Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

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F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TA G S Z E I T U N G , 1 1 . F E B R U A R 2 0 1 8 , N R . 6

WAS FÜR EIN DING!

UNTER DAMPF

Mit Humor und Übermut

VON FLORIAN SIEBECK

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Bunt und verspielt: Pendelleuchten der Serie „Blossom“ von Hella Jongerius Foto Belux

Niederländische Gestalter sind seit den Neunzigern nicht aus der Designszene wegzudenken. Junge Talente knüpfen an die Erfolge der Klassiker an. Von Christian Tröster

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lut! Die Schmuckdose ist klein, rund und dunkel und besteht aus einem mehr als ungewöhnlichen Werkstoff: Schweineblut. Das Material, das hier gewählt wurde, wirft Fragen auf, nach Provokationen, schlechtem Geschmack und dem Sinn von Design. Basse Stittgen aber, der den Behälter entworfen hat, treiben andere Themen um. „Das Blut ist ein Biomaterial“, sagt er. „Es ist etwas Wertvolles, aber in der Fleischindustrie gilt es nur als Abfall.“ Das wollte der junge Niederländer, der an der Design Academy Eindhoven studiert hat, nicht auf sich beruhen lassen. Und startete eine Untersuchung, die nicht nur ihn beunruhigte. „Wenn ich als Designer mit diesem Material arbeiten will, muss ich mir auch anschauen, wie

Behälter aus Schweineblut: Basse Stittgen hat keine Angst vor ungewöhnlichen Materialien.

Tiere im Schlachthaus getötet werden.“ Er stellte sich der Aufgabe und konstatiert: „Die Idee, aus Blut Objekte herzustellen, erscheint vielen von uns abstoßender, als Fleisch zu essen. Diese Abneigung entsteht vor allem aus Tradition und Gewohnheit.“ Mit seiner unerschrockenen Art ist Basse Stittgen ein typischer Vertreter des niederländischen Designs, das sich spätestens ab Mitte der neunziger Jahre eine eigenständige Position eroberte – und derzeit auf der diesjährigen Konsumgütermesse Ambiente in Frankfurt eine zentrale Rolle spielt. Die Helden von damals hießen Marcel Wanders, Hella Jongerius, Maarten Baas, Jürgen Bey und Piet Hein Eek. Mit der Designagentur Droog Design fanden sie ein Label der Selbstvermarktung für ihre radikalen, konzeptionellen und oft auch amüsanten Entwürfe. Als Ikonen jener Zeit galten ein Sessel aus Makramee von Marcel Wanders, kunstvoll verkohlte Möbel von Maarten Baas und Objekte aus abgeschabtem Holz von Piet Hein Eek. Das alles war aufregend neu und ist bis heute frisch, oft eine kecke Mischung aus ungewöhnlichen Materialien und Humor. Spaß und liebevoll ironischer Umgang mit traditionellen Formen waren hier plötzlich erlaubt, doch die Designer wollen nicht nur spielen. Anders als bei der italienischen Memphis-Gruppe steckt in den Entwürfen der Holländer auch viel

Technik und der Wille, mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nachhaltig umzugehen. Ein Beispiel ist Marcel Wanders’ „Knotted Chair“ von 1995. Der Sessel wirkt, als wäre er aus Seilen geknüpft, was optisch irritierend ist. Doch stecken unter den Fasern Carbonstränge. Das Geflecht wird nach der Herstellung in einen liegestuhlähnlichen Rahmen gespannt, wo es durch die Schwerkraft eine statische Logik erlangt – ähnlich wie bei Antoni Gaudís Kettenexperimenten. Anschließend wird die Konstruktion mit Kunstharz fixiert – viel Aufwand für einen designerischen Kalauer? Keineswegs. Der Sessel wanderte ohne Umwege in diverse Museumskollektionen. „Makramee ist ja eine Kitschtechnik“, sagt Marcel Wanders heute, „ich war aber damals nicht mutig genug, um zuzugeben, dass mir auch das Dekorative gefiel. Ich dachte, man nimmt mir das nur ab, wenn ich das Dekorative als Struktur zeige.“ Technik, Kitsch und Forschergeist gelten seither als konstituierend für das niederländische Design. Wanders und viele seiner damaligen Mitstreiter sind mittlerweile nicht nur zu Klassikern, sondern auch zu erfolgreichen Design-Unternehmern geworden. Wanders selbst betreibt ein Studio mit 60 Mitarbeitern, ist der führende Kopf der Designagentur Moooi und richtet ganze Hotels ein. Piet Hein Eek, der Mann mit den abgeschabten Holzbrettern, entwirft inzwischen ganze Häuser und hat eine Kollektion für Ikea entwickelt. Und Maarten Baas, dessen Arbeiten vom MoMA bis zum Victoria & Albert in keinem Designmuseum fehlen, produziert Uhren, die so ungefähr alles in Frage stellen, was wir uns unter Zeitmessern vorstellen. Eine davon ist seit 2016 am Amsterdamer Flughafen Schiphol installiert, einem Ort, der von Flugplänen, Lieferketten und Fahrplänen bestimmt ist. Baas’ Uhr zeigt statt eines Zifferblattes einen Film, in dem ein Arbeiter die Zeiger einer großen Uhr in jeweils neuen Stellungen malt, auswischt und wieder neu malt – zwölf Stunden lang. Um es gleich dazuzusagen: Die Uhr geht richtig! Den Film zu produzieren dauerte zehn Tage. Das Design aber zeigt mehr an als die Uhrzeit. Es konterkariert abstrakte Zeitmessung mit konkreter menschlicher Arbeit und stellt damit die allgegenwärtige Zeittaktung in Frage. „Obwohl Uhren einen genauen Mechanismus haben, durch den jede Minute gleich ist, ist doch in der Wirklichkeit jede Minute eine einzigartige Erfahrung“, sagt Maarten Baas dazu. „Der Film kann diesen Unterschied klar demonstrieren.“ Der Titel der Uhr ist dann so vieldeutig wie klar: „Real Time“ – Echtzeit. Nach der Generation der Neunziger wuchsen insbesondere aus der DesignAkademie in Eindhoven immer wieder neue und interessante Gestalter hervor. Einer der führenden Köpfe bis heute ist Joris Laarman, der dort 2003 seinen Abschluss machte. Sein erstes Werk, das ihm mediale Aufmerksamkeit eintrug, war ein barock-verschnörkelter Heizkörper. Später entwickelte Laarman ein ausgeprägtes Interesse für Hightech-Verfahren und entwarf Sitzmöbel mit Hilfe einer Bionik-Software. Die stammte von Opel in Rüsselsheim und imitiert das Wachstum von Knochen, um möglichst gewichtsparende Strukturen zu erzeugen. Die damit entwickelten Möbel se-

Zeit-Arbeit: Die Uhr „Real Time“ von Maarten Baas am Amsterdamer Flughafen Schiphol Foto Thijs Wolzak

Kluge Verknüpfung: Marcel Wanders’ „Knotted Chair“ von 1995 steht schon im Museum. Fotos Hersteller

Roboter verbinden: Ein Teil der stählernen Brücke, die Joris Laarman in Amsterdam errichtet, soll aus dem 3D-Drucker kommen.

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hen aus, als wären sie aus Schlieren von Pizzakäse-Fäden geformt, sind aber sehr stabil und wanderten ebenfalls in zahlreiche Designsammlungen. Zurzeit arbeitet Laarman an einer stählernen Brücke, die in Amsterdam errichtet wird. Sie sollte, so das ursprüngliche Konzept, komplett aus dem 3D-Drucker kommen. Geplant war, dass die Druckroboter sich während ihrer Arbeit auf der Konstruktion immer weiter nach vorne schieben, bis sie das andere Ufer der Gracht erreichen und die Brücke vollenden. Aus Gründen von Denkmalschutz bis Sicherheit modifizierten die Planer diese Idee jedoch. Jetzt wird nur noch ein Drittel des Stahlgerüstes gedruckt. Die Brücke, die vermutlich noch in diesem Jahr installiert wird, könnte zu einer der interessantesten und attraktivsten Konstruktionen des zeitgenössischen Ingenieurbaus avancieren. Auch in der Architektur setzen die Niederländer immer wieder Zeichen und bauen Dinge, die man sich andernorts nicht einmal zu denken wagt. So plant das Rotterdamer Büro MVRDV für das Museum Boijmans van Beuningen in seiner Heimatstadt ein 40 Meter hohes und 60 Meter breites Depot-Gebäude – Fertigstellung 2019. Das runde Riesenobjekt hat die Form einer Kaffeetasse – bloß ohne Henkel. Als wäre das nicht ungewöhnlich genug, wird das Haus auch noch komplett verspiegelt. Dadurch, so der Architekt Winy Maas, werde es quasi unsichtbar und füge sich trotz seines Volumens nahtlos in die Umgebung ein. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, gültig für den oberen Teil, in dem der Himmel reflektiert wird. Darunter spiegelt das Depot die umliegenden Gebäude wie in einem Zerrbild, obendrauf wirkt die begrünte Dachterrasse wie eine strubbelige Frisur. Kaum verwunderlich, dass der Vorschlag heftige Diskussionen in Rotterdam auslöste. Nach Einwendungen einer benachbarten psychiatrischen Klinik musste die Verspiegelung auf deren Seite gemildert werden – negative Wirkungen auf Patienten, die aus dem Fenster schauen, konnten nicht ausgeschlossen werden. Doch so schräg das Depot von außen auch wirken mag, so originell und funktional ist es im Inneren. Tatsächlich konnte das Museum bislang nur acht Prozent seiner Sammlung in den Schauräumen zeigen. Mit dem neuen Gebäude werden die restlichen 92 Prozent aktiviert und wenigstens teilweise öffentlich zugänglich gemacht. Dazu vermietet das Museum Bereiche der gut gesicherten und klimatisierten Flächen an private Sammler, gedacht ist das als Win-win-Situation für das Haus und die Kunstszene der Stadt. Anders als die verspiegelte Fassade in Rotterdam, die die Macher technisch herausforderte, erwies sich das Material von Basse Stittgen als erstaunlich unkompliziert. Getrocknet und pulverisiert konnte er das Schweineblut in Form pressen und erhitzen, so dass die Klebekraft des darin enthaltenen Albumins es zusammenhält. Als so vielseitig erwies sich das Biomaterial, dass Stittgen damit sogar eine Schallplatte herzustellen vermochte. Auf der ist der Herzschlag eines Schweins zu hören. Von vielen Freunden, die vegetarisch oder vegan lebten, versichert Stittgen, habe er für seine Entwürfe aber nur positive Reaktionen bekommen.

ous-vide-Garer seien im Trend, heißt es allenthalben nicht erst seit gestern, und ein kurzer Blick auf Google News verrät, dass das scheinbar noch immer so ist. Wer die Anschaffung scheut, weil die Wohnung zu klein oder das Gerät an sich zu unnütz für den Privathaushalt ist, sollte sich überlegen, den ab Ende des Jahres erhältlichen Mikrogeschirrspüler der Firma Heatworks zu besorgen – korrekt, einen Geschirrspüler. Mehr als zwei Drittel der Deutschen haben laut Statistischem Bundesamt schon einen im Haus, aber für das andere Drittel (hartnäckige Handspülnostalgiker, Mikroküchenbesitzer oder angehende Sous-vide-Schnabulierer) eignet sich „Tetra“ vortrefflich: Er braucht weder einen Wasseranschluss noch einen eigenen Platz in der Küchenzeile, nur eine Steckdose (und einen Internetanschluss, zum Spüler gehört natürlich eine App). Der Chef des Herstellers sagt, große Geschirrspüler seien unökonomisch, weil sie entweder zu leer zu oft genutzt würden oder der Mensch es nicht einsehe, geringe Mengen mit ihnen zu spülen und daher viel Wasser beim Handabwasch verbrauche. „Tetra“ soll nur gut zwei Liter pro Durchgang verbrauchen, ein eingebautes Spülsalzreservoir soll mehrere Dutzend Spülgänge durchhalten. Sogenannte Graphit-Elektroden erhitzen das Wasser, das in zehn Minuten das Geschirr von zwei Personen reinigen soll, alternativ 10 Teller oder 12 Gläser. Und dann ist da ja noch die Multifunktionalität: Der Hersteller sagt, das Wasser sei so rein, dass man damit sogar Meeresfrüchte garen oder Babybreigläser sterilisieren könne. Oder Wäsche waschen. Klingt in der Theorie ganz nett, aber ob den Gästen der Hummer aus dem Geschirrspüler munden wird, das ist eine andere Geschichte.

Foto Hersteller

WAS GIBT’S NEUES? Kuss im Schlossgarten Wer mit dem oder der Liebsten zum Valentinstag eines von BadenWürttembergs Schlössern besuchen will, kann vielerorts mit einem Kuss bezahlen. Die Staatlichen Schlösser und Gärten gewähren Paaren in der Woche rund um den 14. Februar freien Eintritt, wenn sie sich an der Kasse küssen. Die Aktion „Küss mich! Im Schloss“ findet den Angaben zufolge schon zum zweiten Mal statt. Im Vorjahr nuzten das 3815 Paare. In diesem Jahr haben Verliebte vom 12. bis 18. Februar die Möglichkeit, umsonst in die Schlösser und Gärten zu kommen. Wer dabei ein Selfie macht, in dessen Hintergrund ein Teil des Monuments zu sehen ist, kann zudem ein OpenAir-Konzert gewinnen oder Tickets für eine Veranstaltung im Residenzschloss Ludwigsburg. lsw Brexit treibt Hauspreise In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres sind die Preise für Eigentumswohnungen in Frankfurt um fast 11 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Das geht aus einer Erhebung des Immobiliendienstleisters JLL hervor. Marktbeobachter gehen davon aus, dass der Brexit die Preise noch weiter antreibt. „Londoner Banker sind hohe Preise gewohnt. Frankfurt ist im Vergleich preiswert, und Wohnungsangebote sind knapp. Daher könnte der Brexit zu einer Verlängerung der Aufschwungphase und zu einer Verstärkung des Preisanstiegs führen“, heißt es bei JLL. Auch das Maklerhaus Engel & Völkers beobachtet ein gestiegenes Interesse aus London. Laut JLL lag der durchschnittliche Angebotspreis für Eigentumswohnungen in Frankfurt im zweiten Halbjahr 2017 bei 4830 Euro je Quadratmeter. Für London nennt Wettbewerber Colliers einen Preis von durchschnittlich 11 952 Euro je Quadratmeter. Anders als in Frankfurt sind die Preise in London um 2,6 Prozent gegenüber 2016 gesunken. Bloomberg


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