Schiffe versetzen
Eine Dokumentation
Schiffe versetzen Ausgangspunkt: Eine Lust zur kreativen Begegnung
Schiff mit fantastischem Drachenkopf am Buck und einer
– unterschiedlichster Menschen und künstlerischer
Kommandobrücke für den Kapitän.
Genre. Objektbau, Bildende Kunst, Theater, Masken-
Im Schlepptau des Kapitäns schaute ein Astronom den
spiel sowie Performance treten in einen Dialog, reiben
unterschiedlichen Menschen auf dem Platz tief in die Pupille,
sich aneinander und inspirieren sich gegenseitig.
Schüchterne und Eitle wurden porträtiert und kurzerhand
Diese Idee bringt das Atelier amos, das Theater
auf die Wäscheleine gehängt. Einem Weidenbaum ent-
Chaosium und das Kunstatelier Maske Blauhaus in Tinaia
schlüpften Maskenwesen und paddelten über den Platz.
zum Gemeinschaftsprojekt Schiffe versetzen.
Rund um das fertig gestellte Schiff-Objekt verdichteten
Neben dem historischen Lutherturm und dem aus den
sich Theaterfiguren und Maskenwesen zur Abschluss-
50er Jahren stammenden Kirchenbau liegt, mitten in der
performance, untermalt von den Klangimprovisationen
Kasseler Innenstadt, der Ort der Begegnung: Auf einer
der GHW-Combo.
erhöhten Grasfläche, einer Lichtung gleich, wurden
Schiffe versetzen steht für einen kreativen Prozess mit
Holzbretter abgeladen, die Idee weiterentwickelt und
einer Vielzahl von Impulsen, Impressionen und Kinderlachen
ein wenig beachteter Platz mit Leben besetzt.
im gemeinsamen Tun. Jeder Moment ein Baustein eines
Eingeladen waren im documenta-Sommer 2007
gelungenen Integrationsprozesses. Diesen gilt es weiter zu
Menschen mit Behinderung und solche mit Psychiatrie-
entwickeln und stetig zu versetzen in den Alltag auch mit
und Psychoseerfahrung, Menschen auf ihrem Weg zur
dem Schiff, das zu wandern und zu vernetzen bereit ist.
Arbeit oder beim Einkaufen, Gäste aus der ganzen Welt, bepackt mit documenta-Katalog und Eindrücken. Aufgebrochen wurde zu neuen Erfahrungsräumen miteinander, um ein Schiff-Objekt neben den Lutherturm zu setzen. Ein Bautrupp in blauen Schiffe-versetzen-Shirts vermittelte, wie aus Draht und Holz ein Objekt entsteht. Menschen hielten auf dem Platz inne, schauten und staunten und ließen sich verlocken zu einem gemeinsamen kreativen Prozess. Bretter wurden verbunden und mit einander ins Spiel gebracht. In sechs Tagen entstand ein
Theater Chaosium
Das Theater Chaosium eröffnet kreative Frei- und Spielräume gezielt für Menschen mit und ohne Psychose- und Psychiatrieerfahrungen. Hier kommen Menschen zusammen, die sich im Alltag kaum begegnen würden. Zumindest auf der Bühne ist es gut, dass jeder so „verrückt“ und so „normal“ sein darf, wie es das Stück erfordert. Chaosium arbeitet derzeit in zwei Gruppen, die sich je einmal pro Woche für ca. drei Stunden treffen. Grundlage der Arbeit ist ein Theatertraining in den Bereichen Körper, Bewegung, Stimme, szenisches Spiel und Improvisation. Stücke werden in einer umkreisenden Suche um ein selbst gewähltes Thema bzw. im frei assoziativen Umgang mit literarischen Vorlagen entwickelt. Für die jahrelange Arbeit erhielt Theater Chaosium 2006 den Kulturförderpreis der Stadt Kassel.
SPIELFREUDE
Maske Blauhaus in Tinaia
Das Kunstatelier Maske Blauhaus in Tinaia ist ein soziokulturelles Angebot für Menschen mit und ohne Psychiatrieerfahrungen. 1989 wurde das Atelier mit dem Grundgedanken gegründet: Es sollte in dieser Gesellschaft Freiräume geben, in denen unterschiedlichste Menschen ihre künstlerischen Ausdrucksformen suchen und entfalten können. Kunst und Kultur, so die Vorstellung, sollen und wollen in ihrer ästhetischen Ausformung Teil der Alltagswelt sein. Die Arbeit ist breitenkulturell angelegt und verbindet Kulturelles mit Sozialem. Maske Blauhaus in Tinaia arbeitet in den Bereichen bildende Kunst, Skulptur, Installation, Maskenbau und Maskenspiel. Heute arbeitet das Kunstatelier in Form von SchwerpunktProjekten mit moderierender Begleitung. Geboten wird ein therapiefreier Begegnungsraum, in dem „Wilde“ und „Nichtwilde“ zusammenkommen können, um in ästhetisch definierten Projekten zu arbeiten. Dabei steht das Freisetzen von Kreativität und das Entwickeln einer individuellen, künstlerischen Handschrift im Vordergrund.
Amos
amos ist eine Begegnungsstätte für Freizeit, Kunst und Kultur im Stadtzentrum. Dort befindet sich auch das offene Atelier amos. Hier treffen sich zweimal wöchentlich Menschen mit und ohne Behinderung zur gemeinsamen künstlerischen Arbeit. Menschen in ihrem Ausdruck zu fördern, ihnen den Raum zu bieten, sie in ihrem Tun zu unterstützen, dies sind wichtige Grundsätze der Arbeit. Regelmäßige Ausstellungen und Projekte bieten die Möglichkeit zum Austausch über das künstlerische Tun. Die hier stattfindenden Gespräche auf zwischenmenschlicher Ebene fördern die Eigenständigkeit des Einzelnen und dienen der Integration in das gesellschaftliche Leben.
GESTALTEN
Die Woche vom 03.09. bis 08.08.2007
Tag 1 Trotz Regen startet der Bautrupp mit dem Bau des Objekts, sucht Schutz unter Arkaden der Lutherkirche. Kinder aus dem Kindergarten kommen neugierig und lassen sich alles genau erklären. Erste Fragmente entstehen auf dem Platz. Die Sonne kommt.
Tag 2 Kinder stürmen den Platz und bauen. Eine Grundschulklasse beteiligt sich, es gibt viel zu tun: „Ich brauche mehr Draht. Hier fehlen noch Holzlatten!“ Mancher Gast hält sich eine ganze Weile auf dem Platz auf, schaut zu, unterhält sich. Andere, gerade für zwei Tage in Kassel angekommen, bleiben am Bauplatz hängen, klinken sich ein und werden morgen wieder kommen... Es entstehen spezielle Bauteile - da eine Antenne oder sieht es aus wie ein nackter Regenschirm? Dort ein Würfel, beinahe ein Käfig mit einer versteckten XII... Wenn die Masken den Platz betreten, verändert sich die Qualität. Eine plötzliche Ruhe stellt sich ein und verzaubert den Platz.
Tag 3
Nach dem theatralischen Frühstück werden die Holzklum-
Auszüge eines Briefes von Amöbius:
pen zusammen getragen. Was zuvor wahllos aussah und
„(…) ich bedanke mich herzlich für die exzellente Bewir-
manchem Passanten die Falten in die Stirn zeichnete, wird
tung heute früh beim sonnigen Frühstücksgelage und für
ein Ganzes. Nach und nach entsteht - wir können es selbst
die ausgezeichnete Gesellschaft (…) Beklagen muss ich
kaum fassen - ein Schiff.
leider die Bestuhlung - mit Verlaub, ich habe mir ein Hühnerauge gesessen (…) Die mir allerliebsten der anwesenden
Tag 4
Damen möchte ich recht freundlichst grüßen, zuallererst
Erneut wird eine Horde von Kindern vom Bautrupp in die
das virtuose Fräulein Schmidt und die liebenswürdige
Bauweise eingewiesen und Menschen einer Freizeitgruppe
Kinderfrau, deren Namen mir unentschuldbar, entfallen
treffen sich, zum mitwirken. Passanten greifen zum Holz oder
ist…Ich bedanke mich für Ihre freundliche Einladung zum
schauen. - Der Platz ist voll - zeitweise wirkt es wie ein großer
Stapellauf am Samstagabend und hoffe, mich meinerseits
Kindergeburtstag: überall ist etwas los, die einen bauen,
dann entsprechend bedanken zu können.“
andere schaukeln, spielen, lachen, selbst die Theaterfiguren und Maskenwesen werden ausgelassen im Spiel…
Tag 5 Heute wieder eine Premiere: Die Segel werden das erste Mal gesetzt. Ein vorl채ufiger Ablaufplan f체r die Abschlussveranstaltung am n채chsten Tag erntet bereits Applaus vom spontanen Publikum, die Aufregung steigt.
Abschlussperformance
Tag 6 Heute zielt alles in Richtung Aufführung. Die gesamte Technik wird aufgebaut… viele Helfer wuseln über den Platz - Pavillons aufbauen, Scheinwerfer hängen, Kabel verlegen... Als die Gesamtgruppe um 15 Uhr zum Gruppenfoto eintrifft ist das meiste fertig... Pünktlich zum Beginn der Abschlussveranstaltung hält der Regen inne… Die SpielerInnen kommen in Fahrt und nutzen den Improvisationsfreiraum der immer wieder eingebaut ist. Die GHWCombo improvisiert den Sound zum Geschehen. Als zum Schluss die Segel gesetzt werden ist das Publikum begeistert und bedankt sich mit lang anhaltenden Applaus.
Segel setzen
Eindr체cke w채hrend der Abschlussperformance
Gefördert von: Fieseler Stiftung Diakonie Wohnstätten gGmbH Kulturamt der Stadt Kassel Künstlerische Leitung: Objektbau Atelier amos Karl Bieda Maskenperformance Maske Blauhaus in Tinaia Frank P. Kirschner Monika Schweinsberg Theaterperformance Theater Chaosium Reinhild Alber Simone Dieling Dirk Radunz Skizzen: Marcelina Krüger Fotografie: Norbert Risch Dirk Radunz Josua Kirschenlohr Korrektur: Corinna Hartmann Grafische Gestaltung: Norbert Risch Kontakt: Atelier amos Maske Blauhaus in Tinaia Theater Chaosium
Dank an:
Fieseler Stiftung
Kurt-Schumacher-Straße 2 34117 Kassel 0561. 810 48 39 Trägervereine der Kooperationspartner: Diakonie Wohnstätten gGmbH sozialtherapie Kassel | Netzwerk Theater e.V. Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Dirk Radunz