Servus in Stadt & Land Deutschland 06/2014

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Wilde Wunder

Sprudelnde Heimat

Wasserfälle in Deutschland Zu Gast im Donau-Quellenland

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E i nfac h

.

Gut .

Leben

2 Juni

06/2014 EUR 3,90 CHF 7,00

das kleine gärtner-glück Tipps & Tricks für Balkon & Terrasse

Vom Sommer naschen frisch gepflückt & aufgetischt Schmuck aus dem Alten Land

&

Genuss-Geschichten vom Bodensee

&

Türen vom Darß

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Inhalt 2014 Juni

Küche

Wohnen

10 Tosende Urgewalt

50 Symphonie in vier Farben

80 Rund um den Birnbaum

16 So ein Schaukelspaß

56 Insel der Genüsse

88 Was der alles kann!

64 Der Geist des Rhabarbers

92 Flink geknotet

Wasserfälle regen in Märchen und Mythen die Fantasie an, und sie beleben auch unser Immunsystem.

Aus vertäuten Buchenhölzern lässt sich ein feines Gartenbett bauen.

20 Ein Platz zum Krafttanken

Cilly Zöls schuf sich Pflanze für Pflanze abwechslungsreiche Gartenräume.

34 Im Almrausch

Die Blüten der Alpenrosen tauchen ganze Almen in loderndes Pink.

138 Beim König der Lüfte

Wie im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet tollpatschige Küken zu prächtigen Jungadlern heranwachsen.

4 Servus

Mangold bringt Vielfalt auf den Teller, macht sich als Zierpflanze gut und galt einst als Wiege der Frösche.

Die Bodensee-Insel Reichenau ist jetzt im Juni gesegnet mit frischem Fisch und knackigem Gemüse.

Florian Faude zeigt mit seinem Likör, dass Saures wirklich lustig macht.

70 Delikater Marmor

Tee-Eier sind Augenschmaus und Appetithappen zugleich.

72 Grüner Meerestau

Der unverwechselbare Rosmarin ist sogar im Eis ein Genuss.

Elke und Helmut Schuster wohnen auf der Halbinsel Höri im Bodensee in einem kleinen Paradies.

Der Lavendel inspiriert all unsere Sinne. Er sieht gut aus, riecht betörend und schmeckt auch noch gut.

Mit der uralten Knüpftechnik Makramee lässt sich aus ausge­ dienten Stoffen ganz einfach ein sommerlicher Gürtel zaubern.

94 Grillen & Genießen

Feuerstelle und Gartenmöbel selber bauen, dann noch den Tisch schön schmücken, und schon beginnt die Grillsaison.

zusatzfotos cover: bernhard huber, mauritius images

Natur & Garten

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Standards 132

fotos inhalt: katharina gossow, eisenhut & Mayer, mirco taliercio, bernhard huber, georg tedeschi, localpic/rainer dröse, mauritius images

Land & Leute 118 Der Kutscher von Bühlenhausen

In der Welt des Helmut Fried auf der Schwäbischen Alb dreht sich alles um Kutschen und historische Wagen.

126 Geschlossene Gesellschaft Sie sind bunt und sie erzählen von Glück und Lebensart. Die Türen der Gebrüder René und Dirk Roloff auf der Halbinsel Darß wehren auch noch böse Geister aller Art ab.

142 Ein Sommer zwischen den Quellen

Alles Große beginnt einmal klein. Das gilt auch für die Donau, diesen mächtigen Strom, der seinen Anfang im Quellenland zwischen den Ausläufern des Schwarzwalds und der Hochebene der Baar nimmt.

Brauchtum 18 Die Blumenuhr

Sie ist ein Wunderwerk aus alten Tagen, als es noch keine Taschenuhren gab. Damals musste man sich auch bei der Zeit an die Natur halten – und die Pflanzen zeigten an, wie spät es war.

132 Zartes Geschmeide mit Tradition

Bereits vor über 250 Jahren zierten sich die Frauen aus dem Alten Land bei Hamburg mit aufwendig gefertigtem Filigranschmuck.

160 Leben in alten Zeiten

Der Schwarzwald hat eine bunte Vielfalt an einmaligen Huttrachten aus Stroh geschaffen. In Natur oder lackiert, tragbar sowohl an Werktagen als auch an Festtagen.

3 Vorwort 6 Briefkasten, Ortsnamen 8 Servus im Juni 26 Schönes für draußen 28 Gartenplanung: Der kulinarische Topfgarten 32 Die Botschaften der Bäume 40 Natur-Apotheke: Johanniskraut 42 Der Garten-Philosoph 44 Selbst gebaut: Eine Gartenbank 46 Unser Garten, Mondkalender 68 Omas Kochbuch: Johanninüsse aus dem Bayerwald 78 Schönes für die Küche 86 Schönes Zuhause: Dekotipps für den Juni 98 Fundstück: Wandhaken aus altem Besteck 100 Schönes für drinnen 122 Michael Köhlmeier: Der Mummelsee 154 Eine Kurzgeschichte von Rosa Pock 158 ServusTV: Sehenswertes im Juni 162 Impressum, Ausblick Titelfoto: Gunda Dittrich

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gartenbesuch

Fleckerl zum

Krafttanken Ganz sachte, Pflanze für Pflanze, hat sich Cilly Zöls ans Gärtnern gewagt – und so über Jahre hinweg abwechslungsreiche Gartenräume geschaffen. Text: stephanie lahrtz Fotos: nicole lautner


Die hellrosa Rose „Stanwell perpetual“ duftet betörend. Bild links: In Cillys Erstlingsgarten sind die Zöglinge längst miteinander verwachsen, wie beispielsweise Pfingstrosen, rosa Akelei und Gräser unter rot blühender Weigelie links sowie Ahorn mit Zierapfel über den Funkien rechts.

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Cilly und ihr Mann Alois lieben das ­lauschige Eckchen. Die selbst gebaute Steinmauer speichert die Wärme des ­Tages bis weit in den Abend. In der eisernen Schale liegen immer Zitrusfrüchte. „Mein südlicher Tupfer“, sagt Cilly.

E

s ist gutes altes Bauernland, auf dem Cilly Zöls im niederbayerischen Neukirchen vorm Wald in der Nähe von Passau ihre Gartenleidenschaft auslebt. „Wie wir den Hof aufgeben ham, da war des alles hinterm Haus a große Wiesen mit a paar Obstbam und Platz zum Spielen für die Kinder“, erzählt sie uns. Aber dann, als Cilly lange Jahre die Pflege des Schwiegervaters übernahm, da brauchte sie ein eigenes Fleckerl. Eines nur für sich. Eines mit Ruhe. Eines, auf dem ­immer etwas wächst und gedeiht. So hat sie nach und nach wieder ein neues Stückchen Garten angelegt. Den Anfang machte ein dicht bepflanzter Staudengarten rund ums Haus. Den Teil zur Straße hin bestückte sie mit ausladenden immergrünen Büschen wie Kirschlorbeer oder Rhododendron, überdacht von dunklen Nadelbäumen. Der perfekte Sicht- und Lärmschutz. Vor dem Haus prangt übrigens auch das älteste Gewächs des ganzen Gartens: ein sagenhaft üppiger Rhododendron, der die Hausherrin noch fast ums Doppelte überragt. „Der is bald dreißig Jahr’ alt und blüht jedes Jahr zuverlässig“, sagt die Gärtnerin sichtlich stolz. Bei seiner Größe erinnert er an einen über und über mit hellvioletten Blütenbüscheln behangenen Iglu. Ohne ihre Lieblinge geht nix

Die Freude und Ruhe, die Cilly Zöls an ihrem Rückzugsort erfahren hat, hat ihr auch die Kraft für die häuslichen Aufgaben gegeben. Mit jedem gelungenen Beet wuchsen Gärtnerlust und der Mut, Neues zu gestalten. So hat sie sich dann – als Gegenstück zum schattigen Sichtschutzgarten – hinter dem Haus ein kleines, zauberhaft leicht wirkendes, ganz sonnendurchflutetes Gärtlein geschaffen. Hier gedeihen in den mit Buchs umrandeten Beeten vor allem Rosen und Pfingstrosen, geschützt von einer ovalen Mauer aus den Bruchsteinen einer abge­ rissenen Scheune aus der Nachbarschaft.


Spiel des Sonnenlichts in einer Mohnblüte. Bild rechts: Die mit Buchs umrandeten B ­ eete hinter dem Haus erinnern an einen Klostergarten – und heißen auch so. Hier wachsen Cillys Lieblinge, Rosen und Pfingstrosen.

Hauswurz gedeiht in einer ­alten Holzkiste. Bild links: Ein Bad in der ­Morgensonne genießen Schwertlilien, Funkien, weiße Akeleien und Gräser. ­Später spendet der ­Schneeballstrauch darüber Schatten.

„Rosen und Pfingstrosen miassn oafach immer dabei sei’“, meint die Gärtnerin. „Meine absoluten Lieblinge. I hob jeweils so an die achtzig Stöcke verteilt.“ Darum mag sie auch den Mai und den Juni so gern, denn dann stehen sie in voller Pracht. Von der Pracht der Pfingstrosen können wir uns heute überzeugen: Egal wohin wir gehen und schauen, überall stehen sie. Mal ganz in Weiß, mal mit zweifarbigen Blüten in Rosatönen oder auch mit geflammten Blütenblättern in Weiß-Rot. „Weil mir hier in Neukirchen doch öfter an Regen während der Blüte ham, nehm ich vor allem

Pfingstrosen mit schalenförmig ausgebreiteten Blättern“, erklärt die Gärtnerin. Die würden sich nicht so mit Wasser vollsaugen und daher auch nicht so leicht abbrechen nach einem starken Guss. Außerdem kämen auf diese Weise die Insekten besser an ihre Nahrung, betont Cilly und freut sich über die gelungene Verbindung von Schönem und Nützlichem. Bienen und Hummeln naschen mit

Diesen wunderbaren Mix bietet auch das am Rande des Sonnengartens gelegene Kräuterbeet mit Liebstöckel, Zitronenmelisse, Boh-

nenkraut und Kapuzinerkresse. Hier bedient sich die Köchin ebenso wie Bienen, Hummeln und Schmetterlinge. Wenige Schritte weiter wartet der kleine Gemüsegarten mit Gelben Rüben, bunten Salatköpfen, Bohnen und Beerensträuchern am Rand auf Hausherrin und Besucher. Weil sie nur noch für ihren Mann und sich kochen muss, braucht Cilly nicht mehr so viel Gemüse, also hat sie ihren Gemüsegarten verkleinert und stattdessen einen Aprikosen- und einen ­Pfirsichbaum gepflanzt. „Ich brauch ­nämlich immer mal was Neues“, sagt sie. „Hoff ma mal, ➻

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Wenn die große Hitze kommt, ist es Zeit für eine kleine Kaffeepause im Schatten des alten Apfelbaums vor dem Rhododendronbusch. Dabei kann man die riesigen Funkienblätter rechts bestaunen.


„Riech doch mal, unsere duftende Rosenschönheit strengt sich heuer wieder ganz besonders an.“ Cilly und Alois können gar nicht genug schnuppern und schauen.

der Zöls-Garten in Neukirchen W

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Obstbaumwiese

Rondelle

dass die nächstes Jahr scho a bisserl tragen. Is ja die Südseite hier und hinten von da Mauer gschützt“, meint Cilly zuversichtlich. Natürlich machte ihr zunehmender gärtnerischer Ehrgeiz auch nicht halt vor der Obstbaumwiese mit den alten Apfel-, Zwetschgen- und Kirschbäumen. Hier hat nun jeder Baum rund um seinen Stamm eine kleine Blumeninsel bekommen. Mal ist sie oval, mal rund oder sie erinnert an einen Kreis mit Dellen, ähnlich wie eine Acht. Und weil Cilly irgendwann viel mehr einjährige Blumen und mehrjährige Stauden als Bäume hatte, verteilte sie auch noch ein halbes Dutzend Rondelle einfach so mitten in die Wiese. Jedes hat zwar seine eigene Form, nur eines ist überall gleich: Es stehen immer mindestens hüfthohe Rosen – jetzt mit noch ganz fest verschlossenen Köpfchen – über niedrigeren Pfingstrosenstauden. Darunter verwachsen die klassischen Boden­ decker wie Fette Henne, Wolfsmilch, rosa oder violetter Storchenschnabel oder auch mal grün-gelblicher Frauenmantel miteinander. Von den Lenzrosen sieht man jetzt nur noch manche Blätter. Ein Bankerl zum Träumen

Gemüsegarten altes Bauernhaus

Holzlager

Mauer Gartenhäuschen

Maschinenhalle

Wohnhaus

Gartenteich

Wir können uns zwar nur schlecht von all den Pfingstrosenblüten trennen, aber Cilly möchte uns noch ihr Spätsommer-Lieblingsplätzchen zeigen: ein verwittertes Bankerl vor dem alten Holzschuppen gegenüber dem Hauseingang. Neben der Bank bilden Hortensien, Pfingstrosen und zweifarbige Schwertlilien eine bunte Lebensgemeinschaft, und davor steht ein alter Birnbaum. „Wenn hier die Früchte reif sind, dann ess ich oft amal drei oder vier auf oan Sitz“, sagt sie lächelnd zum Abschied – und genießt noch ein bisserl die warme Maisonne auf ihrem Bänkchen. 3

illustration: julia lammers

Rhododendron Sichtschutzgarten

ca. 35 m

Servus-Tipp: Nicht nur im Mai und im Juni, wenn bei Cilly nach und nach Rosen, Pfingstrosen und Päonien erblühen, lohnt sich ein Besuch bei den Zöls in Neukirchen vorm Wald. Bitte unter Tel. 08502/37 96 anfragen!

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rezepte mit Tradition

Insel der Genüsse

Frischer Fisch aus dem See, knackiges Gemüse von seinen Gestaden – die Insel Reichenau im Bodensee ist ein gesegnetes Land, gerade jetzt. So fruchtig, luftig und leicht kann der frühe Sommer schmecken. Redaktion: Martina Meuth, Katharina Kunz & alexander rieder Fotos: Eisenhut & Mayer

ensee

Insel Reichenau im Bod

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Gefüllte Kohlrabi

zusatzfoto: imago

Die Insel Reichenau liegt im Untersee, dem westlichen Seitenarm des Bodensees, und ist vom Klima verwöhnt. Schon die Römer wussten diesen Garten Eden im rauen Norden zu schätzen. Auf 120 Hektar Anbaufläche gedeihen heute noch die unterschiedlichsten Gemüsesorten. Darunter knackige Kohlrabi, die gefüllt zwar ein bisschen Arbeit machen, aber den Aufwand mit tollem Geschmack belohnen.

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Spinatroulade mit Zander und Seeforelle Neben dem Gemüseanbau ist die Fischerei ein wichtiger Erwerbszweig auf Reichenau, zwanzig Familien leben noch davon. Sie teilen sich das fischreiche Gewässer mit den Schweizer Kollegen am westlichen Ufer. Bei der Zubereitung orientiert sich die badische Küche gern am Schweizer Vorbild – wie bei diesem eindrucksvollen Fischgericht. Als Beilage genügt frisches Weißbrot zum Auftunken der köstlichen Sauce. Es passen aber auch kleine Petersilienkartoffeln dazu.

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Reichenauer Gemüsetopf Ein bunter Eintopf, der die zarten Gemüse, die der Juni im milden Klima der Insel reifen lässt, in einem Teller versammelt und Frühsommerlaune macht. Weil er kaum Kalorien enthält, darf ein Schlag Crème fraîche ruhig für Opulenz sorgen, ohne dass man um den Erfolg seiner Frühjahrskur bangen muss. Sahne gehört in der badischen Küche einfach dazu. Man liebt es hier eben etwas üppiger als im schwäbischen Gebiet des Bodensees.

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Grüner Spargel mit Ei Der grüne Spargel verdankt seine Farbe dem Chlorophyll, das er entwickelt, weil er eben nicht wie sein weißer Verwandter unter der Erde versteckt, sondern über der Erde der Sonne entgegenwachsen darf. Das verleiht ihm auch einen intensiveren Geschmack. Obwohl er als eine der wenigen Gemüsesorten aus Platzgründen nicht direkt auf der Insel angebaut wird, liebt man ihn auch hier. Drüben auf dem nahen Festland gibt’s ja genug Spargelhöfe, die im Frühsommer Hochsaison haben.

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Millefeuille mit Erdbeeren & Quarkschaum Zu diesem attraktiven Dessert passt ein Glas Wein, zum Beispiel ein Weißburgunder. Natürlich von der Insel Reichenau, dem südlichsten Weinbaugebiet Deutschlands. Einst stand fast die Hälfte der gesamten Inselfläche unter Reben, bis in den 1920er-Jahren schwere Frostwinter fast alles vernichteten. Erst nach einer Flurbereinigung in den 1970er-Jahren pflanzte man erneut Rebstöcke, die heute immerhin auf 20 Hektar ertragreich sind.

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Deko-Ideen

Schmückt, schmeckt, duftet

Was der Lavendel alles kann! Seine Farbe inspiriert unsere Sinne, seine ätherischen Öle entspannen, sein Duft hält u ­ ns Ungeziefer vom Leib und von der Wäsche. Und sein Aroma verfeinert Süßes wie Saures. Redaktion: Alice Fernau  Fotos: katharina Gossow  Styling: natascha Hochenegg

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flechtwerk Linke Seite: Für die dekorativen Duftstäbchen haben wir elf lange Lavendelhalme mit einem Satinband (ca. 1 m) unter den Blüten zusammengebunden, wobei das Band an einer Seite knapp beim Knopf abgeschnitten wird; der Rest hängt lose nach unten. Dann haben wir das Büschel­umgedreht und die blütenlosen Halme so geknickt, dass sie sternförmig vom Knoten nach außen zeigen. Dann das Band zwischen den Stängeln verweben, bis alle Blüten im Inneren­verborgen sind.

Duftspender Foto oben: Lavendelsäckchen verbreiten nicht nur gute Luft im Kleider- oder Wäscheschrank, ihr Duft hilft auch, lästige Motten zu verbannen. Eine Handvoll Lavendelblüten (selbst gerebelt oder aus der Apotheke) in kleine Säckchen aus Baumwollstoffresten füllen und einfach oben zunähen.

Aromakünstler Links: Lavendelsirup lässt sich vielfältig ein­ setzen. Ein Glas Sekt wird zum Cocktail mit spezieller Note. Die Vinaigrette bekommt ein tolles Aroma. Und Vanilleeis mit Lavendelsirup schmeckt zum Niederknien. So wird’s gemacht: 1,5 l Wasser und 1 kg Zucker aufkochen und abkühlen lassen. In das noch warme Zuckerwasser 60 g frische, aufgeblühte Lavendelblüten geben. Auskühlen lassen, abseihen und in Flaschen füllen.

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Wäsche-erfrischer Rechts: Wer sein Bügeleisen schonen möchte, bei der Hausarbeit gut vorankommen will und entspannt in den Schlaf sinken mag, verwendet am besten selbst gemachtes Bügelwasser. Was man dazu braucht: 1 Liter destilliertes Wasser, 10 Tropfen naturreines Lavendelöl, 3 Tropfen Cremophor EL aus der Apotheke (modifiziertes Rizinusöl), 5 Tropfen Weichspüler, eine Pipette oder Spritze. Zunächst werden 3 ml des destillierten Wassers mit dem Lavendelöl vermischt, danach kommt das Rizinusöl als Lösungsvermittler hinzu. Den braucht man übrigens, damit sich das Lavendelöl gut im Wasser löst. So verklebt später weder das Bügeleisen, noch entstehen auf der Wäsche unschöne Flecken. Dann noch den Weichspüler dazugeben, damit das Bügeleisen leicht über die Wäsche gleitet, mit dem Rest des destillierten Wassers aufgießen, schütteln – und los geht’s!

Gaumenbetörer Rechts unten: Dessert oder Zwischengericht? Auf jeden Fall schmeckt das Lavendelsorbet erfrischend anders: 5 g frische Lavendelblüten in 3 EL Läuterzucker erwärmen (Achtung: nicht aufkochen, die Blüten verlieren sonst ihr Aroma!) und dann auskühlen lassen. Mit einem Viertelliter Weißwein oder Sekt und einem Achtelliter Mineralwasser aufgießen. Den Saft einer halben Zitrone zufügen und in einer Schüssel vermischen. Anschließend in einen hohen Becher füllen und durchmixen. In der Eismaschine cremig durchfrieren. Köstlich!

saubermacher Rechte Seite: Die ätherischen Öle von Lavendel duften nicht nur herrlich, sie wirken auch beruhigend auf unsere Sinne. Für das Badesalz werden naturreines Lavendelöl und getrocknete Blüten mit grobem Meersalz vermischt und anschließend in ein dekoratives Glas gefüllt. Tipp für die Seifenzubereitung: 10 TL Lavendelblüten in ein Teesäckchen füllen, in eine Schüssel legen und mit 60 ml kochendem Wasser aufgießen. Anschließend 30 Minuten ziehen lassen, mit 100 g unparfümierten Seifenflocken sehr gut verkneten und in Formen pressen. Übrigens: Der violette Schimmer lässt sich durch Lebensmittelfarbe oder einen Schuss Heidelbeersaft erzeugen.

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Seife: Alles Seife


land & Leute

Der

Kutscher von Bühlenhausen

In der Welt des Helmut Fried auf der Schwäbischen Alb dreht sich alles um Kutschen und historische Wagen. Ein museumsreifes Hobby? Ganz und gar nicht. Text: Achim Schneyder Fotos: Mirco Taliercio

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Kutschensammler Helmut Fried (links) hält die Zügel fest in der Hand, ein Gast seines Museums genießt die Ausfahrt. Max und Moritz ziehen die Kutsche, die Direktor Fried eigenhändig gebaut hat.

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ax und Moritz spitzen die Ohren. Neugierig lugen sie aus ihren Boxen hervor und beobachten das rege Treiben um sie herum. Helmut Fried hat gerade die rote Kutsche aus der Scheune auf den Vorplatz gerollt, und die beiden Pferde wissen, dass sie bald geholt und ihre Dienste gefragt sein werden. „Baujahr 1993“, sagt Helmut Fried, als er wenig später den geduldigen Hengsten das Geschirr anlegt, ehe er sie vor den Wagen spannt. Ein halbes Jahr Arbeit hat er damals in diese Kutsche aus Metall investiert, die zweite, die er selbst gebaut hat. Die erste stammt bereits aus dem Jahr 1976 und sollte den Beginn einer Leidenschaft markieren, die geradezu ungeahnte Ausmaße annahm und mit der so keiner rechnen konnte. Helmut Fried auch nicht. „Damals habe ich mir von meinem Ersparten ein Pferd gekauft“, erinnert sich der handwerklich ungemein begabte frühere Bäcker. „Und schon bald hatte ich die Idee, eine Kutsche zu bauen. Beziehungsweise es zu versuchen, denn in Wahrheit hatte ich keine Ahnung, wie das ging. Ich wusste nur, dass ich es wollte.“ Der Versuch gelang, doch hatte der Schöpfer des Zweisitzers bei der Planung etwas­Wesentliches nicht bedacht: Die Familie bestand aus mehr als nur zwei Personen. Wie also an sonnigen Sonntagen gemeinsame Ausfahrten machen? „Also habe ich für wenig Geld einen hölzernen, ziemlich heruntergekommenen und mehrsitzigen sogenannten Bernerwagen aus dem Jahr 1910 erworben und diesen in meiner kleinen Garage­ restauriert.“

Ein Original muss es sein

Rasch gesellte sich eine Kutsche zur nächsten und ein Wagen zum anderen, denn für den ausrangierten Bernerwagen bedurfte es zahlreicher Ersatzteile. „Und da ich das gute Stück möglichst originalgetreu und nicht mit neu gefertigten Teilen restaurieren wollte, habe ich mich nach weiteren alten Kutschen umgesehen und damit völlig ungewollt eine Lawine losgetreten. Plötzlich diente jede neue Kutsche und jeder ➻

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Ein besonders elegantes Exemplar ist diese Kutsche (im Bild oben in ganzer Pracht), deren Herkunft Helmut Fried noch nicht restlos klären konnte. „Aber sie dürfte einst einem Adels­geschlecht gehört haben.“

neue Wagen als Ersatzteillager für die Vorgänger. Da eine hölzerne Achse, dort ein Rad, wieder woanders eine Sitzbank.“ 1999 schließlich eröffnete Helmut Fried sein erstes Kutschenmuseum – bei sich zu Hause in der bereits großzügig ausgebauten Garage. Doch als auch im Zubau alles aus allen Nähten zu platzen begann, erwarb der gleichsam zufällige Museumsdirektor ein Grundstück am Ortsrand seines Heimatdorfes Berghülen in der Nähe von Ulm und baute dort im Jahr 2004 eine Halle aus Holz. Dreißig Meter lang, sechzehn Meter breit und zweistöckig. Rundherum Wiesen und Felder, so weit das Auge reicht. Wer nun meint, das müsse doch groß genug sein, irrt. Denn die Sammlung des Kutschenbauers und Kutschenrestaurators umfasst heute inklusive einiger (Pferde-)Schlitten um die einhundert Exponate, von denen erst recht wieder nicht alle Platz in diesem 2006 in Betrieb gegangenen Museum finden. „Die Garage zu Hause“, stöhnt Helmut

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Fried, „ist inzwischen ebenfalls wieder voll. Bis unter die Decke.“ Wobei er sich um weiteren Nachschub nicht mehr umzusehen braucht, denn inzwischen werden ihm Kutschen aus weiten Teilen des Landes angeboten. Zum Teil einfach geschenkt, weil sie ihren Besitzern im Weg stehen. Anfangs belächelt, jetzt ausgebucht

Etwa eine halbe Million Euro, so schätzt er, hat er sich sein Hobby in nun bald vierzig Jahren kosten lassen. „Und da wir kein Verein sind, bekommen wir auch keinerlei Zuschüsse“, sagt Helmut Fried. So ist man auf die Eintrittsgelder und auf andere Einnahmequellen angewiesen. „Aus diesem Grund haben wir im Museum auch ein Café eingerichtet, in dem es Getränke und die Torten und Kuchen meiner Frau Doris gibt. Anfangs wurden wir im Ort noch belächelt, heute sind wir an Wochenenden oft zur Gänze ausgelastet. Außerdem ver-

mieten wir das Museum für Hochzeiten oder Firmenfeiern.“ Schließlich bittet der Hausherr erst zu einer Ausfahrt mit der selbst gebauten Kutsche auf den schier endlosen Feldwegen und danach zum Rundgang durch das Museum. Wobei Helmut Fried zu fast jedem der ausgestellten Exponate aus den vergangenen zwei Jahrhunderten die dazugehörige Historie kennt. „Dieser Wagen beispielsweise ist eine absolute Rarität: ein Multifunktionswagen aus Hayingen, der noch eine Holzachse hat“, erzählt Helmut Fried. „Da sich damals kaum ein Bauer mehr als einen Wagen leisten konnte, erfüllte dieser gleich mehrere Zwecke. Waren alle vier Seiten mit Leiterwänden geschlossen, diente er als Mist- oder Heuwagen, baute man die Leiterwände ab, war es ein Langholzwagen.“ Eine ziemlich vornehm wirkende Kutsche harrt noch ihrer Bestimmung. „Da bin ich noch am Recherchieren, woher sie kommt.


Bei feierlichen Ausfahrten tragen Max und Moritz (links) schöne Glockenhalsbänder. Der Leichenwagen (oben links) ist auch heute noch bei Beerdigungen im Einsatz.

Beim Behandeln des Holzes kam jedenfalls ein Wappen zum Vorschein. Kaiserlich? Kö­ niglich? Oder aus einem Adelsgeschlecht? Ich werde es herausfinden. Und das hier ist ein russischer Militärwagen aus dem Zwei­ ten Weltkrieg, der auf deutscher Seite zum Einsatz kam, nachdem ein russischer Gene­ ral mitsamt seiner Kompanie übergelaufen war. Und das hier wiederum ist ein deut­ scher Militärwagen aus dem Ersten Welt­ krieg, auf dem Verwundete abtransportiert wurden“, fallen dem Kutschenbauer immer neue Geschichten ein. Sogar ein schwarzer Leichenwagen ist Teil der Ausstellung. Bisweilen kommt die­ ser auch heute noch bei Beerdigungen in der Region zum Einsatz. Während sich Max und Moritz nach einer weiteren Ausfahrt mit Museumsbesuchern auf ihrer Koppel entspannen, geht für Hel­ mut Fried die Arbeit weiter. Zuhause im Keller wartet eine eben erst erstandene alte Kutsche darauf, schon bald wieder in neuem

Glanz zu erstrahlen. „Und die ist wahrlich in keinem guten Zustand. Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen.“ Der großzügig angelegte Keller befindet sich unter der erweiterten Garage und wur­ de nachträglich gegraben. „Weil oben, wie gesagt, kein Platz mehr war, war das die einzige Möglichkeit, zusätzlichen Platz zu schaffen“, erklärt der umtriebige Bastler und geht die Treppen hinunter. wie die Kutsche in den Keller kam

Von der Decke hängen alte Wagenräder und im Eck kauert ein tatsächlich ziemlich mit­ genommenes Modell. „Schritt eins ist eine Bestandsaufnahme: Wo fehlt’s? Was muss alles ersetzt werden? Was kann man ohne Ersatzteile reparieren? Tja, und dann geht’s los. Teile zusammensuchen, das Holz ab­ schleifen, das Holz neu lackieren, grobe Arbeiten, feine Arbeiten.“ Bei genauerer Betrachtung der Dinge und angesichts der niedrigen Kellertür stellt sich eine Frage:

Wie kam die Kutsche in den Keller? Da lacht Helmut Fried und zeigt hinauf zur Decke. „Sehen Sie? Dort, wo die Holzplatten sind, habe ich beim Garagenboden­drei mal drei Meter Beton ausgespart und kann Kutschen mit einem kleinen Kran hinunterhieven, wenn ich die Holzplatten wegnehme.“ Der Mann weiß sich zu helfen. Aber da ihm beim Restaurieren niemand hilft, wird es noch Monate, vielleicht sogar noch ein Jahr dauern, bis diese bemitleidenswerte alte Kutsche museumsreif, sprich reif für sein Museum ist. Denn die Zeit ist das größ­ te Problem im Leben Helmut Frieds, denn schließlich hat er auch einen Beruf. Im ech­ ten Leben nämlich ist der Herr Museums­ direktor Lkw-Fahrer … 3

Kutschen-Wagen-Museum: Fam. Fried, Ulmer Straße 36, 89180 Berghülen-Bühlenhausen, Tel.: 07344/89 80, www.kutschen-wagen.de

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Handwerk

Zartes

Geschmeide mit Tradition

Bereits vor über 250 Jahren schmückten sich die Frauen aus dem Alten Land bei Hamburg mit aufwendig gefertigtem Filigranschmuck. Dessen Herstellung ist eine Kunst, die nur noch wenige beherrschen. Text: birte kaiser Fotos: georg tedeschi

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Zeichen des Reichtums: Je mehr Reihen die Kette der Bäuerin hatte, desto betuchter war sie. „De Drohtparl’n“ (die Drahtperlen) galten als wichtiges Accessoire der Tracht.

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er nich will dieken, de mut wie­ ken.“ Zimperlich waren sie nicht, die Alt­ länder, wenn es darum ging, ihren Besitz zu bewahren. Das in Plattdeutsch verfasste oberste Gebot der Region am südlichen Elbufer besagt, dass derjenige Bauer, der den Deichabschnitt vor seinen Feldern nicht ordnungsgemäß instand hielt, kurzerhand enteignet und sein Besitz an die anderen Bauern verteilt wurde. Überleben konnte die Gemeinschaft eben nur, wenn alle zu­ sammenhielten. Eine einzige undichte Stel­ le im Deich, und die nächste Sturmflut konnte für alle den Untergang bedeuten. Wer in so enger Abhängigkeit zueinander lebt, entwickelt naturgemäß Eigenheiten, Traditionen und Bräuche, die manchmal schon wenige Kilometer weiter nicht mehr anzutreffen sind.

Die Tracht sagt mehr als viele Worte

Für den rosettenförmigen Rahmen wird der Silberdraht zunächst über einen Stift, dann über einen flachen Riegel in Form gebogen und geknifft (oben rechts und links). Mit Ornamenten gefüllt, schlägt ihn die Goldschmiedin zu einer Halbkugel (links). Am Ende geht jedes Stück durch die strenge Endkontrolle von Sigrid Masuhr (großes Bild).

Sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zu den Altländern war ihre aufwendige Tracht, die noch bis Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig getragen wurde. Vor allem die Kleiderordnung der Frauen folgte strengen Regeln, gab jedoch gleichzeitig viel von der Trägerin preis. So verriet ein roter Wollrock, dass die Dame verheiratet war. Je nachdem wie die Schleife der Kopfbedeckung gebun­ den war, wusste man, aus welchem Dorf sie stammte. Ihr Reichtum und ihr gesellschaftlicher Stand ließen sich am sogenannten Filigran­ schmuck der Festtagstracht ablesen. Eine fünfreihige Kette aus Silberkugeln? Glatter Durchschnitt! Trug sie hingegen acht oder zehn Reihen und reichten diese sogar bis zur Hüfte, hatte man es mit einer besonders angesehenen Bäuerin zu tun. Einem Gerücht zufolge blieb ein Geheim­ nis jedoch im Verborgenen: die Haarfarbe seiner Braut, die ihr Haar stets unter einer eng gebundenen Haube versteckt hielt, be­ kam der Bräutigam erst in der Hochzeits­ nacht zu Gesicht. Für mögliche Rücktritts­ gesuche war es dann zu spät. Sie wären dem jungen Ehemann wohl teuer zu stehen gekommen, immerhin hatte er seiner Verlobten statt eines Ringes eine wertvolle Brosche zum Geschenk gemacht: ein „Bruthart“, ein Brautherz, gefertigt ➻


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Ein vergoldetes Schmuckstück für die Dame des Herzens.

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aus hauchzarten, ineinander verwobenen Silberdrähten, verziert mit kleinen grünen oder roten Steinen, behängt mit Kugeln, den „Bummels“, manchmal sogar vergoldet. Die Damen trugen das herzförmige Schmuckstück vorn an ihrer Tuchwulst, die vor allem gegen den rauen Wind schützen sollte. Dieser weht heute noch gelegentlich über das Alte Land, das inzwischen als größtes Obstanbaugebiet im Norden Deutschlands bekannt ist. Auch Trachten sieht man hin und wieder – getragen hauptsächlich von Frauen, die zu Trachtengruppen gehören, und die die alten Traditionen nicht aussterben lassen wollen. Saskia Jahnel ist eine von ihnen. Sie verbindet ihre Leidenschaft für volkstümliche Kleidung und Bräuche mit ihrer Ausbildung: Sie lernt in der Goldschmiedewerkstatt Funk in Buxtehude, einer der beiden letzten Werkstätten, in denen die Kunst der Altländer Filigranschmuckherstellung noch beherrscht und weitergegeben wird. Zwei Gesellinnen, die zum Teil seit vier Jahrzehnten im Betrieb arbeiten, bringen Saskia bei, wie aus schlichtem Silberdraht elfenhafte Kunstwerke gefertigt werden. Die Filigrankugeln etwa, die aufgefädelt als Ketten getragen werden, als Minianhänger das Brautherz zieren, die Anstecknadeln, mit denen die Ketten festgesteckt werden, krönen oder, zu Knöpfen verarbeitet, an den Trompetenärmeln des Mieders getragen werden, sechs an jeder Seite. Kunst aus dem Orient

Statt eines Eherings trug die Altländerin eine prachtvolle Brosche (oben). Auch die aufwendigen Ärmelknöpfe – sechs je Seite – durften an keiner Tracht fehlen.

Für so eine Kugel wird zunächst ein rosetten­ förmiger Rahmen aus Silberdraht gefaltet. Dies geschieht mithilfe des „Faulenzers“, eines Kupferriegels, über den der Draht an mehreren Stellen geknifft und schließlich an den beiden offenen Seiten zusammen­ gelötet wird. Dieser Rahmen wird nun mit Ornamenten gefüllt. Hierfür muss der Draht zunächst mit einer Zange durch das Zieh­ eisen gezogen werden, um ihn auf die gewünschte Stärke zu bringen. Zwei dieser Drähte werden miteinander verkordelt und schließlich flach gewalzt, sodass eine feine Oberflächenstruktur entsteht. „Das Wort filigran stammt aus dem Lateinischen und setzt sich zusammen aus filum für Faden und granum, dem Korn“, erklärt die Gesellin Sigrid Masuhr. „Also ein gekörnter Faden, der auch Brinkeldraht genannt wird.“ Die Technik stammt ursprünglich aus dem Orient und wurde von See­fahrern nach Europa gebracht. Was erklärt, warum es vor allem Küstenregionen sind, in denen sich der Filigran als Trachtenschmuck durchgesetzt hat.


Viele Arbeitsschritte sind nötig, um die Schmuckstücke, die zur bäuerlichen Ausstattung gehörten, getreu der alten Vorlagen zu fertigen. Saskia Jahnel, 18, macht gerade eine Ausbildung, damit die Tradition weiter gepflegt wird (rechts).

Winzige Stücke dieses Brinkeldrahtes formt die Goldschmiedin nun zu kleinen Schnörkeln, den „Brinkeln“, die entfernt an winzige Brezeln erinnern. Ist der Rahmen mit den Brinkeln ausgefüllt, gibt Sigrid Ma­suhr Streulot über ihr Werkstück und erhitzt das Ganze für wenige Augenblicke mit einer Flamme. Sofort läuft die bis dahin glänzende Oberfläche matt und dunkel an. „Kugelanke“ nennt sich das Gerät, das nun zum Einsatz kommt: ein Vertiefstempel mit Einbuchtungen verschiedenster Durchmesser, in denen die Rosette mithilfe von Stahlpunzen zur Halbkugel geformt wird. Zwei dieser Hälften zusammengelötet ergeben eine Filigrankugel, „zumindest die Rohfassung“, erläutert die Goldschmiedin. Was fehlt, sind die „Krullen“, erhabene Verzierungen, die auf die Kugeln, aber auch auf andere Filigranschmuckstücke gelötet werden und wie kleine Blüten aussehen. Dafür wird ein Draht stramm um einen Stift gewickelt, sodass beim Abziehen eine Spirale entsteht. Diese Spirale wird ein weiteres Mal gewickelt. Ausglühen nimmt dem Metall die

Spannung, damit es sich besser weiterverarbeiten lässt. Nun wird jeder Wickelgang mit einer Schere aufgeschnitten, die so entstandenen kleinen Ringe werden mit einer Kugel versehen und weiterverarbeitet. Schätze, die keiner mehr wollte

Zum Aufziehen bohrt Sigrid Masuhr ein Loch in jede gefertigte Kugel und bereitet dann die Veredelung vor: Noch einmal wird die Kette unter der offenen Flamme erhitzt, bevor sie in ein Bad aus verdünnter Schwefelsäure getaucht wird. Wie durch Zauberhand verwandelt sich die unansehnliche dunkle Oberfläche plötzlich in strahlendes Weiß. Durch anschließendes Polieren erhalten die aufliegenden Flächen ihren silbrigen Glanz, die tiefer liegenden Muster bleiben weiß. Ein Vorgang, der mehrere Male wiederholt wird, bis die gewünschte Optik erreicht ist. „In den siebziger und achtziger Jahren ist der Filigran fast in Vergessenheit geraten“, erinnert sich Geschäftsinhaberin Barbara Funk. „Viele Stücke sind einfach einge-

schmolzen worden, aufwendig verarbeitete Trachten kamen auf den Müll. Erst in den letzten Jahren hat sich dieser Trend gewendet. Die Menschen begreifen langsam, dass etwas Einzigartiges für immer verschwindet, wenn es nicht gepflegt wird.“ Mit einigen Schmuckherstellungsverfahren ist das bereits passiert. So haben die Goldschmiedinnen von Barbara Funk schon ein paar Mal versucht, massive, in sich gedrehte Silberperlen zu fertigen. Solche, die einst zu festlichen Anlässen getragen wurden und die man damals „de God’n“, die Guten, nannte. Bisher ohne Erfolg, aber die Frauen werden nicht aufgeben. Ihnen ist bewusst, dass sie einen wertvollen Schatz hüten: das Wissen um eine alte Kunst, die es zu bewahren gilt. 3

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