#160 | OKTOBER 2018
»THEMA
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LIEDER TOTMACHEN Gedanken über den Umgang mit problematischen Songzeilen in alten Hits und was wir daraus lernen können Auf Reissues fehlen plötzlich Lieder und an Konzerten werden Hits nicht mehr gespielt – Selbstzensur scheint hoch im Trend zu stehen. Was passiert hier eigentlich? von Luisa Bider
«Immigranten und Schwuchteln, die machen für mich keinen Sinn» – Was nach einer Parole rechter Hetze klingt, ist in Wahrheit eine Zeile aus dem Guns N’ Roses Song «One In A Million» von 1988. Die Band scheint aber mittlerweile – 30 Jahre nach Erscheinen des Tracks – ihre Meinung geändert zu haben und hat den Song mit dem rassistischen und homophoben Text aus dem Liederkatalog ihres Reissues «Appetite For Destruction» gelöscht. Ist das Problem damit gelöst? Nein. Fast so fragwürdig wie einen Song mit menschenverachtenden Inhalten zu veröffentlichen, ist es nämlich, ihn stillzuschweigen und sich als vermeintliche Gutmenschen darzustellen. Oder? Schon als «One in A Million» Ende der Achtziger als achter Track auf dem Guns N Roses-Album «G N’ R Lies» erschien, löste er eine Welle der Empörung aus. Damals hatten die Bandkollegen von Axl Rose eigentlich versucht, im Vorfeld den Song von der Scheibe zu streichen – vergeblich. Besonders für Slash, dessen Mutter als Schwarze mit dem «N»-Wort im Songtext persönlich angegriffen wurde, war der Titel ungern gesehen. «Ich habe den Song nicht wirklich gebilligt, aber auch Axl Rose nicht weiter deswegen verurteilt», sagte Slash 1992 in einem Interview mit dem Rolling Stone Magazine. Guns N’ Roses wappneten sich mit einer Vorab-Entschuldigung auf dem Album-Cover: «Dieser Song ist sehr simpel und generalisiert, meine Entschuldigung an alle, die uns diesen Song übelnehmen», stand da. «Sorry, dass ich jetzt gleich was unglaublich Menschenverachtendes sagen wer-
de», quasi. Es klingt vielmehr nach: «Ich sag’s aber trotzdem, und hoffe sogar, damit Geld zu verdienen und das Gesagte an zig tausend andere weiterzugeben.» Soweit, so fragwürdig Spätestens als 1992 Ian Stuart Donaldson von der Neo-Nazi-Band Skrewdriver den Song auf seinem Album «Patriotric Ballads» coverte, konnte man wirklich nicht mehr so tun, als würde der Song nicht auch so etwas wie Rassismus vermitteln. Was würde sonst eine rechtsradikale Band dazu veranlassen? 1992 äusserte sich Axl Rose zum letzten Mal öffentlich zum Titel und sagte, dass er zwar den Song nicht bereue, aber, was sie als Band deswegen durchmachen mussten. Für ihn sei es primär ein Weg gewesen, seine Wut über gewisse Situationen, in denen er sich sehr verletzlich gefühlt habe, zu äussern. Wieso dass das gerade die ganze Welt mitbekommen musste, ist eine andere Frage. Wenn er den Song nicht bereut, wieso ist er dann plötzlich auf dem «Appetite for Destruction»-Reissue verschwunden? War es ein äusserer Druck, der durch die aktuellen MeToo-Debatten und Sensibilisierungen entstanden ist? Haben Guns N’ Roses entschieden, dass sie in Zeiten von Trump und dem Erfolg rechter Parteien auf der ganzen Welt doch nicht mehr mit rassistischen Texten ihr Geld verdienen möchten? Oder geht es ihnen genau darum, mehr Geld zu verdienen, weil wir in Zeiten leben, in