10 minute read
THUNDERCAT
The Kater of Pop
Sänger, Bassist, zweifacher Grammy-Gewinner, einflussreicher Musikproduzent: Stephen Lee Bruner, besser bekannt als THUNDERCAT, tourt aktuell durch Europa. Mit uns spricht er über seine Traumkarriere und über tiefe Trauer. Und verrät, wie ihm ein Album und eine Brille das Glück zurückbrachten.
Text WILL LAVIN Fotos WOLFGANG ZAC
Wild und edel: Thundercat, 37, ist berühmt für seinen exzentrischen Modegeschmack. Die Outfits für dieses Shooting hat er in seiner Garderobe gefunden. Hier trägt er eine Louis-Vuitton-Cyclone-Sonnenbrille von Virgil Abloh und einen Pullover von Pendleton. Hose und Schuhe sind von Adidas.
Nur wenn er lacht, dann schnurrt er: „Lachen zu können ist eines der besten Gefühle überhaupt – viel wichtiger noch als die Musik.“ Eine durchaus überraschende Gewichtung für einen Bass-Maestro, Funk-Virtuosen und stilprägenden Produzenten wie Stephen Lee Bruner, besser bekannt als Thundercat.
Dieser Kater des Donners, der sich bereits zwei Grammys gekrallt hat, stammt ursprünglich aus Los Angeles. Sein Sound oszilliert zwischen Jazz Funk und Fusion, Electronic, Rhythm and Blues, Psychedelic und noch viel dunkleren Genres. Seine Persönlichkeit pendelt zwischen Kreativität und Chaos; Haute Couture etwa kombiniert er ganz zwanglos mit einem Pokémon-Rucksack. Einer wie er zeigt eben doch recht gerne, was er so hat. Und zwar alles: unvergessen seine einstündige Jamsession mit dem Indie-Rocker Mac DeMarco – komplett nackt. Auch im Interview lässt er bereitwillig die Hosen runter. „Ich habe eine mentale Achterbahnfahrt hinter mir. Ach, waren das Zeiten, als ich noch allein mit Austin Peralta herumdilettiert habe: Es gab nur uns, sein Keyboard und meinen Bass.“
So manches hat sich in Bruners Leben verändert, seit er mit seinem Freund, dem Jazzpianisten und Komponisten Austin Peralta, noch selbst die Instrumente zum Gig schleppte. Peralta starb 2012 an einer Lungenentzündung, Thundercats Album „Apocalypse“ aus dem Jahr 2013 ist ihm gewidmet.
Doch irgendwie ist der Kater of Pop auch der Alte geblieben: Noch immer knotzt er lieber für einen Trickfilm-Marathon auf der Couch, als auf Hollywoods schärfste Showbiz-Partys zu gehen. „Ich bin ein großer Anime-Nerd“, bekennt Bruner seine Leidenschaft für japanische Animationsfilmchen. „Das war schon immer so. Allerdings kann ich mir heute all die Dinge auch leisten, mit denen ich mich leidenschaftlich gerne beschäftige. Ich muss echt aufpassen, dass ich nicht mein ganzes Geld für Animes rausschmeiße.“ Der zurückhaltende Zugang zum Promi-Leben findet sich auch in Bruners Bedingungen für unseren Fototermin wieder: Weder verlangte er teuren Champagner noch farblich getrennte M&M’s, nur ein Schüsselchen Heidelbeeren. Ach, wären nur alle Rockstars so – rrrrrrrrrr.
Eine schrecklich musikalische Familie
Angesichts der schrillen Outfits, manchmal komplettiert durch Katzenohr-Stirnbänder, vergisst man leicht, dass man mit Bruner einen der gefragtesten Instrumentalmusiker und Produzenten vor sich hat. Nach seinen bisher vier Alben verfügt Thundercat über einen Kundenstock, der sich liest wie das Who’s who der Popmusik: Snoop Dogg, Ariana Grande, Childish Gambino, um nur eine Handvoll zu nennen. Bruner – und das ist nicht übertrieben – wurde geboren, um Musiker zu werden: Schon sein Vater Ronald senior spielte als Drummer mit Größen wie The Temptations, Gladys Knight oder Diana Ross & The Supremes, seine Mutter Pamela ist Flötistin und Perkussionistin. Der ältere Bruder Ronald junior ist ebenfalls Drummer geworden und gewann mit The Stanley Clarke Band im Jahre 2011 einen
Grüne Phase: Thundercat mit einer Haube von Bricks & Wood, besetzt mit Gucci-Broschen, Shades von Alpina – und dazu noch eine Mutsu-Jacke von Prospective Flow
Thundercat mit einem Dragon-Ball-ZT-Shirt, Shades von Christian Roth und Armbändern von IF & Co
Grammy für das beste zeitgenössische Jazz-Album. Einen jüngeren Bruder gibt es auch noch: Jameel spielte früher Keyboard und ist heute als Solokünstler unter dem Namen Kintaro tätig.
Stephen Lee, damals noch verspieltes Schmusekätzchen, muss etwa vier gewesen sein, als er zum ersten Mal eine Bassgitarre in die Pfötchen bekam. Seine ersten Übungen: der Soundtrack zur Actionkomödie „Turtles II – Das Geheimnis des Ooze“, den er zupfend begleitete. Die Begeisterung für Cartoons und Animes sollte auch zu seinem Künstlernamen führen. Er verweist auf die „ThunderCats“, eine beliebte US-Zeichentrickserie aus den Achtzigern, mit kriegerischen Katzenmenschen als Protagonisten. Bereits Anfang der Nullerjahre tourte Bruner mit der Multikulti-Popgruppe No Curfew um die Welt. 2002 trat er der Thrash-Metal-Band Suicidal Tendencies bei, deren Drummer damals sein Bruder Ronald junior war. Danach wurde Bruner freiberuflicher Bassist und wummerte sich durch die Szene von L.A. – gemeinsam mit seinem Kindheitsfreund, dem Jazztalent Kamasi Washington, der die beiden in seinem rostigen 82er-Ford-Mustang von einem Auftritt zum nächsten kutschierte. Bruner sagt über Washington: „Wenn wir zusammenkommen, werden wir noch heute zu großen Kindern.“
Eine Zufallsbegegnung mit dem Rapper und Produzenten Steven Ellison aus Los Angeles, besser bekannt als Flying Lotus, katapultierte Bruners Musik Ende der Nullerjahre auf die nächste Stufe. Ellison
nahm Thundercat für sein unabhängiges Plattenlabel Brainfeeder unter Vertrag. Hier ist seither jedes seiner Alben erschienen. Dabei ist Ellison für Bruner weit mehr als nur ein Label-Boss. Die zwei Produzenten bilden eine musikalische Symbiose. „Wir sind wie Batman und Robin“, erklärt Bruner. „Ich fliege durch die Gegend und sorge für den abgefahrenen Shit, er operiert im Schatten.“ Auch als er Bruner ermutigte, selbst mit dem Singen zu beginnen. „Er hat da etwas in mir gesehen, was ich nicht gesehen habe“, sagt der Kater und schnurrt wieder ein wenig.
Die Tragödie hinter dem Glam
Fame, Geld, Charity und eine lange Liste an Musikikonen als Freunde: Von außen wirkt es, als hätte sich Bruners Leben von Jahr zu Jahr nur verbessert. Dabei herrschte immer auch wieder bedrohliche Katerstimmung. Neben einem Album-Release mitten in der Pandemie und dem Ende einer langjährigen
Gut gepanzert: Rucksack und T-Shirt sind hier maßgefertigt, die Brille stammt von Christian Roth und die Uhr von Rolex, die Armbänder kommen von IF & Co. und die Broschen von Gucci.
Snoop Dogg, Childish Gambino, Ariana Grande: Alle wollen mit Thundercat arbeiten.
Beziehung hatte Bruner den Verlust seines besten Freundes zu verkraften: Im September 2018 war Mac Miller, Produzent und Rapper aus Pittsburgh, an einer Überdosis an Medikamenten verstorben.
Die beiden verband nicht nur eine unerschütterliche Freundschaft, sondern auch die Arbeit. Ihr denkwürdigster Doppelpack war ein Auftritt in der Serie „Tiny Desk Concerts“ des US National Public Radio, die nur einen Monat vor Millers Tod aufgezeichnet wurde. Die Geschichte rund um diese Session ist heute Legende: Bruner war gerade auf Europatournee, als er eine Nachricht von Miller mit der Bitte erhielt, doch mal rasch über den Atlantik zu sausen, um dort mit ihm aufzuspielen. So musste Bruner nicht nur mehrere Shows absagen, sondern auch aus Osteuropa nach Washington, D.C., fliegen, und das für einen 17-minütigen Auftritt. Irgendwie abgehoben – aber er tat es. „Mac wollte sich vor all den Leuten sicher fühlen“, erzählt Bruner. „Er brauchte mich an seiner Seite – das war ein besonderer Moment.“ Und dann: „Ich habe nie eine Chance ausgelassen, Miller zu sagen, dass ich ihn liebe. Weil es auch wirklich so war.“
So magisch der Auftritt auch war, so schwer fällt es Bruner, ihn nochmals anzuschauen. Dabei befällt ihn nämlich so eine Art dankbarer Melancholie: „Wenn ich Fotos oder Ausschnitte davon sehe, dann macht mich das glücklich. Ein Fan hat sich ein Tattoo stechen lassen, das Mac zeigt, wie er sagt: ‚Thundercat on the shaker!‘ So etwas bringt mich dann zum Schmunzeln. Das Konzert ist für mich wie mein ganz persönliches Fotoalbum. Es ist dieser eine gemeinsame Moment mit meinem Freund, den die ganze Welt sehen durfte.“
Ein Album wie ein Liebesbrief
In seinem Thundercat-Album „It Is What It Is“ konnte Bruner 2020 die Trauer über Mac Millers Tod künstlerisch verarbeiten. Die Space-Age-Fusion aus Jazz, Funk, Hiphop und Pop, produziert in Zusammenarbeit mit Flying Lotus, ist ein „Liebesbrief mit offenem Ende“ an seinen Freund. „Jedes Album ist eine intensive, schmerzhafte Erfahrung“, sagt Bruner. „Aber dieses hat mein Leben verändert.“ „Es ist, was es ist“: Der Titel des Albums drückt die Akzeptanz des Todes als unvermeidliche Realität aus. Nebenbei ist er eine Anspielung auf Miller selbst, der ebendiesen Satz in seiner Nummer „What’s the Use?“
Zum Niederlegen: Thundercat trägt eine Louis-Vuitton-Cyclone-Sonnenbrille und einen Pullover von Pendleton. Das Biest auf dem grellblauen Samtpolster kümmert den Kater nicht.
„Flasche oder nicht Flasche, das war hier die Frage. Da drückte ich den Reset-Knopf.“
„Manchmal braucht es ein Drake-Album, um zu spüren, dass man nicht allein ist.“
verwendete. Auf dem Bass ist Bruner zu hören. Im Titelsong von „It Is What It Is“ singt Bruner: „Hey, Mac“, worauf zur Antwort Millers Stimme mit einem einsamen „Woah“ zu hören ist. „Mehr Text hatte er nicht“, erinnert sich Bruner. „Doch ich konnte den Song lange nicht hören, ohne danach am Ende zu sein. Aber es war eben, was es war, bis zur letzten Minute des Abschieds von Mac.“
Boxen als Überlebenskampf
Die Entwicklung des neuen Albums verlangte Bruner einiges ab. Er verfiel in eine Depression, konnte nicht essen und schlafen und ertränkte seinen Schmerz in Alkohol. Sich zum Trost der Musik zuzuwenden, jener Sache, die ihn mit Mac verband, fiel ihm nicht leicht. „Wie ich in dieser Phase Musik produzieren konnte? Keine Ahnung.“ Vor allem musste er sich eingestehen, dass seine eigene Lebensführung nicht ideal war. „Ich habe mich jahrelang mit Alkohol getröstet“, sagt er, „und alle Bedenken weggewischt – in einem Ausmaß, das die Leute erschreckt hat. Mehrere Freunde sind am Alkohol zugrunde gegangen, und das direkt vor meinen Augen, erst zuletzt Austin Peralta. Und auch ich hatte das Gefühl, ich würde sterben, wenn ich noch einmal darüber hinweggehe. Also musste ich das endlich ernst nehmen und den Reset-Knopf drücken.“
Nach dieser entscheidenden Erkenntnis konzentrierte sich Bruner auf den Neubeginn. Zunächst hörte er auf zu trinken. „Es gab nur zwei Möglichkeiten: Flasche oder nicht Flasche“, erzählt er. „Und irgendwie wirkte es, als wäre diese Entscheidung längst für mich getroffen worden.“ Außerdem begann er sich vegan zu ernähren und begab sich in Therapie. Als die ganze Welt schließlich von der Pandemie zum Rückzug gezwungen war, kamen Boxen und Kickboxen hinzu. „Ich habe mich früher nie groß sportlich betätigt. Das ist das erste Mal, dass ich etwas ernsthaft betreibe, abgesehen vom Zeichnen und Bassspielen.“
Noch etwas half: Bruner hörte intensiv das aktuelle Album von Drake, „Certified Lover Boy“. Als es im September 2021 herauskam, tweetete Bruner: „Manchmal braucht man ein Drake-Album, um sich wieder konzentrieren zu können.“ Der Star aus Toronto muss oft Kritik von Hip-Hop-Fans einstecken, denen sein emotionaler Selbstbeobachtungs-Rap „zu soft“ ist, Bruner erkennt eine Gemeinsamkeit mit sich selbst – in der Verletzlichkeit. „Drake erinnert einen immer daran, dass man nicht allein ist“, sagt er. „Die meisten Typen bringen ein Album heraus, und man weiß, was man erwarten kann: PartyParty im Club. Drake dagegen legt Herz und Seele in seine Musik, und das hört man. Deshalb machen sich die Leute über ihn lustig.“ Jedenfalls erwies sich „Certified Lover Boy“ als die richtige Motivation für Bruner, um wieder Sinn im Leben zu finden. „Das Album hat mich aus meinem Dauertrauma befreit“, sagt er. Seit drei Jahren ist Bruner nun trocken. Wieder ganz Kater. Nur Milch, kein White Russian.
Die Shades der Erkenntnis
Wenige Tage vor dem Interview mit The Red Bulletin hat Silk Sonic, die Funk-Supergroup mit Bruno Mars und Anderson Paak, ihr Debütalbum „An Evening with Silk Sonic“ veröffentlicht, einschließlich einer Arbeit mit Thundercat. Dessen samtig-seidenen Bass-Licks und fast schnulzigen Vocals untermalen die liebestrunkene Ballade „After Last Night“. Mit Mars hat Bruner hier erstmals zusammengearbeitet, mit Paak hingegen schon öfter – ihn lernte er vor mehr als zehn Jahren kennen, als die beiden noch zusammen in der Begleitband des Progressive-NeoFunk-Trios The Sa-Ra Creative Partners spielten. „Ein Kreis hat sich geschlossen“, sagt Bruner über die Arbeit mit William „Bootsy“ Collins, den innovativen Silk-Sonic-Bassisten, der in den Siebzigern neben James Brown und George Clinton Berühmtheit erlangte. Bruner berichtet von einer Session mit Silk Sonic, bei der er Collins’ legendäre „Bootzilla“Brille in die Hand nehmen durfte. Das strassbesetzte Accessoire mit Sternenmuster ist auch auf dem Cover des Albums „Bootsy? Player of the Year“ von Bootsy’s Rubber Band zu sehen. „Die Shades sind nicht nur Kult, weil sie Bootsy gehören“, sagt Bruner, „sondern wegen ihres ganzen Ursprungs und ihrer künstlerischen Bedeutung. Dass ich das Original halten durfte, war richtig wohltuend. Es hat mich dazu inspiriert, mehr ich selbst zu sein und auch dazu zu stehen.“
Ein Kater hat sieben Leben, heißt es. Mit 37 hat Bruner genug erlebt, um diese Quote zu erfüllen, und mehr Seelenverwandte verloren, als die meisten Menschen je finden. Außerdem hat er beruflich mehr erreicht, als sich die meisten Künstler erträumen. Aber noch ist Thundercat nicht bereit, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen oder sich der Arroganz der Superstars hinzugeben – nicht nach allem, was er in den letzten Jahren durchmachen musste. „Ich lerne immer wieder Neues über mich und befinde mich weiterhin auf dem Weg der Besserung“, sagt Thundercat. Und lächelt halblaut. Schwingt da wieder ein leises Schnurren mit?