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The Red Bulletin AT 13/24

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Emma Myers

Emma Myers

TV­Star, Politik­Erklärer, Sport­Insider: Professor Peter Filzmaier analysiert die Welt der Athleten und Rekorde.

Filzmaiers Antithese: „Skispringen ist jene Wintersportart, die wir am meisten bewundern sollten.

Hier sind zehn Menschen und Momente, weshalb mir die Sportart so ans Herz gewachsen ist.

Skispringer von Andreas Goldberger bis Stefan Kraft sind extrem populär. Warum nur, warum? Ja eh. Beide sind gnadenlos sympathisch. Trotzdem betreiben sie eine Sportart, die weniger als 0,01 Prozent der Österreicher jemals in ihrem Leben ausüben. Aber genau das führt zu ihrer großen Beliebtheit. Wenn Hobbyskifahrer die Kitzbüheler Streif „bezwingen“, schafen sie das in der Mausefalle nur auf dem Hosenboden. Doch sie überleben. Wer aber auf dem Innsbrucker Bergisel steht und auf die Stadt blickt – prominent zu sehen ist der städtische Friedhof –, fragt sich, wie zum Teufel hier jemand auf Skiern unversehrt hinunterspringen kann. Von der Bad Mitterndorfer Skifugschanze am Kulm mit ihrem 244-Meter-Schanzenrekord gar nicht zu reden. Nicht nur deshalb ist Skispringern der allergrößte Respekt auszusprechen.

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Allzu lange standen die Springer im Schatten der alpinen Rennläufer. Doch als ich ein Kind war – lange vor dem Internetzeitalter –, gab es zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag einen einzigen Sporthöhepunkt: die deutsch-österreichische Vierschanzentournee. Alle vier Bewerbe wurden live im Fernsehen übertragen. Auf unseren Familienskiurlauben stellte sich die Frage, ob man auf die Piste ging oder sich das anschaute.

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Dabei wurde sogar das neutrale Österreich Teil des Kalten Krieges gegen Sportler aus dem Ostblock. Mitte der Siebzigerjahre duellierten sich Willi Pürstl, Karl Schnabl und ein gewisser Anton Innauer nämlich mit den Stars der DDR: Hans-Georg Aschenbach, Jochen Danneberg und Henry Glaß. Dabei wurde der langhaarige und altersbedingt leicht picklige Vorarlberger Innauer zum ersten Liebling der Massen: der „Toni“.

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Als knapp Achtzehnjähriger war Innauer vor den olympischen Heimspielen 1976 in Innsbruck einem unglaublichen Druck ausgesetzt. Statt mit zwei Goldmedaillen heimzukommen, blieb ihm einmal Silber. War das enttäuschend? Innauers Größe zeigte sich, als er drei Wochen später beim Skifiegen im deutschen Oberstdorf als erster Springer fünfmal die Traumnote 20 erhielt. Und 1980 in Lake Placid holte Innauer auf der Normalschanze seinen Olympiasieg nach. Obwohl er nach Verletzungen nicht mehr zu favorisieren war. Das war sein Landsmann Hubert Neuper.

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Es ist ein Teil der Faszination Skisprung, dass ab und zu jemand aus dem Niemandsland ins pure Glück hüpft. Der Finne Jouko Törmänen wurde 1980 auf der Großschanze vor Neuper Olympiasieger (und damit auch Weltmeister, was damals noch Usus war), obwohl er in 14 Karrierejahren nur zwei Springen gewann. Für eins davon gab es eine Goldmedaille. Oder wer kennt Rok Benkovič und Rune Velta? Keiner. Beide wurden Skisprungweltmeister, ohne je in einem Weltcupspringen den ersten Platz belegt zu haben.

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Zurück zu Innauer. Er begeisterte genauso als Trainer und Sportfunktionär. Anfang der Neunzigerjahre erfolgte im Skispringen die Umstellung auf den V-Stil. Damit konnte man viel weiter springen, wie der zuvor unbekannte Schwede Jan Boklöv mit dem Weltcupgesamtsieg 1988/89 bewiesen hatte. Den Österreichern verpasste Innauer eine Stilumstellung. Plötzlich waren „wir“ in breiter Front ganz vorne.

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Andreas Felder gewann als Innauers Schützling 25 Weltcupspringen, was vor Gregor Schlierenzauers 53 Siegen österreichischer Rekord war. Die Innovationskraft Innauers zeigte sich freilich, als Felder einmal mit dem V-Stil in der Nordischen Kombination Weltcuppunkte holte: weil er nach dem Springen so weit vorne war, dass ihm seine bescheidene Langlaufkraft genügte. Schlierenzauer wiederum hätte den studierten Psychologen Innauer brauchen können, als er seelisch zu kämpfen hatte.

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Die Meisterleistung Innauers war sowohl sportlich als auch gesundheitlich eine Großtat. Denn man glaubte an eine Physik des Skispringens, dass schneller herunterfällt, wer schwerer ist. Das führte zum Wetthungern. Sven Hannawald etwa gewann alle vier Bewerbe der Vierschanzentournee – und war magersüchtig. Innauer erkannte diese gefährliche Fehlentwicklung. Seinem Engagement ist die Einführung eines Body-Mass-Index für Skispringer zu verdanken. Hungern zahlt sich seitdem weniger aus.

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Everybody’s Darling unter Österreichs Skispringern war und ist übrigens der „Andi“. Der „Goldi“. Seinem Charme konnte man kaum widerstehen. Goldberger war 1994 der erste, der auf Skiern über 200 Meter fog. Dummerweise befand sich im Auslauf in Planica eine Art Schlagloch, sodass er in den Schnee greifen musste. Zu Goldbergers Pech sprang der Finne Toni Nieminen kurz darauf 203 Meter – und blieb stehen.

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Stefan Kraft hat 2017 mit 253,5 Metern den aktuellen Skifugweltrekord aufgestellt. Nach Thomas Morgenstern, dem Doppelolympiasieger von 2006 in Turin, ist inzwischen Kraft das Maß aller Skisprungdinge. Er gewinnt seit zehn Jahren konstant im Weltcup. Spätestens als er in Lahti Doppelweltmeister wurde, hat er sich unter die ganz Großen eingereiht.

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Österreichs Frauen sind über Jahre gerechnet die erfolgreichste Mannschaft der Welt. Was umso mehr zu bewundern ist, weil schneeweiße alte Männer das vermeintlich schwache Geschlecht lange nicht hatten springen lassen wollen. Die heutige Sportwissenschaftlerin Eva Ganster und Daniela Iraschko-Stolz wurden zu Pionierinnen. Heute sind Eva Pinkelnig, Sara Marita Kramer & Co Weltklasse.

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