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Väterkram: Besser fluchen

Besser fluchen

Wann ist Ihnen eigentlich das letzte Mal Zuhause oder im Auto vor den Kindern die Sprache ausgerutscht? Falls Ihnen diese Formulierung nicht geläufig sein sollte: Sie ist ein eher kläglicher Versuch meinerseits, einen akzeptablen Euphemismus dafür zu finden, wenn Sie die Situation mal wieder so richtig beschissen finden und das auch lautstark bekunden. Und jetzt, wo das raus ist, kann ich auch gleich weitermachen. Ich weiß nicht wie es Ihnen damit geht, aber mir passiert das schon gelegentlich. Und wenn ich gelegentlich schreibe, dann meine ich zu oft. Ich bin, was fluchen angeht, zumeist sehr deutsch – also fäkal. Wenn es doch mal in den genitalen Bereich gehen sollte, dann als sehr durchdringendes „Fuck!“ Wenn ich mich verletze zum Beispiel. Das hat nichts damit zu tun, dass ich besonders international wirken will. Ich brülle auch „Fuck!“ wenn ich mir alleine im Bad schon wieder den kleinen Zeh am dem verdammten Holzhocker stoße, den die Kleinen brauchen, um ans Waschbecken zu kommen. Und wo wir gerade dabei sind: In Ergänzung dazu fällt mir verdammen und verfluchen ausgesprochen leicht – trotz oder gerade wegen meiner atheistischen Weltanschauung. Ich sage beispielsweise ziemlich häufig „Jesus!“, wenn mich etwas überrascht. Auch hierfür braucht es kein Publikum. Aber es ist trotzdem oft da und spätestens da beginnt das Problem: Nämlich wenn ich mit meinen vier Kindern beim Abendessen sitze und sich meine beiden Teenager mit mir und miteinander vor ihren Geschwistern darüber unterhalten, wie die Schule und ihr Tag war. Manchmal beschissen. Mit ekelhaft langweiligem Kackunterricht. Überhaupt: Was ist Latein nur für eine idiotische Sprache. Fuuuuuuuck?! Ich versuche uns dann alle miteinander zu bremsen. Wir haben ja Publikum. Die Kleinen gucken uns zu und freuen sich über das Theater. Später jagen sie durchs Haus und rufen dabei „Fuckfuckfuckfuckfaaaaag, was ist das für ein Tag?“ Reime sind bei uns gerade der Hit. Und ich frage mich immer wieder, wie wir damit umgehen sollen. Dafür wie oft Menschen fluchen und sich einander beschimpfen, sprechen wir erstaunlich wenig darüber, wie und warum wir das tun. Für Eltern gilt das umso mehr. Da gibt es eigentlich nur eine Regel: Nicht machen. Nicht fluchen, nein, auf gar keinen Fall, das ist ein schlechter Einfluss und färbt auf die Kinder ab. Die schwarze Pädagogik kannte und kennt sogar ein Mittel, um Kinder zu „erziehen“, die zu häufig Schimpfwörter benutzen: Den Mund mit Seife auswaschen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass das auf sehr, sehr vielen Ebenen falsch ist. Ich wäre sogar versucht zu sagen, dass das „kranke Scheiße“ ist, aber genau das ist das Problem. Ich möchte diese Handlung verfluchen und beschimpfen, weil sie wirklich furchtbar ist, und beschimpfe damit zugleich Unbeteiligte. In dem Fall kranke Leute. Ich neige auch dazu, in solchen Momenten einen Begriff wie „verrückt“ zu verwenden. Andere sagen womöglich „behindert“. Aber was hat eine Person mit einem Waschzwang oder jemand mit einer Gehbehinderung damit zu tun, dass Eltern es für richtig halten oder überfordert genug sind, ihren Kindern so etwas anzutun? Überhaupt nichts. Indem wir Fluchen und Beschimpfen als Verhaltensweisen vollständig tabuisieren, sorgen wir viel zu oft dafür, dass es die Falschen trifft: Frauen. Minderheiten. Marginalisierte Gruppen. Nicht, dass wir uns missverstehen: Ich will Sie nicht zum Fluchen vor Ihren Kindern einladen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass es passieren wird. Der Autofahrer, der ihre Familie und sie gerade durch ein riskantes Manöver in Gefahr gebracht hat, mag ein Riesenarsch sein. Und das muss raus, sonst platzen sie noch vor lauter Angst und Stress. Aber beschimpfen Sie ihn nicht als „dumme Schwuchtel“. Und die Frau, die ungefragt ihren Kindern in die Haare gefasst hat, auch nicht als „blöde Fotze“. Aber wenn Sie schimpfen und fluchen müssen, bleiben Sie bei der konkreten Person. Als Faustregel: Arsch geht immer.

Nils Pickert ist vierfacher Vater, Journalist und Feminist. Jeden Monat lässt er uns an seiner Gedankenwelt teilhaben.

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