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MARCEL HIRSCHER

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SARAH ZADRAZIL

SARAH ZADRAZIL

ENDURO-FAN MARCEL HIRSCHER, 33,

ist mit acht Siegen im Gesamtweltcup der erfolgreichste Skirennfahrer seiner Zeit. Dieses Jahr will er erstmals beim Hard-Enduro-Rennen am steirischen Erzberg starten.

GIGANT IM GATSCH

Ein geheimer Ort in Salzburg. Eine Schlucht, zu steil zum Kriechen: Hier trainiert MARCEL HIRSCHER mit Enduro-Profi MICHAEL WALKNER für das Red Bull Erzbergrodeo. Mit uns spricht die Ski-Legende über seine Lust an der Überforderung – aber auch über Bierbänke, Sonntagsfahrer und seine Rolle als Daddy Cool.

Text WERNER JESSNER Fotos MARKUS BERGER

Gestrüpp, dichtes Unterholz, Matsch: Marcel Hirscher (vorn) und sein Trainingsbuddy, Enduro-Profi Michael Walkner, durchpflügen eine Erdrinne.

E

in dichter Nadelwald irgendwo im Salzburgischen. Eine WhatsApp mit den Koordinaten. Eine Schotterstraße, die den Berg hinaufführt. Sie wird enger und enger. Sind wir hier wirklich richtig? Stehen bleiben, um Handyempfang zu suchen. Doch was tönt und dröhnt da, erst sanft, dann immer energischer, aus dem dunklen Tann? Ein Zweitaktmotor in höchster Erregung. Dann ein zweiter. Sind das Marcel und Michael? Ein paar Kurven weiter stehen dann aber erst einmal zwei Busse. Und vor ihnen Klappstühle. Und in diesen Klappstühlen sitzen Mechaniker. Aber wo stecken Marcel Hirscher und Michael Walkner? Die Herren vom Service deuten wortlos auf den tiefen Abgrund, der sich vor ihnen auftut. Echt jetzt?

Das Gelände ist so abschüssig, dass man es zu Fuß kaum bewältigen kann, ist durchsetzt mit Bäumen, Wurzeln, Steinen. Der Boden ist feucht. Und da soll demnächst wer mit dem Motorrad raufkommen? Aber genau das ist das Wesen von Hard Enduro: da fahren, wo andere auf allen vieren kriechen. Wer beim Red Bull Erzbergrodeo (16.–19. Juni, Infos auf Seite 34) bestehen will, ist beim Training hier genau richtig.

Es dauert nicht lang, und Marcel (auf einer Husqvarna) und Michael (auf einer GasGas) tänzeln mit präzisen Bewegungen das scheinbar unbefahrbare Gelände rauf. Die Köpfe dampfen, als sie ihre Helme abnehmen. Auch die Nudeln, die am Gaskocher zubereitet werden, sind endlich heiß.

„Im Gelände brauche ich keinen Pacemaker, sondern einen, der das Rennpferd Marcel einbremst.“

Marcel Hirscher über die speziellen Herausforderungen als Enduro-Fahrer

the red bulletin: Marcel, was ist der größte Unterschied zwischen deinem Training als Ski- und Enduro-Fahrer?

Marcel hirscher: Beim Skifahren wusste ich, wie ich trainieren muss. Hier weiß ich gar nix. (Lacht.) Das beginnt schon damit, überhaupt geeignete Trainingsmöglichkeiten zu fnden. Mein Training als Skifahrer war sehr klar, sehr strukturiert – hier stolpere ich von Überforderung zu Überforderung. Aber es ist faszinierend und macht große Freude.

MARCELS ENDURO-TRAININGSBUDDY

Der Salzburger Michael Walkner, 24, ist eines der Zukunftsversprechen im Hard Enduro. Sein Cousin ist Dakar-Sieger Matthias Walkner, aber den hat er im harten Gelände locker im Griff. Lass uns dein Training damals und heute in Zahlen gießen.

hirscher: Heute: fünf Stunden Fitness und fünf Stunden Motorrad pro Woche. In der Skizeit waren es dreimal so viele Stunden. Heute wiege ich wahrscheinlich um die 78 Kilo, ich habe keine Waage mehr. Eine Skisaison habe ich mit 85 Kilo begonnen und mit 77 beendet.

Wie fühlst du dich körperlich?

hirscher: Schlecht! (Lacht.) Michael Walkner: Haha, du bist gscheit ft! Hab ich gerade heute wieder gesehen. Der Marcel stapelt gern tief. hirscher: Ich weiß halt, was einmal möglich war. Als Prof erholst du dich viel schneller. Jetzt bin ich nach zwei Stunden zammgräumt. Aber ich lebe von meinem Fundament, das ich über die Jahre aufgebaut habe.

Wie hat sich dein Geschwindigkeitsempfnden verändert?

hirscher: Die Augen sind massiv langsamer geworden. Die Eindrücke kommen mir viel schneller vor als in meiner stärksten Zeit. Das Reaktive geht als Erstes verloren. Es kommt erst nach ein paar Tagen wieder, selbst am Ski. Das Gute an Hard Enduro: Es ist nicht besonders schnell.

Was hast du von Red Bull Romaniacs (mehrtägige Hard-Enduro-Rallye in Rumänien; Anm.) gelernt, wo du dich vergangenen Sommer verletzt hast? hirscher: Es war ein Megaerlebnis, das mir meine körperlichen Grenzen

NEUE MISSION

Hirscher (rechts, auf einer Husqvarna) und Walkner (auf einer GasGas): Es geht um präzise, fast schon tänzelnde Moves.

„Ob ich bereit wäre, unterwegs aufzugeben? Nein, auf keinen Fall!“

Marcel Hirscher über die Herausforderung, am Erzberg überhaupt ins Ziel zu kommen

DIE CHALLENGE

Was zählt, ist Durch- kommen – auf jedem Untergrund. Hirscher (rechts) und Walkner im Bachbett.

KONZENTRATION …

Hirscher (rechts) und Walkner scannen schon die nächste Route.

… UND ACTION

Beim Hard Enduro entscheiden kleinste Bewegungen.

DIE FLUGSHOW

Marcel Hirscher, hier beim Bergaufsprung im offenen Gelände: Fliegen, um nicht zu rutschen.

„Heute sage ich allein, was ich will – und keiner sonst.“

Marcel Hirscher über die neue Freiheit – und seine Zeit als „Leibeigener“ im Skizirkus

aufgezeigt hat. Fahrerisch habe ich mich okay gefühlt, aber ich war nach vier Stunden am ersten Tag erledigt – und dann wäre es noch vier Tage weitergegangen! Was ich gelernt habe: Ich brauche keinen Pacemaker, sondern einen, der das Rennpferd Marcel einbremst.

Wie kam es zum Sturz, bei dem du dir damals den Knöchel gebrochen hast?

hirscher: Weiß ich nicht. Ich war ja für fünf Minuten bewusstlos. Es ging eine Kuppe bergab, so viel kann ich rekonstruieren. Entweder ich bin über den Lenker „abgestiegen“ oder mir selbst über den Stiefel gefahren. Jetzt reicht es wieder einmal für einige Zeit mit dem Wehtun!

Da bist du am Erzberg ja genau richtig. Was bedeutet er für dich?

hirscher: Schon als Jugendliche haben wir jene bewundert, die eine ErzbergStartnummer auf ihren Maschinen picken hatten, und wir sagten uns: „Eines Tages wollen wir da auch mitfahren.“ Jetzt ermögliche ich es mir.

Du ermöglichst dir vier Stunden Schinderei.

hirscher: Klar kann man den Sinn infrage stellen, aber dann kannst du das bei fast allem. Für mich ist es ein Ziel, auf das ich hintrainiere, eine Aufgabe im Leben abseits vom Business. Ich setze mir keine Benchmarks in absoluten Zahlen. (Pause.) Aber wenn ich mich nicht für das eigentliche Rennen am Sonntag qualifziere, dann lass ich’s.

Wenn es ganz wild wird: Bist du bereit, unterwegs aufzugeben?

hirscher: Nein, auf keinen Fall!

Im Unterschied zum Skifahren wirst am Erzberg nicht du die Geschwindigkeit vorgeben, sondern das werden die äußeren Umstände, das wird der Stau an den Schlüsselpassagen.

hirscher: Genau, ich bin eh so ein geduldiger Mensch. (Grinst.) Vielleicht probiere ich mit Nettigkeit oder Grantigkeit, dass mich die anderen vorbeilassen. Ich mache das ohnehin nicht, um Spaß zu haben, sondern um der Herausforderung willen. Und ich will natürlich gesund nach Hause kommen.

hirscher: Ich seh das realistisch. Ich bin nicht mehr der Prof, der ich einmal war. Natürlich würd’s mich anzipfen, wenn ich am ersten Hügel das Moped absteche – aber auch das kann passieren.

Apropos gesund: Wie gehst du mit den Stürzen um?

hirscher: Ich musste mich heute sicher schon 30 Mal vom Motorrad trennen. Ich habe aufgehört, mich daran festzuklammern, wenn es schiefgeht. Nicht material, aber körperschonend, dieser Stil! Es ist ganz normal, dass es sich manchmal nicht ausgeht. walkner: Aber das waren keine Stürze – das waren Umfaller. hirscher: Stimmt, FuckMoment war heute noch keiner dabei.

Defniere „Fuck-Moment“, bitte.

hirscher: Wenn du bei einem 30MeterTable (tischförmiges Absprungplateau; Anmk.) auf der MotocrossStrecke in der Luft absteigen musst, weil es dir beim Absprung den Gang raushaut. Alles schon erlebt, noch während meiner Skizeit. Aber damals hab ich noch mal Glück gehabt! walkner: Als dir das Ritzel (kleineres Zahnrad im Kettengetriebe; Anmk.) gebrochen ist? hirscher: Nein, das war ein anderes Mal.

Marcel, Michael, wie ist euer Verhältnis?

hirscher: Ich bin der große Bruder, der nicht fahren kann. (Lacht.) walkner: Hey, ich schätze es extrem, mit dir trainieren zu dürfen. hirscher: Ich schätze es auch extrem, mit einem der besten HardEnduroPiloten der Welt fahren zu dürfen. Für mich ist es faszinierend zu sehen, was Mensch und Maschine leisten können, wenn sie eine Einheit bilden. Okay, wenn dann auch noch der „Hiasi“ Walkner dabei ist, kann es passieren, dass ich mich für ein paar Sekunden mit ihm anlege. Da treffen zwei aufeinander, die nicht nachgeben. Bei dir ist im harten Gelände klar, dass du in einer eigenen Liga unterwegs bist.

Besprecht ihr fahrtechnische Feinheiten, oder ist das eher ein Anschauen und Nachmachen?

hirscher: Ich versuche es erst auf meine Art, scheitere, und dann kommt Michael und sagt: „Probiere es so oder so.“ Gerade bei extremen Steilauffahrten … walkner: … bringt es nix, mit Vollgas raufzukleschen und zu hoffen, dass es

Garant für technisch sauberen Fahrstil: Hier springt Enduro-Pro Walkner über eine Kuppe.

gutgeht. Hier musst du dich sehr präzise positionieren, genau wissen, wo das Hinterrad ist, und zur richtigen Zeit Druck auf die Fußraster geben. Ich bin ein großer Freund eines kontrollierten, technisch sauberen Fahrstils mit niedriger Drehzahl. Auch Marcel sieht man an, dass er seine Technik als Jugendlicher mit dem TrialBike erlernt hat.

Marcel, dir hilft wahrscheinlich das geschulte Auge für Bewegungsabläufe.

hirscher: Schon. Aber die Feinheiten an Gas und Kupplung sieht man dann halt doch nicht. Das sieht beim Michael so einfach aus: Fährt rauf wie mit Standgas, dass du dir denkst, das gibt’s nicht.

Michael, was ist dein sportliches Ziel für den Erzberg?

walkner: Finishen – und das, wenn möglich, in den Top Ten.

Marcel, was macht das mit dir, wenn jemand schneller ist?

hirscher: Damit konnte ich noch nie gut umgehen. Aber so ist es eben.

Hat sich dein Risikoverhalten geändert, seit du Vater bist?

hirscher: Nein, ich bin eher cooler. Ich muss zu Hause ja Videos zum Herzeigen haben. Motto: Do the Hiasi! (Lacht.) Mein vierjähriger Sohn hat ein kleines Elektromoped, aber derzeit fasziniert ihn Klettern mehr. Kids in diesem Alter tun, was ihnen Spaß macht. Ich habe da so gar nichts von meinem eigenen Vater, ich bin mehr so der TakeiteasyDad.

Fährst du auch auf der Straße Motorrad?

hirscher: Ist mir zu gefährlich. Lauter Wahnsinnige da draußen!

Wie war die Zeit unmittelbar nach dem Ende der Skikarriere?

hirscher: Das Schlimmste für mich war, herauszufnden, wie einseitig mein Weg, wie vorgegeben mein Leben war. Null Spielraum für eigene Entscheidungen. Wie eng die Leitplanken waren, zwischen denen man sich bewegen durfte.

Hast du das Gefühl, etwas versäumt zu haben?

hirscher: Das grad nicht. Aber heute hocke ich hier am Berg und lass es mir gutgehen. Mache, worauf ich Lust habe. So sind viele coole Projekte entstanden: meine Skifrma, mein Team. Da sage ich alleine, wie ich es mir vorstelle, und niemand sonst. Als Skifahrer bist du verkauft. Das macht etwas mit dir. Ich war auf eine gewisse Art Leibeigener von anderen.

Klingt hart. Aber dieses System hat dich doch auch ernährt und geprägt.

„Mein Sohn hat ein E-Moped, aber ihn fasziniert Klettern mehr.“

Marcel Hirscher über die Rolle als Vater und seine liberalen Erziehungsmethoden

AUSGEPOWERT

Eine Trainingspause – Hirscher hat den Helm abgenommen. Er ist abgekämpft, aber ausgeglichen.

hirscher: Ich hoffe, dass ich 80 oder 90 Jahre alt werde. Und ich bin überzeugt, dass ich noch erleben werde, dass man mit Athleten nicht mehr so umgehen kann wie zu meiner Zeit. Das Wort „selbst“ wird deutlich in den Vordergrund rücken.

Dabei warst du ohnehin nonkonformistischer unterwegs als der Großteil.

hirscher: Ich habe mich absolut an die Schmerzgrenzen des Systems herangetastet. Und dennoch: Heute ist völlig unvorstellbar, wie ich das ausgehalten habe! Das Team, mit dem ich unterwegs war, wurde mir vorgesetzt. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, dass ich es eigentlich selbst zusammenstellen sollte. Immerhin sind das die wichtigsten Personen für deinen Erfolg.

Selbstverantwortung bedeutet aber auch…

hirscher: … genau – für sich geradezustehen. Die Suppe selbst auszulöffeln. So möchte ich mein WeltcupTeam im Skisport aufbauen: mein Knowhow einbringen – aber aussuchen müssen sich die Athleten ihre passenden Bausteine selber.

Wie wirst du als Chef sein?

hirscher: Das wird ein langer Prozess werden. Ich werde sicher vieles nicht ganz so cool machen und anderes vielleicht gut – aber tägliches Lernen gehört dazu.

Die Vision des Unternehmers Marcel Hirscher?

hirscher: Den Skisport maßgeblich und nachhaltig zu verändern. Selbständigkeit, Individualität, mehr Persönlichkeit. Und vor allem, den Sport dort hinzutreiben, wo er hingehört, Professionalität reinzubringen. Ich möchte nie wieder einen Servicemann auf einer Bierbank Ski präparieren sehen.

Also schwebt dir ein Fahrerlager wie im Motorsport vor?

hirscher: Genau. Der Unterschied in der Professionalität zwischen Skiund Motorsport hat mich schon immer gestört. Nach meinem Besuch in der F1 Fabrik von Red Bull Racing in Milton Keynes war ich drei Stunden lang sprachlos auf dem Flug nach Hause. Dagegen ist der Skizirkus Steinzeit.

Hier will auch Marcel Hirscher hin: Beim Red Bull Erzbergrodeo (im Bild: Enduro-Profi Jonny Walker, 2019) schafft es von 500 Startern nur eine Handvoll ins Ziel.

Der Fight um den eisernen Giganten

Das Red Bull Erzbergrodeo von 16. bis 19. Juni: Alle Fakten zum Hard-Enduro-Race des Jahres

„Lasst uns in einem aktiven Bergbaugebiet ein Motorradrennen veranstalten!“ – Was 1995 als Idee einiger österreichischer Motorradjournalisten begann, wurde über die Jahrzehnte zum absoluten Maßstab im Geländesport und hat ein eigenes Genre zumindest mitbegründet: Hard Enduro. Darunter versteht man eine Spielart des Offroad, bei dem es schlicht um das Durchkommen im extremen Gelände geht. Doch genau das ist am Erzberg nur den wenigsten vergönnt. Von den 500 Hoffnungsvollen erreichen das Ziel selten mehr als zwei Dutzend innerhalb der VierStundenFrist. Da am Erzberg nach wie vor Eisenerz abgebaut wird (im Übrigen aktuell wieder mehr denn je), verändert sich auch das Gelände permanent. Einige Streckenabschnitte wie „Wasserleitung“ oder „Badewanne“ sind Klassiker, andere wie die „Grüne Hölle“ verschwinden, weil sie gesprengt oder zugeschüttet werden. Besonders gefürchtet ist die Sektion „Carl’s Dinner“, eine schier endlose Passage auf tischgroßen Geröllbrocken im letzten Streckenabschnitt. „Du musst dich permanent auf der Oberseite der Steine bewegen, nur ja nie mit den Rädern dazwischen reinrutschen. Und Stehenbleiben ist überhaupt verboten. Wer hier Schwung verliert, hat ein Problem.“

Motorrad-Profi Michael Walkner

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