Servus in Stadt & Land 11/13

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11 /2013 &

in Stadt & Land

Der Herr der Spiegel Kleine Wunder überall

P. b. b., GZ10Z038662M, Verlagspostamt 1110 Wien

Eibe  & engelwurz & kohlsprossen & Hagebutten & Schlaue Raben  & Karpfenabfischen in heidenreichstein

Glaskunst aus dem Waldviertel

E i nfac h

2

.

Gut .

Leben

Zu Gast im Mariazellerland

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november 11/2013

EUR 4,50 chf 7,00

süsser die

Sternderl nie duften

keksrezepte aus ganz österreich

Die Salzteufel von Hall

&

Horuck-Bratl aus dem Almtal

&

Die Ledermacher von Pill

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November

Natur & Garten 12 Gezuckertes Land

Raureif ist ein Schauspiel der Natur, das Wissenschaftler und Schöngeister gleichermaßen fasziniert.

24 Ästhetik der Planlosigkeit

Georg Grabherr sieht die Pflanzen in seinem Garten im Wienerwald als gleichwertige Partner.

32 Immergrün & mythenreich

Wie die Eibe uns Menschen begleitet.

40 Kein Strauch ohne Feuer

Über die feurigsten Herbststräucher und den Sinn bunter Laubfarben.

144 Helle Köpfe

Der Rabe verblüfft uns mit seiner beinah menschlichen Intelligenz.

4 Servus

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Küche 50 Röschen für Röschen

Der eleganteste Spross der Familie Kohl ist ein kleines Vitamin-Wunder.

56 Herzhafte Happel

Feine Rezepte mit Sauerkraut für die eher karge Jahreszeit.

66 Aus Omas Kochbuch Das Almtaler Horuck-Bratl.

Wohnen 84 Ein Halali auf die Gemütlichkeit

In ihrer behaglichen Jagdhütte am Schneeberg erholen sich Kurt und Sonja Menhofer vom Alltagstrubel.

92 Fundstück

So verwandeln sich Omas Kristallgläser in blühende, kunstvolle Kerzenleuchter.

68 So ein süßes Apferl

94 Runde Restlflechterei

76 Süß wie die Liebe

96 Feurige Früchtchen

Gefüllt mit den köstlichen Aromen der kalten Jahreszeit, erwärmt der Bratapfel Leib und Seele.

Herzerl, Busserl und Sternderl machen das Warten aufs Christkind zum Fest für Naschkatzen.

Wie man aus bunten Stoffstreifen hübsche Untersetzer fürs Teekränzchen fertigt.

Hagebutten verschönern jetzt als Dekoration unser Zuhause.

zusatzfotos Cover: Philipp horak, marco rossi

Inhalt2013


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fotos inhalt: katharina gossow, philipp horak, peter podpera, eisenhut & Mayer, marco rossi, gap gardens, getty images

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Standards 76

Land & Leute 102 Von der Haut zum Leder

136 Der letzte Spiegelmacher

108 Die Salzteufel vom Gangerlgraben

150 Wunder der Heimat

Seit bald 500 Jahren betreibt die Familie Pinter im Unterinntal die Kunst der Gerberei.

Ein höllisch schönes FreiluftTheaterstück in Hall bei Admont.

122 Erntezeit mit Netz

Jedes Jahr im Spätherbst werden im Waldviertel rund um Heidenreichstein die Karpfenteiche abgefischt.

128 Füttern wie früher

Nach alter Sitte ziehen Hermann Fetz und seine Mutter im Bregenzerwald mit ihren Kühen aufs Berggut und führen dort ein stilles Leben.

Ernst Kienesberger verspiegelt in Burgschleinitz noch händisch feinst geschliffene Gläser mit Silber.

Das Mariazellerland ist eine Welt, in der man zu sich selbst findet. Aufregung herrscht anderswo. Hier regiert die Ruhe.

180 Rastlbinder & Rostflechter Sie reparierten einst geschickt Tontöpfe, Eisenpfannen, ja sogar Körbe. Trotzdem wurden die Wanderhandwerker nur dürftig entlohnt.

3 Vorwort 6 Leserbriefe, Ortsnamen 8 Mundart 10 Servus daheim 22 Basteln mit Kindern: Beerenleiter 30 Schönes für draußen 38 Der Garten-Philosoph 44 Natur-Apotheke: Engelwurz 46 Unser Garten, Mondkalender 72 Gutes von daheim: Fruchtiger

Wildpflaumen-Schnaps aus Tirol

82 Schönes für die Küche 100 Schönes für drinnen 118 Michael Köhlmeier: Heiligenblut 170 Peter Gruber: Die Fabel

von den letzten Augenblicken

174 ServusTV: Sehenswertes im November 178 Feste, Märkte, Veranstaltungen 186 Impressum, Ausblick Titelfoto: Eisenhut & Mayer

Servus  5


regionale wortschätze

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Mundart Von Dr. Ingeborg Geyer

Nebelig

Das wird es jetzt wieder immer öfter – und dies zur Freude so mancher Romantiker. In den heimischen Mundarten wird das Nebeligsein häufig mit Verdunsten, Verdampfen von Flüssigkeiten bzw. mit Rauch, aber auch mit Zeitwörtern, die das Einfallen oder Aufsteigen des Nebels bezeichnen, umschrieben.

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temig

Kötschach-Mauthen

duschtig Vorarlberg

Mühlviertel, Waldviertel

Oberinntal

kha-ig

triawi Tullnerfeld reignkoawi

rachik

kåarbi Wienerwald

Wien

dischta Laßnitzgebiet

ghibig Salzburg

kawig Wachau

Tux im Zillertal, Achensee

karwich

Lafnitztal

dusmi

Salzkammergut

kilwe Pinzgau

newli(ch)

Dimbach im Mühlviertel

8 Servus

Hausruckviertel

Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark

oubhåat(e)r

Paznaun/Tirol

dise

dami

håaruckat

dunsti

Wien, Burgenland

triab Nordtirol

gehaijik Zillertal

khülwi Burgenland

prentnig Westtirol

khåig Oberinntal

www.oeaw.ac.at; illustration: andreas posselt

ha-ik

Defereggen/Osttirol


Die schönsten Seiten von daheim, Ihre : ein ganzes Jahr lang

e l i e t r o v o Ab arnis

rsp eferung i L e i e r f • kosten mensm o k l l i W • geschenk

Foto: Eisenhut & Mayer

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EINFACH. GUT. LEBEN.


Naturwunder

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foto: getty images

Raureif am Ufer des zugefrorenen Wallersees bei Henndorf im Salz­ burger Seengebiet. Man kann das Schilf beinahe knistern hören.

Gezuckertes Land

Wie das Kunstwerk eines Konditors legt sich Raureif übers Land und kündet vom nahen Winter. Ein Schauspiel der Natur, das Wissenschaftler und Schöngeister gleichermaßen fasziniert. Text: tobias micke

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Wo die tiefe Bahn der Herbstsonne flache Schattentäler erzeugt, hält sich auch der Nebel. Dort kann sich der Raureif – wie hier auf Äckern im Waldviertel – bis weit in den Tag hinein halten.


foto: getty images

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s war einmal ein Zuckerbäcker. Ge­ nauer gesagt handelte es sich eigentlich um einen Zuckerbäckergesellen, der hatte von seinem Meister kurz vor Feierabend den Auftrag bekommen, bis zum nächsten Morgen ein Dutzend Torten für eine große Hochzeitsgesellschaft mit Zuckerschnee zu verzieren. So vertieft war der Geselle in seine Ar­ beit und so begeistert von den süßen Kunst­ werken, die er da – eines schöner als das andere – schuf, dass er nicht bei der zwölf­ ten und letzten Torte haltmachte, sondern sein Verzieren bei allen Broten, sämtlichen Kuchen, Semmeln und Krapfen in der Back­ stube fortsetzte. Ja, sogar alle Backwerkzeuge und Ge­ fäße, selbst den Ofen, die Gewürz- und Holzladen und die Mehltruhe verzierte er mit Zuckerschnee. Als am nächsten Morgen der Zucker­ bäckermeister die Backstube betrat, geriet er derart in Wut über den nichtsnutzigen Lehrling, der all den kostbaren Zucker und sämtliche Eier auf diese Weise verschwen­ det hatte, dass er ihn kurzerhand vor die Tür setzte. So einen Träumer konnte er nicht gebrauchen.

mit frau holles feinstem pinsel

Hängenden Hauptes schlurfte der geschol­ tene Bursche in seiner mehligen Schürze und den Backstubenpantoffeln die Dorf­ straße hinunter. Da wurde Frau Holle, die gerade aus ihrem Wolkenfenster schaute, auf ihn aufmerksam. Sie war gerade dabei, die Federbetten herzurichten für das erste große Ausschüt­ teln des kommenden Winters. Und der über­ eifrige Zuckerbäckergeselle kam ihr gerade recht. Denn der Übergang vom Herbst zum Winter, von der lauen zur kalten Jahreszeit, der ging ihr einfach noch zu schnell, zu ruckartig vonstatten. ➻

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Es brauchte auch eindeutig etwas mehr Dramaturgie als nur bunte, herabwirbelnde Blätter, unmittelbar gefolgt vom weißen, breiten Pinselstrich des Winters. Also ließ sie den verstoßenen Zuckerbäckergesellen mit ihrem feinsten Küchenpinsel ans Werk gehen. Der freute sich sehr, denn jetzt konnte er sich endlich so richtig austoben. Glücklich wirbelte er in nur einer kalten, klaren Novembernacht über ein Dutzend Landstriche hinweg und verpasste allem, was da stand und lag und hing, ganz wie zuvor in der Backstube, eine zuckerweiße, federfeine Glasur. Was staunten da die Menschen – ganz besonders die Menschenkinder –, als die Sonne Wiese, Wald und Flur am nächsten Morgen wie in einem spitzenbesetzten weißen Festkleid erstrahlen ließ!

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So kommt es, dass es nun jedes Jahr im Spätherbst, wenn eine ganz besondere Wetterlage herrscht, so aussieht, als wäre ein übermütiger Zuckerbäcker über das Land gehuscht – weil es vermutlich genau so ist. vom Märchen zur wissenschaft

Wie bei so vielen Dingen, die es in der Märchen- und Sagenwelt gibt und in der sogenannten wirklichen Welt ebenfalls, hat die Wissenschaft dazu auch eine andere, mindestens so interessante Erklärung parat: Raureif und Raufrost nennen Meteorologen wie Thomas Rinderer vom mitteleuropäischen Wetterdienst Ubimet zwei Phänomene, die den oben erwähnten „Zuckerguss“ über die Herbstlandschaft verteilen. Und sie tun dies auf sehr unterschiedliche Art.

Raureif, das ist für ihn „der Zauberhafte“, sagt Thomas Rinderer. Mit ihm darf man rechnen, wenn es abends nach Einbruch der Dunkelheit schon Temperaturen um den Gefrierpunkt hat und die Sterne von einem klaren Himmel funkeln. Das sind die besten Voraussetzungen dafür, dass es später in der Nacht noch so richtig abkühlt auf minus sechs bis acht Grad oder sogar darunter. Wenn dann noch hohe Luftfeuchtigkeit von mehr als 90 Prozent, insbesondere im Umfeld von Seen und Flüssen, und vielleicht noch ein klein wenig Wind hinzukommen, dann geht die hohe Luftfeuchtigkeit direkt in Eiskristalle über (vom gasförmigen Zustand zum festen; man spricht dann von „Resublimieren“) und legt sich von allen Seiten in schönen Kristallen an Blättern und Halmen, an Zweigen, Ästen und Zäunen an. ➻

foto: mauritius images

Die Burg Hochosterwitz in Kärnten (bei St. Georgen am Längsee) mit ihren berühmten 14 Toren und der Burgkirche an einem Raureifmorgen.


Das Gipfelkreuz auf dem Jakobskogel (1.737 m) im Raxgebiet an der Grenze zwischen Steiermark und Niederösterreich mit seinen drei Befestigungsseilen, kunstvoll verziert vom Raufrost.

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Raureif ist die Mozartmusik des Winters, gespielt bei atemloser stille der natur. Garten-Philosoph Karl Foerster ( 1874–1970)

9 Im Gegensatz dazu kommt der soge­ nannte Raufrost – Thomas Rinderer nennt ihn „den Beeindruckenden“ – nur einseitig an Ästen, Bäumen, Stromleitungen und auch an Gipfelkreuzen vor, dafür aber oft mit bis zu 20 cm dicken, kunstvollen Eis­ gebilden. Für die Entstehung von Raufrost braucht es neben Minusgraden hartnäcki­ gen Nebel, gepaart mit Wind. Der Raufrost tritt zum Beispiel gerne bei sogenannten Inversionswetterlagen auf; wenn es also am Berg, womöglich über mehrere Tage, strahlend schön ist und sich das Tal in bescheidene graue Schleier hüllt. Dann ist es dort unten oft auch ausgespro­ chen kalt. Unterkühlte, winzige Wasser­ tröpfchen treffen – vom Wind in eine spezi­ elle Richtung geblasen – auf kalte Gegenstände und frieren dort an. Und die sich an­ lagernden Eiskristalle wachsen an diesen Gegenständen gewissermaßen dem Wind entgegen.

Drei ungleiche Geschwister Der Raureif: Diese „Eiskristalle, mit dem feinen Pinsel aufgetragen“ entstehen, wenn es nachts bei klarem Himmel und hoher Luftfeuchtigkeit stark abkühlt. Die Kristalle wachsen auf allen Seiten von Blatt und Zweig. Der Raufrost: Seine Gebilde scheinen den Regeln der Schwerkraft zu trotzen. Sie können bis zu 20 cm waagrecht und einseitig von Gegenständen abstehen und bilden sich, wenn Nebeltröpfchen bei Wind und großer Kälte auf kalte Objekte treffen. Der Eisregen: Er ist der gefährlichste der drei. Wenn Regen aus einer Warmfront in aus­ gekühlten Tälern niedergeht, dann verwandelt er sich an durchgefrorenen Oberflächen zu schwerem, spiegelglattem Eis, das auch starke Äste brechen lässt.

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Thomas Rinderer, der in München Meteo­ rologie und Physische Geographie studiert hat, erinnert sich noch gern an einen beson­ ders schönen Kindheitsspaziergang in sei­ ner Heimat im Vorarlberger Großen Walser­ tal zurück: „Damals war ich mit meiner Mama quasi über den Wolken im Bereich der Tälispitze unterwegs. Auf dem Weg nach Hause durch den Talnebel, das weiß ich noch, erhielt nicht nur alles um uns her­ um einen frostigen Zuckerguss, ich bekam auch weiße Haare, weil sich auch diese so stark abgekühlt hatten, dass sich dort Rau­ frost bilden konnte.“ Der zauberhafte Raureif und der ein­ drucksvolle Raufrost haben einen gefährli­ chen Verwandten, den Eisregen. Dieser ent­ steht verhältnismäßig oft im bayerischen Donauraum um Regensburg, am Fuße des bayerischen Waldes, erklärt Thomas ➻

fotos: f1-online, your photo today, ullstein bild

weisse haare im talnebel


Goldene Lärchenwäldchen und Raureif nach einer klaren, kalten Nacht bei Nassereith im Tiroler Gurgltal. Im Hintergrund die Mieminger Kette mit den Marienbergspitzen.

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Rinderer, aber auch im oberösterreichischen Donauraum. Wenn Schönwetter am Berg und kalte Nebelluft im Tal von einer feuchten Warmfront überrumpelt werden, dann kommt der Niederschlag in Form von unterkühlten Regentropfen am Boden an, wo er an durchgefrorenen Oberflächen zu blankem Eis gefriert. Das kann zu Eispanzern an Bäumen und Stromleitungen führen, die selbst einen harmlosen Waldspaziergang gefährlich machen. Stattliche Bäume können unter einer solchen Last brechen. das geheimnis der schneesterne

Ebenfalls um die Bäume im Wald sorgte sich einst Freiherr Sigmund Friedrich Löffelholz von Kolberg, als er 1832 einen Artikel für die Oktober-Ausgabe der „Allgemeinen Forst- und Jagdzeitung“ verfasste. Unter

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dem Titel „Einige­Worte über den Duftanhang“ (Anm.: ein altes Wort für Raureif) schrieb er: Die Nebeltheilchen gefrieren und legen sich als feiner Staub, häufiger federartig krystallisiert an die Körper an. Der letzte Umstand deutet auf Elektrizität hin, welche bei der Bildung dieses Nebelreifes statt findet. Die Krystallformen sind verschieden, je nachdem die Körper, auf welche der Reif sich ansetzt, ein guter oder schlechter Leiter der Elektrizität ist. Unter die guten Leiter gehören die Bäume, und es hängt sich an ihre Zweige der Duft oft in solcher Gestalt, dass die Stämme niedergebogen und zerbrochen werden …“ Der fränkische Freiherr war als „Forstmann“ sicherlich ein guter Naturbeobachter, doch ließ er sich 1832, zu einer Zeit, als elektrischer Strom für den Durchschnittsbürger noch etwas Magisches hatte, zu dieser eher

abenteuerlichen Vermutung über Bäume und elektrische Leiter hinreißen. – Erst fünf Jahre nach diesem Text begann Samuel Morse sein elektrisches Telegrafiesystem zu entwickeln, und von elektrischer Straßenbeleuchtung war man noch weit entfernt. Die „wundersame Elektrizität“ kann man aber trotzdem bei der Bildung von Eiskristallen ins Spiel bringen, nämlich bei der Ent­ stehung ihrer märchenhaft schönen Sternengeometrie, die auch dem Raureif seinen Reiz verleiht: Sie ist der besonderen Form des Wasserteilchens geschuldet. Denn als sogenanntes Dipolmolekül kann es sich wegen seiner speziellen elektrischen Eigenschaften nur zu Kristallen mit 60- oder 120-Grad-Winkeln verbinden. Etwas in der Art könnte Freiherr Löffelholz geahnt haben … 3

foto: anzenberger agency

Wie feiner Zuckerguss hängt der Raufrost im Unterholz und in den Zweigen der Buchen im nebeligen Wienerwald.


Selbst gemacht

So ein süßes Apferl In einem gefüllten Bratapfel finden sich alle Aromen, die uns in der kalten Jahreszeit das Herz erwärmen. Kinder, lauft schneller, holt einen Teller! Text: klaus kamolz  Fotos: eisenhut & Mayer

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enn die Stube erfüllt ist vom gesamten winterlichen Duft-Alphabet, also von Apfel bis Zimt, dann ist er fertig: der Kipfel, der Kapfel, der knusprige Apfel. So heißt’s in einem alten, in Bayern entstandenen Volksgedicht. „Kinder, kommt und ratet, was im Ofen bratet!“ So beginnt die gereimte Huldigung des Bratapfels. Im österreichischen Volksmund heißt er übrigens auch blaselter Apfel,

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weil die Schale in der Hitze Blasen wirft. Ganz einfach ist er herzustellen. Und gar köstlich schmeckt er. Wichtig sind vor allem die richtigen Äpfel. Leicht säuerlich sollen sie schmecken, Boskoop, Gravensteiner und Cox Orange erfüllen diesen Zweck ideal. Bei der Fülle sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Für Kinder lassen wir einfach das Stamperl Rum weg und ersetzen es vielleicht durch eine cremige Vanillesauce.

Wenn wir schon dabei sind, machen wir gleich ein paar Äpfel mehr: Mit dem Messer zerhackt und der Gabel fein zerdrückt, ergibt das eine herzhafte Bratapfelmarmelade, die wir auf den Striezel schmieren können. 3

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Bratapfel Zutaten für 4 personen Zeitaufwand: 1 Stunde plus 1 Stunde zum Einweichen der Zwetschken 4 Dörrzwetschken 3 EL Wasser 1 EL Rum 20 g gehackte Mandeln 30 g fein gehackte Pistazien 2 EL Kristallzucker 4 EL Apfelmus 30 g getrocknete Cranberrys 1 Prise Zimt 1 Prise Nelkenpulver 4 große Äpfel 80 g Butter Zum Garnieren: 4 Anissterne 4 dünne Zimtstangen

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zubereitung 1. Das Backrohr auf 180 °C Umluft vorheizen. Die Dörrzwetschken eine Stunde in Wasser und Rum einweichen. Mandeln und Pistazien in einer Pfanne trocken rösten und mit Zucker bestreuen. Leicht karamellisieren lassen. 2. Dann die Hitze reduzieren und das Apfelmus einrühren.

3. Die Cranberrys mit dem Messer etwas zer­ hacken, unterrühren und die Masse mit Zimt und Nelken abschmecken.

5. Die eingeweichten Zwetschken tief in die Äpfel stopfen und darüber die vorbereitete Masse einfüllen.

4. Von den Äpfeln auf der Seite des Blütenrestes einen Deckel abschneiden und das Kerngehäuse großzügig herausschneiden.

6. Die Äpfel mit einem Butterstück belegen und je einen Anisstern und eine Zimtstange in die Fülle stecken. Im Backrohr 25 bis 30 Minuten braten.

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Hausbesuch

Eine gelungene Mischung aus Jagdstube und Landhaus: Der große Wohnraum bietet genügend Platz für Familie und Freunde. Schon durch die ungewöhnlich verlegte Balkendecke strahlt der Raum große Behaglichkeit aus.

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Ein Halali auf die

Gemütlichkeit

In ihrem Jagdhaus am Schneeberg erholen sich Kurt und Sonja Menhofer vom Alltagstrubel. Wo sich Fuchs und Reh gute Nacht sagen, wird ums Jahr so manches Familienfest gefeiert. Text: ruth wegerer Produktion: michaela gabler  Fotos: Harald Eisenberger

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ine holprige, schmale Sandstraße schlängelt sich an einem Bach entlang durch das Waldgebiet in Niederösterreich. Hier ist weit und breit kein Haus mehr zu sehen, und nur das Rauschen des Bächleins und der Wind in den Bäumen sind zu hören. Fast schon kitschig, diese Stimmung, wie aus einem alten Wilderer-Film, aber wo bitte ist hier ein Jagdhaus? Da kommt Sonja Menhofer schon winkend ein steiles Straßerl herunter, und über einen steinigen Steig erklimmen wir den Weg zum Haus. Das liegt ganz versteckt zwischen den Bäumen, dem Hang zur Straße und einem noch steileren Waldhang auf der Rückseite. „Eigentlich war es ein altes Bauernhaus“, sagt Sonja Menhofer beim Hinaufgehen, „das haben wir zum Revier dazugekauft, beim Großvater und Vater meines Mannes gab es noch kein Jagdhaus.“ Jetzt stehen wir davor in einem kleinen Innenhof, der von einer Scheune und dem ehemaligen Stallgebäude begrenzt ist. Man sieht es dem kleinen Dreiseithof gar nicht an, dass er bis auf den alten Schweinestall neu aufgebaut wurde. Ein ziegelboden als besondere Rarität

„Anfang der 1990er-Jahre wollten wir das Haus komplett renovieren“, erzählt Sonja Menhofer, während wir das Haus betreten, „doch das war nicht mehr möglich, es war schon zu kaputt, es ist still und leise in sich zusammengebrochen.“ Also haben die Menhofers alte Häuser in der Umgebung bis zu den Fensterleibungen dokumentarisch fotografiert, um das Haus so wieder aufzubauen, wie es einmal dagestanden ist. Die Rundlings-Deckenbalken der Innenräume stammen aus einem Wiener Abbruchhaus. Sie wurden von den Handwerkern, die den Innenausbau übernahmen, verkehrt herum verlegt, mit der runden Seite in den Raum. Wie beim Original wurde die Decke aber nicht isoliert, das heißt, man hört hier jeden Schritt, und manchmal bröselt der Staub durch den Plafond. Auch der Ziegelboden im Vorhaus kommt aus dem Wiener Abbruchhaus, es sind alte Dachboden-Ziegelplatten, die man heute fast nicht mehr findet. Als Ziegelfachmann wusste Kurt Menhofer diese Rarität besonders zu schätzen. ➻

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In der Küche: Gefütterte Leinenvorhänge und Filzsitzkissen auf den alten Wirtshaussesseln bringen optische Wärme. Der Küchenofen (unten) wurde nach altem Vorbild gebaut und spielt doch alle technischen Stückerln. Die Arbeitsplatte im Hintergrund ist aus Waldviertler Granit.


Die Ecke im Wohnzimmer macht ein Bärenfell noch kuscheliger. Oben: Kerzenschein und jagdliches Dekor sorgen für Stimmung beim Nachmittagstee.

Die alte Kuchlwaage ziert das Küchenfenster, ein Hahn und ein Jäger (rechts) bewachen den Vorraum. Links: Die Keramikschütten hat Sonja Menhofer von der Großmutter geschenkt bekommen.

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Der große Stadel wird für Familienund andere Feste ausgeräumt. Durch die Trophäensammlung bekommt auch dieser Raum seine jagdliche Ausstrahlung.

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ein paradies: die kinder sausten im wald herum, und es gab herrliche kindeRfeste, unvergesslich schön.

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In der Hirschbrunft heißt es früh aufstehen. Links: eines der liebevoll eingerichteten Gästezimmer. Die Töchter wissen das zu schätzen und kommen wieder gerne hierher.

Wie ein Kokon ist das gemütliche Elternschlafzimmer gestaltet. Holzplafond, Einbaukästen, viele Polster und warme Decken sorgen für erholsamen Schlaf.

Die Liebe zur Natur, zum Wald und zur Jagd wurde dem Badener Unternehmer schon in die Wiege gelegt: Seit Generationen ist das Jagdrevier im südlichen Niederösterreich in Familienbesitz, und der kleine Kurt ging regelmäßig mit seinem Vater auf die Pirsch. „Der beste Platz, um die Alltagsgedanken abzuschütteln“, schildert Kurt Menhofer seine Passion, „ist für mich der Hochsitz im Wald. So rastlos ich normalerweise im Tagesgeschäft bin, hier überkommt mich umgehend Ruhe und Gelassenheit.“ Ein geschickter Tischler für massmöbel

Auch im Badezimmer ist Holz das vorherrschende Material. Zwei alte Flakons (links) am Ofen bringen Romantik ins Spiel.

Schon der Großvater und der Vater haben hier Forst- und Holzwirtschaft betrieben, und es war für Kurt Menhofer selbstverständlich, diese Verpflichtung zu übernehmen. „Es kommt drauf an, wie man die Jagerei vermittelt bekommt. Wenn man wie ich damit aufwächst, ist es bereichernd und ganz selbstverständlich.“ Für die Ehefrau wäre es vielleicht nicht so selbstverständlich gewesen, aber für Sonja Menhofer, die aus Kärnten stammt, war es von Anfang an stimmig. Auch ihr Vater ist passionierter Jäger, so hat alles bestens gepasst. Doch auf die Jagd begleitet Sonja ihren Mann eher selten, ihr Zugang zu diesem Platz ist ein etwas anderer. „Das ist schnell gesagt“, erklärt Sonja Menhofer und lächelt, „Erholung, Ruhe, Natur! Hier ist es ideal für gemütliche Familienwochenenden, kuschelige Weihnachten und lange Sommerabende abseits vom Alltag.“ Die Einrichtungsgestaltung hat Sonja gerne übernommen. So finden sich hier neben den allgegenwärtigen jagdlichen Dekors und Trophäen auch weibliche Elemente wie schöne Vorhänge, Decken und viele Polster in allen Räumen. Sonja Men­ hofer bevorzugt Naturmaterialien wie Leinen, Loden, Filz und hat für sich Erd- und Naturfarben sowie Grau als durchgehende Linie wiederentdeckt. Da das Haus für eine fünfköpfige Familie – die Menhofers haben drei erwachse- ➻

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Handwerk Mehr als vier Meter hoch ist dieses Glas­kunstwerk rechts, an dem Ernst Kienesberger im Waldviertel sieben Monate ge­arbeitet hat. Die kleinen Einzelteile werden auf der Rückseite geschliffen und mit der glatten Seite nach oben rund um den Spiegelmittelteil angebracht.

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Der Glaszauberer von Burgschleinitz

Ernst Kienesberger ist vermutlich der Letzte in ganz Europa, der noch händisch aus simplem Glas einen brillanten Spiegel zaubern kann. Keine Hexerei, sondern gutes, altes Handwerk. Text: Uschi Korda Fotos: Philipp Horak

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In der Werkstatt des Meisters ent­stehen neben Spiegeln in verspielter Opulenz auch solche in schlichter Schönheit. Rechts oben: Nachdem er die Konturen aufs Glas gezeichnet hat, werden sie mit einem Diamantstift nachgeritzt. Danach wird der Überschuss mit einer Zange einfach abgezwackt.

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ut, das mit der Brille, das könnte ein   paar Assoziationen auslösen. Harry Potter und so. Auch der Standort im Waldviertler Dorf Burgschleinitz, um das herum einen selbst das Navi eine halbe Stunde hartnäckig in die Irre führen will. Aber im wirklichen Leben hat weder Ernst Kienesberger etwas von einem Zauberlehrling, noch hat das, was er tut, etwas Mystisches an sich. Es ist Arbeit. Harte Arbeit sogar, über die man gern hinwegsieht, weil man von der Schönheit des Endergebnisses gar so geblendet ist. „Es ist immer laut. Es ist immer nass. Und manchmal stinkt’s“, sagt Ernst Kienesberger und raubt einem damit gleich das letzte Fuzel an Illusion. Doch jetzt ist es gerade still und idyllisch im Innenhof des alten Bauernhauses. Es riecht nach frischer

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Herbstluft, und über die Szenerie spannt sich ein wolkenloser blauer Himmel, der sich glatt in einem mehr als vier Meter großen Glaskunstwerk widerspiegelt, das hier auf einem Tisch gebettet daliegt. Sieben Monate hat der Meister daran gearbeitet, und es wird fünf Männer brauchen, um den Spiegel in den ersten Stock zu hieven, wo er im Schauraum auf einen neuen Besitzer warten wird. Das könnte dauern, denn nicht viele haben so viel Geld wie etwa der Emir von Dubai, der sich vor ein paar Jahren eine Arbeit von Ernst Kienesberger für seinen Palast geleistet hat. Und auch nicht viele haben einen Raum, wo so ein Spiegel reinpasst und wirken kann. Es sind zwei Dinge, die den Betrachter neben der Größe und der nostalgischen Anmutung in den Bann ziehen: die Schärfe

und Brillanz des Spiegelbildes einerseits sowie die kleinen Unperfektheiten in den Verzierungen andererseits, die gerade dadurch sehr lebendig wirken. Beides entsteht durch Handwerkstechniken, die sich demnächst überlebt haben werden. Spiegel und geschliffene Gläser sind vom einstigen Luxusprodukt durch leistbare Industrieware aus China und Indien längst zum Alltagsgut geworden, Verzierungen schon lange nicht mehr in Mode. die drei Spiegel-Hochkulturen

Bis vor hundert Jahren gab es drei Hochkulturen der Glaskunst, die weltweit den Stil prägten: die Venezianer, die Böhmen und die Wallonen. Während die venezianische Kunst mehr aus Schmelztechniken bestand, beeindruckten die wallonische und die böh-


In der Spiegelwerkstatt gibt es an die tausend Schleifsteine, von Stecknadelkopfgröße bis zur 1.500 Kilo schweren Walze. Und jeder hat eine Polierscheibe als Pendant (links).

mische mit ihren Schleiftechniken. Damit erlebten sie im Jugendstil ihre letzte Hochblüte, mit Art déco und der zunehmenden Verpönung des Ornaments ab den 1920erJahren ging es für Spiegel und Glas als Kunstobjekte kontinuierlich bergab. „Ich war auch der Letzte“, sagt Ernst Kienesberger, „der die Meisterprüfung im Spiegelbelegen machen konnte. Dann ist die Kommission ausgestorben.“ Das war vor 30 Jahren in der Glasfachschule Kramsach in Tirol, wo sich der gebürtige Steyrermühler als Gastschüler so etwas wie den letzten Schliff holte. Ein Fabriksarbeiterkind sei er gewesen, sagt Ernst Kienesberger, das die HAK geschmissen habe und dann mehr per Zufall Glasschleifer-Lehrling wurde. Bleikristall galt damals in den 1970er-Jahren gerade

noch als etwas Wertvolles, sagt er, und dass die Mama richtig stolz auf ihren Sohn war. Bei der Firma Lobmeyr in Wien perfektionierte Ernst Kienesberger dann das klassische Hohlglasschleifen, also das Schleifen von Mustern und Figuren auf Gläser und Flaschen. In der Fabrik der Firma Lachmair in Gars am Kamp war er als Spiegelbeleger und Flachglasschleifer tätig. Aus Scherben geboren

Aber es sei immer dieselbe Geschichte und irgendwie eintönig gewesen, sagt Ernst Kienesberger, darum habe er sich vor 23 Jahren selbstständig gemacht. Er richtete sich in seinem alten Vierkanter eine Werkstatt ein und macht seither Spiegel in altwallo­nischer und altböhmischer Tradition von A bis Z selbst. Nur das Glas nicht, da

holt er sich „die Scherben“, wie er augenzwinkernd sagt, aus dem Handel. Aus den kleineren Scherben entstehen Ornamentteile, die später um den Spiegelmittelteil auf die selbst gefertigte Holzrückwand gesetzt werden. Dafür ritzt Ernst Kienesberger jetzt zur Anschauung mit einem Diamantschleifer die Umrisse aufs Glas. Freihändig, weil mit Schablonen mag er gar nicht arbeiten. Dann wird etwas Öl aufgetragen, damit das Glas nicht so spröd ist; der Überschuss wird mit einer Zange abgezwickt. Klack-klack-klack, springt das Glas exakt entlang der geschwungenen Konturen weg. Übrig bleibt eine Art Palmenkrone. Erst dann beginnt ein langwieriger Prozess von abwechselndem Schleifen und Polieren, bei dem Punkte, Schnörkel und Figuren von Adler und Pfau bis zur ➻

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Wasser ist ein wesentliches Element beim Glasschleifen. Es dämpft nämlich unter anderem den Schleifton, der das Glas zerreißen würde. Nach dem Facettenschliff wird das Glas mit Bimsstein poliert. Je öfter, umso strahlender das Ergebnis.

Nach uralten Rezepturen wird eine Lösung aus Silbernitrat, Zucker und Ammoniak gleichmäßig aufgetragen. Dadurch verwandelt sich das durchsichtige Glas in eine spiegelnde Fläche.

Aphrodite auf dem Glas entstehen. Ebenfalls freihändig selbstverständlich. „Wenn ich mich vertu“, sagt Ernst Kienesberger, „wird der Pfau halt ein bissel blader und die Aphrodite fülliger.“ An die tausend Schleifsteine hat Ernst Kienesberger im Laufe der Jahre dafür aus alten Werkstätten zusammengesammelt. Von Stecknadelkopfgröße bis zur 1.500 Kilo schweren Glasschleifwalze. „Die ist aus den 1930er-Jahren“, sagt er, „und vermutlich die älteste, die weltweit noch in Betrieb ist.“ Und neue werden sowieso keine mehr hergestellt, weil sie keiner mehr braucht. Jeder Schleifstein hat als Pendant in der gleichen Größe eine Polierscheibe. Zumeist aus Pappelholz, aber auch aus Rosshaar und Kork befinden sich ein paar in seinem Besitz. Alles dreht sich und bewegt sich hier

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mit kleinen Motoren, auf Geräten und Werkbänken, die sich Ernst Kienesberger selbst zusammengebaut hat. Dazwischen hängen unzählige Schläuche, denn ohne Wasser geht beim Glasschleifen gar nichts. Teures Silber, stinkendes ammoniak

Als Poliermittel nimmt Ernst Kienesberger feinstes Bimsmehl, das auf den Liparischen Inseln abgebaut wird, und Seltene Erden, wie sie seit Jahrhunderten in China dafür verwendet werden. Am Ende jedenfalls hat Ernst Kienesberger viele kleinere Einzelteile, kunstvoll verziert im Flächen- oder Facettenschliff. Das ist Fachjargon und bedeutet, dass die Muster eigentlich auf der Rückseite geschliffen werden und das Glas mit der glatten Seite nach oben auf dem Spiegel angebracht wird. Die Muster wirken dann

dreidimensional und erhaben, wenn man aber mit den Finger darüberstreicht, ist die Fläche spiegelglatt. Erst wenn alles fertig und zur Zufriedenheit des Meisters ist, kommt der Part, von dem er sagt, dass es stinkt. Dann geht’s ans Verspiegeln mit echtem Silbernitrat, Zucker und Ammoniak. Dafür hat Ernst Kienesberger alte Rezepte aus der Nationalbibliothek und der Hochschule für angewandte Kunst in Wien zusammengesammelt und sie als Basis für seine Kunst genommen. Nur dreimal im Jahr geht er ans Werk, und dann hängt die genaue Zusammen­ setzung von vielen Faktoren ab. „Wenn’s kalt ist, ist’s ein Problem“, sagt er. „Wenn’s z’warm ist, auch. Eigentlich ist’s immer ein Problem.“ Allerdings eines, das er als Letzter auf dieser Welt mit seinem Wissen ➻


Schnörkel, Girlanden, Blumen und Figuren nach alten Vorbildern schleift Ernst Kienesberger ohne Schablonen aufs Glas. Sollte er sich wirklich einmal verschleifen, wird halt der Pfau ein bissel blader. Links: der Schauraum über der Werkstatt.

im Griff hat. Fein säuberlich werden die verzierten Gläser in der hölzernen Belegwanne aufgelegt, die motorbetrieben sanft hin und her schwenkt. Dann trägt Ernst Kienesberger die Silbernitratlösung gleichmäßig auf, und wie von Zauberhand verwandelt sich das durchsichtig Glas ganz langsam in eine dichte Spiegelfläche. Die Rückseiten werden später noch mit Harzlack versiegelt, dann geht es ans Zusammenpassen und Verkleben der einzelnen Teile zu einem Gesamtkunstwerk. verspiegeln war lebensgefährlich

Ganz schön teuer sei das Verspiegeln heutzutage geworden, sagt Ernst Kienesberger, weil der Silberpreis stärker als der von Gold gestiegen sei. Aber immerhin überlebe man beim Handwerk heute viel besser als früher.

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Bis Mitte des 19. Jahrhunderts, als das Foucault’sche Spiegelbelegungsverfahren mit Silber aufkam, wurde mit Quecksilber und Zinnamalgam gearbeitet. Durch die giftigen Dämpfen starben unter Ludwig XIV. bei der Herstellung der Spiegel für Versailles Hunderte von Menschen. Für die Renovierung dieser Glaskunstwerke war Ernst Kienesberger lange im Gespräch, die Franzosen entschieden sich dann für eine nationale Lösung. Einen Zuschlag bekam er aber bei der Restaurierung eines der spektakulärsten Spiegelsäle der Welt im Grünen Gewölbe des Dresdener Residenzschlosses. Eine sehr schöne Arbeit, sagt er, und dass er immer wieder alte Spiegel zum Herrichten aus Schlössern und Palästen bekomme. Er selbst hat übrigens zehn Jahre lang ge-

braucht, bis er im Badezimmer einen Spiegel montiert hat. Vermutlich hat eine seiner beiden Töchter darauf gepocht. Wer tagtäglich arbeitsmäßig mit seinem Spiegelbild konfrontiert ist, für den wäre Eitelkeit wohl geschäftsschädigend. Bleibt nur noch die Frage, wie man es als Spiegelmacher mit dem Aberglauben hält. „Des mit den sieben Jahren Pech kennts bei mir vergessen“, sagt Ernst Kienesberger lapidar und verschwindet in seiner Werkstatt. Barfuß, denn einer wie er weiß natürlich, wie man ohne Schrammen über Scherben geht. 3 Spiegelmacher Ernst Kienesberger Hauptstraße 21, 3730 Burgschleinitz Tel.: +43/680/554 24 08 kienesberger@aol.at


Foto: Eisenhut & Mayer

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