9 minute read
DIE NEUE ARBEITSWELT
Jogginghose statt Zweireiher, T-Shirt statt Bluse, Schlabberlook statt Krawatte: Im Homeoffice spielt die Kleidung eine untergeordnete Rolle – und selbst bei einer Videokonferenz muss man nur bis zur Körpermitte einigermaßen geschäftlich gekleidet sein. Lockere Kleidungsvorschriften sind aber nur ein Effekt der steigenden Popularität des Arbeitens zu Hause. „Bisher waren die Vorbehalte gegenüber Homeoffice hoch: Viele Unternehmen hatten es prinzipiell angeboten, aber nutzen durften es nur wenige“, sagt Barbara Kellner vom Beratungsunternehmen Deloitte. Oder es war erlaubt, wurde aber von Mitarbeitern wenig genutzt – aus technischen Gründen oder weil Nachteile im Job befürchtet wurden. Das hat sich drastisch geändert: Laut einer Studie von Deloitte, die gemeinsam mit den Universitäten Wien und Graz durchgeführt wurde, wird Homeoffice auch in Zukunft populär bleiben. Die große Mehrheit erwartet sogar, dass Arbeiten außerhalb des Büros stark ausgeweitet wird. Die deutsche New-Work-Expertin Inga Höltmann ist sicher: „Wir haben jetzt einen Ausblick darauf, wie wir in Zukunft arbeiten werden – nämlich flexibler und nicht mehr jeden Tag im Büro.“ Welche Auswirkungen hat das auf die Strukturen im Unternehmen? „Homeoffice bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Kontrolle“, sagt Barbara Kellner. In dieser Hinsicht müssten Unternehmen klar definieren, wo sie stehen und welche Spielregeln es gibt. Vertrauen wird überhaupt zum zentralen Schlagwort. „Führungskräfte werden mehr auf Ergebnisse statt auf reine Anwesenheit achten müssen.“ Auch Inga Höltmann meint, dass sich gerade ein neues Führungsverständnis herauskristallisiert, bei dem das Ergebnis im Vordergrund steht. Die Popularität von Homeoffice ist das Startsignal für einen grundlegenden Wandel der Arbeitswelten. Flexibles Arbeiten wird zur Norm, ein Mehr an Freiheit zur Selbstverständlichkeit, die richtige Balance zwischen Job und Freizeit noch wichtiger. Höltmann: „Neben der räumlichen Flexibilität ist auch eine zeitliche gefordert, dabei muss auf die Wünsche der Mitarbeiter Rücksicht genommen werden.“ So könne es sein, dass Vollzeitjobs nicht mehr im Mittelpunkt stehen, oder es wird Zeitkompen-
FÜHRUNGSKRÄFTE MÜSSEN AUF ERGEBNISSE STATT ANWESENHEIT ACHTEN.
Advertisement
BARBARA KELLNER, DELOITTE HUMAN CAPITAL
Barbara Kellner
berät bei Deloitte Österreich Kunden zu Personalmanagement-Themen.
Inga Höltmann,
Journalistin, KeynoteSpeakerin, Expertin für New Work und Digital Leadership.
80 %
der österreichischen Unternehmen erwarten laut einer Studie von Deloitte, Universität Wien und Universität Graz einen steigenden Einsatz von Homeoffice.
sation anstatt mehr Gehalt gefordert. Flexible Arbeitszeitmodelle und Homeoffice passen gut zusammen, wenn Unternehmen das Potenzial der Flexibilität voll ausnutzen möchten, bestätigt Kellner. Ein Trend, der übrigens nicht unbedingt auf jüngere Generationen beschränkt ist – inzwischen wird flexibles Arbeiten auch von älteren Mitarbeitern eingefordert. Dazu kommt: Bei der Suche nach Mitarbeitern spielen Angebote zum flexiblen Arbeiten eine größere Rolle; das gilt vor allem in Bereichen, in denen eine Ausweitung des Bewerbermarkts – Stichwort Fachkräftemangel – gewünscht ist.
Neue Raumkonzepte
Auch auf die Büros selbst hat das Auswirkungen. „Büros werden stärker zu Begegnungsräumen, aber Mitarbeiter sollten autonom entscheiden können, was sie möchten“, meint Inga Höltmann. Generell ist ihrer Ansicht nach das Schaffen von Begegnungs- und Austauschräumen für Unternehmen ein zentraler Punkt, aber auch auf virtueller Ebene. In Städten wie London, Paris oder auch Wien wird indes bereits mit gravierenden Auswirkungen der neuen Arbeitswelten auf den Immobilienmarkt gerechnet: Einerseits werden weiter entfernt liegende Wohngegenden für Pendler interessanter, wenn sie nur ein- oder zweimal wöchentlich ins Büro kommen müssen. Andererseits könnten Büromärkte unter Druck geraten, wenn kleinere Flächen benötigt werden. Büros, die individuell und rasch adaptiert werden können, werden stärker nachgefragt.
INGA HÖLTMANN, NEW-WORK-EXPERTIN
50 %
der Führungskräfte im deutschsprachigen Raum sind laut Umfrage von Odgers Berndtson der Meinung, dass sie im Homeoffice effizienter als im Büro arbeiten.
Martin Mathlouthi,
E-Mail-Security-Spezialist beim Cloud-Dienstleister Retarus.
David Böhm,
Geschäftsführer des Start-ups Newsadoo, des „Netflix für Fachmedien“.
UNTERNEHMEN MÜSSEN FÜR DIE NUTZUNG PRIVATER IT KLARE REGELN AUFSTELLEN.
MARTIN MATHLOUTHI, RETARUS
Ein zentraler Aspekt ist zudem die technische Ausstattung und vor allem die IT-Sicherheit im Homeoffice. Derzeit seien viele Firmen nicht ausreichend auf die Homeoffice-Situation vorbereitet, warnt Martin Mathlouthi, Product Manager Secure Email Platform beim Cloud-Dienstleister Retarus. „Mitarbeiter greifen dann aus der Not heraus auf private Endgeräte zu, die nicht genügend gegen Angreifer abgesichert sind.“ Zur Prävention empfiehlt es sich, neben der entsprechenden Hardware ein Augenmerk auf Netzwerksicherheit und die Aufklärung der Mitarbeiter zu den potenziellen Gefahren zu legen. „Unternehmen müssen dabei klare Verhaltensregeln aufstellen“, sagt Mathlouthi. Für das Arbeiten im Homeoffice bietet sein Unternehmen unter anderem E-Mail-Security-Services über die Cloud an – und zwar unabhängig vom Endgerät.
Nachrichtensammler
Ein Unternehmen, das von der steigenden Popularität vom Homeoffice profitiert, ist das Linzer Start-up Newsadoo: Es stellt mithilfe künstlicher Intelligenz aus unterschiedlichen Nachrichtenquellen für User jene Artikel zusammen, die relevant sind. Auch international hat das oberösterreichische Unternehmen, das als Netflix für (Fach-)Medien bezeichnet wird, schon viel Beachtung bekommen. Eigentlich wendet sich Newsadoo primär an Privatkunden, doch im Zuge der Coronakrise wurde eine B2BLösung entwickelt. Der Hintergrund: Die übliche Praxis in Unternehmen, Mitarbeiter via Rundlauf von Magazinen und Zeitungen mit fachspezifischen Nachrichten zu versorgen, funktioniert im Homeoffice nicht – und war schon davor mühsam. Nun haben Unternehmen erkannt, dass eine digitale Zustellung nicht nur effizienter, sondern auch günstiger sein kann. „Bei unserer Business-Lösung können Unternehmen jene Quellen auswählen, die beruflich relevant sind. Und es kann nach bestimmten Fachwörtern in Fachmedien gesucht werden“, berichtet Newsadoo-Geschäftsführer David Böhm. Das Interesse seitens der Unternehmen und auch seitens der Fachmedien sei groß, daher werde die Lösung nun ausgebaut. „Über den digitalen Zugriff die richtigen Artikel zu den richtigen Leuten zu bringen, bedeutet mehr Effizienz, weniger Kosten und einen besseren Informationsfluss.“ Das Geschäftsmodell von Newsadoo sieht eine Zusammenarbeit mit Verlagen vor. „Unsere Konkurrenten sind technologisch fortgeschrittene News-Aggregatoren wie Google News“, sagt Böhm. Das Unternehmen verdient an Abos für Premium-Content und über Werbung – dabei wird das UserVerhalten analysiert und aufgrund dieser Profile kann zielgerichtet Werbung gezeigt werden. Die Coronakrise habe das Umdenken bei den Verlagen beschleunigt. „Sie haben gesehen, dass viel mehr Traffic bei programmatischer Werbung nicht unbedingt mehr Umsatz bedeutet und dass sie sehr abhängig sind.“ ••
QR-Code scannen
und mehr über newsadoo erfahren.
Recht & Arbeit
Beim Arbeiten im Homeoffice sorgen die rechtlichen Grundlagen bisweilen für Verwirrung. So gelten Unfälle, die im Homeoffice passieren, noch bis Ende des Jahres als Arbeitsunfälle; Gewerkschaften und Arbeiterkammer drängen bereits auf eine Verlängerung dieser Bestimmung, die wegen des Corona-Lockdowns eingeführt wurde. In anderen Ländern gibt es solche Verordnungen bereits. Unsicherheit besteht bisweilen auch wegen der Arbeitszeitregelungen: Im Homeoffice gelten prinzipiell dieselben Bedingungen wie im Büro; flexible Arbeitszeiten sind zwar oft erlaubt, aber rechtlich eigentlich nicht gedeckt.
DIE KRAFT DES VERTRAUENS
Wie sieht der Arbeitsalltag von übermorgen aus? Trendforscher, Keynote-Speaker, Kolumnist und Consulter Tristan Horx analysiert im Interview die wichtigsten Entwicklungen aus Sicht der Millennials.
Interview: Stefan Schatz
Zur Person
Tristan Horx ist Junior-Futurist und vertritt die Sichtweise der jungen Trend- und Zukunftsforschung. Seine Themen kreisen um die Generationsfrage (X/Y/Z, Millennials), New Work, Individualisierung, Lebensstile und Megatrends. Er hat Kulturanthropologie studiert, schreibt Zeitungskolumnen und Bücher („Generation Global“), produziert Filme, einen Podcast mit Zukunftsmenschen (Treffpunkt Zukunft) und arbeitet im Zukunftsinstitut seines Vaters Matthias Horx mit, obendrein lehrt er als Dozent Trendforschung an der SRH Hochschule Heidelberg und an der FH Wieselburg.
Schon vor Corona geisterte „New Work“ als wichtiges Schlagwort durch die Medien. Die These: Die nächste Generation wird Unternehmen neu denken und den Arbeitsalltag revolutionieren. Aber welche Megatrends stecken hinter dem verheißungsvollen Begriff? Und welche Entwicklungen haben nach Corona noch Bestand? Junior-Futurist Tristan Horx spricht im Interview über die wichtigsten Veränderungen.
business: Wie viel werden wir übermorgen arbeiten: 60 Stunden die Woche oder nur vier Tage? Tristan Horx: Starre Arbeitszeiten wird es in Zukunft gar nicht mehr geben. Egal ob 35, 40 oder 60 Wochenstunden: Das basiert auf derselben – von der Industrialisierung geprägten – Grundidee der Anwesenheitspflicht und des kontrollierten Abdienens. Am Fließband hat dieses Modell auch perfekt funktioniert. Aber wozu Technologie und Fortschritt, die Menschen ermöglichen, sich komplexeren Aufgaben zu widmen, wenn man diese Herausforderungen in einem starr bleibenden Zeitrahmen erledigen muss? Viele Studien belegen, dass die Produktivität mit zunehmender Arbeitsdauer sinkt. Natürlich wird es aus arbeitsrechtlicher Sicht einen gesetzlichen Mindestrahmen geben. Aber der kann nicht mehr gleichzeitig für Lkw-Fahrer, Supermarktmitarbeiter oder Kreative am Computer gelten. Es kommt die Individualisierung.
business: Mit Corona kamen neue Technologien wie Zoom in den Berufsalltag. Verschwindet der physische Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen? Horx: Videoconferencing war längst im Kommen, nur die alte Anwesenheitspflicht hat den Durchbruch verhindert. Jetzt, im Homeoffice, merken wir die Grenzen dieser Technologie. Nur 15 bis 20 Prozent der menschlichen Kommunikation erfolgt verbal. Deshalb wird sich auch der Einsatz von Virtual-Reality-Brillen nur auf bestimmte, genau definierte Bereiche beschränken. Was kommen wird, ist eine neue Zeitzuteilung. Homeoffice wird bleiben, schon allein deshalb, weil es viele und lange Anreisewege erspart. Dort erledigt man alles, wobei man konzentriert und zurückgezogen arbeiten muss. Aber ein- oder zweimal die Woche wird man auch in ein Büro fahren, um sich mit anderen intensiv auszutauschen.
business: Verändert sich dadurch auch das Büro der Zukunft, also die Räumlichkeit? Horx: Die gebauten Bürostrukturen funktionieren jetzt schon nicht: Open-Office-Großraumlösungen ebenso wenig wie die kleinen EinMann-Zellen. Die Mischform mit Rückzugsorten wird wegen Homeoffice obsolet. Die Unternehmen werden also Sozialfläche aufbauen und Bürofläche reduzieren. Die Ära, wo die Belegschaft gemeinsam Zeit absitzen muss, ist vorbei und war auch dem Teambuilding nicht hilfreich. Wenn man in Hinkunft ins Büro fährt, ist man sozial gelaunt. Wenn man ungestört arbeiten will, bleibt man zu Hause. Die spannende Frage ist jene der Finanzierung von Homeoffices. Ich empfehle Unternehmen, ihre Arbeitnehmer bei der Beschaffung einer größeren Wohnung mit eigenem Arbeitsbereich zu unterstützen. Erstens, weil auch der Chef nicht will, dass die Angestellten beim Arbeiten am Bett sitzen, und zweitens, weil ein geeigneter Raum die Produktivität steigert.
business: Wie organisiert man Prozesse im Unternehmen der Zukunft, das über viele Homeoffices verteilt ist? Horx: Unternehmen sind organische Gebilde, die man mit rigiden Mustern niederzupressen versuchte. In unserer Beratung zeigt sich: Hierarchische Strukturen sind am Anfang gut, um Abläufe zu schaffen
STARRE ARBEITSZEITEN WIRD ES IN ZUKUNFT GAR NICHT MEHR GEBEN. DAS BASIERT AUF DERSELBEN – VON DER INDUSTRIALISIERUNG GEPRÄGTEN – GRUNDIDEE DER ANWESENHEITSPFLICHT.“
und die Umsatzfähigkeit zu erhöhen. Aber: Es folgt schnell ein Peak, dann wird die Hierarchie von der zunehmenden Komplexität überholt. Die Antwort darauf sind Netzwerkstrukturen, wie sie bei Global Playern schon im Entstehen sind. Nehmen Sie etwa Tesla-Gründer Elon Musk. Sein Credo in Meetings: Wenn ein Teilnehmer nach zehn Minuten merkt, dass er nichts beitragen oder lernen kann, soll er gehen. Das wäre im DACH-Raum derzeit völlig unvorstellbar. Aber auch hierzulande braucht es eine neue Form von Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ein beiderseitiges Vertrauen. Man muss nicht auf strikte Regeln pochen, wenn die Mitarbeiter merken, dass Abläufe und Strukturen Sinn haben und funktionieren und sie dadurch mehr berufliches, aber auch privates Glück haben.
business: Was wird die größte Umstellung auf dem Weg zur Arbeit der Zukunft? Horx: Alle sprechen von Digitalisierung, aber der eigentliche Sieger der Coronakrise ist die Nachhaltigkeit. Das Thema zieht sich bei großen Unternehmen wie Daimler hinkünftig durch alle Strukturen und Prozesse, BMW setzt eine ähnliche Strategie um. Wobei Nachhaltigkeit breiter gefasst wird: Einerseits beinhaltet es die ökologische Komponente mit Emissionen und Klimawandel, andererseits aber auch das Thema Resilienz. Nachhaltigkeit heißt auch, dass ein Unternehmen selbst bei einer unvorhersehbaren Störung nicht gleich untergeht, sondern möglichst lange weiterfunktioniert. Die dritte Facette ist: Man will Mitarbeiter nachhaltig im Unternehmen halten. Bisher wurde die junge Generation kritisiert, sie zeige keine Loyalität zum Arbeitgeber. Nur: Die Unternehmen haben ihnen auch keinen Anlass geboten, um loyal zu sein. Es gab kein Vertrauen, kein Verständnis für ihre Bedürfnisse. Corona hat die Karten neu gemischt, das wird jetzt anders. Deshalb meine ich: Die Schlacht um die Nachhaltigkeit ist gewonnen. ••
QR-Code scannen
und dem Zukunftsinstitut von Tristan Horx auf LinkedIn folgen.