Der Tagesspiegel

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REISE

DER TAGESSPIEGEL

NR. 22 527 / SONNTAG, 20. SEPTEMBER 2015

Eine Stadt steht auf Rotterdam ging 1940 im Bombenhagel unter. Nun ist die Hafenmetropole zum Experimentierfeld moderner Architektur geworden. Ein Spaziergang Von Rolf Brockschmidt

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er nach Rotterdam fährt, reist nicht einfach in eine normale niederländische Großstadt mit Grachten und putzigen Backsteinhäusern, wie sie so viele niederländische Städte bieten. Das ist fast alles im deutschen Bombenhagel 1940 untergegangen. Zudem war und ist Rotterdam mit seinem Hafen immer noch die Stadt, die zu Recht von sich sagt: Hier wird das Geld verdient. Seit dem Wiederaufbau ist Rotterdam jedoch immer mehr zum Experimentierfeld moderner Architektur geworden. War es erst noch die autogerechte Stadt mit ihren seelenlosen Bürotürmen, so vollzieht sich nunmehr ein Wandel.

rer Nachbarschaft die spektakuläre Markthalle des Architekturbüros MVRD ist. Doch was haben die Rotterdamer von Luxusapartments am Rathaus? Durch das Gebäude wird die Straße als Das Museum Passage fortgesetzt, in der großen Halle finden sich zieht um dann Cafés und Restaurants und – ganz wichtig – ins das Rotterdam Museum großzügige zieht aus seinen beengten Timmerhaus Verhältnissen im zwar pittoresken Schielandhaus, einem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, das inzwischen eingekeilt ist von Bürohochhäusern, in das Timmerhaus ein. Damit bekommt das Museum mehr Platz, aber

Insbesondere in der Innenstadt, die Touristen nicht als besonders attraktiv eingestuft hatten, verändert sich viel. Frühe Neubauten wurden abgerissen und Zukunftweisendes errichtet. Das neueste Projekt ist derzeit die Überbauung des Timmerhauses, ein Ergänzungsbau der Stadtverwaltung gleich hinter dem Rathaus. Auf und neben dem Gebäude mit seinem gelben Backstein von 1963 hatkein Geringerer als Rem Koolhaas (Office for Metropolitan Architecture) gläserne Kuben gesetzt, zwei Türme mit Luxusapartments und Büros, die sich nach oben hin verjüngen und ihren Bewohnern spektakuläre Ausblicke bieten. Dann schrumpft selbst die Laurentius-Kerk, eines der letzten Überbleibsel aus dem Bombenhagel inmitten von Neubauten, deren jüngster in unmittelba-

vor allem mehr Laufkundschaft und zusätzliche Aufmerksamkeit im Herzen der Stadt. Im Süden entwickelt sich der Wilhelminapier mit seinem spektakulär verschachtelten Hochhaus De Rotterdam bis hin zum Hotel New York im ehemaligen Hauptquartier der Holland-Amerika-Linie zu einem Viertel, das seinen Reiz aus der Mischung von alten Packhäusern und Hochhäusern bezieht. Durch eine Fußgängerbrücke ist nun auch Katendrecht angeschlossen, das ehemalige Chinesenviertel der Stadt mit seinen Lagerhallen, die nun zu neuem Leben erwachen – ein wenig Berlin-Gefühl in Rotterdam. Dafür allerdings mit viel mehr Wasser und prächtiger Aussicht auf die Skyline. Entdecken Sie Rotterdam auf einem ungewöhnlichen Spaziergang!

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Route zu Fuß Route mit der Metro

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Centraal Station

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Fotos (10): Rolf Brockschmidt

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OUDE WESTEN

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Tor zu Stadt. Der neue Hauptbahnhof als Verkehrsknotenpunkt.

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Wie ein Keil ragt das kühne Dach des neuen Hauptbahnhofs aus dem Boden, ein unübersehbarer Akzent für den Willen, Neues zu wagen; ein Entwurf der Architektenbüros Benthem Crouwel Architekten, Meyer & Van Schooten Architecten (MVSA) und West 8. Rotterdam hatte bisher keinen Hauptbahnhof, sondern gleich vier für verschiedene Richtungen. Die große Bahnhofshalle mit dem meterlangen Panoramafilmband vom Hafen stimmt die Besucher auf die Stadt ein.

WATERSTAD

1. Centraal Station 2. Het Nieuwe Instituut 3. Museum Boijmans V. Beuningen 4. Erasmusbrug 5. Wilhelminapier mit „De Rotterdam“ (Hochhaus) 6. Hotel New York 7. Katendrecht 8. „Rotterdam“ 9. Maritiem Museum mit Open Air Hafen 10. Markthal 11. Luchtsingel

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Museumpark

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Ein Beispiel für zivile Innovationsimpulse ist die Luchtsingel, die Luftgracht des Architektenbüros ZUS. Per Crowdfunding finanziert, wurde in mehreren Bauabschnitten eine ästhetisch gelungene hölzerne Fußgängerbrücke quer über die Straßengräben der Vergangenheit gelegt, um den neuen Hauptbahnhof mit der Innenstadt zu verbinden. Ein kurzer Spaziergang durch ein einst aufgegebenes Viertel mit ungenutzten Hochhäusern, das dank dieser Initiative allmählich zu neuem Leben erwacht.

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Kreativität. Das „Neue Institut“ zeigt Design,Architektur,E-Kultur.

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KATENDRECHT

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MARKTHAL

Die neue Markthalle an der Bahnstation Blaak hat das Zeug, zu einem Wahrzeichen zu werden. Elf Stockwerke hoch wölbt sich der Bau in Form eines Hufeisens über die Marktstände im Innern. Die Bewohner der Apartments haben auch Fenster zur Halle, die innen von einem einzigen Wandgemälde ausgestaltet ist. Angeboten werden hochpreisige Delikatessen. Manchem Händler kann man gar aufs Dach steigen und dann die Wirkung der Halle genießen. An Markttagen wird das Angebot im Innern von normalen Ständen draußen ergänzt.

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Raumgefühl. Die Markthalle ist ein neuer Publikumsmagnet.

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Rijnhavenbrug

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LUCHTSINGEL

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MIDDELLAND

Rotterdam ist bekannt für seine architektonischen Experimente, daher war dort auch das Niederländische Architekturinstitut (NAI) gegenüber dem Museum Boijmans Van Beuningen angesiedelt. Angesichts der wachsenden Bedeutung der Kreativwirtschaft und des Designs ist es nun ein Bestandteil des „Neuen Instituts“, das neben der Architektur der Niederlande auch das niederländische Design und die e-Kultur unter einem Dach vereint.

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2 HET NIEUWE INSTITUUT

Innovation. Die Luftgracht verbindet Bahnhof und Innenstadt.

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Quelle: Rotterdam Partners

Foto: studio Hans Wilschut 2008

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Schatzhaus. Das Museum zeigt Werke vom Mittelalter bis heute.

3 MUSEUM BOIJMANS VAN BEUNINGEN Die Stadt profitierte immer von der Großzügigkeit seiner Bürger. So schenkte ihr der Jurist Boijmans 1849 seine Kunstsammlung. 1958 wurde die Sammlung Van Beuningen erworben, sodass dieses Museum vom Mittelalter bis heute ein spektakuläres Werk bietet, das in den Niederlanden einzigartig ist. Die Sammlung der Zeichnungen und Drucke gehört zu den besten der Welt. Seit 2009 besitzt es mit Boijmans TV auf ARTtube.nl einen eigenen Kunstkanal.

Tradition. Lohnend ist der Außenbereich des Museums.

9 MARITIEM MUSEUM

Neues Viertel. Hochhäuser stören hier gar nicht – im Gegenteil.

5 WILHELMINAPIER

Nostalgie. Ein Kaffee im Hotel New York ist ein Muss.

6 HOTEL NEW YORK

Der Wilhelminapier am südlichen Ende der Erasmusbrücke entwickelt sich zu einer Flaniermeile mit einem Hauch von Manhattan. Hier erhebt sich der spektakuläre Koolhaas-Neubau De Rotterdam, benannt nach dem ehemaligen Flaggschiff der Holland-Amerika-Linie, deren Schiffe noch in den 1950er Jahren am heutigen Hotel New York anlegten. Hier befindet sich jetzt das Kreuzfahrtterminal der Stadt und im ehemaligen Lagerhaus Las Palmas das Niederländische Fotomuseum.

Schmuckstück des Wilhelminapiers und Motor der neuen Entwicklung ist das Hotel New York. Es ist sehr gut für 3,60 Euro mit dem hoteleigenen Wassertaxi vom Maritiem Musem am Leuvehaven zu erreichen. Die Überfahrt über die Nieuwe Maas ist spektakulär. Im ehemaligen Wartesaal des Hotels gibt es ein Restaurant, in dem der Gast zwischen kleinen Snacks und opulenten Menüs wählen kann. Bei Sonne stehen Liegestühle draußen – mit Blick in Richtung Hafen.

Alternativ. In den Hallen von Katendrecht blüht neues Leben.

Bis in die 1980er Jahre war die Halbinsel Katendrecht das berüchtigte Rotlichtviertel der Stadt, keine besonders einladende Gegend also. Zwischen den Weltkriegen existierte hier die größte chinesische Kolonie Europas. Nach dem Zweiten Weltkrieg war vom Quartier nicht viel übrig geblieben. Seit einigen Jahren gehört Katendrecht zu den sichersten Vierteln der Stadt. Man gelangt vom Hotel New York über die Rijnhaven-Fußgängerbrücke nach Katendrecht, wo in alten großen Lagerhallen einerseit der „Fenix Food Market“ sich als alternative Markhalle etabliert hat und andererseits „Bosse“ (Foto), eine schräge Mischung aus Café und Restaurant, wo Kunst und Designerfahrräder verkauft werden. Rundherum herrscht eine lockere Trödelmarktatmosphäre.

Das Maritiem Museum zeigt in der Dauerausstellung die Höhepunkte seiner Sammlung. Vor allem Kindern wird viel Raum für aktive und interaktive Erlebnisse geboten. Einzigartig ist das Freigelände, auf dem unterschiedliche Schiffe festgemacht haben und je nach aktueller Arbeit zu besichtigen sind. Etwa ein Schwimmkran, ein Kornsauger oder die vielen Binnenschiffe, von denen die „Geertruida“ von 1906 als schwimmende Wohnung besonders sehenswert ist.

7 KATENDRECHT Verbindung. Der Spaziergang bietet spektakuläre Aussichten.

4 ERASMUSBRUG Die Nieuwe Maas hatte lange den Süden Rotterdams von der übrigen Stadt getrennt. Seit der Hafen sich immer weiter in Richtung Küste verlagert, ist hier wertvolles Bauland für Wohnungen frei geworden. Mit der 1996 eröffneten Erasmusbrücke ist den Architekten Van Berkel & Bos ein kühner Entwurf gelungen, der die Stadt vereint und gleichzeitig ein Zeichen des Aufbruchs ins 21. Jahrhundert darstellt.

Sehnsucht. Ein Drink auf der „Rotterdam“ weckt Fernweh.

8 „ROTTERDAM“ Kreuzfahrtgefühl ohne Kleiderordnung bei normalen Preisen? Kein Problem – auf dem ehemaligen Flaggschiff der Holland-Amerika-Linie, der „Rotterdam“ (Baujahr 1958), seit 2010Hotel, Restaurantund Bar,erlebt der Besucher eineZeitreise. Bei schönem Wetter ist eine Erfrischung auf dem Pooldeck mit Blick auf die Nieuwe Maas angesagt.


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