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GESUNDE DIGITALISIERUNG

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NEUER STANDORT

NEUER STANDORT

DER DIGITALE PATIENT

Digitale Technologien bringen der Gesundheitsbranche einen enormen Schub – vor allem Startups überzeugen mit innovativen Ansätzen und wecken Interesse bei Versicherungen und anderen etablierten Playern der Gesundheitsbranche.

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Text: Robert Prazak • Foto: Getty Images / iStockphoto

Gesundheitsversorgung, aber digital: Das Rezept liegt in elektronischer Form bereits in der Apotheke, der Patient muss dafür nicht extra zum Hausarzt. In mehreren Bundesländern werden Herzpatienten über telemedizinische Programme daheim betreut bzw. überwacht, was das Risiko eines erneuten Krankenhausaufenthalts senkt. Und der elektronische Impfpass war und ist im Zuge der Coronakrise ohnehin ein ständiger Begleiter. Die Digitalisierung der Gesundheitsdienste hat durch Corona einen Schub bekommen, denn damit wurden die Vorzüge von Telemedizin und Co. offensichtlich. Schon davor waren die Möglichkeiten von E-Health unübersehbar. Die Technologien dafür – sowohl Hardware als auch Software – sind längst vorhanden, bisher waren es vor allem finanzielle und rechtliche Hürden, die eine noch zügigere Entwicklung einschränkten. Das ändert sich: E-Health ist ein riesiger Wachstumsmarkt. Von den Gesundheitsapps am Handy über die Auswertung wichtiger Informationen mit Big Data bis zur Betreuung von Menschen in abgelegenen Regionen gibt es viele Chancen.

Digitale Wachstumskaiser gesucht

Aktiv ist in dieser Hinsicht beispielsweise Uniqa Ventures, das ist die Risikokapitalgesellschaft der Uniqa Gruppe. Zu deren inhaltlichen Schwerpunkten zählt der Bereich Digital Health, so wurde unter anderem in internationale Unternehmen wie Telemedico, Second Nature oder Bestdoctor investiert. Uniqa Ventures verfügt über ein Investitionsvolumen von 150 Millionen Euro; die CEE-Region steht dabei im Fokus. „Wir suchen europäische Wachstumsunternehmen mit Jahresumsätzen von zumindest einer Million Euro, denen ein digitales Geschäftsmodell zugrunde liegt“, erläutert Investmentmanager Niko Wrabetz. Im Gesundheitsbereich gehe es oftmals um Software-as-a-Service-Lösungen für die wichtigen B2B-Player wie Versicherungen und Krankenhäuser. „Es kommen aber auch Unternehmen, die sich direkt an den Konsumenten und Patienten wenden, für uns in Frage.“ Schwerpunkte sind Start-ups,

DIE BEREITS BEACHTLICHEN INVESTITIONEN IN START-UPS WERDEN SICH ERHÖHEN.

NIKO WRABETZ, UNIQA VENTURES

Niko Wrabetz

Investmentmanager bei Uniqa Ventures, der Risikokapitalgruppe der Uniqa.

Michael Schiemer

Geschäftsführer der Lica Life Care GmbH: hilft Pflegeneulingen mit einer App. die sich mit mentaler Gesundheit beschäftigen und ein gutes Verständnis von Employer-Benefits-Programmen haben. Denn Wrabetz sieht Interesse von Unternehmen, ihren Mitarbeitern „digital und effizient zu einer besseren Gesundheit zu verhelfen“. Der Markt werde jedenfalls weiter wachsen. „Die bereits jetzt beachtlichen Investmentvolumina werden sich erhöhen.“

Digitale Pflegebegleiter

An Innovationen und jungen Firmen mangelt es nicht, nun wird es wichtig sein, wie diese zu bestehenden, teils recht traditionellen Anwendungen passen und wie ein multidisziplinäres Versorgungssystem entstehen kann. Denn die Vorteile von Digitalisierung und Vernetzung liegen auf der Hand, wie etwa auch das junge oberösterreichische Unternehmen Lica beweist, das eine Webapplikation gleichen Namens entwickelt hat. Diese ist für pflegende Angehörige gedacht, die die Basisversion kostenlos nutzen können. Lica-Chef Michael Schiemer verweist auf die Hintergründe: „Menschen rutschen von heute auf morgen und völlig unvorbereitet in die Pflege von Angehörigen hinein. Und die Frage, wer uns betreuen wird, betrifft jeden von uns.“ Die Idee von Lica: einen digitalen Begleiter für solche Laien-Betreuer anbieten, damit diese anhand strukturierter Dokumentation „in die Beobachtungsphase der Betreuung kommen“, wie Schiemer erklärt. „Es handelt sich oft ja nicht um Profis, die schleichend oder plötzlich die Pflege und Betreuung von Angehörigen übernehmen.“ Die App stellt dann Fragen, etwa zur Ernährung oder zur geistigen Verfassung. In weiterer Folge erhalten die Betreuer Tipps, die von Fachkräften erstellt wurden. „Damit unterstützen wir den Laien, die Betreuung zu Hause so lange und qualitativ wie möglich durchzuführen. Somit muss der Laie selbst nicht aktiv im Internet ungesichert nach Informationen googeln.“ Professionelle Betreuung werde indes nicht überflüssig. „Wir beginnen, die Pflege und Betreuung digital zu begleiten, wenn von professioneller Betreuung noch gar keine Rede ist – somit trägt Lica zur Prävention bei!“ Die App empfiehlt dann etwa auch, wenn Kontakt zu Profis wie Gemeindeschwestern, Ergotherapeuten, Diätologen oder Ärzten aufgenommen werden soll. Derzeit verzeichnet Lica rund 100 bis 150 Downloads pro Woche, heuer sollen es insgesamt 10.000 werden. Das Geschäftsmodell sieht vor, dass Sozialversicherungsträger einen Teil der Kosten übernehmen könnten, weitere Möglichkeiten sind personalisierte Werbung bzw. eine kostenpflichtige Variante, die um 20 Euro monatlich etwa von Agenturen genutzt werden kann.

Nachhaltige Rehabilitation

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz digitaler Technologien ist die Zusammenarbeit zwischen dem Berliner Start-up Caspar Health und der auf ambulante Rehabilitation spezialisierten ZAR Nanz medico. Mit dieser wurde die Rehabilitation um Digitalangebote erweitert. Gerd Linke, leitender Therapeut im Zentrum für ambulante Rehabilitation (ZAR) in Friedrichshafen, erinnert sich an die ersten Anläufe: „Bild und Ton in einer App als Anleitung zum Training anstelle von Stift und Papier für unsere Patienten, das klang gut. Doch einige Filme ruckelten und es war anfangs

DIGITALE BEGLEITUNG STARTET LANGE VOR DER PROFESSIONELLEN PFLEGE.

MICHAEL SCHIEMER, LICA LIFE CARE

Gerd Linke

Therapeut im Zentrum für ambulante Rehabilitation Friedrichshafen.

Max Michels

CEO Caspar Health: leitete selbst eine Rehaklinik in Deutschland.

DIE AKZEPTANZ DIGITALER ANWENDUNGEN IST BEI PATIENTEN GESTIEGEN.

GERD LINKE, ZAR FRIEDRICHSHAFEN

REHAPATIENTEN KONNTEN DAS GELERNTE OFT NICHT IN DEN ALLTAG INTEGRIEREN.

MAX MICHELS, CEO CASPAR HEALTH

Rehabilitation sowie die Nachsorge zugänglicher machen – auf evidenzbasierter Grundlage und in Partnerschaft mit immer mehr Rehakliniken. Anfangs wurden solche Angebote kritisch beäugt, doch seit Anfang dieses Jahres gibt es mit der unbefristeten Anerkennung der multimodalen Tele-Reha-Nachsorge durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Rückenwind; die digitale Nachsorge von Caspar Health zählt damit in Deutschland zur Regelversorgung. Auch das gesellschaftliche Klima habe sich geändert, ergänzt ZAR-Therapeut Linke: „Die Akzeptanz für wirklich sinnvolle digitale Anwendungen ist quer durch alle Alters- und Patientengruppen gestiegen.“ Auch ältere Menschen würden es inzwischen toll finden, was sie mit ihrem Handy alles machen können. In seiner Rehaeinrichtung werden Trainingspläne für die Patienten weiterhin individuell zusammengestellt – inzwischen aber auf Basis vorkonfigurierter Musterpläne und mit der Möglichkeit, auf eine umfangreiche Bibliothek an Inhalten zuzugreifen: Mehr als tausend Module stehen zur Verfügung. ••

ziemlich mühsam, die Trainingspläne einzustellen.“ Die Kinderkrankheiten sind überwunden. Patienten, die in den deutschlandweiten Rehazentren betreut werden, können die Therapie-App begleitend zu ihrer Rehabilitation nutzen. Eine Einführung erhalten sie gleich mit der Aufnahme in die Rehabilitation. So sind sie, wenn sich an die eigentliche Rehabilitation eine Nachsorge mit digitaler Unterstützung anschließen sollte, bereits auf dieses eigenständige Training vorbereitet. Das Nachsorgeprogramm wird im Anschluss an die Rehabilitation berufsbegleitend ein- bis zweimal wöchentlich durchgeführt. „Aufgrund langer Anfahrtswege oder der beruflichen Situation können viele Patienten das Nachsorgeprogramm jedoch nicht nutzen. In diesen Fällen ist die digitale Rehanachsorge per App optimal“, erläutert Linke.

Digitale Lösung baut Zugangshürden ab

Die digitale Fortsetzung der klassischen Rehabilitation hat sich für die Rehazentren der Nanz medico zu einem eigenen Angebotsfeld entwickelt: In der Tele-Therapie Klinik (TTK) werden die digitalen Angebote gebündelt. Von dieser werden hauptsächlich Patienten in der Tele-RehaNachsorge betreut – eben auf Basis der Software von Caspar Health. Damit kann die Unternehmensgruppe die Nachsorgequote verbessern und auch Patienten versorgen, die mangels Zeit oder Nähe zum Rehazentrum sonst auf das Nachsorgeprogramm verzichten müssten. Eine höhere Nachsorgequote hat positive Auswirkungen: Mit jeder erfolgreich absolvierten Nachsorge steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die in der Therapie erreichten Verbesserungen dauerhaft in Alltag und Beruf gesichert werden können. Dass sich das Start-up Caspar Health aktiv an der Unterstützung der Nachsorgeangebote beteiligt, hängt auch mit der Biografie des Gründers zusammen: „Als Geschäftsführer einer Rehabilitationsklinik habe ich früher selbst immer wieder erlebt, wie schwer es den Patienten gefallen ist, im Anschluss an die Rehabilitation das Gelernte dauerhaft in den Alltag zu integrieren“, erzählt CEO Max Michels. Mit einem zeit- und ortsunabhängigen Angebot will sein Unternehmen nun die

Kostendruck

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Österreich könnte den Kostendruck senken: Laut einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey aus dem Vorjahr können jährlich bis zu 4,7 Milliarden Euro eingespart werden. Dabei wurden sechs Bereiche definiert, in denen digitale Technologien konkret etwas für Patienten bringen und zugleich Kosten senken: Das größte Sparpotenzial bieten demnach Online Interaktionen wie telemedizinische Beratung, außerdem sind Umstellung auf papierlose Datenverarbeitung, Automatisierung von Abläufen wie Medikamentengabe wichtig. Weiters werden Unterstützung bei wichtigen Entscheidungen, Selbstbehandlung der Patienten durch digitale Tools sowie SelfserviceDienste für Patienten – etwa für Terminvereinbarungen – genannt.

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