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STEFAN GLOWACZ
Er sucht den Kick jenseits des Höher-schneller-weiter-Pfads. Sein neuestes Abenteuer führt den Extremkletterer in die Berge Zentralasiens. Sein Ziel: „Magic Lines“ – Routen von unerhörter Schönheit.
Der spannendste Moment auf seiner letzten Reise, sagt Stefan Glowacz, war nicht, als er in einer 130 Meter hohen Steilwand des Suntower im Alam Kuh Massiv hing –und der ist mit 4850 Metern immerhin der zweithöchste Berg des Iran. Der spannendste Moment war kurz davor: als er mitten in der Nacht mit seinem Lkw am Grenzübergang Bazargan von der Türkei in den Iran einreisen wollte. „ Einige Freunde hatten uns vorab gesagt, wir könnten problemlos hinein, schließlich seien wir Bergsteiger und keine Aktivisten. Andere Iraner wiederum hatten uns gewarnt, dass man uns als Geiseln nehmen würde, um die Bundesregierung zu erpressen.“ Fünf Stunden mussten Stefan und seine Begleiter ausharren. Dann, in den Morgenstunden, endlich das behördliche Go.
Feuerland und ewiges Eis Stefan
Glowacz ist Spezialist für heikle Situationen. Früher gewann der 58-Jährige unter anderem dreimal den Rockmaster in Arco und wurde 1993 Vizeweltmeister im Vorstieg-Klettern. Nach acht Jahren beendete er seine Wettkampfkarriere. Seither will er keine Trophäen sammeln, sondern etwas erleben – und das mit dem Hochleistungsklettern verbinden. 1999 segelt er für eine Expedition von Feuerland in die Antarktis. 2018 reist er mit Snowkite und Gepäckschlitten 1000 Kilometer durch die Wildnis Grönlands, um an der Ostküste eine 1300 Meter hohe Wand zu erklimmen. Mexiko, Venezuela, Patagonien – den halben Globus hat Glowacz bereist. Was ihm noch fehlt: der
Osten der Weltkarte. Vor allem das Pamir-Gebirge in Tadschikistan, von Kletterern bisher wenig erforscht, steht ganz oben auf seiner Wunschliste. „Unbekannte Orte interessieren mich mehr als irgendwelche Gebiete, über die du schon alles weißt, bevor du überhaupt losfährst.“
Macht der magischen Linie
Im Sommer 2023 steigt der Bayer mit seinem Sohn Tim und zwei Freunden in einen umgebauten Militär- Lkw und fährt von Berchtesgaden 10.000 Kilometer nach Zentralasien, die Seidenstraße entlang. Die Ziele: der Berg Vay Vay in der Türkei, der Suntower im Iran und der Ziorat in Tadschikistan. Alle zwischen 3500 und 5000 Meter hoch. Aber die Gruppe will gar nicht auf die Gipfel. „Es gibt ohnehin so gut wie keine Berge mehr, auf denen noch keiner war“, sagt Glowacz.
Stattdessen pickt sich das Team bestimmte Felswände heraus. Solche Abschnitte lassen sich auf mehrere Arten erklettern, ähnlich wie bei einer Kletterwand. Der Plan: eine anspruchsvolle Route finden, die noch niemand zuvor geklettert ist. „Und wenn du da eine gerade Linie findest, wo du nicht kreuz und quer über die Wand kraxeln und immer wieder absetzen musst, hat das etwas wahnsinnig Ästhetisches.“ Stefan Glowacz nennt das die „Magic Line“.
Die Routen, die das Team dafür auswählt, haben alle einen Schwierigkeitsgrad von 8a+ bis 8b. Erfahrene Bergsportler nehmen sich für gewöhnlich pro Saison eine Route dieses Kalibers vor. Glowacz und sein Team geben sich drei Monate für die komplette Reise. Doch es geht nicht nur um die Herausforderung an der Wand. Expeditionen ins Niemandsland – wie punktuell in Asien, vor allem aber Abenteuer in Grönland oder der Antarktis – bedeuten oft: kein Strom, keine Dusche, kein Bett. Dazu täglich stundenlange Fußmärsche vom Basiscamp zur Kletterwand, um den Felsen auszukundschaften und für die Besteigung vorzubereiten, Bohrhaken im Stein anzubringen. Was für die meisten wie ein Albtraum klingt, ist für Glowacz der wahr gewordene Traum. „Wenn du dich so reduzieren musst, dann merkst du, wie wenig du eigentlich brauchst im Leben. Ein Schlafsack, eine warme Mahlzeit, ein sicherer Lagerplatz, und du bist der glücklichste Mensch der Welt.“
Scheitern als Teil des Plans
Solche Lektionen will Glowacz weitergeben. Bei der Expedition hat ihn sein Sohn Tim, 27, von Beruf Kameramann, begleitet, um den Trip festzuhalten. Entstanden ist daraus der Dokumentarfilm „Walls on Silk Road“. „Meine Kinder sind von klein auf gewohnt, dass ihr Papa mehrere Monate im Jahr unterwegs ist. Daher war es schön, dass Tim jetzt mal gesehen hat, welcher Aufwand in so einer Expedition steckt“, sagt Stefan und fügt hinzu: „Klettern ist eine Metapher fürs Leben. Du kommst an eine Stelle, wo du denkst: Boah, ist das schwer! Und dann probierst du es, scheiterst, bist erst mal enttäuscht – aber irgendwann erarbeitest du dir eine Lösung für eine Aufgabe, die zuerst unmöglich erschien. Und je höher die Hürde war, desto größer ist danach das Glücksgefühl.“
Instagram: @glowaczstefan