MEDI A COVERAGE 2014 DI E TAGESZEI TUNG
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MONTAG, 10. MÄRZ 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG
Die Würde der Ermordeten
VON BRIGITTE WERNEBURG
War Rem Koolhaas erleichtert, wieder eine Baustelle in Europa zu haben? Nicht nur, weil mit der Fertigstellung seiner vertikalen Stadt im alten Hafen von Rotterdam ein Projekt endlich zum Abschluss kam, das aus dem fernen Jahr 1996 stammte? Es könnte so sein. Denn in Rotterdam dankt man den portugiesischen Bauarbeitern, weil sie mehr als drei Jahre, weit entfernt von ihrer Heimat, geholfen haben, De Rotterdam – wie das Gebäude in Erinnerung an ein berühmtes Schiff heißt – zu bauen. In Dubai, Beijing oder Moskau, wo Rem Koolhaas auch Baustellen unterhält oder unterhielt, ist derartiges unvorstellbar. Von dortigen Baustellen werden Arbeitsunfälle mit Todesfolge oder unversicherter Invalidität kolportiert und Ausbeutung und Lohndiebstahl kritisiert. Weil wir es also – auch wenn es erst einmal nur überheblich klingt – besser machen als der Rest der Welt, ist es okay, wenn der niederländische Fotograf Ruud Sies mit seinem Fotoband „Building The Rotterdam“ die Baustelle als Schauplatz männlichen Heroismus feiert. Sein vornehmlich mit Schwarz-Weiß-Fotografien ausgestattetes, großformatiges Bilderbuch zeigt, dass auch eine Stahlbeton-Konstruktion im 21. Jahrhundert von den Arbeitern noch immer Muskelkraft und Artistik, harten körperlichen Einsatz, Trittsicherheit, handwerkliches Können, Ideenreichtum und Genauigkeit verlangt. Dass ausschließlich Männer am Werk sind, das gibt es nicht einmal mehr beim Militär. Erst ganz am Ende, wenn gefeiert, getanzt und den portugiesischen Bauarbeitern gedankt wird, kommen auch ein paar Frauen ins Bild. Mit ihrer Dramatik in schwindelnder Höhe erinnern Ruud Sies’ Bilder an die des berühmten New Yorker Fotografen Lewis Hine, der 1930 den Bau des Empire State Buildings fotografisch begleitete. Faszinierend und irritierend zugleich ist es zu sehen, wie bestimmte, oft gefährliche Arbeiten auch heute noch weitgehend auf die gleiche Art und Weise ausgeführt werden wie vor achtzig Jahren. Der Bildband macht also darauf aufmerksam,
ANNE-KLEIN-PREIS Der
Kampf Imelda Marrufos
Von der Baustelle des De Rotterdam aus war der Blick noch großartig auf das alte Hafengebäude Foto: Ruud Sies, aus dem besprochenen Band
Die letzte Männerwelt ARCHITEKTURFOTOGRAFIE Schöne Ansicht, schlechte Aussicht: Ruud Sies hat die Arbeiten
an einem großen Geschäftshaus von Rem Koolhaas in Rotterdam fotografisch begleitet dass Bauen nicht weniger aufregend und wert ist, in seinen Abläufen, insgeheimen Ideologien oder technischen Experimenten diskutiert zu werden, als das Planen und Entwerfen. Nicht anders als beim Bauen ist es mit der Aufregung meist vorbei, wenn das Geplante erst einmal in der Welt ist. Dabei ist De Rotterdam von der Straße und vom Wasser aus betrachtet ein Ereignis. An diesem Haus, diesem monumentalen Schrank (sehen nicht die venezianischen Dogenpaläste am Wasser ebenfalls wie prächtige kleine Schränke aus?), hat man das Gefühl, wird man sich nie sattsehen können. Dabei ist der Klotz kein ikonischer Bau, kein Wasserkocher und keine Eieruhr, wie die Solitä-
re in Weltstädten wie London oder New York gerne ausschauen. De Rotterdam ist ein luftiger Klotz. Koolhaas hat die zwei Türme, die auf einem Baugrund von der Größe eines Fußballfelds stehen, in sechs über- und nebeneinandergestapelte Kuben zerlegt und es scheint nun, als stünden die Türen des Schranks hier offen und wären dort geschlossen und man könne das je nach Bedarf auch wieder ändern. Das gibt dem Bauwerk einen spielerischen, transitorischen Zug. Leider verkehrt er sich im Innern dann in sein Gegenteil. Zwar hat Koolhaas einige Schneisen für die Öffentlichkeit in das Geschäfts- und Bürohaus mit 60.000 Quadratmetern Bürofläche, 300 Hotelzimmern, 240
Apartments und über 1.500 Quadratmetern für Kongresshallen und Restaurants geschlagen. Das nhow-Hotel etwa macht seine Terrasse zum Wasser hin für jedermann zugänglich. Und in einer immerhin zweigeschossigen Halle können sich die verschiedenen Mieter zwanglos treffen, in einem Café mit Ausblick. Als gewöhnlicher Büromensch aber und als Hotelgast findet man sich in einem Hochsicherheitstrakt wieder. Von wegen Ausblick! Die mächtige Betonkonstruktion zeigt im Innern des Hauses offen ihr Tragegerüst, die davor gehängte Fassade aber weist geschätzte alle dreißig Zentimeter eine vertikale Stahlleiste auf. Aus dem Fenster zu schauen ist unmöglich, denn von
Leiste zu Leiste geben sie der Sicht nur sehr begrenzte Ausschnitte frei. Gefängnisse werden heute so gebaut, die Fassade ersetzt die Fenstergitter, durch die sie sonst verunstaltet würde. Rem Koolhaas hat der Stadt Rotterdam eine grandiose Landmark gebaut und dem Investor ein Haus, das sich rentiert. Die Leute freilich, die im Haus arbeiten und leben, tragen die Kosten der Eleganz der Fassade und der Rendite der Bruttogeschossfläche. In Rem Koolhaas’ Welt kommen sie so wenig vor wie diejenigen, die seine Architektur als Gebäude realisieren.
Ruud Sies: „Building The Rotterdam“. Lecturis Eindhoven 2013, 232 Seiten, 49,50 Euro
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Erinnern und vergessen BIOGRAFIE Uwe-Karsten Heye erinnert in einem Buch an die Frauen der Familie von Walter Benjamin und vergisst eine Quelle Düstere Stellen gibt es im Leben des umfassend erforschten Philosophen Walter Benjamin viele, im Dunkeln liegende immer weniger. Für seine Familie gilt Letzteres nicht. Uwe-Karsten Heye, einst Sprecher von Kanzler Gerhard Schröder, hat sich in „Die Benjamins“ den Angehörigen des von den Nazis in den Tod getriebenen jüdischen Kulturtheoretikers gewidmet. Am Freitag präsentierte der Berliner Aufbau Verlag das Buch in Potsdam. Heyes Beitrag zur BenjaminForschung dürfte vor allem die Auswertung bislang unbekannter Briefe aus dem Nachlass von Hilde Benjamin sein. Die ehemalige Justizministerin der DDR und Ehefrau von Walters Bruder Georg ist nicht nur wegen ihrer Beteiligung an den Waldheimer Prozessen als kommunistische Überzeugungstäterin verschrien. „Doch ihre DDR-Vita ist nicht erklärbar ohne ihre Familiengeschichte, ohne die existenzielle Bedrohung, die keiner von uns sich überhaupt noch vorstellen kann“, sagt Heye. Konservative Kreise in der Bundesrepublik hatte Hilde als
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„Rote Guillotine“ und „Bluthilde“ beschrieben und sie mit dem Vorsitzenden des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler, verglichen – was besonders infam war, weil Freisler der kommunistischen Anwältin 1933 Berufsverbot erteilt hatte, während ihr Mann Georg in das KZ Sonnenburg deportiert wurde. Zwölf Jahre musste Hilde den gemeinsamen Sohn Michael als sogenannten Mischling ersten Grades verstecken, nie konnte sie sicher sein, dass die Nazis nicht als Nächstes die „Mischlinge“ vernichten würden. Aus dieser Zeit stammen Briefe, die Heye von Hildes Schwiegertochter Ursula Benjamin zugänglich gemacht wurden: „Ich schrieb Dir ja schon, dass ich mir keine besonderen Aussichten verspreche; hoffentlich bist auch Du frei von Illusionen. Wenn es anders kommen sollte, dann umso besser“, heißt es etwa in einem Schreiben von Georg aus dem KZ. Es kam nicht anders. Georg starb 1942 in der „Schutzhaft“; auch seine Geschwister Walter und Dora überlebten den Nationalsozialismus nicht.
Heye versucht nachzuzeichnen, wie das Leid der verfolgten Kommunistenfamilie in Hildes Unerbittlichkeit bei der Verfolgung von NSlern mündete. Er habe die DDR-Justiziarin aus der „Kalten-Kriegs-Semantik herausschälen“ wollen, sagt er. Die Juristin sei „bevorzugtes Ziel“ revisionistischer Kampagnen, „verbunden mit einer Neigung, das SED-Regime derart schwarzzumalen, dass die Ungeheuerlichkeit des SS-Staates dagegen zu verblassen schien“, so Heye. Sein Buch solle „die Chance eröffnen, eher fairer“ mit Hilde Benjamin umzugehen. Nicht immer wahrt Heye die gebotene Distanz. So schildert er einen Besuch im KZ Mauthausen, in dem Georg starb, als Zugang zur authentischen Erfahrung der Häftlinge: „Aber dann, zusammen mit einigen hundert Besuchern an diesem Tag, ist man plötzlich eingereiht und wird zu einer der Elendsgestalten, die halb verhungert vor mehr als siebzig Jahren aus den Eisenbahnwaggons am Bahnhof von Mauthausen kletterten oder einfach herunterfielen.“
Uwe-Karsten Heye Foto: reuters
Auch den Blick auf Dora Benjamin, einer hellwachen Sozialforscherin, die ihrem Bruder Walter ins Exil gefolgt war, will Heye korrigieren. „Unterschätzt und übersehen“ hätten die Walter-Biografen die Frau, die für ihn jedoch eine beeindruckende, fortschrittliche Denkerin war. Doch in seinen Ausführungen zu ihr hat sich Heye dabei bei einer Historikerin bedient, ohne dies deutlich zu machen. Vor Auslieferung der ersten Bände musste der Aufbau Verlag deshalb einen „Errata“-Zettel auf die
Seite 3 des Buchs kleben. Etwas unvermittelt steht da, das Kapitel „Wo bleibt Dora?“ folge „in Aufbau, Text und Quellen weitgehend“ einem Aufsatz der Bremer Wissenschaftlerin Eva Schöck-Quinteros. Heye erwähnt einmal – auf der siebten Seite des Kapitels – einen „Sonderdruck der Universität Bremen“ von 1997 über die „Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland“, nennt jedoch weder den Namen des Aufsatzes noch dessen Verfasserin. Dabei hat er auf 21 von 25 Seiten des Kapitels wörtliche Übernahmen benutzt, ohne diese als Zitat kenntlich zu machen. Teils sind ganze Absätze übernommen. „Ich muss ehrlich sagen, bei der Fülle von Quellen ist mir das untergegangen“, sagt Heye dazu. „Ich habe geschrieben, dass es diese Konferenz in Bremen gab, aber die Autorin nicht erwähnt, das ist ein Versäumnis, das ich bedaure.“ CHRISTIAN JAKOB
Uwe-Karsten Heye: „Die Benjamins: Eine deutsche Familie“. Aufbau Verlag, Berlin, 361 Seiten, 22,99 Euro
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Manche nennen sie „die Stadt der toten Töchter“, ein Film spricht vom „Paradies der Mörder“. Ganz sicher ist Ciudad Juárez eine der gefährlichsten Orte der Welt. Tausende sind in der nordmexikanischen Grenzstadt dem „Drogenkrieg“ zum Opfer gefallen, traurige Berühmtheit erlangte sie aber zuerst, weil dort seit 1993 unzählige Frauen und Mädchen ermordet wurden. Vergewaltigt und grausam zugerichtet tauchen die Leichen später auf belebten Straßen oder in der einsamen Wüste wieder auf – weggeworfen wie Müll. Bis heute geht das Morden weiter. Wer aufklären will und sich gegen den „Feminizid“ stellt, lebt gefährlich. Drohungen sind alltäglich, immer wieder werden Aktivistinnen ermordet. So zum Beispiel Susana Chávez und Josefina Reyes. Imelda Marrufo Nava macht trotzdem weiter. Seit zwei Jahrzehnten kümmert sich die Feministin um die Angehörigen der Opfer und kämpft dafür, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Fragt man die 39-Jährige, wie sie mit der Angst umgeht, spricht sie nicht von sich, sondern von „wir“. Von den Frauen, mit denen sie gemeinsam das Netzwerk Mesa de Mujeres organisiert. Und von der internationalen Solidarität. Nun hat die Heinrich Böll Stiftung der Juristin den „AnneKlein-Frauenpreis 2014“ verliehen. „Imelda und ihrem Netzwerk geht es darum, den Ermordeten ihre Würde zurückzugeben, ihnen Namen, Gesicht und Geschichte zu geben“, sagte Vorstandmitglied Barbara Unmüßig bei der Preisverleihung am Freitag. 2001 gründete Imelda Marrufo die Mesa de Mujeres, nachdem acht tote Frauen auf einem Feld gefunden wurden. Das Netzwerk sorgte mit dafür, dass der Fall vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof kam. Die Richter klagten den mexikanischen Staat an, die Sicherheit und Freiheit der Opfer und ihrer Angehörigen nicht garantiert zu haben. Zudem solle die Regierung den Feminizid als eigenen Straftatbestand definieren. „Das ist bis heute nicht passiert“, kritisiert Marrufo. Wie so oft haben die Behörden versagt oder machen gemeinsame Sache mit den Kriminellen. Nur so lässt sich erklären, warum die wenigsten Morde strafrechtlich verfolgt werden. Immer wieder präsentieren die Strafverfolger Unschuldige, die man durch Folter zu Geständnissen gezwungen hatte. Etwa Israel Arzate. Auch um ihn hat sich die Feministin gekümmert. Nachdem er im November freigesprochen wurde, begann eine Hetzkampagne gegen die Mesa de Mujeres. Als bekannt wurde, dass Marrufo den deutschen Frauenpreis erhält, entspannte sich die Lage. Ein großer Erfolg. WOLF-DIETER VOGEL
BERICHTIGUNG Am Wochenende erschien eine Besprechung des jüngst im Galiani Verlag erschienenen Buches des Kunsthistorikers Stefan Koldehoff zur Raubkunst, „Die Bilder sind unter uns“. So weit, so gut. In den Buchangaben aber hieß der Autor plötzlich Michael Koldehoff. Warum? Man weiß es nicht. Stefan jedenfalls ist Koldehoffs korrekter Vorname.