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LOGISTIK AUF DEM PRÜFSTAND
JÖRG SCHEITHAUER, CFO TGW LOGISTICS GROUP
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ALEXANDER KAINER, PARTNER DER UNTERNEHMENSBERATUNG DELOITTE ÖSTERREICH
Durch die Corona-Pandemie sind viele Transport- und Logistikunternehmen im Krisenmodus. Die Frage ist, wie schnell sich die Branche erholen kann.“ Die Suche nach probaten Antworten auf die Analyse von Ingo Bauer, Spezialist der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland, beschäftigt viele Führungskräfte. Die Bruttowertschöpfung im europäischen Frachtverkehr und in der Logistik wird laut einer Szenarioanalyse von PwC um 8,6 Prozent einbrechen – bei nur langsamer Regeneration. Auf den ersten Blick scheint nichts mehr wie früher zu sein. Sogar das Image des gepriesenen Business-Wundermittels Globalisierung hat angesichts der viralen Wucht leichte Kratzer abbekommen. Schon macht der Ruf nach mehr Regionalisierung als Prophylaxe gegen Alarmfälle aller Art die Runde. In den USA etwa wächst die Zahl von Micro-Fulfillment-Centern. Dabei werden stationäre Geschäfte ums Eck einfach zu Logistikzentren erweitert. So können Retailer ihre Produkte sogar dann online verkaufen, wenn Transportfahrzeuge krisenbedingt stillstehen.
Flexibilität und Sicherheit
Derartige Initiativen sind letztendlich aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Aus für weltweite Supply-Chains dürfte ohnehin nicht in Sicht sein. „Die Logistikvolumina nehmen generell zu. Allerdings steigt die Volatilität am Markt, während mehr Ansprüche an Flexibilität und Sicherheit gestellt werden. Solche Erwartungen können nur höchst effiziente Liefernetzwerke erfüllen. Deshalb ist mit einer Branchenkonzentration und einem starken Wachstum globaler Player zu rechnen“, sagt Alexander Kainer, Partner der Unternehmensberatung Deloitte Österreich. Zudem brauche es mehr Innovationsgeist. Realistisch ist eine Zweigleisigkeit als Reaktion auf die aktuellen Erfahrungen. „Es wird beides geben: noch stärkere Globalisierung und gleichzeitig den Trend zur Regionalisierung. Wir erwarten, dass die Stadt der Zukunft vor großen Veränderungen steht und sich auch die Einkaufsgewohnheiten wandeln werden. Vernetzte Lösungen spielen dabei eine zentrale Rolle. Nicht nur beim Bestellvorgang via Smartphone, auch in der Intralogistik“, sagt Jörg Scheithauer, CFO der TGW Logistics Group.
Stresstest im Web
An logistischen Herausforderungen knabbert auch der Onlinehandel. Hier warten sogar Mammutaufgaben, seit die Pandemie dem virusfreien E-Commerce ungeahnten Aufwind beschert hat. Laut der Technologiefirma Detail Online ist der Anteil von Nutzern, die 50 Prozent oder mehr ihrer Käufe via Netz tätigen, in Frankreich, Großbritannien und Deutschland signifikant gewachsen. Die Anzahl jener Verbraucher, die über die Hälfte ihrer Waren digital ordern, ist seit Krisenbeginn um bis zu 80 Prozent gestiegen. Der heimische Handelsverband wiederum ortet auch in Österreich eine stärkere Ausbreitung des E-Shoppings. Was etablierten Onlineshop-Betreibern Schweiß auf die Stirn treibt. Denn: Ihre Logistik ist schon durch Corona an Belastungsgrenzen gestoßen. Bestes Beispiel ist tectake. Das Unternehmen vertreibt ein breites Sortiment von Gartenmöbeln über Tierbedarf bis zu elektronischen Haushaltshelfern über Onlineshops in ganz Europa via Internet. Die Corona-Pandemie ließ die Nachfrage fast über Nacht explodieren – und auch die logistischen Probleme. In Italien etwa verhinderten Covid-Sperrzonen plötzlich die Paketzustellungen. Gefragt waren deshalb prompte Reaktionen wie Liefersperren oder die Verständigung wartender Kunden. Was den Druck jedoch kaum reduzierte. „Durch die Lockdowns in immer mehr Ländern hat der Absatz deutlich zugenommen. Unsere Lager stan
PETRA DOBROCKA, CO-GRÜNDERIN BYRD TECHNOLOGIES GMBH
DURCH DIE CORONA-PANDEMIE SIND VIELE UNTERNEHMEN AUS TRANSPORT UND LOGISTIK IM KRISENMODUS.
INGO BAUER, LEITER TRANSPORT UND LOGISTIK BEI PWC DEUTSCHLAND
den aber nicht nur vor dem Problem, wie sie die schiere Masse an Paketsendungen überhaupt noch bewältigen können. Es ging gleichzeitig um die in großer Zahl eintreffenden neuen Produkte, die entladen, verräumt und in den Warenbestand eingebucht werden mussten“, erinnert sich tectake-Geschäftsführer Roland Kemmer. Der Stresstest für E-Commerce-Logistik wird wohl noch geraume Zeit anhalten. „Es gab Engpässe bei Versandfirmen und in Logistikzentren, verstärkt durch Corona-Sicherheitsvorkehrungen. Für den Onlinehandel ist in der zweiten Jahreshälfte, besonders vor Weihnachten, noch ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr zu erwarten. Deshalb sind Lösungen gefragt, die in Krisenzeiten schnell skalierbar und widerstandsfähig sind“, betont Petra Dobrocka, Co-Gründerin von byrd. Für die tägliche Praxis hinter solchen Ansprüchen offeriert ihr Start-up ein internationales virtuelles Logistiknetzwerk und verbindet als Plattform Händler mit Logistikdienstleistern. In Hinblick auf den dezentralen Ansatz mit Lagerung in verschiedenen Ländern verspricht byrd eine Variante, die auch im Ernstfall nicht in die Knie geht. Nicht einmal durch mögliche Restriktionen beim internationalen Paketversand, wecken die byrd-Gründer Hoffnungen auf resiliente Netzwerke.
Wachstumstreiber E-Commerce
Reibungslose Abläufe, speziell auf der letzten Meile zum Kunden, werden auch nötig sein angesichts der Popularität digitaler Shoppingzentren. Auch TGW-CFO Scheithauer rüstet sich für den Ansturm im Netz: „E-Commerce ist ein klarer Wachstumstreiber. Der Trend zeichnet sich quer durch alle Bereiche ab, in einigen Branchen besonders intensiv. Corona hat die Entwicklung weiter beschleunigt. Viele Kunden haben die Vorteile einer Onlinebestellung schätzen gelernt und nutzen diese Möglichkeit auch in Zukunft. Mit hoch automatisierten Systemen versetzen wir unsere Kunden in die Lage, flexible Lösungen anzubieten. Für den E-Commerce ebenso wie für klassisches Filialgeschäft.“ Scheithauer bringt den jüngsten Großauftrag als illustratives Beispiel: TGW wurde von der Lifestyle-Fashion-Kette Urban Outfitters mit der Errichtung einer Lösung für ihr britisches Distributionszentrum beauftragt. Als Herzstück konzipierten die Marchtrenker Intralogistik-Spezialisten ein „FlashPick“-System zur vollautomatischen Einzelstück-Kommissionierung. Gleich beim Wareneingang wird dabei der Inhalt sämtlicher eintreffenden Kartons in Behälter umgeladen und in ein automatisches Kleinteilelager eingelagert. Letzteres versorgt das Shuttle-System mit Nachschub. Von dort kommen die Bestellungen zu 15 HochleistungsGoods-to-Person-Arbeitsplätzen und anschließend zur Verpackung bzw. in den Versand. Die einzelnen Bereiche der Anlage sind mit energieeffizienter Fördertechnik verbunden, der von TGW selbst entwickelte smarte und selbstlernende Pickroboter namens „Rovolution“ hilft dabei, die richtigen Stücke an die Bestelladresse zu versenden. Das TGW Warehouse Control System sorgt dafür, dass nichts schiefgeht. Und dass die Logistik in Zukunft auch bei außergewöhnlichen Situationen reibungslos funktioniert. ••
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und einen weiterführenden Artikel über die Auswirkungen der Coronakrise auf Fernfahrer lesen.
Die oberösterreichische Softwareschmiede FireStart hat kürzlich vier Millionen Euro von Investoren lukriert. Die Prozessautomatisierer machen repetitive Arbeitsschritte obsolet und nebenbei einen großen Schritt Richtung Technologie-Olymp.
Text: Susi Mayer
OB DU IN ÖSTERREICH DER BESTE BIST, INTERESSIERT NIEMANDEN. OB DU IN DEN USA MIT DEN GROSSEN MITSCHWIMMEN KANNST – DAS IST DER GRADMESSER.
ROBERT HUTTER, CEO FIRESTART
Was haben Manner-Schnitten, Premium-Motorräder von KTM und das Finanzamt auf den Bermudas gemeinsam? Sie alle wollen hinter den Kulissen nichts dem Zufall und dem manuellen Aufwand überlassen und arbeiten daher mit Prozessautomatisierung. Und sie alle schwören dabei auf die Firma eines Oberösterreichers: FireStart. Auf die Frage, wieso gerade die Coronakrise Unternehmen wie FireStart Auftrieb gibt, meint Mitgründer und CEO Robert Hutter: „In einer Zeit, in der Ressourcen plötzlich knapp werden, weil Menschen nicht mehr physisch anwesend sind, denken immer mehr Unternehmen über Prozessautomatisierung nach. Was früher ein Nice-to-have war, wird aufgrund der Krise überlebenswichtig.“ Das Ziel der FireStart-Plattform: „Sinnlose Tätigkeiten abschaffen, um jenen Arbeiten Raum zu geben, die Wertschöpfung kreieren.“ Prozessautomatisierung: klingt trocken, IT-lastig und irgendwie komplex. Dabei ist der Einsatzbereich von FireStarts BPM Suite (Business Process Management) faszinierend. Vom ersten „Hallo“ beim Portier bis zur Arbeitsfähigkeit am fertig konfigurierten Laptop mit allen Zugangsberechtigungen – FireStart automatisiert das Onboarding neuer Mitarbeiter genauso wie Logistikprozesse oder Rechnungserstellung. Dahinter steckt ein einfach zu konfigurierendes System, das „jeder Mitarbeiter ohne tiefgreifende IT-Kenntnisse bedienen kann. Es ist stabil, emotionsfrei und braucht keine Pausen“, so Hutter. Das bedeutet: kein Programmieraufwand, keine Abhängigkeiten von IT-Dienstleistern, dafür einfache Anwendungen über ein benutzerfreundliches Interface und saubere Datenverarbeitung. Prozesse, die vorher nur in den Köpfen der Mitarbeiter existiert haben, werden so vor den Vorhang geholt und mit Leben erfüllt. Was das bringt? Viel Zeit-/Kostenersparnis und unternehmerische Agilität.
Internationales Denken
Der bodenständige Linzer ist eine interessante Mischung. Ehrgeizig und selbstbewusst erzählt er über die ausgereiften firmeneigenen Produkte und Österreich als Technologieland, das sich international nicht zu verstecken brauche. Gleichzeitig zeigt er sich besonnen und hat ein Gefühl für Taktik und Kalkül. Schon 2011 hat die Raiffeisenlandesbank OÖ an sein Potenzial geglaubt, die damals als erster Investor mit ihrer Raiffeisen KMU Beteiligungs AG als Gesellschafter bei FireStart eingestiegen ist. Jetzt lukrierte FireStart soeben weitere Investitionen von vier Millionen Euro. Und diese werden proaktiv in Wachstum investiert: in internationalen Personalaufbau, um das weltweite Business Development voranzutreiben, und in einen Produktgenerationssprung, der noch heuer über die Bühne gehen soll. Denn: Neue Entwicklungen im Bereich Enterprise-Software sollten international gedacht werden. Wer Erfolg haben will, muss den Blick aufs Ausland und den US-Markt richten. Hutter: „Ob du in Österreich der beste Anbieter bist, interessiert niemanden. Aber ob du in den USA mit den Großen mitschwimmen kannst – das ist ein wichtiger Gradmesser.“ Zudem sei die Anstrengung, sich in Österreich zu etablieren, oft genauso groß, wie sich am internationalen Markt zu behaupten.
Rakete mit Startschwierigkeiten
Heute steht FireStart mit seinen 50 Mitarbeitern gut da: Series-A-Finanzierung in der Tasche, ein ausgereiftes Produkt, ein Firmensitz an der Wallstreet. Doch der Weg war steinig. FireStart startete in der Wirt
VON LINZ AN DIE WALLSTREET
schaftskrise 2008. Budgets wurden gestrichen, Finanzierungsrunden abgeblasen: Die Ausgangssituation für einen Launch war denkbar schlecht. Auch die Folgejahre haben CEO Hutter viel abverlangt. Persönliche Haftungen und der Kampf an vorderster Front setzen nicht nur unternehmerische und psychische Standhaftigkeit voraus, sondern auch großes Vertrauen in Team und Produkte des Unternehmens. Zudem entwickelt sich die Branche der Software- und Prozessautomatisierung rasend schnell. Alles ist in Bewegung, ständig tauchen neue Konkurrenten auf, verbünden sich, gehen wieder eigene Wege. Der Markt ist hart umkämpft. Deshalb weiß Hutter: „Unternehmerischer Erfolg ist, wenn du dem Mitbewerb nicht mehr egal bist.“ Der Oberösterreicher vergleicht die Branche mit einer Mischung aus dem Strategiespiel „Risiko“ und der opulenten Serie „Game of Thrones“. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, es gibt viel Drama und Machtkämpfe und am Ende gewinnt der, der am besten taktiert und sich mit den Richtigen verbündet. Happy End? Nicht immer garantiert. Aber FireStart hat die besten Voraussetzungen dafür. ••
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