verhängt wird oder nicht. Das ist ein sehr transparentes und sehr faires Verfahren für die Fans, weil sie wissen, da hört ihnen Einer zu. Sie werden nicht pauschal verurteilt, sondern sie können sich zu der Tatsache äußern. Und wenn es ein Stadionverbot in Innsbruck gibt, dann ist das auch berechtigt, weil der Fan entweder rechtskräftig verurteilt von einem Gericht wurde oder weil er selbst zu gibt „Ja, da habe ich mich fehl verhalten“. Und dafür gibt es auch die Möglichkeit, dass er dann vereinsnützliche Dienste, so nennen wir das, ableistet anstelle eines Stadionverbots. Beispielsweise, dass er dann an Spieltagen dem Verein hilft, das ganze drum herum aufzubauen, Werbebanden etc. Und somit kann er sich für den Verein nützlich machen und gleichzeitig das Spiel sehr wohl auch ansehen. Das sind alles Methoden, die schaffen eine gute Vertrauensbasis. Und dementsprechend kann man ganz viele Probleme, die sonst durch Stadionverbote und durch Ausschlüsse von Personen entstehen, so einfach umgehen. I: Wenn wir die Fanarbeit Innsbruck hernehmen und dem, was du über Rapid erzählt hast: Kann man die als Extrempole ansetzen, wie der Verein mit seinen Fans und der Problematik umgeht und es befinden sich alle anderen Verein dazwischen, oder… W: Also ich glaube das allernegativste Beispiel, wie mit aktiven Fans umgegangen worden ist, war seinerzeit bei [SV] Austria Salzburg bei der Übernahme durch Red Bull. Das war das absolute No-Go, wie man mit einer Fanszene, die sehr aktiv ist, umgeht. Jetzt aktuell, würde ich sagen, Austria Wien ist, leider Gottes, auch ein großes Negativbeispiel. Austria Wien hatte ein sozialpädagogisches Fanprojekt, hat dieses zu 100% finanziert und hat nach einem Jahr den zuständigen Herrn wieder auf die Strasse gesetzt und das ganze Fanprojekt zugesperrt, weil einmal Ausschreitungen passiert sind. Somit war anscheinend für Austria Wien der Kosten-Nutzen-Faktor nicht gegeben. Dass Sozialarbeit mit Fußballfans ein langfristiger Faktor ist wurde bei der Austria übersehen. Und die Austria, wie man jetzt sieht, hat einen Scherbenhaufen hinterlassen. Dort gibt es neo-nazistische Auswüchse vom wildesten und das hat sich erst entwickelt, seit dem diese Fanarbeit nicht mehr da ist. Da hat sich dann die Gruppe Unsterblich Wien wunderbar breit machen können, ohne Widerstände befürchten zu müssen. Und mittlerweile hat der Verein die halbe Fankurve ausgesperrt, weil sie überhaupt nicht mehr mit ihrer eigenen Fanszene umgehen hat können. Da sieht man, was halt passiert, wenn man den Dialog nicht führt. Und wenn man nicht auf Fangruppen eingeht. Und vor allem mit jugendlichen Fans immer wieder arbeitet und sie auch zu Konfliktlösungen hinführt. Denn, wenn einmal eine Gruppe wie Unsterblich Wien auf einmal da ist, dann wird es natürlich schwer, nur mit reden weiterzukommen. Das sind halt schwer gewalttätige Rechtsradikale. Und dann steht man vor diesem Scherbenhaufen. Also Austria Wien ist auch ein wunderbares Beispiel, wie Kommunikation kaputt gemacht werden kann. Das Geld, das sie sich erspart hätten, ist die andere Seite der Medaille. Wie viel Geld, wie viel Probleme und wie viel Imageschaden sich Austria Wien hätte ersparen können, wenn sie dieses Fanprojekt ordentlich ausgestattet weiter laufen hätten lassen, das ist die große Frage, die sich immer stellt. Was ist der Nutzen und der Kostenfaktor von Sozialarbeit mit Fußballfans oder von Sozialarbeit allgemein? I: Also da gibt es auch noch keine Ansätze, wo man dies beispielhaft darstellen kann, damit man es in diese ökonomische Sprache auch übersetzt? W: Man könnte es sehr wohl machen. Mir würde bei Austria Wien einfallen: Strafzahlungen auf Grund von diversen rechtsradikalen Auswüchsen seit 2010. Imageschaden wird sich schwer messen lassen. Da müsste man bei den eigenen Fans nachfragen, wer aller ins Stadion geht oder wer nicht mehr geht, weil die Situation so ist, wie sie ist usw. Dass könnte man natürlich in den heutigen Zeiten alles eruieren oder zumindest schätzen. Allein, man will es 51
nicht machen, weil man wenig Interesse hat, das eigene Scheitern finanziell auch noch aufzuwiegen. I: Du hast als Extrembeispiel auch die Übernahme von Austria Salzburg durch Red Bull hergenommen. Was ist da genau passiert? W: Letztendlich ist das, was 2003 in Innsbruck passiert ist, bei Austria Salzburg nicht passiert. Der Start eines Dialogs mit Fans. Es wurde, aus meiner Sicht oberflächlich, von Red Bull Seite sehr wohl gesagt „Ja, wir setzen uns schon hin mit den Austria Salzburg Fans“. Aber der Eindruck, der entstanden ist, ist: es gibt ein fertiges Management-Konzept von Red Bull und das beinhaltet die absolute Übernahme, die Auslöschung des Vereins Austria Salzburg mit Vereinsfarben, -namen, etc. hin zu einem Red Bull Werksteam, das dementsprechend vermarktet wird. Dazu passen keine Fans, die Freiräume haben wollen und dazu passen keine Fans, die kritisch gegenüber der Konzernführung sind. Somit war relativ schnell klar, wohin dieser unter Anführungszeichen Dialog führt, nämlich zur Eskalation, das ist passiert. Austria Fans haben massiv Pyrotechnik gezündet, haben noch ein letztes Mal gegen die Red Bull Übernahme protestiert, sind darauf hin dem Stadion ferngeblieben und haben ihren eigenen Verein wieder gegründet. Conclusio bei Red Bull war, dass das Stadion zum Großteil halb leer ist und keine besonders gute Stimmung in diesem Red Bull Tempel ist. Red Bull verdient mit Sicherheit kein Geld am Fußball in Österreich, also so viel ist klar. In wie fern sich das im Getränkeumsatz niederschlägt, das ist die große Frage, aber verdienen tun sie mit österreichischem Fußball nichts. I: Gut. Darf ich noch mal zurückkommen auf andere Akteure? Wir haben jetzt von der Polizei, von der Bundesliga, vom Verein und natürlich von den Fans gesprochen. Also wir hätten einmal diese vier Akteure, die sich hier finden. Fallen dir noch andere ein, die wirklich relevant wären in Bezug auf Fans? W: Ja, also, wenn man Verein und Bundesliga nimmt, dann gehören die jeweiligen Sicherheitsdienste, die von den Vereinen eingesetzt werden, dazu. I: Private Unternehmen? W: Die privaten Unternehmen, die Ordnerdienste sozusagen, also private Sicherheitsunternehmen. Die sind schon auch sehr maßgeblich daran beteiligt, wie eine Stimmung im Fußballstadion ist. Sicherheitsdienste sind ja die, die unmittelbar im direktesten Kontakt mit Fans stehen. Und wenn die, so wie in Innsbruck, auch ein sehr gutes Verhältnis zu den Fans haben, dann kommen solche Dinge wie die Ausnahme Pyrotechnikregelung in Innsbruck zu Stande. Und dann hat man im eigenen Stadion eigentlich wunderbar ruhige Fußballspiele, die sehr gut funktionieren. Das heißt, die sind schon auch sehr maßgeblich. I: Der Sicherheitsdienst aber übernimmt den Auftrag vom Verein? W: Das ist richtig. Also, er ist ein wichtiger Player, ist aber im Prinzip eine Vereinsangelegenheit. I: Also in dem Sinne dann abhängig von den Persönlichkeiten im Sicherheitsdienst? W: Auch, ja. Aber klar ist, der Verein gibt letztendlich die Anweisungen. In Innsbruck haben wir gesehen, wenn eine Einzelperson, der damalige Chef des Sicherheitsdienstes, eine 52
außergewöhnliche Persönlichkeit ist, dann kann man sehr viel erreichen. Das muss man schon immer sagen. Und er hat auch sehr viel von sich selbst eingebracht in diese Arbeit. Aber es ist schwer zu erklären. Der Sicherheitsdienst gehört zum Verein dazu, ist aber ein eigener Player, weil dort einfach wichtig ist, dass Leute vor Ort sind, die Fingerspitzengefühl haben, die mit den Leuten umgehen können – das ist das Um und Auf. Bei einem Türsteher in einem Lokal ist es eigentlich das Gleiche. Er ist auch vom Lokal angestellt, aber wenn er kein Fingerspitzengefühl hat, sieht es anders aus. Rein aus Fansicht gesehen: mit welchen Leuten habe ich am meisten Kontakt? Das sind die Sicherheitspersonen von Verein und Sicherheitsdienst, das ist die Exekutive und die Bundesliga über die Stadionverbote und über die diversen Sicherheitsrichtlinien, denen ich mich zu unterwerfen habe. Das sind eigentlich die wichtigsten Institutionen, mit denen ich mich ständig auseinandersetzen muss. I: Gut. Ist es überhaupt möglich, die Fans, die sich jetzt in der Ultra-Bewegung befinden, eher als eine homogene Gruppe zu bezeichnen oder was würdest du als Gemeinsamkeit dieser Personen ausmachen? W: Das ist schwierig zu sagen. Es sind prinzipiell sehr heterogene Personen und Personengruppen in diesen Fanklubs drin. Also wirklich unterschiedliche Schichten, unterschiedliche Schicksale und unterschiedlichste Ausformungen von Verhalten. Was sie gemeinsam haben, ist diese Solidarität, also Gruppensolidarität. Und das ist ganz interessant zu beobachten: ob Student, ob Rechtsanwalt, ob Lehrling, ob Arbeitsloser, die Gruppensolidarität ist da. Ein gibt ein „Wir-Gefühl“, das man so nicht begreifen kann, weil man nicht begreifen kann, was die Leute gemeinsam haben. Und da fehlt mir auch so schwer zu betiteln. Was ist das gemeinsame, was alle diese Menschen, die sich in so einer Gruppe organisieren, haben? Und dann sind wir schwer im Soziologischen drin: welche Bedürfnisse werden erfüllt durch diese Gruppe? Da gibt es unterschiedliche Erklärungsmodelle. Für mich persönlich, aber ohne wissenschaftlichen Anspruch, ist dieses Machtgefühl ein ganz wichtiger Punkt. Dass man als große, stimmgewaltige Gruppe, als Männergruppe, das muss man auch dazu sagen, dass dadurch, dass man da dabei ist, eine große Befriedigung generiert. Und, was auch ein ganz wichtiger Punkt ist, ist, dass man auf gewisse Art und Weise rebellieren kann. Gegen die Staatsmacht und gegen Kommerzialisierung. Das sind auch so Punkte, die man im alltäglichen Leben zunehmend sehr selten findet. Die Gesellschaft wird zunehmend unpolitischer. Gibt es noch Leute, die gegen Kommerzialisierung auftreten? Außer Linke Splittergruppen gibt es da fast gar nichts mehr. Das heißt, es ist schon auch stückweit Gesellschaftskritik darin verpackt und ich glaube, es ist so eine Mischung, die die Leute zu diesen Gruppen führt. Und dieses Gruppengefüge macht es dann auch aus, dass man sich stark fühlt, dass man sich respektiert fühlt. Was für junge Männer ganz wichtig ist, dass man gefürchtet wird. Das heißt, dass man auch ein gewisses Image einnimmt, durch die Zugehörigkeit zu einer Fangruppe, die in den Medien per se als gewalttätig, gefährlich oder ähnlich eingestuft wird. Ich denke, etwas Attraktiveres für einen jungen Mann gibt es kaum noch. I: Darf ich kurz zwischen fragen? „Junger Mann“ heißt jetzt welches Alter ungefähr? W: „Junger Mann“ heißt für mich im Alter von 15 bis 20, wo man sein Männlichkeitsbild findet oder finden sollte. Und wie gesagt, ein 15-Jähriger definiert sich schon sehr über körperliche Attribute, über Stärke und wenn man da bei einer Gruppe, einer Gang oder Bande, wie man es auch immer auch nennen will, es unterscheidet sich ja nicht großartig zu anderen Gruppen, dabei ist und medial gefürchtet wird, dann ist das natürlich etwas ganz Tolles.
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I: Jetzt würde mich interessieren: Wie ist dann die mediale Aufbereitung der Spiele der Bundesliga? Werden die Fans dann auch wirklich als die großen Problemmacher und als die gefährlichen jungen Männer dargestellt? W: Nein. Jetzt blöd gesagt, die Bundesliga vermarktet das insofern wenig bis gar nicht, außer die Bilder. Aber die Bilder macht ja auch der „Fernsehrechte-Inhaber“, das heißt, der ORF [Österreichische Rundfunk]. er ist da sehr zwiespältig, weil er einerseits z.B. Pyrotechnik wunderbar zum Anpreisen in Trailern für Bundesliga-Spiele hernimmt, gleichzeitig, wenn bei Bundesliga-Spielen dann live gezündet wird, dann wird das vom Kommentator schon immer sehr verurteilt und dass soetwas mit Fans und Fußball nichts zu tun hat. Aber sehr wohl beim nächsten Trailer ist das wieder als optischer Aufmacher drin. Also der ORF, in dem Fall als „Rechte-Halter“, und Sky [Sky Deutschland AG – Medienkonzern] vermarkten das auf ihre Art und Weise. Diesen großen gewalttätigen Touch, der kommt eher über die Printmedien. Da werden auch dann dementsprechende Fotos veröffentlicht. Mir bleibt in Erinnerung, als vor 3-4 Jahren [Fans von SK] Sturm Graz mit den Zügen angereist ist. Mit schwarz-weißen Sturmhauben ausgestattet sind sie dann durch Innsbruck gezogen und es hat auch Ausschreitungen gewaltsame Zusammenstöße gegeben. Und das Bild, dass dann auf der Titelseite der TT [Tiroler Tageszeitung] von dieser Gruppe Sturm Graz Fans präsentiert worden ist, war natürlich sehr einschüchternd, weil maskierte Männer immer einschüchternd wirken. Dazu die Schlagzeilen und der Bericht auf der Titelseite. Damit schmückt sich ein junger Mann sehr gerne. Teil dieser gefährlichen Gruppierung zu sein, mit Fotos usw., ist natürlich eine tolle Sache. Das machen eigentlich mehr eher die Printmedien auf lokaler Ebene, die dann wirklich Fans in dieses „alle Fans absolut Gewalttätige“-Eck stellen. I: Jetzt habe ich eine Gegenfrage. Wenn man sich mehr mit diesem Thema befasst, ist ja eigentlich eine starke Abneigung gegenüber der Medien zu finden. Das sie eigentlich die Sachverhalte immer komplett falsch darstellen. W: Das ist richtig, ja. I: Das heißt, das ist irgendwo auch ein ambivalentes Verhältnis zu den Medien? W: Extrem. Weil man ja an und für sich diese Medien konsumiert und sich total stark vorkommt, wenn man in diesen Medien steht als diese Gruppe. Auf der anderen Seite versucht man natürlich klar zu sagen, „Wir sind nicht alle ständig auf Gewalt aus, sondern wir sind ein Fanklub, der so und so viele Tätigkeiten macht“. Soziales Engagement, Stimmung, Choreografien, „uns liegt der Fußball am Herzen“ usw. Und genau so ist es auch. Das ganze Konstrukt ist sehr ambivalent. Und Gewalt und Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht und anderen Fangruppen sind ein Teil davon. Das sind Menschen, die viele Facetten haben. Das Schwierige zu begreifen ist, es gibt nicht den Gewalttäter, der zum Fußball geht, nur um Gewalt auszuüben. Gibt es schon auch, aber der ist in Österreich äußerst selten. Es gibt in Österreich diese ultra-orientierten Gruppen, da gibt es Menschen drin, die mehr zur Gewalt tendieren und Menschen, die weniger zu Gewalt tendieren. Das heißt aber nicht, dass ein- und dieselbe Person nicht unglaublich viel Tolles und Gutes für den Verein macht und für die Stimmung und für die Gruppe. Das heißt nicht, dass diese Person nicht genauso gewalttätig gegenüber einer rivalisierenden Fangruppe werden kann. Und das zu begreifen ist das Schwierige. Dass die Menschen nicht gut oder böse sind, sondern gut und böse. Das wird in den Medien nicht so dargestellt, weil damit sich schwer Geld machen lässt.
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I: Außerdem ist es ja soweit gesellschaftliche Konvention, dass die Gewalt öffentlich tabuisiert werden muss bzw. eben negativ besetzt ist… W: Ja. I: Gut, dann bleiben wir im Prinzip bei Gewalt oder was du bezeichnest, welche Art von Charakteren in diesen Gruppen unterwegs sind. Welche Gruppe von Fans oder Charaktere würdest du sagen, hat das am stärksten ausgeprägte Konfliktpotential? Welche Gruppen oder Fanklubs, von den Charakteren her, neigen eher … W: In Österreich generell ist die Ultra-Bewegung sehr früh entstanden und sehr ausgeprägt entstanden. Das heißt, generell in Österreich gehen auch von den Ultra-Gruppen die Ausschreitungen aus. Jetzt gibt es da Gruppen, die tun sich hervor und Gruppen, die weniger affin dazu sind. Aber letztendlich gibt es in Österreich diese einschlägigen HooliganGruppierungen so gut wie gar nicht mehr und dementsprechend ist es in Österreich zu subsumieren unter der Ultra-Bewegung. Von diesen Gruppen gehen auch Gewalttaten aus, das muss man ganz klar sagen. Jede Ultra-Gruppe, die dies verneint, hat genau die Ambivalenz in sich - sie muss das verneinen. Aber letztendlich ist es die Ultra-Bewegung genau so wie in Italien und genau so wie in Deutschland. Die Hooligan-Strukturen sind so nicht mehr gegeben, genauso wenig wie in Deutschland oder wie in Österreich. Es hat sich eine Mischkultur zwischen diesen Ultras und Hooligans ergeben und das führt aber auch zu einer gewissen Aufweichung und das merkt man auch in Deutschland. HooliganGruppierungen gibt es noch vereinzelt, die sind dann allerdings so versteckt und gehen auch mehr in die Richtung Kampfsport-Vergleich. Das heißt, sie treffen sich dann auf diesen klassischen Feld-, Wald- und Wiesenschlägerein um dort sich zu messen und beschädigen somit eigentlich keine Dritten. Das kann man somit vielleicht als eigenartige Form der Freizeitgestaltung bezeichnen. Trifft aber im Fußballstadion eher wenig zu, also rund um das Fußballstadion. Da muss schon ein großes Spiel sein, wo dann dieses Hooligan-Gruppen vielleicht noch aufeinander treffen. Aber das Gros ist versteckt und macht ihre Dinge im Verborgenen. I: Gehen wir jetzt spezifisch auf die Fans vom Wacker Innsbruck ein, von denen du die meisten wahrscheinlich auch persönlich kennst? Wie würdest du das einteilen oder sagen, wer eher gewaltbereit ist oder geneigt oder wie sich die Dynamiken entwickeln oder wer vielleicht Köpfe oder wer diese Führungspersönlichkeiten dahinter sind? W: Das kann ich natürlich schon sagen, aber das werde ich in einem Interview niemals öffentlich machen, weil ich als Sozialarbeiter natürlich Verschwiegenheitspflicht habe und dementsprechend klar sagen muss, obwohl ich sehr viele Personen in der Fanszene kenne, kann ich natürlich nicht über ihre Vorlieben und Ausprägungen sprechen. Das ist genau der Punkt der Sozialarbeit, der in Österreich noch nicht verstanden wird. Genau diese Art der Verschwiegenheit, die die Innsbrucker Fans sehr schätzen, ist z.B. gegenüber der Bundesliga und dem Verein immer etwas schwierig zu vertreten, weil sie es nicht ganz verstehen können. Aber eben in dem Falle kann ich über Innsbrucker Fangruppen und Fans nicht weiter in die Tiefe gehen. I: Respektiere ich natürlich voll und ganz. Können wir das dann vielleicht so zusammenfassen: es finden sich Einzelne und in Gruppen gewaltbereite Strömungen, die aber eher eigentlich als Reaktion zu gewalttätigen Handlungen greifen …
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W: Das ist schwierig. Meistens ist es so, dass die Mitglieder von Ultra-Gruppierungen sich gerne mit der gegnerischen Ultra-Gruppierung treffen würden, um eine kurze Auseinandersetzung körperlicher Natur zu führen. Das ist eigentlich der Hintergrund. Das ist jetzt relativ unabhängig vom Spielverlauf, das muss man ehrlich sagen. Es gibt Faktoren, wo Gewalt als Affekthandlung stattfindet, das betrifft aber meistens die Handlungen der Exekutive. Die meisten Ausschreitungen, die in den Medien sind, sind ja meistens auch Ausschreitungen, die zwischen einer Fan-Gruppe und Polizei stattfinden. Das verwechselt man oftmals. Es gibt ja ganz, ganz selten Kontakt zur gegnerischen Fangruppe, wo dann wirklich sich, wie es in den Medien dann immer so plakativ dargestellt wird, zwei Fangruppen die Köpfe einschlagen. Das gibt es ja ganz selten. Dennoch versuchen sie es immer wieder und das ist unabhängig vom Spielverlauf. I: Dann würde mich interessieren: Kennst du in Innsbruck auch Polizisten, damit du ungefähr deren Perspektive auf Fans rekonstruieren kannst? W: Ich kenne in Innsbruck keine uniformierten Exekutivkräfte, sondern nur die szenekundigen Beamten, mit denen ich durchaus immer wieder an Spieltagen ganz gut kooperieren kann. Aber die sind auch nicht direkt in den Auseinandersetzungen drin. Diese direkten Auseinadersetzungen finden eigentlich zwischen diesen schwer gepanzerten Einsatzeinheiten und den Fangruppen statt. Und von diesen Einsatzeinheiten kenne ich persönlich leider Niemanden. I: Das heißt, du kannst dir auch nicht vorstellen, wie vielleicht der Großteil der Polizisten am Spieltag mit welcher Einstellung zum Spiel geht? Was sie sich erwarten von den Fans? W: Vorstellen… I: Oder was erwarten sich die Fans, wie die Polizei prinzipiell reagiert? W: Die Fans erwarten sich, dass die Polizei bei Zusammenstößen sehr wohl eingreift, damit wird gerechnet. I: Zusammenstöße zwischen Fangruppen? W: Genau. Aber nicht, dass sie relativ schnell Zugriffe macht wegen vermeintlicher Verwaltungsstraftatbestände wie z.B. Pyrotechnik zu zünden. Das ist, so glaube ich, die Erwartung von Fans. Wenn es Ordnungswidrigkeiten gibt, wie man so schön in Deutschland sagt, dann ist von Fanseite aus, glaube ich, die Erwartung, dass da nicht zwingend gepanzerte Einsatzeinheiten in die Kurven gehen und einzelne Fans heraus verhaften. Und umgekehrt: wenn es wirklich zu Auseinandersetzungen kommt, dann ist jedem Fan, der in solche Auseinandersetzungen verwickelt ist, normalerweise schon klar, dass die Einsatzeinheiten ihre Pflicht tun müssen und da reingehen. Das wird, glaube ich, soweit auch akzeptiert. Von Seiten der Polizei ist es schwer, weil ich schon viele Polizisten miterlebt habe und die ganz unterschiedlich agieren. Also es gibt wirklich Polizisten, die sind sehr korrekt und denen merkt man an, dass sie wenig Interesse an Problemen haben. Es gibt aber auch die andere Sorte Polizisten, wo man schon merkt, die finden auch Gefallen an der Auseinandersetzung. Das merkt man immer wieder, leider Gottes. Das, was ich verstehe, ist, dass nicht immer jeder Polizist in jeder Situation korrekt reagieren kann, das sind auch nur Menschen. Aber es gibt auch Einsätze, die absolut bewusst so gesteuert werden und das unterstelle ich: wo einfach Einsätze stattfinden, wo man sagen muss, das kann nur zur Eskalation führen. Das ist
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immer das große Problem. Es hängt sehr viel von den Einsatzleitern ab, welche Befehle sie geben. Der einzelne Polizist muss den Befehl ausführen. I: Was ist, auch wieder vielleicht ganz kurz erklärt, eine eindeutige Provokation von der Exekutive? W: Nehmen wir das Beispiel [SV Josko] Ried, in Oberösterreich, wo wir dann auch eine Maßnahmenbeschwerde mit einigen Fans durchgeführt haben. Da ist es so gewesen, dass bereits vor dem Spiel eine Gruppe von Innsbrucker Fans, die in der Stadt Ried unterwegs war und dann friedlich zum Stadion marschiert ist, vor dem Stadion eingekesselt wurde, um deren Personalien aufzunehmen. Die Begründung war, es könnten [FC] Blau-Weiß Linz Fans darunter sein. Ob das eine zufriedenstellende Begründung ist, sei dahingestellt. Jedenfalls wurden dann von diesen 20 Leuten die Personalien aufgenommen. Das war schon einmal für die Fans eine unangenehme Situation und hat nicht besonders zur positiven Stimmung beigetragen. Die Fans sind dann ganz normal ins Stadion gegangen und andere Fans sind auch beim Einlass gewesen. Bei einem Fan wurde ein Sticker mit „A.C.A.B.“, also „All Cops Are Bastards“, vom Ordnerdienst abgenommen und der Polizei übergeben. Und dieser Fan ist dann von der Polizei zur Identitätsfeststellung abgeführt worden. Ein Sticker ist etwas wenig für eine Abführung und kurze In Gewahrsamnahme. Das waren alles so kleine Punkte, wirklich nur Kleinigkeiten, gegenüber einer Fangruppe, die sich absolut ruhig verhalten hat. Also es hat keine offensichtlichen Verstöße gegeben, weder verwaltungsstrafrechtlich noch strafrechtlich. Das hat sich dann immer weiter aufgeschaukelt. Dann waren wir im Stadion, im Auswärtssektor, und das habe ich, Gott sei Dank, mitbekommen. Ich bin beim Verpflegungsstand gewesen, habe mich mit einem Fan unterhalten, ein anderer Fan, der ebenfalls ein T-Shirt anhatte mit dem klassischen Spruch „A.C.A.B.“, der ist wirklich alleine auf die Toilette gegangen, ist aus der Toilette herausgekommen, also man muss sich das so vorstellen: die Toilette ist in einem Bereich hinter der Tribüne, wo während dem Spiel wenig Fans sind. Die meisten Fans waren auf der Tribüne. Dieser Fan ist also auf die Toilette gegangen, hinausgegangen, und wurde dann durch einen Zugriff von vier uniformierten Einsatzeinheiten verhaftet. Er ist aus dem Klo gegangen, hat nichts gemacht, ist verhaftet worden, ist raus gebracht worden aus dem Auswärtssektor und dann ist die Sache eskaliert, weil das natürlich einige Personen gemerkt haben. Und da sind wir dann bei der Gruppensolidarität, „der ist gerade alleine einfach aus dem Klo herausgegangen und verhaftet worden, was ist da los?“. Und dann hat diese Eskalation eingesetzt. Die Eskalation ist dann relativ schnell vorbeigewesen, der Fan wurde abgeführt wie der mit dem Sticker, Daten wurden aufgenommen und dann ist eine Anzeige wegen Beleidigung erstellt worden. Die Fans, die im Sektor waren, haben kurz Radau geschlagen, man kann es wirklich als Radau bezeichnen, haben kurz gegen die Gittertore getreten und ein bisschen herumgeschrien, haben dann aber letztlich nichts mehr gemacht. Dann war das Spiel vorbei, der Fan war retour und dann hat man 15 Minuten in dem Sektor warten müssen, bis man rausgehen hat können. Außen hat sich dann eine Hundertschaft an Einsatzeinheiten, die mit Sturmhauben, da sind wir wieder bei der Parallele zu den Sturm Graz Fans in der Presse, mit Schild und Helm usw. haben sich dann vor dem Auswärtssektor postiert. Die Wacker Innsbruck Fans haben dann zu ihren Autos gehen dürfen und dann hat es irgendeinen Zugriff gegeben, gegen einen Fan von Wacker Innsbruck, warum auch immer. Das haben dann andere Fans mittels Handy gefilmt, was absolut rechtmäßig ist. Darauf hin wurden dann diese Fans einzeln abgeführt, verhaftet und sie wurden gezwungen, diese Videoaufnahmen zu löschen. Und das dramatischste Beispiel war: eine Person, die bereits in einem abfahrfertigen Auto gesessen ist, das heißt, vier Personen in einem Privat-PKW, die haben nicht losfahren können, weil die Polizeikette vor ihnen war. Dann hat eine der Personen, in dem Fall der Beifahrer, sein Handy auf das Armaturenbrett gelegt und hat diese Polizeikette gefilmt, was der Polizeikette 57
nicht so gefallen hat. Der ist dann wirklich, und da war ich wirklich dabei, angehalten worden, aus dem Auto auszusteigen. Der war sehr eingeschüchtert und hat die Tür nicht aufgemacht. Dann haben sie geklopft und gesagt, wenn er nicht sofort die Türe aufmacht, dann schlagen sie mit dem Schlagstock die Türe ein. Dann hat er sie aufgemacht, ist mittels Gewalt aus dem Auto herausbefördert worden, ist mit überzogenem Polizeigriff usw. verhaftet worden unter der Prämisse, dass er sein Handy auf das Armaturenbrett gelegt hat. Also er ist komplett friedlich in dem abfahrbereiten Auto gesessen. Das waren alles so Dinge, wo man sich dann schon fragt, „Muss das sein?“. Muss so eine Eskalation sein und welchen Hintergrund hat so etwas? Und genau auf solche Ereignisse hin wird dieser Hass der UltraGruppierungen gegenüber der Polizei immens gesteigert. Das sind dann die Aktionen, die niemand versteht. Und um noch mal zurückzukommen. Es erwartet jeder, dass in Ausschreitungssituationen die Polizei einschreitet. Das erwartet jeder und dessen ist sich, glaube ich, jeder bewusst. Es erwartet niemand, wenn er zum Klo geht und ein T-Shirt anhat, das einen Ausspruch darauf hat, der durchaus kritisch zu sehen ist, aber ein Ausspruch auf einem T-Shirt im Staate Österreich, deswegen verhaftet zu werden bzw. verhaftet zu werden, weil man sein Handy im Auto zückt und damit eine Polizeikette filmt, damit rechnet niemand. Und das sind so die Probleme, die man dann hat, weil es einfach nicht legitime Einsätze sind und dann wird es schwierig. Und je mehr solcher Erfahrungen die Fans machen, umso mehr steigt dann auch die Solidarität in wirklichen Ausschreitungssituationen mit wirklichen Straftätern. Das hat man gesehen in Salzburg mit diesem „Bengalenwurf“ auf einen Polizeibeamten. Der wurde schwer verletzt, was sehr tragisch ist, aber, wie soll man sagen, das Mitleid hat sich in Grenzen gehalten. Und das ist eigentlich die dramatische Entwicklung. Dass das, wenn ein Polizist verletzt wird, oder egal ob Polizist oder nicht, jeder Mensch, der schwer verletzt wird im Fußballumfeld, eine sehr dramatische Entwicklung ist. Aber man wird scheinbar so abgestumpft als Ultra, dass man das dann nicht einmal bedauert. Und das sind dann gefährliche Entwicklungen. Und so stellt sich das für mich dar, sämtliche Situationen habe ich leider Gottes miterlebt, und zum Teil war ich einfach schockiert von beiden Seiten. Wie sie agieren und welche moralischen Einstellungen dahinterliegen oder nicht mehr dahinterliegen. I: Jetzt ist mir aufgefallen: Kann man da im Vergleich zu den Sicherheitsdiensten eigentlich auch davon ausgehen, dass, obwohl die Institution der Exekutive klare Richtlinien hat, es trotzdem bei Einsatzen wirklich auch von den Personen vor Ort, die diese Einsätze leiten … W: Ja, definitiv … I: … abhängt, wie den Fans begegnet wird… W: Absolut … I: Sprich, wir haben zwar eine Struktur, die die Polizei natürlich ist, aber in der der Einzelne noch diesen Handlungsspielraum, um dann … W: Die Einzelperson ist vor allem bei der Exekutive und vor allem bei den Sicherheitsdiensten enorm wichtig. Und letztendlich bei den Fans genau so. Es gibt ja auch innerhalb der Gruppen Menschen, die haben mehr zu sagen. Letztendlich hängt viel von diesen Einzelpersonen ab. Das ist definitiv richtig. I: Gut. Einen Punkt noch einmal kurz: die Gruppen lassen sich nicht irgendwie als homogene Gruppen charakterisieren, also es finden sich alle sozioökonomischen Schichten. Ich habe
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z.B. gehört, der „Chef“ der Ultras Rapid ist Immobilienhändler, der aktuell verurteilt worden ist. Da findet man im Stadion wirklich, so wie du auch gesagt hast, alles durch die Bank? W: Zumindest die Fans, die ich kennen gelernt habe, sind ganz unterschiedlich. Also wirklich: da gibt es keine Schicht, keine soziale Gruppe, wo man sagen könnte, die gehört klar da hin oder die Mehrheit gehört da hin. Maximal, dass der normale Angestellte und Arbeiter überrepräsentiert ist. Aber selbst das ist mit Vorsicht zu genießen. Für viele Akademiker und Maturanten wird es ja auch zunehmend ein Thema, Gesellschaftskritik zu üben. Und wo und wie übt man sie aus? Auch selbst da sind die Ultra-Gruppen sehr willkommen für Studenten, die Gesellschaftskritik üben wollen. Es ist schwierig, wirklich schwierig zu sagen. I: Gut, dann lassen wir das so stehen. Es ist für mich eigentlich eindeutig. Gehen wir über zu einem ganz wichtigen Punkt für meine Studie: Wenn es so weit kommt, dass die Polizei eingreift und Jemanden verhaftet bzw. es finden Anzeigen statt. Wie weit sind deiner Erfahrung nach diese Personen meistens dann von strafrechtlichen Konsequenzen betroffen? Wird das eher als Bagatell-Delikt abgehandelt oder hat es auch wirklich ernstere Konsequenzen? W: Ein wunderbares Beispiel ist Rapid, ein Auswärtsspiel betreffend Wacker Innsbruck Fans. Das war 2012. Das vermeintliche Problem war, und das ist auch an uns, an Verein und Sozialarbeiter gegangen, dass Fans auf dem Zaun sitzen und sie runter müssen. Jetzt ist es den Fans schwer zu erklären, dass Zaunsitzen nicht erwünscht ist. Da sind wir wieder beim Thema Freiraum und Einschränkungen. Es ist von unserer Seite versucht worden, „Jungs, geht bitte runter vom Zaun, sonst kommt die Polizei und holt euch runter“. Jetzt waren die meisten der vermeintlich gewalttätigen Fans noch überhaupt nicht im Sektor drin, das war nämlich vor dem Spiel. Und siehe da, die Einsatzeinheit WEGA hat wirklich nichts Besseres zu tun gewusst, als da reinzumarschieren und diese „Zaunsitzer“ zur Ordnung zu rufen, wenn man so sagen will. Und das ist natürlich dann eskaliert. Polizei im Block ist nie gut, wird als extremer Einschnitt in die Freiheit gesehen und dementsprechend hat es dann ein paar Becherwürfe gegeben, also Bierbecher sind gegen die Polizei geflogen. Die Polizei hat sich den Weg frei gemacht, wie man es kennt und hat ein paar Leute verhaftet. Insgesamt waren es acht Personen. Von diesen acht Personen sind acht Personen in Gewahrsam genommen worden, also nicht nur Identitätsfeststellung, sonder beinhart wirklich mittels Transporter in die Rossauerlände geführt worden und in Gewahrsam genommen worden. Das über mehrere Stunden. Da fangen wir schon einmal an: Es ist eine Freiheit entziehende Maßnahme, die die wenigsten Bürger jemals über sich ergehen lassen müssen. Die Grundlage für diese freiheitsentziehende Maßnahme war dreimal das Verwaltungsstrafrecht, also sprich eine Übertretung, weil ich schimpfe „Scheiß Bulle“ oder Ähnliches. Deswegen Jemanden in Gewahrsam zu stecken ist schon ein starkes Stück. Aber das sei jetzt dahin gestellt. Dann haben von diesen acht Personen fünf Personen eine strafrechtliche Anzeige bekommen. Hauptsächlich wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Bei diesen fünf Personen, sie hatten die Verhandlungen am Landesgericht in Wien, gab es vier Freisprüche und ein Schuldspruch in zweiter Instanz, der dann zu einer bedingten Haftstrafe wegen „Widerstand“ führte. Ein unbescholtener Bürger im Übrigen, der aus dem Stand heraus zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden ist. Jetzt haben wir dieses Beispiel: Widerstand gegen die Staatsgewalt ist angeklagt worden, angezeigt wurde dann auch die „Versuchte Schwere Körperverletzung“ gegen einen Polizeibeamten. Das ist dann von der Staatsanwaltschaft fallen gelassen worden, also nur mehr unter Anführungszeichen Widerstand. Das hat natürlich die Fanszene auch gewusst und dann ist er zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden, was natürlich Solidaritätseffekt gehabt hat. Es wurde nicht verstanden, warum 59
Jemand, der sich vielleicht nur mit der Schulter wegreißt verurteilt wird. „Sei es drum“, eine Verurteilung. Also von in Summe acht in Gewahrsamnahmen, 5 strafrechtliche Anzeigen, 4 Freisprüche. Der Schnitt „macht es“ aus meiner Sicht. Wer und was wurde verhaftet und weswegen? Scheinbar sind, aus meiner Sicht, einfach fünf Verhaftungen absolut zu Unrecht erfolgt, wenn nicht sechs oder sieben. Und das ist ein Problem, weil, wenn man so agiert und dann das herauskommt, dann müsste an und für sich von der Polizei und von der Justiz vor allem hinterfragt werden, was da passiert. Zumindest die Hälfte sollte dann doch wirklich etwas gemacht haben. Wenn das dann nicht mehr ist, dann wird es übel. Das war wieder so ein Beispiel, wie die Dinge ablaufen und welche Konsequenzen dann auch rauskommen. Man kann wirklich sagen, dass für das simpelste Vergehen sofort ein strafrechtlicher Vorwand gesucht wird. Und seien es die „Zaunsitzer“. „Zaunsitzen“ ist in den österreichischen Stadien verboten, ich weiß aber nicht, was der Verwaltungsstraftatbestand dazu wäre. Das mag dann die „Störung öffentlicher Ordnung“ sein, „Gefährdung“, irgendetwas. Mir ist noch nie jemand wegen „Zaunsitzen“ bekannt gewesen, der dann nach dem Verwaltungsstrafrecht bestraft wurde. Also der Einsatzgrund und das, was dann herausgekommen ist, ist eine sehr interessante Geschichte. Ich habe keine strafrechtlich relevanten Vorfälle vor diesem Einsatz gesehen und ich war im Sektor. Es ist mir nicht bewusst gewesen, dass jemand irgendetwas getan hätte, das gegen das österreichische Recht wäre. Weder verwaltungsstrafrechtlich noch strafrechtlich. Und trotzdem ist ein Einsatz mit der WEGA, und die WEGA ist nicht irgendwer, sondern eine Sondereinsatzeinheit, gestartet worden. Und da sind wir wieder bei der Frage: Wer gibt den Einsatzbefehl und weswegen? Und Conclusio war auch diesmal: es hat ein betroffener Fan eine Maßnahmenbeschwerde gegen seine Verhaftung eingeleitet und hat vom UVS [Unabhängiger Verwaltungssenat] in Wien auch recht bekommen. Aber es bringt wenig bis gar nichts, wenn einfach klar ist, dass man sich selbst vor dem Strafrichter in Wien wiederfindet. Also man hat viel Schockierendes miterlebt und man kann, wie gesagt, auch beide Seiten verstehen. Und um zurückzukommen: Verwaltungsstrafrechtlich kommt sehr viel heraus, also wirklich Alles bis hin zum „A.C.A.B.“-Sticker. Strafrechtlich auch sehr viel, allerdings tun sie sich dabei bedeutend schwerer, weil dort natürlich die Staatsanwaltschaft am Zug ist. Also da muss etwas ordentlicher ermittelt werden, Verwaltungsstrafanzeigen „gehen weg wie die warmen Semmeln“. I: Ich greife jetzt etwas vor zu dem Block Akteure, aber würdest du es jetzt so einschätzen, dass die Exekutive ein Interesse daran hat, die Fußballfans zu kriminalisieren? W: Das ist natürlich eine Aussage, die ich so nicht tätigen kann. Ich glaube, die Exekutive hat aus ihrer Sicherheit erhaltender Sicht ein großes Interesse daran, dass die Gruppen nicht expandieren, sondern eher kleiner werden. Weil diese Gruppen aus polizeilicher Sicht per se als Problemgruppen eingestuft werden und somit hat die Polizei kein Interesse daran, dass diese Problemgruppen wachsen, sondern hat eher Interesse daran, die Strukturen dieser Gruppen nachhaltig zu schädigen, damit diese Gruppen kleiner werden und irgendwann ganz verschwinden. Ich glaube, so kann man es ohne Verleumdungsabsicht sagen. So wie du es geschildert hast, wäre es eine starke Aussage, sagen wir es so. I: Wie wirkt sich das auf das weitere Verhalten oder den weiteren Handlungsrahmen der Fans aus? Ob sie jetzt direkt betroffenen sind, auch von den selbst wahrgenommenen, fälschlich angewandten Maßnahmen, oder auch wenn sie Jemanden kennen, dem ein solches Unrecht in ihren Augen angetan wurde? W: Aus meiner Sicht, so wie erzählt, werden dann auch schwere Körperverletzungen abgetan als, „Ist ja eh nur ein Polizist“. Es wird wirklich ein Feindbild aufgebaut und wenn ein 60
Feinbild unreflektiert besteht, wird es sehr gefährlich. Der Großteil der Polizisten agiert, entscheidet nicht, sondern sie müssen agieren, sie sind ja in einer Hierarchie. Das sind alles Menschen mit Familie und Geschichten wie jeder Fußballfan und ich halte es für sehr problematisch. Man merkt eben diese zunehmende Solidarisierung auch gegenüber tatsächlichen Straftätern. Es wird zunehmend undifferenzierter. Also, „Polizei ist Polizei und wenn da jemand verletzt wird, ist es scheiß egal, sind eh nur Bullen“. Und im Umkehrschluss kann man das bei der Polizei ähnlich sehen, „Mein Gott, sind eh nur Fußballfans, gehen wir drauf“. Ich glaube, dass beide Seiten sich in einer komischen Auseinandersetzung befinden. In Deutschland ist das noch viel eher sichtbar, weil es da wirklich an Tagesordnung ist. Gott sei Dank in Österreich noch nicht. Aber die Polizei scheint wirklich ein Mitspieler in diesem ganzen Gewerk geworden zu sein, anstatt eine äußere Instanz zu sein und das ist sehr problematisch. Und die Fans, die sich zunehmend solidarisieren, auch mit Fehlverhalten, dass überhaupt nicht zu goutieren ist, merke ich und dass wirklich Hass, ein Feindbild undifferenziert aufgebaut bzw. gefestigt wird. Da braucht man nicht großartig studiert zu haben, um zu merken, dass das für massive Probleme sorgen kann. I: Gehen wir ein bisschen weg von den Problemen mit der Polizei. Wie sieht es generell aus mit Kriminalität im Stadion oder rund um das Stadion? Was ist da deine Einschätzung? W: Na ja, Kriminalität – das ist auch schwierig. Wenn wir es jetzt rein nach dem Strafgesetzbuch betrachten, ganz klar Körperverletzung. Raub ist ein großes Thema, weil unter den Ultra-Gruppierungen dieses Stehlen von Fan-Schals anderer Vereine im Strafrecht als Raub ausgelegt wird, da es unter Nötigung, also unter Androhung von Gewalt, passiert. Das passiert relativ oft. Also wenn man rein strafrechtlich rund ums Fußballstadion schaut, dann hat man Suchtmittel, Raub und die Körperverletzung als sehr häufige Delikte. Wenn man jetzt rein als normaler Zuseher hingeht, dann wird man wahrscheinlich davon relativ wenig merken. Man wird mitbekommen, dass Jemand einen Joint raucht, man wird mitbekommen, dass sich gegnerische Fans irgendwie hauen und viel mehr wird man nicht mitbekommen. Das heißt, man muss immer unterscheiden, was passiert tatsächlich oder wie wird es dargestellt und was ist so an Standardkriminalität, wenn man es so blöd sagen kann, auf jedem Oktoberfest und überall anders passiert. Suchtmittel: klare strafrechtliche Sache, ist kriminell, wird aber überall gemacht, genau so im Stadion. „Na no na ned“, wenn da 15.000 Leute sind, warum sollte es da anders sein. Körperverletzung: jedes Wochenende in jeder Ausprägung in den meisten Lokalen, warum sollte es beim Fußball anders sein. Der große Unterschied ist der Raub. Nur der Raub wird aus meiner Sicht eher hoch stilisiert. Eigentlich ist es Diebstahl und der Diebstahl passiert jedes Wochenende. In jedem Lokal werden Geldtaschen, Jacken, etc. geklaut. Das heißt, wenn man es runter bricht auf das, was es ist, ist es eine Wochenendveranstaltung wie sie alle anderen auch sind. Wenn man es rein aus strafrechtlicher Sicht sieht, geht es ganz großartig ab dort. So muss man das sehen. I: Gut. Bleiben wir bei der strafrechtlichen Sicht bzw. deine Einschätzung: Wie entwickeln sich so mögliche kriminelle Biographien? Wenn man sagt z.B. mit Gewaltdelikten oder mit Suchtmitteldelikten – ist der Raum auch im Stadion gegeben, dass Leute, wenn man es alltagssprachlich ausdrückt, abrutschen können in so einen Strudel? W: Definitiv. Das, was man klar sehen kann, ist, dass natürlich die Intensität wie UltraSubkulturen, Ultra-Gruppen ihre Kultur, ihre Sub-Kultur leben sehr hoch ist, was Alles betrifft. Ultra, das Wort allein zeigt und man hört es ja schon, diese Intensität, dieses Allumfassende. Die Gruppe ist das Wichtigste, der Verein, die Farben und die Stadt. Es ist ein Reinsteigern und zu diesem Reinsteigern gehört auch Substanzmissbrauch. Und zwar ganz massiv. Und es gibt natürlich anfälligere Leute, die mit dieser Intensität nicht zu Recht 61
kommen bzw. die dann irgendwann den Weg zurück nicht mehr finden in dieses, ich sage mal, normale Leben unter der Woche. Die Meisten arbeiten ganz normal unter Woche, leben dieses Ultra-Dasein am Wochenende sehr intensiv, machen das über 10 Jahre vielleicht und werden dann langsam ruhiger. Aber es gibt auch Leute, die da einfach nicht mehr wegkommen und die dann einfach auch über Alkohol- und Substanzmissbrauch den Weg ins Arbeitsleben nicht mehr zurück finden, keinen Wert mehr für sich sehen, dass sie unter der Woche arbeiten gehen sollen. Und dann geht es in einen Kreislauf, der ist nicht großartig unterschiedlich zu vielen anderen Jugendlichen, die absacken, blöd gesagt. Was das Strafrecht vor allem bezüglich Körperverletzung betrifft ist es meistens so, dass sich das irgendwann eigentlich von selber regelt. Gerade im Westen von Österreich sind die Gerichte ja noch etwas mit mehr Fingerspitzengefühl ausgestattet, das heißt, vor allem Jugendliche, die Gewalttaten machen, also §83 StGb [Strafgesetzbuch] – „Körperverletzung“, bekommen schon zuerst die Bedingten Strafen bevor dann wirklich die Haftstrafe kommt. Das heißt, sie haben relativ lange Zeit, zur Ruhe zu kommen. In Wien ist das schon ganz anders, wie wir gesehen haben. Da bekommt man mit einmalig Widerstand ohne Körperverletzung als Unbescholtener auf einmal eine Bedingte Haftstrafe, das heißt, wenn man noch einmal in eine Auseinandersetzung verwickelt ist, ist man im Gefängnis. Was natürlich ein massiver Einschnitt in die Entwicklung eines Fußballfans oder jedes Menschen ist. Und das sehe ich natürlich sehr problematisch, denn, wenn man einmal im Gefängnis war, das weiß ich aus meiner Erfahrung als Bewährungshelfer, wird es dadurch nicht besser. Vor allem kommt man dann natürlich in andere Kreise rein. Man lernt Leute kennen und auch unter den Haftinsassen ist große Solidarität vorhanden, das heißt, wenn man mit Jemandem im Gefängnis gesessen ist, schweißt das zusammen. Und dann sind wir wieder bei Gruppen, Solidarität untereinander und „das böse Außen macht uns Alles kaputt“. Nach wie vor ist das ein Riesenproblem. Das heißt, man muss höllisch aufpassen, dass man die Jugendlichen erwischt, bevor sie eben abdriften, bevor wirklich dann der Gefängnisaufenthalt da steht. Das ist, Gott sei Dank, im Westen Österreichs eben nicht so oft der Fall. Mir sind ganz wenige Fans in Innsbruck bekannt, die wirklich auf Grund ihrer Fan-Historie einen Gefängnisaufenthalt hatten. Die kann man an einer Hand abzählen, zumindest an zwei. Aber der Großteil hat durchaus mit dem Strafrecht Kontakt, ist aber dann auch soweit auf Grund von bedingten Strafaussprüchen zu wissen, „O.k., das ist zuviel und ich will mir mein Privatleben dadurch nicht kaputt machen lassen, ich trete etwas kürzer“. Das gibt es durchaus.
Kurze Pause auf Grund eines eingehenden Telefonanrufes des Interviewten
I: Was genau ist jetzt deine Zielgruppe? W: Meine Zielgruppe sind ganz klar Jugendliche und junge Erwaschene, so wie es sich in Innsbruck aber gestaltet, sind es Ultras bis ungefähr 30 Jahre. Also grob bezieht sich meine Zielgruppe von 16 bis 30. In der Präventionsarbeit will man natürlich vor allem Jugendliche und junge Erwachsene erreichen. I: Würdest du sagen, das sich die Meisten abschrecken lassen, wenn sie im jugendlichen Alter Probleme mit der Polizei bekommen? W: Das würde ich gar nicht sagen. Meine Erfahrung ist, dass die Jugendlichen relativ spät, Gott sei Dank, das erste Mal Anzeigen bekommen und dass sich das natürlich dann im Laufe der Zeit steigert. Weil die intensive Phase des Ultra-Daseins hat man ja meistens im jungen 62
Erwachsenenalters zwischen 18 und 25. Die Jugendlichen finden erst einmal in die Gruppen rein und müssen sich beweisen. I: Kommen wir zu den Akteuren. Als erstes interessiert mich, was genau ist für dich Fanarbeit? Zu wen kommt man, wen erreicht man und wie stellt sich das in der Praxis dar? W: Für mich ist Fanarbeit vor allem aufsuchende Sozialarbeit. Ziemlich ähnlich dem Streetwork, das in Österreich durchaus etabliert ist. Das heißt, man sucht als Sozialarbeiter Gruppen auf, die aus öffentlicher Wahrnehmung heraus problematisch sind. Und, als Sozialarbeiter versucht man kein Gegenkonzept, sondern ein ergänzendes Konzept zum Umgang mit solchen Gruppen zu verwirklichen. In Österreich mit Fußballfans gibt es nur einen ordnungspolitischen Umgang, das heißt, man begegnet Fußballfans mit Sicherbeauftragten, mit Polizei und mit Ordnern, die alle immer den Auftrag der Sicherheitsherstellung haben. Die Fanarbeit versucht das Gegenteil zu machen insofern, als dass sie langfristigen Kontakt sucht, Fans über Jahre begleitet, einzelne Schicksale mit den Fans durchlebt und als quasi-Konstante und Vertrauensperson agiert und da ist. Das ist für mich das Grundprinzip der aufsuchenden Sozialarbeit. Gleichzeitig versucht man auch den Fans ein gewisses Maß an Verantwortung und Eigenständigkeit zu überlassen. Man begegnet ihnen ja nicht mit Sanktionen oder Ähnlichem, sondern man erarbeitet mit ihnen gewisse Verhaltensweisen. Wie kann man z.B. im Falle von Stadionverboten reagieren, abseits vom klassischen Protestverhalten, das heißt Boykott oder Solidarisierung mit diversen Leuten. Wie kann man anders auf Problemsituationen reagieren und dabei leitet man sie auch zu einem gewissen Maße an und man versucht in einem partnerschaftlichen Prozess, blöd gesagt, man probiert einfach mit diversen Personen Handlungsalternativen zu entwickeln. Und das ist auch der Sinn und Zweck dahinter, dass man nicht nur mit einer Maßnahme reagieren kann, das heißt, auf Problemsituationen mit der Exekutive reagiert man mit Gruppengewalt, sondern man kann es auch anders lösen. Das sind alles Dinge, die der Sozialarbeiter in seinem Port-Folio mit trägt und versucht mit den Fans umzusetzen. Das ist keine neue Erfindung. Streetwork ist es eigentlich, was es ausmacht. I: Fanarbeit Innsbruck ist das einzige sozialpräventive Fanprojekt in Österreich, ist das richtig? W: Nicht ganz. Fanarbeit Innsbruck ist das einzige sozialarbeiterische Projekt, das sich ausschließlich mit der Zielgruppe Fußballfans befasst. Es gibt in Lustenau ein Projekt der Offenen Jugendarbeit, die sehr wohl auch mit jugendlichen Fußballfans arbeiten. Es gibt Streetwork Ried, die auch im Rahmen ihrer Tätigkeit mit Fußballfans arbeitet und es gibt Streetwork Wien, die das ebenfalls machen. Also es gibt schon sozialarbeiterische Einrichtungen in Österreich, die auch mit Fußballfans arbeiten. Betonung liegt auf „auch“. Und Fanarbeit Innsbruck arbeitet ausschließlich mit Fußballfans und hat somit viel mehr Ressourcen und Potentiale, um mit Fußballfans Dinge umzusetzen. Da sind wir bei den Basics. Warum das so wichtig ist, ist aus meiner Sicht, dass Fanarbeit Innsbruck auswärts wie daheim immer dabei ist. Das können sich die anderen Projekte nicht leisten, weil sie schlichtweg die Ressourcen dazu nicht haben. Und das ist natürlich in punkto Beziehungsarbeit ein Riesenvorteil, weil die Fans seit mittlerweile zwei Jahren merken und wissen, ich bin immer mit dabei und sie wissen, sie können bei Auswärtsspielen immer auf mich zählen, genau so wie bei Heimspielen. Gerade auswärts haben die Fans aus Ried oder die Fans aus Wien niemanden, das heißt, auswärts, wo die meisten Probleme passieren, auf den sie zurückgreifen können. Da sind sie auf sich alleine gestellt, mit der Exekutive und der Ordnerdiensten usw. umzugehen. Das ist ein großer Unterschied.
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I: Michael Gabriel von der KOS [Koordinationsstelle Fanprojekte] in Deutschland spricht davon, dass die Ultra-Subkultur die größte Jugend-Subkultur in Deutschland ist. Wie ist es in Österreich? Würdest du auch sagen, dass … W: Zumindest eine der größten. Weil sie sehr attraktiv ist und weil sie schon sehr viele Leute anspricht. Ob es die Größte ist, da müsste man mit anderen Jugendarbeitseinrichtungen reden, die haben einen besseren Überblick was sonst noch so an Jugend-Subkulturen in den jeweiligen Städten präsent ist. Wenn man in Innsbruck die Snowboarder und Skater als Subkultur nimmt, dann würde es in Innsbruck wahrscheinlich auch anders aussehen. Aber wenn man kritische Subkulturen heranzieht, dann traue ich mich fast zu behaupten, dass es mit eine der größten ist, definitiv. I: Ist das unter Umständen auch ein Grund dafür, dass es hier in Innsbruck dieses sozialpräventive Fanprojekt für Fußballfans gibt? W: Ich glaube, das hat in Innsbruck auch die Historie, dass einfach die Innsbrucker Fans seit je her sehr offen sind für Entwicklungen und vor allem immer auch über den Tellerrand geblickt haben. Allein die Freundschaft mit Eintracht Frankfurt [Deutsche Bundesliga] und Kontakte nach Sankt Pauli. Da hat es immer sehr viel Kontakt und sehr viel reges Interesse an Entwicklungen rund um Fußball gegeben. Und das ist, glaube ich, mit einer großer Grund, warum das in Innsbruck umsetzbar wurde und weil natürlich der Trägerverein die ganze Vorarbeit geleistet hat, die Faninitiative. Und die ist auch ein Konstrukt, das es so in Österreich in den späten 90er nirgends sonst gegeben hat. Mittlerweile sind andere Fanszenen auch soweit, dass sie übergeordnete Plattformen gründen, um ihre Interessen zu vertreten. In Innsbruck gibt es das schon seit 1999. Wir sind auch, was Österreich betrifft, ein paar Schritte voraus. I: Grob zusammengefasst, wie stellt sich dann deiner Meinung nach die Fanarbeit mit Fußballfans dar? Du sagst, die Fans an sich selbst spielen eine große Rolle und der Verein natürlich, der Interesse daran haben muss. Es gibt ja keine gesetzliche Verpflichtung dafür? W: Wie stellt es sich dar? Der Idealfall wäre eben ein Bottom-Up-Projekt, also wirklich aus der Basis heraus, wo gesagt wird, „Wir wollen das“. Wird so nicht überall stattfinden. Ich denke mir es gibt zwei realistische Szenarien für die Fanarbeit in Österreich. Das eine ist über Faninitiativen als Trägerverein so etwas zu etablieren, ähnlich Innsbruck. Das Zweite wäre aus meiner Sicht, dass man zunehmend die Streetwork-Einrichtungen mit Mitteln aus dem Fußball ausstattet, um dort einfach auf professionelle Ressourcen zurückgreifen zu können. Man muss Nichts neu aufbauen, denn man hat da Streetworker, die sehr erfahren sind. Und wenn man diesen Einrichtungen zusätzliche Mittel zur Verfügung stellt mit dem Auftrag, die Fußballfans zu beleiten, dann könnte man das in Österreich relativ schnell umsetzen. Dazu braucht es ganz einfach nur den Willen vor allem des Fußballs und der Vereine, in dem Fall des ÖFB [Österreichischer Fußball-Bund], der Bundesliga und der einzelnen Vereine, dass Sozialarbeit mit Fußballfans, seit Jahren in Deutschland bekannt und anerkannt, ein probates Mittel ist, Fans zu betreuen und mit Fans umzugehen. Das ist in Österreich leider Gottes im Bewusstsein noch nicht verankert. In Österreich, so kommt mir vor, werden nach wie vor diese sicherheitspolitischen und Ordnungsmaßnahmen werden präferiert. Ich hoffe, dass sich dieses Bewusstsein irgendwann ändert und dass man merkt, dass Sozialarbeit ist eine adäquate Form im Umgang mit jugendlichen, unter Anführungszeichen, Problemgruppen. Niemand würde in Österreich StreetworkEinrichtungen und Jugendzentren in Frage stellen. Warum man das bei Fußballfans in Frage stellt, ist die große Frage. 64
I: Wie würdest du diese eher sicherheitspolitische Ausrichtung bzw. die Perspektiven von ÖFB, der Bundesliga und der Vereine einschätzen, warum das wo anders nicht so funktioniert wie in Innsbruck? Wer müsste was verändern, was seinen Kompetenzbereich betrifft bzw. wie wäre auch in Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren etwas Denkbares in diese Richtung möglich? Es gibt ja immerhin diese großen Aktionen wie „Welle gegen Gewalt“ oder gegen Rassismus. Das heißt, was die Gewalt- und Rassismuspräventionen betrifft, ist ja scheinbar das Bewusstsein schon ausgeprägt. W: Ich unterstelle einmal, dass sich das Bewusstsein in Grenzen hält. Da sind wir wieder bei diesem Thema „Image“. Fußball ist ein Geschäft, Fußball ist ein privater Wirtschaftszweig. Das heißt natürlich, man hat mit sozialarbeiterischen Argumenten, gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und Antworten darauf im Fußball einen schweren Stand, weil letztendlich Fußball ein Geschäft ist. „Der Rest interessiert uns nicht und ist Sache der öffentlichen Hand“. So sehen das, glaube ich, viele Vereine und viele Verbände, die ihre Aufgabe vor allem im Sportlichen sehen bzw. eben im Geschäfte machen. Also ich glaube, es bräuchte da auch das Bewusstsein, das bei Wacker Innsbruck sehr ausgeprägt ist, dass der Verein für sich selbst beansprucht, eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung in Tirol zu haben. Nicht nur gegenüber der Jugendfußball-Abteilung, also Jugendliche und Junge und Kinder zum Fußball zu bringen, sie auszubilden und sie gegebenenfalls vielleicht dann zum Profi zu machen. Das hat irgendwie jeder Verein verstanden, dass das seine Aufgabe ist und auch ein gesamtgesellschaftlicher Beitrag. Wacker Innsbruck geht halt weiter und weiß, es gibt Kinder und Jugendliche, die spielen Fußball für uns, aber es gibt genauso Kinder und Jugendliche, die feuern unsere Kampfmannschaft an. Für die ist der Lebensraum Stadion ein ganz wichtiger und wir sind der Bezugspunkt. Und deswegen ist Wacker Innsbruck da etwas weiter. Das ist wieder zurückzuführen auf den Obmann Stocker, der das mit integriert hat in das ganze Vereinskonzept und das ist natürlich etwas Tolles. Wacker Innsbruck ist nicht nur Sport, Wacker Innsbruck ist genau so jedes Wochenende tausende Leute ansprechen und dessen ist sich der FC Wacker bewusst. So will er sich auch präsentieren und positionieren. In vielen anderen Städten ist, glaube ich, es nach wie vor das Thema, dass der Fußballverein gutes Geld macht und junge Fußballer ausbildet. Damit aber endet die Verantwortung des Fußballvereins. Ich glaube, dass einfach nicht akzeptiert wird, dass Fußballvereine Woche für Woche viele Menschen und Gesellschaftsschichten ansprechen. Es wird das soziale Engagement immer nur an der öffentlichen Hand festgemacht. Es gibt ja ganz wenige Konzerne, die sich ernsthaft um gesamtgesellschaftliche Entwicklungen kümmern. Es gibt Image-Sachen und das sind z.B. Benefizaktionen zugunsten behinderter Personen, Benefizveranstaltungen zugunsten von Unfallopfern, etc. Das sind alles Dinge, da tut sich die Privatwirtschaft hervor, aber ich wüsste jetzt kein privatwirtschaftliches Unternehmen, dass die Bewährungshilfe in Österreich fördert, um die Resozialisierung von Straftätern voranzutreiben. Das ist eine Image-Sache und ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Fußballfans haben ein über Jahre hinweg schlechtes Image und das wurde durch die Presse aufgebaut bzw. auch durch die Polizei und das Innenministerium. Das Image ist schlecht und warum sollte ich mich aus privatwirtschaftlicher Sicht mit einem Problemklientel oder für ein Problemklientel engagieren? Das ist kein besonderer benefit, glaube ich. I: Korrigiere mich bitte, wenn ich das jetzt falsch verstehe, aber die Entwicklung in Deutschland ist ja im Prinzip die gleiche. Also die KOS hat sich eigentlich auch aus massiven Problemen, also wirklich mit Toten, wo die Bundesregierung darauf reagieren musste, heraus entwickelt und jetzt ist es mittlerweile so, dass die KOS bzw. die Fanprojekte, die ja gesetzlich verpflichtend sind, drittelfinanziert werden. Sprich Verein, Land und Bund. Ist es 65
denkbar, dass aufgrund von Eigenkapitaldenken da vielleicht ein großes Widerstreben gibt, dass sich Vereine gerne verpflichten lassen würden? W: Stimme ich dir zu, definitiv. I: Also die Finanzierung ist ein großer Faktor? W: Finanzierung ist ein Riesenfaktor. Es wird wahrscheinlich jeder Verein sagen, „ja gerne, wenn es die öffentliche Hand, also Stadt und Land, finanziert, kein Problem, aber wir zahlen nichts dafür. Wir tun eh schon so viel“. Mit Sicherheit ist das einer der hauptauschlaggebenden Gründe. Es mag im Fußballumfeld, aber das ist nur so dahingesagt, da gibt es keine empirischen Untersuchungen, ein Geschäft sein, wo persönliche Eitelkeiten sehr viel Rolle spielen. Und mir kommt auch vor, dass sich die Leute immer schnell angegriffen fühlen, wenn dann neue Berufszweige so in dieses Feld hineindrängen. Beispiel Rapid: Andy Marek hat großspurig angekündigt, Rapid wird Sozialarbeiter einstellen, weil er nicht mehr zu den Fans durchdringt usw. Das war 2012. Bisher wüsste ich nichts davon, dass da was passiert ist. Mir kommt halt vor, dass gewisse Leute ihre Position nicht zwingend aufgeben wollen, weil es natürlich auch eine Anerkennung ist, wenn man mit gefährlichen Leuten und Gruppen gut kann. Und Sozialarbeit vor allem im Fußballumfeld wird nicht sonderlich wertgeschätzt. Da haben wir als Sozialarbeiter noch viel zu erledigen, dass Sozialarbeit als Profession und durch professionelles Auftreten und Arbeiten auch an Image gewinnt. Ich glaube, das ist im Fußball noch überhaupt nicht so, außer vielleicht in Innsbruck. I: Welche Rolle kommt dann pro supporters zu? Das ist doch institutionalisiert im Bund drin, oder? W: pro supporters wird finanziert vom Sportministerium. Pro supporters hat letztendlich den Auftrag, laut Konzept, die sozialpräventive Fanarbeit in Österreich voranzutreiben, zu fördern. Das machen sie auch. Sie machen jetzt vor allem Bedarfserhebungen, Bedarfsanalysen: „Wie schaut es aus in den jeweiligen Fanszenen? Wie kann man sozialpräventive Fanarbeit an den diversen Standorten verwirklichen?“. Was sehr schwierig ist, da regionale Unterschiede da sind und es wird eben auch herausgefiltert, ob der Verein dazu bereit ist, irgendetwas beizutragen. Gibt es da Möglichkeiten, so ein Projekt umzusetzen? Das ist die Aufgabe. Und natürlich dann die Leute, die das vor Ort machen würden, dabei tatkräftig zu unterstützen. Also das Pendant zur Koordinationsstelle Fanprojekte in Deutschland. Natürlich noch in der Entwicklungsphase, das muss man ganz klar dazu sagen. Man kann nicht innerhalb von zwei Jahren fünf neue Projekte gründen. I: Gut. Zu den Akteuren, fällt dir noch etwas ein? Mir ging es vordergründig darum, wer welche Verantwortungsbereiche hat bzw. wo es im Prinzip Probleme gibt, dass Fanprojekte … W: Also ganz generell zu den Akteuren zusätzlich zur Bundesliga, ÖFB und Vereinen ist ganz klar die öffentliche Hand. Das heißt, die jeweiligen Abteilungen „Soziales“, „Jugendwohlfahrt“ fällt mir ein … I: Jetzt auf Landesebene? W: Auf Landes- und Stadtebene. Wo man sagen muss, da muss es natürlich auch ein Bekenntnis dazu geben, dass man sich um diese Gruppe kümmern und Geld in die Hand 66
nehmen will. Ähnlich wie in Deutschland. Ohne einen breiten gesellschaftlichen Konsens, das heißt bestehend aus den fußballaktiven Organisationen und Politik, wird es nicht funktionieren. Und in Deutschland hat es aufgrund tragischer Ereignisse funktionieren müssen, das muss man auch ehrlich sagen. Es ist auch in Deutschland nicht Alles so rosig. Die Fanprojekte haben lange gekämpft für eine Situation, wie sie jetzt ist. Jetzt ist sie momentan in Deutschland relativ gut, aber sie haben auch über 30 Jahre gekämpft dafür. Und wenn man sich die deutsche Entwicklung ansieht, hat es auch immer wieder Fanprojekte gegeben, die leider Gottes zusperren haben müssen, weil einer dieser Akteure gesagt hat, „Nein, interessiert uns nicht“. Und damit ist die Drittelfinanzierung dann auch obsolet und man kann es zusperren. Auch in Deutschland hat es sehr lange Kämpfe gegeben, damit Sozialarbeit mit Fußballfans einfach wirklich funktioniert. Mittlerweile sind sie sehr gut aufgestellt und expandieren extrem. Also in den letzten 5 bis 10 Jahren ist sehr viel in Deutschland passiert. Und auch das ist wieder dem Großereignis 2006 [FußballWeltmeisterschaft in Deutschland] geschuldet. Da haben sie natürlich einen irren Schwung dazubekommen. I: Stichwort Fanprojekte: Der Nutzen von Fanprojekten. [SV] Werder Bremen ist ja, glaube ich, bekannt dafür, dass die Fans mitbestimmen haben dürfen, ich weiß jetzt nicht genau welches Gebäude, wie es architektonisch umgesetzt wird… W: Das war in dem Fall die Ostkurve. I: Ach so, ja. Da kommen wir zur Mitbestimmung, im Prinzip zur Integration. Wäre das in Innsbruck auch denkbar? War das schon der Fall? W: Das wurde von der Faninitiative immer wieder gefordert, dass man doch beim Stadionneubau die Nordkurve so gestaltet, dass sie fanfreundlich ist. Mehr oder weniger wurde darauf eingegangen. Ich finde, Partizipation ist ein wesentlicher Bestandteil in der sozialen Arbeit vor allem mit Jugendlichen. Also Jugendliche und junge Erwachsene in einen demokratischen Meinungs- und Entwicklungsprozess einzubetten und einzubinden ist ja mit hin einer der wichtigsten Aufträge gesamtgesellschaftlich. Damit Jugendliche einfach merken, „O.k., wir können zusammen gestalten, wir können mitreden, wir können Vorschläge einbringen, gleichzeitig lernen wir aber auch, wir können nicht nur Forderungen stellen, sondern müssen auch andere Interessen respektieren und kommen dann zu einem Kompromissergebnis“. Rein aus pädagogischer Sicht ist das etwas irrsinnig Wertvolles, wenn man Jugendlichen diese Möglichkeit gibt, den demokratischen Prozess mit zu gestalten. Das ist auch ein essentieller Bestandteil in jedem Streetwork-Prozess, gerade in der Stadtteilarbeit. Und in Bremen wurde das modellhaft umgesetzt. Mit den eigenen Räumlichkeiten im Ostkurvensaal vom Fanprojekt Bremen, wo Fans einfach eine Riesenlocation haben, wo sie ihre Freiheiten auch haben und dafür aber natürlich auch dankbar sind. Werder Bremen Fans zeichnen sich aus durch Engagement und vor allem im Kampf gegen Rassismus. Das kann jedem Verein nur recht sein und vor allem jeder Stadt nur recht sein, wenn dann so was dabei rauskommt. Ich denke, Bremen ist ein klassisches Beispiel, wo einfach viel gut gelaufen ist und sie bekommen auch den Output jetzt. Also Werder Bremen hat sich wunderbar hin zu einem Großverein entwickelt, auch wenn es die letzten drei Jahre sportlich nicht so gelaufen ist. Aber Zuschauerzuspruch, Stadion, etc., das ganze Umfeld, ich habe das kennen lernen dürfen, ist schon sehr beeindruckend. I: Sind da noch andere Möglichkeiten denkbar oder Wege, wo die Fans aus der pädagogischen Perspektive profitieren oder was auch die Integration in die Stadt betrifft?
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W: In die Stadt, denke ich mir, ist es vor allem durch Gemeinwesenarbeit, also stadtteilbezogene Jugendarbeit machbar. Beispiel Olympiaworld, Beispiel Stadionumfeld. Wenn man da einen kühnen Weg gehen und dem Verein Wacker Innsbruck und den Fans Gehör schenken würde, was die sich als Hauptmieter wünschen, da kann man ja auch ganz viel an gestalterischer Freiheit zulassen und da wird etwas draus. Aber es ist in Innsbruck so, leider Gottes, dass das ganze Areal der Gesellschaft Olympiaworld gehört und da ist leider nicht viel machbar, wie man auch sieht. Es hat da hunderte Ideen gegeben. Es hat sogar ein Video gegeben, wie man sich das Tivoli aus Wacker Innsbruck Fansicht vorstellen würde. Mit eigenem Museum, so wie im Bremen. Da ist im Stadion ein eigenes Museum, die Fans haben ihren Ostkurvensaal, es gibt Verpflegungsstationen, es gibt für alle Zuschauer etwas rund um das Stadion. Das heißt, der Stadionbesuch wird attraktiv. Und aus städtischer und betriebswirtschaftlicher Sicht muss man dann ganz klar sagen, dass natürlich die Konsumenten länger vor Ort bleiben, das heißt auch mehr Einnahmen. Aber es muss attraktiv sein und die Leute müssen gestalten dürfen. Wenn sie das nicht dürfen, schaut es aus wie in Innsbruck, eine graue Betonsschüssel. Keinerlei Infrastruktur was die Gastronomie betrifft. Eine Ausnahme ist das „Wacker-Zelt“. Und da ist es in einer mitteleuropäischen Stadt wie Innsbruck, wo der Winter recht früh einsetzt, eher schlecht ein Zelt zu haben. Man muss es nicht immer nur aus pädagogischer Sicht sehen, man kann auch die Pädagogik mit der Wirtschaft verbinden. Natürlich hat Werder Bremen auch kommerzielle Interessen und die waren auch bei dem Umbau der Ostkurve zuerst massiv […], bis sich die Fans eben mit dem Fanprojekt eingeschalten und daraus einen Kompromiss entwickelt haben, womit Jeder wunderbar leben kann. Und das könnte man in Innsbruck per excellence auch machen, die Fans wären engagiert. Also solche Partizipationsprozesse sind sehr wichtig und waren beim Verein Wacker Innsbruck, wie man sieht, auch erfolgreich. Da ist es ja nichts anderes. Es ist ein Mitgliederverein, und die Rückbenennung in Wacker Innsbruck war genau so ein Prozess und den Mehrwert sieht man jetzt in dem guten Verhältnis zwischen Verein und Fans. I: Gut. Von meiner Seite aus war es das soweit. Ist dir noch etwas eingefallen, was du vielleicht noch gerne ansprechen würdest oder was nicht zur Sprache gekommen ist, was relevant wäre? Auch vielleicht in Bezug auf die Jugendlichen und die Kriminalität? W: Nein, wir haben alles besprochen. Letztendlich geht es aus meiner Sicht zusammenfassend darum, dass man ein klares Bekenntnis zur Sozialarbeit mit Jugendlichen, und mit vor allem jugendlichen Gruppen, gesamtgesellschaftlich ablegt. Sämtliche Akteure müssen da halt mitspielen, dann wird es auch für jeden Akteur leistbar und den Mehrwert wird man erst dann ernten. Und das braucht halt einige Jahre, aber es haben einige Modelle gezeigt, dass es funktionieren kann. Und ich bringe noch mal den Vergleich: es wird Niemand in Österreich jemals daran denken, Jugendzentren und Streetwork-Einrichtungen wieder abzuschaffen. Und das ist für mich das Beispiel, das letztendlich zählt. Warum also nicht mit einer der größten Jugendgruppen genau dasselbe tun? I: Vielen Dank für das Gespräch!
Interview mit Verein FC Wacker Innsbruck 22. Oktober 2013 Räumlichkeiten des FC Wacker Innsbruck 68
I: Interviewer V: FC Wacker Innsbruck
I: Mein Name ist Hübl Dominic. Ich studiere Soziologie in Innsbruck und im Rahmen meiner Bachelorarbeit befasse ich mich mit Fußballfanprojekten in Österreich. Die eigentliche Perspektive ist eine sozialpolitische Rahmung, also die Zielgruppe Fußballfans. Wer da beteiligt ist, dass man sie in die Gesellschaft integrieren kann, weil es ja doch oft auch Probleme gibt, zumindest medial so dargestellt, dass Fußballfans eine starke Neigung zur Gewalt und Kriminalität haben. Der Rahmen der Untersuchung, es ist eine kleine qualitative Studie, ich werde vier Experteninterviews durchführen. Es wird natürlich anonym behandelt, also Ihr Name wird nirgends aufscheinen. Ich zeichne unser Interview nur zum Zweck der Transkription und zur Auswertung. Soweit Fragen Ihrerseits? V: Nein, soweit alles klar. I: Als erstes würde ich Sie bitten, dass Sie mir beschreiben, was Ihre berufliche Tätigkeit beim FC Wacker Innsbruck ist und welche Kompetenzbereiche es beinhaltet. V: Grundsätzlich ist das Steckenpferd von mir, das zwar langsam abwandert, aber noch ist es einer meiner Hauptaufgabengebiete, ist die Stadionsicherheit von der Konzeptionierung bis zum Ordnerdienst und damit verbunden natürlich auch die Zusammenarbeit mit den Fans und den Fanklubs. Die Organisation von Auswärtsfahrten, die ganzen behördlichen Dinge bis hin zur Pyrotechnik-Genehmigungen einholen, Zusammenarbeit mit SKB usw., also alle sicherheitsrelevanten Aspekte generell, die den Verein betreffen und deswegen hier auch die Zusammenarbeit mit der Fanarbeit und darüber hinaus noch Sponsoren-Akquise und noch ein paar Themen, aber die sind für diese Erhebung nicht so relevant. V: Darf ich fragen: SKB ist? W: Szenekundige Beamte, also das sind die Zivilpolizisten, die in den Fußballstadien versuchen, das Bindeglied zwischen uniformierten Beamten und der Fanszene herzustellen, weil natürlich der uniformierte Beamte für den Fan sofort ein Gegner ist oder eine sehr kritisch gesehene Person ist, nennen wir es so. Die zivilgekleideten Herren, die sich hauptberuflich nur mit der Fanszene beschäftigen, stellen den abgeschwächten unter Anführungszeichen Polizisten oder Gesetzeshüter darstellen. I: Da ist eine intensive Zusammenarbeit zwischen Ihnen und den SKB? V: Ja. I: Und mit dem Ordnungsdienst? V: Grundsätzlich vergeben wir den Ordner- oder Sicherheitsdienst pauschal einer Drittfirma. Wir sind sehr darauf bedacht, dass wir gerade beim Heimsektor immer die gleichen Ordner bzw. Supervisor haben, weil das persönliche Gesicht, die persönliche Bindung, die Erkennbarkeit für die Fans sehr, sehr wichtig ist. Wenn da eine persönliche Beziehung da ist, kann man schon viele Probleme im Vorhinein lösen, die sich vielleicht sonst aufschaukeln würden, wenn da ein anonymer Ordner steht, der nur auf seinen Standpunkt beharrt. Gerade das Ordnerpersonal ist dahingehend von uns sehr gut geschult, dass wirklich immer versucht
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wird, mit einem Kompromiss die Lösung herbeizuführen und ohne das sich irgendwie eine Thematik aufschaukeln kann oder dass es zu Eskalationen kommt. I: Also kann man sagen, dass der Ordnungsdienst im Stadion auch ein relevanter Akteur für die Fußballfans ist? V: Ja, definitiv. Die Schlüsselrolle. I: Die Schlüsselrolle? V: Definitiv. Ich weiß nicht, wie tief Sie in der Materie sind, aber es gibt ja auch viel exemplarische Videos oder Bilder wo man sieht, wegen dem Fehlverhalten eines einzelnen Ordners, was das bewirken kann. Wenn ich mir denke, in Basel usw. wo es Schwerstverletzte bzw. auch Tote gegeben hat, weil ein Ordner sich selbst nicht in Griff hatte bzw. nicht zurücksteckt oder versucht, es unkompliziert zu lösen. Da gehört ein bisschen Witz dazu, ein bisschen das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen, den Fußball in den Vordergrund zu stellen im Gespräch. Wenn er das beherrscht, dann ist er perfekt und wenn er das nicht macht, dann kann da sehr viel schief gehen. Ist auswärts genauso wie in den Heimstadien. Deshalb ist uns da sehr wichtig, dass die Ordner genau dahingehend auf die Fans einwirken. Also ich rede immer nur von der Nordtribüne bei uns, weil zu die anderen Tribünen kann ich auch einen emotionslosen Ordner hinstellen, das sollte nicht das große Problem sein. Sicherlich sollte er seine Rolle auch als Dienstleister für den Verein sehen und dementsprechend auch auf anderen Tribünen ein gewisses Wissen über den Verein haben, freundlich die Besucher empfangen usw., aber dieses Fachwissen, wenn man es so nennen kann oder dieser feine Umgang mit den „Problemklientel“ ist sicher in den Fanblöcken am meisten gefragt. Deswegen macht es auch Sinn, dass wir unsere eigenen Ordner auswärts mitnehmen, weil eben die Wiedererkennung, das Gemeinsame von zu Hause, irgendwo. Man braucht auch immer wieder Dinge, damit die Ordner Zuckerl in der Hand haben, dass man den Fans gibt. Dass man sagt: „Schau, wir sind euch da entgegengekommen, deswegen hört ihr jetzt auf uns“. Es ist immer ein Geben und Nehmen und da sind wir auf einem ganz guten Weg in Innsbruck. I: Da würde ich gerne überleiten zu den Fans. Wie würden Sie die Zuschauer bzw. die Fans unterscheiden und welche Aspekte sind vor allem wichtig in Bezug auf die Unterscheidung? V: Im Heimstadion unterscheide ich zwischen Nordtribune, also organisierte Fanszene, großteils, da sind auch viele Personen dabei, die bei keinem Fanklub dabei sind aber trotzdem auf Grund der Stimmung oder weil sie vielleicht ein intensiverer Fans sind, als eben die auf Ost, West und teilweise Süden. Beiden denen eine Affinität zum Verein da ist, aber nicht diese tiefe, ganz stark emotionale Bindung wie auf der Nordtribüne. Und natürlich die Gästefans, die sowieso separat zu sehen sind. Für mich gibt es grundsätzliche keine Unterscheidung mehr, es gibt da ja immer die Diskussionen, ob Ost oder West mehr Fan sind. Für mich ist das restliche Stadion ein Fanklientel plus Nordtribüne. I: Also der Fansektor hebt sich deutlich heraus und auf einer grundsätzlicheren Ebene, wie würden Sie die Fans unterscheiden? Welche Art von Fans findet man dann auf der Nordtribüne? Oder bzw. weil Sie unterschieden haben zwischen Heim- und Auswärtsspiele? V: Auswärts, wenn man es so nennen kann, ist eher der harte Kern der Nordtribüne. Die wirklich auch wenn wir drei Spiele verloren haben, trotzdem noch mit einem Bus auswärts zur Admira [Wacker Mödling] fahren. Da ist eben dieses Organisierte dahinter, die leben das 70
Ganze intensiver. Wie es bei uns vor zwei oder drei Jahren war, in der Aufstiegssaison, fahren wir plötzlich mit 1.400 Leuten nach Salzburg. Aber da ist sportlicher Erfolg dabei, da waren wir ganz knapp an der Tabellenführung. Dann fahren natürlich viele normale Stadionbesucher bei uns auch mit oder noch mehr von der Nordtribüne, aber der Großteil auswärts sind eigentlich zu 70% sicher Nordtribünen-Fans. I: Wenn wir beim harten Kern oder den organisierten Fanklubs bleiben, wie stehen diese Fans bzw. Fangruppen anderen Akteuren im Profi-Fussball gegenüber? Wir haben bereits angesprochen, dass das Verhältnis mit dem Ordnungsdienst wichtig ist, dass es nicht zu feindlich wird, oder habe ich das falsch verstanden? V: Vielleicht muss ich da ein bisschen weiter ausholen, ich weiß ja nicht in wie fern Sie sich mit der Thematik Ultras usw. befasst haben. Ein Ultra ist grundsätzlich darum bestrebt, anonym zu bleiben, in der anonymen Masse aufzutreten und seinen Verein immer und dauernd zu supporten und mit großen Choreographien usw. emotional noch tiefgehender zu unterstützen. Auf der anderen Seite rückt das auf Grund sozialer Medien immer weiter ab. Diese Anonymität, so wie es vor 20 Jahren war, ist einfach nicht mehr möglich, auch für den Fan nicht. Nichts desto trotz ist es für uns als Verein und ich glaube auch für alle anderen Akteure wie Sicherheitsdienst und SKB´s, dass man ein gewisses Maß an Anonymität, das sie sich wünschen, akzeptiert. Ein Beispiel: dass man nicht einen Vorsänger anruft und ihn fragt, wie sie auswärts fahren. Sondern, dass man über Umwege versucht herauszufinden, ob sie mit Zug, Bus oder PKW fahren. Das ist ihre Welt, ihr Bereich. In dem wollen sie sich selbst organisieren. Den wollen sie auch selbst beherrschen und da gibt es keinen zweiten oder dritten Akteur in ihrer Selbstwahrnehmung. Sie unterstützen voll und ganz den Verein aber in sich selbst organisiert und so wollen sie eigentlich auch behandelt werden. Es gibt ein, zwei Mittelsmänner mit denen man ein bisschen kommunizieren kann. Das funktioniert auch einwandfrei. Es wird auch von unserer Vereinsseite akzeptiert. Das ist so zu akzeptieren. Auch wenn man ihn [den Fan] seit drei, vier Jahren kennt, wird sich da nie eine Beziehung ergeben oder das er näher beim Verein ist. Das gibt es nicht. Ist vielleicht für einen Außenstehenden am Anfang schwer zu begreifen, ist aber ganz wichtig, dass man das verinnerlicht, um mit ihnen gut arbeiten zu können. I: Im Bezug zur Polizei? Da gibt es ja offensichtlich Kommunikationsprobleme. Es werden oft genug Einsätze im Stadion gestartet und es kommt wirklich zu Auseinandersetzungen. Wie würden Sie einschätzen, wer welche Rolle spielt? V: Den besten Zugang hat sicher immer der Verein. Seit vier Jahren bin ich jedes Auswärtsspiel gefahren. Noch bis Ende der Saison, dann wird das Thema von mir wegwandern, aber wenn der Ordner etwas sagt, der eine orange oder gelbe Weste anhat und ist irgendwie dem Gesetz nahe. Wenn der Polizist etwas sagt, ist es sowieso gerade nicht förderlich. Der Verein hat sicherlich den besten Zugang. Und es ist wichtig, dass man es so lebt und deswegen sind auch die Vereinsordner auswärts mit dabei, die sie von der Heimtribüne kennen, die seit dreißig Jahren noch im alten Stadion den Ordnerdienst auf der Nord versehen haben. Die sehen sie nicht mehr so als Ordner, sondern eher als vereinszugehörig und deswegen haben diese Leute auch den besseren Zugang zu ihnen. Ein banales Beispiel: sie sitzen am Zaun vor dem Gästesektor. Für den einen oder anderen Behördenvertreter ein Riesenthema, weil da einer am Zaun sitzt. Ich gehe in dem Fall zweimal hin und sage: „Burschen, bitte gar schön, wir als Verein zahlen Strafe, also geht bitte herunter“. Ich sage das zweimal und wenn sie das nicht tun, akzeptiere ich das. Weil ich für mich als Vereinvertreter sagen muss, ob er jetzt oben sitzt oder nicht, ist mir völlig gleichgültig. Das ist kein Sicherheitsrisiko, außer er fällt herunter. Dann ist es aber, das muss 71
ich ganz brutal sagen, auch sein Bier und das war es dann auch schon. Wenn da jetzt die Polizei hingeht und versucht, ihn herunter zu bringen, eskaliert die ganze Situation. Das haben die Einsatzleiter oder Behördenvertreter schon begriffen. Es gibt Situationen, da kann ich als Vereinsvertreter auch nicht mehr darauf einwirken und dann geht es aber genau um das, was ich vorher schon sagte, dass ich da meine Rolle finde und mich auch zurückziehe in den Hintergrund. Und dann war es das auch. Das gilt es zu akzeptieren. Es ist ein Irrglaube, wenn jemand glaubt, diese Masse lenken zu können. Auch wenn es nur hundert Leute sind. Das funktioniert nicht. Man kann versuchen, im Rahmen einer positiven Zusammenarbeit und im Rahmen dessen, dass man den Verein voranstellt, mit ihnen … und das funktioniert auch in 90% der Fälle einwandfrei. Aber es gibt halt gewisse Fälle, wo es nicht funktioniert und dann eskaliert es halt. Das ist so. So wie es beim Gauda-Fest genauso eskaliert. I: Das heißt jetzt, wenn sie bei den Auswärtsspielen immer mitfahren, stehen Sie mitten unter den Fans im Sektor? V: Meistens vorm Sektor. I: Sie dürfen sich natürlich anders im Stadion bewegen als die Fans? V: Klar. Da geht es darum, dass man am Behördenrundgang teilnimmt, dass man mit den Behörden bereits kommuniziert, Telfonnummern austauscht, Funkverbindung herstellt. Und auch organisatorische Sachen, wie Reisen die Fans an, sind es de facto die vier Busse, die wir vorher genannt haben oder sind es nur zwei oder sind es acht. Wo parken sie, wo ist die Kassa, wie funktioniert es mit dem Einlass, wo werden unsere Ordner positioniert? Das sind alles Punkte, die man im Vorfeld beim Behördenrundgang bereits klärt, damit das Ganze einfach funktioniert. I: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Fanarbeit Innsbruck? V: Grundsätzlich, sobald [der Sozialarbeiter] vor Ort ist, kommt [der Sozialbeiter] zu mir und wir stimmen uns ab, so und so ist die Lage, wenn es Besonderheiten gibt, grundsätzlich haben wir jedes Stadion schon oft erlebt, dass wir wissen wie es läuft, aber wenn es Besonderheiten, oft natürlich in Bereichen, wo es mir sinnvoll erscheint, rede ich mit [dem Sozialarbeiter], „Redest du mit den Fans oder soll ich mit ihnen reden? Wie machen wir es, was ist am geschicktesten?“. Er ist in manchen Situationen noch einmal der Mittelsmann zwischen mir und den Fans, wobei natürlich seine Rolle eine unabhängige sein soll und so versuchen wir das auch zu leben. Also sodass er wirklich als Neutraler dazwischen steht. I: Wie würden Sie einschätzen, wie Sie bzw. in der Rolle Ihres Amtes von den Fans wahrgenommen werden? Begegnen die Ihnen eher mit Skepsis oder ist das eine freundschaftlichere Ebene? V: Freundschaftlich kann man es nicht nennen. Aber als Vertreter des Vereins den sie unterstützen hat man in manchen Situationen mehr Gehör als der Sozialarbeiter, in manchen Situationen ist es umgekehrt. I: Das heißt, die Bereiche haben sich im Prinzip eingespielt, welche der Sozialarbeiter übernimmt und diese, wo Sie einwirken können? V: Ja, genau. Es ist auch ganz wichtig, dass man außen dieses Verhältnis auch lebt und darstellt. Fanarbeit oder Sozialarbeiter ist neutral oder ich als Verein bin manchmal böse, der 72
sagt, „jetzt gibt es Sanktionen für den oder den“ in unserem Stadion oder man ist der Gute und sagt „Burschen, diesmal auch Pyrotechnik während der zweiten Halbzeit erlaubt“, zum Beispiel. Das ist eine Gefühlsache, das lernt man mit der Zeit. I: Ich bin kein Spezialist, was Fußball betrifft, aber Pyrotechnik ist grundsätzlich verboten in Österreich, nur mit Sondergenehmigung erlaubt. Und scheinbar wird das aber der Einsatz von Pyrotechnik in Innsbruck gut gelebt. Wie hat man sich das erarbeitet als Verein? Zuständig sind ja Polizei und Bundesliga, oder? V: Die Sicherheitsbehörde. Grundsätzlich ist es so, dass wir als Verein immer Vorreiter waren, was die Pyrotechnik angeht in der Österreichischen Bundesliga. Das hat daraus resultiert, dass der Verein gesagt hat, wir wollen unseren Fans das ermöglichen. Das Thema Pyrotechnik ist für die Fans sehr wichtig und sehr sensibel, für sie einfaches etwas Großes. Bei uns funktioniert es einwandfrei. Ich bekomme die Info „am Samstag 30 Bengalen“, ich melde es an, bekomme ein Foto von dem Typenschild der Bengalen, schicke das an die Behörden weiter, der Bescheid wird ausgestellt, der Tribünenbereich wird abgesperrt, sie zünden diese, Ordnerdienst wird informiert. Seit ich dabei bin, seit vier Jahren, und in den Akten habe ich vorher auch noch nichts gefunden, dass es eine Übertretung nach dem Pyrotechnikgesetz im Tivolistadion gegeben. Es war immer alles im gesetzlichen Rahmen. Alleine anhand dessen sieht man schon, wie wichtig ihnen das Thema Pyrotechnik ist, weil sie sich an Alles halten. I: Wobei andere Fanklubs, obwohl es verboten ist, trotzdem Wege finden, Pyrotechnik einzusetzen, nicht? V: Ja, klar. Aber sie wissen ganz genau, wenn sie es bei uns illegal einsetzen, ist es legal nicht mehr erlaubt. Und wenn sie es dann illegal einsetzen, dann wissen sie schon mittlerweile, sie sehen es ja auswärts, da zünden sie auch, dass die Datenerhebung und das Kamerawesen usw. so funktionieren, dass sie de facto identifiziert werden und dann natürlich Stadionverbot bekommen. I: Das heißt jetzt eigentlich, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass man zu Hause als Verein in Zusammenarbeit mit den Fans mehr Möglichkeiten hat als auswärts? V: Ja, klar. Das ist auch so. Am Anfang habe ich auch immer irgendwo gehadert mit der Situation, weil man natürlich versucht, möglichst nahe an den Fans zu sein und Alles immer zu regeln, sodass das keine Problem entstehen. Es ist so, wie es bei uns auch ist. Ich bin verantwortlich auch zum Teil für die Rapid Fans und so ist auswärts genau so Rapid für unsere Fans verantwortlich. Und wenn diese die Pyrotechnik hereinschmuggeln, dann ist das so. Der Irrglaube, dass man jeden Bengalo findet oder jedes Säckchen Rauchpulver, ja, der ist sowieso Irrglaube. I: Die Fans, Sie haben sie auch bezeichnet als „Harter Kern“, das ist glaube ich eine gängige Bezeichnung für die richtigen Anhänger. Wie würden Sie die Leute einschätzen, wenn man auch sieht, dass sie auswärts anders agieren, wobei sie meistens auch als kleinere Gruppe auftreten. Wie würden den Typus charakterisieren, der im Harten Kern dabei ist? Hauptsächlich männlich? V: Ja, das definitiv. Das ist aber auch schon das Einzige, das man sagen kann. Das soziale Umfeld ist total unterschiedlich, auch die berufliche Ausbildung ist total unterschiedlich. Das geht vom Selbständigen bis zum Arbeitslosen, vom Rechtsanwalt bis zum Maurer. Da ist alles 73
dabei. Sicher sind vielleicht white-collar worker, wenn man es so bezeichnen will, anteilsmäßig weniger vertreten, aber genauso vertreten. Da gibt es nichts ganz spezifisches für mich. Da müsste [der Sozialarbeiter] mehr wissen, ob zahlenmäßig Arbeitslose anteilig höher sind oder soziale Probleme, da habe ich zu wenig Einblick. Für mich ist es grundsätzlich im Großen und Ganzen eigentlich eine homogene männliche Masse. Sicher gibt es ein paar Ausreißer, der Arzt und der Langzeitarbeitslose, aber dazwischen ist im Großen und Ganzen gibt es nicht sehr große Unterschiede. Für mich und meine Wahrnehmung. Aber das ist [der Sozialarbeiter] der Fachmann, der eher etwas dazu sagen kann. I: In Bezug auf strafrechtliche Konsequenzen. Also wir haben die Fans, die unerlaubt Pyro zünden oder auf dem Zaun sitzen. Was bekommen Sie mit, wie häufig das vorkommt oder wie ist der Verein dadurch betroffen und muss er so etwas weiterleiten, wenn etwas Illegales gemacht wird und die Konsequenzen dafür getragen werden müssen? G: Grundsätzlich ist das Sache der Exekutive. Wir als Verein sprechen Konsequenzen aus, die nicht auf einer Gesetzeslage basieren. Wenn da irgendein Riesenthema ist, dann hole ich mir den Fan zu mir und sage: „Junge, jetzt 20 Stunden Arbeit für uns. Du weißt ganz genau, das und das hast du ausgefressen“. Das funktioniert auch einwandfrei. Wenn einer auswärts Pyrotechnik zündet und identifiziert wird, dann tritt der im Gesetz vorgesehene Verlauf in Kraft. Er wird nach dem Pyrotechnik-Gesetz verurteilt und bekommt Stadionverbot. Das läuft aber über das Ministerium und die Bundesliga. Wir als Verein geben dann eine Stellungnahme dazu ab, ob der Fan schon öfter oder noch nie aufgefallen ist. Darauf basierend fällt dann der Senat Bundesliga bzw. das Ministerium die Entscheidung, ob ein Stadionverbot verhängt wird. Wenn ja, kommt er auf die Liste, wenn nein, als Alternative dazu in Kooperation mit Armin [dem Sozialarbeiter] z.B. 30 Stunden Arbeit bei unserem Verein. Ein Teil unserer Stellungnahme bzw. der Großteil wird hierbei von Armin [Fanarbeit Innsbruck] abgegeben. Ich sage Armin: „Der Fan XY ist da und da aufgefallen, da kommt bald der Akt“. Sobald der Akt da ist, leite ich es weiter zu Armin und er führt ein sozialarbeiterisches Gespräch mit dem Fan und teilt mir das Resultat mit. Ich ergänzende das um die Vereinssicht und schicke es dann wieder zum Ministerium bzw. zur Bundesliga. I: Was ich jetzt nicht ganz verstehe ist, wenn Sie sagen, der eine ist schon hundert Mal aufgefallen und der andere noch gar nicht, auf was Sie sich beziehen. Beziehen Sie sich auf Daten von der Polizei oder haben Sie… V: Grundsätzlich haben wir die Daten der Polizei nicht, aber so groß ist die Welt in Innsbruck nicht, dass ich nicht meine 30 „Pappenheimer“ kenne, die eher für ein Problem zu haben sind, als die 1000 anderen. So gesehen kennt man ja seine Leute und wenn einer nach drei oder viermal noch immer nicht kapiert hat, dass wir ihm nichts Böses, sondern eigentlich immer helfen wollen, und er frisst wieder etwas aus, dann tritt irgendwann die Sanktion ein, dass ich zur Bundesliga sage: „Dem Herrn helfen wir jetzt einmal nicht mehr. Der muss mit der Situation fertig werden, die er angestellt hat“. Irgendwann ist einfach der Horizont überschritten. I: Und dann fällt es in den Bereich von Herrn Weber? V: Genau. I: Herr Weber hat beim Interview erwähnt, dass die Zusammenarbeit bzw. das Verhältnis zwischen Verein und Fans eigentlich sehr stark von einer Person ausgegangen ist. Wie ist jetzt
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das Verhältnis oder würden Sie sagen, dass ohne diesen Herrn Stocker dies nicht möglich gewesen wäre? V: Gerhard [Stocker] war sicher der von den Fans am meisten akzeptierte Obmann weltweit. Das muss man ganz offen sagen. So etwas wird es nicht mehr geben und hat es auch nicht mehr geben. Ich glaube aber, wenn Gerhard in einer anderen Zeit gekommen wäre, er ist in der Zeit gekommen, wo genau diese Rückführung zum FC Wacker Innsbruck nach der FC Tirol und FC wacker Tirol-Pleite, die auch immer die Forderung der Fans war, also ich denke, er hat von Rückführung am meisten profitiert. Er hat sich für diese Rückführung sehr stark eingesetzt und war deshalb irgendwo die Gallionsfigur bei den Fans. Es war auch damals, deswegen habe ich auch gesagt, nicht nur weil Gerhard nicht mehr da ist, die Fanszene ganz anders organisiert. Wir waren damals, wenn man das so nennen kann, unter den „Top 3 der Fanszenen“ in Österreich. Die Fans hören es zwar nicht gerne und sehen es auch anders, aber wir sind lange nicht mehr dabei. Verrückt Köpfe und I Furiosi waren damals sehr stark und es war ein gemeinsamer Auftritt. Es ist alles nicht mehr dieses Gemeinsame, das sie früher so stark gemacht hat. Und davon hat Gerhard irrsinnig profitiert. Wir haben trotzdem, denke ich, im Vergleich zu anderen Vereinen, wenn ich als Negativ-Beispiel [SK] Rapid [Wien] hernehme, einen sehr guten Kontakt zu den Fans. Es ist alles ein wenig anonymer geworden, was manchmal ein Vorteil und manchmal ein Nachteil ist. Ich denke, dass eine intensive Beziehung zwischen Vereinsverantwortlichen und Fans auch nicht immer förderlich ist. Zwar in der Sache „Arbeit mit den Fans“, aber in vielen anderen Dingen, wenn es dann darum geht, dass die Fans oder die Mitglieder in Bereichen mitreden wollen, weil man sehr nahe an Ihnen ist, wo sie, das muss man ganz klar sagen, keine Ahnung haben, dann wird es problematisch. Und deswegen ist es so gesehen ein Vorteil, wenn eine gewisse Distanz da ist. I: Beim Internetauftritt des FC Wacker Innsbruck zu Ihrer Person, haben Sie selbst gesagt, dass Sie schon relativ lange FC Wacker Fan sind. Waren Sie vor Ihrer Tätigkeit hier auch im Stadion als Fan? V: Ja, aber nie auf der Nordtribüne. I: Aber Sie kennen viele … V: Ja, wobei eben die Gesichter gewechselt haben. Das ist auch ein normaler Verlauf auf so einer Tribüne. Die, die vor 15 Jahren die „wildesten Hunde“ waren, haben jetzt Kinder und Haus gebaut. Und dann ändern sich die Werte im Leben. Die ziehen sich auch zurück und werden ruhiger und blicken vielleicht mit glänzenden Augen zurück, als sie noch mit 30 Grazer [Fans von SK Sturm Graz] sich geprügelt haben. Aber mittlerweile sind sie auch nicht mehr dabei, weil sie einfach in einem anderen Umfeld sind, beruflich so wie privat. Und somit wird es immer einen Wechsel geben. Das ist ein normaler Generationenwechsel, wie überall anders auch. I: Das heißt, Sie sind nicht so sehr befangen, weil Sie nicht zu viele Personen auf der Nordtribüne persönlich kennen? Wegen dem Problem, das Sie angesprochen haben, wenn man sich zu gut kennt? V: Nein, überhaupt nicht. I: Weil Sie Rapid als Negativ-Beispiel genannt. Könnten Sie bitte kurz skizzieren, was bei Rapid mit der Arbeit mit Fans schlecht ist?
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V: Bei der Arbeit mit den Fans ist grundsätzlich nichts schlecht. Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass ein sehr schlechtes Verhältnis zwischen Fans und Verantwortlichen herrscht. I: Also Vereinsvorstand? V: Ja, genau. Da liest man jedes Wochenende [im Stadion auf den Transparenten], wenn da steht: „Vorstand raus!“ und „Edlinger, schleich dich“, oder was auch immer. Andy Marek hat sich auch zurückgezogen. Das wird auch nicht einfach so passiert sein. Dann der Platzsturm, der sicher das am meisten einschneidende Erlebnis im österreichischen Fußball, was die Fanszenen betrifft. Ich weiß aber auch nicht, wie weit sie jetzt sind. Nur was wir intern auch manchmal mitbekommen, ist, dass es auch sehr schwierig ist mit den Rapid-Fans. Auch aufgrund der Größe, der Masse. Ich möchte momentan nicht in der Haut des Sicherheits- oder Fanverantwortlichen von Rapid stecken. V: Gut, aber könnten Sie es vielleicht genauer beschreiben, wo vielleicht die Probleme liegen könnten, damit ich mir mehr vorstellen kann? V: Ja, sicher. Ein großes Problem ist, dass die Fans von Rapid sehr nahe am [Fußball-]Klub. Das war in den letzten Jahren der Riesenvorteil von Rapid. Sie sind mit 3000 [Fans] nach England zur [UEFA] Europa League Gruppenphase usw. Aber wenn es dann losgeht, dass die Fans anfangen sich einzumischen, weil es sportlich nicht läuft und fordern plötzlich einen neuen Trainer oder einen anderen Spieler oder das Marketing betreffend etwas anderes. Das kann ich als Verein nicht unbedingt immer umsetzen, was sie fordern. Und wenn sie dann nicht das Gehör finden, das sie sich vorstellen, dann schwappt das sehr schnell um in eine negative Stimmung gegenüber den Verein. Und dann hat man genau die Probleme, die Rapid jetzt hat. Deswegen habe ich gesagt, es ist nicht immer ein Segen, nahe an den Fans zu sein, sondern manchmal ist ein bisschen Distanz auch dahingehend von Vorteil. I: Darf ich noch mal kurz zu den Fans an sich zurückkommen? Haben Sie die Erfahrung oder ein Verständnis dafür, wie Fans darauf reagieren, wenn sie wirklich Probleme mit dem Gesetz bekommen? Wenn da irgendwelche Konsequenzen eintreten? V: Da ist sicherlich Armin der Fachmann. Was ich sagen kann, ist, wenn ich weiß, wir haben vielleicht fünf Burschen, die wirklich mittlerweile an Kippe stehen, was die Probleme mit dem Gesetz angeht. Aber im Großen und Ganzen, sagen wir, wenn jemand auswärts wegen eines Bengalen verurteilt wird, dann sind das nicht die großen Themen. Die uns als Verein betreffen, sind nicht die großen Themen. Einen Fall hatten wir vor eineinhalb Jahren, der in Salzburg einen Polizisten attackiert hat und dem dann ein Bengale unter die Rüstung reingefallen ist. Der [Polizist] war dann schwer verletzt und da geht es jetzt um einen größeren Fall, aber der [Fan] ist sich dessen auch bewusst und hat jetzt auch seine Probleme damit. Ich weiß jetzt auch nicht, wie sie reagieren, wenn sie wegen Pyrotechnik verurteilt worden sind. Also ob die dann wieder zünden oder nicht. Aber da ist, glaube ich, Armin der Fachmann. I: Wenn sie von gut fünf sprechen, die an der Kippe stehen, die wirklich für ihre Zukunft schwere Einschnitte befürchten müssen, würden Sie sagen, jetzt allgemein gesprochen, dass das Fußballstadion ein günstiger Ort ist, dass Personen eher in eine kriminelle Laufbahnen abrutschen? Durch Gewaltdelikte, durch …
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V: Das ist immer die Frage. Ich glaube, der Rechtsanwalt [als Fan], der tritt der organisierten Fanszene nicht bei, weil es ihm so gut gefällt, sondern er sucht auch ein Ventil, um was auch immer los zu werden. Und genauso macht es auch der Arbeitslose oder der, der auch schon Probleme mit dem Gesetz hatte. Gesellschaftliche Problematiken gipfeln im Fußballstadion, weil es ein Massensport ist. Das ist so. Das ist seit 100 Jahren so und wäre mich immer dagegen, dass der Fußball immer vorne hingehängt wird als der Sammelpunkt für gewaltbereite junge Leute oder alte Leute oder den gewaltbereiten Teil der Gesellschaft. Ich glaube, wir sind es, aber aus mehreren Gründen. Erstens, weil wir eben ein Massensport sind, zweitens, weil wir regelmäßig stattfinden. Wenn alle zwei Wochen ein Skirennen in Kitzbühel ist, dann wird es dort bald genau die gleichen Probleme geben, die wir jetzt im Stadion. Weil die Gesellschaft die gleiche ist. Und die gesellschaftlichen Probleme, was die Gewaltbereitschaft, was soziales Umfeld usw. angeht, die werden einfach intensiver und mehr und deswegen auch beim Fußball mehr. Deswegen ist das Thema Sicherheit usw. auch bei uns Klubs immer präsenter. Ich denke sogar umgekehrt, dass es eine Chance ist, wenn man sich dessen bewusst ist. Das diese Klientel bei Fußballspielen vertreten ist. Das ich hier als Klub, und auch deswegen die Unterstützung von Armin von unserer Seite in finanzieller oder materieller Art, einen einzigartigen Zugang zu diesem Klientel habe, weil da eine emotionale Bindung an mich als Klub herrscht. Und deswegen hören sie mehr auf mich als auf den anonymen Sozialarbeiter XY. Deswegen sollte man das eigentlich umdrehen und als Auftrag an die Spitzenklubs sehen, dass diese das Thema ernst nehmen und mit diesen Leuten zu arbeiten beginnen. Und nicht mit dem Finger darauf zeigen und jammern, dass man diese im Stadion hat. Ich will es auch gar nicht ändern, weil wir als Klub einen sozialen Auftrag haben. Und den müssen wir erfüllen, ganz klar. I: Also der Klub macht mehr Sinn, als das er nur im Rahmen vom Profifußball finanziell überlebt? V: Klar. I: Eine Frage noch dazu. Was halten Sie von den Medien? Da werden ja grundsätzlich die Fußballfans, überspitzt formuliert, kriminalisiert. Da wird ein typischer Fußballfan gezeichnet als Schlägertyp, der die Contenance gerne verliert und eher gefährlich ist. V: Das Thema Medien ist auf diesem Gebiet eine Katastrophe, das muss man ganz ehrlich sagen. Da merkt man sicher am meisten die Sensationshascherei der Medien. Eines, was ich den Medien schon zugestehen muss, ist, wenn ich als Familienvater, der in seiner heilen Welt lebt, jetzt wirklich positiv zu verstehen, dass er eine Familie und einen Job hat. Der seinen Kindern versucht zu vermitteln, nicht gewaltbereit zu sein, die Dinge anders zu lösen, ein solides Werteverständnis versucht zu vermitteln. Wenn ich als ein solcher Familienvater eine Situation erlebe, wo es kracht, wo der Rauch aufgeht, wo die Leute raufen, wo die Polizei aufmarschiert, dann ist das emotional sicher nicht angenehm. 80% der Leute, die die Medien lesen, schauen oder hören, sind halt solche Leute. Und für die ist es natürlich etwas besonderes, etwas Brutales. In meiner Wahrnehmung, als einer, der jetzt seit 10 Jahren insgesamt beim Verein ist und seit vier Jahren in dieser Position, ist es, ganz überspitzt formuliert, lächerlich. Diese Situation, wo Rauch aufgeht, wo vielleicht ein Böller geworfen wird, wo ein Bengale angezündet wird, nehme ich nicht mehr als dieses Riesenproblem war. Und ich glaube, das ist es auch nicht. Wenn der [Fan] am Zaun oben sitzt und seinen Bengalen schwenkt, ist er deswegen ein Schwerverbrecher? Ist das so ein brutales Bild in den Medien, dass ich das aufschaukeln muss? Dass das alle Gesetzlose sind? Ist es wirklich notwendig, dass ich wegen einem Vergehen, dass mit 64€ als Verwaltungsstrafe im Mindestfall verurteilt wird, mit einer uniformierten Armada aufmarschiere? Sind das die 77
Bilder, die wir haben wollen? Oder kann man das Ganze auch unkompliziert lösen? Nochmals, ich verstehe auch die andere Seite. Wir hatten einen Vorfall vor zwei Jahren, da wollten 15 Fans von der Nord[-tribüne] über die Ost[-tribüne] zum Rapidsektor [Gästesektor]. Da ist genau nichts passiert. Die waren halt schwarz bekleidet und haben den Schal hier oben gehabt [im Gesicht zur Vermummung]. Ich glaube, ich habe 56 Mails bekommen und 13 Leute hier [im Büro] dasitzen gehabt. Sie glauben nicht, was das für eine dramatische Situation war. Da muss ich mir als Erwachsener schon irgendwann die Frage stellen, ob die Gesellschaft doch so rosarot ist, wie ich sie mir zu Hause male und wie ich sie meinen Kindern versuche zu erklären und zu vermitteln. Da gehört beides dazu. Andererseits die Medien, die nicht ganz so extremistisch berichten und auf der anderen Seite ein Bewusstsein schaffen bei der Bevölkerung müssen, dass das nicht so Riesenthematiken sind. Ich spreche hier nicht von der 2. oder 3. Liga in England, ich spreche nicht von Dynamo Dresden gegen Hansa Rostock, ich spreche nicht von St. Pauli gegen HSV, ich spreche hier von der österreichischen Bundesliga mit FC Wacker Innsbruck gegen Mattersburg oder Rapid gegen Grödig. Ich glaube, was die Fanproblematik angeht, sind wir in Österreich auf einer Insel der Seligen. Wir haben derzeit 248 Stadionverbote und 160 davon resultieren immer noch vom Wiener Derby [SK Rapid Wien vs. Austria Wien] vom Platzsturm. Das sind Zahlen, die sind schlichtweg lächerlich. Und dann gibt es, muss ich ganz offen sagen, wirklich Ahnungslose, die ein personalisiertes Kartensystem fordern, das jeden Klub 600.000€ kostet, nur um diese „Schwerverbrecher“ nicht mehr ins Stadion zu lassen. Da muss ich mich fragen, auch wenn es 1000 Stadionverbote sind, stehen diese 600.000€ bei weitem nicht in Relation dazu, dass ich diese Fans nicht mehr drin habe. Diese Diskussion wird dann von den Medien leider Gottes oft sehr polemisch aufgebauscht. In Österreich haben wir keine Probleme im Verhältnis zu anderen Ligen in anderen Ländern. Nichts desto trotz müssen wir trotzdem und auch deswegen, um das zu stärken und um diesen Status beizubehalten, an der Basis weiter arbeiten. Und vorbeugen, präventiv arbeiten und sozialarbeiterisch denken. Deswegen ist das wichtig. Ich will das Ganze nicht verharmlosen. Unser Ansinnen ist auch, das am besten auswärts gar nichts mehr passiert. Nur, noch mal, die Gesellschaft ist so und da die Augen zuzumachen und auf den Fußball zu zeigen … wir sind alle Teil der Gesellschaft und deswegen müssen wir Alle unseren Teil dazu beitragen, diese Probleme versuchen zu lösen oder denen entgegen zu wirken. I: Wie haben Sie aus Sicht des Vereins dann reagiert? Der Verein lebt ja auch vom Verkauf von Eintrittskarten. Wenn dann im Familiensektor wirklich Erwachsene mit ihren Kindern beunruhigt werden wegen ein paar, nennen wir sie „Hansln“, die quasi nichts gemacht haben, ich meine, man hat da ja zwei verschiedene Arten von Klientel. Die Osttribüne ist… V: Großteils Familien, ja. I: … ist wahrscheinlich nicht ganz unerheblich? V: Nein, definitiv nicht. Die Leute sind hereingekommen und ich habe diese Bilder im Raum hängen [zeigt auf Bilder von Fans auf der Tribüne mit gezündeter Pyrotechnik]. Was soll ich dazu sagen? Ihnen habe ich es genau so erklärt wie jetzt. Dass wir als Verein sicher darum bestrebt sind, mit diesen Fans zu arbeiten, damit diese Dinge nicht mehr passieren und dass das unschöne Bilder sind. Nur, das ist ein Teil der Gesellschaft und ich habe auch Eltern dasitzen, deren Kinder vor vier Jahren alleine auf die Nord[-tribüne] haben dürfen und jetzt sind diese ganz vorne dabei in der ersten Reihe und die machen nur Probleme. Und das waren noch die [Eltern], die damals schimpften. Wenn man dann selbst betroffen ist, dann sieht man die Situation ganz schnell anders. Ich glaube, ich habe es von allen Erwachsenen, es waren nicht nur Eltern, schon auch die Rückmeldung bekommen, dass meine Worte irgendwo 78
verstanden worden sind. Und das ist einfach das Wichtigste. Es ist Teil dieser Arbeit vom Verein, dass man dieses Bewusstsein beim anderen Publikum schafft. Denn am Ende des Tages jubeln alle, wenn wir gewonnen haben, und die Nord schreit „F-C-W“ in Richtung Ost[-tribüne] und die Ost schreit zurück. Dann ist auf einmal Alles eitle Wonne. Die machen eine Stimmung und die sind immer da und eines muss ich auch ganz klar sagen: der XY, der sich wegen dem Rapid-Spiel beschwert hat, weil da 15 von uns rüber sind, wo es keine Verurteilung, keinen Gesetzesbruch, nichts gegeben hat, der ist vielleicht auch derjenige, der nach der zweiten Niederlage nicht mehr ins Stadion kommt. Und die Nordtribüne habe ich mit 1.200 Leuten Minimum immer besetzt. Egal, ob wir sechs Mal verlieren. Sicher ist dann die Stimmung nicht so, aber die sind da. Das versuche ich diesen Personen schon auch verstehen zu geben, dass die ein bisschen weiter denken und die Bedeutung von einer organisierten Fanszene, ich rede hier nicht von einem Individuum, das einen „Stunk“ gemacht hat, die zu ihrem Klub steht, hat einfach auch für den Klub eine große Bedeutung. Das muss auch vom anderen Publikum akzeptiert werden. Kurze Unterbrechung I: Wie wichtig ist die Arbeit mit Jugendlichen für den Verein Wacker Innsbruck? V: Enorm wichtig, klar. I: Und die Zielgruppe vom Verein sind Kinder? V: Im Idealfall in der Schule. Zwei Aspekte muss man fairer weise ganz klar auch sagen: der eine ist die Marketing-Sicht, für uns sind es potentielle Zuschauer, potentielle Fans. Der Zweite ist dem Sport geschuldet. Jugendliche müssen Sport machen wegen den gesundheitlichen Auswirkung usw. und die dritte ist die soziale Komponente. Damit wir da auch irgendwo eine Bindung haben. Wobei das natürlich, von manchen sehr negativ denkenden Menschen so gesehen wird: „ja, dann gehen sie ins Stadion und dann kommen sie noch zu den Hooligans“. I: Gut. Dieser von Ihnen erwähnte gesellschaftliche Auftrag, wie kann man den formulieren? Welchen gesellschaftlichen Auftrag hat der Verein FC Wacker? V: Im Rahmen dessen, dass man einfach viele Fans hat. Genau so wie Sebastian Vettel auch einen sozialen Auftrag hat. Er hat auch Fans, die er aufgrund der emotionalen an ihn, mehr beeinflussen kann, als ein anonymer Gesetzgeber oder als ein anonymer Sozialarbeiter wie in unserem Fall jetzt. Einfach im Rahmend er Masse, die wir begeistern, und wir diese Verantwortung dieser Masse und dem Rest der Gesellschaft gegenüber, diese möglichst positiv zu beeinflussen. I: Also es ist der Vorbildcharakter, kurz auf den Punkt gebracht? V: Ja, ganz klar. I: Ich glaube, Sie haben es eilig? Was mich noch interessieren würde, Sie haben es schon angesprochen, Fanarbeit in Österreich ist teilweise nicht wirklich effektiv, weil es auch Probleme gibt zwischen Fans und Vereinsmanagement. Wenn wir uns an Deutschland orientieren, wo es gesetzlich verpflichtet ist, dass Vereine in den obersten Ligen ein Fanprojekt mit Sozialarbeiter angestellt. Dort findet sich als Lösung die Drittelfinanzierung. Wenn man Deutschland als Maßstab hernimmt, wo liegen die Probleme in Österreich oder 79
welche Akteure müssten aus Ihrer Meinung nach etwas ändern an ihrer Arbeit bzw. Sicht, müssten vielleicht auch finanzielle Mittel in die Hand nehmen, damit man die Fanarbeit in Österreich so umgestalten kann, dass man die Zielgruppe erreicht, damit das, überspitzt formuliert, kriminelle Potential nicht mehr, sondern weniger wird? V: Grundsätzlich ist es einfach so und selbst der sozialste Sozialarbeiter muss etwas verdienen. Es ist eine finanzielle Frage, das stimmt. Bei uns hat das einen sehr hohen Stellenwert und deswegen unterstützen wir dieses Projekt [Fanarbeit Innsbruck] auch in Höhe von 45.000€. Also 35.000€ an die Faninitiative plus 10.000€, die wir aus dem Sicherheitstopf der Bundesliga lukrieren, die wir weitergeben. Ich habe jetzt auch noch mal angesucht um eine weitere Unterstützung. Das Projekt kostet über den Daumen im Jahr, wenn es noch ein bisschen ausbaut, um die 100.000€. Das ist ein Haufen Geld und das größte Problem dabei ist definitiv die Wahrnehmung der öffentlichen Hand. Und da gehört sicher in Zukunft noch viel Bewusstseinschaffung betrieben. Und die zweite Säule ist, da gehe ich nicht ganz mit der Meinung der Bundesliga einher, wenn der den Stellenwert von 10.000€ hat, dann ist der Stellenwert zu wenig. Denn die gesellschaftliche Verantwortung, die Diskussionen um die Thematiken Sicherheit, Gewaltbereitschaft, Fußballfans sind einfach viel größer und haben sich deswegen einen viel höheren Stellenwert verdient und deswegen muss die Bundesliga, das ist ganz klar meine Forderung und das wissen sie auch, hierbei mindestens zu einem Drittel die jeweiligen Projekte bei den Klubs mitfinanzieren. Aus und fertig. Sie sind nämlich im Umkehrschluss die, die auch auf uns zeigen, wenn es der Gesetzesgeber nicht macht. Weil ich zahle nicht an den Gesetzesgeber die Strafe für einen Bengalen im Auswärtssektor, sondern an die Bundesliga. Und deswegen brauchen wir ganz klar ihre Unterstützung finanzieller Art, dass wir uns diese Projekte leisten können. I: Also der Dachverband der Ligen ist eigentlich? V: Völlig fern ab. I: In Bezug auf Bewußtseinschaffung, wie sieht es da aus? Politik auf Stadt-, Landes-, Bundesebene? V: Das wird sicher etwas besser. Vor allem Schwarz-Grün [ÖVP und Die Grünen in der Landesregierung] in Tirol spielt uns ein bisschen in die Karten. I: Schwarz war schon immer, also in dem Fall die Grünen? V: Natürlich bringen sie etwas mehr das Soziale mit ein? Die SPÖ hat uns da kläglich im Stich gelassen, das muss ich ganz klar sagen. Wir sind jetzt dabei, dass wir laufend Gespräche führen und ich glaube, dass wir da auf einem guten Weg sind. Man darf da halt nicht aufgeben und ich hoffe, dass wir dieses Projekt nächstes Jahr auch wieder ausfinanzieren können. Also noch steht es nicht auf sicheren Beinen. Und wir als Klub sind, das muss ich ganz offen sagen, nicht in der Lage, 100.000€ herzugeben. I: Pro Jahr, was Miete und Gehalt betrifft? V: Miete, Gehalt, Auto, Telefon, usw. Das geht nicht. I: Gut. Muss sich am eigenen Verein etwas ändern? Was wäre da verbesserungswürdig? V: Im Idealfall haben wir sicher die Möglichkeit für einen voll beschäftigten Fanbeauftragten. Das ist auch eine finanzielle Frage, aber wir starten das dann nächstes Jahr mit einer 80
Halbtags-Stelle und ich denke, dass wir das dann in zwei Jahren ausbauen zu einer GanztagsStelle. Damit wirklich nur einer verantwortlich ist für die Fans und mit ihnen auch arbeitet, Projekte gestaltet, die Bindung intensiviert auf der Basis, auf der es sinnvoll ist. Bei Bereichen, in denen es sinnvoll ist. I: Wie ist es beim letzten Akteur, der eigentlich über viele finanzielle Mittel verfügt, also die Exekutive? Es wird zunehmend immer mehr Geld in Maßnahmen bei Sportveranstaltungen investiert. In Deutschland geht es da schon um in Summe ungefähr 200.000.000€. Wie müsste sich die Wahrnehmung oder die Einsteilung der Exekutive gegenüber Fußballfans verändern? V: Da muss ich wirklich eines sagen: die Exekutive hat in den letzten Jahren ihre Wahrnehmung der Realität angepasst hat. In den letzten vier Jahren habe ich es nur zweimal erlebt, wo mit dem Einsatzleiter wirklich nicht zu reden war und er hat dann auch dieses Fiasko verantworten müssen, das war so. Aber in allen anderen Fällen, glaube ich, hat die Exekutive dann schon auch in den letzten Jahren auch umgedacht. Gut, wir in Innsbruck haben sowieso ein unglaublich positives Verhältnis zur Exekutive. Das ist wirklich genial. Aber auch in ganz Österreich hat sicher ein Umdenken stattgefunden. Wo einfach einmal eine einheitliche Regelung her gehört, weil die Exekutive ein enorm hoher Kostenfaktor ist. Das ist momentan noch bundesländerspezifisch geregelt. Wir bezahlen 12.000€ bei einem Risikospiel für die Exekutive, Sturm Graz bezahlt 1.500€, weil da einfach eine andere Gesetzgebung ist. I: Aber der Aufwand ist der Gleiche? V: Genau der gleiche. Aber genau das ist der Unterschied, also wenn ich bei 10 Risikospielen pro Saison anstatt von 12.000€ nur 1.500€ zahle, dann habe ich 100.000€ mehr im Jahr und dann bin ich auch gern bereit, dass ich einen Teil davon zweckgewidmet wieder an die Sozialarbeit oder präventive Maßnahmen weitergebe. Es gibt da auch Gespräche und wir sind auch momentan involviert und im Großen und Ganzen hat die Polizei da sicher umgedacht. Zum Glück nicht der englische Weg, wo es so Befürworter gibt. Der bedeutet das Aussperren aus den Stadien, kleinste Fansektoren und extreme Polizeipräsenz. Da ist man, glaube ich, in Österreich auf einem anderen Weg. Auch weil bei uns die Größenordnung nicht gegeben ist, ist dieser Weg meiner Meinung nach auch machbar. Und so müssen wir weiter arbeiten mit der Exekutive. Dass die Exekutive an sich jetzt nicht ein stark dynamischer Verein ist, ist auch klar. Aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten und im Rahmen ihrer Denkmuster in den letzten vier oder fünf Jahren schon ein Umdenken intern stattgefunden hat. I: Aber es ist dann, weil Sie es angesprochen haben, der eine Einsatzleiter an dem einen Spieltag, schon abhängig von den einzelnen Entscheidungsträgern vor Ort, wie sich eine Situation entwickelt? V: Klar. So wie es vom Ordner abhängen kann, so hängt es da genau so vom Einsatzleiter ab. Wenn da eine Gesprächsbasis da ist, wenn er das Gespräch auch zulässt, die Auswirkung abschätzt, dann gibt es in den meisten Fällen nur die eine Entscheidung die lautet, sich im Hintergrund zu halten und das nicht noch mehr aufzuschaukeln. I: Meine letzte Frage in Bezug auf das Verhältnis Polizei und Fans. Es ist momentan ein sehr schwieriges, es sind grundsätzlich zwei Lager, die sich in Feindschaft gegenüberstehen. Ist es denkbar, dass dieses Problem überwunden werden kann? V: Nein, unmöglich.
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I: Unmöglich? Wieso? V: So wie sich Links und Rechts auch nicht annähern werden. Es ist auf der einen Seite sicherlich viel verbrannte Erde da, auf der anderen Seite hat es verletzte Polizisten gegeben, auf der einen Seit sind Fans wegen nichts festgenommen worden, sind für kleinste Kleinigkeiten verurteilt worden, auf der anderen Seite haben Polizisten überreagiert. Im Rahmen der ganzen Emotion die rund herum oder in dem ganze Bereich stattfindet, die wegen dem Fußball dabei ist, sehe ich da kein Potential, dass sie Freunde werden. Ich glaube, mit der Installation der SKB´s hat man sicher einen großen schritt gemacht, also Mittelsmänner einzuschalten. Ansonsten müssen die Fans sowie die Exekutivbeamten ihre Rolle erkennen und dann funktioniert es. Aber anstreben, dass sie Freunde werden, ist sinnlos. Das sehe ich auch nicht als zielführend. Es ist auch gut so, wenn es unterschiedliche Interessen gibt auf dieser Welt. I: Danke schön, belassen wir es bei dem. V: Ich sage danke.
Interview Thomas Gaßler Leiter von pro supporters 26. Oktober 2013, Innsbruck 82
Seminarraum Hotel Ramada Tivoli I: Interviewer G: Thomas Gaßler
I: Mein Name ist Hübl Dominic und ich studiere Soziologie in Innsbruck. Sinn und Zweck des Interviews ist das Führen eines Experteninterviews zu dem Thema Fußballfans und speziell die sozialpräventive Betreuung von Fußballfans aus einer sozialpolitischen Perspektive. Dies um sich dem anzunähern, welche Art von Problemen gegeben ist mit Fußballfans und wie man den Problemen begegnen kann. Dabei auch die beteiligten Akteure inkludierend, sprich Fußballverein, die Bundesliga, die Polizei und die Medien usw. Der Rahmen der Untersuchung ist, dass ich 3 bis 4 Experteninterviews führe. Gut. Als erste Frage würde ich dich bitten, mir kurz beschreiben, was deine berufliche Tätigkeit genau ist und welche Kompetenzbereiche es beinhaltet. G: Ich bin Leiter von pro supporters - Koordination Fanarbeit Österreich. Das ist eine Abteilung von FairPlay. Fair Play - Viele Farben, ein Spiel ist eine Antirassismus-Initiative, die es seit 15 Jahren gibt und in Österreich sehr aktiv tätig ist. Wir sind eine von fünf Abteilungen und uns gibt es erst seit Juli 2012. Wir sind eineinhalb Stellen und gefördert werden wir in Österreich primär vom Sportministerium. Ziel ist der Aufbau von sozialpräventiven Fanarbeits-Projekten in einzelnen Bundesligavereinen und Vereinen mit relevanten Fanszenen. Ein Teil ist in Österreich, der zweite Teil ist die Ausführung von Fanbotschaften. Fanbotschaften sind sozialpräventive Fanarbeit für Nationalteam-Fans. Da fahren wir selbst zu Auswärtsspielen hin, wo viele Österreich-Fans mitfahren und bieten Streetwork an, bieten Fanzines an mit Informationen, haben eine 24-Stunden-Hotline. Das ist so eine Schiene, Klub-Fans die eine, Nationalteam-Fans die andere und der dritte Bereich ist, dass pro supporters zuständig ist für die europäische Vernetzung von Fanprojekten, so der allgemeine Titel in Europa, die es in der Form in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich und in Polen schon gibt und in Tschechien sich im Aufbau befindet. Da sind wir der europaweite Vernetzer. Also es gibt pro supporters - Koordination Fanarbeit Österreich, pro supporters - Fanbotschaft Austria und pro supporters – Connecting Fanprojects, das sind unsere drei Tätigkeitsfelder. I: Darf ich da nachfragen, Streetwork beinhaltet für dich jetzt genau was? G: Streetwork ist aufsuchende Arbeit mit Fußballfans, sprich, wenn wir jetzt auswärts bei einem Spiel sind, so wie es jetzt in Stockholm [Anm.: beim WM-Qualifikationsspiel Schweden gegen Österreich am 11. Oktober 2013] war, haben wir dort eine fixe Anlaufstelle, unseren Stand. Da haben wir Informationsmaterial, das wird im Vorfeld angekündigt, und da können uns Fans aufsuchen. Wenn sie das nicht tun, dann schauen wir, dass wir dort sind, wo die Fans sind. Dass wir in die Pub´s gehen, unsere Runden machen und gehen direkt auf die Fans zu, reden mit den Fans, verteilen Informationsmaterial, unterstützen wo geht. Das ist das klassische Streetwork, aufsuchende Fanarbeit, kommend von aufsuchender Sozialarbeit mit Klienten. Das nennt man auch Streetwork, einfach aktiv auf den Straßen, also aktiv dort sein, wo die Fans sind. I: Kommen wir gleich zu den Fans. Die erste Frage zu den Fans wäre für mich ganz wichtig: wie unterscheidest du Fans oder Zuschauer im Stadion und welche Aspekte sind im Hinblick auf die Unterscheidung wichtig?
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G: Also für unsere Arbeit ist eigentlich die organisierte Fanszene relevant, sprich, die Fans, die in der Kurve sind, die organisierten Fanclubs, die man auch als Teil einer Jugend- und Subkultur ansieht. Der einzelne Fan, der auf der Längstribune ist, nennen wir ihn Fan. Der normale Fan ist nicht relevant für die sozialpräventive Fanarbeit. Der organisierte Fan in der Kurve, wie zum Beispiel Ultras als Subkultur, und natürlich auch Hooligans sind unsere Zielgruppe. Und vor allem auch der jugendliche Fan, von 13 bis 27 oder was auch immer hierbei die Einteilung ist. I: Wie würdest du die Größe einschätzen: Ultras, Hooligans und andere, Jugendliche und junge Erwachsene? G: In Österreich ist der Großteil der Fanszene Ultra oder ultraorientiert. In Österreich hast du insgesamt 30 organisierte Fanszenen, die von der Bundesliga, Zweite Liga in die untersten Ligen reichen. Das ist unsere Bestandaufnahme nach dem ersten Jahr gewesen. Bei organisierten Fanszenen sprechen wir, das Niveau ist schon ziemlich weit unten, ab 20 Leuten aufwärts. Da hast du die 5 großen Gruppen, [SK] Rapid [Wien], [FK] Austria [Wien], [SK] Sturm [Graz], [FC Wacker] Innsbruck, [SV] Austria Salzburg, die bis 1000 oder über 1000 sind, eigentlich primär ultraorientiert. Danach gibt es Abstufungen. Der Großteil von ihnen ist ultraorientiert. Man hat Hooligans eigentlich wenig organisiert als Gruppen auch aktiv und anerkannt in der Kurve. Das ist im Gesamten gesehen eine Minderheit und bei maximal 2-3 Vereinen relevant, vielleicht 4. Also der Großteil ist ultraorientiert und ist auch zusammengeschlossen in organisierten Fangruppen. Und ich würde noch sagen, dass man eine zweite Schiene hat in Österreich, eine eigene Fankultur die [First] Vienna [FC 1894] und [Wiener] Sportklub haben. Eine relativ große Fanszene, beide über 500 Leute, zwischen 500 und 1000, die aber nicht ultraorientiert sind. Sie haben eigentlich noch einen klassischen, wie man sagt, den britischen Stil, bei dem man aus der Masse heraus singt, keine Choreographien macht und wo nicht so ein organisierter Support ist. I: Also ultraorientiert, abgesehen davon, dass es organisiert ist, sind jetzt spezifisch für diese Ultrabewegung diese Choreographien? G: Optische Elemente und der Vorsänger mit Megaphon ist ein klassisches Beispiel. Choreographien natürlich auch, pyroaffin, Rauchbomben, Bengalische Feuer, die man gerne verwendet, auch gewisse Spruchbänder, „Insider“-Sachen gegen andere Fans und sehr kritisch gegen den eigenen Verein. Es ist eine Subkultur, es äußert sich in der Sprache, im Dresscode und es äußert sich im Gebaren der Leute. Die Hooligans sind eine ganz andere Subkultur. Sie sind anders angezogen, reden anders, haben einen anderen Style. Ein Insider erkennt das natürlich auf den ersten Blick. Eine Gruppe erkennt jeder, aber sagen wir, wenn man das erste Mal im Stadion ist, die Hooligans weggelassen, die eigentlich eine Minderheit und im Stadion nicht relevant sind, erkennt man den Unterschied zwischen Ultras und ultraorientierten und dem Vienna und Wiener Sportklub-Fanblock nach einem Spiel, wenn man sich beide anschaut. Es sind halt vor allem die optischen Kriterien, die da sind. I: Jetzt muss ich eine Frage stellen aus eigener Erfahrung. Mir persönlich würde es schon schwer fallen, wenn ich in Innsbruck auf die Nordtribüne blicke - da könnte ich jetzt nicht genau sagen, der eine schwenkt eine Fahne und den würde ich als Ultra klassifizieren und eine Anderer mit einem Trikot, der auch als Fan da steht … G: Ich rede von den Kurven. Ich gehe auf die Haupttribüne, schau in die Kurve, sehe die Transparente, sehe den Vorsänger, sehe das Megaphon, ich sehe sie 90 Minuten Fahnen schwenken, ich höre die Dauer-Support-Lieder, die ewig lange gehen und wenn das Spiel 84
nicht so gut geht, egal, der Fan, der Ultra muss dann weiter singen. Beim Sportklub, wo man oft minutenlange Pausen hat und keine Lieder, wo niemand am Zaun oben steht, wo keine Choreo ist, erkennt man schon, dass es anders ist. Beim einzelnen Typen wirst du wahrscheinlich keinen Unterschied sehen zwischen Ultras, ultraorientierten und zwischen dem Block zwischen Vienna und Sportklub. Aber ich erkenne sehr wohl den Unterschied, wenn ich eine Hooligantruppe dastehen habe, die normal modisch sehr affin ist, gestylt, vielleicht auch körperlich einen besseren Eindruck macht als ein Ultra-Mob und während dem ganzen Spiel auf der Haupttribune sitzt, irgendwo ruhig. Da erkenne ich aber auch nicht die Gruppe, da erkenne ich den Einzelnen heraus. Oder auch beim Sportklub habe ich genau so Jemanden mit einem Kapuzenpulli oder ein Ultra kann auch einen Kapuzenpulli oder eine „Diabolic“, wie man sagt, einen „Vermummungs-Zip-Pulli“, haben. Vom Einzelnen her ist es natürlich nicht so leicht, aber ich habe von der ganzen Kurve gesprochen. I: Könnte man jetzt sagen, dass Ultras weniger spielorientiert sind als die anderen Beispiele, wie Vienna, die du erwähnt hast? G: Beim Support sicher. Beim Support absolut. Aus einem Verständnis der Ultrakultur heraus, hat man da eigentlich sein eigenes Spiel im Spiel, mit dem Gegner, mit der gegnerischen Ultragruppe. Man versucht sein Spiel zu gewinnen, bessere Choreo zu machen, lauter zu singen. Der geschlossene Auftritt ist sehr wichtig und lauter und brachialer zu singen. Man konzentriert sich ganz stark auf dieses Element. Und vor allem ist es so, wenn man weit hinten ist, dass man die Stärke einer geschlossenen Gruppe zeigen kann, wenn man dann noch mal „Gas gibt“ oder eben weiter singt in diesem Moment. Und das Muss, durchzusingen, das Muss, Jemanden etwas zu beweisen, ist beim Sportklub oder Vienna weniger ausgeprägt. Und ich war gestern beim Sportklub [Anm.: Wiener Sportklub gegen SV Stegersbach am 25. Oktober 2013] und Vienna [Anm.: First Vienna FC gegen SKN St. Pölten am 25.Oktober 2013] und vor allem bei Vienna hat man gemerkt, dass es sehr spielbezogen war. Am Ende, wo die Tore gefallen sind, wo es hin und her gewogt hat und wo die Chancen waren, war merklich bessere Stimmung, auch vom Fanblock, nicht nur vom gesamten Stadion, als davor. Das heißt aber nicht, dass Ultras nicht auch schlecht sein können, wenn das Spiel schlecht läuft, oder auch einmal pfeifen, wie wir heute gemerkt haben beim Spiel [FC Wacker Innsbruck gegen RZ Pellets WAC]. I: Was würdest du sagen, in welcher Weise diese Fangruppen anderen Akteuren im Profifußball gegenüberstehen? Die Ultragruppen, was haben die für ein Verhältnis zum Verein oder was für ein Verhältnis haben die zur Polizei? G: Der Ultra generell aus seinem Verständnis, da er von einer Subkultur oder einer Gegenkultur kommt, hat natürlich eine kritische Grundhaltung gegen Alles, was sich so abspielt. Vor allem eine kritische Haltung gegen den sogenannten modernen Fußball, der alle Elemente der Kommerzialisierung beinhaltet. Natürlich in den meisten Fällen ein distanziertes Verhältnis zu einem Spieler, vor allem in größeren Fußballnationen. Am kritischsten vielleicht gegen Spieler, am kritischsten gegen die Vermarktung des Spiels, vor allem gegen Fernsehstationen und Medien. Medien berichten, kann man sagen, europaweit sehr einseitig, oberflächlich, oft unfair gegen Ultras. Ganz selten werden positive Aktionen wie Choreographien, die viel öfter stattfinden als Ausschreitungen, bericht erstattet als über negative Sachen. Die finden immer gleich Einzug und es wird dann oft sehr einseitig berichtet, dass z.B. nur Polizeiberichte verwendet werden. Auch sehr kritisch und distanziert gegenüber Polizei, soweit reichend, dass man sagt, mit der Polizei, ob Zivilpolizei oder andere Polizei, redet man nicht. Viele Ultragruppen haben negative Erfahrungen gemacht. Es gibt oft willkürliche Verhaftungen und es gibt oft willkürliche Strafen. Man darf nicht 85
vergessen, dass viele gerechtfertigt sind, aber es sind viele Vorfälle passiert, dass sich, so sagt man auch in der Literatur, die Polizei als der Dritte Rivale darstellt. Die erste Ultragruppe, die zweite Ultragruppe und die Polizei. Als Mob auch gekennzeichnet, auch in seinem Dresscode, auch in seinem Gebaren und auch organisiert. Die Polizei ist der dritte Mob und hat sich in den letzten Jahren als Feindbild herauskristallisiert. Das ist jetzt allgemein gesprochen. In den großen Ultraländern auch sehr kritisch gegenüber dem Verein, sehr distanziert. Und gerade in diesem Punkt glaube ich, dass es in Österreich anders ist, verschiedenartig läuft, weil die Ultragruppen sehr alt sind, sehr erfahren, sehr reif und sehr viele Pleiten im Österreichischen Fußball mit ihren Vereinen schon miterlebt haben und damit wissen, es kann relativ schnell sein und dann kann man Ultra beim 1. Klasse MitteVerein in Natters oben machen, wenn mein Hauptverein in der Bundesliga nicht mehr da ist. Oder ich muss mich auflösen. Als Gruppe kann ich nicht bestehen, wenn kein Fußball ist und ein Verein ist halt doch das wichtigste verbindende Element. Da ist es selbstverständlich, dass sich sehr viele Ultras in Österreich in das Vereinsgeschehen mit einmischen, auch Mitglieder sind vom Verein, und den Verein auch tatkräftig unterstützen. Also das Verhältnis von Ultras und Verein sehe ich bei manchen Klubs, gerade bei Sturm Graz und beim Wacker Innsbruck als Stärke des Vereins. Dass es sehr positiv ist und sehr nahe und man versucht sich gegenseitig zu puschen und nicht gegenseitig das Leben schwer zu machen. Ein interessanter Fall ist gerade Rapid. Die sind gerade an einem Punkt, wo die Fans, also die Mitglieder, die Fans müssen ja zuerst Mitglieder werden um Vereinmitspracherecht zu haben, aber auch Ultras merken, man braucht diese Mitgliedschaft und dann kann man in den Vereinsgremien mitbestimmen. Also da ist gerade ein interessanter Punkt, wo es so aussieht, als würde die Fanszene wieder näher an den Verein heranrücken, was in den letzten Jahren bei Rapid auseinandergebrochen ist. Aber trotzdem prinzipiell kritisches Verhältnis zu allen Playern und aus Erfahrung oft auch dann lieber distanziert als zu nahe. I: Wer sind noch andere Akteure die mitspielen? Also der ÖFB spielt ja auch eine große Rolle, oder? G: ÖFB [Österreichsicher Fußball-Bund] und [Österreichische] Bundesliga, denke ich, sind für den Ultra in der Kurve etwas ganz Abstraktes und etwas, was ganz weit weg ist. Es ist nicht greifbar und es passieren da sehr oft Verwechslungen. Das ist nicht nur Ultra, sondern überhaupt Fankultur bezogen. Es gibt Lieder gegen den ÖFB, wo der ÖFB teilweise aber gar nicht verantwortlich ist. Es gibt Lieder gegen die Bundesliga, wo die Bundesliga gar nicht verantwortlich ist. Also da muss man schon ein Insider sein, dass man weiß, welche Gremien jetzt genau die Bundesliga ist, wie die Bundesliga zusammengesetzt ist und wie die Entscheidungen in der Bundesliga zu Stande kommen. Die Bundesliga ist ja auch nur der Zusammenschluss der 20 Vereine der Bundesliga. So abstrakt wie man denkt oder so „Fußballmafia ÖFB/Bundesliga“ wie es oft verwendet wird ist es gar nicht. Was da meiner Meinung nach fehlt, ist, dass Jemand in den beiden Fußballverbänden da ist, der auch mit den Fans, Mitgliedern, Ultras oder wie auch immer kommuniziert. Da fehlt total die Bindung. Man weiß, „Gut, der ÖFB macht die Länderspiele und die Bundesliga ist für den Klubfußball zuständig“. So ist es aber nicht, weil der ÖFB für den Cup zuständig ist, wieso auch immer, aber er ist für den Cup zuständig und auch für die Frauenbundesliga und die Schiedsrichterbesetzung. Da kann die Bundesliga nichts dafür, wenn der Schiedsrichter falsch pfeift, also da kann wahrscheinlich der ÖFB auch nichts dafür, aber da ist der ÖFB zuständig. Und so ist es ein eigener Fall in Österreich. Es gibt ja Beispiele mit nur einem Verband, der zuständig ist für den Clubfußball und Nationalteam. Und in Österreich hat sich die Bundesliga irgendwann vom ÖFB abgespalten und auch deren Verhältnis ist nicht das glorreichste oder das beste. Da besteht meiner Meinung nach eigentlich sehr viel 86
Aufklärungsarbeit von den Fußballverbänden, aber natürlich auch von den Vereinen. Was das ganze Spannungsfeld verschlechtert, ist, wenn Aussagen kommen von Vereinsangestellten, Geschäftsstellenmitarbeitern oder Sicherheitsverantwortlichen, „Nein, nein die Bundesliga sagt…“ oder auch „Die UEFA erlaubt das nicht“. Und wohl wissend in meiner Position als Koordinationsstelle: wir kommunizieren mit Allen und wir versuchen all diese Akteure an einen Tisch zu bringen und über grundlegende Sachen nicht am Spieltag, sondern außerhalb des Spieltages zu diskutieren und einen Konsens zu finden, und sich prinzipiell einfache Sachen auszumachen im Dialog und im fortlaufenden Dialog. Das findet leider nicht statt, aber das ist etwas, dass man angehen müsste. Es war der Vereinsverantwortliche beschuldigt und da ist die Bundesliga oder da ist die UEFA schuld. Ich in meiner Position weiß, dass das nicht so ist. Ich habe da schon mehrmals Aufklärungsarbeit gemacht und gesagt, die UEFA kann bei einem Bundesliga-Spiel gar nichts sagen. Das ist auch kein deeskalierendes Verhalten, wenn ich die Schuld irgendeinem abstrakten Dritten zuweise. Die UEFA ist mir nicht jeden Tag greifbar und die Bundesliga in Wien auch nicht oder der ÖFB. Die eigentlichen Verantwortlichen bei einem Spiel, die Geschäftsstelle, der Vorstand oder der Sicherheitsverantwortliche, die wären natürlich greifbar. Da ist es natürlich das Einfachste zu sagen, die Anderen waren Schuld. I: Wie ist euer Verhältnis zu den Fans? G: Ich komme selbst aus der Fanszene. Bin selbst ein Gründungsmitglied vom Fanclub Verrückte Köpfe 1991 und bin als Vorsänger auch bekannt in der Fanszene. Bin aber jetzt in einer anderen Rolle, da ich „Offizieller“ bin, das ist klar. Und auch da, wir haben die ganzen Fanszenen getroffen und haben darüber geredet, finde ich das auch ganz o.k., dass der Tenor nicht gleich „Ah, endlich gibt es euch, gewaltig, super, es wird einmal was gemacht“ ist, sondern es ist schon auch kritisch. Man schaut einmal was da passiert, wieso ist ein Ultra jetzt in dieser Rolle, wieso macht er das. Abwartend positiv, würde ich sagen, ist so der Grundtenor der älteren Ultras, die man kennt. Bei jüngeren, kleineren Fanszenen ist aber Interessant, dass da schon ziemlich viel Respekt vorhanden ist. Und die sind, finde ich, weniger kritisch und mit ihnen kann man auch gleich schneller direkt arbeiten. Die sagen, „Wenn der das sagt, der hat so viel miterlebt, dann wird das schon stimmen“. Und die, die mit uns auch konkret zusammenarbeiten, sehen auch, dass wir viele Türen öffnen können. Nicht nur das, sondern dass wir auch durch unsere Arbeit Rahmenbedingungen und Strukturen schaffen können. Und da sind wir dabei. Beim Nationalteam ist das wieder etwas anders, weil wenn man auswärts wo hinfährst und mit vielen Leuten redet, die wissen jetzt nicht wer ich bin oder wer meine Kollegen sind. Die empfinden es zuerst einmal als guten Service, dass wer da ist und was auch immer passiert, ob es jetzt nur Information ist oder ob ich wirklich ein Problem habe, kann man sich da 24 Stunden auch daran wenden. Da ist jemand, der mir sofort den Link zur Polizei, zum Verband, zur Botschaft, zu wem auch immer legt und mir in der Situation hilft. Es wird prinzipiell positiv aufgenommen und als gutes Service wahrgenommen. Das ist jetzt unabhängig davon, was unser Hintergrund war. Für mich ist das wichtig. Ich bin nicht alleine, wir sind ein Team, mein Kollege ist ein Sozialarbeiter, ich selbst bin aus der Ultraszene, wir sind auch ein gutes Team, so wie wir uns sozialpräventive Fanarbeit vorstellen. Es soll ein Sozialarbeiter, sozialpädagogischer Hintergrund sein, also ein Professionist, aber es soll auch Fanszene-Kenntnis da sein. Die Kombination ist ganz gut und wir sollen, und deswegen auch der Name pro supporters, den Fanszenen helfen können, positiv beeinflussen und schauen, dass die Szenen wachsen, dass sie stärker werden intern aber auch nach außen, geschlossener Auftreten und dass sie mehr Mitspracherecht haben bei den Vereinen und bei den Verbänden. Das ist unser Ansatz, aber da muss man sich am Anfang schon erst einmal das „Standing“ erkämpfen und man muss selbst zeigen, dass man 87
gute Aktionen macht. Momentan ist bei manchen Szenen noch der Beobachtungsstatus im Vordergrund. I: Das bringt mich zur nächsten Frage. Wie würdest du die Charaktere in der Ultraszene beschreiben? Du hast bereits die Unterscheidung zwischen älterer Generation von Fußballfans und Ultras und jüngerer Generation gebracht, dass es hier schon einen Unterschied gibt, wie man sich begegnet. Gibt es einen klassischen Ultra, dessen Charakter man im Allgemeinen zeichnen kann oder spielt viel die Gruppendynamik eine Rolle oder generell das soziale Umfeld bei den Ultras? G: Ultras werden oft in den Medien oder auch in der Literatur als eine total homogene Sache wahrgenommen: „es gibt den Ultra in Europa“. Den Ultra in Europa gibt es genau so wenig wie den Fußballfan in Europa. Also Ultras sind ein extrem heterogenes System, auch in einer Kurve mit verschiedenen Ultragruppierungen. Wenn ich jetzt nur den Wacker Innsbruck als Beispiel nehme, mit den Gruppen – Verrückte Köpfe, I Furiosi und Wacker Unser – und ich frage die einzelnen Mitglieder: „Was ist für dich Ultra?“, dann werden genau die Mitglieder von den drei Gruppen dir prinzipiell ganz andere Sachen erzählen, was für sie im Vordergrund steht. Aber auch innerhalb einer Gruppe werden ja nicht alle 50, 70, 20, oder wie viele sie auch immer sind, Leute das Gleiche sagen. Was steht im Vordergrund: die Gruppe, der Verein oder die Freundschaft? Da gibt es schon unterschiedliche Sachen. Wie wichtig ist Politik? Ist es wichtig, ist es nicht wichtig, wenn ja, was ist wichtig, rechts, links, unpolitisch, parteipolitisch oder nur kritisch gegen verschiedene Themen? Da wird es unterschiedliche Meinungen geben. Wie wichtig ist der Dauersupport, wie wichtig ist Hierarchie, soll man eine straffe Hierarchie haben oder sollen alle gleichberechtigt sein? Da wird es ganz unterschiedliche Antworten auf diese Fragen geben und das macht die ganze Ultra-Kultur eigentlich schon sehr interessant. Und ausgewogen und heterogen, wie ich gesagt habe. Was sicher ein verbindendes Element ist, das sind die optischen Effekte. Vielleicht denkt man da, „eine schöne Choreographie mit Bengalischen und Rauch und das ist Ultra“. Da steckt viel mehr dahinter. Wie wichtig ist dieser Ultra-Gruppe oder einer anderen das Auftreten nicht in den 90 Minuten, sondern in der Stadt, also Sozialprojekte, Veranstaltungen, irgendwelche Solidaritätsfeste, Kontakte zu anderen Institutionen in der Stadt. Das wird für manche eine Riesenstellenwert haben und für andere Ultragruppen gar nicht. Wir würden nie ein Konzept für die Ultras in Österreich den Vereinen überstülpen, sondern wir müssen wirklich prüfen, wie ist die Gegebenheit. Gibt es eine Gruppe oder gibt es mehrere Gruppen? Wenn es mehrere Gruppen gibt: gibt es eine überragende Gruppe, führende Gruppe und mehrere kleine Gruppen oder wie ist die Konstellation in der Kurve? Von dem ausgehend kann man dann etwas machen. Unser Ansatz ist immer: wir arbeiten nicht mit einzelnen Gruppen, sondern mit einer Dachorganisation. „Organisiert ihr euch selber“ – eine Dachorganisation, einen Sprecher und dann kann ich sagen, das ist der Ansprechpartner für uns für die Kurve. Aber sonst, wenn ich nur mit einer Gruppe zusammenarbeite, aber die anderen vier Gruppen wissen nichts davon, ist das schwierig. Das ist auch das Interessante und das ist sehr konträr in Österreich. Manche Gruppen sind wirklich über 20 Jahre sehr gewachsen und andere Ultragruppen sind noch relativ frisch, 5-710 Jahre. I: Und man könnte jetzt nicht sagen, dass im Prinzip vielleicht das Stadion ein geeigneter sozialer Raum für die Lust am Laut sein oder die Lust an eben den Choreographien, ein Teil davon zu sein? Nicht einmal das könnte man sagen? G: Doch. Verbindende Elemente sind sicherlich Choreographien, Organisationsgrad, Lautstärke, Auftreten nach Außen für die anderen Fans im Stadion, für die gegnerischen 88
Fans. Es gibt schon ein paar Elemente und die Ultrakultur kann man schon definieren. Ich wollte damit nur sagen, dass es nicht ein gleichgeschalteter Einheitsbrei über ganz Europa ist. Vor allem auch in den unterschiedlichen Ländern muss man immer die Gegebenheiten oder die Voraussetzungen anschauen, die man hat, im Stadion etwas zu machen. Bei den Vereinen, mit der Polizei, mit den Medien - wie das Verhältnis ist. Österreich kann man von dem, was Ultra nach außen zeigt, also Choreo machen, toll auf einem Podest vorsingen, Transparente, Fahnen schwingen 90 Minuten, Pyro anzünden, als ein Ultra-Paradies bezeichnen. Weil einfach die Sachen teilweise Normalität haben, teilweise mit Ausnahmegenehmigungen wie Pyrotechnik legal sind. In anderen Ländern darf ich nicht einmal Fahnenschwingen oder Transparente aufhängen. Da gibt es keine von der Bundesliga vorgeschriebenen Podeste für Heim- und Auswärtssektor. Das sind alles Sachen, die sind [in Österreich] reglementiert, aber pro Fans reglementiert. Einige Sachen sind pro Fans reglementiert oder pro Ultras in diesem Fall. Das schon, aber ich kann die Szene in Österreich nicht mit der Szene in Portugal vergleichen, wo, wer es weiß, traurig aber wahr, wenn eine Vorfall in einer Gruppe ist, liefern die Ultras den eigenen Mann an die Polizei aus. Also die haben praktisch ein Abkommen unterschreiben müssen, dass, wenn sie weiter als Ultras organisiert im Stadion mit Transparent aufscheinen wollen, müssen sie selbstregulierend, in diesem Fall „selbstverpfeifend als bester Spitzel“, eingreifen und der Polizei irgendjemanden, der Pyro zündet, was Normalität ist in der Ultrakultur, also Ausdruck der Ultrakultur ist, dann ausliefern. So eine Gruppe würde in Österreich niemand als Ultragruppe bezeichnen, sondern das ist ja eigentlich abartig. Aber die bezeichnen sich schon als Ultragruppen, das sind halt andere Voraussetzungen. I: Bleiben wir bei diesem Beispiel, den beiden Extrempolen, also die Ultras in Portugal, wo man, damit man selbst überleben kann, jemanden verpfeift, was in Österreich undenkbar ist. Du hast zuerst erwähnt, dass die Zusammenarbeit mit dem Verein, also das Verhältnis zum Verein unglaublich wichtig ist, wie sich die Fans verhalten. Gleichzeitig sieht man am erwähnten Beispiel, je weniger repressiv die Bundesliga, die Polizei oder der Verein ist, desto weniger Probleme gibt es mit den Fans. Man sieht eigentlich, dass die Problematik bei Fans oft dadurch auftritt, da sie durch andere provoziert werden. Kann man das so formulieren? G: Ich würde sagen es gibt zwei verschiedene Umgangsformen mit den Fans. Den präventiven, unter dem präventiven Charakter nehme ich die Kommunikation mit hinein, den Dialog, Sachen im Vorfeld ausmachen, absprechen, das ganze Gefüge, alle Akteure auf eine Vertrauensbasis heben, und die Repression. Diese zwei Umgangsformen hat man, die es mit Fans gibt und ich glaube, in Österreich hat man sehr gut gesehen, wie die Ultraszenen in Italien relativ weit nach unten gegangen sind, bis man fast sagen kann, dass sich viele Gruppen komplett aufgelöst haben oder viele Gruppen und Kurven, wie es sie früher gab, in dieser Form nicht mehr existieren. Also viele Gruppen haben sich dann freiwillig aufgelöst. Ich glaube, dass das von den Ultraszenen selbst gekommen ist, dass man es nur längerfristig mit einem Dialog schafft, auch zu überleben. Ich kann noch so eine große Gruppe sein, so wie es die Italiener waren mit 2-3-4-5 Tausend, 10 Tausend, die meinten, wir sind die Macht in der Stadt und uns kann nichts passieren. Wir können uns mit jedem anlegen, mit den Medien, der Polizei, mit dem Präsidenten. Ihn holen wir aus der Pizzeria raus, zünden sein Auto an und schlagen die Geschäftsstelle kurz und klein. Mit solchen Aktionen hat man keine Lobby und mit solchen Aktionen wird man immer weiter marginalisiert. Die Repressionswelle steigt natürlich, die wichtigen Personen werden durch Stadionverbot, Arrest usw. weggefiltert. Dann gibt es noch extreme Verschärfungen bei Auswärtsfahrten, da wird die Spreu vom Weizen getrennt. Und so hat sich das im Laufe der Jahre entwickelt, dass viele Gruppen sich selbst auflösten, da sie im Endstadium bei jedem Spiel mit der Polizei 89
kooperieren hätten müssen, um Trommeln anzumelden, um das Megaphon anzumelden und um Transparente anzumelden. Ganz normale Ausdrucksformen der Ultrakultur. Das hat man in Österreich, nach dem alle älteren Ultragruppierungen sehr gute Kontakte zu Italien haben, gesehen, dass es so eben nicht funktioniert und dass man mit dem Dialog weiter kommt. Dass man sich mit gewissen Abmachungen, bis zu einem gewissen Grad, den man eingehen kann, so auch sein Überleben sichert. Und der zweite Vorteil sind natürlich die Vereinsstrukturen. Vereine in Österreich sind Mitgliedervereine und in einem demokratischen Mitgliederverein habe ich die Möglichkeit, Mitglied zu werden, außer ich erfülle die Statuten nicht, mache irgendetwas, sodass ich ausgeschlossen werde, aber das passiert sehr selten. Und da sind die deutschen Ultras vor allem und die österreichischen haben den Schritt nach vorne gebracht, aus einer Gegenkultur, aus einer Gegenbewegung herauszukommen und auch partizipierend zu sein, Teil haben an dem Ganzen, ein Teil des Systems zu werden und damit auch gewisse Sachen mitzubestimmen – zu recht. Wenn man Verantwortung übernimmt und dann Sachen macht. Also fast alle Ultragruppierungen, würde ich sagen, haben es geschafft, dass bei den Heimspielen die Kurve 90 Minuten lang selbstverwaltet ist. Da steht kein Ordner drin, da steht kein Polizist drin. Da geht auch niemand rein, das würde niemand machen. Aber beim Heimspiel kann ich mich darauf verlassen, dass die im Normalfall keinen Spielabbruch machen – ein Extremfall – und nicht einmal mehr bengalische [Feuer auf das Spielfeld werfen]. Für die Aktion „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ haben sich die organisierten Fanclubs, über 100, ich weiß nicht wo die alle hergekommen sind, aber da waren alle Fanclubs, die es so gibt in Österreich, selbst verpflichtet, auf Böller zu verzichten und Pyrotechnik als Wurfgegenstand zu verwenden. Das ist seit Jahren großteils, da reden wir von 99%, eingehalten worden. Mit solchen Aktionen gewinnt man das Vertrauen von allen möglichen Seiten. Österreich ist auch sehr fair, im europäischen Vergleich, bei der Berichterstattung. Die Medien berichten sehr fair über die Ultraszene im Vergleich zu Deutschland. Da ist der Ultra, die Ultras noch immer die fremde, gewalttätige, gut organisierte, einheitliche Masse. In Österreich ist das nicht so der Fall, weil die Gruppen heißen auch nicht alle Ultras Stadt A, Ultras Stadt B, Ultras Stadt C, sondern in Innsbruck heißen sie Verrückte Köpfe. Da liest man nie von Ultras in den Zeitungen. Das ist z.B. in dem Fall auch ein Vorteil. Bin ich der Frage ausgewichen? I: Nein, nein. Ist es so, dass es oft so einfache Unterschiede gibt, die in den Konsequenzen einen großen Unterschied machen, sowie die Namensgebung jetzt zum Beispiel? G: Ja. Das kann aus dem Ursprung heraus auch nur ein Zufall sein. I: Und die Medien? Warum ist die Berichterstattung in Österreich anders? Normalerweise unterstellt man der Medienlogik „Bad News are Good News“. Warum ist es hier nicht so? G: Du kannst ein jedes Interview, dass du noch machst, und du kannst mit vielen Ultras reden, und jeder wird dir sagen, dass die Medien absolut unfair gegenüber die Fanszene berichten – das stimmt. Nur im internationalen Vergleich ist das noch harmlos. Das ist das, was ich ausdrücken will. Auch bei uns ist es nicht so, dass man sagt, „Na toll, Verrückte Köpfe sind Vereinsmitglieder und bestimmen den Verein mit“. So toll findet das kein Medium. Noch krasserer Fall jetzt in Wien, wo es erstmalig vorkommt, dass die organisierte Fanszene mehr Mitspracherecht beim Verein hat. Also wenn man heute die Kronen Zeitung [auflagenstärkste österreichische Tageszeitung] aufschlägt, man dann von zwei Journalisten der Kronen Zeitung liest, wie sie darüber schreiben, dass Mitglieder in einem demokratischen Mitgliederverein Mitspracherecht haben, dann bezweifelt man, dass diese in einem demokratischen System leben. Da heißt es auch noch, „Es gibt keinen Verein in Europa, wo 90
Fans so ein Mitsprachrecht haben wie bei Rapid“. Unfassbar, wie man so eine Aussage tätigen kann. Wenn ich als Wacker Innsbruck Mitglied so wenig Mitspracherecht hätte, wie bei Rapid, dann wäre das sehr traurig. Wir haben viel mehr Möglichkeiten und ich glaube, wir nützen das auch besser, aber Rapid hat ein größeres Potential. Das wird länger dauern, sie werden mehr Gegenwind haben, aber sie werden irgendwann weiterkommen, weil sie einfach, wenn sie ihr Potential ausschöpfen, weiterkommen würden. Das geht jetzt aber in eine andere Richtung als die Ultras. Denn da brauche ich nicht nur die Ultras, sondern da geht es wirklich um die Faneinbindung und um Mitgliederrechte und –pflichten. „Good Governance“ nennt sich das Thema. Good Governance heißt, demokratisch und gut geführte transparente Mitgliedervereine. Und das ist ein wichtiges Thema von Fanarbeit, auch von pro supporters. Wir stellen in Österreich und in ganz Europa das „Modell Wacker Innsbruck“ vor. Deeskalation, blöd gesagt, durch Verantwortung übergeben und Einbindung der Fanszene in den Verein, in das Vereinsgeschehen. I: In den vorigen Interviews, die ich bereits führte, ist durchaus betont worden, was die Geschichte von Wacker Innsbruck betrifft, dass Herr Kogler oder Kofler, nein, also der ganz wichtig war, dass der Verein auch die Fans akzeptiert … G: Stocker. I: Entschuldigung, genau. Es ist auch betont worden, dass er, als die Person wie er war und sich auch eingebracht hat, dass er sehr viel dazu beigetragen hat, dass man heute ein so gutes Verhältnis zwischen Verein und Fans hat. Würdest du auch sagen, dass es eher eine einmalige Geschichte ist oder wie schwierig ist es das auf andere Vereine und ihre Fans diese starke Bindung zu übertragen bzw. aufzubauen, wie es in Innsbruck ist und so ein Paradebeispiel darstellt? G: Ja, also das kann ich hundertprozentig bestätigen. Ohne Gerhard Stocker wäre es nie möglich gewesen, dass der FC Wacker Tirol, wie er geheißen hat, und der FC Wacker Innsbruck, der Fan-Verein, fusioniert hätten. Sich gemeinsam über mehrere Jahre in mehreren Sitzungen, die Statuten ausarbeiten, das Markengrundbuch ausarbeiten, gemeinsam einen Vertrag abschließen und sich gewisse Sachen verschriftlichen lassen, die dann längerfristig gelten – das war die Basis. Und das wäre ohne einen Obmann Gerhard Stocker nie möglich gewesen. Und er hat genug Gegenwind gehabt, in der Zeit, als er das gemacht hat … I: Von? G: Von Politik, Sponsoren, Medien und auch anderen Fans sogar, Mitgliedern selbst. Es war nicht ganz leicht. Aber es wäre ohne ihn nicht möglich gewesen. Prinzipiell in Österreich muss man sagen, braucht es bei den Vereinen langfristig keinen Gerhard Stocker, weil nämlich die Vereine alle, auch Red Bull Salzburg, Mitgliedervereine sind. Was es braucht, ist eine gut organisierte Fanszene und da zähle ich nicht nur die Kurven dazu, sondern wirklich die Leute, die ins Stadion gehen, mittlerweile hat man die technischen Möglichkeiten, die Mitglieder von dem Verein werden, die sich intern strukturieren, die sich auch überlegen, wo sie genau hinwollen und die ihren Vereinen auch weiterhelfen. Das ist ein Riesenpotential das da schlummert, die teilweise auch in die Vereine gar nicht reingelassen werden. Aber mit einem demokratischen System kann man natürlich immer schaffen, dass die Bereiche, die man besser machen kann oder die man denkt, dass man sie besser machen kann, dass man die über kurz oder lang übernehmen kann, teilweise ehrenamtlich, wie es bei uns läuft. Innsbruck ist ein absoluter einzigartiger Fall. Im Normalfall, im europäischen Vergleich, ist es so 91
gewesen, dass die Fans dann ihre eigenen Vereine gegründet haben. FC United of Manchester, AFC Wimbledon, [SV] Austria Salzburg. Die haben sich getrennt, aber es gibt immer noch Manchester United, es gibt immer noch den anderen Wimbledon Verein, der dann 70 Kilometer in den Norden hinaufgezogen ist, und es gibt immer noch Red Bull Salzburg, die es offensichtlich auch noch länger geben wird. Nur die haben den Weg gewählt, einen eigenen Verein zu gründen. Als eingetragener Verein, mit einer Mitgliederstruktur, das gleiche Prozedere, es wird auch ein Vorstand gewählt und man muss dann halt in der untersten Liga anfangen und sich langsam wieder hinauf kämpfen. Das Einzigartige im modernen Fußball war in Innsbruck, dass es eine Fusion gegeben hat. Zwischen Mitgliedern und Fans, die sich zu einem Verein zusammengeschlossen haben mit dem Namen Wacker Innsbruck und zwischen dem in der Bundesliga spielenden FC Wacker Tirol. Das ist schon einzigartig und deswegen auch Vorbild europaweit. Mit Rückhalt von der UEFA, die Good Governance fördert, und vor allem mit Rückhalt der Europäischen Union, die sehr stark für demokratische Rechte ihrer Bürger, vor allem der jungen Bürger, sich einsetzt und jegliche Initiativen in diese Richtung unterstützt. I: Wie würdest du es nun einschätzen: natürlich ist es begrüßenswert, dass die Fans als Mitglieder im Verein Mitspracherecht haben. Ist es jetzt nicht möglich, dass trotzdem ein Konfliktpotential dadurch entsteht, dass für professionelle Vereinsführung, der Fußballverein ist ja ein Unternehmen, das teilweise im globalen Markt überleben muss, vielleicht die ökonomische Expertise und den bestimmten emotionalen Wünschen von den Fans divergiert, der Verein also sagt, „Das können wir so nicht machen, weil sonst der Verein nicht mehr funktioniert“ oder „weil man muss ja auch Geld verdienen“, was z.B. auch Werbepartner betrifft oder würdest du sagen, weil man sich ja so stark annähert, dass eher weniger ein Konfliktpotential entsteht? G: Ein einfaches Beispiel. Dadurch wie die Fanszenen letztes Jahr reagiert haben, kann man das auch relativ einfach beantworten. Letztes Jahr hat es in der österreichischen Liga von den fünf großen, organisierten, [SV Josko] Ried eingeschlossen, auch nur weil sie oben spielen, im Frühjahr, vier gegeben, die protestiert haben. [Die Fans von] Rapid hat das ganze Frühjahr nichts gesungen, die ganze Kurve nicht. Die Forderung nach Transparenz, mehr Demokratie und sowieso alle Angestellten und Vorstand raus ist am Fußballplatz ausgetragen worden, im Stadion, bei Heim- und Auswärtsspielen. [Die Fans von] Ried hat auch gestreikt, Red Bull Fans haben auch gestreikt, aus anderen Gründen, weil die Spieler schlecht waren, da hat es sie direkt betroffen. Die [Fans von] Austria [Wien] auch, durch ein paar unpopuläre Entscheidungen der Vereinsführung, die einigen Ultras Stadionverbot gegeben haben. Da hat sich die ganze Fanszene solidarisiert. Das waren die Vereine, die ganz oben mitgespielt haben. Die haben alle ihre Konflikte, die sie haben mit Spielern, mit Vereinsführung, mit dem Restverein, wenn man vom Verein spricht, sind die Fans, die Mitglieder ja auch ein Teil des Vereins, am Spieltag in den 90 Minuten, wo sie präsent sind ausgeführt. Sie haben keine Kommunikationsschiene. Der schlechteste Verein, der das ganze Jahr einen „Schaaß“ gespielt hat, Wacker Innsbruck, der in den allerletzten zehn Minuten nicht abgestiegen ist, sondern fast abgestiegen wäre, und das im 100 Jahre Jubiläum, hat die einzige ernstzunehmende Fanszene, die nicht gestreikt hat. Die haben im Tivoli und auswärts supportet, supportet, supportet. Du warst aber nicht bei den Generalversammlungen dabei und bei den Mitgliederversammlungen, da hat es ordentlich gekracht. Und da ist es genau um vereinsrelevante Themen gegangen. Wie sieht das 100-Jahre-Trikot aus? Und da hat es bei der Generalversammlung einen Eklat gegeben, den hat niemand jemals am Fußballplatz mitbekommen und kein Medium hat darüber berichtet. Nur, das ist eine vereinsinterne Angelegenheit, die während der Generalversammlung, da wo sie auch hingehört, zwischen Vorstand, zwischen Mitgliedern und zwischen Geschäftsstelle ausgemacht wird. Und mich 92
hat es mit Stolz erfüllt, da wir die Konflikte im Dialog in einem ritualisierten Rahmen der Generalversammlung oder Mitgliederversammlung austragen. Wie traurig ist es eigentlich, wenn man es genau in den 90 Minuten im Stadion, während einem Spiel macht? Das schwächt den Gesamtverein und ist eigentlich eine Schwäche. Das zeigt ja, dass alle Teile des Vereins, Vorstand, Geschäftsstelle und Fans, überfordert sind. Und Innsbruck hat sich das geschaffen. Innsbruck hat sich die Möglichkeit geschaffen. Das ist nur durch ein Beispiel versucht zu erklären. I: Das hört sich für mich jetzt widersprüchlich an. Vorher hast du gemeint, dass es im Prinzip die Lösung ist, wenn die Fans darauf kommen, wenn sie Mitglied werden, dann können sie auch mitreden. Aber jetzt zeigst du auf, dass es bei den vier größeren Vereinen in Österreich eigentlich nicht funktioniert. Dass die Mitglieder, wenn sie dann auch dabei sind im Verein und Mitsprache haben, es trotzdem am Spielfeld austragen und weniger im demokratischen Dialog. G: Weil Wacker Innsbruck den anderen Vereinen in Österreich nicht nur mit Mitgliederverein, sondern auch guter Führung, wirtschaftlich jetzt mal abgesehen, mit regelmäßigen strukturierten Mitgliederversammlungen und der Generalversammlung als transparenter Mitgliederverein, den anderen Vereinen mindestens 10 Jahre voraus ist. Austria Wien ist auch ein Mitgliederverein. Austria Wien hat mehr Mitglieder, die haben jetzt 3000 oder auch mehr, aber nur 200 stimmberechtigte Mitglieder. Da ist es schon ein ausgewähltes Gremium, das da im erlauchten Kreis sein könnte. Rapid Wien hat nur alle drei Jahre Generalversammlungen machen müssen. Die haben zwar alle Jahre Mitgliederversammlungen gehabt, haben aber keine Zahlen offenlegen und auch keine Berichte ablegen müssen. Alle drei Jahre kann viel passieren im Fußball. Red Bull hat, wie in FC Tirol Zeiten, eine Mitgliedschaft wo nur der Vorstand, 7 bis 9, 5,6,7,8,9 Leute, da müsste man genau nachlesen, den Verein bildet, da gibt es keine offizielle Mitgliedschaft. Und bei Ried waren es wohl andere Gründe, was auch Stadionverbot und so waren. Ried prinzipiell ist ein kleiner Verein, da sind die Wege recht kurz, und mir ist bei Ried von allen Seiten bestätigt worden, dass sie prinzipiell ein relatives gutes Einvernehmen haben. Fans und Geschäftsstelle - bei kleineren Vereinen geht das leichter. Aber das zeigt, dass bei Rapid, Austria [Wien], auch Salzburg, in ihren Bestrebungen den Mitgliederverein als solchen auch zu führen noch verbessern müssen. Der Widerspruch war es nicht, ich wollte damit sagen, dass theoretisch am Papier Voraussetzungen da sind, aber wenn alle in die Richtung wie Wacker Innsbruck arbeiten, dann kann man sich die Sachen an einem Dienstag gemütlich mit 100 Personen ausdiskutieren. An einem Abend, wo keine Medien dabei sind, wo ich kein Stadionverbot bekomme. Intern kann ich schon mal Jemanden beschimpfen, aber am Spielfeld, im Stadion kommen immer der Vorstand, die Geschäftsstelle und der Spieler besser weg als der Fan. Eigentlich in der Konfliktsituation kann man als organisierte Fanszene im Stadion, wenn man Kritik äußert oder wenn man etwas macht, was nicht erlaubt ist, den Kürzeren ziehen, das ist klar, aber am Grünen Tisch oder außerhalb kann man schon leichter Erfolge für sich feiern. Bedingt aber, dass man organisiert auftritt und man wirklich für die Fanszene oder für die Mitglieder sprechen kann. Innsbruck hat auch noch Aufholbedarf oder Luft nach oben. I: Im Sinne von der Anzahl der Mitglieder, oder? G: Anzahl der Mitglieder und auch Organisationsgrad der Mitglieder. Es formiert sich gerade ein Mitgliederrat, der in den Statuten auch verankert werden soll. Dass die Mitglieder sich selbst organisieren, dass sie selbst einen Mitgliederrat wählen, der dann die Interessen der Mitglieder innerhalb des Vereins vertritt. Das klingt kompliziert, ist aber so. Das ist wichtig. 93
Und diese demokratischen Bestrebungen fördert Fanarbeit absolut. Also alles, was in die Richtung abzielt, dass man so Sachen im Dialog ausmachen kann, vor allem vereinsinterne Sachen. Bitte nicht vor den Medien zerfleischen, die lachen über solche Aktionen. I: Also Partizipation ist hier also … G: Partizipation, Teilhabe, Mitspracherecht, Mitbestimmungsrecht von jungen Menschen, Hinführung zu demokratischen Werten und den jungen Leuten die Werkzeuge in die Hand geben, dass sie sich Zusammenschließen und äußern können und wissen wie - und in einem gepflegten Ton. Kurze Pause I: Wir waren bei dem Punkt, eigentlich Lösungsstrategien für dieses Konfliktpotential zwischen Fans und Verein aufzulösen. Ich würde mich jetzt gerne in Bezug auf die Fans noch mit dir auseinandersetzen, auch aus deiner Erfahrung, da du selbst früher bei den Verrückten Köpfen warst. Wie schnell kommt man als Fußballfan in Konflikt mit dem Gesetz? G: Schneller als Nicht-Fußballfans. Primär würde ich aber zwischen Heim- und Auswärtsspielen unterscheiden. Beim Heimspiel muss man schon Einiges anstellen, dass man in Konflikt mit der Polizei kommt. Bei einem Heimspiel ist das vielleicht nicht höher als im Alltag, wenn man irgendwo einen Blödsinn macht. Beim Auswärtsspiel, vor allem in Österreich, wo die organisierten Gruppen gemeinsam und geschlossen anreisen, kann es schnell zu Situationen kommen, wo man als komplett Unbeteiligter zumindest eine Ausweiskontrolle hat, seinen Namen angeben muss und im schlechtesten Fall in irgendeiner Datei landet – für was? Für das, dass ich auswärts gefahren bin. Das kann praktisch bei einer Auswärtsfahrt, kann das wirklich 100% von den Auswärtsfahrern, die Fälle gibt es, treffen. Unabhängig davon ob einer, zwei oder gar niemand oder 10 oder Alle etwas gemacht haben, sondern einfach einmal Personenkontrolle von allen. Das ist einerseits, weil der Kontakt zwischen Exekutive und Fanszene sehr eng ist bei einem Auswärtsspiel. Wo Leute von der Polizei begleitet, ab dem Zeitpunkt, wo man von seinem Standort losfährt… I: In der Gruppe losfährt? G: In der Gruppe. Ein Bus wird begleitet von den sogenannten Szenekundigen Beamten. Das sind Zivilpolizisten, die sich in der Fanszene auskennen und immer dabei sind. Und auch solche Auswärtsfahrten begleiten und teilweise auch verkehrstechnisch koordinieren. Man wird ja, wenn man in die Stadt rein fährt, von der Polizei abgeholt und dann eingekesselt und muss dann zum Stadion gehen. Dort wird man dann perlustriert, man kann ja etwas Verbotenes mithaben, was man nicht haben sollte. Da wird man dann natürlich auch angehalten und aufgeschrieben. Wenn ich durch die Straßen gehe mit einem Messer, wenn ich zu Hause bin [nicht im Fußballkontext], wird mir in 100 Tagen nichts passieren. Weil ich habe mein Messer eingesteckt. Am Fußballplatz werd ich zu 100% kontrolliert, werde aufgeschrieben und bekomme eine Strafe. Und dann im Sektor selbst auch. Da sind zwar primär Securities in Österreich, die Polizei ist eigentlich nicht im Sektor. Diese kommt natürlich aber bei gewissen Vorfällen dann auch vorbei. Die Chance ist relativ hoch, auch bei Auswärtsspielen, dass man als Unbeteiligter zum Handkuss kommt. Egal, ob man jetzt von einer einmarschierenden oder vorbeimarschierenden Polizeikette ein bisschen geschubst oder gestoßen wird, was vielleicht noch das kleinere Übel ist. Bitterer wird es, wenn es eine Verwaltungsstrafe nach sich zieht für Vorfälle wie Beschimpfung, Pöbeleien oder für 94
irgendetwas, was man dann im Endeffekt entweder als gesamte Masse oder auch überhaupt gar nie gemacht hat. Dann wird es ärgerlich. Auch wenn ich in meiner eigenen Stadt stehe und mit zwei Kollegen einen Kracher loslasse und singe „Wien, Wien, scheiß auf Wien“, dann muss ich das schon 10-20 Minuten fortsetzen bis dann irgendwer kommt, ein Polizeiauto wahrscheinlich, und sagt „Burschen, schleicht´s eich“ und dann geht man im Normalfall. Also so etwas kann beim Fußball bereits ein Stadionverbot nach sich ziehen, beim gleichen Delikt. Und Österreich ist ein sehr interessantes Pflaster – auch wieder die Unterscheidung Heim und Auswärts – es gelten für Bürger in diesem Land verschiedene Gesetze. So gibt es in Österreich, was ja prinzipiell gut ist, die Möglichkeit Pyrotechnik mit einer Ausnahmegenehmigung zu zünden. Jetzt zünden beim gleichen Spiel, konkreter Fall Rapid - Innsbruck, das weiß ich selbst, die Rapidler [Fans] nach einem Tor bengalische Feuer und die ganze Kurve feiert ab, ist super. Im Auswärtssektor wird Pyrotechnik gezündet und es marschieren 60 Polizisten in den Sektor ein und verhaften gleich ein paar. Das heißt, was für die eine Kurve entweder erlaubt oder in diesem Fall toleriert war, gilt für die andere Kurve nicht. Ist eigenartig. Aber die Heimkurve ist besser davongekommen, mit dem gleichen Delikt. I: Wie würdest du das erklären oder versuchen zu verstehen? G: Es klingt absurd und es dürfte eigentlich nicht sein, aber in Innsbruck wäre das auch so. Die Heimfans haben für jedes Spiel eine Ausnahmegenehmigung und dürfen Pyrotechnik zünden. Und der im Auswärtssektor darf es nicht, außer er meldet es rechtzeitig behördlich an. Und diesen Aufwand für ein Auswärtsspiel, mit der Möglichkeit, dass es noch abgelehnt wird, tut sich im Normalfall niemand aus der Fanszene an. Für so etwas wäre wahrscheinlich der Verein zuständig oder wer auch immer, der sich das Prozedere antut, also jemand von der Geschäftsstelle. Das klingt absurd, aber das ist wahrscheinlich dadurch sogar legal gedeckt. Der Eine darf es, weil es angemeldet war, der Andere darf es nicht und wird dann aufgeschrieben. Früher war das auch eine Verwaltungsstrafe und heut zu Tage wird Pyrotechnik sehr streng gehandhabt, wie eigentlich überall in Europa, mit Stadionverbot und es können ein paar hundert Euro bis zu Tausend Euro Strafe sein. Ohne es geworfen zu haben, ohne dass jemand verletzt ist. I: Nur dafür, dass man es in der Hand gezündet hält? G: Ja. Auch interessant ist das Mitführen von bengalischen Feuern. Man kann das ganze Jahr durch Innsbruck laufen mit einer „Bengal-Fackel“ und einer Rauchbombe eingesteckt, es wird dir nichts passieren. Aber im Umkreis eines Fußballspiels wird man kontrolliert und man hat das dabei - Verwaltungsstrafe und angedrohtes Stadionverbot für so etwas. I: Ist es jetzt, gerade was Pyrotechnik betrifft, eigentlich schon ein sehr heikles Thema, was viele betrifft, weil Pyrotechnik so beliebt ist bei der Ultraszene und gleichzeitig dann aber auch so streng geahndet wird? Betrifft das viele, oder? G: Es ist immer ein heißes und brennendes Thema, Pyrotechnik. In Österreich ist eine Lösung gefunden worden, die ein Kompromiss war, der zu Teilen der Initiative „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ zuzuschreiben ist. Aber außer Innsbruck bei Heimspielen, die die Ausnahmegenehmigung schon seit über10 Jahren hat, wird dir auch keine Fanszene sagen, dass das die Ideallösung ist. Nur, die Lösung ist besser als in jedem anderen europäischen Land. Außer in Norwegen. Auch Norwegen und Österreich haben die Möglichkeit, unter gewissen Auflagen Pyrotechnik legal zu zünden. Das sind die einzigen zwei Länder. Man kann sich aber trotzdem die Statistik anschauen, die auch die Exekutive immer wieder 95
promotet. Auch die Exekutive und die Bundesliga, teilweise auch Vereinsvertreter, sind Fürsprecher von der Ausnahmeregelung. Denn die Pyrotechnik-Vorfälle Anzeigen sind, seit es die Ausnahmeregelung flächendeckend für alle gibt, nicht nur für Innsbruck, zurückgegangen. Andererseits darf man nicht vergessen, dass viele Kurven nicht die Ausnahmegenehmigung für jeden einzelnen Fall haben, sondern eigentlich wie es davor war, es toleriert wird. I: Also wieder auch eine Frage des Vertrauensverhältnisses? G: Augenzudrücken und „ja, o.k., sie haben es uns gesagt, sie haben zwar nicht das Papier, aber sie machen das und o.k“. Der Unterschied meistens liegt hier wieder, die Exekutive schreitet hier wieder mehr bei Auswärtsfans ein. In Heimkurven ist der Unterschied, da bekommt der Verein die Strafe von der Bundesliga. Weil der Bundesliga-Typ schaut, ob es angemeldet gewesen ist oder nicht. Wenn es angemeldet ist, passt es, wenn es nicht angemeldet ist, bekommt der Verein eine Strafe für „Pyro“. Das ist primär, sagen wir, bei den Heimspielen der Unterschied. Bei Auswärtsspielen ist mir kein Fall bekannt, wo Pyrotechnik angemeldet gezündet worden ist. Doch, in Innsbruck manchmal die Auswärtsfans. Wir streben hier eine Lösung an, dass man es wie beim Heimspiel einmal beantragt. Innsbruck hat einen Antrag für die ganze Saison. Wieso kann der Heimverein nicht auch gleich für den Auswärtssektor anfragen? So und so viele „Bengalische“ für alle, damit das geregelt ist. Dann obliegt es der Fanszene. Wollt ihr es sagen, dass ihr es macht oder wollt ihr es nicht sagen. Wenn ihr es sagt und macht, dann passt es, wenn nicht, müsst ihr halt mit einer Strafe rechnen. Aber das wäre auch wieder eine Sicherheit für alle, man weiß, so ist es und so nicht. Und die jetzige Form ist so eine pragmatisch österreichische Lösung: in den meisten Vereinen sagt man, „es geht schon halt irgendwie“. Aber in den meisten Vereinen ist es eben auch noch unangemeldet, wild gemacht, und auch teilweise in den Kurven und damit auch gefährlich. Ideallösung ist es noch keine. I: Wie ist es mit, nennen wir es andere Problemzonen, Fußballfan zu sein? Abgesehen von Pyrotechnik, wo man unter Umständen mit deutlichen Strafen rechnen kann. Was würdest du aus Erfahrung oder vielleicht auch durch Andere in deinem beruflichen Feld, wo du tätig bist, kennst, was sich für Jugendliche oder junge Erwachsene im Rahmen des Fußballstadions als fruchtbarer Boden für eine kriminelle Handlung anbietet? Wie schätzt du Gewalt ein bei Fans? G: Der Gewaltfaktor innerhalb von Fanszenen oder innerhalb der Ultra-Kultur wird von Medien, auch von der Literatur, absolut überbewertet. Er nimmt einen relativ kleinen Stellenwert ein. Wenn man es hochrechnet, in einer Saison bei 36 Spielen, gibt es ein-, zweimal von den organisierten Szenen aus oder mit den organisierten Szenen, egal jetzt intern oder mit der Polizei oder anderen Gruppen, mit mehreren Personen, Probleme. Es gibt bei jedem einzelnen Spiel Stimmung, bei jedem einzelnen Spiel sind die Transparente da, sind Fahnen da, bei vielen Spielen gibt es eine Choreographie. Es gibt viele UltraGruppierungen, die sich organisiert in den Städten einen guten Namen machen wollen, dort sehr viele Aktionen/Aktivitäten setzen, ob für die Kinder-Krebs-Hilfe oder solidarische Sachen, für Spenden sammeln für wen auch immer, „Soli“-Konzerte machen, die mit vielen Gruppen zusammenarbeiten. Manchmal auch nur einfache Sachen, Turniere spielen, Filmabende zeigen, Podiumsdiskussionen machen. Das interessante bei Leuten, die Dissertationen schreiben, dass sich das immer auf den Gewaltaspekt fokussiert. Wenn ich die Hooligan-Subkultur analysiere, kann ich schon auf den Gewaltaspekt fokussieren, weil das eigentlich ihr Berechtigungsdasein ist. Also die eine Hooligan-Gruppe will die andere Hooligan-Gruppe umhauen. Der Hauptaspekt ist das Kämpfen, der Gewaltaspekt, das kann 96
ich analysieren. Wer ist wann wieso wie stärker, was machen die im Vorfeld, wie trainieren sie, wie sind die Regelungen, wie macht man so was aus, wie viele Leute kommen. In der ganzen Arbeit kann ich mich auf den Gewaltaspekt fokussieren. Bei einer Ultragruppe, kommt es immer wieder mal vor, dass es zu gewalttätigen Handlung kommt. In der überwiegenden Zahl der Fälle aus Kommunikationsfehlern, aus Missverständnissen. Aus Dingen, die in der Vorbereitung schief gelaufen sind, die gar nicht so sein hätten müssen. Aus allen, im Vorfeld, allen im Interview erwähnten Sachen - aus einer Kleinigkeit kann im Stadion sehr schnell eine Lawine losgelöst werden. Ein kleiner Stofffetzen am Zaun von einem Ordner heruntergerissen kann in weiterer Folge zu einem Spielabbruch führen, wenn Fans über den Zaun hüpfen, den Ordner umhauen und sich ihr Transparent wieder zurückholen. Mit der Ultragruppe kann man relativ leicht spielen. Man kann relativ leicht etwas konstruieren oder man kann relativ leicht etwas provozieren, denn man weiß eigentlich sehr einfach, wie eine Ultra-Gruppe in bestimmten Situationen handeln wird. Das ungeschriebene Gesetz ist, wenn ich meinen Fetzen, mein Transparent verliere, muss ich mich auflösen. Und es ist jetzt egal, ob der neu ist oder ob der 20 Jahre alt ist. Das ist das Transparent bei dem Spiel von meiner Gruppe und kommt es mir abhanden, egal ob es der Polizist herunter reißt oder der Ordner oder eine andere Gruppe, dann wird ein Großteil von Ultra-Gruppierungen mit Gewalt versuchen dies zu verhindern. Und da würde ich sagen, da ist auch der Großteil der Gruppe dabei. Da habe ich eine gewalttätige Handlung. So etwas kann ich inszenieren. Oder so etwas kann auch passieren, in einem Moment, wenn eine kleine Gruppe auswärts ist, wo die Polizei einmal nicht dabei ist, die Heimgruppe das sieht und ihnen den Fetzen abnimmt. Faktisch, was ist passiert? Eine Schlägerei zwischen 10 bis 20 Leuten, eine Schlägerei, die 30 Sekunden dauert. Das kommt bei einem Zeltfest vor, kommt beim Schirennen vor. Es ist eigentlich eine alltägliche Geschichte. Keine Messer wurden gewetzt, keine bleibenden Schäden, eine kurze Schlägerei. Im Umfeld eines Fußballspieles für alle Beteiligten wahrscheinlich fatal, weil sie 7 Jahre Stadionverbot bekommen werden, ein strafrechtliches Verfahren, und, und, und. Das zieht natürlich auch finanzielle Sachen nach sich. Da gelten dann auch nicht die Gesetze gleich für Alle. Aber die Fälle kommen relativ selten vor. Ob sie jetzt inszeniert sind oder ob sie wirklich zwischen den Gruppen passieren. Vor allem die Fälle sind früher öfter vorgekommen, weil es mehr Freiheiten außerhalb des Stadions für die Gruppen gegeben hat. Jetzt ist alles besser organisiert, die Gruppen sind auch besser organisiert, sie fahren natürlich auch mit mehr Leuten. Aber man wird von Anfang bis zum Ende von der Polizei begleitet. Die wissen eigentlich schon, hoffentlich nicht unter ganzen Woche, aber kann auch sein, aber zumindest in der Zeit [vor dem Spiel] wissen sie schon ziemlich genau Bescheid wer wo ist von beiden Seiten und das ist ja ihre Arbeit, ein solches Aufeinandertreffen zu verhindern. Und der Großteil der Ultra-Gruppen hat schon einen Sieg gefeiert, wenn sie eine tollere Stimmung macht in einem Derby, wo man weiß, die Gruppen sind ungefähr gleich groß. Das ist auch ein Erfolg. I: Kommen wir noch einmal auf die Gefahren, die Gruppendynamik spielt sicherlich auch eine Rolle, für den individuellen Ultraanhänger zurück. Man kommt relativ leicht in Konflikt mit der Exekutive haben wir gesagt … G: Ja. I: Es wird auch scheinbar, nach deiner Aussage, mit unterschiedlichem Maß gemessen. Im Stadion wird schneller eine Handlung kriminalisiert als außerhalb, kann man das so sagen? Aus welchen Gründen auch immer dann. Aus deiner Erfahrung heraus: was passiert meistens? Man kommt z.B. in einen Raufhandel, dann kommt die Polizei, man wird aufgenommen, es kommt wahrscheinlich zu einer strafrechtlichen Verfolgung? 97
G: Es passiert meistens gar nicht so. Der Großteil, und das passiert leider in den letzten Jahren inflationär, sind Kleinigkeiten, die Verwaltungsstrafen nach sich ziehen. I: Darunter fällt jetzt? G: Darunter fällt, ich sage zu dir „du bist ein blödes Arschloch“. I: Beleidigung? G: Beleidigung. I: Zum Polizisten? G: Zum Polizisten. Oder irgendjemand anderen beleidigen oder ich kann das auch gar nicht gesagt haben. Pyrotechnik zählt da natürlich schon auch dazu. Irgendwo hin urinieren Erregung öffentlichen Ärgernisses. In einem Fußballspiel, rund um ein Fußballspiel, ist es als Ultragruppe eigentlich mein Ziel, also nicht öffentliches Ärgernis zu erregen, aber ein bisschen für Wirbel zu sorgen, auch akustisch. Da kann man halt relativ schnell relativ viele Leute mit Sachen, die sie auch gemacht haben, belangen. Die aber in einem Rahmen eines Fußballspieles, bis zu dem Zeitpunkt, normal waren. In der neuen Saison ist es plötzlich nicht mehr erlaubt. Oder je nach dem, wo man ist, ist das Erregung öffentlichen Ärgernisses, was aber im Normalfall nie die Sache, nie der Fall war. Und das ist der Großteil, von dem sich die organisierten Fanszenen und die Ultras beklagt haben, dass sie rechtliche Unterstützungen brauchen. Und egal ob das jetzt in professioneller Form passiert wie hier in Innsbruck, mit der Fanarbeit Innsbruck, oder wie bei Rapid, wo sich Fans selbst zusammengeschlossen haben und gemeinsam die Rechtshilfe Rapid gegründet haben. Gemeinsam organisierten, dass sie Anwälte haben, die sie bei Verwaltungsdelikten oder bei strafrechtlichen Delikten den Fans zur Seite stellen. Mit dem Ziel der „Sicherheit mit Aufklärungsarbeit“, also was kann ich machen, was kann ich bestimmt nicht machen. Rechtsinformation. Und da, das ist interessant, gibt es in Deutschland eine Vernetzung von solchen Rechtsanwälten für Fans, auch europaweit, und in Österreich hat es auch schon ein Netzwerktreffen gegeben. Also die Fans, wie ich gesagt habe, kommen bei Auswärtsspielen recht leicht in Kontakt mit der Polizei, recht schnell werden Daten aufgenommen und relativ häufig, häufiger als sonst, flattert dann eine Verwaltungsstrafe herein. Und man weiß nicht, wie man reagieren soll. Also das ist, so würde ich sagen, der klassische Fall. Und der betrifft einen relativ hohen Anteil an Auswärtsfahrern. Und oft auch immer die gleichen Leute. Das sind nur Kleinigkeiten, aber die kosten dich 200, 300, 400 Euro. Und wenn ich nicht weiß, wie ich in so einer Situation reagieren kann, dass ich einen Einspruch machen kann, wenn ich es nicht getan habe. Bitte, wir sagen ja nicht, dass jeder einen Einspruch machen soll. Wenn einer das gemacht und er sagt, er hat es gemacht und das kostet was es kostet, dann soll er es auch zahlen. Aber wenn einer sich zu Unrecht behandelt fühlt, dann soll er schon in einem demokratischen System wissen, wie man sich dagegen wehrt, und da fehlen einem normalerweise die finanziellen Mittel. Und für das ist z.B. die Rechtshilfe Rapid da, die Rechtsanwälte zur Seite stellt in solchen Fällen oder gemeinsam ein Antwortschreiben auf die Verwaltungsstrafe schreiben, einen Einspruch. Und du kannst Armin [Fanarbeit Innsbruck] fragen, er wird dir das auch bestätigen, dass sehr viele von den Beratungsgesprächen sich um dieses Thema gedreht haben. Weniger um die klassischen sozialarbeiterischen Tätigkeiten wie Hilfe bei Jobsuche, Familienprobleme, Drogenprobleme, sondern primär rechtliche Fragen. Und das ist interessant. Das betrifft primär den Fußballfan, weniger den Eishockey-Fan, weniger den Ski-Fan in Kitzbühel, der 17 Schlägerein an einem 98
Abend hat, betrunken, und innen drin die „Bengalische“ zündet und mit der Fahne drei Leuten das Auge ausgestochen hat. Aber bei 30 000 Leuten „kann das halt passieren, da ist halt Volksfest-Stimmung. Das ist halt so“. Und das ist nicht übertrieben, da kannst du dir die Statistiken anschauen. Vor allem von dem Oktoberfest in München. An einem Tag gibt es mehr Verwaltungsstrafen und Strafdelikte als in der der deutschen Bundesliga in einem ganzen Jahr zusammen. Also wo ist jetzt das Sicherheitsrisiko? Beim Oktoberfest für den normalen Besucher, der einen Bierkrug in das Gesicht bekommt, so dass er sein ganzes Leben lang eine Narbe im Gesicht trägt, oder im Fußballstadion, dass er ein bengalisches Feuer auf den Kopf bekommt? Also der Bierkrug ist wahrscheinlicher. Um vielfaches. Das wird aber nicht thematisiert. Wahrscheinlich nicht einmal in einer Diplomarbeit. Gewaltaspekt unter Ski-Fans. I: Gut. So nebenbei, es ist jetzt zwar nicht genau mein Thema, aber auf Facebook kann man viele solche Gruppen verfolgen, die wahrscheinlich von Einzelnen betrieben werden, aber es ist auch oft thematisiert worden, warum man beim Skispringen die bengalischen Feuer sieht und im Stadion ist es verboten. Auch beim Schispringen ist es eine ungesicherte Masse von tausenden Menschen, die da stehen und auch nicht sicherer ist als ein Fußballstadion. G: Nein, natürlich nicht. Was wir ja seit Berg Isel wissen, wo Leute gestorben sind, beim Air&Style-Contest. Interessant finde ich dabei vor allem die deutschen Kommentatoren, die das im Fernsehen verteufeln, Pyrotechnik im Fußballstadion, und am Berg Isel die gleichen Kommentatoren sagen „Tolle Stimmung. Hexenkessel am Berg Isel. Die Fans feiern den Schlieri oder wen auch immer mit bengalischen Feuern“. Das ist interessant. In Österreich in den Medien, dadurch, dass es Pyrotechnik schon lange gibt, und das es ein tolles Stimmungsbild ist, vor allem wenn nur 2000 Zuschauer im Stadion sind, was die Medien auch gerne einspielen, unser Glück natürlich, dass weniger Zuschauer sind als in Deutschland, damit ist es auch leichter in einem sicheren Rahmen zu zünden, wird es eigentlich, oder von den Reportern, manchmal vielleicht ins Lächerliche gezogen, aber manchmal auch positiv erwähnt, sowohl bei Ski- als auch Fußballveranstaltungen, so fair muss man auch sein. Nur beim Skispringen gibt es keine Ausnahmegenehmigung, also da ist es immer verboten. Und da kommt vielleicht schon auch ein Polizist hin und sagt, dass das das nicht geht und gibt dir eine 35€ Verwaltungsstrafe. Nur das nächste mal Schladming oder Berg Isel darf man wieder hingehen, da ist kein „Skisprungschanzen-Stadionverbot“ für 3 Jahre und du wirst nicht unter die „Kategorie C“ unter „Gewalttätiger Fan“ eingeordnet. I: Jetzt muss ich noch mal nachfragen. Wie würdest du es einschätzen, warum man speziell dem Fußball-Fan so repressiv begegnen muss? Hast du Kontakte zur Polizei bzw. zu den Zuständigen im Ministerium? Haben die Angst vor Fußballfans? Was würdest du für eine Strategie dahinter vermuten? G: Die Frage stelle ich mir auch immer. Also vor allem jetzt nach der Analyse, dass Verwaltungsdelikte und -strafen bei Auswärtsspielen gegeben werden. Also, gibt es eine gewisse Strategie, von den gesamten Playern, außer Vereinen und Fans, die besagt, wenn wir weniger Leute auswärts dabei haben, haben wir weniger Probleme? Die Frage habe ich mir ein paar Mal gestellt und die stelle ich natürlich auch den Akteuren, ob das überhaupt gewollt ist, dass Stimmung im Stadion ist, ob das gewollt ist, dass Heim- und Auswärtssektoren voll sind. Ich habe aber noch nie eine Antwort bekommen. Nicht nur die Verwaltungsdelikte sind auffällig, sondern die Kartenpreise im Auswärtssektor, bei dem Standard der Auswärtssektoren. Manche Auswärtssektoren sind im Verfallsstadium. Man hat bei Rapid im kleinen Block gesperrte Bereiche, die baufällig sind. Man hat kein Fließwasser. Das ist ein Auswärtssektor ohne Fließwasser. Das stellst du dir jetzt bei anderen Sportveranstaltungen 99
vor. In jedem Dixie-Klo hat man Fließwasser. Bei Rapid gibt es Dixie-Klos, aber ohne Fließwasser. Das „Würstl“, naja, Essen ist wieder ein eigenes Thema. Sind auch für die Heim-Fans schlecht, aber das kommt auf den Stadionbetreiber an, das kann oft auch ganz gut sein. Es scheint von allen Seiten kein großer Wert gelegt zu werden auf den AuswärtsSupporter. Ich muss das von einer anderen Perspektive sehen: Ich bin Fußballverein und ich habe Kunden und die Kunden wollen für ihr Geld eine Leistung sehen. Und ich vernachlässige eine Gruppe, die Auswärtsfans. Ich zeige jetzt nicht nur auf die Polizei, sondern schon auch auf die Vereine für die Auswärtssektoren, auf die Bundesliga, die die Genehmigungen verteilt für die Stadien und sie abnimmt. Das Hanappi [Gerhard Hanappi Stadion - Heimstadion SK Rapid Wien], das traue ich mich zu sagen, wenn nicht heuer dann nächstes Jahr, „bitte sperrt es zu, das ist ein Sicherheitsrisiko dieses Stadion“. Also eine Oper oder ein Theater oder das Schwimmbad in Wien [Wiener Stadthallenbad], das hätten sie schon lange zugedreht. Ist jetzt auch zu das Schwimmbad, nach der Renovierung. Es scheint, ich sage es jetzt einmal so, es wird kein großer Wert von irgendeiner Seite, und das ist jetzt meine Meinung, darauf gelegt, dass Auswärtsfans da sind und es scheint Einigen gelegen zu kommen, dass nicht so viele Auswärtsfans da sind, weil es halt weniger Aufwand und Probleme bringt. Dennoch eine flächendeckende Strategie wie in Italien, wo wirklich mit einem bürokratischen Aufwand, dass man überhaupt zu einer Karte kommt, da war wirklich eine Strategie dahinter, dass auswärts nicht mehr so viele Leute hinfahren, das gibt es in dieser Form bei uns noch nicht. Also es ist zwischen den einzelnen Akteuren sicherlich nicht abgesprochen, aber ich glaube, dass jeder irgendwie seine Gründe hat, wieso er den Heimfan bevorzugt im Gegensatz zum Auswärtsfan. I: Gut. Es wäre ja denkbar, dass, wenn man sagt, je weniger Gästefans da sind, desto geringer das Risiko, dass größere Gruppen aufeinandertreffen und es vielleicht zur Eskalation kommt, nicht? Das wäre eine sicherheitsrelevante Perspektive. G: Das ist eine Strategie z.B. die der Exekutive gelegen kommt. Im Auswärtssektor sage ich „super, wenn kein Auswärtsfan da ist brauche ich die Würstelbude nicht aufsperren, brauche ich die Ordner nicht da, brauche ich das und das weniger“. Andererseits muss ich das ein bisschen mehr aus Fan-Sicht sagen und sehen. In Linz, großes Stadion, die Gugl, im Sektor, und die Vienna-Fans waren dort und kein Stand hatte offen. Also es reist eine Gruppe an von Wien nach Linz, die zahlt Eintritt und hat 90 Minuten keine Verpflegung. Und dann muss ich anfangen zu improvisieren. Dann muss ich den Ordner herrufen. Und dann habe ich die Möglichkeit: schaffe ich es den Ordner zu überzeugen, dass er mir zwei Bier holt, wenn ich ihm das Geld gebe, oder passiert daraus ein Sicherheitsrisiko, dass die Fans sich 90 Minuten in ihrem Käfig darauf konzentrieren, „o.k., dann gehen wir hinaus, dann gehen wir halt in ein Beisl “. Und dann wird die Polizei sagen, „nein, euch lassen wir jetzt nicht heraus, ihr seid da drinnen“. So etwas kann zu einer Eskalation führen und das ist nicht verständlich. Wir sind in der Bundesliga, das soll professionell sein und das sind Fälle, die sind dokumentiert und die sind vorgekommen. Und das ist unverständlich, weil wir immer von Sicherheit sprechen. Kein Fließwasser im Auswärtssektor: ich will nicht sagen, dass da jetzt ein negatives Ergebnis für die Fans herauskommen würde oder eine Schlägerei, das glaube ich eher nicht. Aber bei so etwas schon. Oder bei Rapid, weil wir bei diesem Beispiel waren, mit einem Stadion das baufällig ist: ich stelle mich auf einen Stuhl und singe und hüpfe einmal und von dem Stuhl aus, aus der ganzen Mauerreihe, bricht die ganze Sitzreihe heraus. Na gut, das ist Sachbeschädigung. Aber andererseits, da muss ich schon sagen, in anderen Ländern waren die anderen Ultras da und haben am Tag davor daran gesägt, so dass sich die anderen verletzen. Aber da verletze ich mich vielleicht noch selbst beim Sturz und werde verhaftet wegen Sachbeschädigung. Und das sind Sachen, das darf nicht passieren, das ist unprofessionell und das wird im Theater nicht passieren und das passiert in Schladming nicht 100
und da bauen sie irgendwelche Stahlrohrtribünen. Man muss in die Rahmenbedingungen investieren und man muss die Stadien fan-freundlicher machen. Ich sage gar nicht familienfreundlicher, weil es muss normal sein, dass ich in ein Stadion reingehen kann, wo ich etwas Normales essen kann und wo die Toilettenanlage nicht ausschaut, das ich eine Frau oder ein kleines Kind da nicht hinschicken will. Das ist ja noch halbwegs in Ordnung bei uns. Familienfreundlich, von dem her schon, aber nicht auswärtsfahrerfreundlich, das ist es bestimmt nicht. Aber da sind alle gefordert, wenn sie wollen, dass Fans überhaupt da hinfahren. I: Da möchte ich gleich anschließen. Die auswärts fahrenden Fans kommen jetzt relativ leicht in Konflikt mit der Polizei, bekommen Verwaltungsstrafen, erleben solche, für sie wahrscheinlich unverständliche Provokationen, wie in Linz… G: Da ist es gut ausgegangen, da haben wirklich die Ordner Bier geholt. I: Wie wirkt das auf die Fans? Du hast erwähnt, es betrifft meistens die Gleichen, was die Verwaltungsdelikte betrifft. Haben die Strafen, die sie erleiden, nicht eine hemmende Wirkung, eher einschüchternd, „jetzt verhalte ich mich ruhiger“ oder ist es eigentlich eher, dass es provozierend wirkt, wie eine Spirale, dass jeder seinen Zug macht und so gegenseitig das Spiel intensiver wird, wenn wir es jetzt metaphorisch ausdrücken wollen? G: Es ist absolut so, ja klar. Was da wichtig wäre ist, gewisse Regeln aufstellen, was auch wieder über die Kommunikation geht. Aber jetzt nicht zwischen den Akteuren, sondern auch wenn eine Änderung kommt, eine Verschärfung, oder wenn etwas in einem anderen Stadion anders ist, dass man die Informationen den Leuten im Vorfeld zukommen lässt. Was ist erlaubt, was ist nicht erlaubt. Was ist möglich, was ist nicht möglich. Die Sicherheit habe ich beim Heimspiel. Da weiß ich immer, wie die Sachen ablaufen. Beim Auswärtsspiel habe ich sie nicht, weil beim Auswärtsspiel auch Einsatzleiter unterschiedlich sind. Das heißt, an einem Spieltag kann das so ablaufen, an einem anderen Spieltag kann es wieder ganz anders ablaufen. Und dann kommen unvorgesehene Sachen hinzu, wie die erwähnten zuvor. Aber nichts desto trotz darf man jetzt nicht wieder zu sehr auf die ganze Gewaltdebatte fokussieren, auch wenn es manche Notorische zu recht oder zu unrecht erwischt. Also manche notorische Leute Delikte machen zu Recht, oder wie manche, wie Vorsänger, zu Unrecht, weil er halt Vorsänger ist in seiner Rolle und man ihn etwas leichter anlasten kann, da er ja im Fokus vom Sicherheitsapparat ist. So übertrieben, so schlimm und so fatal ist es in Österreich, Gott sei dank, noch nicht, dass eine Gruppe sagen würde, dass man sich auflösen muss, weil sie unter einer Repressionswelle leiden, die sie nicht mehr aushalten. Und so spektakulär ist es auch noch nicht, dass es die größten „Atzen“ der ganzen Stadt anziehen würde. Dass dann die „wildesten Hunde“ der ganzen Stadt daherkommen und plötzlich die Gruppe anwächst. Es geht weder in das positive noch in das negative Extrem. Es gibt aber Beispiele, wo die Repressionswelle wirklich ganze Gruppen oder die ganze Subkultur von einem ganzen Land ausradieren kann, wie in Italien oder die ganze Fankultur wie in England. Aber da müssen sich wirklich alle Player, außer die Fans, zusammensetzen und sagen, wir gehen gemeinsam diese Strategie und jetzt machen wir diese Ultras fertig. So etwas wird in einem Jahr durchgezogen. Aber ich denke, da gibt es in Österreich kein Bedürfnis für diese Strategie und ich glaube nicht einmal, dass so etwas kommen würde. Also es hält sich auch im internationalen Vergleich. Es gibt diese Strafen, es sind primär Verwaltungsstrafen, strafrechtliche Delikte wie Schlägereien und Ähnliches sind seltener. Das sagt auch klarerweise die Statistik. Eine Verwaltungsstrafe ist leichter ausgestellt, ist ja gleich gemacht, aber es hält sich schon in Grenzen und man darf da jetzt nicht übertreiben, dass die
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Repressionswelle in Österreich nicht mehr auszuhalten wäre. Also es gibt auch viele Auswärtsspiele, bei denen es keine Strafen gibt. Das muss man schon auch sagen. I: Aber noch mal. Würdest du sagen, dass es trotzdem für Jugendliche und junge erwachsene Fans eigentlich oft in diesem Sinne leichte Verwaltungsstrafen gesetzt werden, bei denen man sich denkt, die sind unnötig gesetzt worden, und dazu führen, dass man der Polizei noch kritischer gegenüber steht oder noch feindlicher? G: Ja klar, das war die Entwicklung die ich erklärte. Die Polizei, vor allem die uniformierte, und vor allem die in den „Raumfahrtsanzügen“ sage ich jetzt einmal, die gut gepolsterten, und schnell mit ihren Knüppel schwingenden Mobs, hat sich europaweit schon zu einem ernstzunehmenden Gegner, jetzt allgemein gesprochen, für Ultraszenen entwickelt. Und es wäre einmal ein interessante Statistik: Konfrontationen zwischen Ultra-Gruppe A und UltraGruppe B sind sicherlich weniger als die Konfrontationen zwischen Ultra-Gruppe A und Polizei oder Ultra-Gruppe B und Polizei. Es gibt sicher mehr Auseinandersetzungen zwischen Ultras und Polizei als zwischen Ultra-Gruppen untereinander. I: Aber könnte man nicht davon ausgehen, je mehr Polizei anwesend ist, desto eher sie sind ja im Prinzip wie eine Mauer zwischen zwei Ultra-Gruppen… G: Sie können manchmal auch zwischen die Fronten geraten, mit beiden Gruppen. I: Wenn ich hier jetzt auch noch einhaken darf? Du hast schon angesprochen und es ist in vorigen Interviews auch bereits gefallen: die Polizei vor Ort, da gibt es einen Einsatzleiter – wie wichtig ist diese Person? G: Der Einsatzleiter ist der Schlüssel zum Erfolg. Der Schlüssel zum erfolgreichen, für alle Seiten, Spiel und auch für ein Spiel ohne Reibungspunkte. Weil nämlich nur der Einsatzleiter jegliches Kommando geben kann. Auch die mitfahrenden Szenekundigen Beamten oder die mitfahrenden Beamten von deiner Stadt, auch der Fanbeauftragte, auch der Fanarbeiter, haben in diesem Fall nichts zu sagen. Es hat nur der Einsatzleiter etwas zu sagen. Ein kleines Beispiel: der Vorsänger sitzt am Zaun. Er sagt zumSszenekundigen Beamten, er [der Vorsänger] soll bitte auf sein Vorsänger-Podest gehen - wir haben den Namen - sonst muss er mit einer Verwaltungsstrafe rechnen. Der Szenekundige Beamte sagt, es ist ihm jetzt auch zu blöd, in den Block hineinzugehen, außerdem ist es eine ausgemachte Strategie, dass er es dem Fanbeauftragten des Vereins oder dem Fanarbeiter sagt. Der geht zu dem Vorsänger und sagt, „Du, der Einsatzleiter lässt dir ausrichten, wenn du in 3 Minuten nicht vom Zaun herunten bist, musst du mit einer Verwaltungsstrafe rechnen“. Also eine für alle Seiten ausgemachte nachvollziehbare Kommunikationsstrategie, die als Erstmaßnahme deeskalierend wirkt. Und man kann sich die „3D“-Strategie der österreichischen Polizei anschauen, die erstmals auf Deeskalation aus ist. 3D steht für Dialog-DeeskalationDurchgreifen. Also Dialog noch als Erstes: wie schaffe ich Deeskalation durch Dialog? Geht ein Polizist in den Sektor rein, den man kennt, in zivil, (leichtes mhm), geht ein Polizist in den Sektor rein in Uniform, (stärkeres mhm), geht ein Polizist in den Sektor rein, den man nicht kennt (starkes mhm) und gehen 20 Polizisten gleich in den Block und räumen alles aus den Weg was auf den Stufen steht, dann habe ich die Eskalation, ganz klar. Also der Einsatzleiter, er entscheidet wie das Spiel ausgeht. Das Spiel geht logischerweise immer gut aus für die Polizei. Denn egal wie es passiert, wenn eine Eskalation ist, bekommen die Fans die Strafen und nicht die Polizei. Und der Polizist kann natürlich über Medien und über seine Gewerkschaft noch mal 100 Polizisten beim nächsten Spiel mehr fordern, weil ja „die Hooligans und die Ultras und die wilden Fans das und das machen.“ Aber in unserem 102
Interesse wäre schon, wenn man kleine Sachen, Verwaltungsdelikte, nicht eskalierend zu einem Strafdelikt macht, sondern wie früher halt versucht: der Polizist kommt, klopft dir auf die Schulter und sagt „Pass einmal auf, so und so“. Da hat man als organisierter Fan in der Kurve mehr Respekt, als wenn die „Robocops“ gleich mit dem Pfefferspray oder mit dem Gummiknüppel kommen. I: Also man fühlt sich durch dieses Auftreten eigentlich respektloser behandelt als wenn jemand jetzt nicht so in Schutzkleidung auftritt? G: Klar, ja. Das ist schon auch eine Strategie der Polizei, dass sie mit den Szenekundigen Beamten, die zivil auftreten, ein gewisses Vertrauensverhältnis aufzubauen. Das sind ja auch immer die Gleichen und nach ein paar Jahren weiß man schon, wer wer ist. Er weiß natürlich mehr über dich als du über ihn, aber das ist natürlich ein anderes Verhältnis als wenn 50 Mann, eine dritte Gruppe, auch noch da steht, geschlossen, organisiert und man weiß, ein Einsatz von dem Einsatzleiter und man hat sofort eine Situation, die zur einer Schlägerei führen kann. Meistens ist es ja auch so. Ultragruppen kann man ja auch leicht durchschauen. Wenn man einen, vor allem den Vorsänger, herauszieht, werden jetzt nicht alle freiwillig zur Seite hüpfen und sagen, „bitte, der Weg ist frei, nehmt ihn doch mit, er hat eh schlecht vorgesungen“. Also wahrscheinlich werden wenigstens ein paar versuchen, sich in den Weg zu stellen. Wenn du dich nun als Normaler oder als Fan dem Polizisten in den Weg stellst, ist das nicht nur Behinderung der Amtshandlung, sondern natürlich auch gleich „Versuchte Körperverletzung“. Auch wenn du einen Polizisten auf die Schulter klopfst und sagst „Hey“, ist das schon eine „Versuchte Körperverletzung“. Man darf einen Polizisten nicht angreifen, das ist Gesetz, das ist normal, das gilt für alle. I: Das gilt also außerhalb des Stadions auch? Einen Polizisten auf die Schulter klopfen ist verboten? G: Ja. Aber es wird wahrscheinlich nicht angewendet. Aber im Stadion würde ich vorsichtig sein. Immer sehr freundlich sein, lächeln und Hallo sagen. Das sind so ein paar Tipps. I: Gut. Die Frage noch mal konkret. Wie gefährlich schätzt du das Fußball-Fansein für das Individuum ein oder wie groß ist die Gefahr, dass man unter Fußballfans, ob verschuldet oder nicht, in einen Strudel der Kriminalität reinrutschen kann? Ich weiß ja nicht wie so eine klassische Karriere aussieht, aber es gibt ja die Problemfälle im Stadion, oder, die mit 15 anfangen und mit 40 noch immer im Stadion sind und gut bekannt sind, weil sie viele Probleme machen, irgendwelche verwaltungs- oder strafrechtliche Übertretungen. Wie groß ist da die Gefahr? Ist es in Österreich eher nicht so schlimm oder wie ergibt sich das Potential für so etwas? G: Die Gefahr ist schon relativ groß oder größer als bei anderen organisierten Gruppen. Ich glaube, der prinzipielle Unterschied ist, wie man das Delikt behandelt und wie man diejenigen Personen dann auch bestraft. Und zwar um wie viel schärfer als jede andere organisierte Gruppe. Wenn ich jetzt ein Beispiel mache: Wenn die Natterer Dorfjugend die Mutterer Dorfjugend beim Mai-Baum-Fest, die den Mai-Baum aufstellt, wenn die eine organisierte Gruppe die andere organisierte Gruppe, die ja alle übrigens eingetragene Vereine sind und offizielle Mitglieder haben, die die ganze Nacht lang angreift und versucht, den Mai-Baum umzuschneiden, aber dann das Ganze in einer Schlägerei zwischen 40 gegen 40 Jugendlichen über eine halbe Stunde im Dorf ausartet, so dass niemand mehr schlafen kann und dann wirklich viele Polizisten kommen, wird das in einem Fußballumfeld nicht nur dramatischere Strafen nach sich ziehen sondern auch, und das ist glaube ich vielleicht ein 103
sehr wichtiger Punkt, wie die Medien darauf reagieren würden. Im Interview am nächsten Tag werden die Bürgermeister von Natters und Mutters das Ganze verharmlosen und relativieren: „Das war schon immer so, das gehört dazu, Brauchtum, kein Problem, als Junge haben wir das auch gemacht und das passt schon“. Das wird dann eher ins Lustige, ins Lächerliche gezogen. Man findet es vielleicht noch in der Zeitung in Wien, aber es wird verharmlost und die Strafen, gut, die werden schon ihre Verwaltungsstrafen bekommen und vielleicht hat jemand sogar einen Zahn verloren und vielleicht kommt es dann sogar zu einer Gerichtsverhandlung, kann auch sein. Nur alle Seiten reagieren anders im Fußballumfeld. Die Medien und dann der Richter wird auch nicht dastehen bei dem Jungbauer: „Und Sie sind also Jungbauer, aha, und so kleidet sich ein Jungbauer. Sie glauben mit Ihrem Verhalten als Jungbauer werden Sie weit kommen in unserem System?“. Zu einem Ultra sagt er das schon und zu einem Hooligan, aber zum Jungbauern wird das der Richter nicht sagen. Und Jungbauern sind auch viele und organisiert, und das sind gute „Lackln“. Also Medien und die Strafen. Nur die organisierten Jungbauern, die mit ihren Freunden zum Nachbar-Zeltfest fahren, die wissen 50/50. 50% Massenschlägerei zum rivalisierenden Nachbarn mit der befreundeten Jungbauernschar-Gruppe. Die fahren mit 50 Leuten ins Nachbardorf zum Zeltfest. Die Natterer sind mit den Mutterer da oder mit wem sie befreundet sind. Entweder geht es gut aus und es passiert nichts oder man hat eine Massenschlägerei. Also da ist die Gefahr auch sehr groß, dass es zu Gewaltakten kommt, also nicht nur Verwaltungsdelikte, sondern strafrechtlich relevante. Dann kommt schon auch die Polizei. Organisierte Gruppen männlicher Jugendlicher neigen, glaube ich, tendenziell dazu, öfter in Konflikt mit dem Gesetz kommen als die „Pensionisten-Nähgruppe“, die sich seit 40 Jahren trifft. I: Gehen wir weiter. Kommen wir zu Lösungsstrategien. Wir haben ja bereits darüber gesprochen: die Einbindung in Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse rund um den Verein, wahrscheinlich Spielerkauf, Trainerbestellung oder Umbau innerhalb des Stadions, also Partizipation ist hierbei das wichtigste Element um erstens die Spannung zu lösen und gleichzeitig Verantwortung zu übertragen und damit eigentlich für diese Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, auch im Sinne von einem gesellschaftlichen Auftrag, eine Förderung und eine Integration in die Gesellschaft zu leisten. G: Du hast das super gesagt, also ich würde dich gerne verpflichten, gerne bei den nächsten Meetings bei uns dabei zu sein. Du hast es echt auf den Punkt gebracht. Das ist der Ansatz, außer eine Sache muss ich sagen: weder für die Fans, noch für die Mitglieder geht es darum, Einfluss in das Sportliche zu haben. Man versucht durch die Stimmung zu versuchen, dass sie besser spielen, aber es geht nicht um Spielerkäufe oder Trainerentscheidungen. Das hat man in Innsbruck auch ganz klar festgeschrieben im Markengrundbuch, dass mit wirtschaftlichen Entscheidungen und sportlichen Entscheidungen die Mitglieder und die Fans nichts zu tun haben. Die abgesegneten handelnden Person in der Geschäftsstelle bzw. der Vorstand sind hier für ihre Handlungen verantwortlich. I: Wie ist es dann mit dem Fall: die TIWAG ist ja ein Sponsor, die sind ja schon auf der Dress oben, aber wollen sie z.B. sagen, das heißt jetzt nicht mehr Nordtribüne sondern TIWAG-Tribüne. Das wäre wahrscheinlich für die Fans nicht ertragbar? G: Die Frage, wem gehört das Stadion, ist in Österreich eigentlich relativ gängig, weil das Stadion meistens nicht den Vereinen, sondern der öffentlichen Hand gehört. Wenn Stadt und Land beschließen, das Stadion umzubenennen, was sie ja eigentlich gemacht haben, Tivoli Stadion „Tirol“ als Zusatz. Tirol ist eigentlich ein Sponsor, in diesem Fall nicht tragisch, da es zugleich der Landesname ist. Ein Verein kann relativ wenig machen, auch der Fan kann wenig machen und das Mitglied auch, aber das wissen die Mitglieder und die Fans, das ist 104
ein spezieller Fall. Wen sie die Nordtribüne umbenennen, ja sollen sie. Es ist traurig wenn sie es machen, aber ich glaube, das hätte weder für den Verein noch für die Fanszene Relevanz, wenn sie offiziell umbenannt wird. Das ist ja egal. I: Sie wird trotzdem weiter Nordtribüne genannt werden? G: Ja. Das hat aber wieder nichts mit Spielerkauf und Trainer zu tun. Wenn das Stadion dem Verein gehört, dann wäre es wieder eine wichtige Entscheidung, was der Verein als Gesamtes, Vorstand, Geschäftsstelle und Mitglieder sich im Vorfeld, gemeinsam, hinter verschlossenen Türen ausmachen sollten, ob sie das wollen oder nicht. Und es gibt europaweit sogenannte Fan-Chartas, auch unterstützt von UEFA, Europarat und vielen andere Institutionen, die darauf aus sind, dass die die organisierten Fanszenen, auch die Mitglieder, gemeinsam mit den anderen Vereinsverantwortlichen sich gewisse Sachen verschriftlichen. Und in solchen Fan-Chartas, die sind dann unterschrieben, abgestempelt, abgesegnet, steht dann schwarz auf weiß, so lange bis man es ändert, den Stadionnamen nicht zu verkaufen. Das haben sich die momentan tätigen Akteure untereinander so ausgemacht und da haben sich auch Nachfolger daran zu halten. Außer sie schaffen es in einem gemeinsamen Prozess, da einen Stimmungsumschwung reinzubringen. Oder auch Kleinigkeiten wie keine Maskottchen zu haben. Manche Fans finden es lächerlich und die haben ihre Vereine überzeugt, dass man kein herumhampelndes Maskottchen hat. Oder aber auch Sachen wie 5 Minuten vor Spielbeginn keine Musik zu spielen. Zuerst der Stimmungsaufbau, es soll schon die Aufstellung gemacht worden sein, aber der ist den Fans zu überlassen. Da sind wir wieder beim Thema. I: Also man sieht im Detail, die ganzen rechtlichen Verbindlichkeiten und was es da für Möglichkeiten gibt oder welche Probleme auftreten, das können wir jetzt nicht behandeln, aber man kann es auf jeden Fall so stehen lassen, dass die Miteinbeziehung der Fans sich durchaus produktiv gestalten lässt? G: Ja. Es ist eine Bereicherung für den Verein, wenn er seine Kunden, sein Potential mit einbezieht oder zumindest die Meinung mit einbezieht. Das ist ein wichtiger Teil des Vereins zusätzlich. I: Andere Lösungsansätze. Ich denke an die Aktion „Zeig Rassismus die Rote Karte“ oder „Welle gegen Gewalt“. Würdest du sagen, dass man hierbei alle Altersklassen im Stadion durchwegs gleich anspricht oder ist es eher, dass man die jüngeren damit beeinflussen kann? Haben solche Aktionen so viel Wirkung? G: Da muss man unterscheiden zwischen „Zeig Rassismus die Rote Karte“, da sprichst du wahrscheinlich die Initiative von FairPlay an, welche im Rahmen der Aktionswochen gegen Diskriminierung alljährlich gemacht wird, wo Verein und nach Möglichkeit auch die Fanszene mit ein gebunden wird. Das ist absolut wichtig, dass man ein Thema nicht nur einmalig, sondern immer wieder behandelt. Das ist immer jedes Jahr im Oktober und es ist europaweit auch einzigartig, dass die ganze Bundesliga, Erste und Zweite Liga da mitmacht. Also es geht von FairPlay aus aber über die Bundesliga an die Vereine. Das ist eine tolle punktuelle Aktion, das ist aber ausgehend von FairPlay, von der Anti-Rassismus-Initiative. Die „Welle gegen Gewalt“ ist laut Eigendefinition eine Aufklärungskampagne von der Polizei, die sie an Schulen und mit Jugendlichen durchgeführt haben. Ich war selbst nicht dabei, weiß deshalb nicht genau, was die da gemacht haben. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Polizei sagt, was man machen darf und was man nicht machen darf. Viel mehr kann ich mir nicht vorstellen, was die Polizei da sagen kann. Also sie kann wahrscheinlich nicht 105
den Kindern erzählen, was Fan-Kultur ist und was nicht, oder was Ultra-Kultur ist oder nicht. Also ich stell mir das halt so vor, ich weiß es aber nicht, dass das so ist, wie die Polizei, wie wenn die Kindergartenkinder kommen: „Schau, das ist ein Zebrastreifen, da darfst du rüber gehen, wenn kein Auto kommt. Wenn ein Auto kommt bitte halt davor links, rechts schauen und rote Ampel und so“, denk ich mir. Da muss man halt unterscheiden, wenn vom Innenministerium ausgehend eine Aktion gegen Gewalt macht oder eine NGO oder die Fanszene selbst, das sind natürlich drei verschiedene Paar Schuhe. Von uns aus, von FairPlay aus, sollte es alle Leute im Stadion erreichen. Wir sehen aber, pro supportersFanarbeit, wir als Ausgangspunkt einer langfristigen Kampagne und Initiative. Bei Sachen wie Antirassismus, also gegen Diskriminierung, muss man schon das ganze Jahr dabeibleiben, Podiumsdiskussion machen, Rahmenveranstaltungen, Ausstellungen, Sensibilisieren für das Thema, Informieren zu dem Thema, alle Akteure wieder zusammenbringen. Punktuell kann ich nur sensibilisieren, kann aber keinen Lösungsansatz finden. Es gibt viele Fanklubs, organisierte Gruppen, die das selbst in die Hand nehmen, erleichtert natürlich, wenn ich professionelle Strukturen habe, wie die Fanarbeit, die sich dem Thema annimmt und was dann auch im öffentlichen Auftrag ist. pro supporters wird primär vom Sportministerium gefördert, um das Weißbuch der EU umzusetzen, wo Fußballfans gegen Diskriminierung und gegen Gewalt … diese zwei Aspekte werden da hauptsächlich angeführt, das ist unsere Aufgabe, auch von oben abgesegnet. Aber um nachhaltig zu arbeiten, brauche ich gute Strukturen und muss langfristig arbeiten. I: Und im besten Fall die Fans vor Ort, die mit gestalten? G: Genau. Der beste Fall ist, wenn ein Impuls von der Fanszene kommt. Es hilft nichts, das ist immer ein Unterschied. Wenn von der Fanszene intern ein Impuls ausgeht, ist das immer erfolgreich. Wenn das von einer Anti-Rassismus-Initiative, das ist eine NGO, oder vom Innenministerium ausgeht, dann kommt das von außen. Das wird langfristig keine Veränderung herbeiführen, maximal eine Sensibilisierung. I: Kommen wir zum letzten Teil. Damit wir zu den Akteuren kommen, stelle ich noch mal kurz die Frage: Was ist Fanarbeit für dich? G: Das ist ein professioneller Umgang mit Fußballfans. I: In Bezug auf oder hinsichtlich? G: In Betrachtnahme der gewachsenen Fankultur. Des einzelnen Fans, des Individuums, aber auch einer ganzen Gruppe. I: Also die Fußball-Fankultur ist in Österreich auch am Zunehmen? G: Das würde ich jetzt nicht bestätigen, aber im Verhältnis, wie viele Zuschauer bei Spielen sind, ist das international auf sehr hohem Niveau. Also ich habe Stadien, wo 50 Prozent der Zuschauer die organisierte Fanszene ausmacht. Das ist viel. Umgemünzt auf Barcelona wären das 50.000 in der Kurve und 50.000 andere. Das ist natürlich in einer kleineren Dimension, aber die Fanszenen sind schon sehr gewachsen. Ob sie im Zunehmen sind? Ich würde sagen, es hat sich in den letzten Jahren auf hohem Niveau eingependelt. I: Verhältnismäßig?
106
G: Verhältnismäßig, ja. Es gibt einzelne Gruppen die in den letzten Jahren mehr geworden sind. Bis die Kurve voll war, mehr geht ja nicht. Aber es gibt andere, die sind wieder schlechter geworden. Wenn ich mir die Entwicklung der Fanszene von Sturm Graz anschaue, die vor ein paar Jahren 500 Leute waren, in einem eingesperrten Block und jetzt 3000 Leute sind, die organisiert singen, da muss man sagen, die haben in den letzten Jahren zugenommen. Wenn ich mir Rapid anschaue in den letzten 10 Jahren, war immer der BlockWest voll, mehr geht nicht. Die haben es aber geschafft, dass sich auf der anderen Seite eine Gruppe gegründet hat, die neben den Auswärtsfans steht. Die sind jetzt auch mittlerweile 500, also auch hier hat es sich etwas weiterentwickelt, aber mehr geht da wahrscheinlich nicht mehr. Innsbruck ist eher kleiner geworden in den letzten Jahren. Das muss man als erfolgsverwöhnter Wacker Fan sehen, dass die Leistungen der Mannschaft das ihrige dazu beigetragen haben. I: Ja, aber ist nicht ein richtiger Ultra, der 365 Tage im Jahr ein Ultra-Fan von der Mannschaft … G: Das wird dir jeder Ultra bei einem Interview sagen und du kannst gerne dann den Leuten die Zuschauerstatistiken von den Kurven zeigen und fragen, warum die Schwankungen doch relativ groß sind. Rapid hat es geschafft, dass im Block immer gleich viele Leute sind, weil alle ein Abo haben. Die haben wirklich immer gleich viel. Die können sagen, wir sind der einzige Teil im Stadion, wo immer gleich viele Leute sind und ausverkauft. Das ist natürlich auch anzustreben, also die bestätigen das. Aber Sturm Graz wird nicht immer 3000 Leute haben. Aber es gibt Gruppen, die sind kompakter. Wenn dann mehr Zuschauer kommen, ist die Gruppe relativ gleich groß, und wenn weniger Gesamtzuschauer kommen, ist die Gruppe relativ gleich groß. Am Tivoli steigt und sinkt die Nord-Tribüne mit dem Rest. Habe ich 5000 Leute, habe ich auf der Nordtribüne weniger, habe ich 10.000, habe ich auf der Nordtribüne doppelt soviel. Das ist interessant. Man kann es nicht generell sagen. Manche Gruppen sind erst im Entstehen, natürlich werden die mehr, wenn eine neue Gruppe hinzu kommt. Aber es ist überschaubar in Österreich. Es gibt eine handvoll, wo wirklich viele sind. Und dann noch einige 500 bis 1000, was schon gut ist. Bei vielen Gruppen reden wir von unter 100 Leuten, das wäre schon ausbaufähig. Manche Vereine gehen pleite und fertig. GAK [Grazer Athletik Klub] spielt jetzt in der untersten Liga. Ich weiß nicht, ob die Fankultur ihre Kurve hat halten können. Die haben ja nicht einmal mehr ein Stadion. Austria Salzburg hat das über die Jahre geschafft, die sind weiterhin kompakt. Wäre interessant, wenn die wieder zurück kommen [in die Bundesliga], man müsste sich jeden Fall individuell anschauen, um das sagen zu können und man hätte wahrscheinlich eine Tendenz, die, wie ich gesagt habe, ungefähr gleichbleibend ist, für jede Situation angepasst, auf einem relativ guten Level, von den organisierten Gruppen und Fanszenen. I: In Bezug auf sozialpräventive Fanarbeit: was müsste sich deiner Ansicht nach in Österreich verändern? Wo liegen offensichtlich Defizite, welche die intensivierte Arbeit mit Fußballfans blockiert? Du hast z.B. vorher erwähnt, was ich sehr interessant finde, dass der ÖFB und die Bundesliga, wenn sich sie in gewissen Punkten nicht einig sind, dann erschwert das ja auch andere Projekte, oder? Diese zwei sind ja wahrscheinlich auch finanzielle Geber, d.h. wenn einer der beiden außerhalb, nicht einmal unbedingt auf Fans bezogen, vielleicht mit irgendeinem Thema nicht zurechtkommt oder sie zusammenfinden, dass vielleicht auch Auswirkungen hat auf … G: Also, für was machen wir das? Wir machen es, damit ein positives Outcome für die Fans da ist. Um das zu erreichen, sind wir ein wichtiger Player, aber Fanarbeit ist nicht der wichtigste. Es bedarf wirklich einem Zusammenspiel aller Akteure. Und das ist ein bisschen 107
unsere Aufgabe, die Akteure zusammen zu bringen und sie auch für Fanarbeit zu gewinnen. Aber soweit sind wir auch noch nicht. Zu gewinnen, damit sie einmal das Modell sehen und sagen, dass ist eine Professionalisierung der Betreuung der Fans oder Umgang mit den Fans, aber natürlich auch eine finanzielle Unterstützung. Da bedarf es nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch Bundesliga, ÖFB und die Vereine selbst. Das ist auf einer Ebene was wir machen. Wir veranstalten Runde Tische und laden sie alle ein und versuchen das in einem Rahmenkonzept Fanarbeit zu verschriftlichen. Es gibt zwei Modelle: Fanbetreuung durch Vereine und sozialpräventive Fanarbeit. Beide mit verschiedener Ausrichtung, aber prinzipiell mit demselben Ansatz des Dialogs. Auf der anderen Ebene bedarf es aber auch die Fanszene, die Leute selbst, um ihnen zu erklären, was oder wie kann eine professionelle Struktur, sie haben schon viel geschafft in den letzten 15-20 Jahren, sie noch weiter bringen kann. Egal ob für eine besseren Ruf über mehr Einfluss beim Verein, über Vergrößerung der Szene, über neue Räumlichkeiten, neue Möglichkeiten und, und, und. Rechtshilfe, genau das, was wir schon angesprochen haben. Und da bedarf es von unserer Seite eigentlich noch viel Aufklärungsarbeit, weil es ist schon ein Grund: „Fanarbeit hat es bis jetzt noch nicht gegeben und es ist auch halbwegs gelaufen - für was braucht es das?“. Für uns braucht es einmal in erster Linie von allen Seiten, dass das gewollt ist und unterstützt wird. Uns ist klar, mit einer professionellen Fanbetreuung würde es überall besser laufen. Man hat die Tools in der Hand, man müsste sie ja nur umsetzen. I: Wobei das Umsetzen ist ja oft eine finanzielle Frage? G: Klar. Ohne Geld keine Musik, da brauchen wir nicht lange reden. Also wenn uns das Sportministerium weiter finanziert und wir sind die Koordinationsstelle, aber weder die öffentliche Hand, noch die Vereine, noch die Bundesliga, noch der ÖFB sich zuständig fühlt einzelne Projekte zu finanzieren, und es braucht alle Player, sonst ist das Projekt nie unabhängig, dann wird sich alles weiter im ehrenamtlichen Umfeld bewegen und das mit den Dachorganisationen ist dann „Stopp“. Man macht halt, was man schon immer gemacht hat und was man machen kann. Viele Bereiche kann man leider nicht umsetzen mit ehrenamtlicher Arbeit. Ihr ist natürlich irgendwo die Grenze gesetzt. I: Wenn wir uns an Deutschland orientieren, du wirst dich sicherlich gut auskennen, wie es sich in Deutschland gestaltet, da sieht man doch, die größte Jugend-Subkultur in Deutschland sind die Fußball-Ultras. Und da ist es in den obersten drei Ligen gesetzlich verpflichtend Fanbetreuer zu haben und Fanprojekte einzurichten. Warum ist in Österreich der Bedarf nicht da? Ist hier zu wenig passiert, sodass die öffentliche Hand sagen müsste, wir haben damit ein Problem und dann muss man etwas einsetzen. Es ist ja auch eine Frage der Finanzierung: in Deutschland die Drittelfinanzierung, Stadt-Land-Bund und dann der DFB. So würde es sich wahrscheinlich bei uns dann auch gestalten. Würdest du sagen, dass es für alle beteiligten Akteure die finanzielle Frage ist, wo man sich denkt, warum sollte man für Fußball-Fans, von denen man dieses falsche Bild hat, Geld ausgeben, weil andererseits ja die Polizei, die zwar auch viel Geld kostet, aber Steuergeld ist und nicht der Bundesliga Geld kostet, da sie im Prinzip Streit schlichtet? G: Da muss ich kurz berichtigen. Es ist kein Gesetz, dass es Fanbeauftragte und Fan-Projekte gibt, sondern das ist eine Auflage, also von der [Deutschen] Bundesliga vorgegeben und das haben die sich die Vereine gemeinsam verankert. Und das ist dann natürlich umzusetzen, eine Lizenzierungsauflage. Das wird nicht von der Polizei exekutiert, das ist kein Gesetz von dem her, es ist eine Regulierung. Das gibt es in Deutschland, das gibt es in der Schweiz und im nächsten Atemzug habe ich Österreich. In Österreich ist es eine Lizenzierungsaufgabe einen Fanbeauftragten zu haben, das ist einmal der erste Schritt. Der zweite ist 108
sozialpräventive Fanarbeit, daran arbeiten wir gerade. Dass das eben auch verschriftlicht wird, dass es in die Lizenzierungsauflage kommt, und es ist unsere Aufgabe, dass wir das in den nächsten Jahren umsetzen. Unsere Aufgabe ist Rahmenbedingungen zu schaffen für sozialpräventive Fanarbeit. I: Weil ihr im Ministerium drinnen sitzt? G: Nein, weil wir das Glück haben, dass es eine Koordinationsstelle gibt. In Deutschland wie erwähnt, hat es zuerst 12 Projekte gegeben und dann erst die Koordinationsstelle. In der Schweiz gibt es die einzelnen Projekte, aber keine explizite Koordinationsstelle. Ein Fanprojekt übernimmt auch einen Teil der Koordination, Fanprojekt Basel und ihre Mitarbeiter. Wir haben das anders aufgerollt, die Koordination gibt es schon und ein Vorzeigeprojekt, Innsbruck, und unsere Aufgabe ist es, in das Lizenzierungsverfahren zusätzlich zu den Passus Fanbeauftragte auch Sozialpräventive Fanarbeit zu unterstützen. I: Ich bin mir nicht sicher, ob ich das total missverstehe. Durch welche Legitimation hättet ihr die Möglichkeit, das hineinzusetzen. Im Interview mit dem Zuständigen vom Verein ist deutlich hervorgetreten, die Fanarbeit kostet so und so viel Geld. Der Verein zahlt natürlich etwas mit, aber nicht alles. Und wenn jetzt die Politik sagt, für uns ist es nicht mehr relevant, das finanzieren wir jetzt nicht mehr – damit steht und fällt die Fanarbeit. Wie bringt ihr den Verbindlichkeitscharakter zustande? G: Also in Österreich soll das auch so sein, dass natürlich die öffentliche Hand, sprich Stadt/Land, und der Fußball, sprich der Verein und die Bundesliga, in der ersten und zweiten und der ÖFB in der dritten und unteren Liga finanzieren. Im Idealfall wäre das sogar eine Viertelfinanzierung. Aber das jeder Player gleich viel zahlt, das ist das, was von uns angestrebt ist. Ich weiß nicht, ob du das Bundesligabüchlein kennst? Das sind 100 oder 250 Seiten, da ist Alles festgelegt, auch wo der Fotograf während einem Spiel zu stehen hat. Und das man das reinkriegt, in das „Heftl“, das geht relativ einfach. Man sagt zu dem Fanbeauftragten bei einem Treffen, „Du, schreib doch auch noch rein … und Fanarbeit“. Dann steht das auch drin. Und soweit waren wir schon. Und der hat gesagt zu mir, „Ja, ist kein Problem, kann ich auch rein schreiben“. Dann habe ich aber auch gesagt, so einfach ist das nicht, weil ich nicht die Vereine verpflichten kann, wenn ich will, dass die Öffentliche [Hand] mitzahlt, genau was du gesagt hast. Also davor braucht es natürlich schon eine Absegnung von den Städten und von den Ländern und gewisse Voraussetzungen, dass die sagen, „Ja, wenn es verpflichtend ist, aber wir sind auch bereit zu zahlen“. Das ist klar. Ob ich es so mache oder so, irgendwo muss ich anfangen. Wenn die Möglichkeit, es wirklich da rein zu schreiben, hätte ich es lieber einmal festgeschrieben. Und dann muss man wirklich alle abgrasen. Es wäre unseriös, die Vereine zu verpflichten, wenn man eine ausgeglichene Finanzierung haben will und das dem Verein dann auflastet, für die Finanzierung zu sorgen. Das ist ja gar nicht seine Aufgabe, sondern es ist ja die Aufgabe von denen, die die Projekte machen. Und wie man in Innsbruck weiß, ist es nicht leicht, Geld aufzutreiben. Es wird für uns dann die schwierigere Aufgabe werden, als die Leute davon zu überzeugen, dass es Sinn macht. Und von allen einmal eine Absegnung zu holen, „Ja, das wollen wir“. Das geht leichter noch, finanzielle Verhandlungen werden schwieriger, das ist klar. Stehen und fallen wird es mit Innsbruck, dass es überlebt, und Rapid und Austria. Sagen wir, wenn wir das Glück haben noch mit Linz, wie wir angesprochen haben, Rapid und Austria, dann ist das durch. Weil, wenn die das machen, dann machen das die anderen auch. Aber wenn es immer nur Innsbruck ist und man keinen anderen großen hinzubekommt in den nächsten Jahren … das ist schon noch ein Projekt in Österreich, das steht oder fällt mit zwei, drei Vereinen. Also wenn man es schafft, dass man es bei ein paar Vereinen installiert, dann werden das die 109
anderen auch machen. Konkret arbeiten wir gerade mit [SKN] St. Pölten und Vienna, was schon einmal ein Wiener Verein wäre. Eine größere und eine kleinere Fanszene, aber man hat eine Landeshauptstadt dabei, Niederösterreich, das ist interessant. Fanarbeit St. Pölten, Fanarbeit Vienna, Fanarbeit Innsbruck, dann wäre schon einmal ein wenig Bewegung drin. Und unser Ziel ist es, in den nächsten 10 Jahren das Schritt für Schritt aufzubauen, aber es braucht die Rahmenbedingungen, sonst wird das schwierig werden. I: Abgesehen jetzt von dem Machtmittel, ob etwas finanziert wird oder nicht, wie müssten sich deiner Meinung nach die Perspektiven verschiedener Akteure rund um die Fußballfans verändern, damit das Potential des Stadions für verwaltungs- und strafrechtlichen Belange geringer wird? Welcher der Akteure müsste sich vielleicht in eine andere Richtung bewegen oder eine andere Perspektive einnehmen? G: Also, wir haben den ersten runden Tisch mit allen Akteuren, Innenministerium, Sportministerium, ÖFB hat leider wegen einem Spiel abgesagt, Bundesligavertreter waren dabei, Vertreter der Fanprojekte, auch aus der Fanszene, die noch nicht oder überhaupt nicht vorhaben eine Fanarbeit zu machen, und auch internationale Vertreter von deutschen Fanprojekte, auch die Vereinigung der Fußballer, die Fußballergewerkschaft ist dabei gewesen. Das Tolle in Österreich ist, dass die Dialogbereitschaft von allen Seiten da ist. Das Gesprächsklima war sehr positiv, also sehr angenehm, und, das große Glück, dass wir im Gegensatz zu Deutschland oder der Schweiz haben, ist, dass es momentan keinen Anlassfall gibt. Es ist niemand gezwungen, jetzt schnell-schnell irgendwelche Maßnahmen, irgendetwas machen zu müssen. Und das ist von den Vertretern auch gesagt worden, dass es eigentlich eine tolle Ausgangsposition ist, dass man sich gemeinsam etwas erarbeitet. Und zwar im Sinne vom Fußball, im Sinne von den Vereinen, der Stimmung und der Stadionbesucher. Also im Sinne, dass die Fanszenen, die Gesamtzuschauerzahlen wachsen und das die Stimmung besser wird. Da ist viel Potential in Österreich nach oben. Wenn man das als gemeinsames Ziel definiert und Akteure hat, die wissen, wie man da hinkommt, dann kann man sich das schon gemeinsam mit professioneller Fanbetreuung, mit den verschiedenen Modellen ausarbeiten. Das ist einmal eine gute Basis. Die Akteure müssen sich dahingehend ändern oder umstellen, dass sie im Fußball in Österreich sagen, wenn sie etwas investieren, dann kommt was raus. Wenn ich in eine professionelle Fanbetreuung, auch in den eigenen Fanbeauftragten, investiere und das auch so professionell ansehe wie Marketing, dann werde ich irgendwann mehr Mitglieder, mehr Zuschauer und mehr Einnahmen haben. Es ist klar, wenn ich mich um einen Teil, ein Klientel der Kunden mehr kümmere, dann kommt natürlich irgendwann einmal etwas zurück. Man muss das schon immer auch ein bisschen mit diesem Ziel verkaufen und es gibt da ähnliche Modelle von Deutschland in der 3., 4., und 5. Liga, die man mit den Zuschauerzahlen vergleichen kann. Wo in Fanbetreuung investiert worden ist, mit mehreren Fanbeauftragten der Vereine in den unteren Ligen, ohne die Fanprojekte, die gibt es da auch, aber nicht verpflichtend. Dann bin ich in ein paar Jahren von 2000 auf 7000 Zuschauer, da gibt es auch die Statistiken. Das „Ah ja, vielleicht haben wir den Aspekt in unserem ganzen Marketing-Ding zu wenig beachtet“. Ich denke, dass wir da vor allem bei den Vereinen ansetzen müssen. Der Polizei wird das mehr oder weniger egal sein. Die sind die einzigen, die nicht das Interesse verfolgen, dass sie sagen, „Für uns ist es toll, dass mehr Zuschauer sind“. Für Fanszene, Verein, Bundesliga, ÖFB, die das Ganze ja vermarkten müssen, ist das natürlich im Interesse. Und auch, dass es sicherer ist bei besserer Stimmung das ist doch toll, da spricht doch nichts dagegen. Jetzt wollte ich fast sagen, ein schönes Schlusswort, aber du hast sicher noch Fragen. I: Nein. Ich wollte auch gerade sagen, ich bin soweit am Ende mit meinen Fragen. Wenn du noch etwas anmerken möchtest, was wir vielleicht gar nicht angesprochen haben, wo du 110
meinst, dass es noch relevant wäre, was bestimmte Akteure im Profifußball betrifft, in Bezug auf Fußballfans, auf Ultras? G: Das nicht. I: Dann bedanke ich mich für das Gespräch.
111
Pressekonferenz
26. Juni 2013 zum Thema
„Sicherheit bei Sportveranstaltungen in Österreich“
1
Kooperation BM.I/ÖFB/Bundesliga Im Jahr 2007 wurde erstmals ein Kooperationsvertrag zwischen dem Bundesministerium für Inneres, dem Österreichischen Fußballbund und der Österreichischen Bundesliga abgeschlossen. Nach einer Evaluierungsphase wurde 2009 die Zusammenarbeit in einem neuen Vertrag zwischen der damaligen Innenministerin Dr. Maria Fekter, ÖFB-Präsident Dr. Leo Windtner und dem Vorstand der österreichischen Bundesliga Georg Pangl weiter intensiviert. Ziele dieses Vertrages waren vor allem die intensive Kooperation zwischen dem BM.I und der Sicherheitsbeauftragten des ÖFB und der Bundesliga (derzeit Heimo Kraus und Alexander Schwärzler), einen Ausbau der Prävention, die konsequente Umsetzung der bei der EURO 2008 bewährten „3D-Philospohie“ (Dialog – Deeskalation – Durchsetzung), der forcierte Einsatz der Szenekundigen Beamten der Polizei, sowie die Eindämmung der Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen bei Fußballspielen. Unter Beibehaltung dieser Ziele, erfolgt nunmehr die Ergänzung dieser Kooperation mit der Absicht die bisher mögliche Voraussetzungen zur Erlassung eines Stadionverbots gegen bestimmte Personen, um Anzeigen nach dem Verbotsgesetz, sowie wegen Verhetzung, im Zusammenhang mit einer Fußballgroßveranstaltung, zu erweitern. Durch diese Maßnahme, setzt das BM.I gemeinsam mit dem ÖFB und der Österreichischen Fußball-Bundesliga ein klares Zeichen, dass auch derartige Veranstaltungen keine Plattform für unsanktioniertes Verhalten dieser Art darstellen. Weiters ist beabsichtigt, dass zum Zwecke der Vereinfachung der Stadionverbotsverfahren, auf begründete Anfrage des ÖFB oder der Österreichischen Fußball-Bundesliga, auch Beweismittel (Sachbeweise oder Zeugenaussagen) durch die Sicherheitsbehörden weitergegeben werden können.
2
Statistik der Saison 2012/2013 Bei der nachfolgenden Statistik handelt es sich um eine vorläufige Auswertung der vorliegenden Sachverhalte, die der Nationalen Fußballinformationsstelle bis zum 1. Juni 2013 gemeldet wurden. Der Nationalen Fußballinformationsstelle (National Football Information Point – NFIP) wurden im Zeitraum vom Juli 2012 bis Juni 2013, von den Szenekundigen Diensten und von Nationalen Fußballinformationsstellen bzw. sonstigen Dienststellen aus ganz Europa, zu 1.490 Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz Informationen übermittelt. In dieser Statistik sind alle bekannt gewordenen Sachverhalte von Fußballveranstaltungen (Veranstaltungen der tipp3-Bundesliga powered by T-Mobile, Heute für Morgen - Erste Liga, ÖFB Samsung-Cup, Länderspiele, Champions League, Europa League, Regional- und Landesligen, Testspiele), Eishockeyveranstaltungen (Erste Bank Eishockey Liga, Eishockey Nationalliga), Wintersportveranstaltungen (FIS-Weltcupveranstaltungen Alpin und Nordisch) und Handballveranstaltungen enthalten. Bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz wurden insgesamt 3,5 Millionen Zuseher gemeldet. Mehr als ein Viertel dieser Zuseher besuchten Sportveranstaltungen in Wien (29%), gefolgt von den Bundesländern Steiermark (16%), Kärnten (12%), Oberösterreich (10%), Salzburg und Tirol (je 9%), Vorarlberg und Niederösterreich (je 6%) und Burgenland (3%). Tabelle: Besucher bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeicher Relevanz im Bundesland Burgenland
99.605
Kärnten
411.236
Niederösterreich
231.247
Oberösterreich
356.116
Salzburg
327.063
Steiermark
579.130
Tirol
327.343
Vorarlberg
208.840
Wien
1.017.216
3
Anzeigen bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz Im Beobachtungszeitraum erfolgten bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz insgesamt 1.252 Anzeigen (Nicht ident mit der Anzahl der angezeigten Personen aufgrund von teilweisen Mehrfachanzeigen; s.S.12). Davon erfolgten 350 Anzeigen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen und 902 Anzeigen wegen Verwaltungsübertretungen. Dies bedeutet, dass eine Strafanzeige auf ca. 10.100 Besucher sowie eine Verwaltungsanzeige auf ca. 3.950 Besucher kommt. Gegenüber der Vorsaison wurden somit um 27% (-461 Anzeigen) weniger Anzeigen erstattet. Gegenüber den Saisonen 2010/2011 wurden um 41% (-884) und 2009/2010 um 59% (-1.812) weniger Anzeigen erstattet. 'ƌĂĨŝŬ͗ ŶnjĞŝŐĞŶĞŶƚǁŝĐŬůƵŶŐ ƐĞŝƚ :Ƶůŝ ϮϬϬϵ
Nur 43% der Anzeigen erfolgten wegen strafbarer Handlungen in Sportstätten (541 Anzeigen; davon 170 Anzeigen in einem verordneten Sicherheitsbereich innerhalb eines Stadions). Im Umfeld der Sportstätten wurden 32% der strafbaren Handlungen angezeigt (402 Anzeigen; davon 215 Anzeigen in einem verordneten Sicherheitsbereich außerhalb eines 4
Stadions). Während der An- bzw. Abreise erfolgten 269 Anzeigen. 40 strafbare Handlungen wurden in der Bahn bzw. in einem Bahnhofbereich begangen. Nur 34% der strafbaren Handlungen (431 Anzeigen) erfolgten während der Veranstaltung. Die restlichen Anzeigen erfolgten wegen strafbarer Handlungen vor (243 Anzeigen) oder nach (352 Anzeigen) einer Veranstaltung bzw. während der An- (170 Anzeigen) oder Abreise (56 Anzeigen). Ein Viertel aller Anzeigen erfolgten bei Sportveranstaltungen in Wien (25%), gefolgt von den Bundesländern Salzburg (14%), Oberösterreich und Steiermark (je 13%), Kärnten und Tirol (je 12%), Niederösterreich (6%), Vorarlberg (3%) und Burgenland (1%). 16 strafbare Handlungen wurden bei Sportveranstaltungen im Ausland begangen. Gegenüber der Vorsaison erfolgten in Wien um 16 Anzeigen, in Tirol um 11 und in Burgenland um 6 Anzeigen mehr. In allen anderen Bundesländern ist ein Anzeigenrückgang zu verzeichnen. Tabelle: Anzeigen bei Veranstaltungen im Bundesland 09/10
10/11
11/12
12/13
13
38
6
12
135
124
242
145
57
60
103
72
Oberösterreich
529
279
250
158
Salzburg
102
89
201
176
Steiermark
347
277
309
169
Tirol
70
454
137
148
Vorarlberg
85
109
137
42
1.725
701
297
313
1
5
31
16
Burgenland Kärnten Niederösterreich
Wien Übertretungen im Ausland
83% aller strafbaren Handlungen bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz erfolgten bei Fußballspielen, wobei bei Spielen der tipp3 Bundesliga powered by T-Mobile 46% der Anzeigen, bei Spielen der Heute für Morgen Erste Liga 7% der Anzeigen, bei Regionalligaspielen 16% der Anzeigen, bei Spielen des ÖFB Samsung-Cups und bei Spielen der Österreichischen Nationalmannschaft je 2% der Anzeigen, bei Spielen in der UEFA Champions League oder UEFA Europa League 7% der Anzeigen und bei nationalen 5
Testspielen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz bzw. bei internationalen Testspielen 3% der Anzeigen erstattet wurden. Nachdem bei Spielen der tipp3 Bundesliga powered by T-Mobile (t3BLTM) die strafbaren Handlungen gegenüber den Saisonen 2009/2010 (-73%) und 2010/2011 (-47%) stark zurückgegangen sind, ist diese Zahl gegenüber dem Vorjahr in etwa gleich geblieben (+24 Anzeigen). Bei Spielen der Heute für Morgen Erste Liga (HfMEL) sind die strafbaren Handlung nach dem Höchststand in der Vorsaison (Grund dafür war in erster Linie, dass beide Linzer Vereine in dieser Liga spielten) wieder auf das Niveau der Saison 2010/2011 zurückgekehrt. Bei Europacupspielen erfolgte wie bei Spielen der t3BLTM ebenfalls ein leichter Anstieg der Anzeigen (+6 Anzeigen). Bei allen sonstigen Bewerben ist ein Rückgang der strafbaren Handlungen festzustellen. Tabelle: Anzeigen bei Veranstaltungen im Jahresvergleich 09/10
10/11
11/12
12/13
2.880
1.931
1.540
1.037
2.151
1.080
551
575
135
82
464
88
Regionalligen
75
306
316
197
Landesligen
26
19
9
1
132
68
53
30
Fußball Bundesliga Erste Liga
ÖFB-Cup Länderspiele Europacup Testspiele Fußball
Sonstige (Eishockey, Wintersport, Handball, …)
13
291
24
22
286
71
77
83
62
14
46
41
184
205
173
215
Anzeigen in der tipp3 Bundesliga powered by T-Mobile Die 575 Anzeigen bei Spielen der t3BLTM setzen sich aus 169 Anzeigen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen und 406 Verwaltungsübertretungen zusammen. 38% aller Anzeigen bei Spielen der t3TMBL erfolgten in Wien (218 Anzeigen – 159 Anzeigen bei Heimspielen von SK Rapid Wien bzw. 59 Anzeigen bei Heimspielen von FK Austria
6
Wien), gefolgt von Salzburg (118 Anzeigen bei Heimspielen von FC Red Bull Salzburg) und Steiermark (79 Anzeigen bei Heimspielen von SK Puntigamer Sturm Graz). Alleine bei den vier Wiener Derbys wurden insgesamt 89 Anzeigen erstattet. Das sind 41% der Anzeigen der insgesamt 36 Heimspiele der Wiener Großklubs. Bei Spielen in der obersten Spielklasse erfolgten pro tausend Besucher 0,468 Anzeigen. Dies bedeutet, dass eine Strafanzeige auf ca. 7.300 Besucher sowie eine Verwaltungsanzeige auf ca. 3.000 Besucher kommt. Dieser Wert ist bei Spielen in Salzburg mit 0,831 Anzeigen pro tausend Besucher am höchsten und mit 0,120 Anzeigen pro tausend Besucher im Bundesland Burgenland am niedrigsten. Pro Runde wurden durchschnittlich ca. 16 strafbare Handlungen zur Anzeige gebracht. Die nachfolgende Grafik zeigt, dass der Trend der strafbaren Handlungen bei Spielen der t3BLTM generell rückläufig ist. Grafik: Anzeigenentwicklung t3TMBL
7
Gewaltdelikte1 bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz 225 (64%) der angezeigten gerichtlich strafbaren Handlungen bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz werden Gewaltdelikten zugeordnet, wobei 87% der Gewaltdelikte bei Fußballveranstaltungen (t3TMBL 53% / HfMEL 6% / RL 9% / Cup 1% / UEFA 16% / TS 2%) und 13% der Gewaltdelikte bei sonstigen Sportveranstaltungen (Eishockey und Wintersport) verwirklicht wurden. Entgegen dem allgemeinen Trend sind Anzeigen wegen Gewaltdelikten bei Spielen der obersten Spielklasse gegenüber dem Vorjahr leicht steigend, wobei gegenüber der Saison 2010/2011 trotzdem ein deutlicher Rückgang (-47%) zu verzeichnen ist. Bei allen anderen Bewerben (Ausnahme Europacup +16 und Testspiele +4) ist eine Abnahme der Gewaltdelikte erkennbar. Tabelle: Gewaltdelikte bei Veranstaltungen 09/10
10/11
11/12
12/13
Gewaltdelikte Gesamt
313
371
286
225
Fußball
270
339
255
196
Bundesliga
125
226
102
119
Erste Liga
26
11
51
14
Regionalligen
25
49
51
20
8
0
0
0
Landesligen ÖFB-Cup
13
3
20
2
4
16
10
0
Europacup
59
33
20
36
Testspiele Fußball
10
1
1
5
Sonstige
43
32
31
29
Länderspiele
1
Berücksichtigt sind die §§ 83, 84, 85, 86, 87, 91, 105, 106, 107, 125, 126, 131, 142, 143, 169, 269, 270, 274, 281 und 283 StGB
8
In etwa vier Fünftel der angezeigten Gewaltdelikte wurden bei Sportveranstaltungen in Wien (31%), in der Steiermark (18%), in Salzburg (17%) und in Oberösterreich (13%) begangen. Tabelle: Gewaltdelikte bei Sportveranstaltungen im Bundesland 09/10
10/11
11/12
12/13
0
9
2
2
Kärnten
21
16
16
10
Niederösterreich
19
20
16
15
Oberösterreich
63
47
38
30
Salzburg
30
14
33
39
Steiermark
47
59
84
40
Burgenland
Tirol Vorarlberg Wien
5
34
11
15
19
15
18
4
109
157
68
70
Durch diese strafbaren Handlungen wurden 38 Fans, 9 Exekutivbedienstete, 16 sonstige Zuseher bzw. Unbeteiligte und 11 Ordner verletzt. Somit wurden bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz gegenüber den Vorsaisonen weniger Personen durch Fremdverschulden verletzt (2009/2010: 134 Verletzte durch Fremdverschulden; 2010/2011: 141; 2011/2012: 92). Erfreulich ist der Rückgang der Verletzten im Zusammenhang mit vorschriftswidriger Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen bei Sportveranstaltungen. Während in der Saison 2009/2010 noch 16 Personen in diesem Zusammenhang verletzt wurden, waren es in der abgelaufenen Saison 4 Personen (2010/2011: 8; 2011/2012: 5). An dieser Stelle wird auf das Inkrafttreten des Pyrotechnikgesetztes 2010 mit 01.01.2010 hingewiesen.
9
Anzeigen nach Beteiligung der Mannschaften 37% aller Anzeigen bei Sportveranstaltungen erfolgten bei Spielen mit Beteiligung der Mannschaften SK Rapid Wien (12%), FK Austria Wien (10%), FC Wacker Innsbruck (8%) und SK Puntigamer Sturm Graz (7%). Tabelle: Anzeigen bei Spielen mit Beteiligung von (einschließlich Amateurmannschaften) SK Rapid Wien
298
FK Austria Wien
255
FC Wacker Innsbruck
200
SK Puntigamer Sturm Graz
172
FC Red Bull Salzburg
147
SV Josko Ried
120
SV Austria Salzburg
108
LASK Linz
90
EC-KAC
73
RZ Pellets WAC/St. Andrä
65
EC Rekord Fenster VSV
56
Festnahmen bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz Im Beobachtungszeitraum erfolgten bei Sportveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz insgesamt 129 Festnahmen. Davon wurden nach der Strafprozessordnung 43 Fans und nach dem Verwaltungsstrafrecht 70 Fans festgenommen. 16 österreichische Fans wurden im Ausland festgenommen. Pro tausend Besucher wurden 0,036 Personen (= eine Festnahme pro 27.500 Besucher) festgenommen, wobei 87% aller Festnahmen bei Fußballspielen erfolgten. Die meisten Festnahmen erfolgten bei Spielen der tipp3 Bundesliga powered by T-Mobile (34%). Gegenüber der Vorsaison erfolgten somit um 27% weniger Festnahmen. Gegenüber der Saison 2010/2011 ist ein Rückgang von 64% und gegenüber der Saison 2009/2010 ein Zuwachs von 6% zu verzeichnen. Die meisten Festgenommenen in der abgelaufenen Saison waren Fans eines Vereines aus dem Bundesland Wien (32%; 21 Fans des FK Austria Wien, 19 Fans des SK Rapid Wien und ein Fan von UPC Vienna Capitals), gefolgt von Fans eines Vereines aus dem Bundesland Oberösterreich (12%; 7 Fans von SV Josko Ried, 5 Fans von LASK Linz und drei Fans 10
von EHC Black Wings Linz), Steiermark (8%; 9 Fans von SK Puntigamer Sturm Graz und ein Fan von GAK) und Tirol (7%; 8 Fans von FC Wacker Innsbruck und ein Fan von FC Kufstein). Mehr als zwei Drittel aller Festnahmen erfolgten bei Spielen der t3BLTM (34%) und bei Europacupspielen (33%). Tabelle: Festgenommene bei Veranstaltungen 09/10
10/11
11/12
12/13
111
334
161
112
Bundesliga
60
78
46
44
Erste Liga
21
14
45
4
Regionalligen
3
15
21
9
Landesligen
0
0
2
0
ÖFB-Cup
7
4
8
3
Länderspiele
2
211
6
3
Europacup
16
10
30
43
Testspiele
2
2
3
6
Sonstige
11
22
15
17
Fußball
Maßnahmen nach dem Sicherheitspolizeigesetz Bei Sportveranstaltungen wurden in der letzten Saison 1.590 I-Feststellungen gem. § 35 SPG und 118 Wegweisungen aus einem verordneten Sicherheitsbereich gem. § 49a SPG durchgeführt. Insgesamt wurden 137 Sicherheitsbereiche verordnet. Tabelle: Sicherheitsbereiche gem. § 49a SPG Burgenland
1
Kärnten
16
Niederösterreich
28
Oberösterreich
20
Salzburg
11
Steiermark
6
Tirol
13
Vorarlberg
25
Wien
17
11
Es wurden 40 Gefährderansprachen gem. § 49b SPG und 50 Meldeauflagen gem. § 49c SPG durchgeführt. 35 Fans wurden gem. § 57 Abs 1 Z 11a SPG in die Datei Gewalttäter Sport eingespeichert.
Angezeigte Personen In der Saison 2012/2013 wurden insgesamt 1.066 Fans wegen strafbarer Handlungen bei Sportveranstaltungen angezeigt. Es erfolgten 153 Anzeigen gegen unbekannte Täter (14%), 913 Anzeigen gegen bekannte Täter und 1 Täter war noch nicht strafmündig. Von den 913 Anzeigen gegen bekannte Täter entfielen 10% auf Jugendliche, 22% auf jugendlich Erwachsene und 68% auf Erwachsene. Ein Straffälliger war zum Zeitpunkt der Tat noch strafunmündig. Pro tausend Besucher wurden 0,300 Personen angezeigt, d.h. dass auf einen Angezeigten 3.900 Besucher kommen. Bei Fußballveranstaltungen wurden 885 Personen (83%), bei sonstigen Veranstaltungen 181 Personen (17%) angezeigt. Mehr als die Hälfte der Festnahmen (51%) erfolgten bei Spielen der tipp3 Bundesliga powered by T-Mobile angezeigt. Tabelle: Angezeigte bei Veranstaltungen 09/10
10/11
11/12
12/13
1.925
1.780
1.203
885
1.382
1.059
438
540
139
78
401
70
Regionalligen
71
226
193
130
Landesligen
21
12
5
1
Fußball Bundesliga Erste Liga
ÖFB-Cup
103
49
48
32
9
275
20
15
Europacup
143
73
66
72
Testspiele
57
8
32
25
Sonstige
148
216
139
181
Länderspiele
12
Die Anzahl der Fans, die nach einer strafbaren Handlung angezeigt wurden, ist gegenüber den Saisonen 2009/2010 und 2010/2011 beinahe um die Hälfte zurückgegangen (-49% bzw. -47%). Gegenüber der Vorsaison wurden um 21% weniger Fans angezeigt. Nachdem die Anzahl der Jugendlichen, welche angezeigt wurden, in den letzten drei Saisonen relativ stabil war (155 angezeigte Jugendliche in der Saison 2009/2010; 161 angezeigte Jugendliche in der Saison 2010/2011 bzw. 168 angezeigte Jugendliche in der Saison 2011/2012), wurden in der aktuellen Saison nur 89 Jugendliche angezeigt. Somit ist die Anzahl der Jugendlichen, die nach strafbaren Handlungen angezeigt wurden, um 79 (47%) gegenüber der Vorsaison gesunken. Auch bei jugendlichen Erwachsenen ist ein Rückgang um 25% festzustellen. Bei Spielen der der t3BLTM hingegen wurden gegenüber der Vorsaison um 102 Fans (+23%) mehr angezeigt. Trotzdem ist dieser Wert um 61% bzw. um 49% niedriger als in den Saisonen 2009/2010 bzw. 2010/2011. In etwa zwei Drittel aller Angezeigten werden einem Verein aus Wien (29%), aus der Steiermark (15%), aus Oberösterreich (13%) oder aus Kärnten (8%) zugeordnet. Auffallend ist der Rückgang der Angezeigten, die einem Verein aus Vorarlberg zugeordnet werden. Wurden in den Saisonen 2009/2010 bzw. 2010/2011 noch 71 bzw. 75 und in der Vorsaison noch 130 Vorarlberger Fans angezeigt, so waren dies heuer nur mehr 42 Fans, die angezeigt wurden, obwohl sich die Voraussetzungen (drei Vereine in der HfMEL) nicht verändert haben. Tabelle: Angezeigte Fans eines Vereines aus dem Bundesland 09/10 Burgenland
10/11
11/12
12/13
1
5
0
0
Kärnten
75
101
78
87
Niederösterreich
36
7
4
9
388
287
330
143
35
104
81
87
237
254
178
164
70
129
88
56
Oberösterreich Salzburg Steiermark Tirol Vorarlberg Wien Sonstige; Nationalteam; Ausländische Fans
71
75
130
42
1.000
570
282
308
160
464
171
170
13
62% aller Angezeigten werden den Vereinen FK Austria Wien (15%), SK Puntigamer Sturm Graz (14%), SK Rapid Wien (12%), LASK Linz (6%), SV Austria Salzburg und FC Wacker Innsbruck (je 5%) und SV Josko Ried (4%) zugeordnet. Unter oben angeführten sieben Vereinen mit den meisten angezeigten befinden sich fünf Vereine aus der t3BLTM und zwei Vereine aus Regionalligen. Tabelle: Angezeigte nach Vereinszugehörigkeit 09/10
10/11
11/12
12/13
FK Austria Wien
364
106
116
165
SK Puntigamer Sturm Graz
166
203
81
145
SK Rapid Wien
626
454
140
128
LASK Linz
239
120
224
65
SV Austria Salzburg
14
86
55
58
FC Wacker Innsbruck
68
129
86
54
SV Josko Ried
94
83
27
46
Wichtige Maßnahmen und Mittel zur weiteren Erhöhung der Sicherheit in Stadien
Handbuch Sportveranstaltungen Zur Gewährleistung von Rechtssicherheit sowie eines bundesweit einheitlichen Vollzuges der in Zusammenhang mit Sportveranstaltungen stehenden rechtlichen Vorgaben wurde im März dieses Jahres im Auftrag der Frau Bundesminister ein eigenes Handbuch gültig für Sportgroßveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz als Erlass verlautbart. Dieser fasst alle internen Rechtsakte in diesem Bereich unter Berücksichtigung der Entwicklungen der letzten Jahre zusammen und trägt so zur Rechtssicherheit und Übersichtlichkeit bei.
Der Erlass wird derzeit evaluiert. Im Sinne eines „lebendigen Dokuments“ stellen die bisher getätigten positiven Erfahrungen, die intensivierte Zusammenarbeit mit ÖFB und Bundesliga sowie die interne Optimierung eine weitere Entwicklung des Handbuchs in Aussicht. 14
„Die Welle gegen Gewalt“ Mit Saisonbeginn 2009/2010 startete das Bundesministerium für Inneres in Kooperation mit dem Österreichischen Fußballbund, der Österreichischen Fußballbundesliga sowie den Vereinen der beiden professionellen Fußballligen in Österreich ein umfassendes und integratives Präventionsmaßnahmenpaket gegen Gewalt im Fußball. Im Rahmen der „Welle gegen Gewalt“ tragen Präventionsbeamte und -beamtinnen sowie Szenekundige Beamte und Beamtinnen mit Vorträgen, Diskussionen und anderen bewusstseinsbildenden Maßnahmen (vor allem an Schulen) zur Verhinderung von Gewalttaten bei Sportveranstaltungen bei. Die von Experten erarbeiteten Inhalte sind für 13-18jährige vorgesehen und werden derzeit auf Anfrage von Schulen, Jugendzentren (v.a. im Umfeld von Bundesligavereinen bzw. größerer Fußballstadien), Vereinen und Fanclubs angeboten. In den letzten Jahren wurden in Absprache zwischen dem BM.I, der Österreichischen Bundesliga sowie dem ÖFB drei österreichweite Schwerpunktwochen durchgeführt. Die Präventionsarbeit konzentriert sich dabei primär auf Vorträge in Schulen, fallweise wurden aber auch Aktionen in und um die Stadien durchgeführt. Die Schwerpunktwochen betreffen dabei grundsätzlich sowohl die Teams der tipp3Bundesliga powered by T-Mobile-Klubs als auch die Teams der Heute für Morgen Erste Liga. Zu diesen Terminen wurden seitens der Vereine Spieler bzw. Trainer entsandt. Insgesamt wurden seit Start der Aktion im Juli 2009 fast 9.500 Schüler und Schülerinnen in über 300 Vorträgen beraten. An die 500 Beamte und Beamtinnen waren bei den Präventionsvorträgen zum Thema Gewaltprävention im Sport im Einsatz. Um in Zukunft die „Welle“ zielgerichteter anbieten zu können, wird das Projekt derzeit überarbeitet, ein Relaunch ist dabei für die kommende Spielsaison vorgesehen.
15
Tabelle Beratungsstatistik seit Projektstart – von Juli 2009 bis Mai 2013 (inkl. Schwerpunktwochen) Beratungsstatistik „Die Welle gegen Gewalt“ * seit Projektstart Juli 2009 (302 Vorträge und Beratungen, 9.413 Beratene) Beratungsstatistik Bundesland
Vorträge/Beratungen Beratene
Beamte
Wien
22
596
33
Niederösterreich
24
915
46
Oberösterreich
21
534
36
Salzburg
38
853
64
Tirol
29
911
48
Vorarlberg
14
890
20
4
86
26
Steiermark
97
2.837
129
Burgenland
53
1.791
80
Österreich
302
9.413
482
Kärnten
Quelle: Sicherheitsmonitor Mai 2013
16
Stadionverbote Zur Prüfung und Veranlassung eines Sportstättenbetretungsverbots können Sicherheitsbehörden dem ÖFB bzw. der österr. Fußball-Bundesliga personenbezogene Daten von Menschen übermitteln. Voraussetzung dafür ist, dass diese Personen im sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einer Fußballgroßveranstaltung nach einem oder mehreren der folgenden Delikte nach dem österr. Strafgesetzbuch angezeigt wurden: Körperverletzung, schwere Körperverletzung, Tätlicher Angriff auf einen Beamten, Sachbeschädigung, schwere Sachbeschädigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Raufhandel, Landfriedensbruch, sonstige Verbrechenstatbestände, sofern diese einen gefährlichen Angriff gegen Leben, Gesundheit oder Eigentum unter Anwendung von Gewalt darstellen. Ein derartiger Ausschluss von bestimmten Personen, an der Teilnahme von Fußballgroßveranstaltungen kann von den Strafsenaten im Ausmaß von 6 Monaten bis zu 10 Jahren verhängt werden. In Zukunft soll diese Möglichkeit auch bei Anzeigen gegen bestimmte Personen nach dem Verbotsgesetz, sowie wegen Verhetzung bestehen, sofern diese Delikte im sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einer Fußballgroßveranstaltung gesetzt wurden. Durch diese Maßnahme, setzt das BM.I gemeinsam mit dem ÖFB und der österr. FußballBundesliga ein klares Zeichen, dass auch derartige Veranstaltungen keine unsanktionierte Plattform für dieses menschenunwürdige Verhalten darstellen. Zusätzlich zur Datenübermittlung sollen zur Vereinfachung der Stadionsverbotsverfahren hinkünftig, auf begründete Anfrage der Bundesliga/ des ÖFB, auch Beweismittel (zB. Videou. Bildmaterial) durch die Sicherheitsbehörden weitergegeben werden können.
Interne Strukturoptimierung Mit 01. Juni 2013 wurde das Zentrum für Sportangelegenheiten des BM.I in die Einsatzreferat integriert. Mit diesem Schritt wurden die Belange der Nationalen Fußballinformationsstelle sowie die Informationsgebarung des szenekundigen Dienstes auch auf ministerieller Ebene mit dem exekutiven Einsatz fusioniert. Somit entstehen synergetische Vorteile, die eine bessere Abstimmung sowohl bei präventiven Gefährdungsanalysen als auch bei der Umsetzung
17
notwendiger polizeilicher Maßnahmen innerhalb aller beteiligten Einheiten bundesweit ermöglichen. In diesem Zusammenhang wurden bereits im Vorfeld sämtliche Einsatzleiter/ innen und Einsatzkommandanten/ innen der insgesamt 21 Veranstaltungsstätten an denen Fußballspiele der Bundeliga, der Regionalliga oder an denen Länderspiele ausgetragen werden, sowie die Leiter der Szenekundigen Dienste zu einem Vernetzungstreffen eingeladen. Der Fokus der Veranstaltung lag dabei auf dem Austausch von Best Practice Erfahrungen, sodass jedem exekutiven Vertreter die Möglichkeit geboten wurde, lokale Informationen einzubringen, aber auch erfolgserprobte Einsatztaktiken und Vorgangsweisen aus anderen Bundesländern „mit nach Hause“ nehmen konnte. Ebenso nahmen an diesem Workshop Vertreter der Bundesliga und des ÖFB teil um aus ihrer Sicht wichtige Beispiele der Zusammenarbeit zwischen Polizei und den privaten Beteiligten zum Thema Sicherheit in Stadien vorzustellen. Bereits in der auslaufenden Saison wurden einige gewonnene Potentiale aus den vorgestellten Best Practice Modellen anderer Standorte umgesetzt. Beispielsweise erfolgte die Ausweitung eines Sicherheitsbereichs um ein Fußballstadion, wurde die Anbringung von baulichen Sicherheitsvorkehrungen gefordert, oder wurden Möglichkeiten des kontrollierten Abbrennens von Bengalen geschaffen. Durch weitere Veranstaltungen wird die sukzessive Anpassung wesentlicher und erfolgreicher Vorgangsweisen im gesamten Bundesgebiet angestrebt. So sollen die Fußballstadien in Zukunft noch mehr als bisher dem Zuschauer familienfreundliche, sichere und spannende Sportveranstaltungen mit sportlich-emotionalen Choreographien der Fans bieten.
Szenekundige Beamte Die österreichische Exekutive verfügt (Status 06.06.2013) über 192 speziell ausgebildete, szenekundige Beamtinnen und Beamte (SKB), die vor, bei und nach Sportgroßveranstaltungen mit sicherheitspolizeilicher Relevanz wichtige Dienste für einen sicheren Verlauf solcher Events leisten.
18
Durch ihre Präventions-, Erhebungs-, Ermittlungs- und Aufklärungsarbeit kann gefährlichen Angriffen vorgebeugt und strafrechtlichen, sowie verwaltungsrechtlichen Übertretungen wirksam entgegengetreten werden. Ihre Informationen sind für den gesamten polizeilichen Einsatz bei Sportgroßveranstaltungen von besonderer Relevanz und kann zum friedlichen Verhalten der Fanszene ebenso beitragen, wie zum einsatztaktisch – ökonomischen Vorgehen von Polizeikräften im Anlassfall. SKB werden grundsätzlich bei allen Spielen der tipp3-Bundesliga powered by T-Mobile, der Heute für Morgen Erste Liga, bei Begegnungen der obersten Eishockeyliga und allen internationalen FIFA und UEFA-Bewerbsspielen zum Einsatz. Wenn es die polizeiliche Lage erfordert werden SKB aber auch bei Spielen von österreichischen Nationalmannschaften in anderen Sportarten sowie sonstigen Bewerbs-, Test- und Freundschaftsspielen mit oder ohne österreichische Beteiligung eingesetzt.
SKB-Ausbildung Für alle 192 MitarbeiterInnen der Szenekundigen Dienste Österreichs wird seit diesem Jahr nach Vorbild internationaler Best-Practice-Modelle nach einem von der Universität Wien gemeinsam mit der Fachabteilung im BM.I und der .SIAK entwickelten Konzept eine bundesweit standardisierte Ausbildung mit folgenden Schwerpunkten angeboten.: SKB-/Szenespezifische Themen Recht Psychologie/Konfliktmanagement Einsatzmanagement Prävention Pyrotechnik Das Projekt für diese Schulungsmaßnahme wurde vom österreichischen Förderprogramm für die Sicherheitsforschung „Kiras“ des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie gefördert. Zwischen 2013-2015 sind je vier Schulungstermine pro Jahr vorgesehen.
19
Das Ziel der Ausbildung ist die Entwicklung im internationalen Vergleich professioneller Ausund Fortbildungsstandards (Schulungsrichtlinien) für die österreichischen SKB als Grundlage für eine Optimierung des polizeilichen Einsatz- und Ressourcenmanagements. Ebenso soll eine verbesserte Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Sicherheitsgeschehen in den österreichischen Stadien erreicht werden. Vortragende an dieser Lehrveranstaltung sind jeweils Vertreter der österreichischen Fußballbundeliga, des ÖFB, sowie erfahrene Juristen, einsatzerprobte Einsatzkommandanten und Spezialisten des szenetypischen Wissens. Auch Teilnehmer aus Deutschland und der Schweiz nehmen an der Ausbildung teil und vermitteln im Gegentausch wertvolle Erfahrungen aus ihren Bereichen.
Verstärkter Einsatz von Expertenteams zur Evaluierung des exekutiven Ablaufs bei der Sicherung sensibler Sport,- insbesondere Fußballveranstaltungen Zur Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufes von sportlichen Großveranstaltungen, insbesondere von sensiblen Fußballspielen, haben die örtlich zuständigen Sicherheitsbehörden gemeinsam mit den Polizeikommanden sowie den Veranstaltern alle Maßnahmen zu setzen, welche die Sicherheit vor, während und nach derartigen Veranstaltungen gewährleisten. Um einen bundesweit einheitlichen Standard insbesondere in Bezug auf die Effektivität und Effizienz des polizeilichen Einsatzes sicherzustellen, werden verstärkt Expertengruppen eingesetzt,, die bei besonders gefahrengeneigten Ereignissen oder dort, wo neue Phänomene als polizeiliche Herausforderung entstehen, nach definierten Kriterien den gesamten Ablauf bei der polizeilichen Bewältigung sensibler Sportveranstaltungen evaluieren werden. Durch dieses begleitende Controlling und laufende Einarbeitung in die Sicherheits- und Fortbildungskonzepte sollen diese Ergebnisse zu einer Hebung und Vereinheitlichung des Qualitätsstandards des polizeilichen Handelns führen und gleichzeitig ein schnelles und effizientes System hinsichtlich des Informationsmanagements bei „Best Practice Lösungen“ aufgebaut werden.
20