Familiennetze
Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
veranstaltet vom Verband f端r sozial-kulturelle Arbeit e.V. vom 07. - 08. November 2008 im B端rgerhaus Am Schlaatz Schilfhof 28 14478 Potsdam
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Inhaltsverzeichnis
Anfangsplenum: Dr. Lore-Maria Peschel-Gutzeit
Familie 2008 – zwischen Generalverdacht und Heiligenschein Herbert Scherer, Verband für sozial-kulturelle Arbeit: Das Familienthema als Herausforderung für die Nachbarschafts- und Stadtteilarbeit
14 - 31
Workshop: Einfach gut - Niedrig schwellige Zugänge in der Arbeit mit Familien Barrierefreie Bildung in der Kindertagesstätte als Türöffner für lebenslanges Lernen
32 - 47
Workshop: Verhindern, vermeiden, vorbeugen Verschiedene Wege im Kinderschutz
48 - 63
Workshop: Zwischentöne Generationendialoge und Generationenverantwortung
64 - 77
Workshop: SOS- Eltern in Not Hilfe und Selbsthilfe
78 - 91
Workshop: Wenn Eltern in die Schule gehen
Einfach gut
Verhindern
Zwischentöne
SOS - Eltern in Not
Eltern in die ...
91 - 101
Diese Typen ...
Lernen, einmischen, verändern für die Zukunftschancen der Kinder Workshop: Schaut Euch diese Typen an Stadtteilzentren, Bürgerhäuser - Ansprüche, Profile, Förderprogramme
102 - 111
Workshop: Nachttöpfe und Menschwerdung Zum Verhältnis von familiärer und öffentlicher Erziehung
112 - 129
Workshop: Heute ratlos, morgen super? Das weite Feld der Erziehungsratgeber – Trends und Moden
Pass-genau?
130 - 145
Workshop: Pass-genau? Familienbilder und Rollenklischees im interkulturellen Kontext
146 - 149
Abschlussplenum
Nachttöpfe und ...
Heute ratlos ...
Abschlussplenum
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Wohin geht die Reise? Teilnehmerliste
Familien-Netze - Vorwort zur Dokumentation
Mit der Tagung Familien-Netze hatten wir uns zweierlei vorgenommen: Zum einen wollten wir den Wissensstand zum Familienthema aktualisieren, zu dem es offenbar einen erheblichen gesellschaftlichen Klärungs- und Handlungsbedarf gibt, zum anderen ging es darum, mit dem Erfahrungsaustausch über eine Querschnittsaufgabe der Nachbarschaftshäuser Menschen aus deren unterschiedlichen Arbeitsfeldern gleichberechtigt zusammenzubringen und dadurch unser eigenes Netzwerk zu stärken. Wir hoffen, dass Ihnen die Lektüre der Dokumentation den Eindruck vermitteln kann, dass beides in einem erfreulichen Maße gelungen ist. Die Dokumentation orientiert sich in ihrem Stil am Charakter der Tagung: im Mittelpunkt steht der lebendige Austausch in den Arbeitsgruppen, den wir in weiten Teilen wortgetreu wiedergeben. Power Point Präsentationen und schriftliche Diskussionsvorlagen werden ausschließlich als Hintergrundmaterial benutzt. Wir versprechen uns davon, unseren Leserinnen und Lesern einen möglichst unverstellten Eindruck vom Geschehen und das Gefühl zu vermitteln, sie seien selbst dabei gewesen. Wir bedanken uns herzlich bei allen, die uns bei der Durchführung der Tagung und bei der Aufbereitung der Materialien für die Dokumentation geholfen haben: Theo Fontana und Joachim Toll für die Mitwirkung bei der Vorbereitung, allen Moderatorinnen und Moderatoren für die Leitung der Workshops, Gitty Czirr und Margot Weblus für die Bearbeitung der Tonaufzeichnungen, den Kolleginnen und Kollegen aus dem Bürgerhaus Am Schlaatz für die Logistik und natürlich allen Impulsgeberinnen und –gebern für ihre Bereitschaft, freimütig und kompetent über ihre Arbeit zu berichten. Der Verband für sozial-kulturelle Arbeit hat beschlossen, 2009 seine Jahrestagung erneut in Potsdam durchzuführen. Vorgesehen ist, dass Ost und West, Jung und Alt, Sozialkultur und Soziokultur, Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement, Eingeborene und Migranten etc. aufeinander treffen, um Erfahrungen und unterschiedliche Sichtweisen auszutauschen, aber auch auszuloten, was ‚zusammen gehört‘ ... Wenn die Dokumentation bei Ihnen den Gedanken auslöst: „da wäre ich gern dabei gewesen“, sollten Sie die Chance in diesem Jahr nutzen. Wir hoffen, Sie am 6. und 7. November 2009 in Potsdam begrüßen zu können. Mit freundlichem Gruß Herbert Scherer Geschäftsführer
Vorankündigung Jahrestagung Stadtteilarbeit 2009 6. und 7. November 2009 / Potsdam „Was zusammen gehört“ – 9 Begegnungen mit Workshopcharakter
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Inputs: Dr. Lore-Maria Peschel-Gutzeit “Familie 2008 – zwischen Generalverdacht und Heiligenschein” Herbert Scherer, Verband für sozial-kulturelle Arbeit: “Das Familienthema als Herausforderung für die Nachbarschafts- und Stadtteilarbeit“
Wir wissen, dass die Familie eben auch kein Paradies ist. Die allermeisten Familien haben mehr oder weniger große Probleme und auch Konflikte, die sie aber ebenfalls zum allergrößten Teil selbst lösen, wenn auch mit Hilfe von außen, was auch in Ordnung ist. Der allergrößte Teil der Eltern versorgt die Kinder gut und fördert ihre eigenen Kinder nach Kräften. Dabei verzichten Eltern auf vieles, damit die Kinder vorankommen. In diesen ganzen Zusammenhängen wäre es einfach ungerechtfertigt, ja unverantwortlich, die Institution Familie unter Generalverdacht zu stellen, dafür gibt es keinen Grund. Aber es gibt auch Familien, das wissen Sie, die Sie alle Fachleute sind, leider nur zu gut, die die Anforderungen nicht schaffen, die auch ihre Kinder nicht bestmöglich fördern, usw. Was sagt unsere Rechtsordnung? Wie gestaltet sie das Familienleben? Wie weit gibt sie dem Staat Eingriffsmöglichkeiten? Wo verlangt die Rechtsordnung vom Staat, dass er eingreift? Dazu möchte ich etwas sagen und habe das Thema mit folgendem Untertitel konkretisiert:
Herbert Scherer: Ich begrüße Frau Dr. Lore-Maria PeschelGutzeit. Sie ist praktizierende Rechtsanwältin und war Justizsenatorin in Berlin und Hamburg. Wir sind gespannt darauf, von ihr etwas über die „Familie 2008 – zwischen Generalverdacht und Heiligenschein” zu erfahren.
Das Spannungsverhältnis zwischen der verfassungsrechtlichen Stellung der Familie und dem gesellschaftlichen Wandel, dem sie unterworfen ist *
Lore-Maria Peschel-Gutzeit: Ich bedanke mich herzlich für die Einladung. Das Thema ist etwas provokativ, man könnte auch reißerisch sagen: Die Familie 2008 unter Generalverdacht oder mit Heiligenschein. Ich habe das so verstanden, dass unter Generalverdacht vor allem Kindesvernachlässigung und Kindesmissbrauch ausgedrückt werden sollen, während mir bei Heiligenschein einfällt, die Familie, wie bei Ludwig Richter dargestellt, als Hort des Friedens, der Harmonie, sozusagen allein selig machend. Wir alle, die Sie hier Fachfrauen und Fachmänner sind, wissen, dass beides nicht stimmt, weder ist es gerechtfertigt, die Familie unter Generalverdacht zu nehmen, noch ist es richtig zu sagen, in der Familie ist alles okay, alles paletti.
Unsere Bundesverfassung, das Bonner Grundgesetz vom 23.5.1949, hat in Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie den besonderen Schutz des Staates zugesichert und damit dem Staat - vor allem dem Bundesgesetzgeber - die Aufgabe gestellt, Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen zu bewahren und durch geeignete Maßnahmen zu fördern; es hat darüber hinaus das Verbot ausgesprochen, Ehe und Familie als elementare
A. Verfassungsrechtliche Stellung der Familie
Lebensgemeinschaft in Bestand und Entfaltung zu stören. Diesen Schutz genießen alle in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger, die eine Ehe eingehen wollen oder geschlossen haben, aber auch alle Eltern und Elternteile, alle Kinder und Verwandte einer Familie. **in verkürzter Form auch veröffentlicht in der Zeitschrift „Vorgänge“ 2008, Heft 3
Lange war umstritten, ob durch Art. 6 Abs. 1 GG nur oder doch in erster Linie die bürgerliche, legale Ehe geschützt ist oder auch andere Verbindungen, die - jedenfalls dann, wenn Kinder geboren werden - als Familie im Sinne des Grundgesetzes anzusehen und entsprechend zu schützen sind. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht schon am 14.11.19731 entschieden, dass eine auf natürlicher und rechtlicher Bindung beruhende Familie unabhängig davon, ob eine Ehe ihren Kern bildet, eine lebenswichtige Funktion für die menschliche Gemeinschaft bildet, so dass auch ihr der Schutz aus Art. 6 Abs. 1 GG einschließlich aller sozialstaatlicher Förderung zukommt. Auch die Verfassung der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik2 stellte Ehe, Familie und Mutterschaft unter den besonderen Schutz des Staates. Sie gewährte jedem Bürger der DDR das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Ehe und Familie. Kinderreiche Familien und alleinstehende Eltern hatten das Recht auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Art. 6 GG schützt in seinem Abs. 2 das Elternrecht, in Abs. 4 die Mutter und Abs. 5 enthält das Gebot, uneheliche Kinder den ehelichen gleichzustellen. B. Die gesellschaftliche Situation bei Inkrafttreten der Bundesverfassung Im Mai 1949, als das Bonner Grundgesetz in Kraft trat, hatte Deutschland den zweiten Weltkrieg gerade erst vier Jahre hinter sich gelassen. Deutschland lag in Trümmern, real, aber auch ideell. Ganze Generationen von Bürgerinnen und Bürgern standen vor dem Nichts, zu denken ist nur an Millionen von Flüchtlingen, von Vertriebenen, von Menschen, die durch Bombenangriffe alles verloren hatten, an Millionen Kriegsgefangene. Wegen der flächendeckenden Zerstörung von Städten und Gemeinden gab es kaum Arbeit, die öffentliche Verwaltung lag zum Teil noch bei den Besatzungsmächten, Deutschland erhielt erst allmählich seine Souveränität zurück.
In dieser Situation gab es nur eine Institution, an die sich die Menschen halten, in der sie Schutz und Beistand finden und ihr Überleben sichern konnten: Die Familie. Diese war rechtlich geprägt durch das gesellschaftliche Verständnis des 19. Jahrhunderts. Das seit dem 1.1.1900 geltende Bürgerliche Gesetzbuch hatte die einheitliche Zivilehe eingeführt und das Verhältnis von Eheleuten und Kindern in absolut patriarchalischer Weise geregelt: Der Ehemann entschied allein in allen Angelegenheiten, die das eheliche Kind betrafen, aber auch allein über Wohnsitz und Einkommen der Familie. Er verfügte allein über das Vermögen und Einkommen, auch Arbeitseinkommen der Ehefrau, er war der alleinige gesetzliche Vertreter der ehelichen Kinder. Die Mutter hatte zwar eine sogenannte Nebengewalt, der Inhaber der elterlichen Hauptgewalt war jedoch der Vater, und im Streitfalle entschied er, er hatte den sogenannten Stichentscheid. Scheiterte eine Ehe, so wurde sie aus Verschulden geschieden. Ehebruch war ein absoluter Scheidungsgrund, wer schuldig geschieden wurde, verlor alle Ansprüche und musste seinerseits, wenn er leistungsfähig war, Unterhalt an den anderen Ehegatten bezahlen. Uneheliche Kinder waren mit ihrem Vater, der Erzeuger genannt wurde, nicht verwandt, die uneheliche Mutter hatte eine eingeschränkte elterliche Gewalt über ihr eigenes Kind. Diese rechtlichen Regelungen hatten den ersten Weltkrieg überdauert, die Weimarer Republik, das Dritte Reich und den zweiten Weltkrieg. Viele Männer kehrten aus dem Krieg zurück und übernahmen wie selbstverständlich wieder Führung und Alleinentscheidung in der Familie, auch wenn ihre Ehefrauen während des Krieges und der Abwesenheit des Mannes alle häuslichen und beruflichen Aufgaben allein gelöst hatten. Die ehelichen Kinder blieben nach wie vor der alleinigen gesetzlichen Vertretung des Vaters ebenso unterworfen wie seiner Alleinentscheidungsbefugnis über Wohnung, Schulausbildung, Berufsausbildung, usw. Die Situation im Jahre 1949 war - mit einem Wort - sehr ähnlich derjenigen von Effi Briest, deren Schicksal Theodor Fontane in seinem 1890 begonnenen Roman so eindrucksvoll geschildert ist: Ein Seitensprung, der Jahre zurücklag, führte dazu, dass Effi Briest nicht nur Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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allein schuldig geschieden wurde, sondern dass sie ohne einen Pfennig das Haus des Mannes verlassen musste und dass jegliche Verbindung zu ihrer Tochter beendet wurde. C. Die Entwicklung seit 1949 Was die Gesellschaft in Deutschland im Jahre 1949 unter Ehe und Familie verstand, unterscheidet sich grundlegend von heutiger gesellschaftlicher Anschauung. Die gesellschaftlichen Veränderungen und der Wandel von moralischen und sozialethischen Anschauungen haben in den letzten 50 Jahren nicht nur die Lebenswelt von Ehe und Familie tiefgreifend verändert, sondern auch die Auffassung über die Beziehung der Geschlechter zueinander. I. Demographische Entwicklung Ein Blick in den demographischen Entwicklungsprozess macht dies deutlich. Die Zahl der Eheschließungen ist rückläufig (1980: 496.603; 2001: 389.561), die Zahl der Ehescheidungen steigt (1980: 156.425; 2001: 197.468; 2004: 214.000). 2001 wurden 734.475 Kinder geboren, davon 183.816 nichtehelich (25%). Anfang des Jahres 2002 gab es in Deutschland rund 22,5 Mio. Familien, 12,7 Mio. davon hatten Kinder, während es alleinerziehende Eltern 2,15 millionenfach gab. Jede 4. Familie mit Kindern hatte also nur einen Elternteile. Die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften wurde im Jahre 1999 auf ca. 2,1 Mio. geschätzt3. II. Rechtliche Veränderungen Diesen, sich bereits 1949 bei Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes abzeichnenden tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen galt es, durch gesetzliche Regelungen zu entsprechen, sie nachzuvollziehen oder aber auch sie vorauseilend zu prägen. Das ist seit 1949 in vielfältigster Weise geschehen, dieser Prozess hält bis heute an.
1. Entscheidend hierfür war außer dem tatsächlichen gesellschaftlichen Wandel das Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 2 GG. Alles Familienrecht, das dem Gleichberechtigungsgrundsatz widersprach, trat am 31.3.1953 außer Kraft. Der Deutsche Bundestag hatte es nicht vermocht, bis zu diesem Tag neues, verfassungskonformes Recht für Ehe und Familie zu schaffen, und so entstand im gesamten Familienrecht eine große Lücke, die erst vier Jahre später im Juli 1957 durch das Gleichberechtigungsgesetz4 geschlossen wurde. Zwar führte das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 im ehelichen Güterrecht die sogenannte Zugewinngemeinschaft ein und schaffte zugleich die ausschließliche ehemännliche Verwaltung und Nutznießung des Frauenvermögens ab. Auch versuchte das Gleichberechtigungsgesetz, die ehelichen Eltern in ihrem Verhältnis zu den ehelichen Kindern gleichzustellen. Aber der Deutsche Bundestag konnte sich nicht entschließen, die Gleichberechtigung in der Stellung der Eltern zu ihren Kindern wirklich durchzusetzen. So enthielt das Gleichberechtigungsgesetz noch immer den sogenannten Stichentscheid des Vaters und dessen alleinige gesetzliche Vertretung für das eheliche Kind. Schon ein Jahr später erklärte das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 29.7.19595 diese beiden Regelungen für nichtig. Wiederum entstand eine erhebliche Lücke im Gesetz, die erst mehr als 20 Jahre später, durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge6 geschlossen wurde. 2. Im Familienrecht fanden weitere tiefgreifende Reformen statt, die hier nur in ihren wesentlichen Teilen genannt und auch nur skizziert werden können. a) Das Nichtehelichengesetz So trat am 1.7.1970 das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder7 in Kraft. Erst seit dem 1.7.1970 hießen Kinder, deren Eltern bei der Geburt nicht miteinander verheiratet waren, nicht mehr uneheliche Kinder, sondern nichteheliche Kinder. Von diesem Tag an waren sie mit ihrem Vater verwandt mit der Folge, dass sie legale Beziehungen auch zur Vaterfamilie hatten. Und das wiederum hatte zur Folge, dass sie erbberechtigt
waren. Allerdings war das Erbrecht der nichtehelichen Kinder anders ausgestaltet als das ehelicher Kinder. Die Mutter blieb die alleinige Inhaberin der elterlichen Gewalt, wie sie seinerzeit noch hieß, ihre Zuständigkeit blieb aber beschränkt: Soweit es um die gesetzliche Vertretung des Kindes ging, war die Mutter zwar Inhaberin der elterlichen Gewalt. Sie konnte jedoch das Kind bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen, bei der Klärung der Abstammungsfrage und bei Erbansprüchen nicht selbst vertreten, sie erhielt hierfür vom Vormundschaftsgericht einen Amtspfleger gestellt. b) Das Eherechtsreformgesetz Am 1.7.1977 trat das Erste Eherechtsreformgesetz8 in Kraft, welches die sogenannte Schuldscheidung abschaffte und statt dessen die Zerrüttungsscheidung einführte, die bis heute gilt. Das neue Ehescheidungsrecht brachte auch erstmals den Versorgungsausgleich, also das Rentensplitting bei Scheidung der Ehe. Da es eine Schuldscheidung seit nunmehr 30 Jahren nicht mehr gibt, mussten die Scheidungsfolgen an anderen Kriterien als an der Scheidungsschuld festgemacht werden. Das galt vor allem für das Unterhaltsrecht, aber auch für die Verteilung der elterlichen Gewalt. So erhält seit dem 1.7.1977 im Falle der Scheidung derjenige Ehegatte Unterhalt, der sich nicht selbst erhalten kann, vorausgesetzt, der andere Ehegatte ist leistungsfähig. Dies gilt vor allem für Zeiten der Betreuung eines gemeinsamen Kindes, darüber hinaus in Fällen von Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit. Da es eine Schuldscheidung nicht mehr gibt, kann seither Unterhalt wegen der alleinigen Schuld an der Zerrüttung der Ehe auch nicht mehr versagt werden. Um dennoch ein schuldhaftes Verhalten erfassen zu können, führte das Gesetz eine sogenannte Billigkeitsklausel ein, in welcher ein schuldhaftes, unehrenhaftes, schädigendes Verhalten des einen Ehegatten gegenüber dem anderen Ehegatten zusammengefasst ist. Diese Klausel ermöglicht es, Unterhalt zu kürzen oder gänzlich zu versagen. c) Das Sorgerechtsgesetz Seit dem 1.1.1980 ist das rechtliche Verhältnis von Eltern und ehelichen Kindern zueinander reformiert worden: Das
Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge9 hat die Beziehungen von Eltern zu ehelichen Kindern demokratisiert. Seither sind die Eltern verpflichtet, bei der Pflege und Erziehung der Kinder die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge zu besprechen und mit dem Kind Einvernehmen anzustreben. Das Sorgerechtsreformgesetz hat auch endlich die absolute Gleichstellung der Eltern in der gesetzlichen Vertretung gebracht, die seit dem Jahre 1958 zwar von der Rechtsprechung so behandelt wurde, es fehlte jedoch an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung. Das Sorgerechtsgesetz von 1980 brachte auch zum ersten Mal eine Vorschrift, nach welcher entwürdigende Erziehungsmaßnahmen unzulässig sind, sowie die Bestimmung, dass in Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufs die Eltern insbesondere auf Eignung und Neigung des Kindes Rücksicht zu nehmen haben. Soweit es das sogenannte Umgangsrecht, also das Besuchsrecht zwischen Kind und abwesendem Elternteil angeht, blieb das Sorgerechtsgesetz von 1980 noch bei einer Unterteilung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern: Während der abwesende eheliche Elternteil nach der Trennung die Befugnis zum persönlichen Umgang mit dem Kind behielt, hatte der nichteheliche Vater das Recht, sein Kind zu sehen, nur dann, wenn entweder die Mutter dem zustimmte oder aber das Vormundschaftsgericht ihm dieses Recht einräumte. d) Das Kindschaftsrechtsreformgesetz Seit dem 1.7.1998, dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes10, unterscheidet das Gesetz nicht mehr zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern. Beide Begriffe sind aus dem Gesetz verschwunden. Als Konsequenz folgt daraus, daß eheliche wie nichteheliche Kinder generell gleich behandelt werden. So haben sie identische Unterhaltsansprüche gegen den anderen ElFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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ternteil, der sie nicht betreut. Erstmals können seit dem 1.7.1998 auch Eltern eines nichtehelichen Kindes gemeinsam sorgeberechtigt sein, allerdings nur, wenn die Mutter zustimmt, während die Eltern eines ehelichen Kindes mit der Geburt des Kindes gemeinsam sorgeberechtigt werden und dies auch bleiben, wenn sie sich trennen. Zwar lässt das Gesetz die familiengerichtliche Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen der beiden ehelichen Elternteile zu, jedoch nur, wenn das Kind zustimmt oder aber wenn besondere Gründe dies erfordern. Der Regelfall ist also seit 1.7.1998, dass alle in einer Ehe geborenen Kinder beiden Eltern gleichmäßig zugeordnet sind und dies auch bleiben, falls die Eltern sich trennen oder scheiden lassen. Für nichteheliche Eltern gilt dies so noch nicht. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich auch hier im Laufe der Zeit eine absolute Angleichung der Rechtsstellung der Eltern herausbilden und sodann gesetzlich normiert werden wird. Seit dem 1.7.1998 sind auch alle Kinder gleichmäßig erbberechtigt, die nichtehelichen Kinder sind erbrechtlich jetzt gänzlich den ehelichen gleichgestellt. e) Das Gewaltächtungsgesetz Seit Inkrafttreten des Gewaltächtungsgesetzes am 3.11.200011 hat das Kind ein ausdrückliches Recht auf gewaltfreie Erziehung. f) Das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz Am 1.1.2008 ist das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz12 in Kraft getreten. Die Regeln für den sogenannten nachehelichen Unterhalt sind erheblich verändert, das gilt auch für den Betreuungsunterhalt des nichtehelichen Elternteils sowie für den Kindesunterhalt. Seither haben nur Kinder den absoluten Vorrang vor allen anderen Verwandten, soweit es um Unterhaltszahlungen geht. Dies gilt für minderjährige Kinder und solche Kinder, die zwar volljährig sind, aber noch zur Schule gehen (privilegierte Volljährige). Rangmäßig müssen alle Erwachsenen zurücktreten, insbesondere auch kinderbetreuende Elternteile finden sich gemeinsam im zweiten Unterhaltsrang wieder. Sie haben untereinander
denselben Rang, also eine geschiedene Mutter ebenso wie eine Mutter in aktueller Ehe oder aber auch die nicht verheiratete Mutter. Entscheidendes Kriterium der neuen Regelung ist die gesteigerte Eigenverantwortung des geschiedenen, unterhaltsbedürftigen Ehegatten. Zwar bestand der Grundsatz der Eigenverantwortung schon seit dem 1.7.1977, er hat sich aber in der Rechtsprechung nicht wirklich durchgesetzt. Daran hat auch das erste Unterhaltsänderungsgesetz von 1986 Entscheidendes nicht verändert. Jetzt aber ist das Gesetz so formuliert, dass generell im Unterhaltswege nur noch ehebedingte Nachteile ausgeglichen werden, Ziel der Unterhaltsregelungen nach einer Scheidung ist nicht mehr, dem unterhaltsbedürftigen Ehegatten den Ehestandard zu sichern. Das Gesetz enthält seit dem 1.1.1980 Vorschriften, die eine Befristung und Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts ermöglichen und erleichtern, erste Gerichtsentscheidungen machen deutlich, dass die Gerichte von diesen Beschränkungsmöglichkeiten auch entschlossen Gebrauch machen werden. D. Zusammenfassung und Ausblick Diese stark verkürzte tour d´horizon der gesetzlichen Entwicklung seit 1949 zeigt, dass der besondere Schutz, den Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG genießen, zwar vom Bundesgesetzgeber und vom Bundesverfassungsgericht gewahrt und gewährleistet wird. Jedoch hat der Inhalt dieser Schutz- und Förderungsbestimmung einen deutlichen Wandel erfahren: Wenn einerseits die Zahl der Eheschließungen zurückgeht, die Zahl der Scheidungen steigt, aber auf der anderen Seite immer mehr Menschen unverheiratet zusammenleben und Kinder haben, müssen Staat und Gesellschaft diese neuen Lebensformen nicht nur akzeptieren, sie müssen ihr auch einen sozialen Mindestschutz gewähren. Auf diesem Wege schreiten Gesetzgebung und Rechtsprechung fort: So ist der Schutz der nichtehelichen Mutter im Unterhaltsrecht seit dem 1.1.1980 gegenüber der ehelichen Mutter deutlich verstärkt worden. Die Rechtsprechung, die bisher das nicht legalisierte Zusammenleben von heterosexuellen Paaren kaum geschützt hat, geht
dazu über, diese Haltung aufzugeben. Aus hiesiger Sicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann für nichteheliche, gefestigte Lebensgemeinschaften insgesamt ein gewisser Mindestschutz gesetzlich eingeführt wird. Denn derzeit besteht das etwas skurrile Faktum, dass heterosexuelle Partner heiraten können, homosexuelle Partner sich offiziell verpartnern können mit der Folge, dass sie eheähnliche Wirkungen für ihre Partnerschaft haben, während die nichteheliche Lebensgemeinschaft heterosexueller Partner bisher kaum geschützt ist. Dies ist jedenfalls dann, wenn Kinder aus einer solchen Verbindung hervorgehen, nicht tolerabel. Denn in diesen Fällen wird fast stets einer der beiden Partner sozial schwächer oder bedürftig sein, wenn und soweit er oder sie die gemeinsamen Kinder über Jahre versorgt hat. Betrachtet man das neue Unterhaltsrecht, so nehmen Gesetz und Rechtsprechung in Kauf, dass ein großer Teil geschiedener Eheleute, zumeist Frauen, sich weder aus eigener Kraft erhalten noch durch Unterhalt des anderen Ehegatten ihren Unterhalt sichern können. Das bedeutet im Endeffekt, dass diese geschiedenen Eheleute von der Allgemeinheit unterhalten werden müssen. Man könnte diese Wandlung im Verständnis von Ehefolgen so bezeichnen, dass Staat und Gesellschaft hier familiäre Aufgaben, nämlich Sicherung der nachehelichen Existenz, übernehmen. Das Bonner Grundgesetz wahrt die Grenzen zwischen familiärer Autonomie und staatlichem Eingriff nicht nur, es hat diese Grenzen durch Art. 6 sehr scharf gezogen. Stets sind die Eltern „zuvörderst“ zuständig für Erziehung und Ausbildung der Kinder, eine staatliche Erziehung hat das Bonner Grundgesetz auf jeden Fall verhindern wollen. Hierüber besteht auch Einigkeit. Dennoch gibt es eine Entwicklung, die im Jugendhilferecht die Kompetenzen der Jugendämter allmählich gestärkt haben und wohl weiter stärken werden. Durch das Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz13, in Kraft seit dem 1.10.2005, haben die Jugendämter wieder die eigene Aufgabe und Zuständigkeit erhalten, Risikolagen für Kinder selbständig einzuschätzen und im Falle, dass die Eltern die Gefährdung nicht beseitigen
können oder wollen, haben die Jugendämter die Pflicht, die Familiengerichte von sich aus anzurufen. Dieser neue § 8a SBG VIII fängt erst an, sich allmählich auszuwirken. Noch sind viele Jugendämter unsicher darin, wie sie die entsprechende Gefährdungslage sachverständig einzuschätzen haben und welche Folgerungen zu ziehen sind. Immerhin lässt sich konstatieren, dass durch eine solche Regelung die Grenzen zwischen familiärer Autonomie und staatlichem Eingriff zugunsten des staatlichen Eingriffs verschoben sind. Hierher gehören auch Überlegungen, die kindlichen Vorsorgeuntersuchungen zur Pflicht der Eltern zu machen. Bisher ist eine solche obligatorische Untersuchung aus verfassungsrechtlichen Gründen, Art. 6 Abs. 2 GG, stets verneint worden. Ähnliche Überlegungen sind anzustellen, wenn es um die Einführung einer eventuellen Kindergartenpflicht, jedenfalls für das letzte Jahr vor der Einschulung, geht. Auch hier muss stets abgewogen werden zwischen der elterlichen Erziehungsautonomie einerseits und dem Bedürfnis und Interesse der Gesellschaft andererseits, Kinder bestmöglich zu fördern. Ist man mit seinen Überlegungen so weit gediehen, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Initiative, die seit einigen Jahren von Abgeordneten des Deutschen Bundestages und gesellschaftlichen Gruppen verfolgt wird: Die Aufnahme von eigenen Kindergrundrechten in unsere deutsche Bundesverfassung. Durch solche eigenen Kindergrundrechte soll nicht nur der bessere Schutz von Kindern ermöglicht werden, darüber hinaus soll den Kindern ein eigenes Grundrecht auf bestmögliche Förderung und Bildung und ein Recht auf Teilhabe an allen Entscheidungen, die sie selbst betreffen, durch einen solchen Grundgesetzartikel eingeräumt werden. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Die Diskussion steht erst am Anfang. Da für jede Grundgesetzänderung eine 2/3 Mehrheit im Bundestag erforderlich ist, wird es nach hiesiger Einschätzung auch noch längere Zeit dauern, bevor mit einer solchen Grundgesetzänderung gerechnet werden kann. Interessant ist aber die Entwicklung und die Bewegung, die eine solche Initiative zeigt: Macht sie doch deutlich, dass es viele Kritiker in unserem Lande gibt, die den Schutz, aber auch die Förderung von Kindern nicht für ausreichend verfassungsrechtlich geregelt halten und die darüber hinaus dafür plädieren, 50 Jahre nach Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes die absolute Elternautonomie jedenfalls dann in Frage zu stellen, wenn es um Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern geht.
Herbert Scherer: Gerade sind wir bei spannenden Fragen angekommen, die uns in den Nachbarschaftseinrichtungen aus einer anderen Perspektive begegnen. Familiennetze haben wir zum Thema dieser Tagung gemacht, wir wenden uns dem Thema Familie zu. Jetzt könnten die Kritiker sagen: Nachbarschaftsheime sind ja immer konjunkturbewusst. Sobald eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, wie jetzt die Familie, schon sind sie auch auf diesen Zug aufgesprungen. Wie Hase und Igel, die sind schon immer da, wenn es ein neues Thema gibt. Ich denke, so ist das mit multifunktionalen Einrichtungen, wenn es neue Themen gibt, haben sie immer auch etwas damit zu tun. Aber die Familienfrage ist mehr als das, sie ist für Nachbarschaftsheime, für Sozialarbeiter, vielleicht so etwas wie eine Gretchenfrage, ein Lackmustest. Es geht nämlich eigentlich um die Frage, die Frau Peschel-Gutzeit am Schluss angesprochen hat: Welche Rolle haben diejenigen, die
über Erziehung meinen besser Bescheid zu wissen? Welche Verpflichtungen haben sie auch ggf. einzugreifen in dieses komplizierte Verhältnis zwischen Rechten verschiedener Beteiligter? Es geht letztlich um das Verhältnis der professionellen Helfer, Erzieher und Bildner, Lehrer zum Beispiel, zu anderen Systemen, zu konkurrierenden Systemen. Will man mit ihnen die Verantwortung teilen? Oder geht es um Dominanz? Oder geht es darum, wer eigentlich verantwortlich ist, wenn etwas schief geht? Das zieht sich ja durch. Es ist nicht nur eine Frage gegenüber den Familien, sondern das ist eine Frage gegenüber dem bürgerschaftlichen Engagement, gegenüber der Ehrenamtlichkeit, werden diejenigen, die auf dem gleichen Feld auftauchen, das die professionelle Sozialarbeit für sich reklamiert, Konkurrenten oder Partner? Insofern ist der Umgang mit dem Thema Familie exemplarisch oder auch ein Indikator dafür, wie man mit diesen weiter gehenden Fragen umgeht. Da die meisten Beschäftigten in Nachbarschaftsheimen Sozialarbeiter sind, haben sie mit dem Familienthema noch ein besonderes Problem: Die professionelle Sozialarbeit hat es ja gerade beim Thema Familie vor allem mit den Familien zu tun, bei denen vieles schief geht. Sie haben deswegen einigen Anlass, die Dinge so zu sehen, dass sie sagen: Da müssen wir doch irgendwie eingreifen. Wir müssen doch eigentlich den unfähigen Eltern die Kinder entreißen, um ihnen etwas Gutes zu tun. Gerade, weil sie mit eher überforderten Familien zu tun haben, ist das nahe liegend. Folgerichtig gibt es – aus der Sicht von Sozialarbeitern – zum Beispiel häufig eine Unterstützung der Forderung nach verpflichtenden Eltern-Kursen, nach gerichtlicher Anordnung von Familienberatungen, nach Eingriff. Das Problem der Jugendämter heute, dass sie wieder mehr als etwas Bedrohliches von Familien wahrgenommen werden, die Schwierigkeiten haben, führt dazu, dass oft Hilfen, die angeboten werden, Hilfen, die vorgehalten werden, von denen, die sie besonders brauchen, nicht wahrgenommen werden, weil sie vor den Eingriffsrechten, die dort neu for-
muliert werden, Angst haben. Und dabei geht es nicht nur um die Bedrohung durch den Eingriff, sondern auch um die Haltung, um die Haltung der Besserwisser, die für die Menschen, die Probleme haben, nicht immer hilfreich ist. Das ist eine Tradition, die mir in meiner professionellen Laufbahn, solange ich Berührung mit Sozialarbeit habe, an vielen Stellen begegnet ist. Das erste Mal war es 1975 in einem öffentlichen Kindergarten, als ich ein Praktikum machte. Ich habe registriert, wie die Erzieherinnen über die Eltern geredet haben, wie sie die Kinder vor diesen Eltern bewahren wollten, wie sie nicht mit Eltern kooperieren wollten, weil sie die Eltern für unfähig hielten. Ende der 70-er Jahre, Anfang der 80-er Jahre, habe ich das in der Jugendfreizeitarbeit erlebt, wo wir, als die Leute, die dort gearbeitet haben, die Jugendlichen in ihrem Protestverhalten gegen die Familie gestärkt haben, bis wir zu einer etwas differenzierteren Haltung gefunden haben, als es um die Frage ging: Wer hilft ihnen? Wer hilft ihnen dann, wenn sie zum Beispiel in den Beruf gehen, wenn die Schule zu Ende ist? Welche Netze brauchen sie, wenn es um so etwas geht? Und wo klar war, dass aus den Familien mehr Unterstützung kam als von uns, die wir auch getrennt waren von den beruflichen Feldern, mit denen die Eltern und die Familie etwas zu tun hatten. Ich habe es dann in den 80-er Jahren erlebt bei der heftigen Diskussion über die neue Systematik des Jugendhilfegesetzes, wo die Sozialarbeiter als Profession gegen die Konstruktion der Hilfen zur Erziehung gewettert haben. Hilfen zur Erziehung war eine völlig neue Systematik im Recht, vorher ging es darum, dass die Jugendämter ein Eingriffsrecht hatten, jetzt sollte Jugendhilfe die Erziehungskompetenz der Eltern stärken. Deswegen heißt es auch Hilfen zur Erziehung. Heute lachen die Träger der Hilfen zur Erziehung darüber, wenn sie das hören, das haben sie längst vergessen. In den 90-er Jahren, als es eine neue Familienorientierung auch seitens der Regierung gab, zusammen mit der konservativen Wende, gab es in unseren Reihen eine andere Argumentation. Es ging eher darum zu sagen: Der Staat will sich seiner Verantwortung entledigen. Das hing damit
zusammen, dass wir uns üblicherweise als Wahrnehmer staatlicher Aufgaben gesehen haben, also wir hatten den Unterschied zwischen Staat und Gesellschaft noch nicht so richtig verinnerlicht. Die Wendung hin zur Familie, zum Begriff Familie, in der öffentlichen Debatte stand damals unter Ideologieverdacht. Nach dem, was Frau Peschel-Gutzeit heute gesagt hat, ist das verständlich. Andererseits gab es in den 90-er Jahren den Beginn dessen, womit wir es heute zu tun haben und was erneut die Frage Familie auf die Tagesordnung setzt, nämlich des massiven Rückgangs der Geburtenrate, neben der Verunsicherung, die in Deutschland wahrscheinlich mit der Vereinigung zusammenhängt, und die heute dazu geführt hat, dass wir in der demografischen Situation noch sehr viel schärfer dastehen als vergleichbare andere Länder. Wir haben eine Problemlage, die Reaktionen erfordert, die in der Politik reflektiert wird. Da geht es nicht nur um die Sicherung der Rente, das ist sozusagen die StammtischVariante. Es geht letztendlich um die Frage des Zusammenlebens zwischen den Generationen, zwischen den Menschen, in der Familie und anderswo. Was ist denn eigentlich für uns Familie? Ich denke, wir müssen darüber neu nachdenken. Das ist nicht unabhängig vom Zeitgeist, wahrscheinlich haben wir auch selber sehr widersprüchliche Assoziationen, wenn wir an Familie denken. Die Familie wird einerseits gesehen als Zwangsgemeinschaft, die ich mir nicht aussuchen kann. Das sind Zusammenhänge, in die ich hineingeboren wurde. Auf der anderen Seite ist Familie ein Netzwerk. Ein Netzwerk, das über Differenzen hinweg andauert, die Familie besteht, ohne dass ich mich beweisen muss, ohne dass ich meine Zugehörigkeit erwerben muss. Das sind Extreme, das Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Schwanken zwischen Extremen, vielleicht sind es aber auch nur zwei Seiten derselben Medaille und in unterschiedlichen Lebensphasen wird es unterschiedliche Dinge geben, die im Vordergrund stehen. Zum Beispiel Jugendliche, die sich lösen müssen, die sehen das sicher anders, als Kinder oder als ältere Menschen, die eher auf die unterstützenden Funktionen dieser Netzwerke angewiesen sind. Was steht im Vordergrund? Welche unserer Erfahrungen nehmen wir wie wahr und wie geben wir sie weiter? Ich denke, wir müssen damit leben und wir müssen es schaffen, beide Aspekte zu betrachten. Das Spannungsverhältnis macht es gerade aus, es geht immer um beides, es geht nicht um die Dominanz einer dieser Sichtweisen, sondern es geht um das Aushalten dieser Widersprüchlichkeit, darum, in dieser Widersprüchlichkeit die Potenziale zu entdecken und zu entfalten. Durch das, was Frau Peschel-Gutzeit uns über die neuen Definitionen erzählt hat, die das Verfassungsgericht zum Familienbegriff formuliert hat und die sich allmählich auch in der Gesellschaft durchsetzen, ist es einfacher geworden. Das entspannt. Es ist klar, auch in dem, was die Fachleute sagen, geht es nicht um die traditionelle konservative Kleinfamilie, sondern es geht um alles, was Zusammenleben zwischen den Generationen in engen Netzen umfasst, egal, wie es im Einzelnen aussieht. Das ist auch gut so, weil es den Blick öffnet für das, was Familie sein kann. Und dann steht im Vordergrund nicht die Zwangsveranstaltung, sondern der liebevolle Zusammenhalt. Das Wichtige daran ist, dass Menschen zusammen sind, ohne eine Leistungserwartung, einfach da sein und gewollt werden. Ich denke, dieser Aspekt ist verdammt wichtig in unserer Leistungsgesellschaft, Beziehungen, die eben nicht auf Leistung und Gegenleistung beruhen, auf dem Austausch
von Waren und Dienstleistungen oder auf Bezahlung. Solche kleinen Gemeinschaften, wie es eine gute Familie sein kann, dazu gehört, sich trotzdem zu akzeptieren, sich manchmal auch aus dem Weg zu gehen und nichts desto weniger in irgendeiner Form zusammenzuhängen. Die Notwendigkeit von kleineren Einheiten ist unbestritten angesichts von Globalisierung, Monetarisierung aller Beziehungen, aber auch angesichts von Virtualisierung, mit der wir jetzt gerade in der ganzen Welt zu tun haben. Die kleinen Zusammenhänge, die kleinen Netze, die Art des Umgangs miteinander, Lösungen im Nahbereich finden, dort, wo man selbst etwas bewegen kann, und nicht auf höhere Wesen oder auf den Staat oder andere Retter setzen, das hat auch etwas mit Demokratie zu tun, mit Selbstverantwortung und Selbstbestimmung. Familien leben übrigens davon, dass sie heterogen sind, dass Menschen aus verschiedenen Generationen, Menschen verschiedener politischer Anschauungen, aus verschiedenen beruflichen Zusammenhängen und Zuordnungen, unterschiedlicher Bildungsniveaus, Lebensumstände und sozialer Lage und nicht zuletzt unterschiedlichen Geschlechts etwas miteinander zu tun haben. Dieses muss nicht ausschließlich die Familie sein, es muss so etwas wie Familie sein, Ersatzfamilien können das auch leisten. Es geht um eine bestimmte Art von Beziehung zueinander, geprägt von leben und leben lassen, von Toleranz und Respekt, und von einer Beziehung, die nicht von Leistung oder Geld geprägt ist. Gute Nachbarschaft hat vieles davon. Anders als die Familie, die einfach da ist, im Guten und im Schlechten, ist Nachbarschaft machbar. Das ist eine unserer Aufgaben, solidarisches Zusammenleben, Freude aneinander, Hilfe, wo es Not tut, Respektieren und in Ruhe lassen, wenn es das Beste ist, sorgfältig hinsehen – trotz allem, eine Kursbestimmung zwischen den Extremen Einfluss und Gleichgültigkeit. Wenn wir das Familienthema so aufgreifen, sind wir sicherlich einerseits sehr aktuell, weil es ein aktuelles Thema ist. Andererseits aber doch nicht Mainstream, weil Mainstream schwankt zwischen dem Generalverdacht und dem Nichtzutrauen und Überfordern, also diese Mischung, einerseits nichts zutrauen, andererseits alles zuschieben.
Gegen den Strom zu schwimmen, das ist insofern eine vorrangige Aufgabe und in jeder Hinsicht eine Aufgabe der Nachbarschaftsheime. Segler wissen übrigens, wie man das macht, sie kreuzen gegen den Wind, Forellen wissen das auch, sie schwimmen aufwärts, und Paddler wissen auch, wie man das mit den Trends oder dem Mainstream machen kann. Stellen Sie sich einen Fluss vor, an dessen Ufern gibt es Bunen, also kleine Molen, die in den Flusslauf hinein reichen. Wenn ein Paddler stromauf fahren will, gegen den Strom, dann nutzt er die Tatsache, dass es zwischen den Bunen eine Gegenströmung gibt. So ist es möglich, Trends wahrzunehmen und trotzdem gegen den Strom zu schwimmen. Man muss nur an den Ecken aufpassen, weil da die Strömungen aufeinander stoßen. Das ist eigentlich der Sinn einer Tagung wie der, zu wir uns hier heute zusammen gefunden haben, dass wir uns an diesen Stellen, wo die Strömungen aufeinander stoßen, sehr deutlich überlegen, wie wir unseren Kurs bestimmen, damit wir es schaffen, tatsächlich auch immer aufwärts zu schwimmen.
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Niedrig schwellige Zugänge in der Arbeit mit Familien
Inputs: Claudia Grass (Nachbarschaftsheim Schöneberg) „Das Elterncafé als ein niedrig schwelliges Angebot“ Dorothee Peter (Nachbarschaftsheim Neukölln) / Keziban Aydin (Diakonisches Werk) „Stadtteilmütter in Berlin-Neukölln“ Elke Ostwaldt (Outreach Treptow-Köpenick) „Mobile Jugendarbeit und ‚aufsuchende Familientherapie‘ - der SOPHIA-Ansatz“ Moderation: Theo Fontana
die Menschen hin, um sich beraten zu lassen. Da entsteht also auch eine bestimmte Gruppensituation, um diesen Kontakt aufzunehmen und zu entwickeln. Aber es gibt auch offene Angebote, wie sie von uns gemacht werden. Da müssen wir gucken, wie wir die Eltern erreichen. Ich komme aus einem Arbeitsbereich in einem Stadtteil, der sehr stark von Menschen mit diversen wirklich schwierigen Hintergründen bewohnt wird. Bei denen ist es überhaupt nicht gang und gäbe sich Hilfe zu holen oder sich irgendwo zu engagieren. Es liegt an uns zu gucken, Augen und Ohren zu öffnen um mitzubekommen, was die Menschen bewegt, woran es fehlt. Ein Kontakt ist letztendlich immer nur über die Niedrigschwelligkeit möglich, weniger über die Ratio. Mit einem Aushang wird die Mittelschicht angesprochen. TN: Ich arbeite in einem Nachbarschaftshaus in Hohenschönhausen, wo die Armut bei Kindern groß ist, ebenso die Abhängigkeit von Hartz-IV und anderen Geldleistungen. Wir müssen also zum einen überlegen, wie wir Kindern helfen wollen. Im Moment gibt es viel Einzelhilfe für Kinder, aber wir sind der Auffassung, man muss auch die Eltern stärken. Wir müssen also sehen, wie wir an diese Zielgruppe heran kommen, wo liegen ihre Bedürfnisse, über welche Angebote können wir Familien Unterstützung geben? Es sollte eine gemeinsame Zielsetzung von Familien und Nachbarschaftseinrichtung entwickelt werden.
Theo Fontana: Als Einstieg vielleicht die Frage, warum dieses Thema „Niedrig schwellige Angebote an Familien“ so ein Modethema ist. Ich denke schon, es ist eine Antwort auf Veränderungen. Bei meiner früheren Tätigkeit als Streetworker war es eher verpönt, mit Familien zusammen zu arbeiten. Da scheint sich etwas verändert zu haben. Zuerst eine kleine Vorstellungsrunde. Was verbindet Sie mit dem Thema?
Theo Fontana: Wir hätten das ja genauso auch schon vor zehn Jahren machen können, aber damals schien das noch nicht so brennend. Was ist jetzt anders? Vor zehn Jahren war es noch relativ ungewöhnlich, wenn ein Streetworker in eine Familie reingeht. Das ist heute offensichtlich anders. Was ist da passiert? Bei unserem Selbstverständnis? Bei den sozialen Bedingungen?
TN: Das Bürgerschaftshaus in Köln-Bocklemünd, aus dem ich komme, ist eine unterstützend-helfende Einrichtung. Wir sind darauf angewiesen, dass wir Kontakt bekommen. Es gibt beratende Einrichtungen, da kommen
TN: Ich komme vom Gemeinwesenverein Haselhorst. Ich leite seit neun Jahren ein Eltern-Kind-Café und bin eigentlich von der Ehrenamtlichkeit da reingekommen. Ich dachte, in unserem Bezirk gibt es viele Sozialhilfeemp-
fänger und Arbeitslose mit ihren Familien und kleinen Kindern. Es gab keinen Treffpunkt, wo sie sich treffen konnten, ohne dass sie das Gefühl haben mussten: jetzt stürzt sich gleich einer auf dich und will dir eine Beratung aufquatschen. Das Café war also erst mal ein Treffpunkt, wo sie sich mit ihren Familien, mit ihren Kindern, wohlfühlen konnten. Später kamen auch die Männer, auch Omas und Opas. Sie konnten da einfach Kaffee trinken und wussten, na ja, wenn ich mal was habe, zu der kann ich gehen, die kenne ich, zu der habe ich Vertrauen, die sagt mir dann schon was. Und dann konnte man ganz direkt sagen: Ich habe da zwar keine Ahnung, aber meine Kollegin, die berät dich, komm, wir machen das mal. Diese Niedrigschwelligkeit gibt es bei uns seit neun Jahren, die bewährt sich gut.
TN: Ich arbeite in einer Selbsthilfe-Kontaktstelle. Ich habe früher als Familienhelferin gearbeitet. Die Veränderung ist aber nicht vor zehn Jahren passiert, sondern ich würde sagen, vor 15 oder 20 Jahren. Damals sind die sozialen Netzwerke in der Familie langsam kaputt gegangen. Ich glaube, es gab vor 15, 20 Jahren noch weniger Scheidungen, auch Cousinen und Cousins, Nichten und Neffen kannte man noch und traf die, also es gab noch Netzwerke, in denen man sich gegenseitig unterstützt hat. Dieses größere Netzwerk Familie ist so nicht mehr vorhanden. Ich leite inzwischen PEKiP-Kurse, also Eltern-Kind-Kurse. Die kommen gut bei Menschen an, die sie auch genießen, die sie aber nicht so brauchten wie Leute, die ernste Probleme haben. Für die sind diese Angebote offenbar nicht niedrig schwellig genug.
Theo Fontana: Habt ihr da eine Veränderung festgestellt zu der Zeit vor zehn Jahren?
TN: Ich komme aus einem Eltern-Kind-Zentrum. Mir begegnen ganz viele Familien mit Problemen, wo ich dann frage: haben Sie keine Mutter oder Vater mehr? Das haben sie, aber sie haben keinen Kontakt mehr zu den Eltern oder Großeltern. Das, was früher in der Großfamilie funktioniert hat, Erfahrungsaustausch, praktische Unterstützung, das funktioniert jetzt einfach nicht mehr. Wir versuchen jetzt Angebote zu machen, die da eingreifen. Um die annehmen zu können, müssen die Menschen erst mal Vertrauen zu uns aufbauen. Das braucht Zeit, braucht Geduld. Da haben wir so eine „Komm-und-gehStruktur“ entwickelt. Kommen die Familien nicht, dann gehe ich und frage, warum sie nicht kommen. Das ist ein großes Problem, dass die Familien in kleine Einzelteile zersplittert sind.
TN: Nein, es ist gleich bleibend voll bei uns. Es wechseln mal die Mütter, weil die Kinder irgendwann zu groß werden für meine beiden kleinen Räume. Die gleich bleibende Grundlage ist das Gefühl: ich kann da nachmittags hingehen. Das ist eine Vertrauenssache. Theo Fontana: Es hat sich offenbar gar nicht so viel verändert, wie ich behauptet habe. TN: Ich komme vom Pfefferwerk, einem Träger der Jugendhilfe und Nachbarschaftsarbeit in Berlin, vor allen Dingen Prenzlauer Berg. Ich würde sagen, Ihre Sichtweise hat was mit Ihrer Profession als Straßensozialarbeiter zu tun. In der Nachbarschaftsarbeit haben wir immer schon mit offenen Treffpunkten und Angeboten für Familien gearbeitet. Vor allem in der Sozialarbeit in der Jugendhilfe hat seit ein paar Jahren in fachlicher Hinsicht eine Entwicklung stattgefunden. Wenn ich mit schwierigen Jugendlichen arbeite, die schwere Probleme haben, dann muss ich mir unter Umständen auch die Situation in den Familien und im Umfeld angucken. Ich glaube, da hat sich professionell was verändert.
TN: Ich bin vom „Kotti e.V.“ am Kottbusser Tor. Bei uns ist es so, dass ich mittlerweile die dritte Generation im Haus habe, die ich schon seit ihrer Kindheit kenne. Es gibt eine verfestigte Perspektivlosigkeit. Das heißt, die Kinder haben in ihren Familien nicht gesehen, dass Eltern arbeiten gehen, sie kennen keine Eltern, die morgens aufgestanden sind, die einer Tätigkeit nachgegangen sind, die bestimmte Aufgaben übernommen haben. Natürlich liegt bei uns auch die Sprache im Argen, die Schulbildung, die einfach sehr schlecht gelaufen ist und weiterhin schlecht Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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läuft. Die Verhältnisse untereinander, die dynamischen Prozesse, die in den Sozialgruppen ablaufen, das spielt alles mit eine Rolle. Kinder haben keine Vorbilder. Auch nicht zur Konfliktlösung. TN: Ich bin seit 20 Jahren Jugendarbeiterin und arbeite seit fünf Jahren in … Köpenick. Ich bemerke, dass die Familien, die Hartz-IV-Bezieher sind, sehr abgeschottet leben, mehr als die Menschen, die erwerbstätig sind. Das ist ein Kreislauf. Man denkt, man wäre auf staatliche Hilfe angewiesen, und guckt nur noch sehr, sehr wenig auf die Selbsthilfe, die es ja gibt, auf die Ressourcen innerhalb der Nachbarschaft. All das spielt für sie oft keine Rolle mehr. Viele Familien haben nicht mehr den Glauben daran haben, dass sie selbst ihre Schwierigkeiten regeln können. TN: Wir arbeiten sehr stark mit ausgegrenzten Leuten, sehr oft mit Migranten. Die meisten unserer Besucher leben von Hartz-IV und ähnlichen Leistungen. Gerade Familien mit ganz wenig Geld und Schulden sind stark damit beschäftigt, ihr Überleben zu sichern. Das blockiert alle Kräfte, die irgendwie positiv sein könnten. Unsere Erfahrung ist, dass unsere soziale Beratung einfach nur dazu dient, dass die Familien den Kopf frei kriegen, indem man die aufgehäuften Probleme eins nach dem anderen gemeinsam löst. Das ist ganz niedrigschwellig. Man kann sich mal wieder auf ein Ziel orientieren, eine Perspektive kriegen. Das geht erst, wenn ich wieder weiß, dass z.B. meine Wohnung sicher ist. Mit solchen Sorgen befassen sich Familien laufend. Das Ganze stürzt schon zusammen, wenn das Jobcenter nicht rechtzeitig das Geld überweist. Eine Perspektive für Kinder, das heißt auch, dass sie mitmachen können bei Klassenfahrten, Ausflügen usw. Dafür ist oft kein Geld da. Gerade große Familien scheitern daran. Ethnische Netzwerke sind sehr oft Großfamilien-Netzwerke, tragen häufig auch nicht mehr. Es gibt keinen mehr, der Arbeit hat und der sagt: da wäre noch was bei mir im Betrieb. Das riskiert niemand mehr. Denn wenn die Verwandtschaft nicht funktioniert, ist derjenige womöglich selber in Gefahr. Das ist ein ganz großes Problem.
Den einzigen Alltag außer Haus haben Schulkinder. Aber sie haben nicht genügend Geld für die Tagesbetreuung in der Ganztagsschule, Geld für das Mittagessen, Kitabeiträge. Wenn das aus dem knappen Familien-Budget rausgeschnitten wird, ist das oft zu viel. Hinzu kommen dann noch solche Dinge, dass z.B. Jugendliche von Ämtern vor den Kopf gestoßen werden. Wir haben in unserer Beratung immer wieder Jugendliche, die die Oberschule in der 11. Klasse besuchen, und die vom Jobcenter eine Aufforderung kriegen, sie sollen sich bitte eine Arbeit suchen, weil sie die Klassen ja nicht schaffen würden. Die werden unter Druck gesetzt, Eingliederungsvereinbarungen zu unterschreiben, und die Schule zu verlassen. Wenn sie damit alleine bleiben - soll ich jetzt für die Mathearbeit lernen oder soll ich die 20 Bewerbungen bis zur nächsten Woche schreiben - ?, resignieren sie häufig. Daran sehen wir einfach, dass ihnen auch in Institutionen die Perspektive verwehrt wird, die sie sich gerade erarbeiten wollen. Andere versuchen es erst gar nicht. Die haben sich in dieser Resignation eingerichtet. Wenn sie sagen: ich brauche mich nicht zu bewerben, mich nimmt doch sowieso keiner, mit dieser Haltung, ist ihnen von vornherein der Blick verstellt. Aber diese Haltung ist inzwischen weit verbreitet bei uns. Das ist eine Situation, die sich in den letzten Jahren verschärft hat. Wir arbeiten immer schon sehr niedrig schwellig mit einem ganzheitlichen Ansatz, aber wir merken, dass der Druck zugenommen hat. Hartz-IV war da die ganz große Wende, das war noch mal ein richtiger Pflock, der da eingeschlagen wurde. Theo Fontana: Wir sind uns sicher einig, dass Niedrigschwelligkeit schon immer da war, aber heute irgendwie noch größere Herausforderungen an uns bestehen. Darum geht es im ersten Impulsreferat. Claudia Grass: Ich komme vom Nachbarschaftsheim Schöneberg. Ich bin da zuständig für den Bereich Familienbildung. Geographisch gesehen liegt das Nachbarschaftsheim an der Bezirksgrenze von Schöneberg zu Steglitz, in Friedenau. Das ist klassischerweise ein Wohngebiet, wo sehr viele sogenannte Mittelschicht-Familien leben, also
bildungsnahe Menschen, die es gewöhnt sind Kurse zu besuchen. Wir haben auch ein großes Angebot an allen möglichen Kursen im Eltern-Kind-Bereich, Elternabende usw. Der Stadtteil Friedenau ist zweigeteilt - diesseits der Autobahn und jenseits der Autobahn. Jenseits gibt es einen hohen Migrantenanteil und sehr viele Menschen, die von Hartz-IV leben. Natürlich entstand auch bei uns die Frage: wie können wir auch diese Menschen erreichen, die nicht zu uns kommen? Es gibt bei uns in der Familienbildung ein Projekt, das ist vor über zehn Jahren im Rathaus Friedenau entstanden. Dort gab es leere Räume und die damalige Jugendstadträtin hatte die Idee, dass es doch toll wäre, wenn die Familien, die hier ins Rathaus kommen, irgendwo die Kinder abgeben könnten.Das NBH Schöneberg hat dieTrägerschaft übernommen, das Bezirksamt hat uns die Räume zur Verfügung gestellt, wir haben für das Personal und die Ausstattung gesorgt. So ist das Projekt entstanden, das „Frieda“ heißt. „Frieda“ wurde aber nicht so frequentiert, dass da ständig der Bär tobte. Sondern es war so, dass da zwei ABM-Leute den ganzen Tag saßen, die nicht recht wussten, was sie mit ihrer Zeit machen sollten, denn vielleicht kommt mal ein Kind, aber vielleicht kommt auch mal überhaupt keins. Dann habe ich gesagt: nee, so geht das nicht, das ist ja eine Ressourcenverschwendung ohne Ende. Aber was immer gebraucht wurde, war ein Ort, wo sich Eltern treffen konnten. In Friedenau gibt es sehr viele schöne Spielplätze, aber was ist im Winter? Es war immer der Wunsch der Eltern, einen Ort zu haben, wo sie sich eben auch bei schlechtem Wetter treffen konnten. Und zwar ohne Anmeldung wie bei einem Kurs und ohne Verpflichtung, sondern wo sie spontan hingehen können. Dann haben wir also das „Frieda“ geöffnet. Und wenn Eltern etwas auf dem Amt zu regeln haben, können sie da nach wie vor ihre Kinder abgeben, wie auf einer Art betreutem Spielplatz. Irgendwann ist daraus die Idee entstanden, dass es einen Kaffee geben soll. Die Betreuerin kocht eben eine Kanne Kaffee und die Eltern können da auch einen kriegen. Dann haben wir aber überlegt, wir könnten ja einmal in der Woche ein Frühstück anbieten. Das wurde auch sehr gut angenommen. Eine Sozialarbeiterin vom Kinder- und Ju-
gendgesundheitsdienst ging von sich aus auf uns zu und fragte, wann sie zu uns kommen könnte. Ich schlug ihr das Freitagscafé vor. Sie ist einfach da und Eltern wissen, dass sie zur Beratung da ist. So ist das ganze Projekt entstanden. Es ist also nicht am Reißbrett in meinem Kopf entstanden, sondern es hat sich Schritt für Schritt aus dem entwickelt, was an Bedürfnissen kam. Mittlerweile findet das Freitagscafé – wie der Name schon sagt – jeden Freitag statt. Auch in den Ferien versuche ich immer, das durchzuziehen, weil das Problem ist, wenn Eltern es einmal geschlossen vorfinden, dann kommen sie nicht mehr. Es ist also auch eine gewisse Herausforderung, weil das nicht mit Hauptamtlichen bestückt wird, sondern immer mit irgendwelchen MAE-Kräften, ÖBS und was gerade für Programme laufen. Jetzt haben wir gerade die Kommunal-Kombi. Das Prinzip dieses Freitagscafés beruht auf Niedrigschwelligkeit und auf zwei für mich ganz wichtigen Säulen. Die eine Säule ist, dass es keinerlei Verbindlichkeit erfordert. Die Leute können kommen, sie müssen sich nicht anmelden, sie können auch nach zehn Minuten wieder gehen, sie können drei Mal kommen oder nur einmalig, sie können jede Woche kommen. Wir hatten früher bei uns im Haus an die 20 sogenannte Eltern-Kind-Gruppen. Davon gibt es heute höchstens noch zwei. Wir haben festgestellt, dass dieses Bedürfnis, sich in einer festen Gruppe zu treffen, einfach so nicht mehr besteht. Oder wenn, dann wollen die Eltern richtig eine fachliche Anleitung, also dann wollen sie einen Kurs oder PEKiP oder Eltern-Kind-Turnen usw. Aber dieses regelmäßige Treffen in einer festen Gruppe war ein Auslaufmodell. Ich denke, dass wir mit diesem Freitagscafé etwas abdecken, das den Menschen, die sich nicht verpflichten wollen, die lieber spontan entscheiden wollen, entgegenkommt. Manche verabreden sich ja auch mit anderen Eltern, es kommen übrigens auch zunehmend Väter. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Dann hat sich das weiterentwickelt. Es gab diese Sozialarbeiterin vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, die einmal im Monat gekommen ist, das war ein fester Freitag. Dann überlegte ich, dass es doch gut wäre, wenn da eine Ansprechperson von der Erziehungsberatung wäre. Vor Jahren hatte ich schon mal Kontakt mit der Erziehungsberatung vom Bezirk aufgenommen und angefragt, ob sie sich vorstellen könnten, bei uns im Nachbarschaftsheim regelmäßig eine Beratung anzubieten. Damals haben die die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, um Gottes Willen, wir werden ja sowieso schon überrannt, wir können das gar nicht alles, also da war nichts zu machen. Aber jetzt auf einmal ging es. Solche Kooperationen sind offenbar sehr personenabhängig. Es gab eine Mitarbeiterin dort, die das Modell toll fand und es machen wollte. Sie hat das dann mit ihrer Vorgesetzten gesprochen, dann war das in Ordnung. Einmal im Monat – jeden ersten Freitag – ist sie da. Sie ist einfach nur da. Sie drängt niemandem ein Gespräch auf, sie will auch niemand beraten, der nicht beraten werden will. Die Leute wissen, dass sie da ist, das wird ausgehängt. Was an diesem Konzept wichtig ist, das ist die Regelmäßigkeit. Dass die Eltern verlässlich wissen, dass es regelmäßig stattfindet. Dann haben wir es noch erweitert. Einmal im Monat gibt es ein sogenanntes Expertengespräch, also immer am letzten Freitag im Monat kommt irgendjemand, der ein gesundheitsoder erziehungsrelevantes Thema bespricht. Das kann Erste Hilfe am Kind sein, gesunde Ernährung, Bewegungsentwicklung oder „Kreatives Kinderzimmer“, da hatten wir eine Architektin, wir haben alles Mögliche im Angebot. Diese Experten sind bei dem Freitagscafé einfach da. Je nachdem, wie voll es dann ist, und ob es überhaupt geht, sagen sie ein paar Sätze, machen also einen kurzen Input. Dann stellen die Eltern Fragen und die Experten beantworten die. Das
ist natürlich sehr, sehr wuselig. Da sind zum Teil 20 Elternteile mit ihren Kindern, real also 40 Personen, da geht schon was ab. So wie wir jetzt reden, das wäre dort völlig unmöglich. Aber trotzdem denke ich, es ist eine Möglichkeit, denn ins Elterncafé kommen tatsächlich auch Eltern, die sonst eben zu irgendwelchen anderen Gruppen oder Kursen überhaupt nicht kommen würden. Was ich als unheimlich positiv empfinde, das ist eben die Kooperation mit den verschiedenen Ämtern, einmal dem Gesundheitsamt über diese Sozialarbeiterin, mit dem Jugendamt, das ist die Diplompädagogin von der Erziehungsberatungsstelle. Das erweist sich als sehr effizient, weil z.B. auch die Sozialarbeiterin vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst ihre Hausbesuche ins Café bestellt. Für viele Eltern ist das immer noch so: Amt, was wollen die von mir? Die Sozialarbeiterin schreibt alle an, die ein Kind kriegen, alle Eltern werden angeschrieben und bekommen ein bestimmtes Informationsmaterial, und es liegt in dem Brief auch immer ein Flyer von dem Freitagscafé mit drin. Mitarbeiter der Ämter nutzen das Café also auch für sich als Möglichkeit, mit Eltern ins Gespräch zu kommen, Eltern miteinander ins Gespräch zu bringen. Es gibt dann ein Frühstücksbuffet, das kostet 2 Euro, was nun auch nicht die Welt ist. Wenn jemand keine 2 Euro hat, dann ist niemand weggeschickt worden und hat trotzdem was zu essen gekriegt. Das ist natürlich kein Super-5Sterne-Gourmet-Frühstück mit Lachs, aber es gibt immer alles, es gibt Brötchen, Belag, was Frisches, Kaffee und Tee. Das ist das Konzept von dem Frieda-Freitagscafé. Wir haben dieses Konzept in abgewandelter Form noch an zwei anderen Standorten, einmal in dem Jugend- und Familienzentrum in der Jeverstraße. Da ist es immer montags und Mittwochnachmittag bei uns in der Holsteinischen Straße. Da ist es auch ein kleines Café, das täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet ist, und Mittwochnachmittag findet da eben auch ein Elterncafé statt. Wir haben festgestellt, dass das Frieda-Freitagscafé mit Abstand am allerbesten läuft. Ich führe das darauf zurück, dass diese Räume – es sind zwei wirklich sehr, sehr große Räume – am angenehmsten sind, weil sich die Kinder da bewegen können. Diese Räume sind mit Teppichboden
ausgelegt, aber sie dürfen nicht mit Schuhen begangen werden. Da sind sehr viele Eltern mit ganz kleinen Kindern, die können sie da einfach rumkrabbeln lassen. Es ist sehr zentral gelegen, das spielt auch eine wichtige Rolle, also man kann es sehr gut erreichen. Wichtig ist auch, dass so ein Ort mit seinen besonderen Angeboten bekannt gemacht werden muss. Wir treffen immer wieder Leute, die sagen: ach, das wussten wir ja gar nicht, ach, das gibt es hier. Wir müssen also immer wieder kreativ werden, wie wir das an die Frau und an den Mann bringen können, was wir da machen. Theo Fontana: Es ist eigentlich nicht überraschend, dass gerade solche niedrig schwelligen Angebote step by step entstehen. Ich denke, das hängt irgendwie miteinander zusammen. Gibt es ähnliche Projekte und vielleicht Fragen oder Ergänzungen, um das von verschiedenen Seiten zu beleuchten? TN: Unser Café hat sich in der Zwischenzeit so entwickelt, dass ich straffällig gewordene Jugendliche nachmittags betreue, die da ein bisschen abwaschen und sauber machen müssen und/oder – je nachdem, wie sie bei den Kindern ankommen – mit den Kindern spielen. Wir haben drei Räume: unten das Café, ein paar Stufen höher zwei Räume, einen Seminarraum und einen Kuschelraum. Über ein Jahr habe ich eine Schülerpraktikantin, die jeden Dienstag kommt und mit den Kindern ein bisschen bastelt und malt. Je nachdem, wie viele Kinder gerade da sind und wozu die Kinder Lust haben, das entscheiden sie selbst, was sie machen wollen. Sie dürfen aber auch Höhlen bauen und toben. Unten ist ein regelrechtes Café draus geworden, zu Anfang gab es immer noch selbstgebackenen Kuchen von mir, aber jetzt ist dafür keine Zeit mehr, jetzt gibt es den Tiefgefrorenen. Sie kaufen bei mir Kaffee und Kuchen, aber zu Einkaufspreisen. Eigentlich hat sich das Café selbst entwickelt, wir machen um 15 Uhr auf, ab 16 Uhr dürfen die Kinder Süßigkeiten kaufen. Ich habe im Durchschnitt 40 Personen jeden Dienstag da. Die Eltern sind meistens Mütter, aber es kommen auch drei oder vier Väter. Die erkundigen sich schon von sich
aus, wo kann ich zur homöopathischen Früherziehung, wo ist Eltern-Kind-Turnen oder fragen nach Eltern-Trainingskursen, die ich auch anbiete. Manchmal kommen Fragen, die man diskutieren kann, manchmal auch nicht. Wenn die Eltern wollen, lade ich auch jemand von irgendeiner Beratungsstelle ein. Wir hatten schon mal die SchuldnerBeratung da für allgemeine Fragen zur Schuldenfalle. Manche sagen skeptisch: hä, da gibt es ein Eltern-KindCafé, das habe ich ja noch nie gesehen. Theo Fontana: Wie ist das mit den Müttern und Vätern? Kommen Väter? Claudia Grass: Es sind auf jeden Fall mehr Mütter, aber ich habe schon den Eindruck, dass – seit es die Elternzeit gibt – oft mehr Väter kommen. Das liegt aber natürlich auch an der Zeit, vormittags von 10 bis 12 Uhr, da können ja nur diejenigen, die in der Elternzeit sind. Nachmittags, wenn der Indoor-Spielplatz bis 18 Uhr geöffnet ist, kommen durchaus öfter mal Väter mit ihren Kindern. Aber in dem Freitagscafé sind höchstens 10 bis 20 % Väter. TN: Ich baue gerade für den Malteser-Hilfsdienst ein Familienzentrum als Nachbarschaftszentrum in Neukölln auf. Meine Frage: Wie haben Sie die Eltern erreicht? Claudia Grass: Die meisten Eltern fragen unsere MAE-Frau nicht, was sie macht, sondern sie ist da und sie weist die Eltern ein. Das heißt, die Eltern kommen rein, sie begrüßt sie und sagt, guten Tag, Sie wollen zu unserem Elterncafé. Wenn die Eltern noch nie da waren, erklärt sie die Regeln, nämlich, dass sie die Schuhe bitte ausziehen sollen, wo sie den Kinderwagen hinstellen können, dass sie den bitte abschließen, weil auch schon welche geklaut wurden. Solche Sachen erklärt sie. Dann hat sie ihr Frühstücksbuffet, also die Eltern wollen von der in dem Sinne gar nichts. Es ist ja so, dass jeden Freitag eine kompetente Person da ist, entweder die Sozialarbeiterin vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst oder die Diplompädagogin von der Erziehungsberatung. Ich habe auch fast regelmäßig Praktikantinnen von den Fachhochschulen. Denen lege ich es immer nahe, da Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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freitags hinzugehen, weil sehr viel von dem, was ich mache, ist koordinierende und organisatorische Tätigkeit, Gremienarbeit usw. ist, während das Freitagscafé was richtig Anschauliches ist. Da sind die Praktikantinnen auch total scharf drauf, weil sie da endlich die Eltern mitkriegen und welche Fragen sie haben. Ich möchte dann einen kleinen Bericht von den Praktikantinnen, sie sollen ihren Besuch dokumentieren. Das ist für mich auch gut, weil ich da nicht jeden Freitag hingehen kann, das kriege ich zeitlich einfach nicht hin. Aber ich habe damit ein Feedback und Eindrücke darüber, welche Themen anstanden. Die Sozialarbeiterin vom Gesundheitsdienst und die Erziehungsberaterin sind konstante Personen, also es entsteht dann schon – was auch absolut notwendig ist – ein Vertrauensverhältnis. Die MAE-Kraft deckt quasi nur den äußeren Rahmen ab. Sie ist nicht als Ansprechperson für inhaltliche Fragen da. TN: Wie erreicht ihr die Eltern? Claudia Grass: Entweder über unser Programmheft, das hat eine Auflage von ca. 14.000 Stück. Dann natürlich über unsere Stadtteil-Medien, über die Sozialarbeiterin vom Kinder- und Jugend-Gesundheitsdienst, die neuen Eltern die Infobroschüre und unser Angebot fürs Freitagscafé schickt. Ganz viel kommt auch über Mundpropaganda, das ist ein ganz wichtiges Medium. Natürlich auch über Gremienarbeit, ich sitze in diversen Gremien, vor allem, wenn die lokal organisiert sind, verschiedene Fachgruppen, da gebe ich das Angebot auch weiter. Ich gebe auch Informationen ins Jugendamt, viele kennen das FriedaProjekt noch nicht. Man denkt immer, die wissen alle davon, aber das ist nicht so. TN: Ich komme vom Familienzentrum „Tausendfüßler“ in Kaltenkirchen, das ist in Schleswig-Holstein. Wir sind seit sechs Jahren Familienzentrum mit Kindertagesstätte und seit zwei Jahren Mehrgenerationenhaus. Ich kann bestätigen, dass sich unsere Niedrigschwelligkeit auch nach und nach ergeben hat, sie ist mit der konkreten Nachfrage gewachsen. Mit der Eröffnung der Kita haben wir einen Bereich mit Elterncafé eingerichtet. Morgens, wenn die Eltern kamen
und die Kinder gebracht haben, hatten sie die Möglichkeit, Kaffee und Tee zu trinken, so um 9 Uhr. Das hat sich dann ausgeweitet, dass wir ein Eltern-Frühstück angeboten haben, was sehr erfolgreich angenommen wurde. Zunächst ist das nie begleitet worden, aber wir haben das Prinzip der offenen Bürotüren, also jederzeit kann jemand zur Kita-Leitung kommen, wir lassen Störung gerne zu. Das bringt natürlich mit sich, dass wir unsere Arbeit nicht geschafft haben. Es fängt immer mit der Frage an: Ich habe da mal eine Frage, meine Nachbarin, meine Freundin, die hat das Problem … Wir haben die Menschen dann soweit begleitet, dass sie Antworten nicht mehr unbedingt von uns brauchten, sondern auch zu einer Fachberatung gehen konnten. Nach und nach haben wir - auch durch das Mehrgenerationenhaus - dieses Angebot erweitern können. Wir haben nachmittags das Café, wo Menschen aller Altersklassen kommen können, von 0 bis 99. Das Elternfrühstück haben wir ausgeweitet, es wird zwei Mal im Monat von einer Kinder- und Jugendärztin begleitet, die einfach da ist, aber später auch Fachvorträge anbieten kann oder kleine Seminare, wenn das gewünscht wird. Sie hat auch einen Kummerkasten, die Eltern können da Briefe einwerfen und sie steht dann auch für persönliche Einzelgespräche zur Verfügung. Nächster Schritt ist, dass die Erziehungs- und Lebensberatung, die es bei uns im Ort gibt, auch für einen Tag zu uns ins Haus kommt. Angehörige der Mittelschicht gehen dort hin, wenn sie Probleme haben. Aber die Familien, die es tatsächlich benötigen, die trauen sich nicht hin. Elternberatung, Erziehungsberatung, dann kommt womöglich als nächstes vom Jugendamt ein Fürsorger. Die sind dann bei uns im Haus und stellen sich auch beim Elternfrühstück vor, das ist also niedrig schwellig, da können Eltern ins nächste Büro reingehen, ohne dass es auffällt. So entwickeln wir step by step. Wir möchten gerne eine Familien-Hebamme ins Haus holen, wir haben mittlerweile auch eine Beratung für Senioren und für deren Angehörige. Wir holen das alles ins Haus, anstatt sie zu externen Beratungen zu schicken, wo sie eine erhebliche Angstschwelle überwinden müssten, da hinzugehen.
TN: Das sind ja genau die Eltern, die man erreichen muss. Denn im Umgang der Eltern mit ihren Kindern liegt ja sehr viel im Argen. Wie erreicht man, dass der Umgang mit den Kindern sinnvoller wird? Claudia Grass: Die Eltern, die zu uns kommen, kommen mit ihren eigenen Kindern. Eltern sehen natürlich auch, wie andere mit ihren Kindern umgehen. Dieses Hinsehen ist ein wichtiger Lernfaktor, den darf man nicht vernachlässigen. Lernen geschieht, ohne dass man Eltern Vorschriften über das macht, was man nicht darf. TN: Ich komme vom Nachbarschaftszentrum „Bürger für Bürger“ aus Berlin-Mitte. Unser Projekt hat einen ganz interessanten Standort, ich bin genau zwischen zwei Sozialräumen. Links von mir ist der Wedding mit einer ähnlichen Problematik wie in Kreuzberg oder Neukölln. Rechts von mir ist Alt-Mitte, was in den letzten Jahren durch Sanierungsmaßnahmen zunehmend ein voller Sozialraum geworden ist, wo viele junge Familien wohnen. Auch von der Einkommenslage her treffen da manchmal zwei Welten aufeinander. Bei dem niedrig schwelligen Angebot Mutter-Kind-Gruppe habe ich bisher dieses Jahr überwiegend studierte Mütter gehabt, die mit ihren Kindern bis ca. 2 Jahre kommen. Das hat sehr gut funktioniert, weil die gerne so einen Treff haben wollten, wo sie sich austauschen und gegenseitig helfen können. Dann haben wir noch einen anderen in Angriff genommen. Wir haben unter anderem ein Angebot für Nachhilfeunterricht für Schüler, davon haben inzwischen 95 % einen Migrationshintergrund. Die Eltern, deren Kinder zu uns kommen, haben überwiegend ein großes Interesse daran, dass ihre Kinder alle Chancen haben. Die meisten kümmern sich sehr engagiert. Sie versuchen ihre Kinder nach Mitte in die Schule zu kriegen, weil sie eben nicht möchten, dass die Kinder mit 90 oder 95 % Anteil Kindern nichtdeutscher Herkunft in eine Klasse gehen. Wir wollen jetzt ein Angebot entwickeln, wo Eltern und ihre Kinder am Nachmittag einmal pro Woche zum gemeinsamen Spielen kommen können. Gibt es dazu schon Erfahrungen in der Altersgruppe der Schulkinder? Denn wir haben bemerkt, dass Eltern trotz allem ihre Kin-
der vor dem Fernseher parken. Die Kinder lesen kaum zu Hause, die spielen kaum was miteinander, die singen nicht. Deshalb denken wir, dass da ein Bedarf ist. Claudia Grass: Wir haben ja auch einen sehr großen Kinder- und Jugendbereich. Ich weiß, dass es in einzelnen Schulen mit Ganztagsbetreuung solch ein Angebot gibt. Es gibt ja auch dieses Projekt FuN, Familie und Nachbarschaft, das geht in diese Richtung. Da geht es auch darum, dass Spieleinheiten angeboten werden, weil es auch stimmt, dass Eltern und Kinder wieder miteinander spielen lernen müssen. Meine Frage dabei ist immer: Ja, kommen die dann? Wie muss man das verpacken, wie muss das Schleifchen aussehen, damit sie auch wirklich kommen? Wenn man jetzt ausschreibt, dass Eltern mit ihren Kindern zum Spielen kommen können, da wüsste ich nicht, ob sich die Eltern davon angesprochen fühlen oder nicht. Wir Sozialpädagogen denken, das ist ein offensichtlicher Bedarf, aber diejenigen, die den Bedarf haben, die wissen manchmal gar nicht, dass sie diesen Bedarf haben. TN: Die meisten Leute, die zu uns kommen, planen ihre Zeit nicht besonders, d.h., sie kommen spontan. Das erfordert von uns Offenheit für diese Spontanität. Wenn wir mal an bestimmten Tagen sagen, dass wir heute über was informieren, dann kommen genau die Eltern, die es betrifft. Das Angebot muss aber mit ihnen gemeinsam entwickelt werden. Man hört sich um, wo Eltern Bedenken haben, was sie nicht wissen, worauf sie achten sollten. Ihre Belange müssen aufgegriffen werden. Das ist kein Programm, das ich ein halbes Jahr vorher schaffen könnte und einen Referenten schon lange vorher organisiere. Wenn ein Bedürfnis da ist, muss es relativ schnell umgesetzt werden, d.h. ich habe maximal ein bis zwei Wochen Vorlauf. Da machen wir bestenfalls einen Flyer, damit auch noch drei andere aus der nächsten Umgebung davon erfahren. Eine andere Sache ist die Teilnahme von Eltern an unseren Unternehmungen. Wenn Feste sind, wenn wir einen Ausflug machen, dürfen Eltern mitkommen, weil die Eltern bestimmte Erfahrungen genauso wenig wie die Kinder haben. Wir planen keinen Eltern-Kind-Ausflug, sondern die Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Mutter von einem Kind hat spontan Lust mitzukommen. Wenn ein Platz frei ist, kann sie kommen. Sie riskiert es also auch, dass sie dann nicht mitgenommen wird. Wenn wir für die Kita einen Bus gebucht haben, wenn die Schularbeitsgruppe in den Ferien ins Museum geht und in die Führung passen nur 20 Leute, dann können eben nicht 15 Eltern mit, sondern nur die, die einen freien Platz bekommen. Das Niedrigschwellige bringt es mit sich, zunächst mit dieser Flexibilität umzugehen, um allmählich dahin zu kommen: wir müssten uns mal verabreden. Oder dass ich sagen kann: am Freitag habe ich genug Helfer da, es macht jetzt einer der Erzieher die Betreuung der Schularbeitshilfe, da habe ich Zeit, mit euch zu sitzen. So stellen sich Kontakte leicht her, aber nicht auf der Ebene von Verbindlichkeit mit festem Programm. Über die Flexibilität kommt mit der Zeit eine Kontinuität da rein. TN: Wir sind eine pädagogische Einrichtung am Kotti. Wir machen einmal im Monat Lesen und eine Spielstraße. Wir haben festgestellt, dass wir das nur in den Wintermonaten machen können, weil in den Sommermonaten keiner kommt. Während es in den Wintermonaten sehr gut angenommen wird. Wir arbeiten mit der Bücherei am Kottbusser Tor zusammen. Die stellen uns Bücher und die Materialien zur Verfügung. Nächste Woche haben wir Märchentage und wir machen einen Teil davon, für Kinder aus der Umgebung. Wir arbeiten auch mit den Schulen. Leute von uns machen in der Jens-NydahlGrundschule die Schulstation, in der Nürtingen-Grundschule haben wir das Schülerhaus, mit dem wir kooperieren. Die stellen die Spiele zur Verfügung, die man ausprobieren kann. Natürlich kommen mehr Schüler als Eltern, das ist klar, aber auf diese Weise erreichen wir auch Eltern.
Im Frühjahr ist dann hierfür kaum ein Bedarf vorhanden, so dass wir diese Angebote einfach eingestellt haben. Aber diese Kooperationen mit der Bücherei und mit den Schulstationen funktionieren gut und sind auch erfolgreich. TN: Sie sagten, dass Sie Kindern die Teilnahme an einem Museumsbesuch oder an Ausflügen ermöglichen und stellen Eltern, die selber so was noch nie gesehen haben, frei, dass sie auch mitgehen. Ich finde es ganz wichtig, dass auch Eltern einen Bezug dazu bekommen. Und der Bedarf ist da. TN: In ein Museum zu gehen, das kostet aber Geld. Ich bin mit den Kindern immer im Dahlemer Museum gewesen, mindestens einmal im Monat. Das kann ich mir gar nicht mehr leisten, weil die Eintrittspreise so hoch sind. In Amerika ist es selbstverständlich, dass Familien einfach ins Museum reingehen, da wird kein Geld genommen. Und hier ist es üblich, dass immer bezahlt wird. In den Sommermonaten können die Familien ohne Geld gar nichts unternehmen. TN: Ich habe Sponsoren gefunden, die es in den letzten drei Jahren erreicht haben, dass der Museumsbesuch für Kinder unter 18 Jahren frei ist. Da Bildung in aller Munde ist, muss man einfach einen Vorstoß machen, um solche Dinge gemeinsam mit Sponsoren oder der Stadt zu bewerkstelligen. Und Donnerstags haben die meisten Städtischen Museen in Berlin von 18 bis 22 Uhr freien Eintritt. TN: Es hat sich bei unserem Nachbarschaftshaus bewährt, dass wir einen großen Garten haben. Da haben wir ein Schwimmbecken für die Kinder, da kommen auch spontan Leute mit ihren Kindern, wenn sie gerade vorbeigehen. Das ist aber wirklich ein Angebot für Familien, nicht für einzelne Kinder. Dadurch schließen wir manche Kinder aus, aber wir erreichen die Familien. Wichtig ist aber auch das Rausgehen aus dem Familienzentrum. Wir gehen einmal in der Woche in die Turnhalle und machen Familiensport, weil es keinen Familiensport für 1 ½-Jährige bis 4-Jährige gibt. Aber wir wollen eben gesunde Aktivitäten von Anfang an. Die Kinder fordern
das ein und die Eltern machen nach und nach auch mit. Weil auch da gilt, nur im Familienverbund gehen wir in die Turnhalle. Wir fahren mit den Familien weg. In der letzten Stadtteilkonferenz haben wir über den Bürgerhaushalt ein Projekt Familienhilfe geschaffen, da kriegen Familien eine Fahrradwerkstatt. Also wenn wir das Geld für eine Familienferienfahrt nicht zusammenkriegen, bieten wir die Fahrräder an, damit die Eltern das Grundstück verlassen und gucken können, was im Umfeld ist. So schaffen wir den Zugang für Mütter und Väter. Theo Fontana: Wir kommen jetzt zum nächsten Impulsreferat, zu dem Projekt Stadtteilmütter in Berlin-Neukölln. Dorothee Peter: Ich bin eine der Koordinatoren von dem Stadtteil e.V. Insgesamt sind wir sechs Koordinatorinnen. Die Stadtteilmütter starteten 2004 als kleines Projekt im Schillerkiez in Neukölln, mit unserer Projektleitung. Es wurden drei Kurse angeboten, zwei türkischsprachige Kurse, den dritten Kurs deutschsprachig. Das Projekt wurde evaluiert und parallel wurden Befragungen in den Kitas und Schulen duchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass 50 % der Migrantenkinder unter 6 Jahren in Neukölln nicht in die Kita gehen, d.h. 50 % der Kinder unter 6 Jahren waren zu Hause. Parallel wurden zahlreiche Defizite festgestellt in Familien mit Migrationshintergrund, das heißt, Sprachdefizite, gerade in den türkisch- und arabischsprachigen Familien. Es begann als Pilotprojekt und im September 2006 ist das Projekt in die Modellphase gegangen. Das heißt, wir wurden angestellt, drei arabischsprachige und drei türkischsprachige Koordinatorinnen, wovon eine wieder ausgeschieden ist. Wir wurden dann in die Quartiersgebiete eingeteilt, ich bin für den Körnerpark zuständig und für das Rollbergviertel. Es gibt die Sprachschwierigkeiten der Kinder und eben die Überforderung der Eltern. Im Schillerkiez war der erste Kurs zur Ausbildung von Stadtteilmüttern so angelegt, dass gerade Mütter an diesem Kurs teilgenommen haben, die weniger als fünf Jahre in Deutschland leben, daher fast nur türkisch sprachen.
Das Vorbild für unser Projekt kam aus Rotterdam. Wir haben es abgewandelt für die Arbeit mit Müttern. Die Kinder sind gar nicht mit dabei, sondern die Mütter sollen ohne die Kinder erreicht werden. Ich habe jetzt zwei Kurse gemacht, betreue insgesamt 19 Frauen. Insgesamt haben wir 140 Stadtteilmütter für die neun Quartiersgebiete ausgebildet. 93 von ihnen sind in einer ÖBS-Maßnahme 30 Stunden lang beschäftigt. 40 dieser 140 Mütter arbeiten auf Honorarbasis. Diese Stadtteilmütter wurden erst einmal zusammengesucht. Jede Koordinatorin war in ihrem eigenen Quartiersgebiet dafür zuständig, dass sie bestimmte Frauen akquiriert. Ich bin in die Kitas und Schulen gegangen, überall dorthin, wo sich Frauen treffen, Frauenfrühstück, auch in die Beratungsstellen, habe in Wartezimmern Platz genommen, geguckt, wo es Schulstationen gibt, um herauszufinden, wo die Mütter überhaupt sind. Es mussten Frauen sein, zu 80 % türkisch-arabischsprachig, weil das Projekt so angelegt war, bis 20 % durften es Frauen mit einem anderen Migrationshintergrund sein, d.h. auch polnische, russische, tamilische Frauen. Wir durften ausnahmsweise auch deutsche Mütter zu den Kursen einladen, aber nur, wenn sie noch mit einem Fuß in einer arabisch-türkischen Migrantenfamilie sind. Wir konzentrieren uns auf arabische und türkische Familien, deren Problematik war ja vor einigen Jahren in den Medien. Gewalt hat eine große Rolle gespielt, Sprachdefizite usw., die Kinder kommen in die Schule und können kein Deutsch. Das war mitunter ein Grund für die Senatsverwaltung, das Bezirksamt und für das Jobcenter Neukölln mit der Diakonie Oberspree-Neukölln, wo ich auch angestellt bin, wir sind die Träger, in Kooperation zu gehen und dieses Projekt als Pilotprojekt zu starten. Es ging zunächst darum, geeignete Mütter zu finden. Es müssen Mütter sein, weil „Stadtteilmütter“ nun mal der Oberbegriff ist. Es gab natürlich sehr viele Anfragen von Frauen, die auch Deutschkenntnisse und teilweise auch eine gute Schulbildung hatten, die auch hier aufgewachsen sind, aber unser Konzept war, dass es Mütter sein mussten, die zum größten Teil arbeitslos sein oder arbeitslos gemeldet sein mussten, weil sie sonst nicht in diese ÖSB-Maßnahme gepasst hätten. Alle anderen, wo der Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Ehemann arbeitet und sie auch in Teilzeitbeschäftigung ist, dürfen als Honorarkräfte arbeiten. Das heißt, nach der Ausbildung zu Stadtteilmüttern dürfen sie zu einer Mutter gehen, die ein Kind unter 6 Jahren hat. Das heißt, sie haben bestimmte Grenzen einzuhalten. Das Konzept ist so angelegt: Migrationshintergrund muss gegeben sein, die Familien, die aufgesucht werden, müssen mindestens ein Kind zwischen 0 und 6 Jahren haben. Die dritte Bedingung ist, sie muss in den Quartiersgebieten wohnen, wo die Stadtteilmutter tätig ist. Das wird sich nächstes Jahr vermutlich ändern, wir warten noch drauf. Ganz wichtig ist auch, die Stadtteilmütter sind sechs Monate lang von ihrer jeweiligen Koordinatorin qualifiziert worden, also ich habe, wie gesagt, zwei Durchläufe gemacht, 2006 und 2007. Das hat ein halbes Jahr gedauert, zwei Mal in der Woche, je vier Stunden, dienstags und donnerstags, im Nachbarschaftsheim Neukölln. Dort haben wir die Ausbildung gemacht, parallel dazu haben wir Referenten und Experten eingeladen, haben die vernetzt mit den Schulen und Kitas, aber natürlich auch mit dem Kinderschutzbund, mit der Suchtberatungsstelle und auch mit Wildwasser, weil auch Missbrauch an Mädchen ein Problem ist. Wir arbeiten eng zusammen mit der Integrationsbeauftragten, mit der Gleichstellungsbeauftragten, mit Behindertenbeauftragten, also wir sind mit diversen Institutionen und Vereinen vernetzt. Jede Koordinatorin für sich muss dafür sorgen, dass sie mit dem eigenen Quartiersmanagement vernetzt ist und mit allen Institutionen, die es dort gibt. Wo gibt es Hausaufgabenhilfe? Wo gibt es Beratungsstellen? Wo findet die Familie das, wofür sie Bedarf hat? Das kann natürlich auch ein Angebot für kostenlosen Musikunterricht sein. Wir wollen gerade an die Familien rankommen, die eben nicht aus der Mittelschicht sind. Vornehmlich ist es so, dass die Stadtteilmütter selber nicht aus der Mittelschicht kommen, zum größten Teil sind die Frauen Heirats-Migrantinnen. Natürlich haben wir auch welche, die hier geboren sind, Kopftuchträgerinnen, oder eben angereist sind aus anderen Ländern, aus den verschiedensten Situationen heraus. Das heißt, für die ÖBS-Maßnahme musste der erste Arbeitsmarkt verwehrt sein, sonst hätten sie gar nicht in das Programm gekonnt.
Wir hatten anfangs150 Frauen. Einige Stadtteilmütter sind uns – Gott sei Dank – verloren gegangen, weil sie Arbeit in ihren alten Berufen gefunden haben. Das freut uns natürlich. Jede Stadtteilmutter, die bei uns bleibt, das freut uns natürlich auch, weil sie 30 Stunden lang als Stadtteilmutter arbeitet und versucht, die Familien zu erreichen, die nirgends hingehen, auch nicht zu einer Beratungsstelle. Wir gehen zu diesen Frauen. Die Stadtteilmütter arbeiten genauso wie ich auch gearbeitet habe, um die Frauen selber zu finden. Sie gehen überall hin, auch ins Nachbarschaftsheim, da war ich auch und habe dort Stadtteilmütter gefunden, die ich dann ausgebildet habe. Nachdem die Stadtteilmütter dann ausgebildet worden waren, haben die genau dasselbe gemacht wie zuvor ich. Sie gehen jetzt auch in die Kitas, in die Frauengruppen, die es überall gibt, sie gehen aber auch auf Spielplätze, zum Kinderarzt, zum Frauenarzt, sie gehen überall hin, auch ins Einkaufszentrum. Sie arbeiten auch eng mit unserer Bücherei zusammen, gehen öfter mal dahin, gucken, ob sie da Mütter treffen und sprechen sie an. Sie müssen natürlich abfragen, wo sie wohnt, um zu sehen, ob sie überhaupt infrage kommt. Dann müssen wir natürlich auch abfragen, ob sie ein Kind zwischen 0 und 6 Jahren hat. Wir nehmen auch an allen Festen im Kiez teil, so was wie 48-Stunden-Neukölln, machen unsere eigenen Kiezfeste natürlich. Bei allem was es gibt, sind wir präsent. Die Stadtteilmütter haben immer einen Stand mit ihren Flyern, im besten Fall haben wir auch türkische Spezialitäten, bieten auch Spiele für die Kinder an, damit die Mütter stehen bleiben, sprechen sie an. Die Stadtteilmütter haben ihren roten Schal an, ihre Tasche mit dem Stadtteilmütter-Logo drauf, sie gehen durch die Straßen und werben dafür, dass sie mit Informationen zur Verfügung stehen. In der Ausbildung gab es zehn Themen, zum Beispiel gesunde Ernährung, Kita-System in Berlin, Schul-System in Berlin, Suchtvorbeugung. Unser Hauptpunkt ist der Konsum von Zigaretten, was in diesen Familien ganz problematisch ist. Es wird überall geraucht, egal ob kleine oder größere Kinder im Raum sind. Unser Problem sind natürlich auch Jugendliche. Die Stadtteilmütter sind mit mir zur Suchtberatungsstelle gegangen, bei Bedarf vermitteln wir dann auch dahin.
Medien, das ist ein ganz großes Thema, insbesondere das Fernsehen und Videos. Natürlich auch die Rolle des Spiels, weil das in den Familien verloren geht, weil die Eltern nicht in der Lage sind, mit den Kindern zu spielen. Wir haben zehn Ordner, mit denen wir arbeiten. Damit habe ich auch im Unterricht gearbeitet. In diesen Ordnern sind die verschiedensten Flyer und Broschüren von ganz unterschiedlichen Institutionen drin, Krankenkasse, Unfallkasse etc. Diese Informationen bestellen wir aus dem ganzen Land und stellen sie als Mappe zusammen. Der 11. Ordner ist ein Adressenordner bzw. der Kiez-Ordner, das heißt, jedes Gebiet hat einen eigenen kleinen Ordner mit den Adressen, was es in dem jeweiligen Kiez gibt. Ein Teil der Ausbildung zu Stadtteilmüttern bestand darin, die Beratungsstellen aufzusuchen. Natürlich haben wir auch mal zwischendurch Feste mit den Frauen gefeiert, um sie einfach zu stärken. Wir machen auch einmal im Monat Ausflüge. Wir haben uns erst mal Neukölln angeguckt, was es alles in der Umgebung gibt. Inzwischen gehen wir auch mal woanders hin. Aber das müssen wir finanzieren, weil die Frauen nicht die Mittel dafür haben. Wir hatten auch Frauen, die noch nie im Kino waren, wir waren auch bowlen. Das ist ein Hit, sage ich Ihnen. Auf jeden Fall ist es wunderbar zu sehen, dass die Frauen, die vor fünf oder acht Jahren angereist sind und wirklich nur in ihrem eigenen Raum waren, durch die Ausflüge so ein Selbstbewusstsein gewonnen haben. Es ist erstaunlich, das zu beobachten. Die Gruppen, die ich habe, gehen natürlich nicht verloren, die erste kenne ich seit 3 ½ Jahren, die andere seit 1 ½ Jahren. Das ist zu einer Gesamtgruppe geworden, weil sie nach der Ausbildung einmal in der Woche Teamsitzung haben, Gesamt-Team. Dann haben wir auch den Frauentreff, der im Nachbarschaftsheim stattfindet, jeweils am Mittwochvormittag, ohne Kinder. Auch die Teamsitzung findet ohne Kinder statt, das heißt, wenn die Kinder mal krank sind, dann können die Frauen vielleicht nicht kommen. Über das, was sie in den Familien erleben, können sie sich mit den Kolleginnen austauschen. Sie sind 30 Stunden pro Woche beschäftigt als Stadtteilmutter. Diese 30 Stunden sind fest gegliedert in einen Stundenplan. 10 Stunden in der Woche machen sie Fa-
milienbesuche. Sie sprechen mit einer Mutter z.B. über Unfallvorbereitung, wie das funktioniert. Wenn Bedarf ist, lässt sie Flyer oder Broschüren da. Wenn die Mutter kein Deutsch spricht, wird alles wieder mitgenommen und nur das, was wir muttersprachlich haben, wird dagelassen. Es ist so, dass wir nicht beraten, es ist keine Einzelfallhilfe, es ist einfach nur die Weitergabe von Informationen und ein Austausch. Die Stadtteilmutter ist einfach dazu da, dass sie sich als Mutter mit einer Mutter austauscht, die ihre Wohnung kaum verlässt. Das ist bei 70 bis 80 % der Fall. Die Stadtteilmutter geht in ihre eigene Umgebung und guckt, wen habe ich als Nachbarn, wer geht in den Straßen spazieren, wer sitzt am Spielplatz und spielt da, welche Kinder sind da zusammen? Und sie spricht die Mütter an. Das sind dann nicht die Mütter, die von sich aus interessiert und aufgeschlossen sind. Die Stadtteilmütter werden 6 Stunden in der Woche qualifiziert und zwar beim Beschäftigungsträger, wo sie angestellt sind. Das heißt, der Arbeitgeber ist ein anderer, der Träger ist ein anderer, Geldgeber sind wieder andere, es ist also ziemlich kompliziert in Neukölln gegliedert. Ich denke, in den anderen Bezirken ist das anders. Wir werden jetzt ja auch kopiert. Es gibt inzwischen 28 Stadtteilmütter in Kreuzberg. Und in Steglitz läuft gerade ein Kurs, es soll auch in anderen Bezirken noch geplant sein. Nach der Ausbildung bleiben die Stadtteilmütter zusammen und arbeiten auch gemeinsam 30 Stunden in der Woche. Sie sind in einem festen Rhythmus, gehen ihrer Beschäftigung nach, tauschen sich weiterhin aus und sollen auch mit den Institutionen in Kontakt bleiben. Seit ein paar Monaten sind wir auch dabei, einige Stadtteilmütter in den Schulstationen und in den Kitas zu verankern. Das heißt, die stehen auch jeweils eine Stunde lang mit einem Tisch und ihren Flyern vor den Kitas, in den Kitas, dahinFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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ter ein Plakat mit den Themen. Sie sprechen Mütter an, möchtest du mit mir sprechen über diese Themen? Spielt dein Kind nur alleine mit sich oder sieht es nur fern? Nachdem die Stadtteilmutter den Kontakt hat, trifft sie sich 10 Mal über jeweils 2 Stunden mit der Mutter. Wenn das nicht in der Wohnung stattfinden kann, dann haben wir auch Ausweichmöglichkeiten. Manchmal ist der Ehemann arbeitslos, liegt auf der Couch, die Schwiegermutter ist noch da, dann geht es nicht. Es gibt dann auch Kitas, natürlich auch das Nachbarschaftsheim, wo wir immer Räume zur Verfügung gestellt bekommen. Dafür sind wir sehr dankbar, weil wir sonst den Kontakt verlieren würden. In dem Moment, wo die Frau sagt: Nein, mein Mann möchte nicht, dass irgendjemand kommt, das ist einfach nichts für mich, können wir andere Räume in den Quartieren anbieten, wo wir uns in Ruhe unterhalten können. Natürlich auch in die Bibliothek, sie gehen aber auch gerne in Cafés. Die Stadtteilmütter sind sorgfältig ausgewählt worden. Jede Koordinatorin hatte für sich die Aufgabe, bestimmte Frauen auszuwählen. Sie musste natürlich reflektieren, ich musste auch selektieren, genauso wie meine Kolleginnen auch. Ich hatte eine Anzahl von 23 Frauen, nur 13 Frauen haben das Zertifikat von mir erhalten – aus den verschiedensten Gründen, Schwangerschaft oder sie war nicht reflektiert, bestimmte Sätze sind im Unterricht gefallen, die im Einvernehmen mit der Demokratie nicht akzeptabel sind. Das geht natürlich gar nicht, solche Stadtteilmütter brauchen wir nicht, die im Auftrag des Bezirkes arbeiten und dann bestimmte Prinzipien vertreten, die wir als Diakonie, aber auch als demokratische Bürger, nicht vertreten können. Das sind die 10 Themen, über die wir 6 Monate gearbeitet haben, worüber auch die Stadtteilmütter sich weiter
mit den Familien austauschen. Es gibt eine Qualifizierung PC, die läuft jetzt auch wieder. TN: Das Projekt hängt mit dem Nachbarschaftsheim Neukölln zusammen, die Ausbildung wird bei uns gemacht, dadurch sind die Stadtteilmütter selber mit dem Nachbarschaftsheim vertraut geworden, kennen die Einrichtung und haben eine Verbindung zu uns. Wir haben bei uns in der Einrichtung das Zuckerfest zusammen mit den Stadtteilmüttern gefeiert. Das war sehr schön. Dadurch bekommen wir auch Besuch von Müttern, die wir sonst nicht erreichen würden. Wir haben im Bereich Familienbildung auch Informationsveranstaltungen, zum Beispiel zu dem Thema Umstellung vom Stillen zu fester Nahrung. Da waren die Eltern aus den Eltern-Kind-Gruppen, die Stadtteilmütter als Multiplikatoren, aber auch Mütter, die die Stadtteilmütter mitgebracht haben. Mit ihrer Hilfe hatten wir da eine ganz gute Mischung zustande gekriegt. Weil wir festgestellt haben, dass wenige türkische und arabische Mütter sich an Eltern-Kind-Gruppen, PEKiPGruppen, etc. beteiligen, wollen wir jetzt noch zwei zweisprachige Gruppen anbieten, deutsch-arabisch und deutsch-türkisch, die jeweils von einer Stadtteilmutter und einer Kursleiterin betreut werden. Einerseits können wir es dann zweisprachig bieten, andererseits die Kontakte der Stadtteilmütter nutzen. Dorothee Parker: Ich kann noch ergänzen, dass wir in diesen 2 ½ Jahren ca. 1.300 Familien erreicht haben. Unser Ziel waren 1.500 Familien. Theo Fontana: Sie haben ein niedrig schwelliges Angebot beschrieben, das trotzdem sehr strukturiert wirkt und sehr professionell aufgezogen ist. Das muss offenbar kein Widerspruch sein. TN: Ich habe das Projekt durch die Medien verfolgt. Mich interessiert, was passiert jetzt, wenn die ÖBS-Finanzierung endet? Wie geht es dann weiter? Der Bedarf wird ja nicht weniger, wenn die Familien ein paar Mal aufgesucht worden sind.
Dorothee Parker: Die Familien werden 10 Mal aufgesucht und die Mütter sind angehalten, zu dem offenen Frauentreff mittwochs zu kommen. Das heißt, einmal pro Woche sind wir drei Stunden im Nachbarschaftsheim. Wir haben ein Programm, man kann regelmäßig mit uns frühstücken, jede zweite Woche gibt es ein Treffen, bei dem über ein bestimmtes Thema diskutiert wird. Oder wir gehen in eine bestimmte Einrichtung. Und in der vierten Woche im Monat machen wir einen Ausflug. Das heißt, die Frauen werden ja auf verschiedene Weise interessiert. Wir feiern da auch Feste, es muss kein Ausflug sein. Wir hatten einen Tanzabend … wir dachten, das ganze Nachbarschaftsheim stürzt zusammen. Ich weiß nicht, wo die alle her kamen, es war brechend voll. Seit wir ein bestimmtes Thema haben, das viele interessiert, weiß ich nicht, von woher die alle anstürmen. Der Kontakt zu den Frauen bzw. zu diesen Müttern geht nicht verloren. Manche Stadtteilmütter verzweifeln schon, weil alle Frauen, die sie besucht haben, immer noch an ihnen hängen wie Kletten. Es ist dann meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass sich eine gewisse Barriere aufbaut. Denn es geht natürlich nicht, dass 20 Familien jeden Tag bei den Stadtteilmüttern anrufen. Unser Ziel ist, dass sie eben selber dorthin finden wo sie sich beraten lassen können und nicht nur immer an der Stadtteilmutter hängen. Das heißt, sie wissen, es gibt in ihrer Nähe verschiedene Stellen, wo sich Frauen treffen. Im QM gibt es auch Frauenfrühstück, im Nachbar-QM treffen sich Frauengruppen, dort können sie auch hingehen. Denn sie sollen ja alleine aus ihren Haushalten rausgehen.
Dorothee Parker: Ja, das wollen sie aber nicht. Und natürlich überwachen wir diese 24 Stunden Arbeit, die sie leisten. Es gibt Stundenzettel und ich überprüfe für meine Teamfrauen, wo waren sie, was haben sie gemacht, waren sie in der Qualifizierung, kommen sie in die Teamsitzung, waren sie in der Kita xy. Die 6 Stunden überwacht der Beschäftigungsträger. Aus meiner Sicht kann es nicht sein, dass sie ohne pädagogische Leitung arbeiten. Und sie müssen ja auch irgendwo ihre Sorgen loswerden. TN: Ich komme aus Freiburg im Schwarzwald. Ich mache seit 10 Jahren Kinder- und Jugendarbeit. Wir haben einen neuen Stadtteiltreff in einem neu gebauten Stadtteil, der heißt Rieselfeld. Der ist für 12.000 Menschen ausgelegt und es gibt ihn seit 10 Jahren. Das ist sehr spannend, weil ich eben von Anfang an mit konzipieren und aufbauen konnte. Der Stadtteiltreff wird auf Erwachsenenebene nicht von vielen Migranten besucht, die sich im Stadtteiltreff engagieren, sondern es kommen eher die Kinder zu uns. Wir haben 100 Ehrenamtliche, das sind auch eher keine Migranten. Migranten sind eher angestellt, zum Beispiel im Gastronomiebereich. Wir haben Mittagstisch, auch mit Café und Anlaufstelle. Wir haben ein türkisches Fest veranstaltet, weil diese Zielgruppe nicht so zu uns ins Haus kommt. Dazu waren etwa 17 türkische Frauen gekommen. Bei Ihrem Projekt würde mich interessieren, wo sind die Berührungspunkte zu Einheimischen oder zu Nicht-Migranten, sind sie gewünscht und im Programm verankert?
TN: Ist das Projekt befristet? Dorothee Parker: Bis Ende 2009 ist es finanziert, das ist keine Regelfinanzierung, aber das Modellprojekt läuft natürlich aus. Die Verlängerung für die Stadtteilmütter ist gelaufen, für uns Koordinatorinnen ist die Verlängerung leider noch nicht durch, aber ich gehe davon aus, dass wir auch verlängert werden, denn was sollten die Stadtteilmütter ohne uns machen? TN: Die werden selbstständig.
Dorothee Parker: Die Stadtteilmütter sind im Nachbarschaftszentrum eingebunden. Sie sind dort vor Ort, etwa wenn sie die Ausbildung haben. Danach gibt es dort einen regelmäßigen Treff einmal in der Woche und gemeinsame Feste oder Veranstaltungen im Garten, also sie sind mit präsent in dem Stadtteilzentrum an sich, das ja offen ist für alle anderen auch. TN: Also findet ein Austausch statt, das wurde noch nicht so deutlich.
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TN: Er findet auf einer informellen Ebene statt, ist aber nicht in irgendeiner Form organisiert. Man bringt Gruppen zusammen, indem man gemeinsam feiert. Wir haben auch einen Garten, der im Sommer immer geöffnet ist. Ansonsten haben wir das Kiez-Café, wo sich auch alle treffen. Da sind zum Teil auch Stadtteilmütter, aber auch viele andere. Der Austausch ist nicht organisiert und kommt in der Projektstruktur nicht vor, aber dadurch, dass es an einem Ort zusammenkommt, ist er möglich. TN: Aber das ist von Ihnen gewollt, dass es nicht auch noch ein Aufgabenbereich ist, den Austausch bzw. die Begegnung zwischen allen zu schaffen? Dorothee Parker: Unser Problem ist einfach, dass das Projekt, das von den verschiedenen Kooperationspartnern unterzeichnet wurde, zwar ein Integrationsprojekt ist. Das heißt, es ist so angelegt, dass zu 80 % türkisch- und arabischsprachige Familien erreicht werden müssen, der Rest ist offen. Rein deutsche Familien dürfen wir nicht aufsuchen, das ist im Konzept nicht vorgesehen. TN: Ich glaube, dass man die Parallelgesellschaft nur erreichen kann, wenn man Begegnungen initiiert. Das Problem habe ich ja auch, die türkischen Frauen kommen sonst nicht oder sie kommen nur an ihrem türkischen Fest, dann trauen sich aber die deutschen Frauen nicht. Über welches Thema schafft man es, sie zusammenzukriegen? TN: Ich habe eine Nachfrage. Es ging darum, dass Mütter, die angesprochen werden, irgendwann innerhalb von zwei Jahren an Angebote wie Kindergruppen, Nachbarschaftsheim usw. herangeführt werden. Das geht aber nur, wenn ich schon in den Gesprächen innerhalb der Familien Anreize schaffe, dass diese Begegnung auch wirklich von diesen Familien gewünscht wird. Also der integrative Teil sozusagen als Idee ebenfalls da ist. TN: Es ist die Aufgabe jeder einzelnen Koordinatorin für sich, wie sie mit ihrer eigenen Gruppe umgeht. Das heißt, wir gehen überall hin. Wir gehen auch mal an einem normalen Tag in ein Altersheim, wo nur deutsche Menschen
sind. Es geht nicht darum, dass wir nur an bestimmten Festlichkeiten teilzunehmen, sondern natürlich feiern wir auch Weihnachten und Ostern und sonstiges. Natürlich gehen wir auch in bestimmte Räumlichkeiten, wo man als muslimische Frau niemals hingehen würde, zum Beispiel in das Jüdische Museum oder in eine Synagoge. Wir hatten ja vor dem inhaltlichen Beginn der Kurse eine gewisse Reflektionsphase, in der die Frauen in einer Probephase waren. Beim ersten Mal brauchte ich zu ihrer Auswahl acht Wochen, beim zweiten Mal ging das schon nach vier Wochen. Ich habe also auch gelernt, genauso wie meine Kolleginnen, wir hatten vorher keine Kurse geleitet. Wir mussten erst mal durch Fragen und inhaltliche Diskussionen prüfen, ob diese Frau überhaupt geeignet ist. Man sieht es ihnen ja nicht an. Elke Ostwaldt: Mein Thema ist ein anderes. Outreach ist das Jugendprojekt des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit, und das Sofja-Projekt, sozialräumliche Familien- und Jugendarbeit, gehört dazu. Es war zunächst ein Bundesmodellprojekt der Diakonie, in dem die soziale Integration von Jugendlichen und deren Multiproblem-Familien verbessert werden sollte. Die Diakonie hatte sich überlegt, dass wir eine Kombination aus mobiler Jugendarbeit, das bin ich, und Familientherapie, das ist mein Kollege vom Diakonischen Werk, versuchen. Diese beiden ganz unterschiedlichen Arbeitsansätze wollten wir zusammenstricken, um auf der einen Seite für die Jugendlichen positive Effekte dabei herausholen, auf der anderen Seite eine spürbare Entlastung für die Familien zu schaffen. Das war die Grundidee. Dieses Bundesmodellprojekt ging von 2003 bis 2006, dabei war ein Standort Treptow-Köpenick. Ich bin gefragt worden, ob ich mir das vorstellen könnte. Als man mir diese Idee erklärt hatte, konnte ich es mir nicht so ganz vorstellen, weil es mir schwierig erschien. Man muss den Kontakt zu den Jugendlichen, die besondere Probleme haben, herstellen, das ist okay. Aber dass man dann als Streetworker in die Familien selbst reingeht und mit den Jugendlichen und den Familien über ihre Probleme spricht, in familiärem Rahmen, das konnte ich mir erst mal nicht so vorstellen.
Das Gute an dem Ganzen war, dass es ein Bundesmodellprojekt gewesen ist und wir ausprobieren konnten. Wir hatten also jetzt erst mal nicht so einen Wahnsinnsdruck, weil nicht gesagt wurde, wir müßten 10 Familien in drei Jahren aussuchen, sondern wir hatten einen Spielraum. Das war sehr, sehr wichtig, weil das Grundprinzip von Sofja ist, dass der Therapeut und die Sozialarbeiterin im Tandem-Team arbeiten. Das heißt, die Jugendlichen kommen zwar über mich, aber in die Familien gehen wir immer gemeinsam. Am Anfang ging es darum, dass sich das Team trifft und guckt, ob wir überhaupt miteinander arbeiten können. Dann haben wir uns ein gemeinsames Methodenrepertoire erarbeitet. Ich musste mich ein bisschen in die Methoden der aufsuchenden Familientherapie einarbeiten, insbesondere in die Methodik der Gesprächsführung. Der Kollege von der Therapie hat sich in die Sozialraumbegehung eingearbeitet. Wir beide arbeiten gemeinsam in Oberschöneweide, in einem ziemlich klar abgegrenzten Kiez, wo wir die Plätze inzwischen kennen, an denen sich die Jugendlichen aufhalten, wo er die Problematik von den Jugendlichen kennt. In der Regel ist es ungewöhnlich, dass Therapeuten zu den Plätzen der Jugendlichen gehen, damit vertraut sind, die Lebenswelt der Jugendlichen kennen. Wir haben uns eine gemeinsame Haltung erarbeitet. Für mich war es wichtig, dass ich die Parteilichkeit für die Jugendlichen nach wie vor behalten kann und eine Stimme für die Jugendlichen habe. Und mein Kollege eben die Allparteilichkeit hat, d.h. er ist sowohl für die Eltern, als auch für die Jugendlichen. Und mit dieser Haltung sind wir auch immer ins Gespräch reingegangen. Das ist sehr wichtig, weil unsere Erfahrungen zeigen, dass die Familiengespräche von den Eltern sehr gut genutzt werden. Aber es gibt immer wieder die Schwierigkeit, die Jugendlichen an diesen Prozess zu binden, weil da ja erst mal nicht so sehr viel Spannendes passiert, da redet man. Das ist für Jugendliche eine ganz schwierige Sache, sich zu treffen, dann auch noch mit den Eltern, dann noch in ihrer eigenen Wohnung und über das zu reden, worüber man sonst nie redet.
Das war die Herausforderung, vor der wir gestanden haben. Wir haben dann gemeinsame Arbeitsprinzipien festgelegt. Das sind: Vertraulichkeit, was gesprochen wird, bleibt in dem Zimmer, in dem es besprochen wird und dringt nicht nach außen; die Niedrigschwelligkeit und Freiwilligkeit. Das gilt für die Familien, mit denen wir arbeiten, und für die Jugendlichen, wir arbeiten nicht im Zwangskontext, sondern das ist ein freiwilliges Angebot. Die Familie kann sagen, das ist gut, oder das gefällt uns nicht, wir haben da die und die Probleme oder wir möchten das nicht. Aber wenn sich eine Familie auf diesen Prozess einlässt, dann ist unsere Erfahrung, dass sowohl die Jugendlichen als auch die Eltern dabei bleiben, bis man eine Lösung für das Problem hat. Das ist teilweise sehr anstrengend – für alle Beteiligten, auch für die Eltern, für die Jugendlichen insbesondere, das auch auszuhalten. Aber wir haben erlebt, wenn es uns gelingt, sowohl die Eltern als auch die Jugendlichen an diesen Prozess zu binden, dann kommen wir zu sehr, sehr guten Lösungen, zu ganz praktischen Lösungen. Die Sozialarbeit macht den praktischen Teil, die Therapie, da musste ich auch noch eine Menge dazulernen, begleitet den therapeutischen Prozess und ist dadurch erst mal nicht so praxisorientiert angelegt wie zum Beispiel meine Arbeit als Sozialarbeiterin. Damit hatte ich am Anfang ein bisschen zu kämpfen, bis ich dann gemerkt habe, welche Effekte das hatte. Das braucht eben Zeit. Ein therapeutischer Prozess hat ganz andere Zeit als ein sozialarbeiterischer Prozess. Dann haben wir gesagt, wichtig ist der Ort. In der Regel ist es so, dass wir das in dem Zuhause machen. Aber wenn es gravierende Probleme zwischen den Jugendlichen und Eltern gibt oder wenn ein Jugendlicher sagt: ich möchte nicht, dass es in der Wohnung stattfindet, dann sagen wir, okay. Wir haben einen kleinen Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Beratungsraum oder wir nutzen einen ruhigen Raum im Jugendzentrum, um die Beratungen dort zu machen, damit die Jugendlichen einen neutralen Raum haben, und die Eltern auch. Für mich selber ist dieses Übertreten der Schwelle, also zu den Jugendlichen in die Wohnung zu gehen, ein sehr heikles Thema. Ich weiß sowieso schon so viel von denen, aber das dann auch noch zu sehen, in ihre Intimsphäre zu gehen, in die Privatsphäre, das war so ein Ding, wo ich gedacht habe, das ist kaum für mich vorstellbar. Wir haben 3 ½ Jahre in diesem Bundesmodellprojekt gearbeitet. Wir haben auch sehr viele Qualifizierungen gemacht, Supervision. Es haben sich für uns ein paar Grundsätze herausgestellt: Sofja arbeitet lebenswelt- und sozialraumorientiert, d.h. Ausgangspunkt unserer Arbeit ist die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen. Wir arbeiten lösungs- und ressourcenorientiert, d.h. wir gehen davon aus, dass in den Familien Ressourcen vorhanden sind. Die sind verborgen und die Eltern spüren sie vielleicht noch nicht so, aber man kann sie auf jeden Fall aktivieren. Wir arbeiten präventiv, d.h. meistens bevor das Kind ganz in den Brunnen gefallen ist. Und es bietet maßgeblich Hilfe zur Selbsthilfe. Das Ziel ist, dass die Familie so gestärkt aus diesem Prozess rausgeht, dass sie eine Idee davon gekriegt hat, wie der Weg sein könnte, Lösungen zu finden. Das ist das Ziel. Und dass man sich in der Nachbarschaft andere sucht, Väter, Mütter, Nachbarn, die mithelfen können gemeinsam zu überlegen, wie sie an diese Probleme herangehen. Denn Probleme mit Kindern, ob klein oder groß, ob Jugendliche, haben fast alle Eltern, egal, ob Mittelschicht-Eltern oder Unterschicht-Eltern. Es ist ja immer nur die Frage: wie komme ich zu einer Lösung und welche Wege gibt es?
Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche von 11 bis 17 Jahren und deren Familien. In der Regel ist es so, dass der Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen über mich läuft, das heißt, es ist eine Hilfe, die auf Vertrauen aufbaut. Vertrauen ist unheimlich wichtig. Das heißt, es gibt den Kontakt, es ist eine tragfähige Beziehung zu den Jugendlichen aufgebaut worden. Und wenn ich sehe, die sind soweit und sagen: Wir haben im Moment so einen Stress zu Hause, könntest du nicht vermittelnd eingreifen, dann sage ich, okay, ich komme mit nach Hause und wir gucken mal. Das ist der Kontakt zu den Jugendlichen, und darüber entsteht der Kontakt zu den Eltern. In der Regel ist es so, dass die Eltern so einen Druck haben – aus den unterschiedlichsten Gründen -, dass sie ganz schnell eine Lösung finden müssen, und auch bereit sind, sich darauf einzulassen. Es gibt sehr viele Familien, die massiv unter Druck stehen. Entweder geht das Kind nicht mehr zur Schule, die kriegen einen Brief nach dem anderen von der Schule, sie wissen nicht mehr, wie schaffen wir es, dass unser Kind wieder zur Schule geht? Der geht einfach nicht, der schwänzt. Das andere ist natürlich die Alkohol- und Suchtproblematik, wobei wir die Erfahrung gemacht haben, bei Jugendlichen, die sehr drogenabhängig sind, da können wir nichts mehr lösen, da muss ein anderes Angebot ran. Sofja hat also auch ganz klar seine Grenzen. Es sind maßgeblich Probleme innerhalb der Familie, bei denen man sich hinsetzen muss, weil es so viel Stress gibt, der Junge oder das Mädchen sind von Zuhause abgehauen, es gibt keine guten Kontakte mehr untereinander, das sind so die Probleme, bei denen Eltern sich auf diesen Prozess einlassen, und wo Jugendliche dann sagen: vielleicht haben wir ja was davon, dass wir uns auf diesen Prozess einlassen, vielleicht gibt es eine Lösung für unsere familiären Probleme. Nachdem das Modellprojekt ausgelaufen war, wir unsere Erfahrungen gemacht und auch aufgeschrieben hatten, hatten wir hier in Treptow-Köpenick das große Glück, dass dieses Projekt regelfinanziert wird. Es gibt eine Stelle, die mein Kollege und ich uns teilen, und es arbeiten zwei relativ große Träger sehr eng miteinander zusammen, was ja eher ungewöhnlich ist. Die teilen sich jetzt die Gelder. Es
klappt einfach, weil unser Team gut funktioniert. Es gibt eine Kontinuität seit fünf Jahren, was auch schon Wirkung hat. Es gibt Sofja jetzt auch in Neukölln, unter teilweise großen Schwierigkeiten der Kollegen, weil sie dort diese Vorlaufzeit, die wir hatten, nicht haben. Wir arbeiten aber nicht nur mit Eltern und Jugendlichen. Gestern hatten wir eine Runde von Kids. Ein Mädchen hat mich angerufen, es gab ein Problem, sie wollte nicht, dass das jetzt mit ihrer Mutter besprochen wird, sondern mit ihrem Freundeskreis. Der Therapeut war dann damit konfrontiert, dass da plötzlich zehn Jugendliche saßen, keine Mutter, die natürlich eine ganz andere Absicht verfolgt. Eine wichtige Voraussetzung ist weiterhin, dass man sich auf gleicher Augenhöhe begegnet. Sozialarbeit sagt, okay, ich akzeptiere das, was die Therapie macht, die Therapie sagt, okay, das ist nicht nur ein bisschen praktisch vor sich hingewurstelt, sondern wir akzeptieren uns gegenseitig. Ganz wichtig ist eine gemeinsame Haltung und gemeinsame Arbeitsprinzipien, Respekt und Achtung vor den Jugendlichen und vor den Eltern. Das finde ich ganz wichtig. Egal, wie manchmal der Umgangston ist. In einigen Familien muss man ja manchmal wirklich sehr deutlich werden, auch in Bezug auf Kinderschutz, aber die Familie und die Jugendlichen sind erst mal so zu nehmen, wie sie sind, wir haben sie zu respektieren und zu achten. Aber dann sind auch klare Ansagen zu machen, wenn man Missstände sieht. Aber das Ziel muss gemeinsam mit ihnen entwickelt werden. Dass sie das spüren, dass man sie akzeptiert, das glaube ich schon. Für mich ist auch dieses Hilfe-zur-Selbsthilfe-Prinzip wichtig. Es ist ein großes Ziel für mich, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und die Familie darin zu bestärken und zu unterstützen, dass sie sich auch selber helfen können. Dass sie nicht nur arm und schwach sind, sondern dass sie durchaus auch Stärken haben. Diese Stärken zu spüren und zu sehen, sie haben Kompetenz und Fähigkeiten, die sie nutzen können, dass sie merken, dass sie nicht das Jugendamt dazu brauchen, sondern es selbst schaffen, wieder die Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen, während die Jugendlichen es schaffen, die Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen.
TN: Ihr entscheidet selbst zusammen mit den Betroffenen, was ihr zusammen macht? Jugendliche können auf dich zugehen und sagen: ich habe ein Problem? Elke Ostwaldt: Auf jeden Fall wird geguckt, wie die Problemlage ist, ob es auch über mich zu klären ist oder ob die Eltern mit ins Boot geholt werden müssen. Dieser Prozess ist schnell und entformalisiert. Es gibt keinen Hilfsplan, sondern wir können direkt an die Probleme rangehen und starten. Das ist absolut flexibel.
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Verhindern, vermeiden, vorbeugen Verschiedene Wege im Kinderschutz
Inputs: Kirsten Harnisch-Eckert (Wellcome gGmbH Hamburg) „Das Wellcome-Projekt - praktische Hilfe für Familien nach der Geburt“ Linda Ortleb (Jugendamt Steglitz-Zehlendorf) „Alltag und Ansprüche eines Regionalteams eines Jugendamtes“ Beate Köhn (Fachstelle Berliner Notdienst Kinderschutz) „Auf Hilfe hinwirken - in Kontakt mit den Eltern“ Moderation: Willy Essmann
Kirsten Harnisch-Eckert: Ich komme aus Hamburg, aus der Geschäftsstelle von „Wellcome“, bin dort seit Anfang des Jahres zuständig für die bundesweiten neuen Teamgründungen von weiteren Standorten. Zusätzlich bin ich Familienbildnerin in einer Familienbildungsstätte in der Nähe von Hamburg und leite dort Eltern-Kind-Kurse. Ich möchte Ihnen meine Wellcome-Geschichte erzählen. Ich bin seit 15 Jahren in der Familienbildungsstätte Pinneberg als Kursleiterin tätig. Das Wellcome-Projekt läuft seit Ende 2003 in unserer Einrichtung. Als dieses Projekt entstand, dachte ich mir, das ist super, da engagiere ich mich, und habe als Ehrenamtliche in einigen Einsätzen gearbeitet. Nach 1 ½ Jahren wurde die Koordinations-
stelle frei, dann habe ich 2 ½ Jahre dieses WellcomeProjekt vor Ort koordiniert. Seit Anfang dieses Jahres bin ich in der Geschäftsstelle tätig in der Multiplikation. Was ist Wellcome? Wellcome bedeutet Hilfe von Anfang an, das Baby ist da, die Freude ist riesig - und nichts geht mehr. Das ist keine ungewöhnliche Situation. Wer keine Hilfe hat, bekommt sie von einer ehrenamtlichen Wellcome-Mitarbeiterin. Wie ein guter Engel wacht sie über den Schlaf des Babys, spielt mit dem Geschwisterkind, begleitet zum Arzttermin und hört ganz schlicht und ergreifend zu, ein ganz wichtiger Punkt, von dem unsere Ehrenamtlichen bei den Treffen berichten. Die Hilfe erfolgt total individuell, so wie die Familie die Hilfe benötigt. Es gibt da keine Grenzen, außer, dass unsere Ehrenamtlichen keine Haushaltshilfen sind. Wellcome ist für alle Familien da, die sich subjektiv hilfsbedürftig fühlen, die unter besonderen Belastungen leiden, die keine Hilfe von Familien, Freunden oder Pflegediensten haben. Das bedeutet, wer bei Wellcome anruft, der bekommt auch Hilfe. Man muss uns keinen Grund nennen, warum das so ist. Wir helfen nicht ausschließlich bei Mehrlingsgeburten oder bei Mehrfachbedarf der Familien, sondern die subjektive Hilfsbedürftigkeit ist entscheidend. Das kann sowohl die gut situierte Mutter sein, die sich komplett überlastet fühlt, wie auch eine Hartz IV-Empfängerin oder eine Familie mit vielen Kindern. Die Hilfe kostet 4 Euro pro Stunde, eine individuelle Ermäßigung ist möglich, denn am Geld darf die Hilfe nicht scheitern. Das ist ein Leitsatz von Wellcome, weil alle Familien bei Bedarf Wellcome nutzen sollen. Wellcome macht viel, aber nicht alles. Wellcome ist kein Notruf, das bedeutet, dass man die Koordinatorin nicht anrufen kann, weil man morgen zum Arzt muss und jemanden braucht, der auf das Kind aufpasst, sondern es geht dabei um eine verlässliche Terminabsprache. Wir haben natürlich in der Koordination nicht immer sofort eine Ehrenamtliche zur Verfügung, insofern muss das alles erst organisiert werden. Wir sind auch keine Agentur für Haushaltshilfen, was bedeutet, dass die Ehrenamtlichen keine Fenster putzen und nicht das Bad putzen, sondern es wird den Müttern dazu verholfen, dass sie Zeit haben, um das selber tun zu können.
Ganz wichtig: Unsere Ehrenamtlichen und auch die Koordinatorin, die ein Team von ungefähr 15-20 Ehrenamtliche betreut, sind kein Ersatz für die Fachkräfte, also kein Ersatz für Hebammen, Ärzte, Therapeuten. Die Ehrenamtlichen gehen in Familien, geben aber keine Tipps zur Stillproblematik oder zu Erziehungsproblemen etc. Wenn da etwas auftaucht, wenden sie sich an die Koordinatorin, diese wiederum geht in ihr Netzwerk und vermittelt je nach Problem Fachkräfte. Wellcome ist moderne Nachbarschaftshilfe. Es funktioniert so: Eine Familie meldet sich bei einem Wellcome-Standort bei einer Koordinatorin. Die Koordinatorin und die Familie führen ein telefonisches Gespräch. In dem Gespräch wird Wellcome sehr genau erklärt. Auf der anderen Seite wird von der Familie die Erwartung an Wellcome geklärt, an welchen Tagen bzw. wann eine Ehrenamtliche kommen soll. Wenn es das passende Angebot für die Familie ist, wird eine ehrenamtliche Mitarbeiterin vermittelt. Diese geht dann für eine bestimmte Zeit, zwei bis drei Monate, zwei Mal in der Woche für jeweils zwei bis drei Stunden in die Familie und leistet diese praktische Hilfe. Die Koordinatorin führt dann ein Abschlussgespräch, wo noch mal geklärt wird, ob diese Hilfe jetzt ausreichend war oder ob noch weiterführende Hilfe benötigt wird. Dann erfolgt die Abrechnung. Wenn Wellcome nicht die passende Hilfe gewesen ist, wird eben über Alternativen informiert und weitervermittelt. Wellcome ist ein Netzwerkprojekt, das immer einer Trägereinrichtung aus dem Bereich Jugendhilfe angegliedert ist und deren Hilfenetzwerk vor Ort mit nutzt. Wellcome ist Teamarbeit. Einerseits gehören die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen dazu, die die praktische Hilfe in den Familien leisten. Für uns sind sie das Herzstück, weil ohne die Ehrenamtlichen Wellcome nicht existieren könnte. Die Koordinatoren, die in einer Einrichtung als Fachkraft sitzen, vermitteln die Einsätze zwischen den Familien und Ehrenamtlichen, während die Leitung, meistens die Leitung der Einrichtung, Wellcome in die bestehende Struktur der Einrichtung einbindet. Wer darüber hinaus die Netzwerkpflege vor Ort macht, die Koordinatorin oder die Einrichtungsleitung, das ist von Standort zu Standort unterschiedlich.
Wir bieten für unsere Ehrenamtlichen eine zeitlich überschaubare Aufgabe, was heute – aus unserer Erfahrung – ganz wichtig ist, dass Freiwillige sich nicht längerfristig binden müssen. Von Einsatz zu Einsatz können die Ehrenamtlichen entscheiden, ob es der Mittwoch, der Montag oder ein anderer Tag ist, ob es Vormittag oder Nachmittag ist. Es gibt sehr viele Ehrenamtliche, die mehrfach ehrenamtlich tätig sind und ihren Einsatz um ihre anderen Verpflichtungen herum planen. Das ist also eine sehr flexible Geschichte. Unsere Ehrenamtlichen werden regelmäßig zum Erfahrungsaustausch eingeladen. Bei diesen Treffen sprechen die Ehrenamtlichen über ihre Einsätze, erzählen ihre Erlebnisse, werden natürlich auch über das informiert, was bei Wellcome passiert. Während der Einsätze ist die Koordinatorin die fachliche Begleitung und diejenige, die im Laufe der ehrenamtlichen Tätigkeit die Fortbildungen organisiert. Für die Ehrenamtlichen besteht Versicherungsschutz und es gibt die Fahrkostenerstattung, ansonsten gibt es bei Wellcome keine Aufwandsentschädigung, also man kann kein Geld dabei verdienen. Wellcome erwartet natürlich Begeisterung für die Idee. Die Motivation ganz vieler Ehrenamtlicher, sich bei Wellcome zu engagieren, ist die eigene leidvolle Erfahrung, in der Zeit mit den Kindern keine Hilfe gehabt zu haben, sich überfordert gefühlt zu haben. Wellcome erwartet Erfahrung mit Babys und Kleinkindern, wobei man keine eigenen Kinder haben muss. Wir haben durchaus auch Ehrenamtliche, die keine eigenen Kinder, aber z.B. die Nachbarkinder großgezogen haben oder Neffen und Nichten. Wichtig ist, dass sie schon mal in Berührung mit Kindern gewesen sind. Wir erwarten Einfühlungsvermögen, Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit. Ebenso wollen wir das auch von den Familien. In einem ausführlichen Vorstellungsgespräch zwischen der Koordinatorin und der Ehrenamtlichen wird von beiden Seiten festgestellt, ob sie miteinander arbeiten möchten. Das ist ein persönliches Gespräch, zu dem die Ehrenamtlichen in die Einrichtungen kommen und man sich gegenseitig kennen lernt. Da wird sehr genau abgeklopft, welches die Motivation ist, warum die EhFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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renamtliche sich bei Wellcome einsetzen möchte, was dahinter steckt, welche Vorstellung sie von ihrer Arbeit hat. Ohne Profis geht es bei Wellcome nicht. Die Koordinatorin ist eine bezahlte Fachkraft von 5 Wochen-Stunden. Sie berät die Familien, vermittelt die Hilfe, begleitet die Ehrenamtlichen, kennt und pflegt das Netzwerk. Bei Wellcome ist immer die Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiger Punkt und ebenso für alle Projekte die Finanzierung. Die Leitung sorgt für optimale Rahmenbedingungen, ein Telefon, ein Anrufbeantworter, ein Büro. Was wir noch brauchen, das ist natürlich das Netzwerk vor Ort. Entsteht an einem Ort ein neuer Wellcome-Standort, ist eine große Aufgabe der Koordinatorin, das Netzwerk vor Ort kennen zu lernen und Wellcome dort bekannt zu machen, um Familien bei Hilfebedarf in dieses Netzwerk weiter vermitteln zu können. Natürlich sind unsere Wellcome-Koordinatorinnen auch in verschiedenen Arbeitskreisen vertreten. Als Partner haben wir Entbindungskliniken, Hebammen, Gynäkologen, Kinderärzte, Beratungsstellen und Einrichtungen. Das ist Netzwerkarbeit. Die Ehrenamtlichen gewinnen wir über Vereine, Freiwilligenorganisationen, Initiativen, Kirchengemeinden, lokale Presse. Für das Wellcome-Team gehören auch die Multiplikatoren dazu, Förderer, Spender, Sponsoren, die Schirmherrschaften, bundesweit und auf lokaler Ebene. Es gibt den Begriff der Paten bei uns, die stehen häufig mit ihrem Namen dafür, Wellcome zu unterstützen. Wir haben ein standardisiertes Verfahren, wie ein Standort neu eröffnet wird. Wir werden in Einrichtungen eingeladen, die sich entschließen, so einen Wellcome-Standort zu gründen, und gucken uns die vor Ort an. Es gibt ein Gründungsgespräch, wo wir mit den Einrichtungen sehr genau abklopfen, welches Netzwerk vorhanden ist, welche Voraussetzungen vorhanden sind, was ist das für eine Koordinatorin, die die Arbeit übernehmen soll. Dann gibt es eine eintägige Koordinatorin-Schulung, wo die Koordinatorin in unser Material eingewiesen wird. Zur Vorbereitung der Eröffnungsveranstaltung sind wir wieder vor Ort. Als Abschluss der Gründungsphase gibt es die Eröffnungsveranstaltung, die dadurch, dass wir in den Bundesländern
die jeweiligen Sozialminister als Schirmherren haben, meistens sehr prominent gestaltet sind. Menschen aus dem Netzwerk begrüßen Wellcome in der Stadt, außerdem ist die Eröffnung selber eine wunderbare Netzwerkveranstaltung. Wellcome hat sich von Nord nach Süd ausgebreitet, ist in Hamburg und Schleswig-Holstein gestartet. Es gibt in Schleswig-Holstein 20 Standorte, in Hamburg sind es zurzeit 12, da sind wir dabei, weitere Standorte zu gründen, in Berlin gibt es inzwischen 6 arbeitende Wellcome-Standorte, weitere 6 sind in der Planung, wo konkret Interesse von Einrichtungen besteht. TN: Ich habe die Einordnung des Projektes noch nicht verstanden. Es gibt die Familienhilfe, die trifft nur auf Familien zu, wo ein sozialer Bedarf festgestellt wird. Es gibt Haushaltshilfen, die kosten Geld. So wie ich das verstanden habe, ist Wellcome irgendwo dazwischen? Wie flexibel ist das mit den 4 Euro? Welche Familien greifen auf das Angebot zu? Kirsten Harnisch-Eckert: Es greifen grundsätzlich alle Familien auf dieses Angebot zu. Es ist genau so angelegt, dass auch alle Familien, egal, welcher Herkunft, Wellcome nutzen können. TN: In meinem Bereich könnte sich niemand die 4 Euro pro Stunde leisten. Kirsten Harnisch-Eckert: Es gibt mehrere Standorte, Wilhelmshaven zum Beispiel, wo es auch so ist. TN: Wie weit ist dieser Preis verhandelbar? Kirsten Harnisch-Eckert: Der ist komplett verhandelbar. Wir geben ja das Konzept an einen Standort. Nach der Gründungsphase regelt der Standort alleine die Reduzierung dieser 4 Euro, er muss auch die ganze Finanzierung alleine regeln. Dafür sind Schulen, die auch unsere Standorte zum Thema ehrenamtlicher Hilfe sind, ein guter Partner, gezielte Akquise von Spendern und Sponsoren zu betreiben. Unsere Erfahrung ist, dass das im Moment sehr
gut möglich ist, über Spender und Sponsoren zum Beispiel die Reduzierung dieser 4 Euro wieder wettzumachen für die Einrichtung. Die konkrete Entscheidung, wie viel die einzelne Familie bezahlt, liegt letztendlich bei der Koordinatorin oder bei der Leitung.
positiven Eindruck, dann gibt es trotzdem Gesprächsbedarf darüber, warum die Kinder auf dem Estrich spielen oder warum keine Betten da sind. Darüber wird sie ins Gespräch kommen und dann die Familie dazu bewegen, professionelle Hilfe anzunehmen.
TN: Wie haben Sie sich die praktische Unterscheidung zwischen Haushaltshilfe und Familienhilfe gedacht?
TN: Interessant ist, dass Sie bei den Partnern das Jugendamt nicht erwähnen. Ich war bei einer Wellcome-Eröffnung in Berlin, die Eröffnungsrede wurde von einer Mitarbeiterin des Jugendamts gehalten. Ist dieses Hilfeangebot nicht auch ein Versuch, niedrig schwellig in Familien reinzukommen?
TN: Es ist durch die Fülle der Standorte ein ganz spannendes Angebot, niedrig schwellig - wenn es denn tatsächlich bei allen ankommt. Auch die Ehrenamtlichen werden ja Multiplikatoren sein. Trotzdem werde ich hellhörig beim Thema Kinderschutz. Es wird natürlich einen geringen Teil von Familien geben, wo es vielleicht einen Jugendhilfe-Bedarf gibt, wo bestimmte Risikofaktoren vorhanden sind, woraufhin eigentlich eine professionelle Gefährdungseinschätzung erfolgen müsste. Alkoholproblematik, Schulden, häusliche Gewalt, damit wären aus meiner Sicht Ehrenamtliche überfordert, das richtig einzuschätzen. Das ist natürlich eine Frage von Schulung. Welche Ausbildung hat die Koordinatorin, wie ist die Frage der Einbettung?
Kirsten Harnisch-Eckert: Natürlich sind die Jugendämter Partner, sind genauso Netzwerkpartner wie eine Hebamme. Es gibt auch im Zuge des Kinderschutzes die Möglichkeit, Wellcome zu nutzen. Wir versuchen, unsere Ehrenamtlichen in diesem Bereich zu schulen, sehen uns aber natürlich nicht als Ausspäher der Familie. was den Kinderschutz angeht. Wenn Missstände auffallen, dann müssen wir natürlich handeln. Die Ehrenamtlichen haben ja genauso wie wir alle in diesem Bereich Verantwortung. Sollte es einer Ehrenamtlichen auffallen, dass in einer Familie die Kinder keine Betten haben, kein Teppich in der Wohnung ist, sondern nur Estrich, dann wird sich die Ehrenamtliche an die Koordinatorin wenden. Die Koordinatorin würde eventuell einen Besuch machen, was normalerweise jedoch nicht üblich ist, und versuchen, über den Kontakt, den sie vielleicht zum Jugendamt hat, ins Gespräch zu kommen, nachfragen, ob es da schon Erfahrungen gibt, ob es was ist, wo wir handeln müssen oder nicht. Das würde aber auch ganz konkret mit der Familie abgesprochen, also es läuft nicht hinter ihrem Rücken. Wenn die Ehrenamtliche zum Beispiel in diese Familie geht, die Kinder sind total fröhlich, alles macht einen
Kirsten Harnisch-Eckert: Wellcome fängt viel niedrig schwelliger an. Wir haben wirklich wenige Familien, die über das Jugendamt kommen. Wenn wir solche Geschichten hören oder sehen, dann gehen natürlich auch bei uns alle Alarmglocken an, das ist gar keine Frage. Da ist die Kooperation mit dem Jugendamt günstig, da diese schnelle Verknüpfung zu haben, aber die Familie mitzunehmen. Es gibt ja ganz viele Familien, die augenscheinlich erst mal gar nicht hilfebedürftig sind, wo es für uns als ganz normaler Einsatz anfängt. Die Mutter meldet sich, sie hat das dritte Kind bekommen, die sind im Alter dicht beieinander. Die Ehrenamtliche stellt vielleicht sogar beim zweiten oder dritten Besuch fest: Irgendwas ist da komisch. Vielleicht steht zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Weinflasche auf dem Tisch. Oder die Mutter sitzt immer lethargisch auf dem Sofa, während das Baby neben ihr schreit. Dann ist ganz klar, dass sie sich an die Koordinatorin wendet. Vielleicht besteht die Möglichkeit schon bei diesem Schritt, dass sie die Familie offen beteiligt, damit die Chance besteht, eine Familienhilfe in dieser Familie zu integrieren. Die Familienhilfe arbeitet mit Mutter und Vater, während die Ehrenamtliche trotzdem da bleiben soll
Kirsten Harnisch-Eckert: Wellcome ist ein primär direktives Angebot und möchte da sein, wo überhaupt professionell gehandelt werden muss.
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und die Kinder rausnehmen, so dass die Familienhelferin die Gelegenheit hat, wirklich mit den Eltern zu arbeiten. Unsere Ehrenamtliche ist also ergänzend tätig. Inzwischen ist es an einigen Standorten so, dass das Jugendamt bei Wellcome anruft und fragt, ob eine Ehrenamtliche in der und der Zeit die Kinder aus der Familie nehmen kann, damit das Jugendamt arbeiten kann. Es entstehen in vielen Bereichen auch weitergehende Projekte. Zum Beispiel im Kreis Pinneberg gibt es jetzt das Projekt „Hand in Hand“, wo auf Erziehungskonferenzen die Wellcome-Koordinatorin sitzt, die Hand-in-Hand-Koordinatorin, das Jugendamt und alle, die dazugehören, und wo gemeinsam überlegt wird: Wen brauchen wir jetzt da? Die Koordinatorinnen haben unterschiedliche fachliche Ausbildungen, Kinderkrankenschwester, Sozialpädagogen, es sind durchaus auch Erzieherinnen dabei. Wichtig ist, dass sie schon länger in der Einrichtung tätig sind, vor Ort vernetzt sind und dadurch diese ganze Arbeit tun können. TN: Werden die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen geschult, um Gefährdungsmomente zu erkennen? Was sind das für Einrichtungen, die sich für dieses Wellcome-Projekt interessieren? Kirsten Harnisch-Eckert: Wir schulen unsere Ehrenamtlichen vor den Einsätzen grundsätzlich nicht, weil wir davon ausgehen, dass ihre Hilfe Nachbarschaftshilfe ist. Wir helfen so wie die Nachbarin, die Freundin, die Großeltern. Wir gehen erst mal von dem normalen Menschenverstand aus. Natürlich begleitet die Koordinatorin den kompletten Einsatz in der Familie. Es gibt regelmäßige Telefonate zwischen der Ehrenamtlichen und der Koordinatorin und zwischen der Familie und der Koordinatorin. Und am Ende steht ein Abschlussgespräch. So wird versucht, eine Vertrauensbasis aufzubauen. Natürlich gibt es Fortbildungen für die Ehrenamtlichen, die wir an näherem Bedarf orientieren. Aber wir möchten nicht, dass die Ehrenamtlichen mit dieser Nachbarschaftshilfe in jede Familie mit großen Ohren gehen, sich verpflichtet fühlen, alle Schränke durchzugucken, ob da jemand auffällig ist. Die Einschätzung, ob eine Ge-
fährdungslage vorliegt, ist nicht Aufgabe der Ehrenamtlichen. Sondern wenn ihnen etwas komisch vorkommt, rufen sie die Koordinatorin an und die klärt alles Weitere. Da sind die Ehrenamtlichen absolut verlässlich. Wir wollen, dass es niedrig schwellig bleibt, wir wollen, dass alle kommen, wir wollen nicht, dass jemand denkt, oh, die haben mich ausgefragt, das möchte ich aber nicht, das ist zu persönlich. Die Institutionen sind zum großen Teil Familienbildungsstätten, egal, ob evangelisch oder katholisch, wir sind nicht konfessionell gebunden, es sind Schwangerenberatungsstellen, zunehmend Mehrgenerationenhäuser. In Berlin machen das das Nachbarschaftsheim Schöneberg, Stützrad e.V., Geburt und Familie e.V., Es interessieren sich jetzt auch Lebenswelt, Jugendwohnen im Kiez und das Nachbarschaftszentrum in der Ufa-Fabrik. Das sind die aktuellen Träger, bzw. Standorte in Berlin. Wir suchen zur Zeit jeweils Landeskoordinatorinnen, um diese neuen Teams zu betreuen. Dann gibt es die Bundesgeschäftsstelle in der Bundeskoordination, die meine Kollegin und ich machen, wo wir im Moment sehr viel mit Multiplikation beschäftigt sind. Wir werden auch für die Landeskoordinatorinnen verantwortlich sein, in der Beratung, in der Veranstaltung von Weiter- und Fortbildungen. So soll es irgendwann sein, wenn wir in allen Bundesländern vertreten sind, auch die öffentlichen Mittel für die Landeskoordination da sind. TN: In Berlin werden solche Projekte ergänzend von der Jugend- und Familienstiftung finanziert, so dass die einzelnen Projekte etwas besser ausgestattet sind. Kirsten Harnisch-Eckert: Sonst ist es so, dass die Trägereinrichtung für diesen Etat, den Wellcome braucht, verantwortlich ist, das sind 7.000 Euro im Jahr. In Berlin gibt es eine Stiftungsförderung, es gibt auch für die Landeskoordination eine Finanzierung über die BKK in Berlin. Es gibt unterschiedliche Finanzierungsmodelle. In Bayreuth zum Beispiel haben wir einen Standort, der in den nächsten drei Jahren von den Rotariern finanziert wird, also die Finanzierungswelt ist sehr bunt.
TN: Die Koordinatorin arbeitet fünf Stunden in der Woche, aber ich lese hier, dass es 15 Ehrenamtliche sind, also auch 15 zu betreuende Familien. Ist das nicht ein bisschen wenig an Zeit? Kirsten Harnisch-Eckert: Was soll ich dazu sagen? Natürlich kann man wunderbar daraus eine 20-Stunden-Stelle machen, das ist gar keine Frage. Aber ich denke, für den Aufbau ist es mit fünf Stunden in der Woche okay. Es gibt aber durchaus Standorte, die jetzt schon länger laufen und wo der Stundenbedarf höher ist, weil die betreuten Familien einfach mehr werden, wo dann einrichtungsintern aufgestockt wird. Das geben wir nicht vor, sondern 5 Stunden sind ein Richtwert, den wir erfahrungsgemäß haben. Wenn die Standorte sagen, dass sie gerne 10 Stunden hätten, ja, dann eben 10 Stunden. TN: Wie viele Familien bundesweit nutzen Wellcome? Kirsten Harnisch-Eckert: Letztes Jahr waren es bundesweit ungefähr 1.200 Familien, die betreut wurden. Letztes Jahr hatten wir aber auch noch keine 87 Standorte, sondern ungefähr 50, mit gut 600 Ehrenamtlichen. Willy Eßmann: Gibt es mehr interessierte Familien als Ehrenamtliche? Funktioniert das mit den Ehrenamtlichen problemlos? Gibt es Familien nichtdeutscher Herkunft? Kirsten Harnisch-Eckert: Dieser Ausgleich zwischen den Ehrenamtlichen und den Familien ist die nervenaufreibendste Arbeit einer Koordinatorin. Das ist einfach so, weil der Bedarf schwankt. Manchmal hat man plötzlich ganz viele Anfragen von Familien und es fehlen die Ehrenamtlichen. Deswegen ist es auch kein Notfallkonzept. Es kann sein, dass wir am nächsten Tag eine Ehrenamtliche in eine Familie schicken können, aber es gibt keinen Anspruch darauf. Ehrenamtliche für diese Form des Engagements zu gewinnen, ist relativ gut möglich, aber das ist auch von Standort zu Standort sehr unterschiedlich. Die meisten Ehrenamtlichen sind Frauen, die sich oftmals deshalb engagieren, weil sie in ihrer eigenen Mutterschaft keine Hilfe erfahren
haben. In Berlin gibt es seit einem viertel Jahr den ersten echten männlichen Wellcome-Ehrenamtlichen. Die zeitliche Flexibilität macht es attraktiv. Unsere Erfahrung ist, dass sich viele sehr gerne engagieren. Sehr viele Familien sind mit diesen zwei Stunden einmal in der Woche total glücklich. Die sind so dankbar für diese zwei Stunden, die jemand da ist. Zu wissen, jeden Dienstagnachmittag kommt Frau Schulze, das ist eine große Entlastung. Es geht nicht immer um ganz viel Entlastung, sondern es geht häufig nur darum, dass überhaupt jemand kommt. Schon wenn die Familien wissen, sie haben bei Wellcome angerufen, sie werden zurückgerufen, sie sind wahrgenommen worden, es kommt jemand, vielleicht nicht morgen, aber vielleicht nächste Woche oder übernächste Woche, das ist erfahrungsgemäß schon eine Entlastung. TN: Besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich unabkömmlich machen? Das ist ja immer wieder im Gespräch. Oder machen Sie so etwas wie Vernetzungsarbeit, also dass die Familien, wenn Sie sie irgendwann verlassen, gut eingebunden sind, vielleicht in ein Netzwerk von anderen Müttern, Vätern? Kirsten Harnisch-Eckert: Das ist zum Teil Arbeit einer Koordinatorin. Unsere Hilfe begrenzt sich auf das erste Lebensjahr eines Kindes, es sind immer Trägereinrichtungen im Hintergrund, natürlich ist das eine Frage für die Koordinatorin, ob die Eltern schon irgendwo eingebunden sind. Dadurch, dass es häufig Einrichtungen sind, wo ElternKind-Kurse angeboten werden, versuchen wir, bei Neuzuzug oder bei dem Eindruck, dass die Familie isoliert ist, sie in den Einrichtungen zu integrieren. Wo ist noch ein Platz im PEKiP, den suchen wir, um der Familie ersten Schritt zu erleichtern. Familien mit Migrationshintergrund: In Hamburg haben wir im letzten Jahr ein rein türkisches Wellcome-Team gegründet, mit einer türkischen Koordinatorin. Da gab es jetzt leider einen Wechsel, deswegen habe ich da noch keine Erfahrungswerte, wie es mit der neuen Koordinatorin läuft. Im Moment leisten wir überall weiter Aufklärungsarbeit und versuchen, Familien mit Migrationshintergrund mehr einzubeziehen. Es ist nicht einfach. Ob der Bedarf Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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nicht da ist, das weiß ich nicht, aber zumindest ist es anders. Ich habe zum Beispiel mal ganz süße schwarz-afrikanische Zwillinge im Einsatz gehabt, wo es mit der Ehrenamtlichen und der Familie - auch aufgrund der kulturellen Unterschiede – zu Spannungen gekommen ist. Da wurde dann im Wohnzimmer auf dem Fußboden gekocht. Der Ehrenamtlichen machte es Spaß, aber manchmal musste sie einfach durchatmen. Aber wenn es nicht passt, kann jede Ehrenamtliche und jede Familie jederzeit sagen, dass es nicht geht. TN: Gibt es für die Ehrenamtlichen Altersgrenzen nach oben oder unten? Kirsten Harnisch-Eckert: Die Ehrenamtlichen sind zwischen 18 und 75. TN: Sie müssen genau überlegen, welche Ehrenamtlichen in welche Familien gehen, weil das passen muss... Kirsten Harnisch-Eckert: Es gibt Ehrenamtliche, die ganz klar Präferenzen setzen. Ganz typische Ehrenamtliche sind zum Beispiel ehemalige Grundschullehrerinnen. Ich habe mal eine in mein Team aufgenommen, die mir gesagt hat, ich möchte das unbedingt machen, ich finde das ganz toll. Sie war Grundschullehrerin in einem sozialen Brennpunkt in Hamburg gewesen und sie sagte, sie möchte jetzt mal die Kirsche auf der Sahnetorte sein. Es soll einfach mal schön sein. Da ist eben das ausführliche Gespräch wichtig, wo sind die Grenzen, wo sind die Möglichkeiten, was geht, nicht nur von der zeitlichen Seite her, sondern auch von der eigenen Belastbarkeit, der eigenen Geschichte. Willy Essmann: Von der Kirsche auf der Sahnetorte zu dem Alltag eines Regionalteams eines Berliner Jugendamtes. Linda Ortleb: Ich gehe davon aus, dass die Strukturen von Jugendämtern bekannt sind. Ich würde gerne erst mal sagen, was ich hier nicht mache: Ich werde nicht über Kinderschutzeinsätze berichten. Hinsichtlich des Kinder-
schutzes habe ich meinen Kollegen Oliver mitgebracht, der seit einiger Zeit Kinderschutzbeauftragter im Jugendamt Steglitz-Zehlendorf ist. Bei der Überschrift „Verhindern, vermeiden, vorbeugen“ dachte ich, Jugendämter können eigentlich nur verhindern oder vermeiden, wenn sie Informationen erhalten. Informationen erhalten wir natürlich über die Kinderschutzorganisationen, wir sind im engen Kontakt und haben regelmäßige Einsätze, die wir ganz gewissenhaft erledigen. Das ist der eine Teil. Der andere Faktor, wie wir Informationen bekommen, geht über ein gutes Netzwerk. Das ist das, worum es in meiner Arbeit geht. Ich bin freigestellt von der Fallarbeit, d.h., ich habe die Zeit mich zu vernetzen. Ich bin in verschiedenen Gremien tätig, meine Mitarbeiter bzw. KollegInnen sitzen an ihren Schreibtischen und haben den Tisch voller Fälle. Meine Aufgabe ist es, das zu koordinieren. Wir haben ein Vernetzungsgremium, in dem wir interdisziplinär zusammen arbeiten, Gott sei Dank, seit zwei Jahren sind wir da mit einem freien Träger zusammen, mit der Erziehungs- und Familienberatungsstelle. Wir bekommen regelmäßig Besuch von unserem Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst, wir haben Beteiligte aus unseren Freizeiteinrichtungen und wir bekommen natürlich – je nach Bedarf – zusätzliche Fachleute, die zu einem spezifischen Fall einen Beitrag leisten können. Darüber hinaus arbeiten wir noch in diversen anderen Gremien zusammen, darunter insbesondere die AG 78, die Zusammenarbeit von freier und öffentlicher Jugendhilfe im Bezirk. Wir haben da einen regen Austausch, wir arbeiten in unterschiedlichen Unterarbeitsgruppen. Wir sind aktuell dabei zu gucken, wie wir uns sinnvoll mit den Therapeuten und den psychosozialen Diensten in unserem Bezirk vernetzen können. Wir sitzen da zusammen mit dem Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst und dem Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, mit verschiedenen Therapeuten oder auch mit Trägern, die therapeutische Angebote in ihrem Spektrum haben. Wir haben uns natürlich mit den Schulen vernetzt, wir haben einen Fachtag – im Zusammenhang mit den Schulstationen unseres Bezirkes – organisiert, es gab auch eine Beteiligung von Lehrern, Pädagogen und Schulleitern. Wir stellen uns jetzt auch regelmäßig an Schulen in den verschiedenen Gre-
mien vor, Gesamtkonferenzen, Elternkonferenzen, und stellen die Arbeit des Jugendamtes vor, machen die Strukturen durchsichtiger, weil vieles von dem, was Jugendamt ist, draußen nicht bekannt ist. Uns ist natürlich auch bekannt, dass wir nicht gerade beliebt sind. Am liebsten hat keiner mit uns ernsthaft Kontakt, weil man vor dem Jugendamt Angst hat. Aber um genau das aufzulösen, müssen wir uns vernetzen. Aus meiner Sicht ist nur derjenige wirklich gut in dieser Arbeit, der jede Gelegenheit nutzt sich zu vernetzen und sein Beziehungsnetz zu vergrößern. Unter anderem deswegen machen wir unsere Sozialraumerkundung, ich bin also voll auf der Welle der SRO, nach anfänglicher Skepsis. Ich dachte, da kommen die Provinzler und wollen uns Berlinern was erzählen. Aber inzwischen bin ich an vielen Stellen sehr begeistert von dem Konzept. SRO ist das Konzept der Sozialraumorientierung, nach der wir Berlin weit inzwischen arbeiten, die meisten Jugendämter sind darin inzwischen geschult. In diesem Konzept geht es u.a. darum, von dem Fall wegzukommen und mehr in Richtung Umfeld zu gucken, also dieser Vernetzungsgedanke, dieser Gemeinwesenarbeitsgedanke, steht dort im Vordergrund. Auf jeden Fall ist einer der Bereiche der Sozialraumorientierung Sozialraumerkundung. D.h., mit meinem Kiezteam mache ich seit zwei Jahren diese Sozialraumerkundung, drei oder vier Mal im Jahr. Wir gucken uns Institutionen an, nicht nur der Jugendhilfe, sondern wir gehen in Kirchengemeinden, in Sportvereine, in alle Bereiche, die für Kinder und Jugendliche und Familien relevant sind. Auch da haben wir die Möglichkeit, uns bekannt zu machen. Wir berichten über unsere Arbeit, die Leute können sich uns vorstellen, d.h. wir werden zu Menschen und bleiben nicht die Behörde, die dahinter steht. Das hat schon eine ganze Menge bewirkt, nämlich dass die Leute schneller auf uns zukommen. Wir bekommen oft Anrufe von Leuten, die früher nie angerufen hätten. Sie fragen mich irgendwas, was sie bewegt oder was sie bedrückt. Heute Morgen habe ich einen Anruf von einer Mitarbeiterin einer Schulstation bekommen, ob mir jemand einfällt, der sich mit sexuellem Missbrauch auskennt, sie war bei einem Jungen unsicher und brauchte einen kompetenten Experten. Schon solche Kleinigkeiten machen den Alltag leichter.
In diesem Kiez-Team haben wir verschiedene Fachleute. Ich bin ganz wild daran interessiert, auch die Schulstationen hinzuzuziehen, denn seitdem wir unsere Jugendfreizeiteinrichtungen in dem Kiez-Team sitzen haben, merke ich auch bei den Kollegen, dass der Blick anders geschärft ist. Sie gehen mit einer ganz anderen Sensibilität auf ihre Jugendlichen und ihre Besucher in den Einrichtungen zu. Sie gucken anders und kommen manchmal mit einer Rückmeldung, da müsste man noch mal genauer schauen, vielleicht fällt euch was ein, wie wir da unterstützen können. Und sie holen sich auch noch anderen Rat. Ähnlich ist es mit den Schulstationen. Sie merken, worauf ich hinaus will. Was ich Ihnen hier erzähle, kommt aus den präventiven Zusammenhängen, denn je früher wir ansetzen, desto mehr können wir im Kinderschutz tun und möglicherweise verhindern, vermeiden, vorbeugen. Die Schulstationen sind eine ganz wichtige Schnittstelle in diesem Zusammenhang. Sie sitzen zwischen diesen beiden komplexen Institutionen, einerseits der Jugendhilfe, sie werden oft von den Jugendhilfen finanziert; andererseits sitzen sie in den Schulen und müssen dort mit den Pädagogen möglichst auf Augenhöhe arbeiten. Somit haben sie eine ungeheure Kompetenz genau in diesem Arbeitsfeld. Das ist auch genau der Bereich, wo wir immer Schwierigkeiten haben. Um nämlich näher an die Schulen heranzurücken, brauchen wir Menschen, die da unsere Transformatoren sind. TN: Die Mitarbeiter der Schulstationen, sind das Ihre Zuträger, sind das Ihre Multiplikatoren oder sind das Ihre Außenstellen? Oder was sind sie? Das ist ja ein sensibler Bereich. Träger der Jugendhilfe bekommen bisweilen Probleme, wenn sie Kontakte zum Jugendamt herstellen und dann Vorwürfe von ihren Klienten bekommen, weil Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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sie sich vom Jugendamt von oben herab behandelt fühlen. Das kann Vertrauensverhältnisse stark belasten. Linda Ortleb: Das ist sicher ein möglicher Stolperstein. Es wäre eigentlich auch der Abschluss dessen, was ich, um das abzurunden, noch mal erwähnen will. Mir ist klar, wenn wir Fachleute alle so wunderbar vernetzt sind, dann achten wir möglicherweise nicht mehr so auf den Vertrauensfaktor. Ich erlebe das natürlich auch bei meinen Kollegen. Ich bin bei einem Kollegen sehr ungemütlich geworden, der einen Brief bekommen hatte, der möglicherweise auf einen massiven Kinderschutzfall hinwies. Er hatte nicht den Weg gewählt, den man eigentlich immer zuerst gehen muss, nämlich sofort zu versuchen, mit den Betroffenen Kontakt aufzunehmen. Er dachte, er müsste erst mal horchen, weil er Kontakt zu einem Lehrer hatte, ob der vielleicht was weiß. Das sind die Momente, wo man hellhörig sein muss. Ich sage ehrlich, es ist meine Aufgabe, darauf immer wieder hinzuweisen. Ich lege u.a. sehr viel Wert darauf, dass im Kiez anonym gearbeitet wird. Der einzige Bereich, wo dieser Vertrauensschutz aufgeweicht werden muss, ist, wenn ich mit den Betroffenen selber nicht mehr weiterkomme, aber bedrohliche Aspekte für ein Kind sehe. Ein weiterer Stolperstein, über den wir gerne diskutieren können, ist dadurch entstanden, dass Mitarbeiter aus einer meiner Jugendfreizeiteinrichtungen jetzt auch im Kiez-Team sitzen. Seitdem haben sie natürlich einen etwas wacheren Wächterblick. Und natürlich gibt es daraufhin viele berechtigte Stimmen, die sagen: Das sind Jugendräume, das sollen Freiräume für Jugendliche bleiben. Die wollen wir ja auch dringend erhalten. Wenn jetzt aber die Jugendförderer einerseits mit den Jugendlichen vertrauensvoll zusammenarbeiten, dabei
möglicherweise gravierende Dinge erfahren, die nicht unbedingt ans Jugendamt gehen muss, andererseits die Jugendförderer aber sehr eng an uns, an den RSD angebunden sind, besteht die Gefahr, dass der Vertrauensschutz beeinträchtigt werden könnte. Hier gibt es sicher Bereiche, wo wir noch viel nacharbeiten müssen. Es gibt noch einen Punkt: Ich habe das Privileg, dass ich als Sozialraum-Teamleitung von der Fallarbeit freigestellt bin, während meine Kollegen in der Regel zwischen 50 und 70 Fälle auf dem Schreibtisch haben. Sie können also gar nicht in der Form die Vernetzungsarbeiten leisten wie ich. Natürlich versuche ich alles, was ich weiß, zu multiplizieren, aber es ist eben sehr an meine Person gebunden. Das ist ein ganz großer Nachteil. TN: Die Polizei hat eine ähnliche Problematik in der Frage des Vertrauens. Jugendarbeiter auf der einen Seite bekommen Dinge mit, können aber auch was bewegen, weil sie nicht am Schreibtisch sitzen, sondern direkt interagieren. Ich habe Polizisten erlebt, die in der Hinsicht sehr viel gelernt haben. Sie wollen nicht mehr unbedingt – wie das früher in der Regel der Fall war – erst einmal alles wissen. Inzwischen passiert es, dass ein Polizist in einem Konfliktgespräch bewusst in bestimmten Situationen den Raum verlässt, damit die Sozialarbeiter in offenem Gespräch weitermachen können. Weil er sonst in seiner Eigenschaft als Polizist etwas hört, wo er handeln müsste. Das finde ich sehr gut, weil sie damit anderen Interventionsformen, die vielleicht mehr bewirken können, eine Chance lassen. Linda Ortleb: Ich glaube auch, dass wir manchmal Kollegen von außen brüskieren, indem wir sagen: Das dürfen Sie jetzt gar nicht sagen. Manchmal ist es auch andersrum, dass Leute sagen: Ich habe diese Erfahrung mit Familie XYZ, wie sieht es bei Ihnen aus, was haben Sie? Mit Schulen kommt das vor. Ich kann dann nur sagen: Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, weil ich zur Verschwiegenheit verpflichtet bin. Dann fühlen die sich manchmal zurückgewiesen, nach dem Motto, na gut, entweder wollt ihr euch nun vernetzen oder nicht. Das ist zweischneidig.
TN: Das Jugendamt hat, das steht in der Ausführungsvorschrift zum Gesetz, auch einen Rechercheauftrag. Der wirkt an manchen Stellen doch sehr eng. Früher gar nicht, da hat man den Eltern einen Brief in den Briefkasten gesteckt mit der Bitte um einen Besuchstermin. Teilweise bei schweren Kinderschutzfällen wurde gewartet, dass die Eltern sich melden. Das hat natürlich nicht funktioniert. Diese ganze Debatte, auch in den Medien, hat zum Teil Positives befördert. Wichtig ist, dass bei Kinderschutzfällen alle Beteiligten professionell auf Anzeichen und Informationen reagieren. Ich erlebe es immer wieder, wie wichtig das Wissen um die Anzeichen von Gefährdung ist, wirklich zu wissen, wo wir Alarmsignale aussenden müssen. Psychische Störungen, häusliche Gewalt, Alkohol, all das ist zum Teil ganz schwer zu erkennen. Man kann sich immer anonym beraten lassen, wenn man einen Verdacht hat. Das heißt, der Fall, über den man sprechen möchte, kann zunächst anonym bleiben. Dazu ist es ganz toll, dass es in allen Bezirken Kinderschutz-Koordinatoren gibt. Bei denen kann man sich Rat holen, wenn man über die Symptome oder die einzuleitenden Schritte unsicher ist. TN: Wie sind Sie denn vernetzt für die kleineren Kinder, die 1- bis 6-Jährigen, also bevor die Schule anfängt? TN: Da sind wir u.a. mit dem Kinder- und Jugendnotdienst vernetzt. Natürlich haben wir auch eine Vernetzung über Kitas. Wobei ich gestehe, es gab in den letzten zwei Jahren ziemlich viel Unruhe, Aufregung, Trägerwechsel usw., insofern ist das einer meiner nächsten Schritte, dass ich auf die Kitas losstürze. Gerade in Kitas besteht noch viel Unsicherheit bei diesem Thema. Linda Ortleb: Ich meine, ich kann in erster Linie nur das Angebot zur Vernetzung machen. Das ist meine Überzeugung. Ich biete an zu den Elternabenden zu kommen, um mich vorzustellen, nicht nur ich, sondern auch meine Kollegin. Ich weiß, in anderen Regionen wird das auch so gehandhabt. Ich weiß, dann gibt es ein Gesicht zu dem Jugendamt, dann traut man sich vielleicht eher, mal was zu fragen. Viel mehr kann man da nicht machen.
TN: Mit dem Kinder- und Jugendgesundheitsdienst gibt es jetzt eine richtige Kooperationsvereinbarung, zwischen dem Dienst und dem Jugendamt. Dann weiß jede Behörde, was zu tun ist, wenn bestimmte Verhaltensaspekte bekannt werden. Gerade für die kleinen Kinder ist das mit dem Kinder- und Jugendgesundheitsdienst toll, der zuerst etwas erfährt, genaue Standards hat, die er abarbeitet, d.h., er prüft erst mal seine Möglichkeiten, wie weit er damit dieser Gefährdung begegnen kann. Reichen seine Möglichkeiten nicht aus, dann muss sofort auch das Jugendamt noch mal entscheiden, damit man dann gemeinsam das Kind gut schützen und auch die Eltern gut unterstützen kann. TN: Zu der Gefährdungseinschätzung in der Kita: Wir haben das häufig, dass die Einschätzungen der Gefährdung, gerade zwischen Kita-ErzieherInnen und Jugendamt, sehr auseinanderklaffen. Erzieher sehen sehr viel früher eine Gefährdung, sie sagen: Mensch, die kommen ohne Frühstück in die Kita, das geht nicht, da muss das Jugendamt ran. Aber das Jugendamt sieht da noch lange keine Gefahr. Kita-ErzieherInnen fangen dann ganz stark an, selber in Familien reinzugehen, selber Hilfen anzubieten. Aber sie sind dann ganz schnell überfordert damit. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen? TN: Ja. Grundsätzlich ist es ja so, dass die Kitas gesetzlich zum Eingreifen verpflichtet sind, wenn sie Befürchtungen haben. Sie müssen selber Unterstützung anbieten und nach ihren Möglichkeiten die Familie unterstützen. Damit soll ja die Kita-ErzieherIn nicht alleine gelassen werden, sondern sie wendet sich an eine Fachkraft. Die muss es entweder in der Kita geben oder aber zumindest im Dachverband oder auch bei anderen freien Trägern, dem Jugendamt, wo auch immer sie die herbekommt. Mit so einer Fachkraft kann sie sprechen, um die Gefährdung abschätzen zu können. Aber auch um zu gucken, wie die Familie unterstützt werden kann. Erst wenn die Kita an den Punkt kommt, dass sie es mit ihren Mitteln nicht mehr schafft, dieses Kind zu schützen oder sie können nicht einschätzen, wie viel Gefährdung vorliegt oder nicht, weil sie keinen Ermittlungsauftrag hat, dann erst schaltet Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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man das Jugendamt ein. Aber es ist durchaus im Sinne der Kinder und der Familien, dass erst mal die Stelle vor Ort, die nahe an den Eltern ist, die Kontakt mit ihnen hat, das Thema zur Sprache bringt. TN: Zwei Stunden pro Woche bieten wir eine Beratung von außen an. Da gehen viele Eltern hin, die nicht unbedingt mit mir als Kitaleiterin sprechen wollen oder mit Kita-Erzieherinnen, wo wir aber viel mehr die Möglichkeit haben, konkrete Fragen zu stellen zu allen Punkten, über die sie unsicher sind. Wenn es um Kinderschutz geht, wenden wir uns ans Jugendamt. Wir kennen aber auch sehr gut die für uns Zuständigen auf dem Jugendamt. Wir haben auch die Elternvertreter zum Austausch eingeladen. Das ist auch hilfreich.Die Bedenken gegen das Jugendamt gibt es schon bei den Eltern. Aber wir gehen dort zusammen hin, sie brauchen ihren Namen nicht zu sagen, es geht nur um eine Beratung, sie könnten auch wieder rausgehen, aber erst mal helfen wir ihnen, dass sie da hingehen. Ich denke, dass das für Eltern ganz wichtig ist.
dass im RSD alle per se Fachkräfte sind, während man bei freien Trägern extra diese Ausbildung machen muss. Ich fand diese Ausbildung für mich sehr wichtig und hilfreich. TN: Ich glaube auch, dass da eine Debatte in Gang gekommen ist. In Berlin werden diese Dinge sehr unterschiedlich gehandhabt, von Bezirk zu Bezirk, aber auch von Person zu Person verschieden. TN: Die Fachkräfte brauchen m.E., wenn sie in schwierigen Situationen kommen, unbedingt die Möglichkeit, sich anonym beraten zu lassen, damit sie selbst angemessen handeln können. Viele Jugendämter erwecken den Eindruck, dass sie mehr daran interessiert sind, Fälle gemeldet zu bekommen, um selbst sofort einzugreifen. Das verunsichert und erhöht die Schwelle, sich fachkundigen Rat zu holen.
TN: Was Sie gerade erzählen, das finde ich klasse. Ich würde es gerne klar formulieren: Der § 8a hat ganz viel in Gang gesetzt, nicht nur bei Ihnen, sondern eigentlich ist das eine große Chance, dass alle davon profitieren, dazulernen, den Blick schärfen, um vernetzter zu arbeiten. Das Problem ist, wir reden alle gerne von Vernetzung, aber in der Umsetzung hapert es häufig. Diese ewige Schimpferei über das Jugendamt ist auch demotivierend für die, die die Hilfe brauchen, umgekehrt auch für die KollegInnen im Jugendamt, das heißt, es erwächst daraus viel. Die Fachlichkeit müsste besser unterstützt werden in den Einrichtungen. Es lohnt sich, dort anzusetzen, die Ausbildung dahin auszurichten, besser zu beraten. Da haben wir ein Defizit. Ich weiß nicht, wie das hier ist, ob Sie da schon weiter sind?
TN: Anonym und anonym, das können zwei ganz unterschiedliche Dinge sein. Das eine ist die anonyme Meldung, das andere ist die anonyme Beratung. Zu sagen: Ich glaube, das ist ein Kinderschutzfall, da mache ich mir Sorgen aus den und den Gründen, aber ich will nicht sagen, wer ich bin, obwohl ich eine Fachkraft bin, das finde ich nicht okay. Aber genau diesen Fall hatte ich ganz oft in der Vergangenheit. Aufgrund der Zusammenarbeit mit Schulstationen hatte ich Anrufe wie: Ich habe so einen Fall, bei dem habe ich Bauchschmerzen, aber wenn ich den jetzt Ihnen vom Jugendamt erzähle, dann geht das Ganze Prozedere los, das will ich im Moment nicht. Dann habe ich geantwortet, dass wir es so halten können, dass er mir das anonym sagt und ich sage meine Einschätzung und wie wir damit umgehen würden. Dann kann der Anrufer entscheiden, wie er damit umgehen will. Das ist wie die Situation mit der Polizei, wo der Polizist rausgeht. Das kann man praktizieren.
TN: In Berlin gibt es zum Beispiel für Fachkräfte der freien Träger eine 10-tägige Fortbildung, über mehrere Module, die ich sehr gut finde. Ich kann das beurteilen, weil ich selber daran teilgenommen habe. Ich arbeite im öffentlichen Träger und interessanterweise wird davon ausgegangen,
Beate Köhn: Das kann ich durch ein Beispiel untermauern: Wenn bei der Hotline Kinderschutz jemand anruft und sagt: Ich bin Familienhelferin, wir haben hier einen Fall, dann wird klar, es ist eine schwere Gefährdung, akuter Handlungsbedarf. Und dann sagt ein Profi, ja, ich will
aber nicht namentlich genannt werden. So etwas hatten wir schon. Dann sagen wir: Stopp, das geht nicht. Wenn jetzt die Nachbarin sagt, dass sie Angst hat, dann ist das okay, aber bei Profis? Es ist notwendig, die Dinge möglichst transparent zu halten und wenn man das unter Profis nicht macht, ist das problematisch. Es kann ja einen Super-Sonder-Einzelfall geben, wo das Sinn macht. Aber in der Regel sind Professionelle für das Jugendamt die Quelle, unser Bezug, woher wir unser Wissen haben. TN: Mir fällt natürlich schon was ein, wo man tatsächlich einem Professionellen die Möglichkeit geben sollte, die Meldung anonym zu machen, beispielsweise in Jugendeinrichtungen. Warum nicht? Beate Köhn: Weil auch die dortigen Mitarbeiter eine Meldung nicht als Privatperson machen, sondern sie sind nach dem SGB VIII, Paragraf 8, Einrichtungen, die so eine Dienstleistung erbringen müssen. TN: Wenn hier gesagt wird, dass eine anonyme Beratung etwas anderes ist als die anonymisierte Meldung, das finde ich einleuchtend. Die Meldung kann nicht anonym sein, das hat was damit zu tun, dass man nicht einfach jemanden beschuldigen darf, ohne dafür auch einstehen zu müssen. Beate Köhn: Von dem allgemeinen und sehr umfangreichen Angebot zum Kinderschutz gehen wir wieder zurück auf einen Aspekt, nämlich mit Eltern überhaupt erst mal in Kontakt zu kommen und den Kontakt zu halten. Das ist ja für viele, die hier sind, ein Teil dieser direkten Arbeit. Auch dazu zu ermuntern, die angebotene Hilfe anzunehmen. Vieles von dem, was Ihre KollegInnen tun, die ehrenamtlich in den Familien sind, muss auch in der Kita, in Nachbarschaftsheimen oder Freizeiteinrichtungen passieren, weil wir es oft mit sehr entmutigten Familien zu tun haben. Wir haben es oft mit Familien zu tun, die bisher möglicherweise das Jugendamt oder auch andere Institutionen und staatliche Unterstützung nicht als hilfreich und nicht als würdigend und respektvoll erlebt haben. Insbesondere haben sie diese Erfahrung
gemacht, wenn sie beim JobCenter bestimmte Anträge stellten mussten. Wer das mal mitgemacht hat oder sehr nahe an Leuten dran ist, die das mitmachen müssen, der weiß: Es ist unglaublich, welche Entmutigung damit einhergeht. Ich habe das jetzt ein bisschen auf Nachbarschaftsheime ausgerichtet, aber Sie können sich das auch umdenken: Wie im Gegensatz dazu eine stärkende und ermutigende Einstellung bei denjenigen, die Hilfe anbieten, präsent ist. Denn damit wird was vorgelebt, damit wird ein bestimmtes Beziehungsgeschehen vorgelebt, das stimmt auch für Ihre Ehrenamtlichen, die leben das. Das theoretische Wissen darüber, was Kinder brauchen, um gesund und glücklich aufwachsen zu können, haben viele. Aber darüber hinaus halte ich es für enorm wichtig, dass wir uns, ob ehrenamtlich oder professionell, Risikofaktoren, mit Gefährdungseinschätzung befassen, um eine mögliche Gefährdung eines Kindes erkennen zu können. Einen Teil macht der gesunde Menschenverstand, andere Teile sind schon ein bisschen schwieriger zu erkennen. Gut gemeint ist nicht immer gut, wenn man desolate Verhältnisse mit seiner Unterstützung vielleicht aufrecht erhält. Ich bin durch meine Arbeit immer mit den Super-KrisenFällen befasst, mit häuslicher Gewalt usw. Wenn man da nach dem Motto hinsieht: Eigentlich ist er doch ganz nett, ist auch ganz nett zum Kind, ohne zu erkennen, welche Dynamik und welche Gefährdung dahinter steckt, dann ist das nicht hilfreich. Deswegen ist ein bestimmtes Wissen schon gut. Die zweite Seite ist das Wissen um die gesellschaftlichen Hintergründe, auf denen familiäres Leben stattfindet. Ökonomische Verhältnisse werden manchmal außer Acht gelassen. Oder etwa: Was bedeutet es, wenn jemand zum Beispiel inhaftiert gewesen ist, wie erlebt der die Unfreundlichkeit des Arbeitsmarktes, usw., was bedeutet das für die Familien? Es gibt diesen nicht ausgesprochenen Satz in Familien mit großen Schwierigkeiten: Niemand soll wissen, niemand darf wissen. Das ist natürlich, wenn man mit seinem schönen Hilfe-Setting aus irgendeinem gut gemeinten professionellen Grunde ankommt, unverständlich: Wie sind die denn drauf? Was ist denn da los? Warum finden die das nicht toll, ich bin Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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schon drei Mal gegangen, um die Ecke gibt es die Stadtmission, da können die sich komplett einkleiden, die sagen aber Nein, das mache ich nicht. Das heißt, wir müssen erst mal überlegen, welche Gefühle herrschen in Familien mit schwierigen und schwerwiegenden Problemlagen überhaupt vor. Wir haben es mit Angst zu tun, mit Scham, mit Schuldgefühlen, z.B. keine gute Mutter oder guter Vater sein zu können, Schuldgefühle wegen ewig andauernder Arbeitslosigkeit zu haben, keinen Job zu finden, damals in der Schule schon nicht genug Ehrgeiz entwickelt zu haben, usw. Wir haben es mit Verzweiflung zu tun, mit Anspannungen, Unsicherheiten, mit einer großen Einsamkeit in vielen Familien, mit Hilflosigkeit und auch mit Beziehungslosigkeit. Aus diesen Gefühlen ergibt sich auch eine bestimmte Haltung und es ergeben sich soziale Folgen. Die ergeben sich direkt für uns, wenn wir mit unserem netten Hilfeangebot da stehen, denn da schlägt uns Abwehr und Verweigerung entgegen. Das ist ein Abschotten, Resignation und Hoffnungslosigkeit. Wenn ich von einigen Familien Geschichten höre, was sie schon alles probiert haben und wie es ihnen dabei ergangen ist, dann geht es mir als Profi seit vielen Jahren schon so, dass ich beinahe selber nichts mehr machen möchte. Warum sollte es Leuten, die ehrenamtlich tätig sind oder vielleicht nicht so viel damit zu tun haben, anders ergehen? Das heißt, da passiert auch was mit demjenigen, der Hilfe anbietet. Geheimhaltung ist ein großes Thema, insbesondere wenn es wirklich gefährlich werden kann, wenn das Beziehungsgeflecht innerhalb der Familie durch eine Hilfe in Ungleichgewicht geraten kann. Dann kann es sehr kritisch und gefährlich werden, also muss gedeckelt werden. Soziale Isolation, Beziehungs- und Bindungsverweigerung, das heißt, wenn es ein bisschen gemütlich wird, Unkenntnis über Hilfemöglichkeiten oder falsche Vorstellungen: Das einfachste Beispiel dafür ist das Jugendamt - was Leute fantasieren, was sich auf dem Amt tut oder nicht tut, das ist unglaublich. Da ist es toll, wenn es in einigen Bezirken die Möglichkeit gibt, ein bisschen Zeit aufzuwenden und eine offensive Arbeit zu machen, aufzuklären darüber, welche Möglichkeiten und Rechte Familien haben. Es gibt Familien, die bisher schlecht zum Zuge
gekommen sind, übersehen worden sind, obwohl sie Hilfe ganz besonders nötig haben. Gerade bei denen kommt oft die Hilfe nicht an. Das ist etwas ganz Kompliziertes. Es wäre mal hochinteressant, bei Wellcome zu evaluieren, ob der Mut nach Hilfe zu fragen, bei diesen kritischen Familien vorhanden ist, ob sie sich überhaupt an so ein Projekt wenden. Denn sie erwarten ja keinerlei Hilfe. TN: Das ist ein ganz großes Problem bei Wellcome, weil keiner gerne um Hilfe bittet. Auch die normale Familie nicht, zumindest nicht in der Krise. In einer starken Position kann man gut um Hilfe bitten, wenn man sich gut fühlt. Aber wenn man sich schlecht fühlt, dann geht das viel schwerer. Beate Köhn: Dann gibt es das Gefühl der Außenbedrohung. Das kann darin münden, wenn in der Kita eine Erzieherin zu der Mutter sagt, dass das Kind schon wieder kein Frühstück dabei hat, dass die Mutter dann fadenscheinige Erklärungen sucht. Sie fühlt sich kontrolliert, was sogar zur Abmeldung des Kindes führen kann. Die Versagensängste, dass man eine schlechte Mutter sein könnte, schweben gerade über solchen Müttern, die in der Versorgung ihrer Kinder teilweise lückenhaft sind. Gegenüber dieser Außenbedrohung muss geleugnet werden, deswegen wird zum Beispiel gesagt: Ja, der hat heute Morgen wieder so ein Theater gemacht, dass er die Brote vergessen hat. Es gibt immer tausend andere Gründe. Die Autonomie von Eltern muss konsequent im Vordergrund stehen. Das Fehlverhalten von Eltern, das, was fehlt, sollte wirklich nur als ein Verhalten unter anderen beschrieben werden. Und nicht, wie es vielleicht Eltern in einer schlechten und schwachen Position empfinden, dass es um ihre Person geht. Immer wollen mir alle sagen, was ich zu tun habe. Da ist gleich ein Angriff drin. Es geht also nur um einen Ausschnitt aus dem elterlichen Verhaltensspektrum. Mit dem positiven Effekt, dass es auch immer eine Veränderungsdynamik gibt. Auch in Gefährdungsfällen, auch wenn es schon richtig haarig ist, wenn ein Kind geschlagen wird, wenn ein Kind alleine gelassen wird, z.B. die Aufsichtspflicht vernachlässigt wird, weil die Eltern nachts nicht da sind. Es gibt immer
auch eine andere, bessere Seite. In der Klärung muss man diese gute Elternseite ansprechen, gerade auch bei Eltern mit ganz kleinen Kindern ist die Chance groß, die Zustände bessern zu können. Man muss also schauen, was diese gute Eltern-Seite braucht. Es ist aber nicht gesagt, dass man das Problem im bestehenden familiären Kontext lösen kann. Aber es geht darum, die gute Seite erst mal im Kopf zu haben. Jeder in dieser Konstellation hat eine unterschiedliche Rolle, aus der heraus er agiert. Diese Rollen müssen geklärt werden. Welches ist Rolle und Aufgabe des Jugendamtes? Das ist auch die des Buh-Manns, das Wächteramt zu haben. Das haben nicht die Ehrenamtlichen, sondern das hat das Jugendamt. Die staatliche Gemeinschaft wacht über das Wohl der Kinder. Damit sind nicht alle gemeint, sondern das ist in Deutschland so geregelt, dass es ein Jugendamt gibt, das notfalls über das Familiengericht seine Maßnahmen durchsetzt. Aber der Job der Leute an der Basis, die den Kontakt zu den Kindern und den Eltern haben, ist es, eine Beziehung aufzubauen, um Familien davon überzeugen zu können, Hilfe vom Jugendamt, vom Nachbarschaftshaus oder von woanders anzunehmen. Natürlich ist Grundvoraussetzung bei Gefährdungsfällen, die Gefährdung realistisch einschätzen zu können und auch zu sehen: Halt, hier geht es über meine Kompetenz hinaus, das muss ich weitergeben. Allen, die direkt mit Kindern und Kleinstkindern zu tun haben, ist es wichtig, das zu vermitteln, das heißt, Rücksprache mit Fachleuten – unter dem 4-Augen-Prinzip -, die Absprache mit mehreren Fachkräften. Also Professionalität und Kooperation sind wichtige Punkte, neben dem Aspekt, die Beziehung aufzubauen. Der andere Aspekt ist das Stützen, Begleiten und Vernetzen und auch Standhalten. Wenn da jemand sagt: Nein, das will ich nicht, das sehe ich ganz anders, muss man dranbleiben, auch gegen den Widerstand von Scham, Verleugnung und Isolation muss man ruhig standhalten. Welche notwendigen Schutzmaßnahmen müssen gegebenenfalls eingeleitet werden? Liegen Dinge dabei auf derVerbrechensebene? Natürlich ist zu bedenken, dass Eltern, auch wenn Kinder kurz- oder langfristig aus der Familie genommen werden, immer Eltern bleiben und in
ihrer Elternrolle extrem wichtig sind. Auch wenn das Kind gerade in einer Einrichtung oder im Heim untergebracht ist, behalten Eltern ihre Elternrolle, da geht es auch immer noch darum, die Beziehung zu halten, zu stützen. Es kann ja auch ein guter Schritt sein zu sagen, ich schaffe es nicht, ich werde das Kind in eine Pflegefamilie geben. Das kann eine hochgradig verantwortliche Entscheidung von Eltern sein. Jedes Problem ist ein Abfahrtsbahnhof zu einem Ziel. Es geht darum, aus dem jeweiligen Kontext mit der Familie einen Fahrplan zu erstellen, einen Veränderungsprozess in Gang zu setzen, und sei es nur in Gesprächen oder in kleinen Schritten. Wir müssen Wege aus der Hilflosigkeit, aus der Entmutigung und Resignation bauen helfen. Weil wir teilweise mit Familien zu tun haben, denen es so schlecht geht und wo viele Sachen sehr erdrückend sind, wo nebst Krankheit und Trennung und Gewalt und eigenen schlechten Erfahrungen und Arbeitslosigkeit noch andere Faktoren dazukommen. All das ballt sich zu einem unübersichtlichen Haufen, so dass man nur Schritt für Schritt gucken kann, wie ist da standzuhalten, um den nächsten Schritt zu finden. Man muss gemeinsam Ziele entwickeln, das können ganz kleinteilige Sachen sein. Eine Stabilisierung zu erreichen heißt: Nach Möglichkeiten zu suchen, wie Eltern über bestimmte Prozesse ihres Lebens wieder Kontrolle kriegen können. Schule, Schulden, Arbeit, all das sitzt ihnen im Nacken. Oder das Kind tanzt mir auf der Nase herum, der macht mich wahnsinnig. Das sind Momente, die gefährlich werden, wo die Situation im Affekt aus der Kontrolle geraten kann. Das Gefühl der Kontrolle ist wichtig, es muss in kleinen Schritten stabilisiert werden, durch die schrittweise Verwirklichung von Zielen. Das ist der Prozess, den wir begleiten und unterstützen. Diese Kompetenzstärkung, die Erfahrung, das ist erstaunFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Verhindern, vermeiden ...
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Workshop Verhindern, vermeiden, vorbeugen
lich, wenn Eltern dieses „Ich kann“ erfahren, ich kann in diesem Punkt eine gute Mutter sein usw., die ist sehr beeindruckend. Wenn sich z.B. das bisher übliche abendliche Chaos langsam beruhigt und die Mutter die Situation endlich im Griff hat. Es klappt nicht immer alles. Aber es gibt Dinge, die gehen jetzt. Auch Solidaritätserfahrung ist wichtig: Ich bin nicht alleine, es geht nicht nur mir so, es geht auch anderen so. D.h. durch Elterngruppen, Seminare, nachbarschaftliche Unterstützung erfährt man Solidarität und findet gemeinsam Wege. TN: Für die Familienmitglieder ist es ganz wichtig zu wissen, woran sie mit mir sind. Wie ist meine Einschätzung? Wie ist mein Blick? Was ist meine Aufgabe? Welche Spielräume habe ich? Welches Ziel will ich gemeinsam mit der Familie für das Kind erreichen? Auf diesem Wege kann ich zum Erfolg kommen, trotz all dieser schwierigen Kinderschutzdiskussionen und Vorbehalte, die da sind. TN: Das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf verschafft sich einen Vorteil: es wirbt für sich, verglichen mit anderen Jugendämtern. Ich habe das mal recherchiert, es gab nur zwei Jugendämter, die z.B. zum Thema Kinderschutz auf ihrer Website etwas geschrieben haben und eine Orientierung gaben. Das waren lediglich Spandau und Steglitz-Zehlendorf, alle anderen nicht. Die anderen Jugendämter sind gegenüber Leuten, die Probleme haben , verschlossener. Häufig ist der erste Satz bei einem Gespräch mit dem Jugendamt, wenn eine Mutter mit einem problematischen Kind kommt: Denken Sie bloß nicht, dass Sie von uns eine Wohnung kriegen können. Hinter so einer ablehnenden Äußerung steckt das Gefühl: es kommt noch jemand, der will was von uns. Irgendwie muss man aber doch an dem Denken der Leute ansetzen, was sie wollen und brauchen, an deren Sicht auf die Dinge. Wenn sie kein Problemempfinden haben, kann man wahrscheinlich nur ganz schwer einen gemeinsamen Ansatzpunkt finden. Wenn sie aber ein Problemempfinden haben, dann wird das Problem höchstwahrscheinlich anders wahrgenommen als ich es sehe. Sie sehen es anders, aber wenn ich da nicht rankomme, komme ich auch nicht durch ein Lösungsangebot ran, weil sie das auch nur als Bedrohung empfinden.
TN: Es geht um unsere Haltung. Ich glaube, was oftmals fehlt, ist eine Reflektion darüber, warum wir diese Arbeit machen und was wir erreichen möchten. TN: Was diese Haltung betrifft: Einerseits hoffe und glaube ich, dass sich in letzter Zeit was geändert hat. Man muss sich realistisch ansehen, wie diese Familien alltäglich leben. Und das gilt ebenso für die Umstände, unter denen die Kollegen in den Jugendämtern arbeiten. Ich weiß, dass es dort Leute gibt, die sich wirklich von ihren Aktenbergen bedroht fühlen. Und jeden Morgen kann etwas in der Presse stehen. Es gibt Kollegen, die sagen: Wenn ich zur Arbeit komme, bin ich jedes Mal froh, wenn ich keinen Zeitungsausschnitt auf dem Tisch habe, dass sich eine Mutter aus meinem Kiez mit ihrem Säugling aus dem Fenster gestürzt hat. Denn damit kann ich jederzeit rechnen. Sie haben wenige Möglichkeiten. Es gibt Jugendämter, Spandau gehört dazu, die haben nicht mal intern ihre Computer vernetzt. Das heißt, es werden in der freien und öffentlichen Jugendhilfe zur Erfüllung dieses Schutzauftrages zu wenig Mittel zur Verfügung gestellt. Zur Veränderung der Haltung den Eltern gegenüber hat es Fortbildungen und Schulungen gegeben, da ist viel passiert. Heute heißt es: Eltern ins Boot, respektvolle Haltung gegenüber den Eltern, hoffentlich verankern sich diese Prinzipien. Aber wir wissen natürlich alle, dass es leichter gesagt als getan ist, Eltern aus diesem schwierigen Feld Respekt entgegen zu bringen. Diese Einstellung zu entwickeln, braucht Zeit und Geduld. TN: In unserem Nachbarschaftshaus haben wir ein Projekt zur Schulbegleitung von Roma-Kindern gemacht. Wir arbeiten mit den Familien zusammen, die keinen Kontakt zu den Jugendämtern haben, und dennoch oft dringend Unterstützung brauchen. Meine Kolleginnen versuchen, die Eltern darauf vorzubereiten, dass das Jugendamt helfen kann, also nicht als eine Bedrohung empfunden werden muss. Dann gehen diese Eltern schließlich mit uns zu den Jugendämtern. Und da läuft es andersrum, dass wiederum wir dafür sorgen müssen, dass die Jugendämter sich dem Problem überhaupt öffnen und in Kooperation mit den Eltern treten. Manche Migrantenfamilien haben
die Erfahrung gemacht, dass sie total abgebügelt werden. Oder sie waren beim Amt, niemand hat sie unterstützt, dann gehen sie auch nicht mehr hin. Wenn man hingehen will, dann muss man auf beiden Seiten sehr viel aufbrechen, um überhaupt wieder eine Bereitschaft dafür zu haben. Willy Eßmann: Ich möchte das unterstützen. Das ist ein extra Thema, das mit Migranten zu tun hat. Wir haben auch so ein Projekt, wo es darum geht, dass Kollegen von uns in Familien gehen und es erstmalig sozusagen dem Jugendamt ermöglichen, durch uns einen Kontakt zu solchen Familien zu bekommen. Das Projekt heißt „Kulturlotsen“. Die Jugendamtsmitarbeiter/innen bekommen dadurch Einblick in Lebenswelten, die ihnen trotz jahrelangen Kontaktes mit solchen Familien völlig fremd geblieben sind, weil sie sie nur in der künstlichen Welt ihrer Amtsstuben erlebt haben. Es gibt hier einen großen Nachhol- und Qualifizierungsbedarf. TN: Aber vielleicht braucht man ganz einfache Dinge. Ich hatte vor Kurzem ein prägnantes Erlebnis. Ich war zu einer Notfallbehandlung im Krankenhaus. Eine Ärztin hat zwar mit mir gesprochen, aber mir dabei in dreiviertel der Zeit den Rücken zugewandt, weil sie alles, was für die Untersuchung wichtig war, gleich in die Tastatur tippte und deswegen auf den Bildschirm guckte. Diese Ärztin bräuchte dringend eine Schulung in Körpersprache, um eine Ahnung davon zu bekommen, welche Nebenwirkung ihre Haltung auf den Patienten haben kann. Wenn bei den Jugendämtern eine ähnliche Situation entsteht, wenn dort als erstes dieser Erfassungsbogen ausgefüllt wird, dann wirkt dieses Verhalten sicherlich einschüchternd und abschreckend auf Eltern. Hier könnte eine Schulung für die Mitarbeiter helfen.
TN: Vielleicht sollten die mal bei Karstadt eine Schulung für den Umgang mit Menschen machen ... TN: Das ist eine Super-Idee, ob bei Karstadt oder bei der Lufthansa, aber wir reden über Zeit und Geld. Ich will da nicht alles dran festmachen, aber ich glaube, dass hinter Qualität eine Menge steckt: Fortbildung, Empathie, Zeit usw. Ich habe Kollegen, die haben eine Bonbonschale auf ihrem Schreibtisch. Dann kommen Klienten und nehmen alle Bonbons raus. Dann könnten die Kollegen über den Tisch springen, die werden richtig sauer. Und was haben sie vorher erzählt? Sie werden nicht beachtet, sie müssen eine halbe Stunde rennen, um zum Kopierer zu kommen, sie haben kein Dienst-Handy, sie haben keinen vernünftigen Internet-Anschluss, sie werden nicht gewürdigt und sie haben die ganze Scheiße am Hals. Und in allen Familien grummelt es, wir haben es mit einer relativ heißen Situation hier in manchen Berliner Bezirken zu tun, da geht es rapide bergab, die Aggressionen steigen, auch bei den Klienten. Da ist richtig Bewegung drin. Da gibt es eine Menge Möglichkeiten zu schulen, neue Gedanken oder auch andere Strukturen reinzubringen. Das ist jetzt die Frage, wo sind die Ursachen für Verhaltensmängel? Was ist gewollt? Ein Mitarbeiter des Jugendamts sollte seine Aufgaben innerhalb seiner Arbeitszeit vernünftig erledigen können und nicht am Wochenende. TN: Ich denke, das hat mit gesellschaftlicher Wertschätzung zu tun, aber die ist nicht ausreichend vorhanden. Wie kann die hergestellt werden? Wie können wir Verständnis für unsere Aufgaben hervorrufen? Ich meine, da ist Sozialraumbezug und Transparenz ein wichtiger Ansatzpunkt.
TN: Wenn es wirklich vorkommt, dass Kollegen an die 100 Fälle auf dem Tisch haben, dann fehlt ihnen jede Grundlage für vernünftiges Arbeiten, dann können die einfach nicht mehr. Dann können sie nur noch sehen, wie sie irgendwie mit dem Leben davonkommen. Ich kann mir auch vorstellen, dass in so einer Stresssituation solche Unmöglichkeiten passieren. Das ist keine Entschuldigung, aber das ist eine Erklärung. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Zwischentöne
Generationendialoge und Generationenverantwortung
Inputs: Karl-Fried Schuwirth, Wiesbaden „Aktives Netzwerk im Alter“ Bettina Zey (NBH Mittelhof) und Timm Lehmann (NBH Mittelhof, Mehrgenerationenhaus Zehlendorf-Süd) „Zeitzeugenprojekte - Begegnung von Grundschulkindern und Senior/innen“ Barbara Rüster (GWV Heerstr. Nord, Berlin) „Die Glücksfee - Beispiel einer Generationenbegegnung“ Andrea Brandt (Biffy Berlin - Big Friends for Youngsters e.V.) „Patenschaftsprojekt für Berliner Kinder“ Moderation: Petra Sperling
Petra Sperling: Unser Augenmerk richtet sich auf den Dialog zwischen den Generationen. Bei Älteren ist es ja heute häufig so, dass sie nicht mehr nahe bei ihrer Kernfamilie leben, sondern in anderen Städten. Wir müssen darum den Blick auf die Generationen erweitern, weil die alten Menschen, die im Gemeinwesen leben, oft keine Familie mehr haben. Auf der anderen Seite gibt es die Kinder, die den Kontakt zu alten Menschen dringend brauchen. Wir beschäftigen uns mit dem Dialog zwischen den Generationen, aber gleichzeitig auch mit
der Verantwortung, die wir in unserer Tätigkeit in Nachbarschaftshäusern und Stadtteilzentren auch für die verschiedenen Generationen haben. Karl-Fried Schuwirth: Ich bin seit vier Jahren im Ruhestand, nach 30 Jahren Arbeit im Nachbarschaftshaus in Wiesbaden. Damals merkte ich, dass es ganz viel Ruhe gibt nach der hektischen Arbeitsphase. Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, wie mein Leben als Rentner später mal aussehen würde, so wie ich mir keine Gedanken über meine Altersversorgung gemacht habe. Ich dachte über meine Rente: Ich habe bisher eingezahlt, jetzt seid ihr Jüngeren dran mit dem Einzahlen und davon lebe ich dann. Es wurde mir natürlich auch sehr schnell klar, dass es da ein paar Probleme gibt. Die demografische Entwicklung sieht in dieser Beziehung nicht gut aus, die steigende Lebenserwartung steht dem entgegen, dass die nächste Generation für die Renten aufkommen kann. Es ist wichtig sich Gedanken zu machen, wie es später aussieht. Ihr wisst alle, dass das ein heftiges Problem wird, sicher auch für euch, wie die Altersversorgung aussieht. Die Frage ist, wo sind da noch Kapazitäten? Es gibt eigentlich nur noch ganz wenige Möglichkeiten, Kapazitäten zu bekommen. Ich habe auf einmal gemerkt, dass ich als noch nicht so ruhebedürftiger Rentner Kapazitäten habe. Ich habe durchaus eine Lebensperspektive, die ersten 15 Jahre kann ich ganz viel geben von dem, was ich vielleicht in den nächsten 15 Jahren dann umso mehr brauchen werde. Da sind Kapazitäten. Ich habe Zeit. Ich kann hier für meine Altersversorgung etwas einbringen, meine Zeit, meine Hilfe. Es gibt eine ganze Menge Leute, die nichts mehr für die finanzielle Altersversorgung tun können, die aber ganz viel Zeit haben. Es gibt ganz viele, die nicht mehr richtig im Berufsleben integriert sind, die viel Zeit hätten, aber keine finanziellen Möglichkeiten. Da fühle ich mich sehr einig auch mit jüngeren Leuten, die im Augenblick keine Perspektive haben, um sich beruflich weiterzuentwickeln und die möglicherweise auch sehr viel Zeit haben. Wir haben Zeit, das zu geben, was wir später brauchen.
Und jetzt kommt ANIA. ANIA ist genau an der Schnittstelle, wo es darum geht, heute etwas einzubringen, was man später selber brauchen wird. ANIA ist das aktive Netzwerk im Alter. Viele von Euch kennen Tauschringe und deren Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Tauschringe. Tauschringe kranken oft daran, dass es eigentlich ein ausgeglichenes Verhältnis geben muss zwischen dem, was gegeben wird und dem, was genommen wird. Es gibt aber ganz viele, die viel geben wollen, die aber nichts brauchen. Deswegen ist dann das Konto nicht ausgeglichen, das ist das große Problem der Tauschringe. Wenn ANIA da ist, dann ist das kein Problem, denn das kann ich zeitlich völlig anders dimensionieren. Damit kann ich jetzt noch viele Jahre lang etwas geben, bevor ich später davon selber profitiere. ANIA ist auch eine Bank, mit einem Konto, auf das ich jetzt ansparen kann. Zu einem späteren Zeitpunkt kann ich es dann abrufen, nämlich dann, wenn ich Hilfe brauche. Jeder, der jetzt durch Hilfeleistungen einzahlt, tut etwas für seine Altersversorgung. Das ist eine Motivation, die sehr intensiv und ernsthaft betrieben werden kann, wirklich ein Stück Altersversorgung, ich kann wirklich etwas geben für das, was ich später brauchen kann. Wenn diese Bank meine Konten richtig führt. Ich brauche tatsächlich ein Stück Bürokratie, indem meine jetzigen Leistungen registriert werden, damit sie später als Guthaben da stehen, das ich dann abrufen kann. ANIA ist leider noch nicht da. ANIA kommt noch. ANIA muss kommen! Und ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mit dazu beitragt, damit ANIA kommt. Was aber schon da ist: Es gibt ganz viele Netzwerke im Alter, fast jede Stadt hat solche Netzwerke. ANIA hätte die große Chance, eine Vision zu geben, in der alle diese Netzwerke ein Stück Zukunft haben, sich weiterzuentwickeln. Jeder kleine Tauschring hätte die Möglichkeit, sich als Filiale von ANIA, dieser großen Bank, zu fühlen, wenn es möglich wäre, dass all diesen kleinen Filialen Know-How, ein Programm, zur Verfügung gestellt würde, das es ermöglicht, die Tauschmöglichkeiten zu registrieren und zu sammeln. So lange ANIA noch nicht da ist, haben wir uns in Wiesbaden zusammengetan und ein Netzwerk im Alter etabliert. Das Nachbarschaftshaus ist mit von der Partie und einige andere Einrichtungen.
Dieses Netzwerk zeichnet sich nämlich genau durch den Charme aus, dass fast keine Bürokratie nötig ist. Man kann sich als älterer Mensch, 55Plus, registrieren und einklinken. Man kann sich ganz schnell mit anderen Menschen verbinden, die ähnliche Interessen haben. In diesem Netzwerk gibt es ein Telefon, das Netzwerkhilfen vermittelt. Es gibt in diesem Netzwerk ganz viele, die sich als Helfer geoutet haben. Und es gibt ein Büro. Das ist eine Aktentasche, in der ein Handy und eine Liste stecken. Man kann zu jeder Tages- oder Nachtzeit dort anrufen, zwischen 10 und 12 ist dieses Handy persönlich erreichbar. Dieses Handy – also das Büro – wird Woche für Woche weitergegeben, wir sind acht Leute, die dieses Büro betreuen, man kommt also alle zwei Monate dran, das ist machbar. Und außerdem ist es im Internet und man kann sich sehr schnell mit seinen Interessen verknüpfen. Meine Hoffnung ist, dass dieses Netzwerk – wie alle anderen Netzwerke – irgendwann sich wieder findet in ANIA, was bedeutet Aktive Netzwerke im Alter. Ich bin überzeugt, dass das die einzige Möglichkeit ist, um ein Stück der Vorsorgeproblematik zu bewältigen. Wenn ihr das auch so seht, würde ich mich freuen, wenn ihr unterstützt, dass ANIA kommt. Weitere Informationen können Sie aus dem Rundbrief entnehmen. TN: Was sind die Themen, die am meisten nachgefragt werden? Oder mit welchen Interessen kommen die Leute, die schon da sind? Hier steht eine ganze Liste, aber ist es das? Karl-Fried Schuwirth: Was da genannt ist, ist sehr repräsentativ. Dieses Netzwerk lebt eigentlich davon, dass es kein virtuelles Netzwerk ist, sondern dass die Leute sich begegnen. Das ist sehr wichtig, dass man sich wirklich persönlich begegnet. Merkwürdigerweise floriert in Wiesbaden besonders, gemeinsam die Wirtschaften zu erkunden. Das ist sehr beliebt und sicher auch ein Motor für vieles andere. Dabei wird dann zum Beispiel erzählt, dass jemand mit seiner Fernbedienung vom Fernseher nicht zurecht kommt, schon ist ANIA-Hilfe angesagt. Die Computergruppe hilft sich gegenseitig oder die Gruppe Praktische Philosophie, die durchaus auch Perspektiven über Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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die Sinnhaftigkeit des Tuns oder des Lebens erörtert. Besonders gefragt sind gesellige Veranstaltungen, möglichst mit nicht so furchtbar viel Verbindlichkeit, wo man kommt, aber auch wieder gehen kann.
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TN: Ich komme aus Freiburg aus einem Stadtteilzentrum. ANIA ist überregional oder soll es überregional werden? Und worüber wir jetzt gesprochen haben, das ist territorial auf die Stadt bezogen? Karl-Fried Schuwirth: Genau. ANIA ist eine große Sache. Wo kann ANIA überhaupt angesiedelt werden? Für mich ist ANIA in einem Wohlfahrtsverband besonders gut angesiedelt. Ich denke, der Paritätische wäre prädestiniert. Ich habe auch in dieser Richtung mal gebohrt und mich kundig gemacht und gemerkt, dass ein lebhaftes Interesse daran besteht. Der einzige Einwand, den ich mir vorstellen kann ist, dass natürlich in Wohlfahrtsverbänden auch professionelle Hilfen organisiert sind, für die das durchaus eine Konkurrenz sein könnte. TN: Ich komme vom Nachbarschaftshaus Schöneberg. Das klingt ja nach Leistung gegen Leistung, nach Aufrechnen und Abrechnen. Woher kommt genau diese Idee, in dieser Art zu formalisieren, dieses Ansparen und Abrufen? Karl-Fried Schuwirth: Ich glaube, dass eine ernsthafte Altersvorsorge auch ernsthaft installiert sein müsste. Es gibt ganz viel guten Willen bei den Menschen. Die werden sich nach wie vor auch ohne ANIA engagieren. Aber es gibt auch das Motiv, ein sehr existenzielles Motiv, nämlich etwas für die Altersvorsorge zu unternehmen. Ich denke, da braucht es wirklich diese Sicherheit, damit es eine Altersvorsorge wird, die ich auch berechnen kann. TN: Wenn ich mir überlege: Jetzt kann ich noch, ich pflege mal jemanden, ich moderiere mal einen Workshop, ich kann pro Woche fünf Stunden was tun. Dann gibt es jemand, der schreibt das in ein Buch, das kommt auf mein Konto. Also bekomme ich pro Monat 20 Stunden Guthaben. Das kann ich dann in meinem späteren Alter abrufen. Funktioniert das so?
Karl-Fried Schuwirth: Ja, also es gibt ANIA bereits, zum Beispiel in einem Ort in der Nähe von Wiesbaden, Dietzenbach heißt der, hat 38.000 Einwohner. Dieser Ort hat 2.000 Mitglieder von der Senioren-Selbsthilfegruppe, die genau so arbeiten, sich registrieren, aber nur im lokalen Bereich. Ich denke, diese Idee mit dem lokalen Bereich entspricht nicht der Mobilität der Gesellschaft. Wenn es im lokalen Bereich funktioniert, dann sollte es auch überregional funktionieren. TN: Das Prinzip kennen wir ja von Tauschbörsen. Was ist jetzt das Besondere an ANIA? Karl-Fried Schuwirth: Das Besondere ist der große Zeitunterschied. Das ist genau das Problem der jetzigen Tauschringe, sie kommen mit diesem Zeitunterschied nicht zurecht. TN: Was ja dazukommt, es muss ein hohes Maß an Verbindlichkeit gewährleistet sein. Man müsste wissen, dass diese Organisation in 10 Jahren noch existiert. Das setzt ja Strukturen voraus und Qualitätsstandards. Karl-Fried Schuwirth: Genau, eine Bank. TN: So etwas ist ja nicht neu. In der Geschichte gab es immer wieder bestimmte Nischen, Raiffeisenbanken haben mal so angefangen, Genossenschaften, eine Form von Selbsthilfe, wo bestimmten Notlagen mit genau solchen Modellen begegnet wurde. Ich finde, das ist eine ganz spannende Idee. TN: Aber es gibt doch schon so Komplementärwährungen, die auf diese Idee abzielen. Karl-Fried Schuwirth: Genau, nur sind die alle sehr, sehr lokal. Bei den Komplementärwährungen geht es darum, dass lokal tatsächlich auch gekauft wird, also dass Produkte oder Dienstleistungen der Region vermarktet werden. Das ist der Hintergrund dieser alternativen Währungen. TN: Steckt dahinter der Gedanke, Pflege zu organisieren? In Essen wurde das diskutiert.
Karl-Fried Schuwirth: Um das deutlich zu sagen: ANIA ist keine Antwort auf die Pflegebedürftigkeit. Aber davor ist ja noch sehr viel. Wir sind ja auch alle darum bemüht, so lange wie möglich zu Hause zu wohnen. Dafür ist ANIA eigentlich gedacht. Ich glaube, dass auch ANIA nicht nur eine virtuelle Datenbank ist, sondern ANIA braucht lokale Treffpunkte. Man muss sich kennen, wenn man sich gegenseitig hilft. Ich freue mich auch, dass es in Wiesbaden angefangen hat, dass unter dem Gesichtspunkt der Vorsorge für das Alter die Menschen sagen: Jetzt müssen wir uns kennen lernen. Für mich ist es ganz spannend, neue Leute kennen zu lernen und dass man sich in meinem Alter noch mit Menschen befreunden kann. Bettina Zey: Ich bin Mitarbeiterin im Nachbarschaftsheim Mittelhof in Berlin-Zehlendorf und dort in der Selbsthilfe und auch für die Seniorenarbeit zuständig. Timm Lehmann: Ich bin auch im Mittelhof tätig und leite dort ein Mehrgenerationenhaus, das dieses Jahr eröffnet hat. Vielleicht kann man an den demografischen Wandel und Generationenbegegnungen anknüpfen, so wie auch an die Tatsache, dass die Familienkonstellationen sich verändert haben. In unserer Tätigkeit ist es ja so, dass wir Begegnungen inszenieren, das heißt, wir schaffen etwas, was im natürlichen Bereich so nicht mehr oder immer weniger zustande kommt. Nämlich dass Generationen zusammenkommen und ihr Erfahrungswissen weitergeben oder überhaupt in den Austausch kommen. Bettina Zey: Unser Zeitzeugenprojekt entstand auf Initiative einer Grundschullehrerin. Sie hat uns angesprochen und gefragt, ob nicht die Senioren aus unserem Haus Lust hätten, in den Sachkundeunterricht zu kommen und sich als Zeitzeugen befragen zu lassen. Eine 4. Klasse hatte das Thema Krieg und Nachkriegszeit. Ich habe in Seniorengruppen nachgefragt und wir sind dann zu viert zur Schule gegangen. Wir wussten nicht genau, was uns da erwartet, welche Fragen kommen, wie wird diese Begegnung mit den Schülern sein, können wir den Fragen gerecht werden? Aber auch, was passiert, wenn bei den Zeitzeugen et-
was aufbricht an Erfahrung, Erinnerung, Traumatisierung? Das war schon auch ein heikles Thema, was man dabei auch unbedingt berücksichtigen sollte. Wir zeigen einen kleinen Filmausschnitt von dieser Begegnung. Filmausschnitt: Senioren in der Schulklasse, Seniorin erzählt von ihrem Vater, der im Krieg war, während die Familie bei Alarm in den Bunker musste. Bettina Zey: Das Ganze ging zwei Stunden – mit einer kurzen Pause. Wir haben festgestellt, dass auch in der Pause und danach interessante Gespräche stattgefunden haben. Die jungen Leute konnten sich gar nicht trennen. Sie sind auf die Senioren zugestürzt und hatten noch ganz viele Fragen. Das war sehr spannend und auch bewegend. Die Senioren hatten auch so ein Mitteilungsbedürfnis dann gehabt, dass wir gedacht haben, dass wir noch etwas anderes machen müssen. TN: Wessen Idee war es denn, diese Begegnung als Podiumsdiskussion zu machen? Bettina Zey: Das ist von der Schule so eingerichtet worden. Wir sind da wirklich einfach hin, wir hatten keine Ahnung, wie die Sitzordnung ist. Das war ja Frontalunterricht. Die Fragen der Schüler wurden schon im Unterricht entwickelt und waren vorbereitet, aber für uns war es total unvorbereitet. Wir wollten gerne die Kinder mehr einbeziehen, damit ein wirklicher Dialog entstehen konnte. Dazu möchten wir Ihnen jetzt noch kurz etwas zeigen. Letzte Woche waren wir mit einer anderen Seniorengruppe, die aufgrund des Films gesagt hat: Wir wollen auch so was machen, wir haben auch viel zu erzählen, in einem Kinder- und Jugendfreizeithaus, das ist eine nachschulische Betreuung. Die haben uns zum Thema „Schule, Freizeit und Spiele früher und heute“ eingeladen. Da sind wir hin. Die Senioren haben von ihren Schulerlebnissen erzählt, wie der Unterricht war, zum Beispiel, dass von der 1. bis 8. Klasse alle zusammen in einem Raum waren, unvorstellbar heutzutage. Schule während der Kriegszeit war natürlich auch ein Thema. Aber was der Renner war, wo alle angetan waren, das waren die Spielgeräte von daFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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mals. Die Senioren hatten Bänder mitgebracht, das nennt man „Abnehmen“. Sie haben das den Kindern gezeigt, das ist eine Woche her. Gestern habe ich die Erzieherin getroffen, die dabei war. Sie sagte, dass die Kinder immer noch mit den Bändern rumrennen und spielen. Auch die Kinder haben ihr Spielzeug gezeigt. Die Jüngsten waren 6, die Ältesten waren 10. Sie haben zum Beispiel den Damen ihre Kuscheltiere gezeigt. Oder die Jungs hatten irgendwelche Monsterroboter gezeigt, womit eine Dame erst mal gar nichts anfangen konnte. Oh weia, was habt ihr denn für Spielzeug? sagte sie, weil ja auch nicht alle Enkelkinder haben. Ich hatte immer wieder Vorurteile von den Senioren gehört: Ach, die interessieren sich doch sowieso nicht für uns, was wollen wir da? So ging das manchmal los. Und im Nachhinein waren sie begeistert, wie interessiert die Kinder sind, mit was für Fragen sie kommen. Das Schönste ist dann einfach zu hören: Ja, die sind ja doch interessiert und wollen was von uns wissen. Und wir können denen was erzählen. Ich kann nur sagen, dass kleine Gruppen, gemischt, wirklich gut funktionieren, besser als dieses Frontale. Timm Lehmann: Der Austausch mit der Kriegsgeneration ist aus meiner Sicht einseitig. Aber wenn man diesen Dialog will, dann ist es besser, kleinere Gruppen zu haben und Material zum Herumreichen, damit man gemeinsam etwas anschaut. In einer kleinen Gruppe gibt es mehr Möglichkeiten zum Nachfragen. Wenn ich ein Plenum mit 20 Kindern habe, ist das so nicht möglich. In einer kleinen Gruppe entsteht eher ein Dialog. Ich habe als Kind auch etwas zu berichten, was du lernen kannst, wie es heute bei uns abgeht. Bettina Zey: Es war schön zu sehen, dass doch Gemeinsamkeiten da sind, dass die Schulstreiche von früher immer noch auch die Schulstreiche von heute sind: Der nasse Schwamm, auf den sich Lehrer setzen, ihn hinzulegen, der Lehrer setzt sich drauf; wo erzählt wurde, dass sie das mittlerweile auch mit Furzkissen machen. Die haben sich auf beiden Seiten amüsiert. Sie haben sich auch interessiert für Schulfotos, die herumgereicht wurden. Da kam ein kleines Mädchen mit einem Bild
nach vorne: Was haben die jungen Mädchen denn da auf dem Kopf? Früher hatten die so Propeller-Schleifen, das hat sie so fasziniert, dass sie wirklich nachfragen konnten, auch wie sie verstehen, dass sich das im Laufe der Jahre verändert. Wir waren in einem anderen Kinder- und Jugendclub, da war das Besondere, dass die Jüngste 6 Jahre alt war und der Älteste 14. Wir haben uns durch ein gemeinsames Frühstück kennen gelernt, was alles auflockerte. Dann sind wir nach nebenan in einen Raum gegangen, wo die Senioren wieder von Schule früher berichteten, Spiele früher. Da war es so, dass die Senioren nachher kaum noch zu Wort gekommen sind, weil die Kinder so viel zu erzählen hatten von ihrer jetzigen Situation an den Schulen. Da waren die Damen nachher ganz enttäuscht, weil sie meinten, sie hätten noch viel, viel mehr erzählen können. Sie wollen dann noch mal zu einem nächsten Treffen dorthin gehen. Timm Lehmann: Hier gab es von den Kids aus dem Club eine kleine Aufführung, als Pause, um mal Bewegung reinzubringen. Nicht, weil es sie nicht interessiert, sondern altersgemäß brauchen sie eine Pause. Bettina Zey: Im November 2008 haben wir ein Treffen im Mehrgenerationenhaus, am späten Nachmittag, wo das ein ganz anderes Thema ist, weil das eher Jugendliche sind. Das Thema ist dann „Jugendzeit früher und heute“. Heutzutage geht es ja um Idole, Musik, Tanz, Verabredungen, die ersten Liebschaften, im Vergleich zu dem, wie das früher war, was in war und was heute in ist. Mal gucken, was kommt. Der Nebeneffekt für die Senioren ist natürlich auch, dass sie auf diese Weise eine Einrichtung kennen lernen. Sie bekommen dann gleich auch eine Hausführung, wie die nachschulische Betreuung gemacht wird, was da angeboten wird. Das ist für sie eine ganz neue Welt. Das gab es ja damals alles nicht. Barbara Rüster: Meine persönliche Motivation für meine Arbeit habe ich schon von Kindesbeinen an, weil ich nämlich immer schon gerne Theater gespielt habe. Das
zieht sich durch mein Leben und hat mich geprägt. Ich war sehr lange an der Universität der Künste und habe dort Theaterpädagogik gemacht und habe dann dort aufgehört. Und jetzt habe ich gedacht, oh Gott, was mache ich mit dem Rucksack voller Dinge, die ich gemacht habe? Durch einen Zufall gab es einen Versuch, ein Kieztheater anzubieten. Ich gehöre sozusagen zu den Alten, und die Frage ist: Was passiert im Zusammenspiel mit den Jüngeren? Es gibt viele Möglichkeiten sich auszudrücken: mit Musik oder Bauen oder Performance machen. Aber ich habe überlegt, was man in einer gemeinsamen Theateraktion machen kann, weil das mein Handwerk ist. Das Projekt begann mit einer Kooperation zwischen der Kindertagesstätte „Wunderblume“ und einem Seniorenwohnhaus am Maulbeerweg in Staaken. Das gemeinsame Thema, was beide Bereiche hatten, war „Das Glück“. Ich fand es interessant, dass für Kinder Glück so abstrakt ist, während die Älteren dazu wunderbare Geschichten erzählt haben. Wir haben einen Videofilm darüber gemacht, wie sie über ihre Glückserfahrungen sprachen. Für die Kinder bestand der konkrete Ausdruck von Glück in der Glücksfee. Die Glücksfee haben wir zusammen gespielt. Die Älteren, die auch an dem Thema gearbeitet haben, sind in die Kita gegangen. Wir haben dann Warm-Ups gemacht, einfache Übungen, Klatschen, auch Kinderspiele, mit den Älteren zusammen. Das war am Anfang. Im Spiel selber haben auch einige mitgespielt: ein Herr hat den Baum von Frau Holle gespielt, eine Dame hat die Frau Holle gespielt, sie haben direkt in die Handlung mit eingegriffen, denn das war ja das Prinzip. Das ist nicht ganz leicht. Das war wunderbar und einzigartig. Aber die Situation ist, dass die Älteren oft sehr, sehr alt sind. Der Herr war schon 86, die andere 76. Die wurden dann auch innerhalb kurzer Zeit sehr krank. Unter solchen Bedingungen kann man kein richtiges Theater aufbauen, was ich eigentlich wollte. Aber es waren dann doch einige, die über zwei Jahre an dieser Theaterarbeit teilgenommen haben. Die Kita und die Senioren zusammen, das war der Anfang, sie spielen zusammen und machen Theater auf eine ganz einfache Weise. Ich habe schon viel probiert,
aber das fand ich fast das Konstruktivste, es waren immer dieselben Älteren und Kinder. Die kannten sich und freuten sich, das war so beglückend für die Kleinen, denn sie haben teilweise ja keine Großeltern mehr, aber sie lieben die Älteren, da wurde umarmt und gedrückt. Ich weiß nicht, offenbar spielen Großmütter und Großväter doch eine Rolle im Leben der Kinder. Hier war es so, dass wir zusammen ein Theaterstück gesehen haben, Däumelinchen, das hatten auch Theaterpädagogen von der UDK gemacht. Die Älteren und die Kinder gingen zusammen ins Kulturhaus Spandau. Hinterher haben wir das dann nachbereitet, mit einem der Schauspieler, der auch ein sehr guter Musiker ist. Die Lieder, die in „Däumelinchen“ vorkamen, haben wir zusammen gesungen, aber auch richtige Tänze aufgeführt. Ich werde heute noch angesprochen, ob wir das nicht wieder mal machen. Mit den Hortkindern aus dem Spielhaus haben wir dann ein Stück entwickelt. Das haben die Kinder selbst entwickelt und hieß „Hilfe, Paula ist verschwunden“. Das war ein sehr interessantes Projekt. Da haben die Älteren, so ähnlich wie das, was wir gerade gehört haben, ihre Geschichten aus der Jugend erzählt. Das wurde mit eingebaut. Es gab nämlich dann eine Schiffspassage, wo sie alle auf der Suche nach Paula waren. Die Älteren fragten die Kinder in allen möglichen Rollen, Feuerschlucker oder Zirkus oder Tiger, und die Älteren haben den Kindern Geschichten erzählt. Das war ein bisschen schwierig, weil die Kinder nicht so lange zuhören können, aber man kann ihnen auch mal was abverlangen. Es war interessant, aber es war nicht so leicht, denn die Älteren identifizieren sich mit ihren Geschichten, wie ein Schauspieler auch, da ist es natürlich schwer eine Passage zu kürzen. Deswegen haben wir sie dann in aller Fülle ihre Geschichten erzählen lassen, das war auch für die Zuhörer sehr interessant. Das Bühnenbild haben praktisch die Schüler vom Gymnasium gemacht, so dass wir das alles zusammengenommen haben als eine Form von Kieztheater. Das Ziel wurde immer mehr ein Kieztheater. Das professionelle Theater hat ja eine unglaubliche Wandlung durchgemacht, genauso sehr wie sich heute die Erziehungswissenschaft Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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und Pädagogik mehr dem Theater zuneigen. Das sind die Fahnenträger für die Theaterpädagogik, weil Vorschullehrer nicht mehr in Theater ausgebildet werden. Aber die Fachhochschulen haben es begriffen, denn von dort werden exzellente Theaterpädagogen überall hin entlassen und sie können die Landschaft verändern. Das sind Paradigmenwechsel. Die Paradigmenwechsel gibt es auch im Theater selber. Das Theater geht raus, es verlässt sein Haus und geht in die Welt. Und so hat das Kieztheater das hier auch probiert. Es geht natürlich immer um Alt und Jung, die Verbindung war im Hinterkopf. Die Älteren erzählen den Kleinen, die Kleinen spielen mit den Älteren. Die Älteren erzählen Geschichten, zum Beispiel „Der Riese Riesig“, also Oscar Wilde. Das Erzählen wird dann auch szenisch bearbeitet. Manchmal ist es nur einer, manchmal drei oder vier, die das Projekt steuern. Einer macht Musik, der andere mehr szenische Sachen, der andere macht die Kostüme usw. Wir haben ja Glück, dass wir das durch das Quartiersmanagement finanziert bekommen, sonst würde das gar nicht gehen. Dadurch konnten wir uns auch wie ein Tintenfisch in dem Kiez ausbreiten und da und dort bestimmte Aspekte wie selbstbestimmtes Handeln entstehen lassen. Unsere Gesellschaft wird ja so fremdbestimmt, dass es ein bestärkendes Gefühl ist, wenn man plötzlich die eigene Kraft spürt, dass man auftreten kann, dass man was sagen kann, ich kann mit anderen gemeinsam etwas entwickeln, ich halte durch. Es gibt auch Frust. Aber wenn der Vorhang aufgeht, das Licht angeht, und dann die Älteren da sitzen und zugucken, dann ist der Frust vergessen. Die Kinder sehen, die Älteren können Geschichten erzählen, sie können was erfinden, sie können mit ihnen spielen, sie sind nicht irgendwie abgeschrieben. Sie sind lebendig und ein Bestandteil des Kiezes, in dem sie zur Geselligkeit beitragen, was mir sehr wichtig ist. Diese Form des Theaterspiels ist für mich auch eine Form von politischem Handeln. Dass man erlebt, dass Theater als Kunst nur funktionieren kann, wenn man zusammen spielt und wenn man den Dialog aufnimmt zu denen, die zuschauen.
Petra Sperling: Wir haben zwei Arten kennen gelernt, in einen Generationendialog zu gehen. Jetzt ist Zeit für Fragen und Anregungen. TN: Ich bin vom Mütterzentrum Mehrgenerationenhaus in Braunschweig. Frau Rüster, ich würde gerne wissen, ob man das auch ohne Fachkenntnisse umsetzen könnte? Barbara Rüster: Nein. Ursprünglich haben wir in Schulen gespielt. Dann wurde dies von Frau Laurien abgeschafft, die sagte, dass jeder deutsche Lehrer spielen könnte. Dass jeder Lehrer spielen kann und das nicht lernen muss, das finde ich nicht, weil das sehr kompliziert ist. Wenn man wirklich den Klassenverband im Spielen auflöst, was da alles an Emotionen hoch kommt und was alles passiert, das muss man echt lernen. Aber deswegen bin ich ja sehr froh, dass bei den Fachhochschulen auch sehr viele in Theaterpädagogik ausgebildet werden. Und es gibt außerdem immer Begnadete, die das können. Also sehr große Theaterleute hatten gar keine Ausbildung, die haben das einfach gemacht. Man sollte nicht sagen, dass es nicht geht, aber ich denke schon, es sollte eine Vorbildung geben. Ich habe Fortbildungen für Erzieher gemacht, damit Theater über sie wieder in die Kitas geht, und ich habe auch Lehrer fortgebildet, wir haben auch mit Lehrern und Erziehern zusammengearbeitet. Es gibt eben auch nicht die typischen Alten, eine ganze Reihe von ihnen ist quasi gar nicht alt. Timm Lehmann: Eine kurze Anmerkung zum Thema Fachhochschule: Wir haben bei uns im Mehrgenerationenhaus eine Kooperation mit der Evangelischen Fachhochschule, die genau so einen Studiengang haben. Die müssen auch etwas Praktisches machen, sodass sie ihren Praxisteil bei uns im Haus gemacht haben. Das könnte ein Potenzial sein, das man nutzen kann. TN: Ich arbeite im Quartiersmanagement. Meine Begeisterung spare ich mir jetzt auf Grund der Zeit, aber klasse! Ist in den Projekten die direkte Sprache zwischen den Generationen ein Thema? Das ist etwas, was uns gerade beschäftigt, weil wir wirklich Jugendliche haben die sagen,
also es gibt so viele Bücher über den Jugendslang, aber wir verstehen zum Teil die Alten gar nicht mehr mit ihren komischen Begriffen, die die haben. Ist das Problem da aufgetaucht? Oder gibt es andere Erfahrungen dazu? TN: Es gibt doch ein Wörterbuch, wo die ganzen Trendwörter drin stehen. TN: Es geht nicht um die Worte, die Trend sind, sondern es geht um ein Wörterbuch für die Jugendlichen, damit sie die ältere Generation verstehen. TN: Ich habe noch eine Frage an Bettina: Gibt es Ideen, von eher singulär inszenierten Begegnungen zu einer Regelmäßigkeit zu kommen? Bettina Zey: Wir sind ja gerade im Aufbruch, wieder daran zu arbeiten. Wir haben jetzt demnächst Begegnungen, das sind zusammengewürfelte Gruppen, Mitglieder von Seniorengruppen, die sich gar nicht untereinander kennen. Wir wissen nicht, wie viele Jugendliche kommen werden, vielleicht fünf, keine Ahnung. Aber in den Einzelgesprächen in den Pausen hat man die Chance, zu jemand hinzugehen. TN: Ich bin Projektkoordinatorin im Projekt „Agenda 2010“. Wir arbeiten genau so. Ich finde es spannend, über diese Kombination aus Zeitzeugenarbeit und Theaterprojekt zu hören. Unser Projekt ist auf 2 ½ Jahre angelegt, dass sie einander begegnen. Insgesamt sind es sechs Schulklassen, die sich jeweils bei einem oder zwei Treffen im Jahr begegnen. Wir haben einen Pool von 22 Freiwilligen, die dabei sind. Unsere Erfahrungen sind sehr unterschiedlich, weil die Klassen sehr unterschiedlich sind. Es gibt einerseits die Schüler, die so engagiert sind und auf die Erwachsenen zugehen, wie Sie es beschrieben haben. Aber es gibt auch andererseits eine Schulklasse, bei der ich aufgrund ihrer Stumpfheit doch sehr erschüttert war. Dieses Fernsehen! Die Kinder haben davon berichtet, dass sie abends um 23 Uhr Wrestling gucken. Und in der Art und Weise sind sie auch miteinander umgegangen. Das war eine ganz große Schwierigkeit, da Ruhe herzustellen, um überhaupt das Erfahrungswissen der Älteren zum
Vorschein zu bringen, was ja das Anliegen des Ganzen war, und überhaupt eine Kommunikation zu ermöglichen. Wir waren bei dieser Klasse eher mit Konfliktmanagement beschäftigt. Wir haben da eine Emotionsdusche gemacht, um eine positive Atmosphäre herzustellen, damit da überhaupt menschlich was passieren konnte. Andererseits war eine projekterfahrene Klasse da, die fanden das ganz nett, wollten aber noch mehr machen, waren sehr engagiert. Das heißt, das Leistungsgefälle und die Anforderungen waren sehr unterschiedlich. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, ob man Theater nicht einfach auch so machen kann, ohne spezifische Ausbildung - da würde ich eindeutig Nein sagen. Aber ich merke, selbst unsere ausgebildeten Leute, die viele Projekttage an Schulen gemacht haben, können ihre Fähigkeiten noch weiterentwickeln, weil die Anforderungen an sie sehr unterschiedlich sind. Es ist aber auch ein Thema, welche Erinnerungen bei den Älteren hochgeholt werden. Wir machen deshalb extra Vorbereitungstreffen mit den Älteren, um erst mal ins Thema zu kommen. Mich hat es schon überrascht, was auf einmal bei dem Thema „Schule früher und heute“ alles bei den Älteren hochkam. Das müssen wir auf jeden Fall vorbearbeitet haben, damit sie da nicht im Übermaß in Tränen ausbrechen. Da sind einige Dinge zu beachten, weshalb es wichtig ist, dass es schon professionelle Leute machen. TN: Bei uns gibt es seit Kurzem ein Erzählcafé. Da wollte ich einfach mal etwas von den Erfahrungen der Senioren hören. Ich war total überrascht und auch schockiert, dass die 30- oder 40-Jährigen das Erzählcafé verlassen haben, weil die Senioren scheinbar cool und abgebrüht von der Judendeportation berichtet haben. Also wir mussten dann die Gefühle der jüngeren Generation aufarbeiten, das war für mich eine ganz neue Erfahrung, auf die ich nicht gefasst war. TN: Bei uns existiert ein Gesprächskreis zwischen den Generationen. Der entstand schon vor längerer Zeit. Wir bereiten die jeweiligen Treffen in Gesprächen mit den Senioren vor. Die Schule hatte zum Beispiel das Thema Nationalsozialismus mit den Schülern vorbereitet. Wir hatten Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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dann ein von der Schule und von mir angeleitetes Treffen, wo die Schüler und die Erwachsenen sich bei einem Kaffee vorgestellt haben. Dann haben wir zusammen zu dem Thema gearbeitet. Darüber ist übrigens auch ein sehr schöner Film entstanden, mit Erzähleinheiten. Nachher haben die Schüler die Geschichten in Schwarz-Weiß hinterlegt und immer mit Musik gewechselt. Das war sehr beeindruckend. Am besten läuft es, wenn eine Projektgruppe aus einer Jahrgangsstufe 8 oder 9 da ist und nicht eine ganze Klasse teilnimmt. Sonst ist da ständig Unruhe und die Schüler sind nicht so motiviert. Dieses Projekt Nationalsozialismus endete dann mit einer gemeinsamen Fahrt nach Weimar, weil die Schüler mit dem Film einen Preis gewonnen hatten. Während dieser Fahrt ist ganz viel aufgebrochen, bei den Schülern und bei den Erwachsenen, nachdem wir auch das Konzentrationslager dort besichtigt haben. Aber da war Zeit, das aufzufangen. TN: Was die Sprache angeht, stehe ich in der Mitte, ich verstehe manchmal die Jungen nicht und die Alten auch nicht. Aber als Problem ist mir das noch nicht begegnet. Ich glaube, der Schlüssel zum Verstehen liegt im gegenseitigen Respekt: Wenn ich verstanden werden will, muss ich mich bemühen, so zu sprechen, dass man mich verstehen kann. Das muss für alle gelten. Wir versuchen Nachhaltigkeit der Begegnungen uninszeniert hinzukriegen, indem wir unser Haus als Begegnungsstätte sehen, das sich aus einer Jugendeinrichtung entwickelt hat. Das Haus ist erst mal besetzt mit Kindern und Jugendlichen, als Mehrgenerationenhaus, das ist für ein Mehrgenerationenhaus ein Vorteil. Die Begegnung der Generationen findet vor Ort statt, da das Haus von allen genutzt wird. Und dort kann man sich am Tresen austauschen. Es geht darum, aktuelle Sachen aufzugreifen, Probleme mit der Schule, mit der Arbeit oder sonst was, dafür ist immer der Raum da. Barbara Rüster: Das mit den Zeitzeugen, das finde ich alles sehr wichtig. Wichtig ist auch die Balance, dass die Älteren sehen, aha, sie sind als Alte nicht mehr, was sie in der Vergangenheit waren.
TN: Ich würde gerne noch stärker hervorheben, dass bei diesem Beispiel die alten Menschen die Erfahrung haben machen können, dass sie jetzt agieren können, da sind, wach sind, eine Aufgabe oder eine Rolle haben. Ich denke, das ist bei diesem Projekt das Besondere, weil es in der Jetzt-Zeit erlebt wird und sie auch noch Lernen und Wachstum erleben können, dadurch, dass sie eben in diese Rollen reinfinden müssen. TN: Wir haben im Haus der Generationen und Kulturen Am Schlaatz gerade ein Projekt begonnen, das nennt sich „Gelebte Erinnerung“. Da geht es um einen ähnlichen Ansatz. In unserem Projekt geht es darum, dass Kinder einer 6. und einer 7. Klasse die Geschichte am Thema „Schulerfahrungen von Erwachsenen“ lebendig werden lassen. Da sind die Erwachsenen die Erzähler, die Kinder sind die Interviewer, und am Ende wird kreativ dargestellt, wie es damals war. Und damit soll auch die Geschichte des Stadtteils lebendig werden. Aber dann geht es im eigentlichen Hauptteil darum, dass die Kinder mit den Älteren zusammen die Schule der Zukunft erarbeiten und die Vision der Schule der Zukunft als Theaterspiel, als Skulptur oder als Bild oder als alles Mögliche umsetzen und präsentieren. TN: In Wiesbaden gibt es unheimlich viele jüngere Senioren, die ganz viele Fähigkeiten einbringen. Es sind jetzt „Singpaten“ entstanden, die in Kindergärten und Altenheime gehen und dort singen und klatschen. Andrea Brandt: Ich stelle heute das Patenschaftsprojekt „Biffy“ in Berlin vor. Ich reiche unseren Flyer herum und verweise auf unsere Homepage, die recht umfassend ist und auch einen kleinen Film enthält von einem Beispiel unserer Arbeit, ein Interview mit einer Mutter, einem Paten und einem Kind. Ich bin immer in einer Doppelfunktion unterwegs. Und zwar leite ich die Freiwilligenagentur in Kreuzberg-Friedrichshain, da gibt es eine gemischte Trägerschaft, aber der Hauptträger ist das Nachbarschaftshaus Urbanstraße. Biffy habe ich damals – Ende 2000 – für die Freiwilligenagentur als Einzelprojekt aufgebaut, das gab es in zwei
weiteren Stadtteilzentren in Berlin. Inzwischen ist daraus ein eigenständiger Verein geworden. Als die Förderung auslief, haben wir mit engagierten Eltern und Paten diesen Verein gegründet. Die Patenschaften bestehen zwischen Kindern etwa ab dem Schulalter, bis ungefähr 16 oder 17 Jahre, danach haben Jugendliche von sich aus kein Interesse mehr daran, meistens hört es schon ein Stück vorher auf. Aber wenn zum Beispiel mit 13, also zu Beginn der Pubertät, bereits eine Patenschaft besteht, dann besteht sie häufig auch über die Pubertät hinaus bis in die Erwachsenenzeit fort. Unsere längsten Patenschaften gehen mittlerweile 6 bis 7 Jahre. Es geht immer um 1:1-Beziehungen, also die freundschaftliche Beziehung, die ein Pate oder eine Patin zu einem Kind aufbaut. Die eine Seite sind die Erwachsenen, die im Alter von 21 oder Anfang 20 bis Ende 60 sind, sie sind häufig allein stehend und interessieren sich dafür, etwas mit einem Kind zu unternehmen. Auf der anderen Seite stehen zum ganz überwiegenden Teil allein erziehende Familien, die ihren familiären Hintergrund nicht in Berlin haben, wo Verwandte bzw. Großeltern in anderen Teilen Deutschlands leben, weshalb das familiäre Netzwerk fehlt. Es fehlt den allein erziehenden Eltern auch oft die Zeit, um sich ein soziales Netzwerk zu erschließen. Die Patenschaften zielen darauf ab, einmal in der Woche an einem Nachmittag gemeinsam etwas mit dem Kind zu unternehmen und im regelmäßigen Austausch mit uns und dem Elternteil zu sein. Daraus folgt, dass sie gemeinsam die Freizeit gestalten. Ein Pate, der sich für ein Kind interessiert, kommt erst einmal zu einem ausführlichen Erstgespräch zu uns. Eine Familie, die sich für eine Patenschaft interessiert auch. Die Paten werden dann an zwei Abenden darauf vorbereitet, was mit so einer Patenschaft auf sie zukommt. Auch mit den Eltern sind wir dann noch mal näher im Gespräch, dann bringen wir Vorschläge dafür, welche Konstellationen für uns denkbar sind. weil wir beide Seiten sehen, da könnten bestimmte Interessen passen, da könnte eine bestimmte Förderung passen. Für uns ist immer auch maßgeblich, dass die jeweiligen Wohnorte
nicht so ganz weit entfernt liegen, also dass es überbrückbare Entfernungen sind, damit sich die Kinder irgendwann auch selbstständig auf den Weg zu ihren Paten machen können. Ganz wichtig ist, dass diejenigen, die sich freiwillig dafür engagieren, zuverlässig sind. Es ist darauf angelegt, dass es mindestens erst mal über ein Jahr läuft. Häufig ist es so, wenn daraus eine stabile Beziehung und eine freundschaftliche Beziehung entstanden ist, dann läuft es sogar über mehrere Jahre. Wir haben im Moment etwa 110 Patenschaften, die wir begleiten. Die andere Koordinatorin und ich stehen für Gespräche bereit, für Konflikte, wir vermitteln zwischen beiden Seiten. Wir haben ein Begleitangebot, das heißt „Pasta für Paten“, wir laden andere Paten zu einem Essen ein, der Vorstand kocht. Da gibt es Austauschmöglichkeiten für die Paten untereinander. Vier Mal im Jahr gibt es Tea-Times, da kommen alle zusammen, die an dem Programm beteiligt sind und können sich an einem bunten Nachmittag begegnen. Es werden für Kinder ein paar Spiele angeboten. Es findet Austausch statt, wir machen das durch Namensschilder kenntlich, wer die Erfahrenen sind, die schon Patenschaften haben, sowohl Kinder als auch Erwachsene haben dann rote Schilder. An den grünen Schildern sieht man, dass jemand zur Vermittlung da ist. So kann man miteinander ins Gespräch kommen. Die Eltern kann man auch an einem andersfarbigen Namensschild identifizieren. Das ist der Rahmen. Wie gesagt, das Programm läuft seit Ende 2000. Wir haben inzwischen viele Nachfragen auf beiden Seiten, da macht sich sehr stark bemerkbar, dass Berlin sehr viele allein erziehende Familien hat. Auch für Migrantenfamilien ist das Angebot interessant, damit Kinder im Alltag mit einem deutschen Paten zum Beispiel mehr Deutsch sprechen können und dadurch eine andere, spielerische Art haben, um die Sprache zu lernen. Wenn sie in der Schule sind, bleiben sie häufig auf einem Sprachniveau, was noch ausreicht, um sich mit den Schulkameraden zu verständigen, aber die nächste Stufe erreichen sie nicht, weil bei ihnen zu Hause die Heimatsprache gesprochen wird.
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TN: Sie sagten, dass es auf beiden Seiten Bedarf gibt. Gibt es einen Überhang auf einer der Seiten? Andrea Brandt: Im Moment ist es so, dass es zahlenmäßig relativ ausgewogen ist, allerdings nicht in der räumlichen Verteilung. Das heißt, zum einen haben wir auf der Patenseite immer etwas mehr Nachfragen von Frauen, während auf der Familienseite die Nachfrage häufig nach männlichen Bezugspersonen höher ist. Das gilt besonders für Mütter mit Söhnen, denen schon in Grundschulen, in der Kita und im Hort männliche Bezugspersonen fehlen, weil dort das Personal überwiegend weiblich ist. Gerade wenn es zum Vater überhaupt keinen Kontakt gibt oder nur sehr sporadischen Kontakt, dann fehlt einfach eine männliche Bezugsperson. Die Mütter merken, dass sie diese Seite nur schwer ausfüllen können, weil Männer und Jungs ganz anders im Umgang sind. Sie sind häufig sehr viel körperbetonter, sehr viel sportlicher, rausgehen, sich austoben. Während die Mutter eine hohe Belastung durch ihre Berufstätigkeit, durch die Versorgung von mehreren Kindern hat. Sie muss den Alltag bewältigen, Haushalt, Schule, also der Belastungspegel der Mütter, die zu uns kommen, ist extrem hoch. Da ist der Wunsch nach einer Entlastung natürlich ganz stark. Und da trotzdem ins Gespräch zu kommen, dass es nicht vordergründig nur der entlastende Aspekt ist, sondern auch der Raum, was gemeinsam zu entwickeln, dass sich Freundschaft zwischen dem Kind und dem Erwachsenen entwickeln soll, dieser Beziehung auch Spielraum und Vertrauen zu geben, das ist natürlich von Familienseite erst mal ungewohntes Terrain, das zu betreten viel Mut erfordert. Die Frauen, die sich dafür interessieren, müssen manchmal warten. Diese Patenschaften sortieren sich sehr stark gleichgeschlechtlich, das heißt, da warten Frauen häufig auf Mädchen. Ein Junge will oft unbedingt eine männliche Bezugsperson, dann werde ich ihm nicht eine Frau vor die Nase setzen. Insofern haben wir da nicht unbedingt ausgeglichene Pools.
TN: In Wiesbaden gibt es ein nicht ganz vergleichbares Projekt, nämlich Leihomas oder Wunschomas, wo ein großer Überhang an jungen Familien ist, die älteren Menschen sich aber im Großen und Ganzen verweigern. Andrea Brandt: In Berlin haben wir mit über 800 Patenschaften den Großelterndienst. Wir arbeiten da auch immer mal eng zusammen mit einzelnen Patenschaftsprojekten, die es bereits gibt. Wir haben inzwischen auch schon die Gründung von kleinen, regionalen Berliner Projekten begleitet. Wir haben auch immer wieder Anfragen aus dem Bundesgebiet. Bei uns fokussiert sich das nicht so stark auf die Großeltern-Generation, sondern wir haben eigentlich in der mittleren Altersgruppe zwischen Mitte 30 bis Mitte 40 eine Häufung von nachfragenden Paten, weil das die Menschen sind, die für sich, wenn sie allein stehend sind, an die Grenze kommen, ob sie noch mal eine eigene Familie gründen. Sie sagen sich, das sieht vielleicht eher nicht so aus, aber sie hätten gerne Umgang mit einem Kind. Insofern ist das auch noch mal eine wichtige Zielgruppe, die sich stark damit identifiziert. Innerhalb dieser Paten sind homosexuelle Männer eine starke Gruppe. Sie sagen: Ich habe sonst überhaupt keine Gelegenheit mit einem Kind umzugehen und ich würde sehr gern einen Kontakt haben, wenigstens einmal in der Woche. Zum Glück besteht in diesem Punkt auf der anderen Seite die entsprechende Aufgeschlossenheit. Voraussetzung ist natürlich eine hohe Transparenz, die Lebenssituationen müssen bei beiden Seiten durchsichtig sein. Für uns sind deshalb auch ausführliche Gespräche und eine gute Vorbereitung notwendig, auch im Hinblick auf das Thema Kinderschutz, Kindesmissbrauch. Schon in der Vorbereitung ist das ein Thema, weil wir da nur durch eine hohe Transparenz ein gewisses Maß an Schutz geben können, der aber nicht vollkommen ist. TN: Hier steht, dass die Paten in einem Training geschult werden. Wie werden sie vorbereitet? Wie werden sie begleitet? Werden sie getestet?
Andrea Brandt: Nachdem sie zu einem sehr ausführlichen Gespräch zu ihrer persönlichen Situation und zu Informationen, die wir ihnen mit auf den Weg geben wollen, schon bei uns waren, kommen sie dann noch mal wieder als Gruppe von Paten zu einer Abendveranstaltung. Die Gruppe lernt sich kennen, wer will das noch machen, welche Motive stecken dahinter, jeder reflektiert noch mal, warum er das möchte und was er damit verbindet, was er für sich selber in so einer Patenschaft entwickeln möchte, wo sie die Grenzen dessen sehen, was sie einbringen wollen. Zum Beispiel kann das eine Vereinnahmung sein. Oder viele wollen nicht in eine reine Betreuung rein oder sagen, jetzt bin ich hier der Ersatz-Babysitter oder Bringedienst, also der Rahmen dieser Patenschaft muss klar werden, aber auch ihre Aufgabe. Es geht auch darum, dass Paten, die am Anfang in eine Familie kommen, erst mal wie ein Gast sind, aber in eine Rolle hineinwachsen, die annähernd eine familiäre Rolle ist. Und dass sie durchaus, wenn sie mit einem Kind alleine unterwegs sind, in eine erzieherische Rolle hineinkommen. Das heißt, sie müssen eine Vorstellung davon haben, wie sie mit solchen Situationen umgehen. Gleichzeitig braucht es immer diese Dreier-Konstellation, dass eine Mutter auch dahinter steht und das mit trägt bzw. damit einverstanden ist. Konflikte resultieren vor allem daraus, dass die Erwachsenen unterschiedliche Vorstellungen haben, so wie Paare auch unterschiedliche Erziehungs- oder Wertvorstellungen haben. Dann haben wir eine notwendige Funktion, wir erbitten oder fordern die regelmäßige Rückmeldung, damit wir einen Einblick haben, und wollen in Konfliktsituationen auch zurate gezogen werden. Wir hatten schon in der Vergangenheit dazu WorkshopReihen, wo Eltern und Paten zum Thema Konflikte eingeladen waren, z.B.: Wie kommunizieren wir wertschätzend miteinander?, Der Rollenwechsel in der Patenschaft. Damit beide Seiten ein Forum finden, wo sie miteinander sprechen können. Aber die Einzelbegleitung steht bei Einzelkonflikten im Vordergrund. Wir hören uns beide Seiten an und laden beide gemeinsam ein, um das Problem konfliktgerecht zu moderieren und zu lösen.
Das kann auch mal heißen, dass eine Patenschaft beendet wird. Das hängt sehr stark davon ab, wie gut sie miteinander in Kontakt kommen. Das hat ganz viel mit Beziehungsgestaltung zu tun, ganz viel mit Öffnung und Vertrauen, wie weit ich jemanden in meine Familie rein lasse. Ich wünsche mir vielleicht eine Entlastung, habe aber eine Grenze, wo sich jemand nicht einmischen oder mitbestimmen darf. Das ist für jemanden, der ein Stück Verantwortung übernimmt, an bestimmten Punkten ganz schwierig, so was braucht dann Klärung oder Moderation. Petra Sperling: Was bedeutet die demografische Veränderung für Nachbarschaftszentren? Es gibt immer mehr ältere Menschen, auch jüngere Menschen brauchen Aufgaben. Was bedeutet das und entsteht dadurch eine neue Aufgabe für uns? Herbert Scherer hat schon gesagt, dass es sein könnte, dass es heißt, die Nachbarschaftsheime springen auf alles an, was im Moment durch die Presse geht. Wie gehen Sie mit dem Gesamtthema Generationendialog und Generationenverantwortung um? TN: Es gibt eine große Sehnsucht nach heiler Familie, die wird von der Werbung viel genutzt. Ich denke, wenn jeder sich hinterfragt, hat er auch solche Anteile in sich. Die Menschen, die zu den Mehrgenerationenhäusern oder Nachbarschaftszentren kommen, kommen aus einem bestimmten Bedürfnis heraus. Es ist wichtig zu hören, was sie brauchen, um ein aktiver Teil dieser Gesellschaft sein zu können. Dafür müssen wir ihnen verschiedene Modelle anbieten. Das ist eine unserer wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben. Die Menschen sind häufig sehr einsam, das betrifft Junge und Alte, Menschen in völlig unterschiedlichen Lebenslagen. Wir haben bei uns oft junge Familien oder allein erziehende Frauen, die extrem einsam sind. Wir haben aber auch die alte Frau, die zu uns kommt, weil sie einsam ist. Wir sollten das Thema einfach angehen – ohne es zu idealisieren. Nicht jeder Kontakt zwischen Jung und Alt ist nett, es ist bestimmt auch nicht immer einfach, aber es kann auch sehr beglückend sein. Wir haben
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zum Beispiel auch eine Wunschgroßeltern-Vermittlung im Haus, da gibt es so wunderbare Beispiele, aber es gibt auch die gescheiterten Fälle. Barbara Rüster: Ich war sehr lange in meiner Hochschule, das ist ja ein Elfenbeinturm. Jetzt bin ich wieder in die Praxis gekommen und bin ein bisschen schockiert, was da passiert. In Berlin ist die Situation so, dass sich der Staat zurückzieht, weil es kein Geld gibt. Ich finde es wichtig, Forderungen zu stellen, Jugendhäuser, Nachbarschaftsheime, all diese Einrichtungen brauchen einfach Hilfen, also sie brauchen auch professionelle Schauspieler, Künstler, alles Menschen, die mit zupacken, damit es ein lebenswertes Leben ist. TN: Ich teile Ihre Auffassung vollkommen, nur nicht an einer Stelle, nämlich dass sich der Staat zurückzieht. Das wird immer gerne gesagt. Die Branche, die hier am weitesten ausgebaut wird, ist nach wie vor der Gesundheitsbereich, alles, was mit Sozialarbeit im weitesten Sinn und mit Bildung zu tun hat. Es ist einfach nicht wahr, dass sich der Staat zurückzieht. Es sind schon auch unsere Einrichtungen und Institutionen selbst, die ihre Möglichkeiten, die sie haben, nicht nutzen. Es wurden jetzt viele Möglichkeiten dargestellt, die es gibt. Ich glaube nicht, dass man dafür immer extra Geld braucht. Ich glaube etwas anderes, zum Beispiel in unseren Institutionen sollten nicht nur Sozialarbeiter und Erzieher beschäftigt werden. Es gibt einen eigenen Standesdünkel und ein eigenes Standesdenken, so wie in den Schulen auch. Schulen hindern sich oft selber daran, Künstler, Handwerker oder etwas anderes einzustellen, um den Alltag, und Theater ist auch irgendwie Alltag und Lebenserfahrung, reinzuholen. Das ist für mich der zentrale Punkt, dass wir verlangen, und das auch in unseren eigenen Institutionen realisieren, dass andere Berufsgruppen eine Chance haben bei uns, um etwas in Bewegung zu bringen. Vorhin wurde gesagt, ob Theaterarbeit jeder Sozialarbeiter oder jeder Fachmitarbeiter machen kann. Wer eine Idee dazu hat, glaube ich, kann das auch machen, außerdem kann er sich durch entsprechende Fortbildungen qualifizieren. Wir haben gerade in unseren Einrichtungen, den
Nachbarschaftsheimen, eine Menge von guten Beispielen, wo das erfolgreich von Sozialpädagogen oder Sozialarbeitern gemacht wird, die vorher keine Ausbildung in Theaterpädagogik gemacht haben. Natürlich ist das vorteilhaft, wenn man das dann auch noch kann. TN: Mir geht es um die Frage von Herbert Scherer, ob Nachbarschaftsheime bei aktuellen Themen auf den Zug aufspringen. Ich komme aus einem ganz anderen Bereich, ich bin die Gründerin des Tauschrings Charlottenburg. 1996 hatte ich ihn gegründet, das ist ein Non-Profit-Unternehmen, also Gelder fließen da gar nicht, sondern es geht wirklich um Ideen, um Kreativität. Und da kann ich nur sagen, natürlich sind die Nachbarschaftsheime dafür wichtig. Das sind die Orte, in denen sich so etwas realisieren kann. Vorher war ich in einem anderen Workshop, da ging es um niedrig schwellige Angebote in den Nachbarschaftshäusern. Bei Familien oder Alleinerziehenden liegt wirklich viel im Argen, die erreicht man nicht über Behörden oder Jugendämter, weil die da gar nicht hingehen, damit wollen sie nichts zu tun haben. Aber Sie erreichen sie über die Nachbarschaftsheime, indem dort Angebote sind, von denen Vater oder Mutter angesprochen werden. Deswegen finde ich Nachbarschaftsheime unbedingt wichtig, gerade für diese Angebote. TN: Wenn nicht wir, wer dann? Bei uns sollen Bedarf und Umsetzungsmöglichkeiten zusammenkommen, wenn es darum geht Vernetzungen herzustellen, um einen Ausweg aus der Einsamkeit zu finden. Wobei ich für uns diese Form von Projektwochen sehr gut finde, die wir haben. Es gibt ja viele Familien, die gar nicht in Nachbarschaftszentren gehen, wo die Kinder einfach vor dem Fernseher oder auf der Straße abhängen. Da merke ich, wie viel Potenzial da ist, was alles zu tun wäre. Diese Kinder aus den Klassen haben offensichtlich wenig Gelegenheit zu Konfliktgesprächen mit ihren Eltern, überhaupt zu Gesprächen, überhaupt von den Erwachsenen angesprochen zu werden. Manche Kinder mussten erst einen Moment überlegen, dann wurden sie noch mal gefragt, noch mal gefragt, es wirkte so, als müssten sie sich erst an die Situation gewöhnen, ein persönliches Gespräch zu haben.
Wir haben innerhalb dieser Projekttage ein Konfliktgespräch gemacht, denn in der Schulklasse war es so, dass über mehrere Jahre bestimmte Konflikte gedeckelt worden sind, damit sie überhaupt ihren Lehrstoff schaffen. Wir haben uns gewundert, warum da nichts passierte, warum jeder für sich ein kleines Atom war und die alle immer aneinander schlugen. Wir haben versucht, diese Arbeit zu machen, und ich habe den Eindruck, dass man als Nachbarschaftszentrum noch mehr in diese schwierigen Verhältnisse reingehen könnte. Wir könnten mit Familien und Kinden, die sonst nichts mit anderen Einrichtungen zu tun haben, viel mehr machen. Da ist noch ganz viel Potenzial. Andrea Brandt: Ich denke, dass Nachbarschaftshäuser genau der Ort sind, an dem jeder seine Ideen einbringen und ausprobieren kann, was er oder sie zusammen mit anderen auf die Beine stellen kann. Und zwar eigenverantwortlich und mit Unterstützung. Nachbarschaftshäuser sind aber auch ein Forum für Menschen, die sich begegnen. Auf der anderen Seite müssen wir als Träger aber auch selber nach außen gehen um zu gucken, welche Initiativen wir im Stadtteil noch anregen können, wofür es ein Potenzial an interessierten Leuten gibt. Selbstverständlich muss ein Nachbarschaftshaus immer auch Entwicklungstrends aufnehmen. Was ich mir aber aus den Erfahrungen der letzten Jahre Nachbarschaftsarbeit wünsche, ist an bestimmten Punkten wieder mehr Beständigkeit. Denn da ist eine Schnelllebigkeit reingekommen durch Projekte und Akteure, die nur kurze Zeit da sind. Das finde ich nicht gut. Initiativen fangen an, sind aber oft gleich wieder beendet. Dann ist etwas Gutes angestoßen, aber es geht nicht weiter. Diese ganz kurzen Laufzeiten bekommen Menschen nicht gut. Wir haben in der Freiwilligenagentur auch ein Projekt für Lernen durch Engagement, wo es einfach darum geht, dass Menschen über einen bestimmten Zeitraum die Chance haben in ihren Vorhaben begleitet zu werden und herauszufinden, was ihnen so ein freiwilliges Engagement bringen kann. Auch vielleicht in Bezug auf eine Perspektive, die sie suchen, weil sie erwerbslos sind.
TN: Ich habe mit Klaus Dörner gesprochen, das ist der ehemalige Leiter der Westfälischen Klinik für Psychiatrie in Gütersloh. Er beschäftigt sich jetzt ganz intensiv mit dem eigenen Altwerden. Der Zusammenhang, in dem er das tut, ist interessant: Er beschäftigt sich mit Nachbarschaft. Er sieht die Nachbarschaft als den unbedingt notwendigen dritten Sozialraum an, neben einem privaten und familiären und einem gesellschaftlichen und öffentlichen Sozialraum. Aus seiner Sicht ist genau dieser nachbarschaftliche Sozialraum das Herzstück jeder Gesellschaft, weil in diesem Raum Beziehungen entstehen und die physischen Grenzen von Familie durchlässig und zugleich gestärkt werden. In diesem Raum wird geleistet, was Familie nicht leisten kann, aber was auch der öffentliche Raum nicht leisten kann. Er bringt es so auf den Punkt: In diesem Raum geben wir uns gegenseitig Bedeutung. Klaus Dörner hat ein Buch herausgegeben, mit dem Titel „Leben und Sterben wo ich hingehöre“, da fasst er das alles zusammen. TN: Ich glaube, das stimmt unbedingt, dass Nachbarschaften sehr wichtig sind, für die Menschen Kontakte und damit Bedeutung zu stiften. Aber Nachbarschaften müssten möglicherweise auch dort geschaffen werden, wo sie eben nicht oder kaum existieren. TN: Ich möchte noch mal eine Überlegung dazu anstellen: wie führt der Weg zum Geld? Das geht nur, indem wir uns um Trägerschaften und Einrichtungen bemühen, indem wir unabhängig werden, indem wir die Chancen, die gerade da sind, nutzen. Schulsozialarbeiter, da wird es demnächst – nicht nur in Berlin – viele Stellen geben. Rein in die Schulen als Nachbarschaftszentren. Kindertagesstätten gründen oder übernehmen. Ganztagsbetreuungen an Schulen, rein, die Schule könnte schlechthin zu dem Ort der Nachbarschaft oder des Stadtteils gemacht werden, mit unserer Unterstützung, eine komplette vorhandene Infrastruktur könnten wir nutzen. Es ist auch mein dringender Wunsch, dass Nachbarschaftszentren Trägerschaften übernehmen, weil das der Weg sein wird, wie wir stark werden.
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TN: Guckt man mal kritisch hin, dann ist heute ein Großteil der sozialen Einrichtungen sehr isoliert. Auch wenn in Altenheimen oder in Pflegeheimen, im Kitabereich schon sehr viel geschehen ist, sind aber Seniorenheime fast geschlossene Einrichtungen. Sie sind nur für eine bestimmte Zielgruppe geöffnet und die damit verbundenen Besucher. Das ist eine Entwicklung, die wir bremsen müssen, weil der größte Teil unserer Professionalität in solchen Einrichtungen eigentlich für das Gemeinwohl gar nicht zur Verfügung steht. Aber das ist eine wichtige Ressource. Deshalb ist es so wichtig, dass die Nachbarschaftseinrichtungen ihren Sozialraum in ihre Arbeit einbeziehen. Das ist ihre große Chance. Wir müssen diesen Paradigmenwechsel vollziehen, ältere Menschen nicht als Belastung, sondern als Chance für eine Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements zu sehen. Andrea Brandt: Als Freiwilligenagenturen sind wir einerseits mit diesen ganz vielen verschiedenen Bereichen konfrontiert. Zum anderen eröffnen sich aber auch neue Handlungsfelder, ob das die Pflege der Senioren ist, ob das die Familien oder die Kinder sind, also da taucht das alles auf. Da ist natürlich bürgerschaftliches Engagement überall vorhanden und auch der Wunsch, Bereiche zu wechseln und in verschiedene Bereiche hineinzuschnuppern. Ich sehe es als unsere Aufgabe an, dafür Infrastruktur zu schaffen und die Fähigkeit der Leute zu stärken, selbst zu reflektieren, wie sie ihr Engagement oder ihr Ehrenamt gestalten wollen. Es gibt den ganz starken Wunsch nach Unterstützung, gerade bei kleinen Initiativen. Den nehmen wir zum Beispiel gerade mit Seminaren auf. Da geht es um Fragen wie: wie kann ich meine Vorstellungen kommunizieren und in eine Einrichtung hineintragen. Und umgekehrt, wie können Einrichtungen, die oftmals zunächst eine Scheu vor neuen Gruppen haben, den Umgang damit lernen, und gerade kleinen Initiativen eine Chance geben, den Zugang zu Nachbarschaftshäusern zu finden. Wir haben dazu gerade ein kleines Projekt abgeschlossen, woraus ein Leitfaden entstanden ist, wie man Freiwillige gut einbinden und vermitteln kann. Das sind die Bausteine, die die Gruppen auch ein Stück weit zueinander führen.
Fotos von Angela Kröll zum Beitrag von Barbara Rüster
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SOS- Eltern in Not Hilfe und Selbsthilfe
Inputs: Manja Mai (Outreach) und Ute Wollburg (Marzahn) „Zeig Courage - Selbsthilfegruppe von Eltern, deren Kinder Opfer von Gewalt geworden sind“ Josella Stolz (Tauschring Charlottenburg) „Ein Tauschring als Selbsthilfeinitiative armer Menschen - geht das?“ Dirk Fischer (ehem. Exit) „Hilfe für Eltern (rechts-)extremistisch orientierter Jugendlicher“ Moderation: Herbert Scherer
Manja Mai: Wir wollen das Projekt „Zeig-Courage“ gemeinsam vorstellen. Ich werde den Part übernehmen, wie kam das Jugendprojekt dazu, wie ist die Initiative entstanden, was haben wir begleitet, was haben wir getan. Und Frau Wollburg erzählt über die Initiative, was die Intention war, was sie erlebt hat. Im Frühjahr 2007 hatten wir im Stadtteil Marzahn große Probleme mit Gewalt. Es ging dort um Schutzgelderpressungen an Schulen und zwar im großen semiprofessionellen Maßstab. Abziehen von Jugendlichen als Volkssport sozusagen. Es war aber so, dass das offensichtlich vonseiten der Polizei wenig wahrgenommen wurde,
sondern eher vonseiten der Sozialarbeiter und der Betroffenen. Aber es gab keinen öffentlichen Skandal und keine öffentliche Diskussion darüber. Wir haben mit Eltern von Jugendlichen, die uns auch bekannt waren, darüber diskutiert. Es gab keine offizielle Runde, sondern es war Teil unserer Arbeit, uns oft mit Eltern zu unterhalten und mit ihnen in die Diskussion zu kommen. Wir haben uns gefragt, was man jetzt tun kann und welche Wünsche Eltern haben. Und welche Erfahrungen von Eltern gibt es bereits? Ute Wollburg: Unsere Erfahrung war, dass Opfer immer sehr wenig Hilfe bekommen. Es dreht sich immer viel um den Täter. Wir haben uns gedacht, nein, so soll das nicht sein, wir wollen das so nicht mehr. Deshalb kam uns die Idee mit der Elterninitiative. Wir hatten aber noch keine konkrete Vorstellung davon, wo und wie man am besten ansetzt. Dann haben wir uns Unterstützung von außen geholt. Manja Mai: An dieser Stelle sind dann wir ins Spiel gekommen, weil wir auch am Entstehungsprozess dieser ganzen Geschichte beteiligt waren und die Eltern Vertrauen zu uns hatten. Was kann man machen? Wie gründet man eine Initiative? Wohin kann man sich wenden? Wo kriegen wir mal Räume? Wir wollten ein großes Netzwerk aufbauen und haben Pläne, aber wie können wir vorgehen? Das war erst mal ein ziemlich großer Berg, aber auch eine sehr große Motivation vonseiten der Eltern. Wenn niemand da ist, um das zu strukturieren oder zu unterstützen, dann kann es auch sein, dass es einfach ins Leere läuft. Die Unterstützung haben wir als unsere Aufgabe gesehen. Wir sind ja wirklich in erster Linie für Jugendliche da und nicht für Eltern. Aber in dem Fall wollten wir dafür sorgen, dass es zum Laufen kommt, damit die Eltern auch selbstständig agieren können. Unsere Aufgabe war, das Know-How zu vermitteln, Finanzierungswissen, wie schreibt man einen Antrag, wo kann man sich hinwenden. Die zweite Aufgabe war, die Initiative bekannt zu machen. Wie kann man die vielen Fachrunden der Sozialarbeit erreichen? Die ganze Jugendsozialarbeit wird
vernetzt und alle reden miteinander, aber häufig sind diejenigen, die aus ihrer eigenen Erfahrung sprechen können, nicht dabei. Und der Zugang ist für diese Leute oft auch schwierig. An den Fachrunden teilzunehmen, war manchmal schon nicht so einfach oder den Zugang zu finden. Das war der andere Teil, bei dem wir Unterstützung gegeben haben. Wir haben einen Antrag gestellt bei den Gesellschaftern, also bei der „Aktion Mensch“, darüber sind wir ein Jahr finanziert worden. Finanziert wurde der Aufbau einer Internetseite zu dem Thema Notfalltelefon und Informationsveranstaltungen, das war ein Wunsch der Eltern. Herbert Scherer: Also eher Kleingeld. Manja Mai: Aufwandsentschädigungen, auch für die Eltern, die sich ja mit großem Engagement in diese Sache reingeworfen haben. Ute Wollburg: Wir haben erst mal eine Internetseite geschaltet und ein Notfalltelefon eingerichtet. Durch Flyer haben wir bekannt gemacht, wie man uns erreichen kann. Dann haben wir Kontakt zum Weißen Ring aufgenommen und zum Jugendamt, um ihnen allen mitzuteilen, dass es uns gibt und was wir vorhaben. Wir haben auch immer wieder um Unterstützung gebeten, was an vielen Stellen nicht immer geklappt hat. Dann ging es auch relativ schnell, dass sich die ersten Familien wirklich an uns gewendet haben, denen haben wir – soweit es ging und soweit sie es gewünscht haben – unter die Arme gegriffen. Ob das erst mal nur ein Gespräch war oder ein Gang zur Polizei. Viele sträuben sich dagegen, eine Anzeige zu machen. Wir haben ihnen auch vermittelt, dass es sehr wichtig ist, sich als Opfer nicht zu verstecken, sondern die erfahrene Gewalt immer wieder zur Sprache zu bringen. Wir haben die Leute begleitet und gesehen, wie man sich meistens in solchen Situationen verhält und dass man als Opfer nicht schweigen sollte. Denn häufig erfährt man von diesen Dingen gar nichts. Selbst wenn man fragt, kriegt man in der Regel ausweichende Antworten
TN: Könnt ihr etwas darüber sagen, wie alt diejenigen waren, die abgezogen haben, und wie alt die Kinder waren, die abgezogen wurden? Ute Wollburg: Beide Gruppen waren ungefähr in demselben Alter, zwischen 16 und 25 Jahre. TN: Also nicht die Kleinen, die man abgreifen kann. Ute Wollburg: Nee, nee. Manja Mai: Gerade im Rahmen dieser Schutzgeldgeschichte ist eine Menge passiert. Die Frauen aus dem Projekt sind zu den Eltern nach Hause gegangen, denn über ihre eigenen Kinder wussten sie ja, wer abgezogen worden ist, wer erpresst wurde. Wir wussten auch, wer die Täter sind. Wir haben eine Veranstaltung mit der OGJ gemacht, das ist die Operative Gruppe Jugendgewalt, Zivilfahnder von der Polizei. Die haben auch erklärt, wie wichtig es ist, dass wir eine Anzeige machen, weil sie ohne Anzeige nicht reagieren können. Innerhalb relativ kurzer Zeit ist ein bis dahin als unbescholten geltender junger Mann dann als Mehrfach-Intensivtäter erkannt geworden, weil die Eltern dann doch Anzeige erstattet haben. So konnte dann diese Schutzgeldgeschichte beendet werden, zumindest vorläufig. Ute Wollburg: Die Erpressungen haben im großen Rahmen stattgefunden. Es sind Eltern bedroht worden. Von einer Mutter wurde der Sohn erpresst, aber er hat sich geweigert zu zahlen. Daraufhin wurde die Mutter vor der Kaufhalle zusammengeschlagen, um dem Sohn mehr Druck zu machen. Diese massive Gewalt hat uns veranlasst in die Familien zu gehen und dort zu sagen: Ihr müsst das anzeigen. Viele hatten Angst, was man in so einer Situation ja auch verstehen kann. Aber wir haben ihnen erklärt, lieber jetzt noch mal kurz Angst haben als vielleicht noch über Monate oder Jahre Angst. Denn wenn das nie einer zur Sprache bringt, wird es nie besser werden. Nachdem der Kopf dieser Bande gefasst worden war, kehrte einmal ganz schnell wieder Ruhe ein. Zu dem Zeitpunkt waren wir drei Eltern bei „Courage“. Manche Eltern wollten für einen Notfall zur Verfügung stehen. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Workshop SOS - Eltern in Not
SOS - Eltern in Not
TN: War die Schule nicht auch involviert? Ute Wollburg: Zum Thema Schule: Diese Abzieherei war auf der Schule meiner Tochter. Die stand daneben, wie da jemand abgezogen oder erpresst wurde. Daraufhin ist sie zum Direktor gegangen. Da wurde ihr erklärt, dass das vor der Tür stattfindet und sie damit als Schule nichts damit zu tun haben. Ich habe meine Tochter dann versucht zu überzeugen, dass sie am nächsten Tag noch mal zu ihrer Schulsozialarbeiterin geht und dort noch mal mit Nachdruck sagt, dass es zwar vor der Tür passiert ist, es aber ein Schüler aus ihrer Schule war. Das hat sie dann auch getan, glücklicherweise hatte sie den Mut. Am nächsten Tag hat sie das gleich angezeigt. Daraufhin war die Schule dann sehr wohl involviert. Aber – ja, da kam nicht allzu viel. TN: Wie habt ihr euch sachkundig gemacht, woher hattet ihr die notwendigen Informationen, um Eltern Hilfestellung leisten zu können? Zum Beispiel wie das mit der Anzeige läuft, wie von den Gerichten damit umgegangen wird, wie die Polizei damit umgeht, usw. Hattet ihr Fortbildungen? Ute Wollburg: Wir hatten einfach das große Glück, dass von Anfang an die Presse auf uns zugekommen ist. Dadurch haben wir viele Kontakte gekriegt, auch zur Polizei, zur Gewerkschaft der Polizei. Aus solchen Gesprächen konnten wir natürlich für uns ganz viel Material mitnehmen, ganz viel Hintergrundwissen. Man erfährt als Initiative natürlich auch viel mehr, als wenn ich nur als Mutter irgendwo hingehe und Hilfe will. Oder wenn wir jemanden zum Gericht begleitet haben, dann haben wir meistens die Gelegenheit genutzt und einen Jugendrichter mit unseren Fragen gelöchert. So haben wir uns eben unser Wissen angeeignet. Wir haben auch bei Outreach immer wieder nachgefragt. Oder beim Jugendamt. Das hat ganz gut geklappt, wir haben dort viele Informationen bekommen. TN: Ihr habt mit dem Jugendamt gute Erfahrungen gemacht?
Ute Wollburg: Mit der Mitarbeiterin vom Jugendamt, mit der wir zusammengearbeitet haben, schon. Die war sehr kooperativ. Herbert Scherer: Das kannst du bestätigen? Manja Mai: Ja, im Prinzip schon. Jetzt kommen wir wieder zu unserem Anteil. Wichtig dabei war, dass die Eltern plötzlich Fälle auf dem Tisch hatten und damit nicht umzugehen wussten. Sie waren nicht ausgebildet, wussten sich nicht zu schützen. Zum Teil sind sie vom Jugendamt benutzt worden. Die waren zwar freundlich, aber sie waren auch einfach nur froh, dass sie bei jemandem Fälle abladen konnten. Unsere Funktion in dem Konstrukt bestand darin, dass wir so etwas wie Supervision gemacht haben. Eltern können sich an manchen Stellen nicht abgrenzen. Sie wissen auch nicht, wann es besser ist, etwas in bestehende Systeme weiterzuleiten, und wann man neue Wege suchen sollte. Wir haben uns regelmäßig getroffen, haben gefragt, was inzwischen an Neuem passiert ist. Was in den Familien passiert ist oder in den einzelnen Institutionen Das war als Unterstützung gewünscht, um da eine Linie reinzukriegen. Es kamen Bemerkungen wie: Ach ja, da haben wir uns an der Stelle ganz schön übernommen, da wissen wir nicht weiter. Dann gab es auch Schwierigkeiten innerhalb des Stadtteils, weil die betroffenen Eltern, die Fälle, ja auch direkt aus dem Stadtteil kamen. Das war manchmal schwer auszuhalten für die Eltern. Da haben wir versucht, einen Schutz aufzubauen. Insgesamt ist das sehr gut gelaufen, es ist sehr viel passiert. Ein Punkt war noch wichtig: die Öffentlichkeit. Wenn man in sozialen Projekten arbeitet, dann weiß man, wie schwierig es manchmal ist, die Presse zu aktivieren. In dem Projekt war es so, dass die uns überrannt haben. Wir haben wirklich viel Unterstützung erfahren. Es bestand ein breites Interesse an dem Thema Opfer oder an dem Thema Courage. Manche Eltern haben die Öffentlichkeitsarbeit abgelehnt, weil sie sich die entweder nicht zutrauten oder sie wollten sich nicht vorführen lassen. Das war dann auch in Ordnung.
Obwohl sich das alles toll anhört, wollen wir mit den Schwierigkeiten nicht hinter dem Berg halten. Plötzlich hatten wir nämlich die folgende Situation: Was macht eine Eltern-Initiative, wenn die Eltern anfangen sich zu streiten? Sie wollten plötzlich nicht mehr miteinander reden, die Positionen und Motivationen veränderten sich. Das war schwierig. TN: Das war oder ist schwierig? Manja Mai: Wir haben uns in der Situation aus der Initiative als Berater zurückgezogen, weil es nicht unsere Initiative ist. Nicht wir gestalten sie, sondern die Eltern müssen selber eine Möglichkeit oder eine Lösung finden. Sie können diese Initiative weiterführen, auch wenn man sich nicht immer mag, sie kann ein loses Netzwerk sein, wo es um die Sache geht und nicht nur um einzelne Personen. Herbert Scherer: War die Initiative vielleicht zu erfolgreich und jetzt gibt es gar keinen Außenfeind mehr? Wenn der Druck, was zu tun, ganz groß ist, dann muss man sich einigen. Aber wenn man sich nur so trifft, … Manja Mai: Vielleicht ist ein Problem: Wenn man zu viel Öffentlichkeit bekommt, verleitet das auch. Es verleitet z.B. zur Egopflege. Dann verändern sich durchaus die Motivationen von Eltern, wenn die Selbstdarstellung wichtiger wird als das Thema an sich. Das war der Punkt, an dem wir gesagt haben: Wir wollen das gerne weiter unterstützen, aber vielleicht muss sich das mit den Eltern erst mal ohne uns zurechtrütteln. Die Frage ist jetzt: Wie kann so eine Initiative, die von unten entsteht, die sich verändert und sich verändern muss, weiterhin Bestand haben oder eine neue Qualität entwickeln? Frau Wollburg organisiert zusammen mit einer Jugendeinrichtung Anti-Gewalt-Tage an einer Schule in Marzahn, zwei Mal im Jahr. Das Thema Gewalt ist ja kein Thema, was vom Tisch verschwindet oder uns nicht mehr begleitet – bedauerlicherweise ist es weiterhin ein aktuelles Thema. Vielleicht können wir im nächsten Jahr berichten, wie sich die Initiative entwickelt hat.
Herbert Scherer: Jetzt kommen wir zu Frau Stolz und dem Tauschring Charlottenburg. Wir haben uns verständigt, dass wir das im Dialog machen. Der Tauschring Charlottenburg-Wilmersdorf ist ja ein bisschen anders entstanden, Frau Stolz, als manche anderen, aber Sie hatten vorher auch schon in andere reingeschnuppert? Josella Stolz: Meine ersten Informationen über Tauschringe bekam ich in Form einer Broschüre der Kreuzberger Gruppe „Ohne Moos geht’s los“. Das hat mich wirklich interessiert, weil ich gedacht habe: Was, ohne Geld, das muss ja toll sein. Der Familientreff in der Ufa-Fabrik hatte die Idee, dort einen Tauschring zu etablieren. Das ging mit Informationsveranstaltungen los, die ich aber auch nur mit Unterstützung des Verbandes machen konnte, weil ich dort am Computer arbeiten konnte und kostenlos Papier, Sachmittel etc. bekommen habe. Das Ganze ging zehn Monate, bis der Stammtisch-Tauschring in Tempelhof entstand. Und dann kam mir die Idee, das war Anfang 1996, das auch in Charlottenburg zu machen. Herbert Scherer: Das hing damit zusammen, dass Sie in Charlottenburg wohnen. Vorher ging es eher darum, irgendwo tätig zu sein, danach aber auch außerhalb von einer bezahlten Tätigkeit zu sagen, ich suche Leute, die in einer ähnlichen Lage sind wie ich, nämlich dass wir kein Geld haben. Josella Stolz: Richtig, ja, so war es vordergründig. Und da waren eben die Ansprechpartner für Tauschringe und für andere soziale Initiativen die Nachbarschaftshäuser. Da muss ich auf das zurückkommen, was Sie bei der Eröffnung gesagt haben: Springen Nachbarschaftshäuser auf jeden Zug auf, der in den Medien gerade aktuell ist? Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Dazu kann ich nur sagen: Nachbarschaftsheime sind sehr wichtig, weil da wirklich etwas von unten nach oben passiert. Und es sind sogar die einzigen Orte, die für niedrig schwellige Jugendangebote oder auch für Tauschringe ideal sind. Herbert Scherer: Sie haben damals von dem Nachbarschaftshaus manchmal eine gewisse Unterstützung gekriegt, nicht immer, wenn ich mich recht erinnere.
sen Flyer hatte ich im Kiez ausgehängt, die Leute haben ihn gelesen und sind auch gekommen. Nach der ersten Infoveranstaltung sind gleich fünf Leute eingetreten, also die ersten fünf Mitglieder. Das war vor zwölf Jahren, 1996. Heute hat der Charlottenburger Tauschring 300 Mitglieder, Tendenz steigend. Gerade in der letzten Zeit gibt es einen größeren Zulauf. Herbert Scherer: Wer managt den Tauschring? Das machen Sie oder machen das auch noch andere?
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Josella Stolz: Ja, das war manchmal sehr schwer. Herbert Scherer: Das war sehr schwer, weil auch Nachbarschaftshäuser manchmal ihre eigenen Pläne in den Vordergrund stellen. Diese Initiative war wirklich eine Initiative von unten – und eine Initiative von unten ist auch immer ein bisschen lästig. Josella Stolz: Ja, das stimmt. Herbert Scherer: Wie haben Sie es geschafft, andere Leute zu finden, die da mitmachen? Und was sind das für Leute? Josella Stolz: Ich habe im Verband das Informationsmaterial erstellt, habe mich am Haus am Lietzensee darum gekümmert, dass ich am Wochenende einen Raum bekomme. Die haben dort ein Treffpunkt-Café, wo ich eine Informationsveranstaltung über Tauschringe abgehalten habe. In eigener Regie habe ich das publik gemacht, bin durch den Kiez gegangen und habe an jedem Baum einen Zettel angebracht. Ich war sehr gespannt, was sich dann tut. Aber es kamen gleich von Anfang an ziemlich viele Leute, mehr als 10, was sehr überraschend war. Ich fand das damals viel. Ich dachte, na gut, das ist ja mal ein Anfang. TN: Was stand auf den Zetteln? Josella Stolz: Ich kann ja mal so einen Flyer rumgehen lassen. Das ist eine generelle Information über Tauschringe: was ist ein Tauschring, was macht ein Tauschring? Die-
Josella Stolz: Ich bin nicht der Tauschring, der Tauschring sind wir alle. Wir haben Arbeitsgruppen gebildet. Eine Gruppe für die Zeitung, es gibt Arbeitsgruppen für die Talerkonten, für die Eurokonten. Man muss wissen, wer hat was getauscht, das muss nachvollziehbar sein. Wir haben so eine Art Scheckheft, da gibt es ein Kontenblatt, damit jedes Mitglied nachvollziehen kann, was getauscht wurde, sind meine Taler ordentlich abgerechnet worden. Das ist doppelte Buchführung, weil es immer drei Abschnitte gibt, einmal für die zwei Teilnehmer, die tauschen, einen Abschnitt für das Tauschringbüro. Da kann man jeden Monat in der Tauschringzeitung nachschauen, ob die Taler ordentlich abgerechnet sind. Meistens stimmt es. Für den Fall, dass was nicht stimmt und es Streitigkeiten gibt, haben wir auch eine Schlichtungsstelle mit einer Diplom-Psychologin. Da wird versucht, auf einen Nenner zu kommen und wieder gut auseinander zu gehen. Und das funktioniert. Herbert Scherer: Wie viele von den 300 Mitgliedern sind richtig aktiv dabei? Josella Stolz: Aktiv dabei sind ungefähr 80 Mitglieder. Herbert Scherer: Was kostet das? Josella Stolz: Das kostet 18 Euro im Jahr, d.h. monatlich 1,50 Euro. Wenn jemand meint, er hat kein Geld, dann ist mein Argument: 1,50 Euro im Monat, das kann doch wohl nicht sein, dass jemand die nicht aufbringt. Wenn ich das vorrechne, dann klappt das auch.
Probleme gibt es natürlich trotzdem, angefangen bei dem Mitgliedsbeitrag, der einmal im Jahr fällig ist, diese 18 Euro. Häufig wird die Zahlung vergessen, weil sie nur einmal im Jahr fällig ist. Inzwischen machen wir mit neuen Mitgliedern eine Einzugsermächtigung.
ren bekommen. Das Zwischenmenschliche ist ganz toll, was da passiert. Tauschen ist ja eine Vertrauenssache, deswegen einmal im Monat auch der Tauschrausch, denn wenn ich jemanden persönlich kenne, dann habe ich ein anderes Vertrauen, als wenn ich nur eine anonyme Anzeige lese.
Herbert Scherer: Was wird davon bezahlt? TN: Ist dieser Tauschring für alle Bezirke? Josella Stolz: Von diesen 18 Euro wird die Miete bezahlt, das sind 50 Euro pro Monat, die wir an das Nachbarschaftshaus zahlen. Aber dafür haben wir dort unser Büro jeden Mittwoch von 18 bis 20 Uhr. Das ist also immer ein fester Anlaufpunkt. Hinzu kommt jeden zweiten Montag im Monat der „Tauschrausch“, wo die Leute Sachen mitbringen und tauschen. Der eine hat einen neuen Besen, die andere eine Tischdecke, alles mögliche, alles, was man im Leben braucht. Und jeden dritten Montag im Monat haben wir für die Aktiven unser Organisationstreffen. Herbert Scherer: Was für Leute machen da mit? Josella Stolz: Es sind sehr viele arme Leute, sehr viele Arbeitslose, aber auch sehr viele Leute, die fest im Beruf stehen, die gut verdienen, momentan haben wir sogar einen pensionierten Professor drin, also ich bin begeistert. Es gibt auch wirklich gute Fachleute für praktische Dinge, dadurch gibt es ein so großes Potenzial an Tauschangeboten von A bis Z. Es ist ja so, die Arbeit geht nicht aus, nur die Lohnarbeit geht aus, aber Arbeit gibt es mehr als genug. TN: Im Laufe der Zeit steht gar nicht mehr der Tauschring im Vordergrund, denn es entstehen ja auch Freundschaften. Josella Stolz: Ja, gut, dass Sie es ansprechen. Das ist eigentlich das Tollste am Tauschring, was mich auch sehr froh macht. Es sind ziemlich viele Menschen aus Charlottenburg drin, aber auch aus Wilmersdorf, die normalerweise aneinander vorbeigelaufen wären, obwohl sie um die Ecke wohnen. Und es sind Freundschaften entstanden. Wir haben sogar zwei Tauschring-Kinder in den zwölf Jah-
Josella Stolz: Das ist der Tauschring Charlottenburg-Wilmersdorf. Da können auch andere kommen, wenn sie wollen. Aber man muss dazu sagen, Tauschringe machen nur vor Ort richtig Sinn, denn je länger die Wege sind, umso mehr verliert sich die Sache im Sande. Wir haben jetzt zum Beispiel jemanden aus Tempelhof, der ist bei uns eingetreten. Dann ruft jemand wegen seines Computers an und sagt: Können wir das nicht telefonisch machen? Das ist aber eine ältere Frau, die meint, dass sie am Telefon gar nix kapiert, sondern da schon einer persönlich kommen muss. Das sind Sachen, bei denen zu lange Anfahrtswege hinderlich sind. Wem diese Wege nichts ausmachen, gut, dann gerne, der Tauschring ist für alle offen. Aber Sinn macht er eigentlich vor Ort. Herbert Scherer: Markus, vielleicht kannst du das mit eurem Tauschring vergleichen. Ist es da ähnlich? TN: Vieles ist ganz ähnlich. Josella Stolz: Ihr seid ja auch meine Vorbilder, da ist die Ähnlichkeit klar. TN: Interessant ist, dass die Größe auch ähnlich ist. Wir hatten bestimmt mal 500 Leute, aber es wurde dann sehr schnell deutlich, dass in so einer großen Runde die Kommunikation nur ganz schwer möglich ist. Inzwischen hat sich der Tauschring wieder gesund geschrumpft. Bei uns zahlt der Tauschring keine Miete. Das ist zwar immer mal wieder Thema bei uns, aber eigentlich ist klar, wir als Nachbarschaftshaus haben so einen Gewinn vom Tauschring, weil dadurch so viele Menschen in unser Haus kommen, die sonst nicht kämen, dass wir von Anfang an Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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den Tauschring mietfrei gestellt haben. Die kriegen auch den großen Saal einmal im Monat, sonntags, das ist alles kostenlos. Herbert Scherer: Jetzt muss man zur Ehrenrettung des Nachbarschaftshauses am Lietzensee sagen, dass es ein armes Nachbarschaftshaus ist, wo nur eine Personalstelle stammgefördert wird aus dem Stadtteilzentrumsvertrag. Ansonsten lebt das Haus davon, dass alle Gruppen, die dort sind, auch Geld bezahlen, um einen Teil der Kosten abzudecken. Das Nachbarschaftshaus Urbanstraße als traditionelles Nachbarschaftshaus aus den 50er Jahren hat hingegen einen Status, dass es sich das leisten kann, Räume auch mietfrei zu vergeben. Von der Sache her hast du völlig Recht: Von einem Tauschring wird quasi die Arbeit des Nachbarschaftshauses selber gemacht. TN: Mich würde interessieren, ob das Gelingen tatsächlich von den Einkommensverhältnissen abhängig ist. Unser Verein hat vor zehn Jahren auch mit einem Tauschring angefangen. Ich glaube, dass die Vermögensverhältnisse noch ein bisschen besser sind, die Not ist nicht so groß, aber die Leute sind viel beschäftigt und haben keine Zeit. Dann ist der Tauschring eingeschlafen. Josella Stolz: Als ich in Charlottenburg angefangen habe, da war Charlottenburg bestimmt kein armes Viertel. Obwohl es eine versteckte Armut gibt, über die die Leute nicht gerne reden. Trotzdem finde ich wichtig, dass es nicht nur auf das Einkommen ankommt. Es gibt mehr einsame Leute als Arbeitslose, auch dagegen ist ein Tauschring vorbeugend. Viele Menschen würden alleine abends in ihrer Wohnung sitzen. Durch den Tauschring kennen sie aber Leute, können sich zum Kartenspielen treffen oder gemeinsam Kuchen essen oder Abendbrot essen. Der Tauschring ist generationsübergreifende Sozialarbeit in jeder Hinsicht. TN: Wie setzt sich das demografisch zusammen, altersmäßig, aber auch in Bezug auf Migrationshintergrund?
Josella Stolz: Es sind schon überwiegend Ältere dabei, bis 65 oder 70 Jahre, bei 25 Jahren angefangen. Es sind auch Junge dabei, aber der größere Teil sind ältere Menschen. Wir haben auch viele türkische Mitglieder, russische Mitglieder, aus der Ukraine, es ist schon ein bisschen multikulti. TN: Machen Sie das ehrenamtlich? Josella Stolz: Ja, ich mache das seit 12 Jahren ehrenamtlich. TN: Bei uns knirscht es in den letzten Jahren ganz schön, auch in der Gruppe des Tauschrings. Es arbeite dort Leute miteinander, die beziehungstechnisch ganz große Schwierigkeiten haben. Wir hatten jetzt vor kurzem den kompletten Rücktritt der Bürogruppe. Wir machen das nicht mehr haben sie gesagt. Ist das bei euch auch so? Josella Stolz: Natürlich gibt es innerhalb des Orga-Teams auch Streitigkeiten, aber letztendlich kommen wir doch immer auf einen guten Punkt. Dass alle zerstritten sind, das gibt es gar nicht. Es kommt schon vor, dass man nicht einer Meinung ist. Aber das liegt auch daran, dass man in diesem Orga-Team unbedingt zwei Personen haben muss. Zum Beispiel bei unserem Team ist es die Diplom-Psychologin, die ausgleicht. Ich bin ein impulsiver Typ, den man eher runterfahren muss, während sie immer an meiner Seite sitzt und ganz diplomatisch und moderat ist. Wenn ich merke, dass es sich hochschaukelt, dann bin ich ruhig und lasse sie reden. Das funktioniert. Aber klar, es gibt Streitigkeiten – oft wegen Kleinigkeiten oder Nichtigkeiten. TN: Worüber wird gestritten? Josella Stolz: Zum Beispiel wird über den Bürodienst gestritten, eine hat jetzt einmal länger gemacht als die andere. Das sind ganz banale Sachen, aber die kann man aus der Welt schaffen und lösen. Das sind Sachen, wo es menschelt.
Herbert Scherer: Normalerweise gibt es doch immer Stress mit dem Geld. Hier ist ja auch reales Geld involviert. Da gab es doch schon mal Krach, oder? Josella Stolz: Mit Mitgliedsbeiträgen? Herbert Scherer: Oder mit Verdächtigungen, was passiert mit dem Geld oder wer verwaltet das Geld. Josella Stolz: Das war ganz am Anfang. Da hatten wir ein Mitglied, das hatte Mitgliedsbeiträge eingenommen und die nicht eingezahlt. Er hatte immer gesagt, er hätte das Geld zu Hause. Dann habe ich gesagt: Okay, du fährst nach Hause und holst es einfach. In dem Moment musste er Farbe bekennen. Aber er ist gleich am nächsten Tag gekommen und hat die Gelder gebracht. Damit war das dann vom Tisch. Aber er ist heute auch nicht mehr Mitglied. TN: Werden die Leute, die sich in Arbeitsgruppen engagieren, in Talern bezahlt oder machen sie es ehrenamtlich? Josella Stolz: Nein, die Orga-Arbeit wird mit Talern entlohnt, genau wie jede andere Arbeit auch. TN: Das heißt, jedes Tauschring-Mitglied zahlt monatlich einen Teil seiner Taler als Kontogebühr? Josella Stolz: Wir haben unsere Talerkonten und je nachdem, wie viele Mitglieder es sind, fällt immer eine Talergebühr an. Wenn es viele Mitglieder sind, fällt die sehr gering aus, das sind im Monat nur 2 oder 3 Taler. Sind es weniger Mitglieder, ist die Kontogebühr höher, weil das so richtig ist, denn von dieser Arbeit profitieren ja alle Mitglieder des Tauschrings. Die Talerkonten müssen geführt werden, die Zeitung muss gedruckt werden, das sind alles wichtige Arbeiten. Deswegen ist es nur recht und billig, wenn sich alle daran beteiligen.
gibt, sind 20 Taler 10 Euro, so ist es bis heute. Eine Stunde Arbeit im Tauschring ist 20 Taler wert, egal, um welche Tätigkeit es sich handelt, ob das Arbeit am Computer oder Putzarbeit ist. Wir machen da keinen Unterschied, denn eine Stunde ist eine Lebensstunde, egal, welche Arbeit man macht. Wenn man da anfängt zu differenzieren, dann kommt man vom Hundertsten ins Tausendste. Aber eine Stunde ist für eine Putzfrau genauso eine Lebensstunde wie für den Akademiker. Das akzeptiert auch jeder. TN: Also zu dem, was man als Mitgliedsbeitrag bezahlt, kommen noch die Taler dazu? Josella Stolz: Ja. Herbert Scherer: Die Taler erwirbt man ja durch Arbeit und dann tauscht man sie wieder gegen Arbeit von jemand anders, weil man ja nicht mit den Talern bezahlen kann, also man kann nicht zur Bank gehen und sagen, ich will für so und so viele Euro Taler haben. Markus, wie funktioniert das mit dieser imaginären Währung? TN: Drei Leute treten zum Beispiel in einen Tausch. Ich bügle Ihre Wäsche, Sie reparieren das Fahrrad vom Herbert Scherer, der Herbert Scherer putzt bei mir die Fenster. Wenn wir das jeweils eine Stunde lang machen, dann haben wir alle dieselben Taler erbracht. Jeder hat eine Stunde gegeben und eine Stunde bekommen, dann sind wir wieder alle auf Null. Aber wenn nur ich zum Beispiel Ihre Wäsche bügle, dann habe ich 20 Taler. Und von den 20 Talern zahle ich dann 2 oder 3 Taler Kontogebühr, dann habe ich immer noch 17 Taler, mit denen ich noch irgendwo einen Dienst in Anspruch nehmen kann. Diese Taler sind nicht materiell da, sondern das ist eine imaginäre Währung, die nur auf dem Computer bzw. auf dem Konto ist. TN: Wer hat sich das mit den Tauschringen ausgedacht?
Herbert Scherer: Wie viel ist denn ein Taler wert? Josella Stolz: Damals, als ich angefangen habe, gab es ja noch DM, da waren 10 Taler 10 Mark. Seit es den Euro
Josella Stolz: Das ist schon uralt. Einer der Vordenker war Silvio Gesell. Dann gab es ja diesen tollen Artikel von dem Tauschring in Österreich, wo nach dem Krieg praktisch ein Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Dorf nur über den Tauschring überlebt hat. Der Bürgermeister hatte die Idee, weil die Wirtschaft am Boden lag. Dann haben die Leute einfach getauscht.
es einfach toll ist, wenn ich die Menschen sehe, wie die miteinander befreundet sind und glücklich sind, wenn sie sich sehen.
TN: So wie jetzt in der Wirtschaftskrise...
Herbert Scherer: Das ist eigentlich ein wunderbares Schlusswort. Vielen Dank für die Vorstellung. Wir machen jetzt einen großen Bogen und kommen zu der Frage, wie Eltern unterstützt werden können, deren Kinder nicht Opfer, sondern Täter sind.
Josella Stolz: Ich habe unseren Professor Hermann malgefragt: Hermann, wie kommst du in den Tauschring als Professor? Da hat er gemeint, ja, es kommt die Zeit, wo ihr viele solche Leute wie mich braucht. Der kennt sich gut aus und hält jetzt am Montag einen Vortrag zum Thema „Bankenkrise und Tauschring“. Ja, wenn alles am Boden liegt, Tauschring läuft weiter. TN: Kann man einen Tauschring initiieren oder muss der wachsen in den Köpfen? Josella Stolz: Also einer muss anfangen. TN: Solche Initiativen von unten, die von Bewohnern gegründet worden sind, so wie unser Tauschring in Kreuzberg, das sind aus meiner Sicht die tragenden Tauschringe. Es gibt viele Versuche von Tauschringen über ABM-Stellen usw. Das funktioniert nicht, weil das nicht wirklich gewollt und mitgetragen wird. TN: Das braucht ja Menschen, die mit Begeisterung die anderen überzeugen. Josella Stolz: Man muss dahinter stehen. TN: Das merkt man auch bei Ihnen. Josella Stolz: Danke. Ich stehe auch voll dazu, das ist das Beste, was ich je in meinem Leben gemacht habe, weil
Dirk Fischer: Ich habe grundsätzlich ein Problem damit, bei Rechtsextremisten per se von Tätern zu sprechen. Ich komme aus der Straßensozialarbeit, d.h. Streetwork, ich habe drei Jahre lang Streetwork am Zoo gemacht und danach 12 Jahre bei Gangway gearbeitet. Und ich bin als Streetworker in Hohenschönhausen, Lichtenberg und Prenzlauer Berg rumgelaufen. Ich bin ständig im Osten unterwegs gewesen. Ich habe die Entwicklung von Rechtsextremismus im Osten miterlebt. Eine logische Schlussfolgerung daraus ist, dass ich mich dieses Themas auch weiterhin annehme. Ich hatte immer mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen zu tun in meiner täglichen Arbeit und bin auf die Art und Weise zu Exit gekommen. Exit ist bundesweit das einzige Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten, das finanziell nicht auf staatlichen Füßen steht. Wir können uns leider nicht als NGO bezeichnen, weil wir von Sonderprogrammen und Bundesmitteln leben. Aber wir sind keiner Partei verpflichtet, wir sind keiner Institution verpflichtet, wir sind eigentlich niemandem verpflichtet – außer unserem humanistischen und demokratischen Weltbild. Dass Exit jetzt nicht mehr existiert hat damit zu tun, dass man im Bundesministerium für Arbeit die Förderung zum 31.10. 2008 eingestellt hat. Daran hängen Fördermittel, die über Xenos gelaufen sind. Wer sich ein bisschen mit Finanzierungskriterien auskennt, der weiß, dass zu jeder Finanzierung eine Ko-Finanzierung gehört usw. Das ist uns jetzt alles weggebrochen. Unter dem Aussteigerprogramm Exit, wo sich Rechtsextremisten hinwenden können, wenn sie die rechtsextremi-
stische Szene verlassen wollen, gibt es eine Familienhilfe. Der Begriff der Familienhilfe ist von uns so festgeschrieben worden: Familie heißt für uns Mutter, Vater, Oma, Opa, Tante, Onkel, Patentante, Patenonkel, Lehrer, Erzieher, Bruder, Schwester, andere Betroffene, Multiplikatoren im Umfeld des von Rechtsextremismus betroffenen Menschen. Obwohl Rechtsextremismus ja kein Jugendphänomen ist, ist natürlich die Hauptklientel, die wir betreuen, Eltern von Jugendlichen, oder Großeltern oder Tanten oder Onkel, Lehrer, Lehrausbilder, Betreuer, z.B. aus Freizeiteinrichtungen. Aber der Hauptanteil der Personen, mit denen wir – oder ich – zu tun hatten, waren Eltern von männlichen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 28 Jahren. So viel möchte ich gar nicht zur Arbeit sagen, die wir geleistet haben. Ich möchte eher – dem Thema geschuldet – was dazu sagen, wie Netzwerke entstehen können bzw. was es verhindert, dass Netzwerke entstehen. Dazu muss ich weiter ausholen: Exit als Projekt bzw. die Familienhilfe als Projekt ist bundesweit tätig gewesen, mit Sitz in Berlin. Es entstehen rein finanzielle, personelle und auch kommunikative Probleme, wenn man eine ernsthafte Betreuung leisten will, etwa in Saarbrücken. Wir haben Fälle betreut im Saarland, in Thüringen, in Dortmund, in Hamburg, Darmstadt, Frankfurt/Oder, in Lübben, im Berliner Raum, so dass das mit immensem Aufwand verbunden ist, da unser Projekt nur zwei Mitarbeiter hat. Die Betreuung läuft am Anfang immer über Telefon bzw. EMail. Über Telefon und E-Mail kann man viel regeln. Wenn sich eine Betreuung aber zu einer echten Betreuung entwickelt, kommt man an einem persönlichen Kontakt nicht vorbei. Nun kann man sich vorstellen, dass die Reisetätigkeit von Berlin in die entlegenen Winkel der Bundesrepublik nicht nur mit einem immensen finanziellen, sondern auch zeitlichen Aufwand zu tun hat, so dass die Initiierung und Betreuung von Netzwerken Betroffener ein integraler Bestandteil unserer Arbeit geworden ist. Sobald in einem Gebiet mehr als zwei Betroffene auf einem Haufen waren, haben wir versucht, da ein ganz niedrigschwelliges Netzwerk zu initiieren. Setzen Sie sich doch mal in Verbindung, tauschen Sie sich aus, gucken Sie, was Sie zusammen machen können, wir begleiten das.
Das hat uns sehr viel Arbeit erspart. Das hat uns z.B. Reisekosten erspart. Das hat uns auch – so blöde das klingt – Zeit erspart, E-Mails zu schreiben, das hat uns Telefonkosten erspart, weil man das dann nur einem sagen muss, der es weiterträgt – der Netzwerkgedanke. Die Problematik an solchen Netzwerken ist natürlich die, dass die nur so lange interessant sind, wie die Mitglieder dieses Netzwerks Betroffene sind. Sobald eines dieser Netzwerk-Mitglieder sagt: Okay, für mich ist das Problem weg, ich habe kein Interesse mehr, kann es sein, dass das ganze Netzwerk zusammenbricht. Netzwerk ist ein großer Begriff, im Grunde genommen sind vier Leute, die über dasselbe reden, schon ein kleines Netzwerk. Wir wissen selber, das kann funktionieren, wenn man ein Thema hat, an dem man arbeiten kann, das alle betrifft, der Betroffene ist oftmals der beste Ratgeber für andere Betroffene. Wenn man das von außen begleitet und ein bisschen steuert, dann ist das sehr hilfreich und Erfolg versprechend. Natürlich ist so eine Netzwerkbildung nicht immer gewollt. Wenn sich Eltern zusammenrotten, um ihre Söhne aus einer Kameradschaft rauszuholen, dann ist das der Kameradschaft natürlich nicht lieb. Auf der anderen Seite gibt es Feuer aus Richtungen, aus denen man das nicht erwartet hat. Ich habe in der gesamten Tätigkeit keine Unterstützung von Jugendämtern bekommen. Die Jugendämter haben gesagt, nein, Ideologie ist nicht unser point of view, die Ideologie muss draußen bleiben, uns geht es nur um den Jugendlichen und seine Eltern. Ich habe mit Jugendämtern telefoniert und das letzte Wort von der anderen Seite war: Ich vermittle Sie mal in unsere Fachaufsicht. Ich dachte, mit wem rede ich da? Rede ich da mit Sozialarbeitern oder Sozialpädagogen oder mit wem? Es geht doch darum, die Eltern zu stärken und den Jugendlichen da rauszuholen. Das ist doch wohl eine Kernaufgabe eines Jugendamtes. Aber das war nicht so. Herbert Scherer: War das im Osten und im Westen gleich? Dirk Fischer: Es gibt da keine Unterschiede. TN: Wie haben Sie sich gewehrt? Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Dirk Fischer: Das ist immer ein bisschen problematisch, weil ich ja derjenige war, der um Unterstützung gebeten hat. Wenn ich die nicht bekam, konnte ich sagen: Danke für das Gespräch. Oder wir sind dann auch andere Wege gegangen. Wir haben die Eltern dabei unterstützt, sich an die Presse zu wenden. Der Netzwerkgedanke hat uns sehr viel Arbeit erleichtert, nicht abgenommen, aber erleichtert. Das Beispiel Saarbrücken hat wirklich sehr gut funktioniert. Einen großen Beitrag hat dazu geleistet, dass sich zwar die Eltern nicht kannten, aber dass die Söhne in der gleichen Kameradschaft waren. Da konnten über ganz kurze Wege Kontakte hergestellt werden, weil sich die Jungs kannten. Das hat einen Besuch in Saarbrücken erfordert, um da ein Netzwerk anzuschieben, das nach einer Anlaufphase von zwei Monaten, die recht intensiv betreut wurde, von alleine funktionierte. Das hat dann auch krakenartig um sich gegriffen, weil die Eltern, die da involviert waren, Leute waren, die – Gott sei Dank – wirklich dahinter gestanden haben. Sie haben das Ding dann weitergetragen und sich engagiert, auch nachdem ihre Söhne da raus waren. Das sind so positive Zufälle, mit denen muss man rechnen, ansonsten kann man es irgendwie auch lassen. Ich denke, dass die Initiierung von Netzwerken, gerade von Betroffenen- Netzwerken, in der Zeit nachlassender staatlicher Maßnahmen extrem wichtig ist. Ich sagte ja schon, es gibt keinen besseren Berater als den Betroffenen. Weil der weiß, wovon er redet, er weiß, was er erlebt hat und er kann sich mit betroffenen Leuten auf Augenhöhe unterhalten. Mir ist das und das passiert, erzähl doch mal deins. Wenn ich als Berater oder als Sozialpädagoge reinkomme, dann habe ich keine Innensicht, sondern nur die Sicht darauf. Ich kann 1000 Bücher gelesen haben und bei 95 Fortbildungen zu dem Thema gewesen sein, aber ich weiß nicht, was eine Mutter fühlt, die ihren Sohn aus der rechtsextremen Szene loseisen will. Ein BetroffenenNetzwerk ist das Beste, was einem Helfer passieren kann. Wenn es ihm gelingt, so was in die Wege zu leiten, wo Leute sich miteinander vernetzen und vernetzen wollen, die unter derselben Repressalie leiden. Ich habe oftmals Feedback von betroffenen Eltern oder Müttern oder Vätern gekriegt, die sich bedankt haben:
Danke, dass Sie mir erst mal zugehört haben. Viele Eltern, mit denen wir zu tun hatten, hatten eine Odyssee hinter sich. Das fing an bei den Lehrern, über den Schulsozialarbeiter, über die Polizeidienststelle, über den Verfassungsschutz, über den Staatsschutz, über sonst wen, und jeder, zu dem sie gekommen sind, hat ihnen gesagt: Wir danken Ihnen sehr für Ihr zivilbürgerliches Engagement, aber gehen Sie doch mal da hin. Das war auch bei der Kirche nicht anders: Viele Leute haben als letzten Ausweg den Pastor besucht. Der hat dann gesagt: Es tut mir herzlich Leid. Dann sind sie zu uns gekommen, merkwürdigerweise erst dann, und haben sich bedankt für 2 ½ Stunden Zuhören. Sie haben alle nicht zugehört. Es gibt Aussteigerhilfen, die nicht so funktionieren wie wir. Z.B. eine Ausstiegshilfe, die vom Verfassungsschutz initiiert ist, möchte Informationen aus der Szene haben. Die begreifen sich selber nicht als ein Hilfsangebot für jemand, der raus will. Sie sagen: Okay, ich helfe dir da raus, aber dafür will ich das und das wissen, wie kommen wir da zueinander? TN: Wie kann die Aufbauarbeit oder die Betreuungsarbeit aussehen? Wie bauen wir ein Netzwerk auf? Wie war das z.B. in Saarbrücken? Dirk Fischer: In Saarbrücken war es so, dass sich relativ zeitgleich zwei Familien bei uns gemeldet haben, die sich nicht kannten. Das ging dann eine zeitlang über Telefon und über E-Mail, bis wir – mein Kollege und ich – meinten, wir müssen da mal runter, weil das so nicht geht. Das kann man nicht alles am Telefon erledigen, weil sich um diese Sache Gespinste weben, darin waren schon zu viele Leute involviert, da war die Polizei involviert, das Jugendamt war schon involviert. Wir sind dann runtergefahren und haben uns mit den Leuten an einen Tisch gesetzt, ganz konspirativ, ich kam mir vor wie zu DDR-Zeiten. Wir haben uns in einer Hotelhalle getroffen und uns miteinander unterhalten. Dann kam raus, dass die Söhne sich kannten, weil sie beide zusammen in der gleichen Kameradschaft waren. Dann haben wir gesagt: Sie kennen sich jetzt und über Ihre Söhne lernen Sie andere Leute kennen. Die sind ganz von sich aus nach außen gegangen und haben nach den Eltern gesucht, die da mit dran betei-
ligt waren. Eigentlich haben sie sich ein eigenes Hilfsnetzwerk geschaffen. Ich saß hier in Berlin und dachte, okay, so einfach kann es sein. Das war sehr erhebend, weil ich gesehen habe, wie es funktionieren kann. Wir haben im Grunde genommen die Regiestelle in Berlin gehabt und mussten nur noch auf Fachfragen reagieren, für die wir sowieso immer Ansprechpartner sind, also auch für Lehrer und Erzieher. Aber da haben wir auf die Fachfragen der Eltern reagiert, die dann sowohl ins Juristische, als auch in die Jugendhilfe gingen. Ich habe mich wirklich am Telefon mit dem Jugendamt in Saarbrücken gefetzt, weil ich meinte, dass es nicht gesetzeskonform sei, wie sie vorgehen. TN: Also die Eltern hätten Hilfe zur Erziehung gebraucht, die sie nicht bekommen haben? Dirk Fischer: Ja, die haben sie nicht bekommen, weil das Jugendamt gesagt hat, dass es mit Politik nichts zu tun haben will. TN: Es geht ja darum, den Jugendlichen beim Ausstieg zu helfen. Aber in dem Fall waren es ja die Eltern, die kamen, während die Jugendlichen noch nicht das Bedürfnis hatten auszusteigen? Dirk Fischer: Wir haben uns immer so verstanden, dass wir ein Hilfeangebot für die Personen um die Jugendlich herum sind. Beim zweiten oder dritten Treffen hat man die Personen, um die es eigentlich geht, mit am Tisch. TN: Eigentlich geht es ja darum, dem Jugendlichen zu helfen auszusteigen, der aber erst mal gar nicht dieses Bedürfnis hat. Das halte ich für eine große Schwierigkeit dabei. Dirk Fischer: Den Ausstieg können wir nicht bewerkstelligen. Aber wir können die Eltern beraten, wie sie damit umgehen, dass ihr Sohn entweder rechtsextremistisch orientiert ist oder rechtsextremistisch organisiert ist. Ich habe auch Eltern schon gesagt, dass sie ihren Sohn bei der Polizei anzeigen sollen, wenn sie sich nicht mehr zu Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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helfen wissen und sie vom Sohn körperlich bedroht werden. Das geht manchmal nicht anders. Das ist zwar ein Schritt, den man Eltern relativ ungern ans Herz legt.
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TN: Das Netzwerk in Saarbrücken hat funktioniert. Versteht ihr eure Rolle so, dass ihr aktiv mit denen im Kontakt bleibt oder nur dann, wenn Eltern nachfragen? Dirk Fischer: Wir haben einen Turnus entwickelt. Sobald wir 14 Tage lang nichts mehr von irgendwo gehört haben, haben wir selber angerufen. Manchmal gab es noch Bedarf, aber meistens mussten wir gar nicht zurückrufen. Wenn man nach 14 Tagen nachfragt, wie es denn aussieht, und die Antwort ist, dass es sich erledigt hat, dann kann man nur noch nach dem Warum fragen. Aber wenn es sich erledigt hat, dann hat es sich erledigt, da ist dann auch die Obhutspflicht nicht mehr da.
dann soll er auch seine Entscheidungen wie ein erwachsener Mensch treffen, und dann muss er auch damit leben. Sie haben dabei nichts falsch gemacht. Sie können nur sehen, wo Ihre Rolle auf dem Weg ist, den Ihr Sohn oder Ihre Tochter gehen möchte. Und wo er oder sie Ihre Unterstützung noch braucht oder wo Sie Ihr Kind laufen lassen müssen im schlimmsten Fall. Ich habe ja nicht das Allheilrezept und ich bin auch nicht der Retter in der Not. Ich bin nur eine Anlaufstelle und im besten Fall dann auch eine Begleitung. Und dass solche Initiativen oder Netzwerke begleitet werden müssen, zumindest am Anfang, das ist extrem wichtig. Ich muss als Ansprechpartner für dieses Netzwerk und zum Teil auch als Koordinator unterwegs sein und muss für Fragen ansprechbar sein. TN: Wie wurden Sie finanziert?
TN: Wie hoch ist denn die Erfolgsquote, wenn man das so nennen kann? Was ist Erfolg in so einem Fall? Wenn Eltern oder Verwandte anrufen, dann ist ja ein Erfolg auf jeden Fall, wenn die wieder in Kontakt mit ihrem Sohn kommen. Manchmal haben sie ja auch Kontakt, aber einen gewalttätigen. Es ist sicherlich schwierig zu sagen, was da ein Erfolg ist. Der maximale Erfolg wäre, dass das Kind tatsächlich aus der Gruppe rauskommt.
Dirk Fischer: Über das Ministerium für Arbeit.
Dirk Fischer: Nein. In meiner Tätigkeit dort habe ich mich nicht als den Chefideologen begriffen. Mit den Jugendlichen, um die es eigentlich ging, habe ich sehr selten politisch-ideologische Kontroversen geführt. Ich habe mich da eher in der Profession als Sozialarbeiter begriffen – oder als Unterstützer. Der der Familie hilft eine Kommunikationsstruktur aufzubauen, sowohl mit ihrem Kind, als auch untereinander wieder, und ich habe die Unterstützerfunktion, Hilfe einzufordern und zwar nicht bei uns, sondern bei den Stellen, die wirklich helfen können, Polizei, Jugendamt, Staatsschutz, was auch immer. Ganz oft war die zweite oder dritte Frage am Telefon: Was habe ich denn falsch gemacht? Wo ich dann sage: Sie haben überhaupt nichts falsch gemacht. Ihr Sohn ist 16, 17, 18, der will als erwachsener Mensch behandelt werden,
Herbert Scherer: Es gibt stattdessen ein neues Programm.
TN: Und die haben die Mittel gestrichen? Dirk Fischer: Nein, das ist ein falscher Zungenschlag. Die Förderung ist planmäßig ausgelaufen. Auf dieser Formulierung besteht besonders das Arbeitsministerium. Es gibt keine Anschlussfinanzierung.
Dirk Fischer: Na ja, da sagen die einen so, die anderen so. Also es gibt das Angebot des Arbeitsministeriums, ab April 2009 wieder eine Förderung zu geben. Wer sich allerdings auskennt, der weiß, dass nach einem halben Jahr die Arbeit von vorne losgehen wird. Man hält keine Kontakte über ein halbes Jahr aufrecht, selbst der Wohlmeinendste schafft das nicht. Josella Stolz: Ich finde diese Arbeit im Bereich Rechtsextremismus sehr wichtig, denn die Tendenz in diesem Bereich ist ja eher steigend. Ich hatte im Stern den Artikel über Exit gelesen, dass das Projekt bald zu Ende geht, und
war damals schon sehr betroffen. Gibt es da nicht Möglichkeiten, um so ein Projekt weiter zu erhalten? Zum Beispiel könnte man an jüdische Einrichtungen gehen, weil die ja direkt massiv betroffen sind. Die wollen ja mehr Sicherheit, zum Beispiel bei dem jüdischen Altersheim, was in Charlottenburg gerade gebaut wird. Dann müssen diese jüdischen Einrichtungen auch solche Projekte unterstützen. Oder sehe ich das falsch? Dirk Fischer: Mehr als Lippenbekenntnisse sind nicht drin. Ich verstehe nicht, warum Demokratie-Entwicklung, Toleranzförderung, Bekämpfung von Extremismus in der Bundesrepublik über Sonderprogramme und Fördertöpfe finanziert wird, was ja eigentlich eine originäre Staatsaufgabe ist. Aber nein, der Staat zieht sich da aus der Verantwortung und es wird nach Sonderprogrammen und nach Fördertöpfen geschrieen. Ich finde, da ist ein absolutes Ungleichgewicht drin. Da läuft was schief, das geht so nicht. Das wird uns auf die Füße fallen.
neu erfunden werden. Und dann gibt es Leute, die die Fähigkeit haben, das Alte als was Neues so zu verkaufen, dass es in das nächste Förderprogramm reinpasst. Dirk Fischer: Es muss innovativ sein... Das AGAG, das Sonderprogramm gegen Aggression und Gewalt, aus den 90er Jahren, das war ein Super-Programm, daraus sind ganz tolle Sachen entstanden. In der wievielten Fortsetzung sind wir jetzt mit Xenos? Herbert Scherer: Es wird nicht richtig geprüft, ob etwas Erfolg versprechend ist. Meistens ist das, was Erfolg versprechend ist, ja gar nicht unbedingt so innovativ, sondern es fußt auf Erfahrungen, die langfristig gemacht worden sind, und macht da weiter.
Herbert Scherer: Jetzt kommen wir in eine sehr, sehr grundsätzlichen Diskussion. Dirk Fischer: ... und das wollten wir eben nicht. Herbert Scherer: Doch, das wollten wir schon. Wir leben in anderen Strukturen, nicht in Sonderprogramm-Strukturen, sondern in auf Dauer angelegten Strukturen, so verstehe ich z.B. Nachbarschaftshäuser. Das Problem ist möglicherweise, dass Dinge, die in die Regelstrukturen gehören, auch in unserem Denken in Sonderprogrammen aufgehoben zu sein scheinen. Da ist ja jemand, der sich drum kümmert, dann denkt man zu wenig daran, dass das eigentlich in die Fläche gehört. Deswegen ist es unheimlich wichtig, das Know-How weiterzutragen. Es muss aber da ankommen, wo auf Dauer gearbeitet wird. Es nützt nichts, aus dem Sonderprogramm das dauernde Sonderprogramm zu machen. Man muss langfristig vor Ort daran arbeiten, dass sich an dem Problem was ändert. Diese befristeten Sonderprogramme haben immer ihre eigene Logik, schon alleine, weil sie befristet sind. Dadurch müssen sie nach jedem auslaufenden Programm wieder Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Wenn Eltern in die Schule gehen Lernen, einmischen, verändern für die Zukunftschancen der Kinder
Inputs: Viola Scholz-Thies und Petra Sgodda (Gemeinwesenverein Heerstraße Nord) „Erziehung macht Spaß - Erziehungsführerschein“ Semih Kneip (Gangway) „Zusammen lernen, Coaching und Konfliktmanagement Erfahrungen aus der Arbeit an einer Grundschule in Neukölln“ Moderation: Theo Fontana
Viola Scholz-Thies: Ich arbeite im Gemeinwesenverein Heerstraße Nord. Meine Kollegin und ich machen dort den Eltern-Trainingskurs „Erziehung macht Spaß – Der Erziehungsführerschein“. Dieser Erziehungsführerschein wurde von zwei Mitarbeitern einer psychologischen Beratungsstelle in Viersen entwickelt, die gleichzeitig auch eine Erziehungsberatungsstelle ist. Das Konzept sieht 10 Termine vor, jeweils drei Stunden. Zum Beginn geht es um eine Einführung und das Kennen lernen. Bei den Inhalten geht es um Erziehung/Beziehung, um deutlich zu machen, dass die Beziehung die Grundlage für jede Erziehung ist, um Erziehungsspiele, um Entwicklungsphasen. Es ist wichtig zu wissen, was ich von meinem Kind in welchem Alter erwarten kann. Zu den
Themengebieten gehören auch Strafe, Regeln, Grenzen, Konsequenzen, Kommunikation, Konflikte, Entmutigung und Ermutigung, zum Abschluss Rückmeldung, Verabredungen für die Zukunft und dann, wie gesagt, die Nachtreffen. Die Erziehungskurse sind immer ähnlich aufgebaut, aber nicht gleich. Was hier unser Schwerpunkt sein soll, das sind die Nachtreffen, um die Eltern zu aktivieren, über den Kurs hinaus aktiv zu bleiben. Bei den Nachtreffen geht es darum, einen Austausch zu haben, in einem Forum, wo ich meine Schwierigkeiten und Probleme ansprechen kann. Das ist ein Kreis mit vertrauten Menschen, denn es sind dieselben, die auch in der Kursgruppe waren. Teilweise haben wir auch verschiedene Kurse zusammengeführt, das war unproblematisch. Wir haben jeweils zwei Stunden für die Nachtreffen vorgesehen, eine Stunde soll frei gelassen werden, in der anderen Stunde wollen wir die schon bekannten Kurs-Themen vertiefen. Im Vordergrund stehen die Selbstreflektion und Selbsterfahrungen. Es wird also viel von den Eltern gefordert, sie müssen ganz viel über sich selbst nachdenken, wie sie was gegenüber ihren Kindern machen, aber auch wie sie selber verschiedene Situationen erlebt haben. Darüber kommen sie dann auf mögliche Zusammenhänge zwischen ihren eigenen früheren Erlebnissen und wie sie die an ihre eigenen Kinder weitergeben. Die Arbeitsmethoden: Kleingruppenarbeit, Vorträge, Rollenspiele, praktische Übungen, das ist jeweils bunt gemischt. Die Erziehungsstile machen wir auch alle durch, Schwerpunkt ist der demokratische Erziehungsstil. Auch da müssen die Eltern sehr viel über sich nachdenken. Ganz wichtig ist auch, dass die Eltern angeregt werden sollen, mit anderen Eltern im Austausch zu bleiben. Die Eltern haben auch Wochenaufgaben. Zu jeder Einheit gibt es einen Fragebogen, den die Eltern mitnehmen und bis zur nächsten Stunde bearbeiten. Das wird dann noch mal gemeinsam durchgegangen. Hier sehen Sie die Konfliktlösungsmöglichkeiten. Das ist ein System, anhand dessen wird das Thema Konflikt angegangen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie offen die Eltern sind. Zum Beispiel sprechen wir am Anfang darüber, wie sie selber Erziehung erlebt haben. Das sollen sie als Symbol ma-
len oder als Bild, so wie sie es mit 7 Jahren gemalt hätten, um den Anspruch, den sie selbst an sich haben, nicht so hoch anzusetzen. Da kommen schon erschreckende Dinge zutage. Da das sehr am Anfang steht, zweite Stunde, finde ich es ganz erstaunlich dass sie das vor einer noch relativ fremden Gruppe so offen erzählen, was ihnen alles passiert ist. Ganz oft finden sich dann dazu andere Eltern mit ähnlichen eigenen Erfahrungen. So entsteht untereinander das Gefühl, dass sie nicht alleine mit ihrer Situation sind und dass die Probleme nicht nur an ihnen liegen. Dass sie nicht schlecht sind oder was nicht können, sondern dass es ein Problem gibt, das andere Leute auch haben. Theo Fontana: Woher kommt dieser Vertrauensvorschuss? Viola Scholz-Thies: Wir haben relativ kleine Gruppen, höchstens 10 Teilnehmer. Petra Sgodda: Am Anfang haben die Eltern natürlich schon eine gewisse Scheu, es bedarf eines gewissen Zuspruchs. Aber es ist so, dass die Eltern sehr engagiert sind und sich dann darauf einlassen. Wir haben auch jedes Mal ein bisschen Angst vor dieser Situation, den Eltern mitzuteilen, was wir von ihnen wollen, aber es hat bisher immer funktioniert. Das ist der Schritt rein in die Auseinandersetzung, sie setzen sich mit ihrer eigenen Erziehung auseinander, um dann eine gewisse Barriere zu überschreiten, damit sie weiter daran arbeiten können. Das erlebt man wirklich jedes Mal, dass dann am nächsten Termin, eine Woche später, gleich schon Kontakte da sind und ein Austausch untereinander, es schafft eine produktive Basis für die weiteren Themen. Viola Scholz-Thies: Es gibt auch immer leichte Irritationen beim Malen: Was soll ich denn malen? Das dauert dann ungefähr 10 Minuten, dann fangen Einzelne an und irgendwann malen sie alle. Petra Sgodda: Das gilt auch für die Rollenspiele, die wir machen. Die haben wir bewusst drin gelassen. Wir überlegen uns immer wieder, ob das wirklich genau die Methode
ist, die da günstig ist. Da haben wir manchmal Bedenken, aber auch das funktioniert bisher immer. Auch für ein bildungsärmeres Publikum sind Rollenspiele durchaus geeignet, sie lassen sich gerne darauf ein. Viola Scholz-Thies: Der Kurs stellt keine schnellen Lösungen bereit. Es geht keiner aus dem Kurs mit einem Methodenpapier – wenn ich das so und so mache, dann klappt alles. Sondern es gibt eine Entwicklung. Gerade die Gesprächstechniken oder Konfliktlösungsmuster, das muss alles verinnerlicht werden und wachsen, auch in der Interaktion mit der Familie und den Kindern. Wenn ich mich anders ihnen gegenüber verhalte, dann reagieren die natürlich auch anders, sie müssen sich nur erst darauf einstellen. Das ist ein Prozess, der länger dauert. Man muss den Eltern auch immer wieder sagen, dass sie nicht von sich erwarten sollen, dass alles gleich so klappt, wie sie das hier hören oder wie es wünschenswert wäre. Sondern das ist auch Übung und sie müssen mit den Kindern und auch mit sich selbst Geduld haben. Im Anschluss haben wir einen Fragebogen ausfüllen lassen, wie sie das Ganze sehen. Wir haben hier ein paar Antworten von Eltern, die das zum größten Teil positiv beurteilen. Zum Beispiel: Ich hätte nicht gedacht bzw. wollte nicht wahrhaben, wie verheerend Inkonsequenz ist. Ich bin ruhiger und gelassener geworden. Bei den Nachtreffen haben wir auch immer wieder gefragt, was sie sich denn noch wünschen. Sie wollen etwas zusammen mit den Eltern aufbauen, dass sie eine Anlaufstelle haben, wo sie ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse mit einbringen können. So ein Kurs mit 10 Einheiten, das ist natürlich eine sehr begrenzte Zeit, einige wünschen sich, dass er länger dauert oder noch vertieft wird. Die Wünsche waren: die besprochenen Themen zu vertiefen, weitere Übungen zu machen, noch mehr Austausch, noch mehr zu Wort zu kommen, was ja nicht immer so ausführlich möglich ist, wenn man ein bestimmtes Thema in einer begrenzten Zeit durcharbeiten muss. Dann Vorpubertät, Umgang unter Geschwistern, das waren weitere Wünsche. Unser Kurs ist konzipiert für Kinder von 0 bis 12 Jahren. Pubertät und ältere Kinder, das ist noch von ganz großem Interesse, was aber nicht speziell in dem Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Kurs behandelt werden kann. Der Altersunterschied zwischen den Geschwistern, Geschwisterkonstellationen, wie gehen sie miteinander um, wie sollte ich darauf eingehen? Was ist zu machen, wenn der Partner nicht mit zum Kurs kommt und belächelt, was ich mit nach Hause bringe und umsetzen will? Auch ein ganz großes Problem: wie kann man sich selbst helfen, Souveränität zu bewahren, zum Beispiel auch dem Partner gegenüber? Sie wünschen sich Verlängerungskurse, also mehrere Einheiten, wo man die Zeit vielleicht aufteilen kann in eine Stunde Nachtreffen, eine Stunde ein neues Thema. Das haben wir für die Zukunft aufgegriffen. Es wird ein extra Väter-Kurs gewünscht, weil die Mütter die Hoffnung haben, dass ein getrennter Kurs vielleicht besser von Männern angenommen wird. Sie wünschen sich einen Leitfaden für die Zukunft ihrer Kinder, also auf was man achten muss, wenn das Ende der Schule in Sicht ist. Sie wünschen sich Informationen über mehrsprachige Erziehung und die Auswirkungen davon. Wie können sie die Eigenverantwortung ihrer Kinder stärken? Wie kommen sie überhaupt noch an sie ran, wenn die in der Pubertät dicht machen? Wie erziehe ich zur Selbstständigkeit, im Haushalt und im Umgang mit Geld? Einige hätten gerne ein Nachtreffen mit kleineren Kindern zusammen, zum Kennen lernen, zum Verabreden, für gemeinsame Unternehmungen, vielleicht zum gegenseitigen Babysitten. Sie wünschen sich noch intensiveres aktives Zuhören, dieses Vier-Ohren-Modell. Manche haben auch Kinder mit ADHS und möchten dazu nähere Informationen und einen Austausch mit anderen Betroffenen. Sexualität, Aufklärung, das ist auch für die Älteren dann. Wie gehe ich mit Gewalt um? Oder auch wenn das Kind Gewalt ausübt. Drogensucht, Computer, Alkopops, alles, was so täglich zu lesen ist. Jugend- und Kindersprache, Sprachentwicklung,
Ess-Störungen in alle Richtungen. Also man sieht schon, dass die Eltern vielseitig interessiert sind. Und im Prinzip möchten sie mehr, als wir ihnen im Moment anbieten konnten. Wir haben neun Kurse in den vergangenen drei Jahren absolviert. Wir dachten zuerst, dass ein Nachtreffen pro Monat reicht. Aber wir haben festgestellt, dadurch, dass da noch soviel Bedarf an Themen ist, die weiter bearbeitet werden sollen, ist das nicht ausreichend. Die Eltern wollen mehr Futter, gerade zur Pubertät, denn dazu gibt es sehr wenig. Deswegen haben wir uns gedacht, dass wir daran anknüpfen und ein Erziehungsnetzwerk aufbauen. Den Anfang bildet eine Gruppe von Eltern, die den Kurs abgeschlossen und weitergehendes Interesse hat. Sie haben die Möglichkeit, selber Themen einzubringen. Und es sollen Fachleute zu gewissen Themen kommen. Und es soll der Raum da sein für gegenseitigen Austausch. Das erste Treffen ist jetzt an einem Samstagvormittag, für Kinderbetreuung ist gesorgt, mit Frühstück, das ist also ein netter Rahmen, gleichzeitig wird ein Thema mit eingebracht. Das Ziel ist, dass die Gruppe sich irgendwann verselbstständigt. Ich denke, wenn bestimmte Themen abgearbeitet sind, da kann man punktuell noch in die Gruppe reinkommen, aber das Ziel ist eigentlich, dass es sich zu einer Gruppe entwickelt, die sich selber trifft und wo man die Initiative den Eltern übergeben kann. Das ist auch eine Festigung von dem, was sie im Erziehungsführerschein gelernt haben. Diese Gruppe ist für alle offen, die daran teilgenommen haben, aber auch für diejenigen, die sich informieren oder das auch machen möchten. Das soll ein niedrig schwelliges Beratungsangebot sein, um Kontakte zu knüpfen und um Schwellenängste abzubauen. Wir sind eng vernetzt mit dem Gesundheitsdienst. Die schicken uns auch viele Leute. Ich denke, das kann man mit dem Jugendamt noch ausbauen. Ein anderes großes Ziel ist, diese Gruppe zu den anderen Einrichtungen und Angeboten, die es im Stadtteil schon gibt, zu vernetzen. Zu der sozialen Beratung: es gibt ein Schulprojekt an der Schule, eine Schulbasis-Station, gleichzeitig eine Lernwerkstatt dazu, dieser Elternführerschein ist ein Teil davon, gesunde Ernährung und Bewe-
gung gehört noch dazu. Dem folgt dann die Verstetigung der Gruppe. Ziel des Netzwerkes ist es auch, die Ressourcen, die die Eltern haben, zu mobilisieren, ihre Wünsche aufzunehmen und damit ihre Verantwortlichkeiten und Kompetenz zu stärken. Die Bereitschaft zur Eigeninitiative haben schon einige signalisiert, indem sie auch mal auf andere Kinder aufpassen, Kontakte geknüpft haben. Wir haben über diesen Erziehungsführerschein schon sechs Ehrenamtliche gewonnen, die sich engagieren. Zwei sind parallel zum Erziehungsführerschein-Kurs da, um auf die Kinder der anderen aufzupassen. Die helfen bei Veranstaltungen mit, also sie sind aktiv mit eingebunden im Haus. TN: Ich bin Quartiersmanagerin hier Am Schlaatz, aber auch in anderen Gebieten in Potsdam. Wo sehen Sie selber – außer vom zeitlichen Rahmen her – die Grenzen dieses Erziehungsführerscheins? Für mich klang Ihre Darstellung ausschließlich positiv: Wenn die Eltern das machen, brauchen sie nichts anderes mehr, um das provokativ zu sagen. Zum anderen die Motivation der Eltern, da überhaupt hinzugehen? Es werden Eltern vom Gesundheitsdienst geschickt, es klang auch irgendwie nach einem finanziellen Anreiz? Petra Sgodda: Den finanziellen Anreiz gab es damals, als der Kurs entwickelt wurde. Die Entwickler hatten sich vorgestellt, dass jeder, der den Kurs absolviert, ein einmaliges Kindergeld in Höhe von damals noch 500 DM erhalten sollte. Dazu gibt es aber kein Nachfolgegesetz. TN: Ist aber immer noch beabsichtigt? Viola Scholz-Thies: Ja, aber ich weiß nicht, ob das weiter verfolgt wird. Dieser Kurs wurde von zwei Leuten aus einer Beratungsstelle konzipiert, also er hat kein so großes Forum wie zum Beispiel „Starke Eltern – starke Kinder“, was über den Kinderschutzbund läuft und dadurch einen ganz anderen Hintergrund hat. Deswegen denke ich, es wird schwierig, das umzusetzen, weil man dazu eben auch noch ein bisschen mehr Zeit und Ressourcen braucht.
Natürlich hat der Erziehungsführerschein Grenzen. Es ist kein Kurs, wo die Eltern rausgehen und sagen: So, jetzt habe ich alles in der Hand, jetzt wird sich sofort alles ändern. Also in Kinderschutzfällen, wenn es brennt, kann man ihn vielleicht parallel machen. Aber er ist nicht das Allheilmittel, das in einer akuten Krise die Familie rettet. Aber Petra ist auch in der ambulanten Familienhilfe tätig und kann dazu mehr sagen. Petra Sgodda: Es kommen 12 Eltern, manchmal auch 14. Am Anfang, wenn wir die ersten zwei Einheiten machen, fallen schon einige raus und kommen dann nicht mehr. Es spricht nicht alle Eltern an, aber die, die bleiben, mit denen können wir sehr gut arbeiten. Es werden auch immer mehr Eltern vom Jugendamt geschickt, woran man sehen kann, dass dort entsprechend einiges im Argen ist. Diese Eltern haben natürlich eine andere Motivation, weil sie sowieso schon mit dem Jugendamt arbeiten. Sie wollen wirklich eine Veränderung in ihrer Erziehung erreichen, mehr Souveränität, weil sie merken, dass sie es nicht schaffen. Da können wir dann auch helfen. Natürlich ist unser Angebot mit diesen zehn Einheiten begrenzt. Frau Scholz-Thies sagte schon, dass es manchmal ganz schwierig ist, gerade Themen wie Regeln und Grenzen, oder auch Konsequenzen, in zwei Stunden reinzupacken. Oft schaffen wir das dann auch nicht. Die Kommunikation zwischen Kindern und Eltern ist ein sehr umfangreiches Thema. Wir müssen es ja auch so umsetzen, dass es praxisnah ist, also dass es in der Familie umsetzbar ist, dass sie auch wirklich etwas mit ihrem neuen Wissen anfangen können. Wir wollen das nicht nur präsentieren, wir wollen – und wir üben das auch -, dass sie wirklich etwas mitnehmen. Deswegen sind wir uns natürlich froh, wenn es erfreuliche Rückmeldungen nach einem Kurs gibt. TN: Wie wird das finanziert? Zahlen die Eltern selber? Petra Sgodda: Nein. Wir sind ja QuartiersmanagementGebiet, Stadtteil-Management-Gebiet, Prävention. Dieses Schulprojekt mit seinen 5 Einheiten, davon ist der Erziehungsführerschein eine Einheit. Das ist finanziert über Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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das Programm Soziale Stadt bis Ende 2009. Wir machen zwei Kurse pro Schulhalbjahr. Wir verteilen unseren Flyer an der Schule, an der das Projekt angedockt ist. Aber wir verteilen ihn auch in allen anderen Schulen, wir haben noch eine Grundschule im Gebiet, an die Kindergärten und an den Gesundheitsdienst.
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TN: Kommen die Eltern freiwillig? Petra Sgodda: Zum Teil kommen Eltern freiwillig, teilweise haben sie einen festgeschriebenen Hilfeplan, aber auch diese Eltern geben dann positive Rückmeldungen. In allen Kursen insgesamt waren zwei oder drei Elternteile, die sich da nicht haben reinziehen lassen, die ihre Zeit da nur abgesessen haben. Aber die meisten, auch durch die Dynamik der Gruppe, werden doch mit reingezogen und machen gerne mit.
zen. Darauf baut sich die Beziehung auf. Was dazu gehört, was die Pflichten sind, diese grundlegenden Geschichten sind der Einstieg, also das Warm-Up. Dann gehen wir zu den Erziehungsstilen über. Da geht es schon los mit Rollenspielen. Viola Scholz-Thies: Da gibt es bereits Aha-Effekte. Spätestens wenn sie sich zusammen hinsetzen und für einen bestimmten Stil eine Rolle erarbeiten mit den anderen Eltern, dann kommen Bemerkungen wie: Hm, kommt mir bekannt vor. Das bringen sie dann auch mit rein. Oder sie fragen auch nach, was wir dann aufgreifen und mit den anderen zusammen noch mal erarbeiten, überlegen, diskutieren.
Viola Scholz-Thies: Sie bekommen ein Zertifikat ausgehändigt, wo genau draufsteht, an welchen Themen bzw. Einheiten sie teilgenommen haben. Das bekommen sie nur, wenn sie 8 x da waren. Ansonsten können wir ihnen nur die Teilnahme bescheinigen ausstellen. Das Zertifikat wird mit großem Aufwand überreicht, mit Blümchen, entsprechender Gestaltung drum herum, also das machen wir schon ein bisschen feierlicher.
Petra Sgodda: Bei den Themen Regeln, Grenzen, Kommunikation oder Konflikte lassen wir die Eltern erst mal reinlaufen, wir lassen am Anfang alles offen, wir geben nichts vor. Sie sollen sich erst mal selber damit auseinandersetzen, was sie darunter verstehen, bei Regeln und bei Kommunikation ist das ganz wichtig. Dann erarbeiten wir mit ihnen schrittweise, welche Möglichkeiten es gibt beim aktiven Zuhören, es gibt ja unterschiedliche Herangehensweisen. So versuchen wir den Eltern deutlich zu machen, welches in unserem Sinne ein Weg ist, den sie beschreiten können. Der eben auch so deutlich gemacht worden ist, dass sie sich daran entlang hangeln können, weil es ein sehr kompliziertes Thema ist. Und es soll ja eben Nachhaltigkeit erreicht werden. Wir suchen immer nach aktueller Literatur, um anhand von Textausschnitten bestimmte Inhalte zu verdeutlichen. Das muss einerseits straff sein, aber trotzdem verständlich und klar. Das ist immer wieder eine Herausforderung, natürlich immer wieder auch ein Ausbau der Methoden. Der Kurs verändert sich dadurch auch stetig.
Petra Sgodda: Manchmal denke ich, dass wir eine ganze Menge erwarten, wenn wir darauf eingehen, was Erziehung überhaupt ist. Das verpacken wir sprachlich so, dass es auch verständlich ist. Wir erwarten, dass sich die Eltern erst mal grob mit dem Thema Erziehung auseinanderset-
TN: Mir kommt es immer noch so vor, als wenn was vorgegeben wird. Wenn Eltern was vorgegeben kriegen, können sie es ja nicht unbedingt umsetzen. Wenn es nicht aus mir selber kommt und nicht zu mir passt, nicht zu meiner Situation und zu meiner Familie, dann kann jede Vorgabe schön
TN: Wie sieht dieser Elternführerschein aus? Was kriegen Eltern in die Hand, was steht da drauf? TN: Mir ist etwas noch nicht so deutlich geworden: Es kann in den Kursen ja nur das entstehen, was von den Eltern selber kommt. Wie weit werden Methoden empfohlen? Oder wie erarbeiten die Eltern untereinander, wo ihre Ressourcen sind, wie entdecken sie sich selber und bringen sich dann in diesen Kurs ein?
sein, aber ich kann sie trotzdem nicht gebrauchen. Da ist für mich noch ein Widerspruch. Aber das kann ja auch ein Verständnisproblem sein. Petra Sgodda: Nein, wir sollten es schon auflösen. Das ist ja genau der Punkt, daran müssen wir immer wieder arbeiten, dass es den Eltern auch vermittelt wird. Durch die Gespräche entsteht die Dynamik in der Gruppe, wir ziehen uns da auch ein Stück zurück. Wenn die Gespräche stattfinden, sehen wir ja, was schon bei den Eltern angekommen ist. Das ist unterschiedlich, trotzdem ist dieser Prozess, der da in Gang gesetzt wird, schon so, dass sie voneinander lernen. Wir erkennen daraus, dass sie wissen, wohin es irgendwann gehen soll. Sie kommen nicht aus dieser Lerneinheit und wissen danach genau, wie das läuft mit den Regeln, Grenzen, Konsequenzen. Wir sagen ihnen auch immer wieder, dass sie geduldig mit sich sein sollen, dass weiterhin Fehler passieren werden. Das ist ein wichtiger Punkt, damit nicht unnötig Druck aufgebaut wird. Die Literatur können sich die Eltern jede Woche mitnehmen, damit sie das Erarbeitete noch mal gedanklich vertiefen können. Viola Scholz-Thies: Jeder bekommt für sich einen Ordner, alles was wir gemacht haben, bekommen die Eltern als Memos in die Hand, auch die Arbeitsbögen mit den Aufgaben. Sie können noch was dazuschreiben und haben jederzeit die Möglichkeit, darauf zurückzugreifen und noch mal nachzugucken, wenn zu Hause noch Fragen entstehen oder wenn sie es dem Mann zeigen oder erklären wollen. Petra Sgodda: Am Ende ist es natürlich nicht sicher, was davon zu Hause umgesetzt wird. Ab und zu fragen wir nach. Deswegen gibt es die Nachtreffen, weil ganz viel noch zu klären bleibt. TN: Ich habe eine Frage zu der Heterogenität in der Gruppe. Sie haben schon angedeutet, dass vorwiegend Mütter, also Frauen, diesen Kurs wahrnehmen. Warum ist das so? Werden direkt nur Mütter über das Jugendamt angesprochen? Gibt es auch Teilnehmer aus anderen Herkunftsländern?
Viola Scholz-Thies: Wir hatten in zwei Kursen mit 20 Leuten nur vier Männer und 16 Mütter. Das ist ungefähr der Durchschnitt. Wir haben auch Teilnehmer aus anderen Ländern, aber wir haben festgestellt, dass es für diejenigen, die kein gutes Deutsch sprechen, sehr schwierig ist, gerade solche Themen anzugehen. Wir haben auch immer ein oder zwei Teilnehmer dabei, die gut Deutsch verstehen, da ist das kein Problem. Für die anderen Teilnehmer ausländischer Herkunft haben wir unsere ganzen Unterlagen in Türkisch und Russisch übersetzt. Wir haben auch schon mal mit einer türkischen Übersetzerin einen Kurs gemacht. Sie hatte als Teilnehmerin den Kurs selbst schon mitgemacht, da hatten wir sie angesprochen: So kam es, dass sie dann in einem Kurs übersetzt hat. Da wurde allerdings gesagt, dass es schön wäre, türkische Trainer zu haben, weil das, was sie an Gefühlen äußern, in der Übersetzung nicht so rüber kommt. Also da ist doch eine Grenze. TN: Mich interessiert ganz grundsätzlich vom Ansatz her: warum Erziehungsführerschein und nicht Selbsthilfegruppe, die zu bestimmten Themen Veranstaltungen oder einen Austausch organisiert? Warum wird die Rolle des Führerscheins eingenommen, ich komme mit nichts und kann es hinterher? Viola Scholz-Thies: Diejenigen die das entwickelt haben, hatten den Gedanken, dass man für alles einen Führerschein braucht, nur nicht für die Erziehung. Von daher haben sie es so genannt, auch als Anreiz für die Leute, weil sie dann was in der Hand haben. Das ist ein eingetragenes Zeichen, also wir können deswegen auch den Namen nicht ändern. Genau wie „Starke Eltern – starke Kinder“, das heißt so. Wenn wir die Kurse nach dem Prinzip machen, dann müssen wir auch den Namen Erziehungsführerschein verwenden. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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TN: Das Denken hinter diesem Prinzip, wird das von den Eltern auch akzeptiert?
Viola Scholz-Thies: Die Stärkung der Erziehungskompetenz, das kriegen sie als Führerschein bescheinigt.
Viola Scholz-Thies: Teils, teils, es gibt auch kritische Stimmen.
TN: Haben Sie auch Ausschlusskriterien für die Aufnahme in den Kursen?
TN: Ich finde, die Eltern gehen eher zu einem Führerschein, den kann man ja jederzeit unterbrechen, als in ein ElternTrainings-Camp, wie es bei „Starke Eltern – starke Kinder“ heißt. Eltern-Trainingskurs ist viel negativer besetzt, als ein Elternführerschein. So habe ich das jedenfalls von den Eltern gehört. Ich muss trainieren, Eltern zu werden.
Viola Scholz-Thies: Bis jetzt noch nicht. TN: Eine Mutter, die alkoholkrank ist und alkoholisiert zu dem Termin kommt, kann daran teilnehmen? Wie verhalten Sie sich da?
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Viola Scholz-Thies: Wir hatten das noch nicht. Petra Sgodda: Die Idee des Führerscheins ist hergeleitet von dem Inhalt, von den Grundbausteinen für die Erziehung, was die Beziehung Eltern-Kind eben ausmacht. Die Inhalte sind die Säulen. Es dient einfach der Souveränität und der Sicherheit im Umgang mit Konfliktsituationen. Das geht ja schon bei der Kommunikation los. Da sollen wesentliche Veränderungen stattfinden. So wie die Eltern uns das schildern, können wir davon ausgehen, dass sie die Idee verstanden haben. Und weil sie noch mehr positive Veränderungen möchten, ist auch der Wunsch nach einer Vertiefung und nach mehr Stoff da. TN: Es fehlt offenbar ein Forum, bei dem sich Eltern mit Eltern auseinandersetzen können, über ganz viele Fragen. Aber es gibt doch ganz viel Literatur. Petra Sgodda: Ja, aber es geht ja auch darum, dass man ein Problem relativ schnell auf den Punkt bringen kann, gerade in der Gruppe natürlich. TN: Meine Frage ging nicht in die Richtung des Bedarfes. Natürlich haben alle Eltern einen Bedarf an Austausch und zusätzlicher Information, sondern die Frage ist, mit welchem Blickwinkel auf die Eltern geht man an diesen Kurs ran? Eltern kommen mit nichts und können hinterher was, was hinter dem Wort Führerschein steckt? Im Selbsthilfe-Ansatz steckt ja was anderes dahinter.
TN: Die Frage wird entschieden, wenn es soweit ist. Petra Sgodda: Ich denke, wenn sie ausfallend wird, dann müssten wir sie bitten, zu gehen, und das nächste Mal nicht alkoholisiert zu kommen. TN: Machen Sie Videoarbeit, Videofeedback, in Ihrem Programm? Petra Sgodda: Nein, noch nicht. TN: Ich arbeite im Nachbarschaftsheim Mittelhof im Bereich der Familienarbeit seit einigen Jahren, habe begleitete Elterngruppen, von Eltern, die Kinder in der Pubertät haben. Das Curriculum ist nicht so festgelegt, sondern am Anfang jedes Treffens: Was ist das Thema heute Abend? Meine Erfahrung ist immer wieder, dass es natürlich Fachwissen gibt, das durch die Kursleitung vermittelt oder eingebracht wird. Aber es ist enorm, wie viel bei den Eltern an Wissen schon da ist. Das kommt dann zum Vorschein, wenn das Gespräch läuft. Das heißt, bei diesen Kursen geht es häufig hauptsächlich darum, den vorhandenen Kompetenzen der Eltern, ihrer Wahrnehmungsfähigkeit, ihrem Einfühlungsvermögen, den eigenen Erinnerungen an das, was sie selber erlebt haben, einfach nur mal einen Raum zu geben. Dann geht das schon irgendwie durch die gegenseitige Beeinflussung in eine bestimmte Richtung und wirkt für
alle sehr inspirierend. Dann ist so ein Kurs hilfreich, wenn sie merken: ah, die Fachwelt bestätigt sogar, was ich insgeheim schon länger bei mir merke. Das unterstützt sich gegenseitig. Was ich auch immer wieder feststelle, das können Sie sicher bestätigen: Erziehung macht ja heute nicht unbedingt so viel Spaß, aber in den Kursen macht sie großen Spaß. Es ist wirklich immer so, dass viel gelacht wird.
Petra Sgodda: Als Auflage gab es das bei uns auch schon, aber es war beides, mal Anregung oder Empfehlung, aber auch Auflage. Das war unterschiedlich, je nachdem, wie die Situation in der Familie ist.
TN: Ja, stimmt, bei uns auch. Und die Motivation der Eltern. Ich meine, die kommen da hin, sie wollen was lernen, sie wollen was Neues umsetzen, sie wollen sich damit auseinandersetzen. Diese Energie, die sie mitbringen, das ist schon toll.
Viola Scholz-Thies: Wie gesagt, zwei bis drei haben das nur abgesessen, aber die anderen haben sich auf die Gruppe eingelassen. Auch, weil andere Eltern mit ähnlichen Problemen da waren, wo sie auch Ansprechpartner hatten, wo sie sich nicht als Versager vorkamen. Ich denke, das hat ihnen sehr geholfen, sich in die Gruppe einzubringen, dann war das gar nicht mehr so schlimm.
TN: Ich will noch mal auf das Thema Führerschein kommen. Für mich hat ein Führerschein immer einen theoretischen und einen praktischen Teil. Trotz Rollenspiel, gibt es auch einen praktischen Übungsteil am Kind? Theorie klar, zu Hause wird die Praxis geübt? Viola Scholz-Thies: Viele erzählen zu Beginn der Stunde, was letzte Woche war oder was sie beschäftigt. Sie schildern uns die Situationen genau und die anderen Eltern sagen etwas dazu, so werden quasi auch praktische Sachen aufgegriffen. TN: Aber direkt mit Eltern und Kindern gemeinsam in kleinen Gruppen etwas zu machen? Viola Scholz-Thies: Nein, das hatten wir jetzt noch nicht. Aber wir stehen am Anfang von der Erweiterung dieser Nachtreffen und haben jetzt Ende November das erste Treffen mit Eltern und Kindern. TN: Wenn Leute vom Jugendamt geschickt werden, ich kenne das aus den USA und zum Teil aus Holland oder aus Istanbul, da gibt es Auflagen, dass beide Eltern kommen müssen. Aber zu Ihnen kommen Mütter, also nicht die Eltern.
TN: Und wie ist das dann angenommen worden, wenn sie den Kurs als Auflage machen mussten? Wie ist die Motivation?
Petra Sgodda: Das war oft nicht nur eine Mutter, im Gespräch hat sich herausgestellt, dass mehrere Mütter über das Jugendamt zu uns gekommen sind. TN: Wie ist das Feedback vom Jugendamt? Petra Sgodda: Direkt mit dem Jugendamt stehen wir nicht in Verbindung, eher mit den Helfern. Uns ist es wichtig, dass sie das hier Erfahrene auch zu Hause mit den Helfern durchsprechen. Das passiert dann auch. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv, dass sie den Eindruck haben, dass sich wirklich was verändert im Miteinander mit den Kindern bzw. in der Erziehung. Da das auch Kollegen von mir sind, stehen wir im Austausch. Viola Scholz-Thies: Mit dem Jugendgesundheitsdienst stehe ich eng in Verbindung, von da kam auch schon positive Resonanz, wenn Eltern den Kurs abgeschlossen haben. TN: In unserem Mehrgenerationenhaus in Kaltenkirchen/ Schleswig-Holstein haben wir auch schon experimentiert mit Schule, Elterntraining, Elternlernwerkstatt, diese ganzen Begrifflichkeiten sind aber gar nicht so wichtig. Es geht immer um die Form, es geht um den Blick darauf, Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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um welche Eltern es sich handelt, mit wem kann ich eine Elternlernwerkstatt machen, mit wem muss ich andere Modelle entwickeln? Was wir zurzeit machen, läuft klasse, und das im Verbund mit dem Jugendamt. Wir haben das Jugendamt dafür gewonnen, ein Modell gemeinsam zu realisieren. Sie haben das Klientel mit Erziehungsproblemen. Und wir möchten gerne, dass wir im Familienzentrum das Modell entwickeln. Darauf sind sie eingestiegen, wir machen das jetzt seit gut drei Jahren, die Gruppe selber läuft seit 1 ½ Jahren, es kommen immer mehr Neue hinzu, es geht mal jemand. Wir sind dadurch im Dialog mit dem Jugendamt und arbeiten zusammen. Und da sieht man eben auch, dass sich was tut. Das könnte auch ein Modell sein, das andere sicherlich auch umsetzen könnten. Wir werden jetzt auch eine neue Form finden für Eltern, die solche Erziehungsgespräche von sich aus machen wollen. Während bei anderen so ein lockeres Modell in keiner Weise ausreicht, da muss es anders laufen. Aber das Verknüpfen, voneinander lernen, mit unterschiedlichen Modellen, ist nur hilfreich. Also insofern – ausprobieren, experimentieren. Wenn Sie mit Ihrem Programm arbeiten, da ist das sehr genau vorgegeben, was Sie reinnehmen? Viola Scholz-Thies: Es ist nicht so fest. Die Entwicklungsphasen sind wichtig, die haben wir mit reingenommen, die waren im Original nicht in dieser Intensität drin. Speziell sind wir auch auf die Entwicklung von Jungen eingegangen, weil die sich im Vergleich mit Mädchen sehr anders verläuft. Also das sind Sachen, die können wir schon ändern. Wir stehen auch im Austausch mit den Entwicklern, also wir haben schon Möglichkeiten. Theo Fontana: Die Frage ist, wie wir an die Eltern rankommen, weil wir denken, wir müssen den Eltern was beibringen, damit es den Kindern besser geht. Im nächsten Impulsreferat geht es um das Beziehungsfeld KinderSchule-Eltern. Semih Kneip: In der Einladung bzw. im Programm hat sich ein Tippfehler eingeschlichen, es heißt nicht „Zusammen leben“, sondern „Zusammen lernen“. Wir nennen es in der
Fachöffentlichkeit „Dialogisches Coaching und Konfliktmanagement im Bündnis“. Und in diesem Falle, von dem ich erzähle, im Bündnis von Eltern, Lehrern und Lehrerinnen, Erziehern und Erzieherinnen. Ich arbeite bei Gangway e.V., Verein für Straßensozialarbeit, in Berlin. Das Programm, das ich vorstelle, ist ein Kind des Kronberger Kreises für Qualitätsentwicklung und Qualitätsmanagement. Professor Dr. Reinhart Wolff ist vielleicht bekannter als der Kronberger Kreis, Vater des Kinderschutzbundes, man sagt auch der Kinderladenbewegung, hat dafür letztes Jahr das Bundesverdienstkreuz bekommen. Der hat das Dialogische kreiiert. Wir haben mit diesem Programm 14 Monate lang in Marzahn-Hellersdorf gearbeitet, dann noch mal 13 Monate in Mahlsdorf. In Mahlsdorf war es eine explosive Mischung, Eltern auf der einen Seite, Erzieher einer stationären Einrichtung auf der anderen Seite, als Teilnehmer an diesem Setting. Und die Eltern, denen die Kinder durch die Sozialarbeiter des Jugendamtes aus der Familie rausgenommen und fremd untergebracht worden sind. Sie können sich vorstellen, welche Mischung wir hatten, weil ja da auch viel aus der Geschichte und Vergangenheit der Familien hoch kam. Es geht um Dialog, um Mehrseitigkeit. Die Essenz dieses Programms ist, sich nicht zu bevormunden, weil Eltern Bürger dieses Landes sind – und zwar Bürger 1. Klasse, wie alle, und nicht 2. Klasse. Sie sind Modell erwachsener Kompetenz, ob wir das wollen oder nicht, ob wir ihnen das zutrauen oder nicht, zunächst einmal ist es so. In der Regel, in modernen Gesellschaften zumindest, haben sie das Recht, ihre Kinder zu erziehen. Das ist nicht überall so. Von daher glauben wir, müssen Eltern Erziehung erst mal so nicht lernen, in Kursen oder wo auch immer. Gleichwohl müssen aber wir alle viel dazulernen, nicht zuletzt deshalb, weil es offenbar um Systembrüche geht, denen wir ausgesetzt sind. Wir klagen oft darüber, dass wir die Eltern nicht erreichen. Die Schule ist ein System, die Familie ist ein System, und dazwischen gibt es einen Bruch. Eltern oder Familien werden durch Kollegen und Kolleginnen der Jugendämter nicht mehr erreicht. Oder möglicherweise weniger erreicht. Auch aus der Richtung gibt es Klagen. Jugendliche
in einem Alter, wo sie ins Erwerbsleben gehen müssten, kommen auf dem Arbeitsmarkt zunehmend nicht mehr an. Wir können uns hinstellen und sagen: Na ja, selber schuld, hätten sie in der Schule besser aufgepasst, dann ginge es ihnen heute besser. Aber tatsächlich sind das Systembrüche, auf die einzugehen, das wäre wirklich mühselig. Ich habe das Konzept mitgebracht oder Sie können es sich vom Verband mailen lassen, da wird etwas mehr auf die Systeme und Systembrüche eingegangen. Eine Grundschule in Berlin-Neukölln hat sich letztes Jahr an Gangway gewandt, sehr idyllisch am Teltowkanal gelegen, sehr viel Grün, mit der Bitte um dringende Hilfe, weil alles ganz schlimm ist. Wir sind dann hin, haben das Gespräch aufgenommen. Sie brauchen Sozialpädagogen, Sozialarbeiter usw., aber sie wussten nicht genau warum. Jrgendwie war da Gewalt, Kinder, die nicht richtig ticken, Eltern, die sie nicht erreichen. Wir haben ihnen angeboten, eine Bedarfsanalyse zu erstellen, indem ein Kollege von uns immer wieder und zu bestimmten Terminen an die Schule geht, in den Unterricht geht, mit Erziehern und Erzieherinnen spricht, mit Eltern redet, sich das Geschehen mit den Kindern in der Klasse ansieht, um herauszufinden, was an dieser idyllisch gelegenen Grundschule los ist. Die Schule war sehr offen dafür, das sind nicht alle Schulen, muss man sagen. Ich war dann über sieben Monate an dieser Schule, immer montags, dann auch später dienstags und mittwochs. Tatsächlich kamen wenige Eltern rein. Aber im weiteren Verlauf hat sich herausgestellt, dass es von der Schule aus eine Regel gibt. Die Eltern mussten ihre Kinder zehn vor 8 am Tor abgeben, sie sollen nicht mit rein, weil sie den Unterricht stören. Da steht nicht: Eltern sind uns willkommen. Aber es gab auch gute Sachen gab es an dieser Schule. Kinder nicht-deutscher Herkunftssprache 82 %. Aber die Schule hat eine Regel: Einladungen werden grundsätzlich in deutscher Sprache an die Familien geschickt. Das kann man so machen, muss man nicht. Und viele andere Dinge, die das Leben künstlich oder zusätzlich erschwert haben. Sie haben es sich selber schwer gemacht. Sie machen es sich immer noch schwer. Auf einer Gesamtkonferenz, wo ich mich vorgestellt hatte, die gesamte Belegschaft war da, Lehrer und Lehrerinnen,
Erzieher und Erzieherinnen des Freizeitbereiches dieser Schule. Da sagten vereinzelte Lehrer zu mir: Na, ich dachte, Sie sind jetzt da und sagen uns, wer hier verhaltensgestört ist, gehen mit dem raus und reden, und ich kann mit dem Rest den Unterricht machen. Das ist schwierig, das sind ja keine dummen Menschen, sondern da ist irgendwo etwas, wo es drückt. Dann haben wir dieses Programm angeboten, dieses dialogische Coaching. Wir nennen das nicht Eltern-Coaching, sondern wir coachen uns alle, also Fachkräfte und Eltern. Wir haben den Lehrern und Lehrerinnen auch dabei geholfen, die Einladungen zu schreiben, weil sie fragten, wie sie das machen sollen. Na ja, wie sie zu den Elternabenden einladen, das ist klar, aber zum dialogischen Coaching? Das ist schon schwierig. Wie Sie wissen, arbeite ich mit Ihrem Kind als meine Schülerin, meinem Schüler. Ich bin mit Erziehungs-Bildungsaufgaben usw. betraut, und ich möchte mich weiterentwickeln, haben Sie Interesse, mich dabei zu unterstützen? Wir könnten beide vielleicht voneinander und von anderen etwas lernen. Diese Art der Ansprache ist sehr wichtig. Aber das Problem war, dass die Lehrer das Schreiben dann den Kindern einfach mit nach Hause gegeben haben und gar nicht den Dialog gesucht haben. Das hätte man machen können, noch mal nachtelefonieren oder so, haben Sie Interesse, ich habe Ihnen einen schönen Brief geschrieben und freue mich darauf, wollen Sie nicht doch? Das ist eine Haltungsfrage, die ist sehr wichtig. Jedenfalls kamen wir zusammen, hatten auch Termine vereinbart. Die Lehrer und Lehrerinnen haben gesagt, na ja, eigentlich wollen wir das nicht, aber – hm. Fünf von 23 Lehrern haben sich dann bereit erklärt. ErzieherInnen waren voll dabei, die sind anders. Dann waren wir gespannt, wie viele Eltern kommen, weil die Einladung so per Schultasche mitgegangen war und es Rücklauf gab. Dann Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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haben die LehrerInnen gesagt, ja, aber nicht hier 12 Treffen mit jeweils 4 Stunden, das geht nicht. Ein WerkstattTreffen 4 Stunden. Die Zeit brauchen Sie nicht, ich sage auch gleich warum. Dann haben wir gesagt, okay, machen wir eine kleine Geschichte von 2 Stunden. Wobei uns klar war, das funktioniert eigentlich nicht in 2 Stunden. 12 Termine wollten sie aber nicht. Okay, dann bis zu den Sommerferien. Wir wussten dabei, dass es schon weiter gehen würde. Haben wir gedacht. Der erste Dienstag, an dem wir uns getroffen haben, immer von 17 bis 19.30 Uhr, auch eine Zeit, die nicht unbedingt leicht für Familien bzw. Eltern ist. In Marzahn haben wir uns immer von 17 bis 21 Uhr getroffen. Da haben die Eltern, die Ressourcen haben, alles organisiert. Teilweise hatten sie 8 Kinder, also keine Migranten-Familien, sondern deutsche Familien, die haben ihre 8 Kinder versorgt. Und wenn es der Partner war, der auf einmal auf die Kinder aufpassen musste, weil die Mutter gesagt hat, ich gehe dort zum Lernen. An dieser Schule aber hatten wir alles ein bisschen reduzierter, weil die Lehrer und Lehrerinnen das so wollten und nicht anders. Wir haben die Termine mit einem Seil eröffnet, das war zusammengebunden und alle sind da rein. Dann wurde das so ein bisschen hochgehoben, dann haben wir gerüttelt und geschüttelt, und gesagt, wir sitzen alle in einem Boot, das Schiff bewegt sich jetzt. Auch um symbolisch darzustellen, wir sitzen tatsächlich in einem Boot, als Bürger oder Menschen oder wie auch immer. Dann ging es traditionell bei diesen Werkstattrunden bei der Eröffnung darum: wie komme ich heute hier an? Jedes Mal die gleiche Frage: Was geht mir durch den Kopf? Was beschäftigt mich? Nach Möglichkeit sollten die Teilnehmer in einem Tandem sein, eine Lehrerin, ein Eltern-
teil, eine Erzieherin, ein Elternteil, damit nicht die Fachkräfte überwiegen und es droht einseitig zu kippen. Beim ersten Treffen waren 5 Lehrerinnen da, 6 Erzieherinnen und 5 Eltern, später haben das dann die Eltern ein bisschen getoppt, es wurden dann mehr, warum auch immer, die Lehrer wurden weniger. Und dann so die Fragestellung: wer ist mein Partner? Dann ziehen wir uns zurück, immer zu zweit, und interviewen uns. Wie heißen Sie? Was ist Ihre Lieblingsspeise? Wie wohnen Sie? Haben Sie Kinder oder nicht? Verheiratet oder nicht? Viele Fragen. Und nach einer halben Stunde … Die Lehrerin sagte: Wat? Ne halbe Stunde? Nee, 10 Minuten. Ich sagte, wir probieren es, aber die Zeit hat einfach nicht gereicht, die halbe Stunde, weil die so viel Interesse an ihrem Gegenüber hatten und noch mehr fragen wollten. Man kommt in den Dialog, schon allein darüber. Vier Stunden klingt viel, aber die vergehen in so einer Werkstatt im Nu, eigentlich mit nur einer Pause, in der es belegte Brote gibt und Kaffee, Selter und Smalltalk, und dann wird weiter gearbeitet. In so einer Runde und immer wieder, dass man sich auch in kleinen Gruppen zurückzieht. Eine weitere Fragestellung aus einer anderen Werkstatt, das ist natürlich immer methodisch vorbereitet von uns. Also wir stellen nicht einfach so Fragen, sondern haben auch Papiere, die die Eltern bekommen: Was macht mich aus? Wer bin ich? Das ist doch eine irre Frage, da könnten wir heute noch eine Runde hier machen, was macht mich aus? Ich muss immer wieder feststellen, dass ich zu wenig darüber nachdenke, was mich ausmacht und wer ich bin. Wenn man für sich alleine darüber nachdenkt, dann braucht man sicher auch mehr als eine halbe Stunde. Und so auch in diesem Rahmen. Deshalb lieber diese 4 Stunden, die enorm wichtig sind. Aber am Ende der ersten Werkstatt haben die Lehrer und Lehrerinnen und die Erzieher und Erzieherinnen und auch die Eltern gesagt: Eigentlich ist die Zeit viel zu kurz. Eine andere Werkstatt haben wir zu dritt gemacht, weil es sinnvoll ist, mindestens zu zweit zu sein, weil man zeitweise müde wird, dann kann der andere einsteigen.
TN: Dieses Setting ist klar. Wie passt es denn, wenn ihr zu zweit oder zu dritt seid? Das, was gesagt wird, wo wird das festgehalten? Semih Kneip: Wir machen sowieso bei jeder Teambesprechung ein Erinnerungsprotokoll und machen während der Werkstatt nur Notizen, worauf wir dann auch möglicherweise drei Werkstätten später noch mal drauf zurückkommen können. TN: Also es gibt immer in der Gruppe jemand von Euch, der mitschreibt? Semih Kneip: Wir sind zu zweit und wir besprechen und schreiben und schreiben und sprechen. Wir vergleichen auch unsere Notizen. Und vor allem auch die Teilnehmer nehmen ein Blatt Papier und schreiben alles, was interessant ist, auf. Wenn man es nicht braucht, wirft man es weg. Aber vielleicht kann man es gebrauchen oder liest darin noch mal nach. Die Werkstätten werden am Ende einer jeden Sitzung von allen evaluiert. Da gibt es bestimmte Fragen, was hat mir heute besonders gut gefallen, wie empfand ich mich, ich bin an dem Thema xy interessiert, wo die Teilnehmer reinschreiben, wo sie gerne weitermachen möchten. Die werden auch ausgewertet, werden zusammengefasst. Und dann bei der nächsten Werkstatt bekommen das alle Teilnehmer. Das gibt eine dicke Mappe mit Unterlagen und mit didaktischem Material. Wir erstellen auch gemeinsam Familienornigramme, weil es sehr interessant ist zu schauen, wo komme ich eigentlich her, welche Stellung hatte ich in meiner Herkunftsfamilie? Möglicherweise erklärt sich auch daraus, warum ich heute so bin wie ich bin. Oder wir schauen uns Familienbilder an und bitten darum, dass man Fotos mitbringt. Wir fragen auch, ob Interesse besteht, dass wir uns heute hier Familienfoto anschauen. Wenn die Lehrerin ja sagt, dann wird das eingescannt und gleich per Beamer angeschaut. Da lernen wir, das Sehen zu sehen, weil man manche Dinge sehr unterschiedlich sehen kann. Wenn man fragt: Was sehen wir? Dann fangen viele Leute gleich an zu sagen, ein verängstigtes Kind und der Vater
ist streng oder die Mutter wirkt streng. Wir sagen dann: Noch nicht interpretieren, einfach nur mal gucken, was sehe ich? Das kann unterschiedlich sein, anhand der Bildqualität oder der Mode kann man das Foto einer Zeit zuordnen, 1930 oder die 60-er Jahre, vielleicht eine Familie, Mutter, Vater, zwei Kinder, scheint so zu sein. Und erst dann steigen wir langsam darauf ein, was wir noch sehen oder noch vermuten hinter dieser Familienaufstellung. Wir bitten am Ende auch die Person, die das Familienfoto zur Verfügung gestellt hat, zu helfen, ob die Einschätzungen falsch sind oder richtig. Eigentlich geht es darum, sich ein Bild von Familien zu machen. Wie funktionieren Familien? Wie ticken Familien? Und bei Bedarf, wenn wir erkennen, da ist großes Interesse, dann bauen wir für das nächste Mal eine sogenannte Eltern-Universität ein, wie wir das genannt haben. Da geben wir einen kleinen Input, über das familiäre System zum Beispiel und dessen Wandel. Im Kontext von Schule haben wir Module ausgearbeitet, wo wir nach der Erstbegegnung, unsere Erwartungen und Ziele formulieren, unser Selbstverständnis: also wie kann ich mich selbst im Dialog mit anderen wahrnehmen, wer bin ich, was macht mich aus, usw. Darüber kommen wir auf die Aussage: Keiner ist eine Insel. Ich und meine Umwelt. Wir haben Umweltkarten und bitten die Teilnehmer, wenn sie mögen, mitzuarbeiten: Die Familie ist in der Mitte, was gibt es noch um die Familie herum? Kinderarzt, Schule, Freizeit, usw. Im zweiten Schritt bitten wir darum, die Verbindung zum Kinderarzt aufzuzeichnen. Sie kennen das aus anderen Kontexten, gestörte Verbindungen oder tolle Verbindung. Dann kann man darüber ins Gespräch gehen. Arzt spielt bei Ihnen keine Rolle, Gesundheit schon. Immer schon gesund gewesen? Manchmal kommen so Dinge wie: tierische Angst vor dem Zahnarzt; oder: der Vater ist im Krankenhaus verstorben und seitdem gehe ich nicht mehr zum Arzt, weil ich da dieses oder jenes erlebt habe. Solche Aussagen kann man dann auf die Kinder beziehen: Das kann die eigene Geschichte sein, aber die Kinder haben möglicherweise eine andere Fürsorge verdient, usw. Ein anderes Beispiel: Eine türkische Mutter sagte, jetzt versteht sie sich mit ihrer Mutter viel besser, das war nicht Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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immer so. Der Vater ist vor drei Monaten gestorben und er hat wohl gesagt, dass sie sich um ihre Mutter kümmern soll. Da hat sie einen Auftrag gekriegt, gleichzeitig aber ist sie dabei, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, weil er das alles nicht mitmacht und sagt, lass mal Mutti Mutti sein. Man kann darüber ins Gespräch kommen, über solche Aufträge, wie manchmal Eltern aus dem Grab heraus noch unsere Geschicke bestimmen. Ein weiteres Thema sind Familienwelten, Familiensysteme. Schule gestern und heute: Da versuchen wir, über Schule ins Gespräch zu kommen. Wie sieht meine eigene Schulerfahrung aus? Was ist heute in den Schulen los? Wem gehört die Schule? Was kann die Schule leisten? Was kann sie nicht leisten? Welche Veränderungsgedanken hat die Organisation Schule? Wie kann ich Schule heute lernen? Ist Schule eine lernende Organisation? Ein weiteres Modul, also eine weitere Werkstatt, könnte sein – ist es in diesem Fall auch -: Wie sehe ich meine Kinder oder Schüler? Jugend und Jugendkulturen, das ist in diesem Zusammenhang ein Thema. Was ist heute mit den Jugendlichen los? Können wir Jugendliche neu und anders verstehen, ihnen standhalten und sie auf ihrem Weg halten und orientieren? Nicht gleich Grenzen setzen, aber standhalten. Das ist eine andere Haltung, ohne dass die jetzt die richtige sein muss. Gelingende Erziehung in schwieriger Zeit. Wie kann man die heutigen Erziehungsaufgaben neu und anders verstehen? Es werden nicht mehr viele Kinder geboren in modernen Staaten, auch in der Bundesrepublik nicht. Kinder haben mittlerweile Rechte. Kinder sind Mangelware. Da verändert sich vieles. Autorität ohne Gewalt: Wie können wir Erziehungskonflikte besser verstehen und managen? Auch die Frage: Wie lernt man eigentlich Erziehung? Ich finde die Frage interessant. Wir sind ja teilweise sicherlich auch Eltern. Ich kann Ihnen
für meine Person sagen, wie man es macht: Beim ersten Kind so und beim zweiten Kind vielleicht noch mal anders, um nicht zu sagen: besser. Aber auch aus der Erfahrung, wie es unsere Eltern gemacht haben. Und auch aus dem Sehen, wie es die Nachbarn oder die Geschwister machen. Salopp gesagt, so lernt man erst mal erziehen. Zum Schluss geht es natürlich um ein Netzwerk der Hilfen und Unterstützungen, also wie vernetzen wir uns? Es scheint wichtig zu sein, dass wir anfangen, Partnerschaften zu entwickeln und zu vernetzen, um nicht Einzelkämpfer zu sein, weil man so gegen die Wand fährt. In solchen Gesellschaften, wie wir sie sind, und wohin wir uns auch entwickeln, vollzieht sich eine turbokapitalistische und rasante Entwicklung. Vor 12 Jahren hätte man mit solchen Beamern seine Präsentationen nicht gemacht, sondern man hätte einen Overhead-Projektor benutzt. Oder wir telefonieren heute mobil. Diese Dinge verändern natürlich unser Leben, technisch, wissenschaftlich, es gibt kulturelle Umbrüche usw. Wir haben ein kleines Buch gemacht: „Die Stärken meines Kindes“, damit können Eltern, wenn sie mögen, auch arbeiten. Das verteilen wir zu gegebener Zeit. Also dieses Buch beginnt damit: Wenn ein Paar ein Kind bekommt, werden Mann und Frau zu Eltern. Man kann auch sagen, das Paar macht in seiner Liebe ein Kind. Aber das neu geborene Kind macht ein Paar überhaupt erst zu Eltern. Und es ist ja auch so, dass bereits der Säugling und das kleine Kind mit seinem ganzen Wesen, seinen Bewegungen, seinen Gefühlen, seiner Ausstrahlung, so wie es sich äußert und zeigt, Mutter und Vater immer wieder dazu motiviert, sich dem Kind zuzuwenden, es anzuschauen, für es zu sorgen, es anzunehmen und zu beschützen. Natürlich verlangt die Pflege und Erziehung eines Kindes einen beträchtlichen Arbeitseinsatz. Macht nicht immer Spaß, sondern es kostet auch Nerven. Kinder sind ja nicht immer nur Engel. Je mehr wir aber als Eltern entdecken und erkennen, welche großartigen Kräfte unsere Kinder haben, über welche außerordentlichen Gaben sie verfügen, fällt es uns leichter, für unsere Kinder zu sorgen und sie zu erziehen. Und es ist eine oft gemachte Erfahrung, wenn Mütter und Väter die Stärken ihrer Kinder wahrnehmen und anerkennen können, werden sie selbst zu star-
ken Eltern. Entdecken Sie darum die Stärken Ihrer Kinder und bauen Sie auf diese Weise Ihre eigenen Stärken aus. Finden Sie heraus, auf welche Stärken Ihrer Kinder Sie bauen können und wie Sie sie weiterentwickeln können. Sie können dieses Buch der Stärken Ihres Kindes ganz nach Ihren eigenen Vorstellungen gestalten. Sie können aber auch unsere Vorschläge in dieser Anleitung als Anregung und Leitlinie nehmen. Also es geht einfach darum, dass man anfängt, sich damit zu beschäftigen. Als mein Kind gerade geboren war, ist mir gleich aufgefallen, was dieses Kind von Anfang an auszeichnete. TN: Ist es in andere Sprachen übersetzt worden? Semih Kneip: Nein. Es ist nichts Kommerzielles, also wir werden nicht finanziert. Gangway ist ein Verein für Straßensozialarbeit. Ich mache das in anderen Kontexten mit Kollegen, die auch durch den Kronberger Kreis ausgebildet sind. Wir haben zum Beispiel im Wedding ein Straßensozialarbeiterprojekt, da geht es aber mehr um Gemeinwesenarbeit. Da gibt es eine Bürgerinitiative, die über die Jugendlichen meckert, da gibt es eine Bürgerinitiative, die will die Migranten weg haben, usw. Da bietet es sich an, Module zu entwerfen und die Menschen in sogenannten Werkstätten zusammenzubringen. Aber so weit sind wir nicht und wir arbeiten damit noch nicht als Projekt. TN: Als Sie in die Schule gegangen sind, die Grundschule mit den vielen Migranten, die die Einladung nicht lesen können oder mit dem Text nichts anfangen können, …? Semih Kneip: Das haben wir so nicht erlebt. Ihre Frage ist sicher berechtigt, aber bei den Eltern, die da waren, haben wir nicht erlebt, dass sie es nicht hätten lesen können. Wir haben auch deutsch gesprochen. Also ich kann Türkisch, aber ich kann nicht Arabisch sprechen. Hier tauchte die Frage nach den Ausschlusskriterien auf: Bei diesem Programm haben wir keine, es sei denn, man ist hart auf Drogen oder schwer psychisch krank, dann ist dieses Setting nicht sinnvoll. Aber wenn Alkoholiker mit ihrer Flasche kommen würden, dann würde schon irgendwer was sagen.
TN: Gibt es diese Art von Arbeit an der Schule weiterhin? Gibt es jetzt andere Angebote und kann ich das propagieren, gibt es noch Kapazitäten? Semih Kneip: Dies ist ein Modellprojekt. Es gibt viele interessierte Menschen, in der Regel kommen Eltern und Fachkräfte. Aber wir sind eigentlich noch nicht so weit. In Berlin gibt es drei, vier Leute, die sich bei Reinhart Wolff in der Vergangenheit diesbezüglich haben zertifizieren lassen. Sozialarbeiterische Qualifikationen sind sicherlich wichtig, erzieherische, aber hier geht es auch um Organisation, Systeme, Systemtheorie usw. Es ist noch nicht so weit, das Modell größer machen zu können. Wenn eine Schule Interesse hat, und es entsteht dann, dann sind wir gerne zur Teilnahme bereit. Die Schule, von der ich sprach, hatte dringenden Bedarf, dass da was passieren musste. Wir haben uns 8 Werkstätten lang getroffen. Vor den Sommerferien war das offiziell beendet. Alle waren euphorisch und wollten unbedingt weitermachen. Wir haben dann gesagt, dass wir uns nach den Sommerferien zu einer Ideen-Werkstatt treffen. Welche Ideen haben wir, wie können wir hier weiter arbeiten? Das wollten sie auch. Als die Schule wieder begann, hat die Direktorin gesagt, dass sie sich überlegt haben, dass das nichts bringt, weil sie dadurch nicht so groß die Eltern erreichen. Was sie verkannt haben – aus meiner Sicht -, ist, dass Veränderung durch Selbstveränderung passiert. Oder wir müssen uns vorwerfen, dass wir das dort nicht zur Genüge haben rüberbringen können. Aber nur so geht es. Wenn sich der eine Partner in seiner Haltung verändert, ändert sich auch der andere.
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„Nachbarschaftsheime, Mütter-, Familien-, Stadtteilzentren, Bürgerhäuser“ Ansprüche, Profile, Förderprogramme
Inputs: Monika Döhrmann (Mehrgenerationenhaus Braunschweig) „Vom Mütterzentrum zum Mehrgenerationenhaus“ Dr. Eberhard Löhnert (DPW Berlin) „Der Berliner Stadtteilzentrenvertrag“ Bernd Giesecke (Bürgerschaftshaus Bocklemünd-Mengenich) „Familienzentren in Nordrhein-Westfalen“ Dr. Konrad Hummel (Augsburg) „Gedanken über die Notwendigkeit, den Partikularismus zu überwinden“ Moderation: Torsten Wischnewski
Torsten Wischnewski: Wir wollen der Frage nachgehen: Was bedeuten die unterschiedlichen Einrichtungs- Typen - Familienzentren, Mehrgenerationenhäuser, Stadtteilzentren? Es wird uns heute nicht so sehr darum gehen, neue Förderprogramme zu entdecken, sondern zu prüfen, wie wir methodisch arbeiten und welche Themen auf uns zukommen. Einrichtungen mit Themen der Fami-
lienarbeit existierten schon seit 50 Jahren – zumindest in Berlin – oder seit mehr als 20 Jahren in Köln oder Braunschweig, also seit langer Zeit. Wir wollen zwei praktische Beispiele aus Braunschweig und Köln geben. Dann wird Herr Löhnert etwas zu der Berliner Situation der Stadtteilzentren erläutern. Herr Hummel wird danach das Vorgetragene aufnehmen und kritisch darlegen, ob wir mit unseren Förderprogrammen und unseren verschiedenartigen Typen auch heute noch richtig liegen und was die Zukunft unter Umständen bringen kann. Monika Döhrmann: Ich zeige Ihnen als erstes einen kleinen Film, der im Frühjahr 2006 für die Sendung „Hallo Niedersachsen“ vom NDR aufgenommen worden ist. Er gibt Einblick in unsere Räumlichkeiten und die Schwerpunkte unserer Arbeit. (Filmeinspielung: Mehrgenerationenhaus Braunschweig) Wir sind von einem Mütterzentrum zum Mehrgenerationenhaus geworden. Das Mütterzentrum wurde 1987 gegründet. Zum 1.4.2004 haben wir den Zuschlag als ein vom Land gefördertes Mehrgenerationenhaus bekommen und sind in neue Räumlichkeiten gezogen. Der Film ist also zwei Jahre später entstanden und zeigt, dass eine ganze Menge einfach so funktioniert. Es war nicht ganz einfach, vom Mütterzentrum zum Mehrgenerationenhaus zu werden. Natürlich hatten wir Väter, die in der Elternzeit regelmäßig bei uns Besucher waren. Wir hatten auch ältere Menschen, ältere Frauen vorwiegend, bei uns im Haus, die mit ihren Töchtern oder den Enkelkindern einfach mal da waren. Schwerpunkte waren das Café, der Second-Hand-Verkauf, Kinderbetreuung und ein paar Gruppenangebote wie Meditation oder Autogenes Training, auch ein bisschen Einzelberatung. Unser Haus war aber nicht durchgängig geöffnet. Nach dem Umzug haben wir ein neues Konzept entwickelt. Das „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ stellt eine ganze Menge Anforderungen an die einzelnen Träger. Wir mussten in relativ kurzer Zeit ganztägige Öffnungszeiten umsetzen, die Räumlichkeiten ansprechend gestalten, ein bisschen Dienstleistung anbieten: Friseur, Fußpflege, Kosmetik. Wir haben den Mittagstisch neu
aufgenommen, um ein Angebot für die Menschen aus der Nachbarschaft, die zu uns ins Haus kommen, zu haben. Wir sollten neue Zielgruppen ansprechen, zum Beispiel verstärkt ältere Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch mehr Männer. Das alles zu einer Zeit, in der einige noch dem alten Mütterzentrum, den kleinen beschaulichen Räumen, nachtrauerten, während andere ganz gespannt waren auf das, was jetzt passiert. Innerhalb unseres Teams von 25 Frauen hatten wir einen ziemlichen Spannungsbogen in Bezug auf den Hintergrund und die Qualifikation. Gleichzeitig hatten wir eine Menge Aufgaben zu bewältigen. Es war relativ schwierig zu sagen, in welche Richtung wir gehen wollten. Wir haben erst mal alles aufgegriffen, alles Mögliche umgesetzt. Dann haben einige kritisiert, dass es keinen Frauenraum mehr gab, sie fanden es nicht gut, dass dann doch Männer da waren. In dem Film sah man, dass deutlich mehr Frauen das Haus besuchen als Männer, man sieht auch kaum Migranten, die sind erst später dazu gekommen, als wir uns das bewusst zur Aufgabe gemacht haben. Wir hatten intern eine Menge Auseinandersetzungen. Wir haben uns auch gefragt, wer wir jetzt eigentlich sind: Mehr so ein Müttertreffpunkt oder mehr ein Mehrgenerationenhaus? Wo wollen wir hin? Passt beides zusammen? Was wollen wir bewahren? Was wollen wir neu machen? Ich denke, dass das vielen Trägern mit diesem neuen Konzept so gegangen ist. Dann fragt man sich natürlich, warum man sich danach gestreckt hat ... Jetzt im Nachhinein muss ich sagen, dass das Mehrgenerationenhaus wirklich eine Erweiterung unseres Konzeptes gebracht hat, weil wir jetzt ganz klar sagen: Wir sind ein Mehrgenerationenhaus, das aus der Mütterzentrumsbewegung kommt. Wir haben immer schon Hilfe zur Selbsthilfe angeboten, wir haben immer schon Nachbarschaftshilfe initiiert, damit Menschen sich kennen lernen konnten. Wir haben schon immer Netze geknüpft in den offenen Räumlichkeiten, die wir haben. Und in der Begegnung zwischen den Menschen wurden letztendlich schon Brücken zwischen den Generationen gebaut. Das ist das, was wir von dieser Mehrgenerationenhaus-Idee auch vorher schon verwirklicht hatten.
Weil wir aus der Mütterzentrenzeit kommen, gibt es bei uns nach wie vor Baby-Gruppen, PEKiP-Gruppen, pädagogische Nachmittage, Kinderangebote in den Ferien, Kinderbetreuung und all diese Dinge, die rund um das Familienleben dazugehören. Wir haben allerdings kaum Jugendliche bei uns im Haus, weil unsere Räumlichkeiten es nicht hergegeben haben, eigene Räumlichkeiten für Jugendliche zu schaffen. Das ist auch schon eine alte Geschichte, so haben wir immer schon gearbeitet uns anzuhören, was die Menschen brauchen, die zu uns kommen, und dem entsprechend unser Angebot weiterentwickelt. Wir haben bei den Migrantinnen z.B. festgestellt, dass sie einen hohen Bedarf an Deutschkursen haben. Die konnten wir in Zusammenarbeit mit dem Büro für Integrationsfragen tatsächlich einrichten. Über eine Landesförderung haben wir jetzt eine Erzieherin mit einer halben Stelle, die Sprachkurse bei uns anbietet. Um das ganze große Gefüge am Laufen zu halten, müssen wir enorm viele Anträge zur Finanzierung stellen. Wir prüfen laufend, was es an Landes- und Bundesprogrammen gibt; wo kann uns ein Amt wie das Büro für Integrationsfragen das zur Verfügung stellen, was wir brauchen; oder Angebote die Jugendhilfe bei uns durchführen kann und wo wir Räumlichkeiten nutzen können, für die wir nichts bezahlen müssen. All diese Dinge sind unser tägliches Geschäft geworden und ich glaube, dass das auch nicht mehr umzukehren ist. TN: Ich habe eine Frage zu den Dienstleistungen, die Sie anbieten, wie funktioniert das denn? Welche rechtlichen Voraussetzungen gibt es da? Monika Döhrmann: Das ist recht schwierig, wir sind ja ein relativ kleiner Verein. Es gibt ein Vereinsrecht, in dem es Steuergrenzen gibt, die wir inzwischen längst überschritten haben. Wir haben am Anfang alles in eigener Trägerschaft gemacht, da darf man 17.500 Euro Einnahmen haben, die nicht umsatzsteuerpflichtig sind. Diese Grenze hatten wir in ganz kurzer Zeit durch Mittagessen, Kaffee und Kuchen, Friseur, Second Hand, Kinderbetreuung usw. erreicht. Da haben wir die Frauen, die diese Angebote gemacht haben, Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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drängen müssen, in die Selbstständigkeit zu gehen. Das heißt, der Second-Hand-Laden wird jetzt von einer Frau betrieben, die sich selbstständig gemacht hat. Wir machen allerdings noch Zuarbeit wie Öffentlichkeitsarbeit für sie. Dasselbe ist mit der Friseurin und der Kosmetikerin und allen anderen, die bei uns was anbieten, passiert. Vieles von dem, was vorher in unserer Trägerschaft lief, machen die Frauen jetzt alleine.
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TN: Für uns sind die kostenlosen Angeboten, die wir wegen der sozialen Mischung machen wollen und müssen, ein Problem. Denn natürlich haben wir den Druck, auch Einnahmen zu erzielen zu müssen mit kostenpflichtigen Angeboten. Wie gehen Sie damit um? Monika Döhrmann: Es gibt fast gar keine kostenlosen Angebote mehr. Es gibt in Braunschweig die „Tafel“, wo sich viele versorgen können. Auf die „Tafel“ sowie auch auf den kostenlosen Mittagstisch bei der Evangelischen Kirche da verweisen wir. Alle anderen Angebote, die man bei uns im Haus wahrnimmt, sind kostenpflichtig. Das Mittagessen bei uns im Haus kostet 3 Euro, das ist noch nicht so sehr hoch. Wir haben sehr viele Niedrigverdiener und viele Menschen mit sehr geringem Bildungsniveau. Bernd Giesecke: Wir gehen jetzt ein Bundesland weiter, nach Nordrhein-Westfalen, in die Familienzentren. Ich komme aus einem Bürgerzentrum, seit 1971 arbeiten wir. Die Bürgerzentren haben von der Idee her ihren Ursprung in Berlin bei den Nachbarschaftszentren. Der Stadtteil, in dem ich arbeite, Bocklemünd, liegt im Kölner Nordwesten, es ist ein sehr weit draußen gelegener Stadtteil. Der Stadtteil selber hat etwas über 10.000 Bewohner. Im direkten Umfeld des Bürger- bzw. Familienzentrums ist der Stadtteil ein Neubaugebiet aus den 60-er Jahren. Der Stadtteil, speziell in diesem Neubaugebiet, ist geprägt durch die berühmt-berüchtigten Problemlagen, worunter sich wohl jeder was vorstellen kann. Seit Anfang 2006 hat sich das Land entschieden, Familienzentren aufzubauen. Es gibt dazu eine wissenschaftliche Begleitung von Pädquis, Pädagogische Qualitätsund Informationssysteme, an der FU Berlin, mit dem Ziel,
die ersten 251 Einrichtungen im Jahr 2007 zum Familienzentrum zu qualifizieren. In diesem Jahr sollte es weitere 1.000 Einrichtungen dieser Art geben. Sukzessive soll dieses System soweit ausgebaut werden, dass in NRW ungefähr jede dritte Einrichtung ein zertifiziertes Familienzentrum sein wird. Nordrhein-Westfalen hat ungefähr 9.700 Kindertagesstätten. Ziel so eines Familienzentrums soll sein, über die Kindertageseinrichtung Angebote zur Förderung und Unterstützung von Kindern und Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und mit unterschiedlichen Bedürfnissen bereitzustellen. Alles soll niedrigschwellig und alltagsnah angelegt sein und es soll der familienorientierte Ansatz praktiziert werden. Zukünftig ist „Familienzentrum NRW“ also als Marke definiert. Die Qualifizierung wird in acht Feldern durchgeführt,vier Felder Leistungsbereiche, vier Felder Strukturbereiche. Die werden noch mal unterteilt, jeder Leistungsbereich noch mal in Basis- und Aufbauleistungen unterschieden. Insgesamt gehört zu dieser Qualifizierung ein Anforderungskatalog von 112 Fragen bzw. Anforderungen, die erarbeitet werden. Das ist eine enorme Datensammlung, eine enorme Informationssammlung, die von uns durchgeführt werden muss, und zwar innerhalb eines relativ knapp bemessenen Zeitraums, nämlich eines halben Jahres. Man bekommt von Pädquis auf Anfrage Unterstützung. Man wird von Pädquis auch qualifiziert, indem jemand vorbeikommt. Der Aufwand ist gewaltig: Daten zu sammeln, Flyer zu sammeln, Ordner aufzubauen. Es geht auch um Kooperationen. Es geht darum, mit Erziehungsberatungsstellen, Kinderärzten, mit den verschiedenen Therapie-Einrichtungen usw. auch Kooperationsverträge zu schließen. Die müssen auf der einen Seite standardisiert werden, auf der anderen Seite kann man aber nicht alles standardisieren. Es gibt also auch unterschiedliche Kooperationsverträge, man muss den Flyern hinterherlaufen, also man muss Nachweise sammeln, tatsächlich nahezu ohne Ende. Hinterher hat man ein Riesensammelsurium, das sind mehrere Aktenordner, an Informationen, die zur Verfügung stehen und die dann eben auch nutzbar gemacht werden sollen.
Diese Erbsenzählerei, wie ich das genannt habe, hat erst im kleineren Kreis der Einrichtungsleitung stattgefunden, hat aber dann immer größere Kreise gezogen. Das hat dazu geführt, dass auch eine viel stärkere oder eine erneute Auseinandersetzung stattfand mit dem, was in unserem Haus passiert, nicht nur in der Kindertagesstätte, sondern auch in den Bereichen drumherum. Wir haben immer gesagt, es gibt ja das Bürgerzentrum, es gibt Beratung, es gibt auch externe Dienste, die in das Bürgerzentrum kommen. Selbstkritisch muss man sagen, dass wir das im Prinzip nur als Sammelsurium hatten. Wir hätten es vorweisen können, klar, haben wir alles, aber in der Tiefe war es nicht da, weil die Kooperationen nur locker waren. Sicher kennen das viele von Ihnen, dass eine Alltagsblindheit entsteht und man Scheuklappen aufhat, weil man gar nicht mehr alles wirklich im Griff hat oder wirklich über alles informiert ist. Für uns hat diese Auseinandersetzung in allen Bereichen zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit geführt und auch zu einem schärferen Blick auf den Stadtteil, mit eben diesen unterschiedlichen Facetten, wie sie durch die Qualifizierung zum Familienzentrum gefordert sind. Seit wir ein zertifiziertes Familienzentrum sind, fließen Informationen viel schneller. Für unser Haus, also für „Die wilden Füchse“, wie unsere Kindertagesstätte heißt, ist in Bezug auf die Elternarbeit mehr erreicht worden. Wir haben engen Kontakt zu den Eltern, stellten aber dann im Nachhinein doch fest, dass das sehr einseitig war. Auf Nachfragen kam eigentlich wenig zurück, was die Eltern tatsächlich im Erziehungskontext interessiert. Bei uns gab und gibt es immer noch Elternabende, für fast 100 Kinder und 70 Eltern. Wenn dazu 5 bis 7 Elternteile kommen, dann ist das viel. Daran arbeiten wir. Die Kollegen sind dazu übergegangen, im Elterncafé Eltern anzusprechen, um sie mehr einzubeziehen. Dadurch kommen jetzt mehr Rückmeldungen. Da sehe ich einen möglichen Weg..
Bernd Giesecke: Gute Frage. Ich glaube, wir haben unsere Mitarbeiter bisher noch zu wenig an einzelnen Punkten beteiligt, z.B. daran Eltern anzusprechen.
TN: Wie haben Sie es geschafft, dass die Mitarbeiter in der Kita ihr Verhalten den Eltern gegenüber verändert haben?
Bernd Giesecke: Weil sehr viele Einrichtungen nicht im Kontakt mit den Eltern arbeiten. In Nachbarschaftseinrichtungen gab es schon immer das Ansprechen der Menschen. Aber das ist in anderen Einrichtungen nicht so
TN: Kann es sein, dass die Kindergartenleiterin oder der Kindergartenleiter mit einer anderen Fragestellung in die Elternabende oder an die Bildungsaspekte gegangen ist als die Eltern selber? Bernd Giesecke: Nein, ich spreche jetzt nicht nur vom Elternabend, sondern generell von der Ansprechbarkeit der Eltern. Wir haben uns als Mitarbeiter in Gespräche reinziehen lassen, die wenig mit dem Bildungsauftrag zu tun haben, sondern um praktische Kleinigkeiten gingen. Wenn wir mal mit ihnen darüber sprechen wollten, wie z. B. ein Kind spielt, fühlten sie sich schnell bedrängt. Davon wollten sie nicht erzählen. Vielleicht wissen sie darüber selber auch nichts, weil sie sich darum nicht kümmern. . Die Auseinandersetzung hat dazu geführt, dass sich die Erzieherinnen selber mehr Gedanken drum gemacht haben und jetzt qualifizierter nachfragen. Sie lassen die Eltern nicht mehr so schnell in Ruhe. TN: Es ist doch normaler Bestandteil von Qualität in einer Kindertagesstätte, Mitarbeiter für Gespräche mit Eltern zu qualifizieren, das ist für mich Standard in der Kita-Arbeit. Wo ist der Bezug zu der neuen Struktur eines Familienzentrums?
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gewesen. Ich glaube, das muss ich jetzt wirklich auf uns beziehen, dass nicht jede Mitarbeiterin diese Qualifikation mitbringt. Durch diesen Zertifizierungsprozess sind wir darauf gekommen, dass wir da viel mehr machen müssen.
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TN: Sie sprachen von den Kooperationen, worin genau bestanden oder bestehen die? Man hat ein gemeinsames Ziel und unterschiedliche Potenziale und Ressourcen die man in die Kooperation einbringt. Ich kann mir noch nicht so richtig vorstellen, worin beispielsweise die Kooperation zwischen einer therapeutischen Einrichtung und euch bestehen kann. Bernd Giesecke: Eine ganz aktuelle Kooperation besteht mit einem Jugendhilfeträger, der auch in dem Sozialraum in Bocklemünd arbeitet. Dort wurde auch festgestellt, dass es sehr wenige offizielle Nachfragen in der Erziehungsberatung gibt. An die sind wir herangetreten und haben gesagt: ihr macht das doch schon, wir würden euch gerne als Kooperationspartner für unser Familienzentrum gewinnen, um eine Eltern-Kind-Beratung durchzuführen, die dann bei uns im Haus stattfindet.
Torsten Wischnewski: Vielen Dank. Das lassen wir erst mal so stehen. Jetzt Eberhard Löhnert aus Sicht des Paritätischen. Eberhard Löhnert: Ich spreche nicht nur aus der Sicht des Paritätischen, denn man sieht ja hier die Partner des Paritätischen, die Fachverbände, den Verband für sozial-kulturelle Arbeit, SEKIS, also die Vereinigung der Selbsthilfegruppen, ABS, die Vereinigung für Seniorenprojekte, Treffpunkt Hilfsbereitschaft, die Freiwilligenagenturen usw. Das sind alles
unsere Partner, als Institutionen. Wir haben natürlich auch Akteure als Partner, mit denen wir wesentliche Entwicklungen beraten: Herr Zinner, als Teil des Vorstandes des Paritätischen, Herbert Scherer zum Beispiel, die Geschäftsführer der Dachverbände. In dem Sinne ist der Paritätische zwar juristisch zuständig für das Land Berlin. Aber er kann nur gemeinsam – und das ist eines unserer Erfolgsrezepte - mit den tatkräftig mitwirkenden Verbänden und Akteuren seine Arbeit machen. Stadtteilzentren, Nachbarschaftshäuser, Selbsthilfekontaktstellen, das sind in jedem Fall Orte, wo man viele Angebote hat sich zu engagieren, wo man auch mal mit sich selber ins Reine kommen kann, sich besinnen kann, wo man andere Menschen kennen lernen kann usw. Ich persönlich finde den Begriff Stadtteilzentrum nicht so glücklich. Wohingegen der Begriff Nachbarschaftshaus für den Bürger etwas ganz Konkretes ist. Nachbarschaftshäuser haben sich ja schon 1949 im Westteil der Stadt Berlin entwickelt. Nach der Wiedervereinigung war es die Aufgabe, auch im Ostteil der Stadt eine ähnliche Struktur zu bilden, bei abnehmenden Geldmitteln. Da wir das Geld gerecht verteilen wollten, mussten wir uns auf eine Gewichtung einigen. Es gab natürlich auch im Osten unterschiedliche Typen, in denen es einen wertvollen Bestand an Erfahrungen gab, der erhalten bleiben sollte. Die Stadtteilzentrumsverträge, zur Zeit gibt es den dritten Folgevertrag mit einer Laufzeit von 2008 bis 2010, bedeuten eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Ich denke, wir sind da inzwischen auf gutem Wege. Wenn man der Politik Glauben schenken darf, sind die Stadtteilzentren in Berlin, die gesamtstädtisch gefördert werden, nicht gefährdet. Im Gegenteil, sie sind unverzichtbar für die Weiterentwicklung der Stadt. Das ist die Meinung, die gegenwärtig in allen Parteien hier in Berlin vertreten wird. Da gab es auch keine Kürzungen, obwohl Berlin ja in einer äußerst komplizierten finanziellen Situation ist. Wir fangen jetzt an, den nächsten Vertrag ab 2011 vorzubereiten, wo man eher sagt, wir brauchen noch ein bisschen mehr Geld, um dessen Umsetzung auch finanzieren zu können. Der demografische Wandel ist ein Thema. Das ist eine Herausforderung, die zu den inhaltlichen Schwerpunkten
gehört: Es war ein Glücksfall, dass die Politik entschieden hat, diejenigen Projekte der Altenarbeit, die bürgerschaftliches Engagement zum Ziel haben, in die Stadtteilzentren einzuordnen. Das hat dazu geführt, dass wir hier jede Menge an Kompetenz zu diesem Thema mit hereinbekommen haben – sowie auch eine Menge an Herausforderungen, um gemeinsam dieses Miteinander der Generationen zu gestalten. Interkulturelle Öffnung, das ist klar, Berlin ist eine interkulturelle Stadt. Eines der wichtigen Dinge, die sich bewährt haben, ist, dass man sich weiter öffnet. Das ist selbst in Berlin in den einzelnen Bezirken sehr unterschiedlich, zwischen ihnen gibt es ein riesiges Gefälle. Egal, wie sehr man sich öffnet, aber eine der Hauptmethoden, mit denen eine Öffnung erreicht wird, sind Tandem-Projekte. Das bedeutet, dass sich Initiativen von deutschen Bürgern mit Organisationen von Menschen mit ausländischer Herkunft zusammen tun, um sich gemeinsam im jeweiligen Stadtteil zu engagieren. Wo werden im nächsten Jahr die inhaltlichen Schwerpunkte der Weiterentwicklung liegen? Wir haben folgende Punkte gemeinsam beschlossen: Die Struktur nach innen soll weiter verbessert werden, die Funktionalität der Häuser soll verbessert werden. Also nicht nur für jede einzelne Zielgruppe einen Raum, das geht nun bei dieser Entwicklung nicht mehr, sondern der Gedanke von Multifunktionalität von Räumen ist inhaltlich weiter auszugestalten, um für generationsübergreifende Kulturangebote bessere Bedingungen zu schaffen. Das wäre so ein Punkt bis 2010 und noch weiter. Das Zweite betrifft die Sozialräume, heute sagt man lebensweltorientierte Räume, zu denen der Bezug enger werden soll. Da gibt es Überlegungen, die noch am Anfang sind. Es hat sich herausgestellt, dass wir ein Gesamtkonzept für die Stadt brauchen, das die bezirklichen Initiativen mit einschließt und stärkt. Dieses Gesamtkonzept wird in den nächsten 1 ½ Jahren entstehen. Wir sind schon dabei, auf diesem Gebiet zu arbeiten, gemeinsam mit den Bezirken zu schauen, wo wir zusätzliche Strukturen brauchen. Es geht nicht um Neubauten oder um mehr Geld. Sondern wir wollen vor allem die Infrastruktur nutzen, die es im Sozialraum schon gibt, also für das
Gemeinwesen eine weitere Öffnung von Seniorenfreizeitstätten, Jugendfreizeitstätten, anderen Stellen der Seniorenarbeit. Ein dritter Schwerpunkt wäre die Zusammenarbeit mit Schulen. Das ist hier in Berlin besonders wichtig, weil diese Zusammenarbeit Jugendhilfe/Schule seit Jahren politisch gestärkt worden ist. Selbstkritisch will ich sagen, dass wir in diesem Bereich ziemlich weit hinten stehen, obwohl bereits eine Menge geschieht. Aber was ist die eigentliche Stärke der Jugendhilfe, die in der Schule helfen kann, und das auch tut? Da gibt es unterschiedliche mögliche Entwicklungen. Eine zum Beispiel ist: wenn es uns gelänge, die Vorteile guter Jugendhilfe als Teilhabe von Kindern und Jugendlichen am eigenen Entwicklungsprozess auch in der Schule zu verankern, würde sich die Teilhabe der Schüler in der Schule und ihr Interesse daran wesentlich verbessern. Das ist einer der Punkte, woran man arbeiten muss. der andere Punkt wäre die Öffnung der Schule insgesamt für den Sozialraum. Kreative Potenziale älterer Menschen: Da hat das Nachbarschaftsheim Schöneberg ja ein tolles Projekt aufgelegt, in Kooperation mit zur Zeit sieben Stadtteilzentren, deren Zahl noch ansteigt. In der „Werkstatt der alten Talente“, kann man auf den verschiedensten Gebieten Bürger dafür gewinnen sich zu engagieren, sich zu qualifizieren und mit anderen Bürgern auch generationsübergreifend zu arbeiten. Das zeigt, wohin die Entwicklung geht. Auch dies ist einer der Schwerpunkte. Für die Öffentlichkeitsarbeit haben wir ab nächstem Jahr ein Programm, um der Berliner Bevölkerung die Aufgaben und Möglichkeiten der Stadtteilzentren zu zeigen. Das wird von März bis Oktober gehen. In diesem Zeitraum stellen wir der Öffentlichkeit unser Programm vor. TN: Eine Ergänzung: Es werden nicht alle Nachbarschaftseinrichtungen über diesen Vertrag gefördert. TN: Im Bereich der Nachbarschaftsheime, Nachbarschaftszentren und Stadtteilzentren, hat die freie Wohlfahrtspflege ein Monopol. Sie als DPW haben für die Nachbarschaftshäuser einen Vertrag mit dem Senat. Andere Spitzenverbände haben da keinen Zugang, sehe ich das richtig? Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Eberhard Löhnert: Nein, das sehen Sie falsch, wenngleich es auch richtig ist. Das Falsche ist einfach, dass sich die anderen Verbände einfach zu wenig bemüht haben, Nachbarschaftseinrichtungen in Berlin zu entwickeln. Konrad Hummel: Ich will über drei Ebenen sprechen: über die praktische Ebene, eine strategisch-kommunale Ebene und über eine erfolgreiche Ländervertragsverhandlungsebene. Aus meiner Sicht sind das alles drei sehr beachtliche, positive Beispiele. Nur in Bezug auf die Eingangsfrage – Motivationen – haben wir alle, die wir überzeugt sind, dass die dargestellten Beispiele in die richtige Richtung weisen, ein ungutes Gefühl, weil diese Verfächerung bei Einrichtungen eigentlich blanker Blödsinn ist. Sie ist aber so verfestigt, dass niemand freiwillig beispielsweise ein Stadtteilzentrum oder auch ein Mütterzentrum aufgeben wird. Oder: der Paritätische verkauft nichts an die Caritas ohne Gegenleistung. Das sind alles Positionen, die nicht verrückbar sind, und trotzdem sind sie widersinnig. Von daher verstehe ich meinen Beitrag als Mischung aus Vorbereitung und Nachdenken über Ansatzpunkte für Veränderung. Wir haben verschiedene Beispiele gehört und zwar angefangen bei der ganz alten Tradition der Nachbarschaftsbewegung. Wenn man alle bisherigen Ansätze betrachtet, dann haben wir heute so etwas wie das weltliche Bekenntnis zu einer Art künstlicher Nachbarschaft. Das ist ein sozio-ökologischer Ansatz. Ich schaffe eine künstliche Nachbarschaft, so wie man eine künstliche Natur schafft. Das Zweite ist dann die ganze Tradition der Mütterzentren etc., die natürlich auch eine Geschichte hat. Sie ist in Westdeutschland ganz stark aus der völligen Kapitulation Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg entstanden. Man wollte Ganztags-Kindereinrichtungen haben, folg-
lich hat man aus mancher „Krabbel-Babbel-Gruppe“ eine durchaus ansehnliche mittelstandsorientierte Mütterzentrums-Bewegung gemacht. Alle diese Beispiele sind Echo auf ein Stück Veränderung der Lebenswelt. Mir geht es darum, dass wir uns gelegentlich klar machen, dass sich jede Institutionalisierung aus geschichtlichen sozialen Quellen speist und nach Lösungen sucht. Bürgerzentren, Bürgerhäuser und Stadtteilzentren sind ziemlich genau in der Zeit entstanden, in der in den Großstädten Legitimationsprobleme entstanden, weil die Städte nicht mehr Heimat im klassischen Sinne waren, sondern in Kieze zerfielen. Es musste eine Art Renaturierung des Stadtteilbewusstseins passieren, weil sonst alle weggezogen wären. Dann die Entwicklung hin zu den ganzen Quartiersmanagement-Geschichten, also Soziale Stadt, Verwahrlosung von Stadtteilen, Renaturierung der Stadt. Dies alles waren Bewegungen etwa der Neubebauungen oder der Konversion, Rückentwicklung von Mietskasernen zu gemeinschaftsorientierten Wohnbauprojekten. Es ist wichtig, dass wir hier nicht nur über heruntergekommene Stadtteile reden, sondern auch über das Dilemma, wenn Stadtentwicklung eruptiv verläuft und nicht mehr, wie in Deutschland 30 Jahre lang üblich, permanent in die Höhe. Das ist ein wichtiger Punkt, denn wir alle schauen erschreckt in den Osten mit Rückbau der Städte. In anderen Ländern ist das Auf und Ab der Städte ein bisschen vertrauter, während es in Deutschland ein völlig neuer Lernprozess ist, Städte auch zurückzubauen. Entsprechend heißt so auch ein Programm. Das hat viele Folgen, nicht nur von der technischen Seite her, sondern vor allem für den Menschen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist dann die ganze Entwicklung im Bereich der Senioren. Es gibt Seniorenbüros, Seniorentreffpunkte, die ständige Wiederkehr des Problems, dass die goldenen Herbste gar nicht so golden sind. Es besteht nach wie vor die Frage, wie man den demografischen Wandel und das Älterwerden organisiert. Und jetzt hängen zum Teil Seniorenbüros rum, die überhaupt nichts mit dem Rest der Gesellschaft zu tun haben. Auch wieder blanker Blödsinn. Gemerkt hat diesen Unsinn zunächst eine Seniorengruppe selber, nämlich dass sich
Senioren letztendlich nur gewinnen lassen, wenn auch jüngere Generation mit dabei sind. Reine Seniorenansätze sind nach meiner Überzeugung in Deutschland nicht erfolgreich, sie müssein einen intergenerativen Aspekt haben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang die ganze Pflegeentwicklung, Sozialstations- und Pflegestützpunkte. Die Pflegestützpunkte, die jetzt auch Berlin beglücken und andere Regionen beglücken sollen, weil sie in der Pflegereform vorgesehen sind, schaffen im schlimmsten Fall wieder ein eigenes Zentrum. Und zum Schluss will ich den Bereich Schule anführen. In einigen Ländern wagt plötzlich Schule von sich aus zu behaupten, sie sei vielleicht ein Nachbarschaftszentrum. Ich sage das mit einem süffisanten Unterton, weil ich von der bayerischen Kultuspolitik geprägt bin. Die würde wahrscheinlich behaupten, dass der Stadtteil zur Schule zu gehen hat und nicht umgekehrt die Schule zur Nachbarschaft. In Gebieten, die baden-württembergisch geprägt sind, ist es so: Die Öffnung einer Schule bedeutet, dass jedermann in der Schule was tun kann. Die Reaktion von 80 % des Straßenpublikums in Augsburg bei einer Kampagne vor drei Jahren war: Dann wird dort meinem Sohn der Schulranzen geklaut. Öffnung heißt: das Auto ist nicht abgeschlossen, Öffnung heißt, die Schule ist nicht gesichert. Und dann hilft uns Berlin mit so was wie der Rütli-Schule, die Diskussion heftig anzukurbeln. Mit der Folge, dass sich alle unter Maschinengewehrbefeuerung in den Schulen sehen und eine Absicherung durch Polizeidienst diskutiert wird. Das ist eine schwierige Diskussion, die ich trotzdem für ganz wichtig halte, weil ein ganz banaler Tatbestand gilt: im Unterschied zu allen anderen neun Bereichen, ist die Schule die einzige Pflichtinstitution. Das ist eine Riesenchance in einer offenen Demokratie. Das heißt also, da muss jemand hingehen. Je länger wir aber die Diskussion darüber vor uns herschieben, um so mehr zerfasert sie. Deshalb halte ich die paritätische Diskussion in Berlin zur Bürgerschule für sehr spannend. Der Staat wiederum kann auf die aufbrechenden sozialen Konflikte nicht beliebig mit Sozialstaatshilfen reagieren. Also die beste Integration für Türken kann Geld kosten so
viel sie will, sie schafft mit keinem Betrag der Welt Toleranz in der Gesellschaft, weil Toleranz nicht käuflich ist. Demenz, Nachbarschaft, Solidarität im Alter, das alles ist nicht käuflich. Ich kann in 100.000 Ärzte investieren, das macht die Nachbarschaft nicht toleranter gegenüber Demenzkranken. Ich will nur andeuten, das Bewusstsein ist gestiegen, dass in den unterschiedlichen Lebensfeldern immer mehr Themen nicht mit den alten Herangehensweisen lösbar sind. Mit wertschätzender Haltung kann man einiges erreichen. Ich habe ein konkretes Beispiel aus Augsburg: Wir haben bei den Migranten festgestellt, dass bei der Drogenberatung, Suchtberatung und in vielen anderen Beratungen die Türken völlig unterrepräsentiert sind. Die Frage ist, wie können wir das ändern? Die typische Antwort eines deutschen Sozialarbeiters: Den Flyer ins Türkische übersetzen. Ich sage Ihnen: das lohnt nicht, lassen Sie es. Die Frage ist aber, wie ich in einer bestimmten Lebenswelt Multiplikatoren erreichen kann, die das Vertrauen zu der Beratungsstelle haben. Und die begreifen, dass auch der Drogenkonsum eines Mädchens aus einer türkischen Familie behandelt werden kann, wenn man es geschickt einfädelt. Wird es nicht eingefädelt, ist der Vorgang der Beratung für die Familie ein Showdown erster Ordnung, sie desavouiert die türkische Familie in Grund und Boden und man isoliert die Familie von ihrer Community. Die beste Beratungsstelle mit einem Psychologen deutscher Prägung kapiert das überhaupt nicht, weil er sagt, dass er die Methodik hat und sich die Familie vertrauensvoll an ihn wenden soll. Aber dass allein dieser Gang zur Beratungsstelle für eine türkische Familie das Ende der Integration ist, das ist eine Katastrophe. Es braucht hier Methoden, die darauf reagieren. Wenn wir diesen Irrweg der Verfächerung beenFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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den wollen, der immer auch Reaktion auf Grenzen der Stadtplanung, Grenzen der Medizin ist, wenn wir wirklich integrieren wollen, müssen wir ein Stück weit deinstitutionalisieren. Deinstitutionalisierung heißt nicht Auflösung oder Abschaffung der Instituionen. Ich meine, dass die jeweiligen Institutionen wieder überlegen müssen, was eigentlich ihr Kerngeschäft ist, was ist die Leitidee. Da hätte ich jetzt gerne die Kollegin des Mütterzentrums kritisch gefragt: Wenn ein Mütterzentrum plötzlich immer mehr Aufgaben bekommt und sich des Armutsproblems entledigt, indem es den Besuchern sagt: Man kann bei der „Tafel“ ein kostenloses Essen bekommen, halte ich das für keine systematisch gute Lösung. Und zwar deshalb, weil das Mütterzentrum auf die Art nicht konsequent deinstitutionalisiert. Weil man sich vor der Einsicht verschließt, dass so ein Tafelessen diese Familien auf Dauer nur abhängig macht. Es lässt sie nicht selber kochen, lässt sie nicht mit dem Geld selber wirtschaften. Und es bringt auch nicht alternativ zustande, dass fünf Sozialhilfeempfänger sich zusammentun und gemeinsam kochen. Alle Formen der Selbsthilfe fallen mit solchen Hilfsangeboten weg. Wir müssen es schaffen, solche auf Dauer angelegten Standardlösungen von Problemen zu hinterfragen. Bei Schulen zum Beispiel. Wir wollen doch nicht die Schule infrage stellen, aber wir wollen die Kernfrage wieder stellen, nämlich was muss man eigentlich in dieser Gesellschaft lernen? Die entscheidenden Dinge lerne ich als Jugendlicher sowieso nicht mehr in der Schule, die lerne ich aus dem Fernsehen, aus dem Internet, von Freunden, die lerne ich überall, nur nicht in der Schule. Wie kriegen wir es also hin, dass wieder gelernt wird? Dann übernimmt Schule einen Teil, die Familie einen Teil, der Verein einen Teil, Nachbarschaft einen Teil, usw. Dann sind wir dort, wo wir konzeptionell gerne sein wollen. Ich wage zu behaupten, bei den Schulen beginnen wir die Diskussionen erst. Die Lehrer bzw. die GEW reagieren hysterisch, wenn wir sagen, dass wir Freiwillige am Unterricht beteiligen. Wir beteiligen systematisch die Bürgerschaft, und zwar Betroffene, Nachbarn und andere, die am Produktionsprozess Schule Anteil haben. Im dritten Feld, dem Pflegebereich, muss jetzt zügig die
Diskussion geführt werden, nicht weitere Stützpunkte geschaffen werden. Eine wichtige Arbeitsgruppe diskutiert gerade, keine neuen Pflegestützpunkte aufzumachen, sondern die vorhandenen im Nachbarschaftsbereich zu integrieren. In den Verhandlungen haben wir einen harten Partner, der ist härter als der Staat, das sind die Kassen und Versicherungen. Die Kassen und Versicherungen wollen Einzelfallbewertungen haben. Warum nicht? Aber dann muss man über Erfolg reden. Was ist ein Erfolg? Das ist schon eine spannende Frage. Ich will deutlich machen, dass ich mit Ihnen der Meinung bin, dass wir quartiersbezogen denken müssen. Aber wenn wir nicht nur auf mittelstandsbeseelten Menschen sitzen bleiben wollen, sondern tatsächlich des Lebens ganze Vielfalt und die Eigenverantwortung und Solidarität im Blick haben, das bürgerschaftliche und zivilgesellschaftliche Denken, dann muss ich das Quartier als Mittel zum Zweck nutzen, nicht als Selbstzweck. Das Quartier ist das Mittel, um letztlich Lebensfragen zu lösen: das Ältersein, Jüngersein, miteinander klarkommen, das Leben bewältigen, auch mit Arbeitslosigkeit oder Krankheit oder sonstigem klarzukommen. Entsprechend ergeben sich hier Anforderungen, die jetzt den Rahmen sprengen, aber ich deute an: Wir müssen viel mehr über die Milieus in dieser Gesellschaft wissen, weil sich Mittelstandmilieus und Arbeitermilieus unterschiedlich verhalten. In Kaiserslautern muss ich mit der klassischen Arbeiterwohlfahrt daherkommen, die den Seniorenkreis machen, das ist die Form, die sie verstehen und akzeptieren. Wenn dort jemand nicht zum Geburtstag kommt, dann wird nachgeschaut, ob er krank ist. So beginnt deren Form von Selbsthilfe. Ein anderes Milieu geht völlig anders vor und findet sich vielleicht nur über ein Senioren-Theaterprojekt. Während eine dritte Gruppe vielleicht nur die ultimative Alten-WG fordert. Jemand anders wiederum meint, es müsse vor allem die Betreuung in der Nachbarschaft gewährleistet sein, weil da im 4. Stock die Blumen gegossen werden müssen. Wir brauchen milieuorientierte, auf Lebensfelder und Eigenverantwortung orientierte Bürgerschaftskonzepte, die zusammenpassen müssen mit den staatlichen Konzepten von Fallmanagement und Budgets. Das ist die
Aufgabe, vor der wir stehen, nicht vor der Frage der Zusammenfassung der Institutionen. Das bewusst zu organisieren, ist nichts anderes als „modern community organizing“. Eine deutsche Antwort auf Organizing: wir organisieren die Betroffenen, wir organisieren die Freiwilligen, wir organisieren die Fachkräfte. Und zwar nicht gegeneinander, sondern dass sie auf Augenhöhe bzw. als Partner miteinander kooperieren, weil sonst in allen Debatten immer nur die Fachkräfte reden. Auf Dauer schadet das auch den Fachkräften. TN: Eine Nachfrage zur Deinstitutionalisierung. Meinen Sie damit, dass wir nicht so sehr fragen sollten, wer macht was auf welche Weise, sondern erst die Frage nach dem Ziel stellen müssen?
ter daheim Null Deutsch spricht, dann treibt das Kind in die Situation, dass es immer besser deutsch spricht, aber daheim sich niemand dafür interessiert. Also muss ich die türkische Mutter mit auf den Weg nehmen. Typische deutsche, verfehlte Antwort: Die Volkshochschule macht Deutschkurse für türkische Mütter. Wir haben inzwischen 500 Stadtteilmütter in Augsburg mobilisiert, die die Zweisprachigkeit in verschiedenen Sprachen organisieren. Wenn aber die daraus resultierende Dynamik richtig verstanden wird, lässt das die Männer nicht kalt, das lässt die gesamte Familie nicht kalt. Es können Eifersuchtsdramen in den Familien auftauchen, weil sich die türkischen Frauen emanzipieren. Da können plötzlich auch Migranten-Männer zu Partnern werden, usw. Das wäre alles nicht zustande gekommen, wenn deutsche Lehrer die Kinder in Deutsch unterrichtet hätten.
Konrad Hummel: Ja, es ist genau richtig, dass diese typisch deutsche Frage, wer macht was wann wie, nach meiner Vorstellung frühestens an vierter Stelle käme. An erster Stelle kommt die Frage: Was ist Euer Kerngeschäft? Was ist das Kerngeschäft des Mütterzentrums? Etwa die Arbeit der Stadt Braunschweig zu minimieren – oder was? Das Kerngeschäft ist Mütter zu mobilisieren, damit sie selber ihre Probleme lösen, das ist das Kerngeschäft. Jeder hat ein Kerngeschäft. Deinstitutionalisieren hat damit zu tun, dass ich präzise zurückfrage, gerade im Hinblick auf die Eigenverantwortung und Solidarität der Betroffenen. Man kann der Stadt oder wem auch immer durchaus sagen: So wie ihr euch das vorstellt, können wir es nicht lösen. Unabhängig vom Geld, auch mit mehr Geld nicht. Mit anderen Worten: Wir müssen immer wieder die Frage stellen: Um was geht es jetzt gerade? Danach erst geht es um die Frage: Sind das die richtigen Formen und Partner und Akteure? Habe ich alle Akteure dabei? Mein Lieblingsbeispiel: Sprachintegration junger Migranten. Die deutsche Antwort heißt: Mehr Geld für deutsche Lehrer, die Kinder in Deutsch unterrichten. Eigentlich Blödsinn. Wer konsequent denkt, muss zunächst die Frage nach dem Kerngeschäft der Integration junger Migrantenkinder stellen. Die muss über die Eltern laufen. Wenn ein deutscher Lehrer ein Kind beschult, während die MutFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Zum Verhältnis von familiärer und „öffentlicher“ Erziehung
litik.‘ Der Vorschlag von der Leyens bedeute, dass die außerfamiliäre Betreuung von Kindern zum alleinigem Leitbild würde. Bayerns Landtagspräsident Alois Glück (CSU) warnte die Schwesterpartei davor, berufstätige Eltern zu bevorzugen. ‚Der Eindruck ist momentan jedenfalls mit der Politik der Bundesfamilienministerin verbunden, und das kann nicht unsere Position sein‘, bemängelte Glück im Deutschlandfunk. Die Familienpolitik dürfe nicht zur Unterabteilung der Arbeitsmarktpolitik werden.“ Focus online vom 14.02.07
Input: Dr. Dagmar Voelker (Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Leipzig) „Frühe Kindheitserfahrungen und ihr Einfluss auf die Persönlichkeitsbildung - Erkenntnisse aus einer aktuellen Studie zur Krippenerziehung in der DDR“ Moderation: Petra Sperling
Petra Sperling: Zum Einstieg drei Zitate, die deutlich machen, wie heiß umstritten die Fragen sind, mit denen wir uns in diesem Workshop beschäftigen wollen: „Von der Leyen wird immer umstrittener. (...) 500.000 neue Betreuungsplätze geplant. Die siebenfache Mutter will bis zum Jahre 2013 500.000 neue Betreuungsplätze für Kinder unter 3 Jahren schaffen.und bekam dafür am Montag vom CDU-Parteipräsidium unter Führung von Angela Merkel Rückhalt. Nach der Sitzung hielt allerdings der Unmut in Teilen der Union. Die Kritiker aus dem konservativen Flügel fürchten um eins der wichtigsten Merkmale der Unionsparteien, das traditionelle Familienbild mit berufstätigem Vater und Hausfrau, die sich um die Kindererziehung kümmert. (...) Der CSUPolitiker Ramsauer sagte dem ‚Münchner Merkur‘ vom Donnerstag: ‚Viele in der Union betrachten so manche Vorstellungen der Ministerin nicht als ihre Familienpo-
Krippenkinder gehen öfter auf das Gymnasium ura. FRANKFURT, 3. März. Kinder, die eine Krippe besuchen, gehen später mit höherer Wahrscheinlichkeit auf das Gymnasium als solche, die bis zum Alter von drei Jahren zu Hause betreut wurden. Zu diesem Schluss kommt eine am Montag veröffentlichte Studie der BertelsmannStiftung, die die Bildungsverläufe von 1000 Kindern der Jahrgänge 1990 bis 1995 untersuchte. Der positive Effekt auf den Bildungsweg mache sich vor allem bei Kindern, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben, sowie bei Einwandererkindern bemerkbar. So steige die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium zu besuchen, für die erste Gruppe um 83 Prozent, für die zweite um 56 Prozent. 16 Prozent der untersuchten Kinder besuchten eine Krippe, die meisten erst im Alter von zwei Jahren und zwei Drittel von ihnen halbtags. Von den Krippenkindern besuchte jedes zweite später das Gymnasium, von den zu Hause betreuten 36 Prozent. Weil das Lebenseinkommen eines Gymnasiasten höher als das eines schlechter Ausgebildeten sei, entstehe langfristig ein durchschnittlicher „Netto-Nutzen“ von 13 616 Euro je Kind, das eine Krippe besuche. Die Kosten eines Krippenplatzes würden so mehr als wettgemacht, argumentieren die Verfasser. Nach ihren Berechnungen hätte es zudem einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 2,1 Milliarden Euro je Geburtsjahrgang bedeutet, wenn 35 Prozent der Kinder eines Jahrgangs eine Krippe besucht hätten. Diese Quote strebt Familienministerin von der Leyen (CDU) mit dem Ausbau der Krippenplätze an. Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung / Sonntagszeitung vom 4.3.2008, Seite 5
Dagegen steht die These einer defizitären Entwicklung und eines höheren Kriminalitätsrisikos bei Krippenkindern: Entwicklung, höheres Kriminalitätsrisiko Aus der Rezension zu einem Buch von Wolfang de Boor „Kinderkriminalität, Chancen einer grundlegenden Prävention“ „Die Urangst des Kleinkindes wird durch die ständige Nähe der primären Bezugsperson beschwichtigt. So entsteht Urvertrauen. Es ermöglicht freundliche Empfindungen gegenüber anderen Menschen, führt zu sozialen Beziehungen und verhindert brutales, aggressives Verhalten. Als kontinuierliche primäre Bezugsperson sieht de Boor idealerweise die Mutter; doch kann sie auch durch eine andere Person ersetzt werden. Die „Kinderkrippenkultur“ der früheren DDR sieht der Autor äußerst kritisch: „Frühmorgens wurden Säuglinge und Kleinkinder aus dem Schlaf gerissen, verpackt und in Säuglingsheimen oder Kinderkrippen abgeliefert. Abends holte man sie wieder ab. Aber Vater und Mutter waren erschöpft. Für die Kinder blieben nur Reste an Zeit und Kraft. Die Folgen der emotionalen Vernachlässigung - als frühkindliche Deprivation bezeichnet - wurden v. a. von Autoren aus den einstmals sozialistischen Ländern beschrieben.“ De Boors Schlussfolgerung: Die Mutter leiste mit ihrem Engagement die grundlegende Kriminalprävention. Weder Krippe, noch Kindergarten, Schule oder andere öffentliche Einrichtungen seien in der Lage, die Mutter zu ersetzen.“ Newsletter 10/2007 (Austrocare)
Dagmar Voelker: Der ausgedruckte Titel des Workshops lautet: „ Nachttöpfe und Menschwerdung – zum Verhältnis von familiärer und öffentlicher Erziehung“ - „Frühe Kindheitserfahrungen und ihr Einfluss auf die Persönlichkeitsbildung – Erkenntnisse aus einer aktuellen Studie zur Krippenerziehung in der DDR“ – eigentlich müsste es heißen: „Was bedeutet frühe Fremdbetreuung in der Entwicklung eines Menschen“ – und was die DDR betrifft, hätten wir unserer Studie lieber den Titel gegeben: „Es war halt so“. Vielleicht lässt sich durch die Betrachtung schwieriger Fremdbetreuungsarrangements, wie sie in der DDR mit
fast flächendeckender Krippenerziehung der Säuglinge und Kleinkinder , strengen Erziehungsplänen, kaum Elternbeteiligung in der Krippenerziehung, keine Eingewöhnungszeiten - praktiziert wurden, besonders viel lernen für die angestrebte Krippenpraxis der Jetztzeit. Unserer Familienministerin hat bis 2013 ein umfassendes Recht der bis dahin geborenen Kinder auf einen Krippenplatz in Aussicht gestellt. Das bedeutet die Ausbildung von ca. 70 – 90000 Krippenerzieherinnen bis dahin, und bis jetzt gibt es noch keine detaillierten Vorstellungen darüber, wie diese ausgewählt und ausgebildet werden sollten, damit diese Riesenaufgabe gelingen kann. In der DDR gab es bis 1989 das dichteste Netz von Kinderkrippen in Europa. 80 % aller 0-3jährigen hatten einen Krippenplatz, es gab 7707 Einrichtungen mit 348 058 Plätzen. Die Altersgrenze der Krippenaufnahme verschob sich im Lauf der Jahre seit 1950 erheblich nach oben, auch die Zahl der Wochenkrippen nahm ab 1970 ab. Seit 1976 gab es das „Babyjahr“ mit bezahlter Freistellung eines Elternteils von der Arbeit, so dass ab dieser Zeit die Kinder seltener unter 1 Jahr in der Krippe aufgenommen wurden. Die Krippen unterstanden dem Gesundheitsministerium und die Mitarbeiterinnen hatten eine pflegerische oder pädagogische Ausbildung als Kinderkrankenschwester oder Krippenerzieherin. In den Haltungen zum Kind wurde dabei von einem Defizitmodell ausgegangen: Kinder sind werdende Erwachsene – alles, was sie noch nicht wissen und können, wird als Mangel verstanden. Außerdem wären Kinder grenzenlos formbar – das ist das „Tabula rasa – Modell“, sie sind leer und müssen gefüllt werden. Zuletzt ging man von einem Kollektivierungsmodell aus: Kinder haben sich ein angepasstes, rational bewusstes und gesellschaftsverpflichtendes Verhalten anzueignen. Diese Umsetzung erfolgte über ein einheitliches Erziehungsprogramm. Man war der Überzeugung, nur durch die Lenkung eines Erwachsenen kann sich ein Kind entwickeln. Deshalb sollten die Kinder auch so früh wie möglich in die Krippe aufgenommen werden, um früh mit der Prägung der Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten zu beginnen. 2004 fanden wir sechs analytisch arbeitende Kollegen uns zusammen, um ein Forschungsprojekt zu den Folgen Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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früher Trennungen von den Hauptbezugspersonen durch Krippenerziehung in der DDR zu gestalten. Diese Arbeit war etwa 2000 geplant worden und wurde von der Stiftung zur Aufarbeitung der DDR – Diktatur unterstützt. Das Thema wurde also lange bevor die Problematik früher Fremdbetreuung durch die Medien sehr kontrovers diskutiert und hoch emotional aufgeladen wurde, aufgenommen. Wir wurden sozusagen durch die Tagespolitik eingeholt, die uns auch anregte und den Blick für die Notwendigkeit der „Vergangenheitsbewältigung“ schärfte. Wir haben viel Zeit und Engagement in diese Arbeit gesteckt, die neben der Neugier des Entdeckens auch durch den unterschwelligen Wunsch, ein Stück unserer eigenen DDR - Lebensgeschichte zu bearbeiten, motiviert war. Wir waren fünf Frauen und ein Mann, vier Frauen kannten sich schon seit dem Studium und hatten eine DDR - Vergangenheit, eine westdeutsche Kollegin hatte Forschungserfahrungen und einen Außenblick für unser Vorgehen. Wir interviewten 18 Frauen und 2 Männer zu ihren Krippenerfahrungen und der anschließenden Lebensgeschichte. Die Teilnehmer waren zwischen 1968 und 75 geboren und hatten selbst Kinder, die sie in Kindereinrichtungen abgegeben hatten, diese Erfahrung also auch als Eltern erlebt hatten. Wir gewannen die Interviewten teils durch Aushänge im Kindergarten, teils durch persönliche Vermittlung und machten mit ihnen ein einmaliges, mit Tonband aufgezeichnetes Interview, das später transskibiert und erst von jedem einzeln, dann in der Gruppe ausgewertet wurde. In unseren Köpfen half beim Interview ein erarbeiteter Leitfaden, die Erzählungen bestimmter Themenbereiche zu Krippenerfahrung, zu den familiären Bedingungen und der weiteren Entwicklung bis zur Elternschaft zu erfassen, während wir die Teilnehmer zunächst aufforderten, frei zu erzählen und unsere Aufmerksamkeit zwischen dem Erzähltem und den in uns ausgelösten Gefühlen hin und her ging. In der Gruppenauswertung entwickelten wir dann verschiedene Perspektiven für die Auswertung, von denen ich nur einige nennen will: Motive für die Teilnahme und die Interaktion mit dem Interviewer, die Lebensumstände der Eltern, die Gründe für die Krippenabgabe der Kinder, Auswirkungen der Trennungserfahrung auf die psychische
und körperliche Gesundheit, das Erleben der Adoleszenz und der Wende, die Reaktualisierung früher Trennungserfahrungen bei der eigenen Elternschaft, der Einfluß der Krippenbetreuung auf die Erziehung der eigenen Kinder und Überlegungen zur transgenerationalen Weitergabe von Lebens- und Verhaltensmustern. Beim Anhören dieser Lebensgeschichten stieg sehr viel DDR – Atmosphäre mit ihrer Enge und Angepasstheit auf. Wir empfanden oft tiefe Trauer über die Sprachlosigkeit der frühen schmerzlichen Erfahrungen und die stillschweigende Angepasstheit der Interviewten. Wir wollten ihnen durch diese Untersuchung eine Sprache verleihen, damit diese Erfahrungen nicht ungehört verschwinden. Wir hatten selber keine Krippe besucht, als junge Eltern ebenfalls Beruf und Kinderbetreuung vereinen wollen und für unsere Kinder verschiedene, individuelle Lösungen – teils mit Krippe, teils mit anderen Ressourcen gefunden und fanden die staatlich protegierte Krippenerziehung in der DDR schon damals sehr problematisch. Von den Interviews waren wir meist sehr betroffen. Besonders dann, wenn wir spürten, dass es wenig Gefühl für die eigenen Lebensgeschichte und auch wenig Nachdenken über das eigene Leben gab. Bemerkungen, wie „Das war halt so“ oder „ das hat mir doch nicht geschadet“, „das haben alle so gemacht“ kamen sehr häufig und wurden wie eine Fahne hochgehalten. Dadurch, dass eigene sprachliche Erinnerungen für die frühe Krippenzeit nicht verfügbar sind, waren wir auf unser analytisches Instrumentarium an genauem Erfassen, was zwischen Interviewer und Interviewtem passiert, angewiesen. Es war eine Situation zwischen zwei Unbekannten in verschiedenen Rollen: die eine Person war eingestimmt und aufgefordert, über ihr Leben zu erzählen, die andere hatte das im Interview Erlebte aufzunehmen, ihren Gefühle nachzuspüren, es vom eigenen Hintergrund abzugrenzen und das Aufgenommene kritisch zu verarbeiten. In dieser Szene spiegelt sich etwas vom Abgegebenwerden in eine unbekannte Situation wider, die vielleicht etwas mit dem existentiellen Erleben der Frühtrennung zu tun hat. Zum Beispiel zeigte es sich, dass die Teilnehmer, die bis zu einem Vierteljahr in die Krippe abgegeben wurden, einem höheren Grad an Anpassung und Identifikati-
on mit dem Interviewer aufwiesen als später abgegebene. Die Gegenübertragungsgefühle in der Auswertungsgruppe waren hier durchweg heftiger bei den früh abgegebenen Kindern. Es gab tiefe Berührung, Trauer und Mitgefühl, angestrengte Spannung und Unruhe bis zu Angst, auch Ärger, aber kaum Distanz. Der Trennungszeitpunkt in der Früherfahrung unserer Interviewten spielte also eine erhebliche Rolle bei der Persönlichkeitsentwicklung unserer Interviewten, die ja auch keine Eingewöhnungszeiten in die Krippen hatten und meist 8-9 Stunden dort untergebracht waren. Es ist daher anzunehmen, dass die Bewältigungsstrategien der früh abgegebenen Kinder deshalb eher zu Identifikation uns Anpassung mit den Autoritäten führten. Versorgungswünsche wurden als aussichtslos eher verborgen als bei den später abgegebenen, bei denen der latente Protest viel deutlicher war. Sie können sich vorstellen, dass sich solche Erfahrungen, die zu Haltungen in der Persönlichkeitsentwicklung führen, sehr deutlich selbst in dem kleinen Ausschnitt eines Interviews über das eigene Leben zeigen. Was ist nun herausgekommen aus unserer Studie? 1) Die Ergebnisse unserer Untersuchung von Erfahrungen in den DDR – Kinderkrippen sind spezifisch und lassen sich nicht ohne weiteres auf die aktuelle Krippenbetreuung übertragen. Eine Pauschalverurteilung der DDR – Krippen wird der Realität nicht gerecht. Es gab große Krippen mit sehr unpersönlich, rigidem Umgang mit den Kindern und kleine, ländliche oder Betriebskrippen mit kleinen Gruppen und konstantem Personal, gutem Kontakt zwischen Eltern und Erzieherinnen. Hier konnten auch familiäre Defizite ausgeglichen werden ( in der DDR gab es oft sehr junge Eltern, oft ungefestigt, überfordert) 2) De Eltern – Kindbeziehung und die Einstellung der Eltern zur Fremdbetreuung ist entscheidend dafür, wie sich eine frühe Fremdbetreuung in der Krippe auf das Kind auswirkt. In der DDR erfolgte die Fremdbetreuung meist aus staatlichen Vorgaben, die Familie hatte kaum Mitspracherechte, was zu großen Belastungen der Kinder und Eltern führte. Aber es gab auch gegenteilige Erfahrungen.
3) Die Qualität der Beziehung zwischen Krippenerzieherin und Kind ist ebenso von Bedeutung. In den Interviews haben wir viel von vereinnamenden Zwängen gehört – Mittagsschlaf, Aufessen, nicht sprechen dürfen – es wurde deutlich, wie wichtig ausgewogene, auf die Individualität des Kindes abgestimmte, dyadische Beziehungen zwischen Erzieherin und Kind sind, die nur eine Betreuungsschlüssel von 1: 3 oder 1:4 möglich machen. Ebenso gehört eine gute und enge Elternarbeit zu dieser Qualität. 4) Die meisten Interviewpartner beschrieben die Krippenerfahrung positiv, gaben ihre eigenen Kinder erst viel später, nämlich 14,5 Monate später in eine Einrichtung und zwar mit einer ausreichenden Eingewöhnungszeit. Dies geschah einerseits aus Einsicht, andererseits war es eine Anpassungsreaktion an die veränderten Verhältnisse. 5) Der Zeitpunkt der Krippenaufnahme muss besonders sorgfältig bedacht werden. Dabei haben wir festgestellt, dass bei unseren Teilnehmern die sehr frühe Krippenaufnahme ein hohes gesundheitliches Risiko darstellt. Elternzeit wird meist als Beraubung an der Berufszeit angesehen, während sie aus Sicht des Kindes eine Beraubung seiner Zeit mit den Eltern darstellt. 6) Die ärztliche und gesellschaftliche Fürsorge für das Kind sollte auf die Eltern – Kind –Beziehung erweitert werden. Der Zeitpunkt der Krippenaufnahme sollte sich nach den Bedürfnissen von Eltern und Kind richten und nicht nur nach äußeren Erfordernissen. Eine ausschließliche Familienbetreuung für ein Kleinkind ist auch oft nicht die Garantie für eine optimale Entwicklung. Bei einer Entscheidung für oder gegen eine Krippenbetreuung sollte immer bedacht werden, welcher individuelle Weg die Eltern – Kind – Beziehung entlastet und fördert. Hierher gehört auch die Anerkennung der Väter. In unserer Untersuchung war vor allem die Abwesenheit der Väter als zusätzlicher Risikofaktor auffällig. Es sollte also bei der Betreuungsentscheidung die Bedeutung des Vaters mitbedacht werden und nach Möglichkeiten gesucht werden, die Familienarbeit sinnvoll aufzuteilen, ohne die berufliche Entwicklung für ein Elternteil nachhaltig zu beeinträchtigen. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Was wir diskutieren sollten, sind die Fragen: Welche Werte wollen wir unseren Jüngsten weitergeben? Wie viel Individualität und wie viel Kollektiv braucht eine zukunftsfähige Gesellschaft?
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TN: Unsere Erfahrung als Träger einer Kindertagesstätte in Köln ist, dass Eltern, die ihre Kinder schon sehr früh in die Einrichtung geben, das meistens aus wirtschaftlichen Zwängen heraus tun. Allerdings geht es dabei meistens nicht um eine Ganztagsbetreuung von 8 bis 9 Stunden, sondern um einige Stunden, also eher halbtags. Wir legen bei der Aufnahme sehr viel Wert auf die Eingewöhnungszeit. Ein anderer Aspekt ist, dass es für diese Kinder in der Regel sehr gut ist, für ein paar Stunden auch einmal aus einer häuslichen Umgebung herauszukommen, wo man sich nicht sehr intensiv um sie kümmert. Petra Sperling: Wir dürfen nicht vergessen, dass es Anfang der 90er Jahre eine gründliche Neuorientierung in der Krippenerziehung in Ost und West gegeben hat. Die Krippen- und Kitaleitungen wurden geschult und es wurde ihnen der Situationsansatz nahe gelegt. Das heißt: auf die momentan vorhandenen Bedürfnisse des Kindes zu reagieren, statt den Tagesablauf starr durchzustrukturieren – mit Frühstück, Töpchen, Beschäftigung, also eher frei zu schauen, was liegt an. Das bedeutet auch für das Kind mehr Freiraum zur Persönlichkeitsentwicklung. TN: Ein entsprechendes Umdenken hat nicht erst in den 90er Jahren stattgefunden, sondern es hat auch in der DDR schon Mitte der 80er Jahre begonnen. Das wurde zwar unterschiedlich umgesetzt, aber es hat nicht erst mit der Wende begonnen. Es gab sogar ein entsprechendes offizielles neues Erziehungsprogramm. TN: Das kann ich so nicht bestätigen. Ich selbst bin Jahrgang 67, komme aus Greifswald. Ich bin selbst nicht in die Krippe gegangen und hatte deswegen erst im Jahr 2000 mehr mit dem Thema zu tun, als wir uns für unsere 1999 geborene älteste Tochter nach einem Betreuungsplatz umsahen, also gut 10 Jahre nach der Wende. Ich hatte den Eindruck, auf einer Zeitreise zu sein. In der ersten Kita,
die wir uns ansahen, sind wir im Treppenhaus einem Plan begegnet, wo der Tag minutiös durchstrukturiert war mit Bezeichnungen wie ‚Hygienezeit’ oder so ähnlich, gruselig. Wir haben dann schließlich eine Einrichtung gefunden, die Montessori-Pädagogik machen wollte, aber auch da war es so, dass die Leitung große Schwierigkeiten hatte, den DDR-geschulten Mitarbeiterinnen die Grundlagen dieses Konzeptes zu vermitteln. Ich höre das ähnlich nach wie vor aus dem Kollegenkreis. Dieser Paradigmenwechsel ist noch nicht richtig angekommen. Dagmar Voelker: Es braucht offenbar Zeit. Bis sich das wirklich verändert, das dauert wahrscheinlich mehr als eine Generation. TN: Ich glaube, dass hier im Westen etwas ganz Wichtiges passiert war. Es gab die kritische Auseinandersetzung mit der öffentlichen Erziehung im Zusammenhang der Studentenbewegung. Und da hat es eine starke Suche nach Alternativen gegeben. Dabei wurde auch über die Landesgrenzen hinaus geguckt und u.a. die Montessori-Pädagogik entdeckt. Aber das große Erlebnis in den 70er Jahren in Berlin war Reggio/Emilia in Italien. Wir sind geradezu nach Reggio gepilgert. In Reggio/Emilia in Norditalien wurde die öffentliche Erziehung als Alternative zur kirchlichen Kleinkindpädagogik entwickelt. Ausgangspunkt war hier ein ganz anderes Menschenbild als in Kindern nur die werdenden Erwachsenen zu sehen. Kindheit wird vielmehr als eine Lebensphase mit eigener Bedeutung gesehen. Ich erinnere an einen Satz wie „Jedes Kind hat 1000 Sprachen“. Es ging nicht darum, den Kindern etwas auszutreiben, sondern sie in allem zu fördern, was in ihnen angelegt ist, alle Sinne zu entfalten und alle Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln., auch schon im Krippenalter. Auf dieser Grundlage sind viele selbständige, meist kleinere Einrichtungen im Laufe der letzten 30 Jahre entstanden und haben großen Einfluss auf die Erziehungsdiskussion gehabt. TN: Ich habe heute in der U-Bahn das Gespräch zweier Kita-Erzieherinnen mit gehört, die sich über die geplante Ausweitung des Rechtsanspruches auf einen Kita-Platz unterhalten haben und dabei vor allem die Befürchtung
hatten, dass dadurch schließlich noch mehr an Arbeit und Ansprüchen auf sie zukommen würde, wo sie doch schon jetzt mit allen Anforderungen an Datenerfassung etc. extrem überfordert seien. Sie machten den Eindruck, die Kinder in ihrer Einrichtung eher als Belastung zu empfinden. Das ist bestimmt keine gute Grundlage, um denen das Gefühl zu vermitteln, geliebt und gewollt zu sein. Ich komme aus dem Westen – und wenn ich an meine eigene Kita-Erfahrung zurückdenke, erinnere ich mich daran, dass vieles ganz schrecklich war. Wenn eins der Kinder etwas angestellt hatte, mussten sich z.B. alle anderen in einer Reihe aufstellen und mussten dann SO machen – und das war im Westen, in Niedersachen. Es ist nicht alles eine Systemfrage. Im Osten wie im Westen gab es das eine und das andere, es hängt von den Menschen ab, die schließlich den Kindern gegenüber stehen. Dagmar Voelker: Kein Kind würde sich so eine Institution wie die Kinderkrippe ausdenken. Aus der Perspektive des Kindes besteht dafür kein Bedarf. Aber die Frage der Fremdbetreuung von Kindern ist keine neue Angelegenheit sondern zieht sich durch die ganze Geschichte der Menschheit hindurch. Sie hat etwas mit Notwendigkeiten der Lebensgestaltung von Erwachsenen zu tun. Die Aufgabe der Krippe besteht vor allem darin, die Trennung von den eigentlichen Bezugspersonen so gut wie möglich zu ermöglichen. Trennung bedeutet in jedem Fall Stress. Eine gute Krippe reduziert den Stress. Es geht nicht darum, keine Probleme damit zu haben, sondern sie möglichst gut zu bewältigen. Petra Sperling: Wichtig ist das Alter, in dem die Trennung stattfindet. Aus entwicklungspsychologischer Sicht lebt das Kind bis zum Alter von 3 Jahren in einer symbiotischen Beziehung zu einer primären Bezugsperson. Dagmar Voelker: Symbiose würde ich nicht sagen. Zwar ist es bei jedem Kind verschieden, aber es ist ja so, dass das Kind von Geburt an nicht ständig nur mit einer einzigen Person zu tun hat.
TN: Ich finde, hier wird ein zu einseitiges Bild gezeichnet. Wenn wir an die gutbürgerlichen Schichten der Vergangenheit denken, dann ist auch da eine Element von Fremderziehung gang und gäbe, wenn die Kinder schon früh einem Kindermädchen anvertraut werden. Hat ihnen das geschadet? Wäre es nicht vielleicht eher eine Mangel, wenn ihnen nur eine einzige Bezugsperson zur Verfügung stünde, noch dazu nur eine weibliche? Ich sehe es jedenfalls als eine positive Entwicklung an, dass auch andere, nicht zuletzt die Väter, als Bezugspersonen eine Rolle zu spielen beginnen. Ebenso sehe ich es als positiv an, dass Mütter anfangen, ihren Tagesablauf so zu gestalten, dass nicht alles von der Beziehung zum Kind abhängt, sondern dass sie auch ihren eigenen Bedürfnissen nachgehen können. Das führt zu einer größeren Zufriedenheit mit der Situation und insofern auch dazu, eine bessere Mutter zu sein. TN: Es ist fraglich, ob Kreuz- und Quer-Vergleiche über die Zeiten wirklich sinnvoll sind, weil jede Situation in ihrem eigenen gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden muss. In einer konkreten Situation gibt es bessere und schlechtere aktuell realisierbare Lösungen, aber kaum die Möglichkeit zu radikalen Alternativen, die einem gänzlich anderen Kontext entstammen. Petra Sperling: Ich schlage vor, nicht die Frage nach guten oder schlechten Zeiten in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die Frage, was machen wir daraus als Stadtteilzentren für unsere Konzepte und unsere Arbeit. TN: Wir sollten nicht nur von Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten reden, so sinnvoll das auch ist, sondern wir müssen auch die Ausgangsbedingungen mitdenken. So Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Workshop Nachttöpfe und Menschwerdung
Nachttöpfe und Menschwerdung
kann es nicht um einen bloßen Ausbau gehen, wenn dabei Gruppengrößen von 20 oder mehr Kindern entstehen, also Situationen, die für Kinder nicht förderlich sind. Wir erleben in Nordrhein-Westfalen gerade eine Parallelentwicklung an den Ganztagsschulen, wo aus Geld- und Personalmangel z.B. zwei Gruppen aus je 25 Kindern sich einen Raum teilen sollen – und damit eine immense qualitative Verschlechterung der Betreuungssituation gegenüber der bisherigen Horterziehung stattfindet. Eine scheinbar positive Entwicklung wie der Ausbau der Ganztagsbetreuung erweist sich in der Realität als negativ. Da verwalten wir einen Notstand und vernachlässigen die individuelle Förderung der Kinder massiv. TN: Die Frage der Betreuungsqualität spielt auch bei der Frage Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Rolle. Ich möchte als Frau arbeiten gehen können, aber um dabei entspannt und effektiv zu sein, brauche ich zugleich das Gefühl, dass meine Kinder in der Fremdbetreuung gut aufgehoben sind. Deswegen habe ich ein Interesse daran, dass die Erzieher/innen in den Kindertagesstätten nicht gänzlich überfordert sind, weil man sich nur auf den Ausbau von Quantitäten konzentriert. In diesem Zusammenhang spielt m.E. auch die Frage der Bezahlung eine Rolle. Wenn Menschen im Erzieherberuf schlecht bezahlt werden, drückt sich darin auch eine gewisse Missachtung ihres Aufgabengebietes aus. Petra Sperling: Die geplante Schaffung von 500.000 neuen Plätzen bis 2013 bedeutet eine große Herausforderung, insbesondere wenn wir sehen, wie viele Defizite und Unterbesetzungen es in der aktuellen Situation bereits gibt. TN: Das klingt jetzt wieder so, als sei alles schlecht. Ich finde, dass sich in den letzten Jahren auch im Rahmen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der aktuellen Finanzierungsmöglichkeiten hervorragende Betreuungseinrichtungen entwickelt haben, wobei die konkreten Veränderungsbedarfe von unten formuliert werden, von den Eltern und von den Mitarbeiter/innen. Der Bedarf an zusätzlichen Krippenplätzen wird nicht von Frau von der Leyen erfunden, er wird vielmehr von den Eltern geäußert
und an uns herangetragen. Wir reagieren darauf – und sind für diese Arbeit gut aufgestellt, weil sie bei uns nicht im luftleeren Raum stattfindet, wir haben die Erfahrung mit Anschlusseinrichtungen wie Kita und Betreuungsangeboten in Kooperation mit Schulen. Eltern werden als Experten mit einbezogen und unterstützt, wenn sie sich für Verbesserungen (auch durch ehrenamtliche Mitwirkung) engagieren. Insofern sind wir Bestandteil eines großen Netzes, mit dem wir viel selbst bewegen können. Gerade deshalb brauchen wir nicht nur Forderungen an andere zu stellen, brauchen uns aber auch nichts überstülpen zu lassen, was wir nicht für richtig halten. TN: Ich bin mit diesem Beitrag nicht 100% zufrieden. Auf der einen Seite hast Du Recht: es wird viel geleistet, aber es kann bessere Arbeit geleistet werden, wenn wir mit einigen unserer Forderungen Erfolg haben. Wir dürfen nicht darauf verzichten, diese Forderungen zu formulieren. Und dabei geht es im Wesentlichen um Geld und um Qualifizierung. TN: Was wir in den Nachbarschaftshäusern an Leistung entwickelt haben, hängt nicht in erster Linie mit der Finanzierung zusammen, teilweise sogar im Gegenteil. Wir haben in den letzten Jahren erhebliche Mittelkürzungen hinnehmen müssen und haben trotzdem unsere Arbeit immer wieder verbessert. TN: Man kann die Berliner Verhältnisse nicht so verallgemeinern. Es gibt in der Bundesrepublik Regionen, wo noch sehr viel Nachholbedarf besteht. TN: Auch in Berlin ist nicht alles so toll. Ich höre aus der Praxis Berichte über den Ersatz von Fachpersonal durch Hilfskräfte, über den Einsatz von ‚Subunternehmern’ bei den Eigenbetrieben in Bereichen, in denen früher Stammpersonal beschäftigt war. Der Ausbau von Betreuungskapazitäten hat manchmal etwas Fabrikmäßiges. TN: Wir müssen die richtige Balance zwischen der Betonung dessen, was wir erreicht haben, und weitergehenden Forderungen finden. Wir sollten uns nicht wie Kinder ver-
halten, die darauf bestehen, alles zu bekommen, aber wir sollten auch klar sagen, wo die Grenzen dessen sind, was wir leisten können, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht verbessern. Der soziale Bereich mit seinen Gutmenschen sollte sich nicht als beliebig ausbeutbar darstellen. Das ist auf Dauer kontraproduktiv. Beschäftigte in der freien Wirtschaft würden sich nicht in gleicher Weise moralisch unter Druck setzen lassen, sondern ggfs. klarere Grenzen ziehen. TN: In der ‚freien Wirtschaft’ gibt es inzwischen eine Reihe von Beschäftigungsverhältnissen, die sehr viel prekärer sind als das, was im sozialen Bereich immer noch üblich ist. TN: Zurück zur Frage des Ausbaus der Krippenbetreuung. Was ist die Haupt- und was ist die Nebenseite? Erst einmal ist es doch eine tolle Sache, dass, bezogen auf die Bundesrepublik, ein Ausbau in so gewaltigen Dimensionen (sind es nicht sogar 750.000 Plätze und nicht nur die 500.000, von denen hier immer die Rede war) ins Auge gefasst wird. Und zur Frage der Kürzungen: diese letzten Jahre, in denen die Förderung immer mehr heruntergefahren wurde, haben leider auch einen sehr positiven Effekt gehabt. Sie haben uns gezwungen, kreativer und flexibler mit der Situation umzugehen. Das ist ein erst mal unangenehmer Nebeneffekt, den ich aber eigentlich ganz toll finde. Wieder zurück zur Krippenbetreuung: was ist denn nun eigentlich das Fazit, ist die Krippenbetreuung unter dem Strich eher positiv oder eher negativ zu bewerten? Petra Sperling: Ich schlage eine differenziertere Betrachtungsweise vor. Diejenigen, die Projekte planen, haben eine andere Perspektive als die, die vor Ort anpacken müssen und den Druck ganz anders erleben. Als Arbeitgeber muss ich mir die Frage stellen, was mute ich denen zu. TN: Ich möchte die Fragestellung noch einmal von einer anderen Seite aus aufrollen. In Berlin hat es die Übertragung eines Großteils der kommunalen Kindertagesstätten an Freie Träger gegeben, mit Interessenbekundungsverfahren usw. dem vorausgegangen ist, und in solchen
Kommissionen habe auch ich gesessen, dass ermittelt wurde, was kostet überhaupt ein Kindergartenplatz in Berlin, was müssen wir da für Forderungen stellen. Jahrzehntelang hatte in Berlin niemand sagen können, was so ein Kindergartenplatz kosten soll. Und dann haben wir ausgehandelt, dass die Freien Träger im Großen und Ganzen die Kosten erstattet bekommen sollten, die ein Kita-Platz in öffentlicher Trägerschaft kostet. Danach gab es dann die Ausschreibung zur Übertragung von 60 Prozent der Einrichtungen in freie Trägerschaft. Es gab dann eine Menge Gegenwehr, nicht zuletzt von den Gewerkschaften, die vor allem wegen angeblich schlechterer Arbeitsbedingungen bei den Freien Trägern den Mitarbeiter/innen im öffentlichen Dienst Angst machen wollten. Wir haben demgegenüber mit den Inhalten und Rahmenbedingungen der Arbeit vor Ort geworben und dabei auch viele Mitarbeiter/innen überzeugen können. Heute kann man feststellen, dass bestimmt 95% aller Mitarbeiter/innen, die zum Freien Träger gewechselt sind, froh und glücklich mit ihrer Entscheidung sind. Das liegt vor allen an den veränderten Rahmenbedingungen und den Möglichkeiten, auf erkannte Bedarfslagen vor Ort, insbesondere auch von Eltern, angemessen und flexibel zu reagieren. Ich bin optimistisch, dass sich die Dinge, auch das, was Ursula von der Leyen angeschoben hat, weiter positiv entwickeln werden. Es geht schließlich um etwas, für das es aus Elternsicht – und insbesondere aus der Sicht von Frauen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, einen Bedarf gibt. Es ist doch toll, wenn wir Frauen endlich mehr Möglichkeiten bekommen, einen Beruf auszuüben, zu studieren, uns fortzubilden usw. usw. Das ist doch toll!
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Workshop Nachttöpfe und Menschwerdung
TN: Es hat doch wenig Sinn, die Sache nur Schwarz oder Weiß zu sehen. Es geht doch vielmehr darum, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen und dann zu fragen, wie man die Krippenerziehung am Besten gestaltet. TN: Das ist mir zu unentschieden. Sind Sie nun dafür oder dagegen?
Nachttöpfe und Menschwerdung
TN: Für mich war die wichtigste Erkenntnis in dieser Diskussion, dass es schon immer Fremdbetreuung gegeben hat. Die Frage, ob ja oder nein, ist sinnlos. Es geht nur um das Wie. Welche Ansprüche, Wünsche und Phantasien haben wir dazu. Petra Sperling: Ich möchte zum Schluss noch einmal eine Frage an Sie richten, Frau Völker. Sie haben bei Ihren Interviews nicht nur darauf geachtet, was gesagt wurde, sondern auch Wert darauf gelegt, die Stimmung zu ergreifen und die Situation wie eine Szene zu erleben, damit auch das wahrgenommen wird, was nicht gesagt werden kann. Was haben Sie denn heute hier in diesem Sinne registriert? Dagmar Voelker: In dieser Gruppe ging es nicht nur um die Diskussion von Fachfragen, sondern auch um sehr persönliche eigene Erfahrungen. Es ist mir aufgefallen, dass es sich nicht zu einer Ost-West-Kontroverse entwickelt hat und dass Sie wieder zu Ihrem eigentlichen Thema gefunden haben, zu der Frage: was machen wir konkret in unserer Praxis.
Das Buch zum Workshop
Krippen-Kinder in der DDR
Frühe Kindheitserfahrungen und ihre Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheit Mit Beiträgen von Agathe Israel, Ingrid Kerz-Rühling, Luise Köhler, Irene Misselwitz, Peter Vogelsänger, Dagmar Völker
300 S., Format 20,7x 14,5 cm, Pb., Preis: 24,90/sFr 44,-, ISBN: 978-3-86099-869-4
• In ganz Deutschland wird eine Krippendiskussion geführt: Wie müssen Krippen aussehen, damit sich die Kleinkinder körperlich und psychisch gesund entwickeln, wenn es jetzt zur Regel wird, Kinder ab dem zweiten Lebensjahr außerfamiliär zu betreuen? • Das Buch vermittelt denjenigen, die in der Frühbetreuung arbeiten oder ihre Kinder in eine Krippe geben wollen, wertvolle Erkenntnisse anhand der Erfahrungen aus der DDR. • Krippen-Kinder in der DDR geht den Auswirkungen der frühen Krippenbetreuung nach. Dabei wird besonders der körperlich-seelischen Gesundheit und der Persönlichkeitsentwicklung Aufmerksamkeit geschenkt. Der spätere Einfl uss auf die eigene Elternschaft durch die Verschränkung von familiären, institutionellen und subjektiven Faktoren wird hervorgehoben. • Die Befunde dieser qualitativen Untersuchungen stellen die Autorinnen und der Autor in den Kontext aktueller entwicklungspsychologischer Erkenntnisse und psychoanalytischer Konzepte. Besonderer Wert wird auf den Bezug zu der aktuellen Betreuungsdebatte von Kleinkindern gelegt. Die Ergebnisse betonen die Qualität der Beziehungen in den Einrichtungen und messen der Bewältigung von Entwicklungsschritten der Kinder eine zentrale Bedeutung bei. Brandes & Apsel Verlag Scheidswaldstr. 22 60385 Frankfurt am Main Tel. 069/272 995 17 11 Fax 069/272 995 17 10 E-Mail: presse@brandes-apsel-verlag.de www.brandes-apsel-verlag.de
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Heute ratlos, morgen super?
Das weite Feld der Erziehungsratgeber – Trends und Moden
Kind isst nicht richtig. Das sind zum Beispiel die Themen. Die Doku-Soap habe ich ungefähr 1 ½ Jahre lang gemacht. TN: Mich interessiert das total, weil ich muss gestehen, dass ich unendlich viele Vorbehalte, ungefähr 500 oder so, habe. Wie kommt die Familie dazu? Ich finde, das hat immer was Exhibitionistisches. Was hast Du in den Familien erlebt?
Inputs: Aicha Katjivena (Erzieherin, Berlin) „Als Supermama unterwegs Erziehungstipps aus dem Fernsehapparat“ Charlotte Weidenhammer (Menschenskinder, Darmstadt) und Paula Diederichs (Schreibabyambulanz) „Identität und Authentizität in der Erziehung“ Moderation: Reinhilde Godulla
Reinhilde Godulla: Wie hat es sich ergeben, dass Du von der Jugendarbeit bei Outreach zur Supermama wurdest? Aicha Katjivena: Ich habe gerne bei Outreach gearbeitet. Dann wurden uns ganz spontan die Finanzen gestrichen, somit war das Projekt vorbei und ich bin arbeitslos geworden. Dann wurde ich angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, so etwas zu machen, und sollte zu einem Interview gehen. Das habe ich dann auch gemacht. Innerhalb von drei Wochen hat es sich dann ergeben, dass ich bei der ersten Familie saß. Supermama ist ein Fernsehformat, eine Doku-Soap. Das soll ein Erziehungsratgeber sein, der bei alltäglichen Problemen, die die Familien haben, helfen soll. Mein Kind putzt keine Zähne. Mein Kind geht nicht ins Bett. Mein
Aicha Katjivena: Ich persönlich bin sehr antiautoritär und liberal erzogen worden. Meine Eltern sind Akademiker, mein Vater macht selber Filme, allerdings politische oder dokumentarische Filme. Für mich war es so, dass ich definitiv zu diesem Job gekommen bin, weil ich in einer Notlage war, nämlich arbeitslos. Ich brauchte einfach eine Arbeit. Die habe ich in dem Moment gekriegt, ich meine, jeder ist ein bisschen käuflich. Ich habe mich auf etwas eingelassen, von dem ich nicht wusste, was es ist. Ich hatte gar keine Vorstellung, was es bedeutet, soziale Unterstützung unter den Rahmenbedingungen einer Doku-Soap zu machen und noch bei einem Privatsender zu arbeiten. Die Erfahrungen konnte ich dann sammeln. Es ist – wie das Format schon sagt – eine Doku-Soap, da geht es um Sensation, es geht um Quoten, das ist ein rein wirtschaftlicher Geschäftszweig. Es geht nicht um Emotionen, es geht nicht um den Menschen vor der Kamera, sondern es geht darum, die Werbepausen zu füllen usw., also ein sehr gewinnorientiertes Geschäft. Die Menschen, die vor der Kamera arbeiten, zählen wenig, wir sind Protagonisten und müssen gut funktionieren. Die Eltern müssen sich also so schlecht wie möglich verhalten, die Kinder müssen so laut wie möglich sein, damit die Quote steigt. Das ist die Wahrheit. TN: Gibt es da ein Briefing, das jemand sagt, Ihr müsst heute besonders schlecht benehmen? Oder wird gesagt, macht mal wie sonst auch? Aicha Katjivena: Natürlich wird gesagt: Macht das so wie sonst auch.
TN: Die Kamera tut dann ihr eigenes. Aicha Katjivena: Ja. Es geht ganz klar darum, gute und viele laute Bilder zu bekommen, extreme Bilder, um hinterher zu zeigen, wie es dann super ist.
um eben Bilder zu bekommen. Vielleicht kann ich noch dazu sagen, dass sie nicht von mir provoziert wurden, weil ich ja auch einer von den Idioten bin, die vor der Kamera standen. TN: Bist Du da wirklich in die Familie eingezogen?
TN: Wie war denn der Ablauf? Ich dachte, dass die Familien Schauspieler sein müssen, weil das zwischendrin so was von peinlich ist für die Familien. Sind das wirklich reale Familien? Aicha Katjivena: Das sind reale Familien und auch reale Situationen, in denen die Familien leben. Ich würde gerne diese Familie als Beispiel nehmen, weil das einfacher ist. Bei der Familie ist der Vater relativ groß und ein sehr kräftiger Typ, so wie er das Kind angefasst hat, das sah eigentlich schlimmer aus, als es war. Es wirkte sehr extrem, weil er so groß ist und sie halt so klein. In dieser Situation war es so, dass der Vater gerade von der Arbeit gekommen ist. Er wurde direkt von der Mutter mit dieser Situation konfrontiert, das war bei denen alltäglich so. Der wurde immer gezwungen, diese Situation zwischen der Mutter und den Kindern zu klären, und auch immer mit einzugreifen. Nach einem langen Arbeitstag war er oft sehr gestresst und hat dann überreagiert. Ich denke, das sieht man sehr deutlich. Aber da man das nicht weiß, da sie sehr viel zusammengeschnitten haben, alleine das Gespräch mit dem Kind dauerte 1 ½ Stunden, sie haben nur das herausgefiltert, was sie brauchen. Dasselbe bei dieser Schularbeits-Szene. Dem Kind wurden vorher Aufgaben gegeben, obwohl es gar keine Schularbeiten auf hatte, das war auch das, was sie gesagt hat, nämlich, das sind ja nur so ne Aufgaben. Das ist natürlich für sie schwierig zu verstehen, dass sie jetzt zusätzlich noch was machen soll und sich in eine Situation reinfinden muss, die nicht real ist, sondern die provoziert wurde. Sie hat natürlich dementsprechend reagiert, weil sie natürlich keine Lust darauf hatte. Ich denke, wenn man sich solche Formate anguckt, ist es wichtig, sich zu überlegen, dass die Leute, die vor der Kamera stehen, oft nicht wissen, was hinter der Kamera passiert. Es werden Situationen ganz bewusst provoziert,
Aicha Katjivena: Nein. Wir haben natürlich beide da nicht gewohnt. Man kann da ja auch nicht wohnen, also diese Familie hier, die hätte den Platz gehabt, weil sie ein großes Haus hatten, aber die meisten Familien haben nicht den Platz. Die Familien, die von dem Sender ausgewählt worden sind, sind natürlich immer sozial schwache Familien. Das ist ganz klar, weil man für das Fernsehen, für das Format, mehr reißerische Szenen bekommt, auch weil die Wohnungen enger sind, wir kommen zu viert in die Wohnungen rein, die Redakteurin, ein Kameramann, ein Tonmann und ich, wenn dann noch fünf Kinder da sind und zwei Eltern dazu, da ist auch viel Stress angesagt und die stehen auch alle sehr unter Strom, also die Eltern und auch die Kinder. Dass es in solchen Situationen eskaliert, das ist ja relativ normal. Die Eltern wollen natürlich nur das Beste von sich zeigen, denen ist überhaupt nicht bewusst, was Fernsehen bedeutet. Was es bedeutet, wenn ein Fernsehsender von einem was möchte. Ich denke, da werden auch ganz bewusst Leute geholt, denen das nicht bewusst ist. TN: Wie kommen die Familien denn dazu? Bewerben die sich? Aicha Katjivena: Die ersten Familien werden durch Zeitschrifteninserate gesucht. Sobald diese Sendung ein bisschen bekannt ist, melden die sich freiwillig, ob man es glaubt oder nicht, und zwar richtig doll. Nach der zweiten oder dritten Sendung gab es bis zu 120 Anrufe von Familien, die da Hilfe wollten. Und davon suchen sie sich natürlich die besten raus. TN: Ist bekannt, was mit den Familien danach passiert? Wenn die ganzen Nachbarn das im Fernsehen sehen. Von der Sendung Supernanny habe ich gehört, dass es so Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Workshop Heute ratlos, morgen super
weit geht, dass Leute sogar umgezogen sind, weil sie den Druck nicht mehr aushalten konnten. Insofern habe ich diese 500 Zweifel von Frau Grass auch. Aicha Katjivena: Also bei dieser Familie hier, für die war das sehr gut, weil die Nachbarn immer nicht verstanden haben, was bei denen los ist. Also dieses Schreien war bei denen tagtäglich so. Vor der Sendung wurden die von den Nachbarn gemieden, die hatten sich was weiß ich vorgestellt, was die da drin machen mit denen. Durch diese Sendung bekamen sie aber einen Einblick und konnten sehen, was da wirklich los ist. In diesem Fall hat es der Familie geholfen. Ich habe auch noch E-Mail-Kontakt mit dieser Familie ganz besonders, weil das meine dritte Sendung war und wir uns in dieser Drehphase sehr lange kannten. Da habe ich auch gelernt oder gemerkt, dass ich von mir auch ein Stück geben muss, um etwas zu bekommen. Und das die Familien ausgesucht sind, das hat auch noch eine Weile gedauert, bis ich das gemerkt habe.
Heute ratlos, morgen super
TN: Melden sich die Familien, weil sie wirklich Hilfe wollen oder weil sie Geld dafür kriegen? Aicha Katjivena: Ich denke, beides spielt eine Rolle. Natürlich ist das Geld eine der Hauptmotivationen, aber auch, weil die wirklich davon überzeugt sind oder waren, dass sie Hilfe bekommen, und zwar schnelle Hilfe. In den ersten vier Sendungen haben die Eltern 1.500 Euro bekommen. Als die Sendung bekannt war, wurde es weniger, dann waren es unter 1.000 Euro, also 800 oder so. TN: Wie läuft das ab? Gibt es ein Vorgespräch? Bist Du dann schon dabei? Aicha Katjivena: Nein. Es gibt irgendwelche Casting-Teams, die direkt zu den Familien fahren. Vorab werden die Familien befragt, in welchen Situationen sie Probleme haben. Dann kommen die Casting-Teams und filmen die Situation, sprechen mit den Eltern. Das sind sozusagen die Vorstellungsfilme. Das ist dann auch das, was man manchmal an Anfang von den Familien sieht, welche Probleme da vorhanden sind.
Diese Castingaufnahmen wurden uns gezeigt, wir waren ja zwei Supermamas, damit wir uns vorab ein Bild über die Familien machen konnten. Ich habe mir diese Bänder vielleicht für die ersten fünf Sendungen angeguckt, danach habe ich das gelassen, weil die Problematiken, die die Eltern zeigen wollen, sind ganz andere, als die, die sie wirklich haben. Wenn ich mir diese Aufnahmen vorher angeguckt habe, war ich immer sehr fokussiert auf das dargestellte Problem, nicht auf das, was wirklich in der Familie los ist. Deswegen habe ich mir das ziemlich schnell abgewöhnt. TN: Hattest Du das Gefühl, dass Du den Leuten helfen konntest? Aicha Katjivena: Hm, das ist ein ambivalentes Gefühl. Ich würde auch zum gleichen Teil Nein sagen, weil ich glaube, dass man nicht innerhalb von sechs Tagen großartig was verändern kann. Man kann vielleicht einen Gedankenanstoß geben, aber mehr kann man nicht machen. Mir persönlich war es immer ganz wichtig, den Eltern weiterführende Hilfe zu besorgen bzw. ihnen Adressen rauszusuchen, wo sie nach dem Dreh hingehen können. Das wurde am Anfang vom Fernsehsender nicht so gemacht, aber ich habe darauf bestanden, weil ich der Meinung bin, dass man nicht irgendwas beginnen kann und die Leute einfach damit stehen lassen kann. Während dieser 1 ½ Jahre hatte ich auch ein Arbeitstelefon, da konnten mich die Familien auch privat anrufen. Ich habe ja für die gearbeitet, das war in dem Bereich inclusive und das war auch mein persönlicher Wunsch. Ich dachte auch, vielleicht ist das noch von mir aus so eine Art Wiedergutmachung für diese Schmerzen, die sie letztendlich beim Betrachten ihrer eigenen Sendung vielleicht erfahren. Also ich hatte eben ein total schlechtes Gewissen, ganz oft. Ich habe diese Sendung nicht mit einem großen Selbstbewusst gedreht und gesagt, oh, ich bin so toll, ich gehe in die Familie rein, wenn ich da rausgehe, ich tolle Frau, dann sind die total gut, dann sind die perfekt. Das habe ich nicht gesagt.
TN: Hast Du mal erlebt, welche Wirkung die Sendung auf andere Familien hat? Da werden ja in kurzer Zeit einfache Lösungen angeboten, die zum Nachmachen anregen. Aicha Katjivena: Ich hatte mal eine Sendung, da ging es um Schnuller und Flasche. Da habe ich einige Tricks angewandt, die eine Kindergartengruppe dann auch ausprobiert hat, da hat die gesamte Gruppe aufgehört, Schnuller und Flasche zu nehmen. Das ist zum Beispiel was, was ich als positiv empfinde. Da hat eine Technik, die man angewandt hat, funktioniert, das ist ein schönes Feedback. Es ging einfach darum, dass jeder Mensch Phasen hat, in denen er wächst, und es Veränderungen gibt, also vom Kleinkind zum Kind, usw. Das Kind war schon drei bzw. fast vier, es ging darum, ihn aus dieser Kleinkindphase herauszuheben. Das haben wir mit einem Ritual gemacht, wo er selber die Nuckel von den Flaschen durchgeschnitten hat und auch die Schnuller weggeworfen hat. Dafür hat er eine riesengroße Tasse bekommen, das fand er ganz toll. Das haben die Eltern einfach nachgemacht mit der Kindergartengruppe und die Kinder waren dann schnullerund nuckelfrei. Das ist jetzt ein Beispiel, ich weiß nicht, ob das bei allen Familien was bewirkt hat. Aber die Techniken, die man anwendet, die kennt jeder, der mit Kindern arbeitet. Das sind ganz normale Sachen, die man in seiner Ausbildung lernt oder im Laufe der Jahre an Erfahrungen sammelt. TN: Du hast da einfach ein Stück Verantwortung übernommen, also Du hast Dich auf Mist eingelassen und das Beste draus gemacht. Aicha Katjivena: Genau. Paula Diederichs: So würde ich das sehen. Ich finde es erst mal gut, dass Du das sagst. Ich fände es gut, wenn wir wirklich mal darüber jetzt reden wollen, weil ich habe in den letzten 10 Jahren mindestens 20 Fernsehauftritte gehabt, Schrei-Babys ist ja das Thema Nummer 1, und vor allen Dingen mit den Gewaltübergriffen. Die Sender rufen dann an wir brauchen unbedingt eine Schrei-Baby-Familie, bitte liefern Sie uns die. Dann wird ausgehandelt, was
kannst du machen. Letzte Woche war ich auf einem Kongress in Österreich. Da gab es eine Diskussion, wo ganz viele Leitungskräfte aus den sozialen Dienstleistungsbranchen waren, mit dem Thema: Soziale Arbeit und Fernsehen, wie können die zusammenkommen? Es sprach auch der Journalist, der mit dieser Natascha Kampusch, die jahrelang im Kellerverlies gehalten wurde, ein Exklusiv-Interview gemacht hat. Er hat berichtet, wie die Heranführung an die Presse ausgehandelt wurde. Das wurde sehr vorsichtig gemacht. Sie hatte einen Sozialarbeiter dabei, um alles abzusprechen. Die Presse ist geil, das ist ganz wichtig. Als Menschen, die mit Menschen arbeiten, müssen wir sehen, wie machen die das nur? Bei Dir finde ich gut, auch wenn Du nicht wusstest, worauf Du Dich eingelassen hast, hast Du noch sehr viel Gutes draus machen können. Das habe ich auch mit der Zeit gelernt, den Journalisten ganz klar Grenzen zu setzen. Passen Sie mal auf, unter den und den Bedingungen bin ich bereit, ansonsten nicht. Oder eben Kohle rüber, das ist irgendeine Spende. Die kommen an und machen Druck, wieso, Sie haben doch was davon. Aber wir brauchen keine Werbung, darum geht es nicht. Das ist eine Arbeit, in erster Linie bin ich in der Schweigepflicht mit den Eltern, die sind mir anvertraut. Ich mache das aus der Retrospektive, ich mache gestellte Szenen, und die Eltern werden auch nicht alles vor der Kamera sagen. Ich bin wie ein Schutz für die Eltern vor der Presse. Dann können wir rausgehen und uns kümmern, dass die Nachbarschaftsheime genannt werden, dass die Spender genannt sind und solche Sachen, weil wir da schon Überraschungen erlebt haben. Das ist ein Plädoyer dafür, vorsichtig damit umzugehen, ganz klar zu sagen, was wir wollen von denen, und dann ins Geschäft zu kommen, weil filmen tun die in jedem Fall, Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Workshop Heute ratlos, morgen super
sie gehen dann einfach auf die Straße und holen sich die welche und dann werden sie verhökert. Wir können ein bisschen dazu beitragen, dass es eine seriösere Geschichte wird. Uns war es wichtig, diese ganze Symptomatik in die Presse zu bringen, also dass es diese Schrei-Babys gibt, weil das Alltag in Deutschland ist. Das gibt es nicht nur in bestimmten Schichten.
Heute ratlos, morgen super
Aicha Katjivena: Das ist in allen Schichten Alltag. Ich habe 19 Sendungen gedreht und darunter waren auch einige aus gehobenen Schichten und Akademiker, nicht viele, ich glaube, es waren nur zwei oder drei Familien, aber die gab es auch. Die Frau hatte alle Erziehungsratgeber, alles, was man sich vorstellen kann, die war besser bestückt als Eure Bibliothek. Das war unglaublich, aber sie hat uns trotzdem gerufen. Charlotte Weidenhammer: Das ist ja auch ganz oft die Erfahrung in den Schrei-Baby-Ambulanzen, dass es nicht vorrangig Leute aus dem sozial schwachen Milieu sind, sondern ganz, ganz viel Bildungsbürgertum, Leute, die wahnsinnig viel gelesen haben, die wahnsinnig hohe Ansprüche haben. Daran scheitern sie eigentlich. Die es nie gut genug machen können. Sie meinen, keine Identität als Eltern zu haben und saugen alles an Informationen auf, aber sie können damit nicht umgehen, weil sie es nicht zuordnen können. Also die Informationen gehen rein, aber sie kommen nicht wieder raus. Für die Kinder ist das auch schrecklich, weil das, was bei den Eltern rauskommt, kommt ohne Überzeugung oder ohne emotionale Resonanz, sondern es ist ein Programm. Ein Programm ist dann schrecklich, weil es völlig rigide ist und abgespalten, oder die Kinder machen sich darüber lächerlich, weil man etwas macht, was man eigentlich gar nicht ausfüllen kann. TN: Diese Sendungen wie Supernanny oder Supermama sind natürlich auch ein Ausdruck von großer Hilflosigkeit. Viele Eltern wissen es einfach nicht, zumal diese Erziehungsratgeber nicht wirklich weiterhelfen. Mir ist aufgefallen, dass es in der letzten Zeit auch immer neue Erkenntnisse gibt, auch wissenschaftliche, die zum Teil sich völlig widersprechen.
Es gibt diese berühmten Zeitfenster, was die Eltern völlig paralysiert, nun geht es aber, und wenn jetzt nicht, dann ist alles vorbei. Diese Hilflosigkeit und diese falsche oder fehlende Identität als Eltern, das ist wirklich das Hauptproblem. Ich frage mich schon in meiner Rolle als diejenige, die eben Angebote für Eltern konzipiert, wie kann ich dem begegnen? Ich möchte eben jetzt nicht diesen Trends entsprechen, sondern dahin kommen, dass die Eltern für sich wieder ein Empfinden für ihren Weg kriegen. TN: Könnte es sein, dass diese schrillen Erziehungsratgeber für manche Menschen die Wirkung haben, aha, es gibt ja möglicherweise da Hilfe für mich, und motiviert es unter Umständen dazu, tatsächlich Hilfe in den Beratungsstellen aufzusuchen? Ist das ein Effekt, den man nachvollziehen kann? Aicha Katjivena: Es gab am Anfang, als die Sendung rauskam, ein großes Aufschreien. Ich wurde auch wirklich diffamiert von tausenden von Stellen, es gab Briefe, E-Mails, der Kinderschutz hat sich auch eingeschaltet. Wir hatten Rückmeldungen von den Jugendamtsstellen, wir haben viel in Richtung Schweinfurt bzw. Bayern gedreht, die ganz klar gesagt haben, dass sie viel mehr Anrufe von Leuten bekommen, die Hilfe suchen. TN: Das kann ich nur bestätigen, ich arbeite bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle in Hohenschönhausen-Lichtenberg. Ich habe als Familienhelferin gearbeitet. Als diese ersten Supernanny-Sendungen anliefen, haben wir uns als Kolleginnen erst mal sehr geärgert, weil wir dachten, da wird den Eltern suggeriert, dass es schnelle Lösungen gibt, aber die gibt es nicht. Dann haben wir aber festgestellt, dass es Eltern gab, die sagten, dass sie früher nie eine Familienhilfe akzeptiert hätten, aber jetzt sehen sie im Fernsehen, da kommt jemand in die Familie und die helfen wirklich. Das hatte schon auch einen positiven Effekt. Es gibt ja mehrere, die Supernanny und die Supermamas, was mir gefehlt hat, dass man auch vor dem Bildschirm sagt, wie lange man jetzt tatsächlich miteinander gearbeitet hat, dass man ein bisschen was erreicht hat, aber letztendlich müssen die wirklich dranbleiben, sonst wird
es vielleicht wieder wie vorher, und ich gebe jetzt die Anlaufstellen vor Ort bekannt. Das ist ganz wichtig, dass die da dranbleiben. Das wäre auch uns wichtig gewesen, dass die Eltern, mit denen wir arbeiten, das auch hören bzw. sehen. Aicha Katjivena: Aber das war auch so. Nur das Problem war, es gab einen Abspann, da stand, dass es die und die Beratungsstellen gibt, da können die Leute sich hinwenden. Das wurde natürlich auch immer wieder mal angesprochen. Ich wollte auch noch sagen, dass wir in den Familien 100 Stunden gedreht haben. Das muss man sich einfach vorstellen, in 6 Tagen bis zu 100 Stunden drehen, das sind dann einfach locker 20-Stunden-Tage. Da kann man sich vorstellen, dass die Leute total angespannt sind, man selber auch. Ich habe zum Teil nur zwei oder drei Stunden geschlafen, um am nächsten Tag wieder in die Familie zu gehen, wieder 16 Stunden durchzuhalten. Das ist definitiv zu viel. Das geht gar nicht. Zum Beispiel diese Elterngespräche, im Fernsehen wird gesagt, dass wir zwei Tage beobachten, aber es war nur ein Tag. Da konnte man sehen, dass die Eltern natürlich extrem unter Druck waren, ich komme da rein, gucke mir 5 Stunden an, was die machen, dann setze ich mich hin und sage: Also ich habe gesehen … Das ist ein totales Problem, weil ich hatte selber extreme Probleme, mich da so reinzuhängen, weil ich selber Mutter bin und ganz genau weiß, wie sich das anfühlt, wenn mir einer sagen würde, mein Sohn ist jetzt so und so, ich wäre der Person ins Genick gesprungen. Da hatte ich auch richtige Probleme und auch Ängste, den Leuten zu begegnen. Mein Kameramann hat mich gehasst, weil die Elterngespräche haben bei mir drei Stunden gedauert, weil ich einfach nicht in der Lage war, mich hinzusetzen und meine Beobachtungen aufzuzählen und zu beurteilen. Ich habe immer versucht, so freundlich wie möglich das anzubringen. Am Ende von diesen urlangen Gesprächen, wo die schon teilweise gar nicht mehr wussten, was sie alles erzählt haben, habe ich alles kompakt wiederholt, dann allerdings auch mit härteren Worten, was ich in dem Gespräch selbst gar nicht gemacht habe. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Das muss man einfach auch mal verstehen. Mir haben die Eltern ganz oft extrem Leid getan. Ich mir selber auch, weil es einfach Situationen und Zustände gab, wo man dann auch nicht mehr weiß, wie man damit umgehen soll. Auch ich wurde ja ausgespielt. Wenn man reinkommt, verhalten sich die Eltern erst mal ganz anders als sie eigentlich sind, sie wollen sich so gut darstellen wie möglich. Wenn das der Redakteurin zu lange gedauert hat, dann hat sie provoziert. Solche Situationen sind ganz oft passiert. Ich habe auch eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass ich die Macht habe zu entscheiden, was als Nächstes in dem Film passiert. Das war mir wirklich nicht bewusst. Ich dachte, was passiert jetzt alles mit mir, was soll ich jetzt tun. Ich habe wirklich eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass, wenn ich etwas nicht richtig finde, dann können die das auch nicht machen, weil sie brauchen mich ja, um diese Sendung zu beenden. Das hat wirklich bestimmt 5 Sendungen gedauert, bis ich gemerkt habe, wenn ich mich weigere, dann können die nichts machen. Das habe ich dann auch schamlos ausgenutzt. Es gab mal die Situation mit einem Jungen, 10 Jahre, der ist total zusammengebrochen. Da kam das Kamerateam rein, denen habe ich die Tür ins Gesicht gedrückt und habe sie rausgeschmissen. Es gab Eltern, die mir intimste Details erzählt haben. Da ich überhaupt nicht technisch bewandert war, habe ich nicht geschnallt, dass ich noch verkabelt war, die Eltern auch. Sie baten um ein Gespräch im Nebenzimmer, um mit mir was zu besprechen. Dann haben sie oft die Tür gefilmt und das Gespräch aufgenommen. Das kriegt man ja nicht mit, gerade wenn man die Sendung dann nicht sieht. Ich hatte mir ganz selten diese Sendung selber angeguckt, also habe ich gar nicht gewusst, was die da alles gemacht haben. Das
hat mir aber eine Freundin erzählt, ich hatte mir eine Kopie besorgt. Aber da war es bei mir auch vorbei. Ich habe dann meine Sendungen auch abgedreht – und das war’s. Ich wurde vor drei Wochen von RTL2 noch mal angerufen und gefragt, ob ich das noch mal machen würde. Ich konnte ganz klar Nein sagen. Ich wurde auch mit Geld gelockt – und ich konnte immer noch Nein sagen. Für mich war es wichtig, mich da abzugrenzen und irgendwann zu sagen, okay, bis hierhin und nicht weiter. Das war eigentlich ein ganz tolles Gefühl. Auch mal zu sehen, es geht einfach gar nicht ohne mich. TN: Die haben jetzt niemanden mehr? Aicha Katjivena: Nein. Sie machen die Sendung nicht mehr, weil nach 19 Sendungen ist einfach alles, was man sich so vorstellen kann, einfach ausgelutscht. Du hast fast alles gemacht, was es so an alltäglichen Erziehungsproblemen gibt. Denn der Unterschied zwischen der Supernanny und den Supermamas ist ja, dass wir zwei wirklich alltägliche Probleme präsentiert haben, während die Supernanny in Familien dreht, wo die Konflikte zum Teil schon so extrem sind, die Kinder auch schon in Therapien sind, die arbeitet mit Ritalin, also das sind einfach ganz andere Konditionen. Die Kinder kriegen Ritalin, auch während der Drehs, also sorry, da werden die Kinder zum Arzt geschleppt und Rezepte werden verschrieben usw. Das ist einfach Fernsehen. Ich finde es wichtig, dass man sieht, dass es auch Unterschiede gibt, dass die Formate unterschiedlich sind. Wir hatten zum Beispiel, Trash-Fernsehen, einen Ganztagsdreh nach dem anderen, während Frau Saalfrank viel mehr Zeit für die einzelnen Sendungen hatte. Da konnte es auch einmal entspannt zugehen. Auch der technische Hintergrund ist anders. Es gibt bis zu 5 Kamerateams, die Kameras werden überall festgelegt, teilweise werden die Wohnungen vorher renoviert, damit die alle chic aussehen. Dann geht man da mal hoch, dann erzählt sie denen was, dann geht sie wieder runter, der Rest wird dann ohne sie gedreht. So. Das ist ein ganz anderes Arbeiten, sie hat es wesentlich entspannter und kann sich natürlich auch viel besser vorbereiten.
Ich hatte einen extremen Fall: ein Kind von 7 Jahren, das einfach nicht einschlafen wollte. Ich war nachts um 1 Uhr immer noch in der Familie, weil es nicht klappte. Da bin ich an den Rand meiner Möglichkeiten und meiner Nerven gekommen und total ausgerastet. In dieser Sendung habe ich dann harsch gesagt: Du bringst jetzt dein Kind in die Badewanne und dann schläft es da. Häh? Ich hatte eine Perücke auf, die war schief, ich hatte ein Hemd an, das hing wirklich schon, die Hose rutschte, während ich dieses Kind am Arm in sein Zimmer schleifte, weil ich nicht mehr konnte. In solche Situationen kommt man dann. Mir hat das Kind einfach total Leid getan, aber ich konnte einfach nicht mehr. Ich hatte nicht die Kraft und auch nicht die Möglichkeiten, diese Redakteurin und das ganze Team aus dieser Wohnung rauszubringen, weil wenn die nicht gehen, was soll ich machen, ich sitze irgendwo in der Walachei und das Hotel ist aber 20 oder 50 Kilometer entfernt. TN: Ich finde das sehr spannend, weil das ist ja eine Eltern-Symptomatik, die Du dort erlebt hast. Du bist an Deine Grenzen gekommen, hast total die Kontrolle verloren und hast reagiert, wie Du es eigentlich nie tun würdest. Das ist ja ein Schritt zurück, aber provoziert durch die Situation. Aicha Katjivena: Ich war auch ausgeliefert in dieser Situation, weil ich immer unruhiger wurde, dieses Kind hampelte und nölte. Es ging darum, dass dieses Kind nicht mehr bei der Mutter im Bett schlafen sollte, die haben zusammen in einem Bett geschlafen, unter einer Decke und mit einem Kissen. Das Kind hatte aber ein eigenes Zimmer und sollte nun dort schlafen. Und das Kind schlief nicht. Es sollte dann so tun, die Augen flackerten, das funktionierte gar nicht. Das Ende vom Lied war, dass sich das Kind in die Wanne gelegt hat, weil ich gesagt habe, dass ich nicht mehr kann. Dann sind wir aus dieser Familie rausgegangen, am nächsten Tag habe ich mich geweigert, da wieder hinzugehen. Und ich habe es auch nicht gemacht. Die mussten dann mit den Schnipseln, die wir hatten, den Film zu Ende bringen. Da war ich kurz davor aufzuhören. Aber dann habe ich
auch wieder gemerkt, ich habe mir das vorgenommen und wer weiß, wer in Zukunft meinen Platz einnehmen würde. Wie Du schon gesagt hast, da habe ich eine Verantwortung übernommen, die ich eigentlich nicht tragen kann. Ich habe mich aber trotzdem bemüht, mit meinem Anspruch und mit dem, was ich gelernt habe, umzugehen, das so umzusetzen, dass ich damit auch leben kann. Das war für mich das Wichtigste, dass ich mich selber im Spiegel noch angucken kann nach diesen Sachen, okay, das war vielleicht nicht so toll, aber hey, es war okay, damit kann ich leben. Das war wahnsinnig schwer, einfach aus diesem Druck und dieser Verantwortung. Ich habe wahnsinnig viel Feedback von der schwarzen Community bekommen, was noch mal einen ganz anderen Aspekt aufwirft, nämlich dass die gesagt haben, hey, eine schwarze Frau im deutschen Fernsehen, wir haben Jahrhunderte lang den weißen Kindern den Hintern abgewischt und kein Geld dafür gekriegt. Und in Deutschland, was einfach weiß ist, als schwarze Frau im Fernsehen so was machen zu können, das hat die total gefreut, weshalb ich wahnsinnig viel Feedback gekriegt habe. Diese Sachen haben mich zum Teil auch gestärkt, damit ich in der Lage war, die nächste Sendung zu drehen. Ich hatte dadurch im Hinterkopf nicht nur meine Scham, das ich was tue, was eigentlich total schrecklich ist, wo ich auch nicht wirklich dazu stehe oder das nicht gut finde, sondern auch den Ansporn, das trotzdem zu tun und so gut wie möglich zu machen. TN: Sie haben auch noch ein Buch herausgegeben, einen Erziehungsratgeber. Aicha Katjivena: Wir haben da gar nichts geschrieben, sondern da gab es natürlich einen Ghostwriter, das ist ja klar. Da geht es auch wieder nur um Geld. Als ich am Anfang gehört habe, dass es im Rowohlt-Verlag erscheint, dachte ich, wow, seriös. Dann kam auch der Schreiber, der sehr bekannt ist, Bernhard Schön heißt er, er schreibt ganz viele Erziehungsratgeber, Kinderbücher usw., und hat über mehrere Tage, ganz lange, insgesamt bestimmt zwei Monate, mit uns geredet, über unsere Erziehungsvorstellungen usw. Das wurde dann in diesem Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Buch umgesetzt. Nur sollten wir erst Geld kriegen, wenn die Auflage von 70.000 Exemplaren verkauft ist, was natürlich nie passiert ist, deswegen haben wir auch kein Cent davon gesehen.
wie vor – unglaublich problematisch finde, das ist die Tatsache, dass diese Familien vor der Kamera sich gar nicht bewusst darüber sind, was da läuft. Da wird ihre Not total ausgenutzt. Ich frage mich: Was passiert mit diesen Familien hinterher?
TN: Das ist jetzt schon überall in der Grabbelkiste. Aicha Katjivena: Eigentlich war es für die Tonne.
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Reinhilde Godulla: Es gab ja ganz viel Kritik, in einem Rundbrief-Artikel sind einige Zitate aus Web-Blogs in diesem Zusammenhang abgedruckt worden. Aber das haben ja auch sehr viele Leute geguckt, das waren über 4 Millionen bei jeder Sendung. Die haben das ja nicht alle aus Schadenfreude geguckt. Aicha Katjivena: Ich habe niemandem erzählt, dass ich diese Sendung drehe. Mein Vater, der politische Filme dreht, und meine Mutter, die für die ZEIT schreibt, da hatte ich ganz große Probleme, denen das zu erzählen. Ganz lange habe ich das also gar keinem erzählt. Die erste Sendung kam am 20. September 2004 raus. An dem Tag habe ich dann meine Mutter angerufen, hm, ich habe da, tut mir ja so Leid, ich weiß ja, Dein Anspruch. Die hat gesagt, bist du blöd, finde ich total gut, mach doch, super. Also die hat ganz anders reagiert, als ich dachte, und ich musste auch mit meinen eigenen Schamgefühlen umgehen. TN: Diese Kinderschutzgeschichten waren sehr negativ. Leider sieht man so etwas nicht nur im Fernsehen, wir haben mehrere solche Fälle im Bekanntenkreis. Ich denke, es ist ja wahrscheinlich auch so. Von daher ist es auch positiv zu sehen, man kann die Leute darüber erreichen, so platt und reißerisch dieses Medium ist, aber es kann natürlich auch bewirken, dass sich mehr Leute trauen, bei Beratungsstellen anzurufen und nach Hilfe zu fragen. TN: Ich glaube schon, dass es tatsächlich Leute gibt, für die das ein Anstoß ist, selber was zu machen, obwohl ich auch glaube, dass die überwiegende Mehrzahl sagen wird, na, so schlimm ist es bei uns ja noch nicht, das ist ja vergleichsweise harmlos bei uns. Was ich aber – nach
TN: Das ging mir auch so. Bis heute Morgen dachte ich, es ist nicht wahr, das sind Schauspieler, keine echte Familie würde sich dem aussetzen. TN: Auch wie sich die Rolle des Kindes in einer Klasse dann verändert, wenn das alle gesehen haben. Aicha Katjivena: Das war das größte Problem. Deswegen habe ich bei schwierigen Situationen die Tür zugehauen, den Kameramann rausgeschoben, weil das an die Grenzen geht. Viele Kinder wollten gar nicht gedreht werden, aber wurden gar nicht gefragt. Die meisten Familien wurden von den Müttern angemeldet. Bei einer einzigen Familie hatte der Vater angerufen, aber bei allen anderen wollten die Mütter die Hilfe haben. Ganz viele von denen wollten auch ganz konkret Hilfe von mir, weil sie sich von mir etwas Bestimmtes erhofft haben. Viele haben sich auch gemeldet und gesagt, sie würden lieber zur Supermama Miriam gehen oder zu mir. Sie sehen die Sendungen, die eine Supermama liegt einem, die andere nicht, und sie erhoffen sich natürlich Hilfe. Das größte Problem innerhalb dieser Familienstrukturen waren ganz oft die Männer, dermaßen untergebuttert waren. Ich habe denen ganz oft gesagt Wo hast Du Deine Eier? Weil die überhaupt nicht in der Lage waren, sich selber zu spüren, also auch die Identität als Mann zu haben, die Rolle innerhalb dieser Familie auch einnehmen zu können. Das ist vielen total schwer gefallen. Die sind einfach arbeiten gegangen, weil alles andere zu Hause sie so belastet, dass sie gesagt haben, da komme ich halt abends hin, ansonsten bin ich außerhalb und mache mein Ding. Ein Vater war dabei, der hat im Schichtdienst bei Daimler gearbeitet, jeder Mensch weiß, so eine Schicht geht 9 Stunden, also es gibt keine 12-Stunden-Schichten, aber der war immer 12 Stunden weg. Hinterher habe ich raus-
gekriegt, der geht nachmittags nach der Arbeit erst mal ins Café, weil zu Hause Stress ist und die Frau sofort was will. Das war eigentlich bei fast allen Familien so, dass die Frauen der dominante Part waren. Bei einem Beispiel war der Mann ein unheimlicher Waschlappen, wo ich dachte, die Frau hat bestimmt einen Liebhaber. Da hattest Du einen Tagesplan, dass die Frau jeden Mittag von 16 bis 17.30 Uhr frei hat, in der Zeit ist er dann zuständig für die Kinder. Gestern dachte ich, da geht die bestimmt zu einem Lover. Und das war dann auch so. TN: Ich sehe natürlich auch ganz stark den Part, was mit den Männern, die im Fernsehen sind, aber ich sehe darüber hinaus auch diesen Zeitgeist, in dem wir glauben, wir könnten die Dinge so schnell lösen. Das hat ja eine so eine Suggestion, da kommt jemand für ein paar Tage und dann wird alles gut. Das ist ja auch oft der Anspruch, den Eltern an die Umwelt oder an sich selber haben, wenn ich das so mache, dann klappt es. Das ist für mich wirklich ein Knackpunkt, weil das ist so ein Streueffekt. Das sind 19 Familien, aber die 4 Millionen Leute, die das sehen, kriegen die Botschaft, dass man es schnell lösen kann. Eigentlich zeigt ihnen mal wieder jemand, die können das, ich muss das nur richtig machen, aber sie können es nicht umsetzen, insofern ist es eine Wiederholung des Gefühls, dass sie es nicht geschafft haben, ich habe als Mutter oder Vater versagt. Aicha Katjivena: Bei diesen Drehs ist mir auch aufgefallen, dass es in Deutschland so gut wie keinen kulturellen Rückhalt gibt. Ich komme aus einer großen Familie. Aber es geht darum, nach außen zu zeigen, ich bin ganz toll, ich kann alles, ich bin eine Supermama, meine Familie läuft rund, bei mir ist alles gesund, ich habe keine Probleme mit meiner Familie oder meinem Mann, bei mir ist alles perfekt. Das ist das Wunschdenken. Das ist das Ziel, was alle erreichen wollen. Dazwischen, wenn man die Realität sieht, so wie das Leben läuft, ich habe eben kann Geld, weil wir arbeitslos sind, ich kann mir das nicht leisten, das hat extrem große Auswirkungen auf die Familien allgemein. Es gibt
keinen kulturellen Hintergrund und sie haben nichts, woran sie sich richtig orientieren können. Das habe ich bei allen Familien erlebt. TN: Es wird ja suggeriert, dass es eine richtige und eine falsche Erziehung gibt. Wenn der Vater mit dem Kind alleine ist, kommt der möglicherweise recht gut damit klar. Aicha Katjivena: Eigentlich immer, das war kein Problem. TN: Manchmal ist es auch so, wenn der Vater nicht da ist und die Mutter alleine ist, dann gelten diese Regeln auch. Kinder können zweisprachig aufwachsen, Kinder können sich am Vater orientieren, sie können sich auch an der Mutter orientieren, aber wenn beide sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen müssen, dann geht gar nichts mehr. Meine Hoffnung ist, dass diese Erziehungsberatung bringt, wenn sich die Eltern nicht reduzieren müssen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern wirklich ihre Autonomie ausleben können, dass sie authentisch werden, es zu einer wirklich persönlichen Beziehung zu den Kindern kommt. Aicha Katjivena: Du redest von Menschen, die miteinander kommunizieren, die in einer Partnerschaft leben und miteinander reden. Die Erfahrung, die ich gemacht habe, da war es genau das Gegenteil. Da haben die Beziehungsprobleme von den Eltern eine so große Rolle gespielt, das ist ja immer so, alles hat eine Auswirkung, auch auf die Kinder. Eigentlich habe ich ja Elternberatung gemacht, weil die Arbeit mit den Kindern war während dieser Drehs immer der kleinste Teil. Erst mal musst du ja diese familiären Probleme aufarbeiten bzw. aufdecken, damit du überhaupt was machen kannst. TN: Im Gegenteil. Ich möchte gerne, dass die Eltern an dieser Stelle nicht kommunizieren, sondern dass sie ein Stück getrennt sich mit diesem Kind konfrontieren. Dass die Eltern nicht miteinander kommunizieren können, das ist ein ganz anderes Thema. Das hat natürlich in der Paarberatung dann eine hohe Bedeutung, aber nicht unbedingt in der Kindererziehung. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Ich gehe soweit und sage, ein Kind braucht keine sich vertragenden Eltern, sondern ein Kind braucht einen Vater und eine Mutter. Wenn das beides da ist, dann geht es einem Kind gut.
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Aicha Katjivena: Ich habe Dich auf jeden Fall verstanden. Aber wenn die Eltern zusammen sind und sich nur streiten und es permanent Stress gibt, wie soll sich dann das Kind verhalten? Es liebt beide Eltern, es will beiden Eltern genügen, es will von beiden Eltern die Aufmerksamkeit, aber wie kann das Kind das bekommen, wenn die beiden sich ständig bekriegen? Das ist doch total schwierig. Die tun ja dann nur so, als ob, miteinander, obwohl es gar nicht so ist. Paula Diederichs: Ich sehe es nicht so, dass die einzelnen Elternteile autonom sind. Das geht nicht. Es gibt da ein Bindungskonstrukt. Sie müssen zwar beide auch eine eigene Beziehung zu den Kindern aufbauen, aber das ist nicht völlig unabhängig von der des Partners / der Partnerin. Ich sehe ein großes Problem im Verlust von etwas, das wir intuitive Elternschaft nennen. Wie gehen Leute heute an Elternschaft ran? Sie lesen Bücher, am besten sich widersprechende, Ratgeber oder wissenschaftliche Abhandlungen. Damit machen sie sich selbst total kirre. Sie verlieren ihre Intuition. Das kann nicht gut gehen. Diese Eltern müssen erst mal wieder eine Beziehung zu sich selbst aufbauen. Sie müssen sich spüren: Wer bin ich als Mama, wer bin ich als Papa? Was hier nachwirkt, ist diese Nachkriegsgeschichte, die mal als vaterlose Gesellschaft beschrieben worden ist. TN: Ihr heißt „Supermama“. Das suggeriert, dass Kindererziehung eigentlich Mamas Sache ist. Paula Diederichs: Diese Aggressionsgeschichten haben für mich als Therapeutin eindeutig etwas damit zu tun, dass der Vater nicht anwesend ist. Vielleicht hält er das Kind, aber er ist nicht wirklich da. Er ist vielleicht die Pappnase der Mutter, die die Regie führt. Aber ich habe da inzwischen auch Hoffnung. Es gibt junge Väter, die da einfach ran wollen und sagen, ich will am Erziehungspro-
zess beteiligt werden. Es gibt die traditionellen Väter, die arbeiten gehen und sagen Mach du mal zuhause, dann gibt es die, die keinen Plan haben und dann gibt es die, die sich richtig beteiligen wollen und jetzt auch in dieser frühkindlichen Zeit. TN: Wir stellen ja schon seit langem fest, dass die traditionelle Großfamilie bei uns in Deutschland ja gar nicht mehr existiert, wenn es hoch kommt, haben wir Kleinfamilien. Das heißt, dass ein Heer von jungen Leuten herangewachsen ist oder heranwächst, die keine Geschwister haben, die auch keine Beziehung zu Cousinen und Cousins haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass junge Menschen Eltern werden, die noch nie ein Baby im Arm hatten. Woran sollen die sich orientieren? Ich sehe es am eigenen Beispiel, eine Tochter, 18 Jahre alt, sagt, Mama, wenn ich mal Mutter werde, ich muss vorher irgendwo ein Praktikum machen, ich weiß gar nicht, wie ich damit umgehen soll. Da hilft es auch nicht zu lesen. Da fehlt einfach was. Wie gehen wir damit um? Charlotte Weidenhammer: Ja, aber auch die Außenwelt versucht uns immer durch die Ratgeber vorzugaukeln, wir können da eine Abkürzung nehmen, wir können uns ein bisschen was anlesen, dann wissen wir, wie es geht und dann machen wir es. Eigentlich ist ja die Geschichte der frühen Kindheit eine Geschichte von Bindung und Anbindung. Um das leisten zu können, müssen wir eigentlich in Kontakt treten mit unserer eigenen Bindungserfahrung und Bindungsgeschichte. Wie war das bei uns? War es gut, war es nicht gut? Wie haben wir uns gefühlt? Und das Kind, das wird uns damit konfrontieren, mit unserer eigenen Bindungsgeschichte, mit unserem Konstrukt, wie es in uns ist. Die ganzen Ratgeber tun ja so, als müssten wir das nicht. Wir wissen jetzt wie es geht, wir können einfach loslegen, aber, was diese Geburt in uns auslöst oder wenn das Kind nicht schlafen will, das wird da nicht mit in Bezug gesetzt. Ich glaube, das ist dieser Zeitgeist, jetzt machen wir das mal schnell, alles schnell, das Problem wird gelöst, Programm, und fertig. Diese eigentliche Konfrontation, die versuchen wir zu umgehen. Ich glaube, dass jeder Mensch
diese Liebe für ein Kind hat. Es ist auch nicht selbstverständlich zu einer jungen Frau zu sagen, es ist da, du musst es nur irgendwie rausholen, sondern es kommt wie eine Direktive von oben: so wird’s gemacht, so wird’s gemacht – und jeder sagt es noch dazu anders, es gibt also 20 Möglichkeiten, es falsch zu machen. Der Selbstbezug wird nicht hergestellt:, also z.B.will ich, dass das Kind bei mir im Bett schläft oder habe ich da überhaupt keinen Bock drauf, will ich es stillen oder finde ich das doof, egal, aus welchem Grund? Es gibt immer hohe abstrakte Ansprüche, manchmal noch durch Wissenschaft untermauert, aber es wird völlig ausgeblendet, was ich selbst will, wie finde ich mich als Frau, wie möchte ich mein Leben gestalten, möchte ich arbeiten gehen usw. TN: Ich habe vier Kinder, alle ziemlich weit auseinander. Es war wirklich jedes Mal anders, das erste Kind durfte nur auf dem Rücken liegen, das zweite sollte nur auf dem Bauch liegen, aber eigentlich kannte ich mich doch jetzt aus, ich müsste doch wissen, wie es geht. Nach neuesten Wissenschaften, jetzt doch nicht. Als lies bitte mal dieses Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ - aber genau das habe ich nicht ausgehalten, ich habe mein Kind nicht schreien lassen, weil ich es nicht ausgehalten habe. Ja, dann bin ich eben mit dem Kind ins Bettchen, bis es 5 ist oder 6 oder 7, ja, aber das passt. Das hat sich dann von ganz alleine gelöst, ich habe mir keinen Stress damit gemacht. Aicha Katjivena: Das ist doch auch okay. TN: Ich habe einen Vortrag über Familien gehört, da kam auch durch, was für eine autoritäre und hierarchische Welt das war, und diese Intuition, dafür gab es gar kein Wort. Wenn ich mich erinnere, wie früher gesprochen wurde, da hat man gar nicht über Gefühle gesprochen, so wie man auch nicht in der Ich-Form geredet hat, sondern man hat man gesagt, statt ich, oder sollte man nicht. Für Intuition gibt es im Deutschen auch kein Wort. Wenn ich an meine Oma denke, die hat sich für den Profi im Umgang mit Babys gehalten, man hat sie auch gerufen, wenn ein Baby geboren wurde. Sie hat die Babys gehalten, das sah ganz komisch aus. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Da war nichts von dieser Intuition zu spüren, sondern sie war einfach eine, die gut gelernt hatte, was diese Schwestern früher gesagt hatten, die ins Haus kamen, wenn ein Kind kam. Das waren keine Hebammen, sondern katholische Schwestern. Die haben gesagt, wenn ein Kind schreit, dann weiten sich die Lungen, das ist gut. Ein Kind muss alle vier Stunden gefüttert werden. Und das Kind wurde mit einem Abstand gehalten, da kam überhaupt kein Kontakt zustande. Dann hat sie mit der Flasche gefüttert, Stillen hat man zum Glück in den 60-er Jahren abgeschafft, dieses lästige Gedöns, weil die Hebamme sagte, man muss das Kind öfter anlegen, weil sonst die Milch weg geht. Das Ziel war ja – alle vier Stunden. Und so wurde den Frauen über Jahrzehnte die Intuition auch ausgetrieben bis zum Anschlag. Das, was ich jetzt in den PEKiP-Gruppen in Hohenschönhausen vor mir habe, ist das Ergebnis dessen. In der DDR wurde es auch noch ein bisschen länger fortgeführt als im Westen, 120 Jahre länger, es gab so ein paar Nischen, ja, alle vier Stunden, durchschlafen, Töpfchen, das war genau das, was meine Oma auch gesagt hat. TN: Es war staatlich, es war viel verstaatlicht. Es gab sogar Kindergärten, wo die Kinder die ganze Woche hingehen konnten und die Eltern ihr Kind nur am Wochenende bekamen. TN: Da war ich auch, ein Wochenheim. TN: Das Thema dieser Tagung ist ja „Familien unter Generalverdacht oder Heiligenschein“. Was mir selber, ich habe auch zwei Kinder, auffällt, ist die Geschichte mit dem Generalverdacht. Ich habe für mich gemerkt, wenn ich alleine mit meinen Kindern im Kontakt bin, ist das alles easy. Aber es kommen von außen Anforderungen, Schule, Kita und es wird immer heftiger, also das heißt, in den Moment, wo ich spüre, ich habe als Mutter auch eine Aufgabe für die Gesellschaft, ich habe bitte-schön so ein Kind zu produzieren, das keinen Ärger macht und wehe wenn, das macht mir als Mutter tierischen Stress. Es ist gar nicht Stress im Umgang mit meinem Kind an sich, aber diese Erwartungen, deswegen finde ich auch den Titel die-
ser Tagung gut. Diese Unsicherheit, die auch eine Rolle spielt, auch die Intuition, die nicht mehr so da ist, aber die Erwartungen, die an die Familien gestellt werden, was die alles machen müssen, dass das Kind, was da rauskommt, ganz bestimmte Kriterien erfüllen muss, um in dieser Gesellschaft on top zu sein. Das ist der Stress. Der fängt mit der Schwangerschaft an. Charlotte Weidenhammer: Dieses Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ ist sehr plakativ, das ist ja wie die Aussage, dass jedes Kind Abitur machen kann. Die müssen ja alle toll sein. Dieser Stressfaktor hat natürlich indirekt auch etwas mit dem Verlust von Traditionen zu tun. Wir haben nicht mehr die Großfamilien mit fünf Kindern, wo eines vielleicht den Hauptschulabschluss macht, egal, eines macht vielleicht das Abitur. Heute müssen alle unbedingt perfekt sein. Sie dürfen auch nicht hibbelig sein, das ist ja auch ein ganz großes Problem. Das ist ja nicht nur für die Eltern eine Herausforderung, sondern auch für die Kinder, in was für einer Glocke die groß werden, um zu funktionieren. Und wirklich auch die Schwierigkeit, sich dem zu verweigern, das ist vielleicht das falsche Wort, sich dem entgegenzustellen und zu sagen, mein Kind ist eben hibbelig und es kriegt trotzdem kein Ritalin – oder es ist so und so und es darf auch sein. Das ist natürlich wahnsinnig schwierig. Reinhilde Godulla: Torsten ist seit 6 Monaten Familienhelfer. Ist da der Fokus nur auf das Kind oder auch auf Mutter oder Vater? TN: Wie der Begriff Familienhelfer schon sagt, der Fokus liegt auf der Familie. Es gab lange Zeit eine Trennung zwischen Einzelfallhilfe und Familienhilfe, ich glaube, das gibt es in Berlin nicht mehr. Das heißt jetzt direkt Familienhilfe. Es gibt in der Behindertenhilfe noch den Einzelfallhelfer. Wenn man merkt, die Familie lässt den Helfer nicht so zu, dann verkauft man es auch als Einzelfallhilfe für das Kind, weil die Eltern so rüberkommen, mein Kind macht keine Hausaufgaben, schreit viel, kann nicht schlafen, was auch immer. Der Fokus liegt auf dem Kind. Sie haben alles versucht, sie haben Ratgeber gelesen usw. Wie auch schon
festgestellt wurde, ist es eigentlich so, dass die Eltern so belastet sind oder in ihrer Beziehung nicht klar kommen, dass die Kinder auffällig werden. Man muss mit den Eltern was machen, aber wenn die Eltern es nicht zulassen, weil es in ihren Augen an dem Kind liegt, was sollen wir denn besprechen, weil mein Kind macht ja keine Hausaufgaben. Wenn die Einsicht nicht da ist, dann wird das als Hilfe für das Kind verkauft, aber der Fokus ist schon auf der ganzen Familie. TN: Wie ist es bei Dir? Hast Du Eltern, die empfänglich sind oder machst Du auch erst mal den Weg über das Kind? TN: Man kommt über das Kind erst mal leichter in die Familie. Es ist auch ganz wichtig, da eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen, weil dann die Kinder eigentlich ein Stück weit alleine sind in der Familie. Die kriegen immer alles ab, die werden angeschrieen, bei denen klappt irgendwie alles nicht, sie haben wenig Selbstwertgefühl und wenig Selbstbewusstsein, wo sollen sie das auch herkriegen, wenn sie immer das Gefühl haben, sie machen alles falsch? Da muss man einen Kontakt herstellen und eine Bindung eingehen, das ist ganz wichtig. Paula Diederichs: Zu diesem Perfektionismus: Wir haben 1-Frau-Familien oder 1-Mann-Familien, die allein erziehend sind, oder eben Patchwork-Familien. Das birgt natürlich ein unheimliches Potenzial für Aggressionen oder Auseinandersetzungen. Ich reise viel herum und kriege mit, dieser Mutter-Perfektionismus spielt sich jeden Tag an den Supermarktkassen ab. Da sagt ja keiner, ich helfe Ihnen, ich nehme Ihnen das Kind mal ab, gehen Sie mal einkaufen, wie ich das teilweise in Italien oder Portugal erlebt habe. Du gehst in ein Restaurant essen, der Kellner sagt, ich passe auf das Kind auf, das nichts passiert, essen Sie mal in Ruhe. Das passiert in Deutschland? Da fliegst du aus der Kneipe raus. Oder die Mutter mit dem Kinderwagen, die in Berlin vor der defekten Rolltreppe steht und um Hilfe fragt, bekommt mit mehr Schnauze als Herz vorgehalten Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Das sind die Nettigkeiten, die dir hier passieren. Da wird der Mutter ganz klar die Verantwortung zugewiesen
und vermittelt, du hast die Verantwortung für das Kind und du kannst auf der emotionalen Ebene keinerlei Hilfe von deinen Mitmenschen erwarten. Von den Müttern wird erwartet, dass sie gute Kinder produzieren, aber die Verwirrung von der Fachseite ist unglaublich heftig und wird hier in Deutschland fast kriegerisch geführt. Es gibt jetzt zum Beispiel einen Feldzug von einem Schlaf forscher aus Dresden, der rausgekriegt hat, dass die Kinder auf dem Rücken liegen müssen, die dürfen nicht im Elternbett schlafen, die kriegen einen Schlafsack an, maximal noch einen Nuckel, die sollen platt auf dem Rücken gebettet liegen. Der predigt das so, alle Wissenschaftler sagen, der hat Recht, alle Kinder müssen so gebettet werden. Wenn du das nicht tust, dann riskierst du, dass dein Kind am plötzlichen Kindstod stirbt. Willst du das? In Baden-Württemberg hat die Gesundheitsministerin jetzt angeordnet, dass Sicherheit vorgeht und dem plötzlichen Kindstod zu Leibe gerückt werden muss und hat deshalb alle Hebammen des Bundeslandes angewiesen, den Eltern beizubiegen, ihre Kinder so zu betten. Die ziehen vor den Kadi, wenn die Hebamme das nicht weitergibt. Der Verlust von Intuition wird vom Staat oder von der Wissenschaft teilweise so verordnet. Ich meine, das widerspricht aller Bindungsforschung, aber dieser Krieg tobt hier. Den gibt es beim Thema Stillen oder beim Thema Impfen. Wenn eine Mutter kommt und wissen will, ob sie ihr Kind impfen lassen soll oder nicht, dann stehen auf dem Podium die Impfgegner und die Impfbefürworter und beschimpfen sich gegenseitig, du Mörder. Dabei will die Mutter nur Hilfe haben, aber es spitzt sich hier ganz schön zu. Charlotte Weidenhammer: Die Eltern werden doch gar nicht ernst genommen. Die Ärzte und Kinderkrankenschwestern denken alle, och, das kann ich, ich weiß doch, Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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wie es geht, wenn ein Kind schreit, dann muss man ein paar Tipps geben und das Problem hat sich erledigt. Nach dem Motto, wenn du uns nicht glaubst, dann bist du selber schuld. Ich erlebe ganz viel, dass die Ärzte dann eben sagen, das geht nicht so weiter, Sie müssen mal dieses Programm machen, „Jedes Kind kann schlafen lernen“, hier haben Sie das Buch, tschüss. Oder selbst Schreibabyambulanzen: du kriegst einen Termin in zwei Wochen, dann kriegst du eine Stunde, wo man das besprechen kann und kannst dann mit drei oder vier Blätter mit Tipps nach Hause gehen.
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TN: Mir wurde gesagt: Sie haben ein Schreikind, viel Spaß zu Hause. Charlotte Weidenhammer: Was nach meiner Erfahrung wirklich sehr viel hilft, wenn man mit den Eltern erst mal rausfindet, wo eigentlich ihrs ist und das dauert vielleicht eine Weile. Es gibt natürlich auch Eltern, die das erst mal gar nicht haben, also die so wenig Vorbilder in ihrem eigenen Leben hatten, wo sie sagen, das hat sich gut angefühlt, dass ihnen so ein Skript fehlt. Es fehlt ihnen so eine Art innerer roter Faden, wie sie das machen wollen. Da finde ich es spannend, dass die Eltern, wenn sie zu mir kommen, eine ganze Weile sehr gerne sofort ihr Kind abgeben. Sie geben es ab und wollen, dass ich es halte, und gucken einfach nur zu, was da eigentlich passiert. Dann installiert es sich sehr schnell, einfach über diese Erfahrung, ja, das geht, ich kann mir das auch – wie das Kinder auch machen – über Nachahmung abgucken, das rieselt irgendwie in mich rein, was ich auch eine tolle Erfahrung finde, weil es relativ schnell geht. Eigentlich haben die Eltern ja ihre Vorstellungen, aber sie sind irgendwie verschüttet gegangen. Es braucht eigentlich nur eine Weile Zeit und eine Akzeptanz auch davon und keine Beurteilung von ihrem Tun, bis die da langsam mit nach draußen kommen und auch ein Stück Authentizität wieder finden. Eine Freundin sagt, dass das Kind unbedingt im Bett schlafen muss, weil das sonst schlecht ist, aber eigentlich will ich viel lieber meine Ruhe haben, sonst kann ich gar nicht schlafen. Es kann auch umgekehrt sein, dass die Schwiegermutter sagt, wie, bei dir im Bett, das geht ja
gar nicht, und die Mutter ganz glücklich ist, wenn sie das Kind zu sich holen darf. Damit ist eigentlich jeder Ratgeber ad absurdum geführt bis zu einem gewissen Grad, weil die Sache und die Leute unterschiedlich sind. TN: So wenig wie es genormte Babys gibt, gibt es die Wahrheit, wie man Babys erzieht, deswegen denke ich, es konkretisiert sich darauf, Eltern wirklich in ihrer Intuition zu stärken, in ihrer Autonomie. Eltern brauchen natürlich in manchen Situationen professionelle Berater, aber was sie noch mehr brauchen, das ist tatsächlich ein Familiennetz, also dass Eltern sich auf der Peer-Ebene austauschen und spüren, dass es unterschiedliche Wahrheiten gibt, unterschiedliche Erziehungsstile und unterschiedliche Wege. Sie müssen mitkriegen, dass sie nicht die große Wahrheit von den Professionellen, wenn ich deren Tipps umsetze, ist alles in Ordnung, sondern sie müssen darin gestärkt werden, damit sie auch Mut haben, etwas auszuprobieren und entsprechend ihrer Intuition zu leben. Ich glaube, das kriegen sie doch mehr, wenn sie sich mit anderen Familien austauschen. Aicha Katjivena: Es ist auch okay, wenn es nicht funktioniert, so wie es auch okay ist, nicht perfekt zu sein. TN: Das ist genau der Punkt, um den es eigentlich geht. Wie sieht es denn in Wirklichkeit aus? Wo sind denn diese Eltern? Wie begegnen ihnen die Fachleute im Familienzentrum, im Kindergarten? Von da wird ja das System anders bedient. Wer sagt ihnen denn: hört auf Euren Bauch? Wir reden bei uns nicht von Intuition, wir sagen Bauch. Bauch, da komme ich eher mit klar. Das ist doch ein Lösungsansatz. Ich finde es unheimlich wichtig, dass sich die Fachkräfte, die den Erstkontakt mit den Eltern haben, in der Spielgruppe und im Kindergarten, sich mit dem Bauch beschäftigen. Diese Verantwortung wahrzunehmen und entsprechend zu überlegen, was entwickeln wir, und nicht auf diesen Formalisierungszug aufzuspringen. Auch wir haben Elterntraining gehabt, haben aber alles wieder runtergefahren, weil das ganz anders laufen muss. Und dafür finde ich leider kein passendes Programm, was mir mein
Leben und meine Arbeit erleichtern würde, sondern unsere KollegInnen sind alle gefordert, auf den Bauch zu achten und die Angebote neu zu entwickeln. Es reicht nicht aus, das nur festzustellen, sondern es muss Auswirkungen haben und Informationen müssen zu denjenigen gelangen, die mit den Kindern in den Familien arbeiten, bis nach oben, in die Schulen rein. Das ist ein ganz langer Prozess. Der hat leider auch mit Geld zu tun, mit Druck, mit Wirtschaftlichkeit, das weiß ich. Ich leite seit 12 Jahren Eltern-Kind-Gruppen, die kommen im Alter von 18 Monaten an, wir haben schon runtergeschraubt, weil die Kinder ja immer früher in die Krippen gebracht werden oder in die Kitas. Zwei Stunden einmal pro Woche. Das ist nicht nur Singen, Spielen, Tralala, sondern wenn wir gemeinsam frühstücken, ergibt sich immer ein Gespräch, jede Mutter beteiligt sich, ob es um Erziehung geht. Wir haben immer ein Thema, was richtig heiß diskutiert wird. Manchmal frage ich selber nach, du hattest Schwierigkeit mit dem Schlafen, was machst du jetzt? Dann kommen alle anderen und sagen was, da bildet sich ganz viel. Bei denen kann man auch wunderbar sagen, einmal im Monat gibt es einen Elternabend, da könnt ihr noch mal tiefer in ein Thema einsteigen, vielleicht auch mal ohne Kinder. Das ist der Weg, den wir gehen. TN: Das Problem, was ich sehe, weil ich auch mit Kostenträgern zu tun, ist immer das Kreisjugendamt. Das Kreisjugendamt in Schleswig-Holstein leidet unter dem enormen Kostendruck, der da ist. Das heißt, wir gehen rein in die Ausschüsse und melden an, dass wir mehr Geld brauchen. Damit provozieren wir die Reaktion der Politik, dass sie Lösungen haben wollen, wie alles schneller und kostengünstiger geht. Das ist doch auch die Realität. Geld regiert die Welt, es geht auch darum. Insofern haben auch die Jugendämter ein großes Problem, Erfolg darzulegen, und zum Beispiel unsere Elternlernwerkstatt wird vom Jugendamt finanziert. Doch nicht, weil die uns gut finden, sondern weil sie sagen, das ist doch mal was ganz Konkretes und da können wir Ergebnisse erwarten.
Charlotte Weidenhammer: Ich möchte etwas über die Entwicklung in Darmstadt berichten. Wir haben vor zwei Jahren unser Haus „Menschenskinder – Werkstatt für Familienkultur“ ins Leben gerufen. Wir waren uns dabei dessen bewusst, dass wir uns einem Tabuthema annähern. Die Eltern wollen perfekt sein und nicht gerne zugeben, dass dass manches nicht so gut läuft. Mir war wichtig, dass wir einen Ort finden, wo Krise und Alltag sich mischen und wo ganz klar gemacht wird, das ist hier zusammen und das gehört auch zusammen. Das ist ungewöhnlich, weil sonst die Krise und die Normalität wenig Berührung miteinander haben. Für mich war das ein großes Experiment, weil ich vorher praktisch als Untermieter mit den Schreibabys in einer anderen Praxis tätig war. Dann kam dieses Haus, es ist eigentlich sehr klein, unten ist ein großer Gemeinschaftsraum, dann geht es nach oben, oben ist der Bewegungsraum, wo praktisch diese Praxis ist. Am Anfang war es extrem, da kam eine dickere Tür, aber unten ist praktisch ein offener Bereich, wo an drei Tagen in der Woche einfach Familien mit ihren Kindern kommen, gleichzeitig hatte ich oben die SchreiBabys. Das hat sich als ganz toll erwiesen, weil das befruchtet sich total, also sowohl die Leute, die unter Isolation leiden, kommen und sehen andere Eltern, die da sind, und auch die unten sitzen, hören zwangsläufig, was da oben passiert. Da ist eine ganz große Offenheit in kürzester Zeit entstanden, die ich als ganz wertvoll empfinde. Parallel hat die Stadt uns zwei Jahre lang ignoriert, es gibt keinen Bedarf, man braucht und will uns nicht, vor allem die Städtische Familienbildungsstätte hat da ganz viel uns Gegenwind gegeben, weil wir ein Konkurrenzunternehmen mit einer Seele waren, was bei ihnen schon lange verloren gegangen war. Im Sommer gab es einen Fall, wo Zwillinge geschüttelt wurden in Darmstadt, was durch die Presse ging. Es erschien dann ein Artikel über die SchreiBaby-Ambulanz, wo ein Redakteur sehr gut recherchiert hat, in dem Fall also überhaupt nicht reißerisch und auch sehr fundiert. Er hatte auch eine Mutter interviewt, die sich da sehr offenbart hat. Und interessanterweise war gerade eine Woche vorher der Sozialdezernent bei uns gewesen und hatte uns wieder einmal gesagt, es gäbe keinen Bedarf und er brauche uns nicht, auch für die Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Schreibaby-Ambulanz gäbe es keinen Bedarf. Schließlich gibt es eine Anlaufstelle für drogensüchtige Mütter und für Teenager-Schwangere, das reicht aus. Dann erschien dieser Artikel und dieser Redakteur hatte auch in der Stadt angerufen und gefragt, was es denn als städtisches Angebot für Eltern, die nicht mehr weiter wissen, gibt. Er bekam wieder zur Antwort, drogensüchtige Mütter und Teenager. Er hat das dann auch so ganz nüchtern in dem Artikel geschrieben. Daraufhin habe ich Anrufe bekommen von ganz entrüsteten Eltern, dass das Angebot nicht reicht. Plötzlich haben die gemerkt, keine Ahnung, was passiert ist, aber der Wind drehte sich. Plötzlich pushen sie mich wie verrückt und schreiben mich auf alle Fahnen drauf. Die Stadt Darmstadt und die SchreiAmbulanz fand ich schon drei Mal in der Zeitung, bevor ich wirklich mit denen in Verhandlung getreten war. Ich muss ganz doll aufpassen, dass die mich nicht da verheizen. Im Prinzip ist es wieder eine Modeerscheinung, auf einmal ist die frühe Kindheit wichtig, wir haben die Bindung entdeckt, das ist auch eine Gefahr. Auch ist die Frage für mich, was mache ich daraus und wie gehe ich damit um? Ich denke, es ist sowieso etwas, was gerade im Kommen ist, also diese frühe Zeit als Präventionsfeld zu entdecken, wo es dann auch Gelder gibt. Letzte Woche war ich auf dieser Präventionskonferenz, die haben sich ganz schnell viele Projekte gesucht, die da teilhaben sollten. Es gibt ein Projekt, was sie jetzt starten, frühe Hilfen. Was ich als fast gruselig erlebe, ist die Konkurrenz, die auch ganz schnell entsteht, dass sich die ganzen Träger um den lächerlich kleinen Topf streiten. Das sind ungefähr 30 Träger, die das unbedingt machen wollen, aber das sind alles Jugendhilfen, die noch nie mit früher Kindheit was zu tun gehabt haben. Die suchen sich sofort raus, ja, dann machen wir diesen A-Kurs und diesen B-Kurs ..., aber sie haben eigentlich keine Ahnung, was ich höchst bedenklich finde. Aber was ist eigentlich mit den Eltern oder den Kindern? Paula Diederichs: Ich wollte noch sagen, wie wir die Familienbegleitung machen, das sind ja nicht nur Schrei-Babys, sondern die sind bis 3 Jahren. Das haben wir von der Stif-
tung erlaubt bekommen, also von den Geldgebern, dass wir diese Begleitung machen können, wie wir die begleiten, das ist wirklich Bauch, Intuition, auf dem Weg zu sich selbst, damit sie sich wieder finden. Ich erlebe das als unglaublich bereichernd. Ich war früher auch Erzieherin und Sozialarbeiterin. Wie schön es ist, die einzubinden, das passiert wirklich in allen Nachbarschaftsheimen, wo wir sind, das ist ganz toll. Und die Türkinnen haben wir in der Osloer Straße auch gekriegt. Parallel zu dem Tag, wo die Schrei-Babys nicht da waren, hat ein türkisches Frauenfrühstück stattgefunden, also es hat vier Jahre gebraucht, bis die Kontakt hatten, bis sie wirklich gekommen sind, aber mit der Einrichtung des Frühstücks hat es plötzlich geschnackelt. Die Art und Weise, wie in den Nachbarschaftsheimen miteinander umgegangen wird, das finde ich ganz toll. Ich habe mich auch bewusst dafür entschieden, da zu bleiben, statt die anderen Angebote, ins Krankenhaus zu gehen, anzunehmen. Es ist zwar gut, dass es das in Krankenhäusern auch gibt, aber ich bleibe in dem Rahmen, weil es vom Anspruch her zusammenpasst. TN: Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es ja um eine Haltung. Und die Haltung ist nicht an einen Ort gebunden. Das kann in Schulen und Kitas genauso stattfinden. Damit sind wir wieder beim Netzethema. Das funktioniert ja nur, wenn es nicht exklusiv an einen Ort gebunden ist sondern sich allgemein als Haltung verbreitet. Aicha Katjivena: Für alle, die im sozialen Bereich arbeiten oder mit Menschen zu tun haben, ist es natürlich wahnsinnig wichtig, selbstreflektiert genug zu sein, um zu sehen, was für eine Haltung habe ich, was möchte ich gerne vermitteln. Man muss auch schauen, ob das abzukoppeln ist von dem, was der Träger für eine Konzeption hat oder welches Leitbild er hat. Manchmal gibt es eine bestimmte Konzeption, nach der du arbeiten musst, das ist meine Haltung bzw. Vereinbarung mit dem, was der Träger vermitteln will. Ich würde auch gerne noch was zum Berliner Bildungsprogramm sagen, weil das arbeitet eben mit dem Bauch.
Es geht darum, dass Erzieher auch noch mal merken, von dieser Rolle wegzukommen, immer zu moderieren und zu sagen, ich habe 20 Jahre lang Erfahrung, ich habe dies und das gemacht, von da wegzukommen und zu gucken, was kriege ich von den Kindern? Auch mal zu gucken, wo leben die Kinder und mit deren sozialem Umfeld, mit den Lebensumständen, in denen sie sich befinden, mit arbeiten zu können und das mit einzubeziehen, zum Beispiel auch in meinem Bild über diese Familie. Man muss wertschätzend genug sein, um nicht meine Sicht der Dinge oder meine pädagogischen Ansätze denen überzustülpen, sondern zu überlegen, wie ich sie stärken kann. In der Familienhilfe ist es wahnsinnig wichtig, die Kinder, die mit ihren Eltern allein gelassen werden, zu stärken, um ihnen Möglichkeiten zu geben, in ihrer Familie zu überleben, ohne dass sie daran zerbrechen. Das ist ein wichtiger Aspekt, mit den eigenen Gefühlen und Wahrnehmungen zu arbeiten. So ist es auch wichtig zu gucken, was das mit mir macht, wer ich bin und was kann ich geben oder was will ich.
TN: Die Erfahrung sagt ja, dass es sich wieder umkehrt. Zu DDR-Zeiten waren Hausbesuche ja ganz normal, Beratungen ganz normal, also immer im Kontext mit der Familie. So wie man eine Wohnung betritt, hat man ja ein anderes Bild von dieser Familie. Da soll man ja wieder hin. Ich finde es auch ganz wichtig, dass bestimmte Dinge in der Zeit der Kita mit Eltern noch viel besser funktionieren, weil man automatisch ins Gespräch kommt, weil die Eltern die Kinder selber abgeben. Da ist eine Beziehung einfacher als in der Schule und je älter die Kinder werden, desto schwieriger wird es ja, an sie heranzukommen. In die Schule werden Eltern nur gebeten, wenn Auffälligkeiten sind, was schade ist, denn man sollte positiv denken und an die Ressourcen anknüpfen, die bei dem Kind und in der Familie da sind. Ich finde, das haben wir vernachlässigt. Wir sollten den Weg wieder gehen, damit wir immer diesen gemeinsamen Blick von Familie schaffen können. Wenn die Familie zu klein wird, dann müssen wir gucken, wie wir sie ergänzen können durch andere Menschen.
Reinhilde Godulla: Allgemein bei Elternabenden ist das mittlerweile sehr wenig. Ich habe von 1984 bis 1990 im Kinderschülerladen gearbeitet, da war eine intensive Auseinandersetzung, es wurde alles besprochen. Heute unterrichte ich zukünftige Erzieher/innen im PestalozziFröbel-Haus in ihrem Praktikumssemester und bin einigermaßen erschüttert, dass es Elternarbeit in den einzelnen Einrichtungen so gut wie gar nicht mehr zu geben scheint oder einmal alle zwei Monate. Dieser Klassiker, wie er für mich immer selbstverständlich war, ist nicht mehr oft vorhanden. Oder einfach die Möglichkeiten für die Eltern, sich auszutauschen, das ist relativ selten geworden.
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Familienbilder und Rollenklischees im interkulturellen Kontext
Inputs: Dr. Haci-Halil Uslucan: „Familienrollen und Erziehungsstile bei Migranten aus der Türkei“ Haroun Sweis (Radio Multikulti und Outreach Berlin) „Medienverhalten arabischer Familien in Deutschland“ Petra Kindermann und Svetlana Krabel (NBH Prinzenallee) „Unterstützung von Familien aus Ex-Jugoslawien rund um die Schule“ Moderation: Herbert Scherer
Haci-Halil Uslucan: Erziehung scheint gegenwärtig schwieriger denn je geworden zu sein. Populärwissenschaftliche Werke, die einen Erziehungsnotstand feststellen, erfreuen sich einer großen Beliebtheit. Einig ist man sich darüber, dass in den letzten Jahrzehnten ein grundlegender Wandel in den Erziehungsvorstellungen stattgefunden hat, der mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen einherging. Immer seltener bildet die so genannte „Normalbiographie“, die gewöhnlich über den Arbeitsmarkt geregelt wird, für Jugendliche das Leitbild. Allgemein stehen heute Jugendliche sowohl unter gesteigerten Entscheidungsoptionen und zugleich auch unter höherem Entscheidungsdruck.
Jugendliche können und müssen heute mehr entscheiden denn je; d.h. aber auch, dass sich ihnen neue Chancen und neue Risiken eröffnen. Dieser Anstieg von Gestaltungsmöglichkeiten bedeutet zugleich, dass einerseits Jugendliche selbst immer mehr zu Entscheidungsträgern werden und andererseits die Kriterien für Entscheidungen immer subjektiver und offener werden, weil ein Rückgriff auf traditionale Vorgaben mehr und mehr an Verbindlichkeiten einbüßt. Von diesen Prozessen sind Migranten und deren Kinder oft deutlich stärker betroffen als Einheimische. Die Grundanforderungen, eine Balance zwischen dem Eigenem und dem Fremden zu halten, sind für ausländische Familien und Kinder wesentlich höher als für Einheimische. Für sie gilt: Zuviel Wandel und Aufgeben des Eigenen führt zu Chaos, zu wenig Wandel zu Rigidität. Sie müssen einerseits über die Differenz zum Anderen, eigene Identität bewahren, andererseits aber auch, sich um Partizipation kümmern, das Fremde übernehmen. Integration nach innen und Öffnung nach außen stellen sich als notwendige, aber teilweise widersprüchliche Anforderungen dar. Diese Belastungen können zu Streß und Verunsicherung führen. Kinder aus Migrantenfamilien müssen insbesondere in der Jugendphase nicht nur die allgemeine Entwicklungsaufgabe bestehen, eine angemessene Identität und ein kohärentes Selbst zu entwickeln, sondern sich, anders als ihre deutschen Altersgenossen, auch noch mit der Frage der Zugehörigkeit zu einer Minderheit auseinander setzen und dementsprechend eine „ethnische Identität“ ausbilden. Diese ethnische Kategorisierung ist ein relevantes Merkmal in der Sozialisation von Migrantenkindern, weil dadurch über Zeiten und Generationen hinweg die symbolische Stabilität der Eigengruppe garantiert wird. Was im Einzelnen für Kinder und Jugendliche gilt, ist nicht minder für die gesamte Familie relevant; denn bei einer familialen Migration sind die Familienmitglieder gezwungen, zusätzlich zur alltäglichen Gestaltung des Familienlebens, ihr Verhaltensrepertoire zu erweitern, zu ändern und umzuorganisieren. In dem Maße jedoch, indem eine Akkulturation, d.h. ein allmählicher Erwerb der Standards der Aufnahmekultur erfolgt, findet in der Regel auch eine
Entfernung von den Werten der Herkunftskultur statt; dieser Widerspruch, sich einerseits in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren, andererseits aber auch kulturelle Wurzeln nicht ganz aufzugeben, gestaltet sich insbesondere im erzieherischen Kontext als spannungsgeladen. Denn besonders Kinder, die sich - aufgrund ihrer schulischen Sozialisation im Einwanderungsland - vermutlich rascher und intensiver als ihre Eltern an die Kultur des Einwanderungslandes akkulturieren, verlieren dadurch gleichzeitig ihre sozialisatorischen Bindungen an ihre Herkunftskultur. Die intensivere Akkulturation der Kinder führt dazu, dass Eltern merken, dass die Kinder sich ihnen entfremden. Aus ihrer Sicht fühlen sie sich genötigt, die Kinder stärker an ihre eigene Kultur zu binden - bei uns macht man das aber so, mach das nicht wie die Deutschen. Diese verstärkte Disziplinierung der Kinder und die Erinnerung an eigenkulturelle Verhaltensweisen können zu stärkeren Spannungen führen. Ich will Ihnen noch zwei, drei Daten aus unserer Stichprobe darlegen. Wir haben nach den Bildungshintergründen der Eltern gefragt, das Ergebnis ist nicht nur für diese Stichprobe gültig, sondern mit einigen anderen Studien, die ich mit türkischen Familien durchgeführt habe, fast abbildungsgleich. Wir haben hier 3 bzw. 4 % Deutsche, die gar keinen Abschluss angegeben haben, 10 bis 12 % türkische Familien, die überhaupt keinen Abschluss hatten, und rund 35 % türkische Mütter, die nur einen Grundschulabschluss haben. Hierzu muss man wissen, dass in der Türkei bis 1998 nur eine 5-jährige Schulpflicht bestand, erst seit 1998, also seit knapp 10 Jahren, gibt es eine 8-jährige Schulpflicht. Der größte Teil der klassischen Arbeitsmigranten, wie jetzt meiner Elterngeneration, die in den 60-er und 70er Jahren gekommen sind, haben eine Grundschulbildung als höchsten Bildungsabschluss. Das heißt, das sollte uns noch mal zum Denken Anlass geben: was wir manchmal fordern, wenn wir sagen, die Eltern unterstützen ihre Kinder zu wenig oder sind zu wenig beteiligt an deren Bildungslaufbahn. Wie kann eine Mutter, die selbst nur eine Grundschulbildung hat, mit dem Kind
in der 7. Klasse sitzen und für Mathe oder für Deutsch lernen? Das wird oft von Sozialpädagogen oder Lehrern schnell gesagt, hier, die kümmern sich zu wenig, aber der Bildungshintergrund ist ein Aspekt, den wir mit berücksichtigen müssen. Während bei den Vätern vielfach über das Militär noch so was wie eine elementare Nachsozialisation erfolgt, wenn sie in den Dörfern wenig oder keine kontinuierliche Schule hatten, entfällt bei den Frauen zum Teil auch das, da hat manche zwar eine 5-jährige Grundschule, die aber eventuell nicht kontinuierlich durchgeführt wurde. Wir haben vier verschiedene Erziehungsstile abgefragt. Man stellt fest, dass die türkischen Mütter strenger sind als die deutschen Mütter. Auf einer Skala von 1 bis 5 ist der Wert von 1,74 noch ein relativ moderater Wert. Die Unterstützung durch die türkische Mutter ist etwas geringer, aber sehr groß sind die Unterschiede bei der Disziplin. Türkische Mütter wie Väter erwarten stark ein diszipliniertes Verhalten von ihren Kindern. Das heißt, nach außen soll das eigene Verhalten und das Verhalten des Kindes ordentlich und artig sein, den Eltern keinen Ärger machen, den Besuch artig begrüßen, die Hierarchie einhalten, das waren wichtige Aspekte für die Eltern. Wir haben die Jugendlichen selber gefragt, wie sie die elterliche Erziehung wahrnehmen. Dort stellt man fest, dass die stärksten Unterschiede bei der Verhaltensdisziplin liegen. Türkische Jugendliche haben berichtet, dass ihre Eltern von ihnen ein artiges, ordentliches, diszipliniertes Verhalten erwarten. Auch hier, die Strenge der Mütter wurde höher wahrgenommen, die Unterstützung etwas geringer. Und das ist für alle Eltern jetzt ein Schlag ins Gesicht, wenn sie die Unterstützungswahrnehmung der Jugendlichen, der türkischen wie der deutschen, und die Unterstützungsleistung, die Eltern meinen zu geben, sehen. Eltern meinen, ihre Kinder deutlich stärker zu unterstützen, als das, was bei den Jugendlichen ankommt. Das ist bei deutschen und türkischen Familien gleich. Wenn man hier jetzt grob zusammenfasst, könnte man sagen, türkische Familien erziehen dysfunktional. Die Strenge ist höher ausgeprägt, die Unterstützung ist geringer ausgeprägt, es gibt eine stärkere Inkonsistenz, d.h. Unberechenbarkeit. ABER: wir haben bei den BildungsFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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hintergründen gesehen, dass sie sehr asymmetrisch, sehr schief, waren. Wir haben einen Großteil türkischer Eltern, die nur eine Grundschulbildung haben, auf der anderen Seite hatten wir bei den deutschen Vätern 50 % mit Abitur. Eigentlich sind generell Vergleiche zwischen Deutschen und Migranten soziologisch nicht korrekt, auch nicht der Vergleich türkische Jugendliche versus deutsche Jugendliche im Bereich Jugendgewalt, wie es häufig gemacht wird. Korrekter wäre der Vergleich deutsche Unterschicht versus türkische Migranten, denn der größte Teil der türkischen Familien – das ist meine Hypothese - ist aus der Unterschicht. Wir haben hier den Vergleich einer Gesamtgesellschaft mit einer spezifischen Population. Vor diesem Hintergrund haben wir gefragt: wenn wir die Bildungshintergründe vergleichen, wie sieht es dann aus? Wir haben uns die Gruppe angeguckt, die die Hauptschule als höchsten Bildungshintergrund hat und dann deutsche Eltern mit Hauptschule und türkische Eltern mit Hauptschule verglichen. Was sagen die Daten jetzt? Bis auf den Aspekt der Verhaltensdisziplin, der war sehr robust, also auch da haben türkische Eltern mehr Disziplin gefordert, aber in den anderen Dimensionen hat sich das nämlich umgekehrt. Das heißt, türkische Mütter mit Hauptschule haben mit weniger Strenge erzogen als deutsche Mütter mit Hauptschule. Die Unterstützungsleistung der türkischen Mütter war höher und sie waren konsistenter. Einen ähnlichen Befund haben wir bei den Vätern. Wenn man das salopp zusammenfasst, haben türkische Eltern mit Hauptschulabschluss besser erzogen als deutsche Eltern mit Hauptschulabschluss. Eine Erklärung, die wir uns versuchsweise zurechtgelegt haben, warum das so ist: Gerade wenn Sie bedenken, dass ein Großteil türkischer Eltern nur fünf Jahre Schulbildung hat, ein kleiner Teil vielleicht acht Jahre, dann sind zehn Jahre Schulbildung für türkische Eltern im Vergleich zu der Referenzgruppe, zu den anderen Türken, schon eine hohe Bildung. Sie sind bildungsaufsteigend und deutlich offener in Richtung moderner Orientierung der Erziehung, während Hauptschule für deutsche Eltern, deren Referenzgruppe andere deutsche Eltern sind, Bildungsverlierer sind. Das ist der klassische Unterschied.
Wenn man die Bildungshintergründe parallelisiert, verkehren sich die Unterschiede. Deshalb müssen wir unsere Klischees auch dahin gehend revidieren, dass wir prüfen, ob wir hier angemessene Gruppen vergleichen. Das was wir vielfach bei Migranten sehen und schnell kulturalisieren, würden wir in der deutschen Unterschicht sogar in krasseren Formen sehen. Einige Studien zeigen, dass bei gleicher Ausgangslage, bei der gleichen Einkommenslage, Kinder in muslimischen Familien besser versorgt sind, was die Grundversorgung wie saubere Kleidung, warmes Essen angeht, als die gleiche soziale Schicht in deutschen Familien. Das zeigen auch die Daten: 54 % der türkischen Familien haben ein Haushaltseinkommen, das zu den untersten 10 % gehört. Dieser Satz ist bei deutschen Familien 7 %. 48 % aller deutschen Familien, aber nur 20 % aller türkischen Familien haben ein mittleres Haushaltseinkommen. Also die Armutskonstellation ist wichtig, wenn wir Familien und deren Erziehungsziele vergleichen wollen, Migrantenfamilien sind deutlich stärker von Armut betroffen. Und arme Kinder haben, das zeigen Berechnungen, ein doppelt so großes Desintegrationsrisiko wie Kinder in Durchschnittseinkommens-Familien. Das bedeutet, dass Schullandheimfahrten nicht gewährt werden, dass angesagte Kleidung nicht gekauft werden kann, weil sie von Armut deutlich stärker betroffen sind. Die Auswirkungen von Armut in Bezug auf die Integration – sind bei armen Kindern doppelt so stark wie bei Kindern in Familien mit Durchschnittseinkommen in Migrantenhaushalten. Ein weiteres entwicklungspsychologisches Risiko ist die hohe Kinderzahl. Die Forschung zeigt, dass bei mehr als drei Geschwistern die Gefahr besteht, auch wenn der Altersabstand der Geschwister sehr eng ist, dass ältere Kinder übersozialisiert werden. Wenn eine Familie ein 3-jähriges, 5-jähriges und ein 1-jähriges Kind hat, dann ist man geneigt, das 5-jährige Kind als älter und reifer zu betrachten. Das 1-jährige Kind quäkt mehr und fordert mehr ein, während das 3-jährige Kind und das 5-jährige Kind als reifer betrachtet werden. Wäre nur ein Kind da, käme der 5-Jährige voll auf seine kindlichen Kosten. Die Gefahr ist in Migrantenfamilien deutlich stärker, weil
dort Familienbildung und Familienwerte relativ schnell und zügig abgehakt sind. Im Alter von 20 bis 35 ist man Familie und die Kinder sind dicht beieinander. Studien zeigen, dass 24 % der deutschen 8-9-jährigen Kinder Altersabstände zu Geschwistern von unter zwei Jahren haben, bei Migrantenkindern waren es insgesamt 80 %, die dicht benachbart auf die Welt kamen. Mit Blick auf die Adoleszenz zeigt sich, dass bei Kindern, die nahe beieinander sind, die Adoleszenz spannungsreicher ist, die 14bis 16-Jährigen dort haben einfach stärkere Konfliktfelder, als wenn der Geschwisterabstand größer ist. TN: Gibt es Erfahrungswerte über die Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen? Erleben türkische Familien ihre reale Situation als arm, was ja faktisch nach den Einkommensverhältnissen die Untersuchung gezeigt hat? Haci-Halil Uslucan: Zur ersten Frage: Das wäre ein Fachvortrag für sich, weil unsere Studien nämlich genau dieser Frage nachgehen, Erziehung und Gewalt. Wir haben sowohl in Berlin, vorher in Magdeburg, als auch in der Türkei Studien zu dem Thema Erziehung und Gewalt durchgeführt. Was sich interessanterweise zeigt, auch die Gewalttaten, ähnlich bei der Erziehung: wenn man einfach deutsche und türkische Jugendliche generell vergleicht, sind türkische Jugendliche deutlich stärker gewaltbelastet. Wenn man aber wiederum Jugendliche in Hauptschulen betrachtet, hatten türkische Jugendliche immer noch höhere Werte, aber das war statistisch nicht bedeutsam, weil wir sehr viel mehr türkische Jugendliche als deutsche auf Hauptschulen haben. Die Gewalttaten in Hauptschulen sind generell höher als in Gymnasien. Da unterscheiden sich Türken von Deutschen, was die aktive Gewalttat betrifft, nicht groß. Wo es aber in der Tat große Unterschiede gibt, das ist die Akzeptanz von Gewalt, Akzeptanz von Männlichkeitsideologien, dass sich ein Mann zur Not mit Gewalt wehren muss, dass es richtig ist, dem anderen zu zeigen, wo es langgeht, wenn der über die Stränge schlägt. Also solche gewalttätigen Ideologien, da war die Akzeptanz bei türkischen Jugendlichen (?) deutlich stärker.
Was die häusliche Gewalt betrifft: Wir haben auch die Eltern nach eigenen Gewalterfahrungen durch ihre Eltern gefragt, also quasi über drei Generationen hinweg. Es hat sich gezeigt, dass mütterliche Integration ein ganz wichtiger Aspekt war, ob die von den Müttern in ihrer eigenen Kindheit erfahrenen Gewalt weitergegeben wird oder nicht. Mütter, die gut integriert waren, haben viel weniger Gewalt weitergegeben. Eine Studie, die wir in der Türkei durchgeführt und mit einer ostdeutschen Stichprobe verglichen haben, hat gezeigt, dass die Jugendlichen in der Türkei zwar höhere Werte von Familiengewalt angegeben haben, also dass ihre Eltern sie stärker diszipliniert haben, zugleich aber das Klima in der Familie besser eingeschätzt haben als die ostdeutschen Jugendlichen. Das bedeutet: herrscht in deutschen Familien Gewalt vor, ist die Eltern-Kind-Beziehung deutlich stärker belastet. Während Gewalt in einigen türkischen Familien Teil des Erziehungsauftrages der Eltern zu sein scheint. Gewalttätiges Verhalten der Eltern produziert dort nicht unbedingt ein Gefühl, dass man sich abgelehnt oder entwertet fühlt, sondern die Eltern erziehen eben. TN: Es ging um die Reaktion der Eltern auf auffälliges Verhalten. Der Jugendliche wird von der Polizei nach Hause gebracht, er ist bei Dealerei oder Hehlerei erwischt worden, wie ist die Reaktion der Eltern türkischer oder deutscher Herkunft? Haci-Halil Uslucan: Einzelfälle haben wir nicht abgefragt, aber aus meiner Erfahrung ist die Reaktion schon mal geschlechtsspezifisch, bei Jungen anders als bei Mädchen. Bei Mädchen wäre die Reaktion deutlich stärker und intervenierender. Bei den Jungen könnte man noch mal differenzieren, ob es ein Teil der jugendlichen Sozialisation ist, z.B. bei einer Prügelei, wo man sagen könnte, er probiert sich als Mann aus. Diebstahl, Drogen, da ist die Reaktion der Eltern zum Teil sehr massiv, also auch ihrerseits mehr mit Gewalt verbunden, was die Gewalt von Jugendlichen natürlich noch verstärkt. Noch zur Frage der Armut. Ich glaube, die ist nicht eindeutig zu beantworten. Ein Teil der Eltern sagt: Trotz Sozialhilfe leben wir hier in Deutschland besser, weil in irgendeiner Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Weise die Grundversorgung abgesichert ist. Andererseits kenne ich aus dem türkischen Kontext auch viele Eltern, die sich jetzt – nach langjähriger Arbeitslosigkeit – fragen, ob es sich lohnt in Deutschland zu bleiben, nur um am Leben zu bleiben, und die dann auch zurückkehren. Wenn sie hier keine Perspektive haben, gehen sie auch zurück, weil irgendwie durchs Leben kommen sie auch in der Türkei. Aber das ist sehr stark herkunftsbedingt, aus welchen Konstellationen sie kommen, sind sie Flüchtlinge, können sie überhaupt zurück, welche Perspektiven haben sie, wenn sie zurückgehen?
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TN: Gibt es Untersuchungen oder Erkenntnisse darüber, welche Rolle bei der Integration das Internet spielt, also die selbstverständliche Nutzung, Zugang eines Bildungsmittels für Pubertierende, aber auch für Eltern? Haci-Halil Uslucan: Wir haben das so nicht gefragt. Ich glaube, es gibt eine Studie an der Uni Potsdam, über das Mediennutzungsverhalten von Migranten, 2000/2001, Fernsehen, Internet. Die wurde auch mit türkischen Migranten durchgeführt. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass da die Haltung der Eltern sehr gespalten ist. Einerseits weil sie aus ihrer Sicht nicht kompetent genug sind, die Kinder sich also alles angucken und runterladen, wovon die Eltern meinen, es sei wichtig für die Schule. Aber sie können nicht kontrollieren, was ihre Kinder anschauen, auf welche Seiten sie gehen. Sie sind nicht in der Lage, Filter einzubauen. Was in der türkischen Community die Runde macht - vielleicht ist es in der arabischen Community ähnlich - dass sehr viele Mädchen aus stark behüteten und konservativen Elternhäusern über Internet-Foren irgendwelche Bekanntschaften machen und dann ausreißen. Die Eltern fallen dann aus allen Wolken, weil sie ihre Töchter stark behütet haben aufwachsen lassen: statt was für die Schule zu machen, haben sie Bekanntschaften im Internet gemacht und waren dann weg. Das sind zwar Einzelberichte, aber das ist die andere Seite der Internetnutzung. Die Eltern sind vielfach medial nicht kompetent genug, um der Internetnutzung Grenzen zu setzen oder sie zu kontrollieren. Das wird wahrscheinlich bei den deutschen Eltern genauso sein.
TN: Ich denke auch, dass Eltern-Kind-Beziehungen sich verschoben haben. Der Vater fühlt sich reduziert auf nichts, überhaupt die Eltern. Die Jugendlichen sind den Eltern gegenüber, was Internet und Zugang angeht, natürlich weitaus überlegen. Diese Überlegenheit spielt in Konflikten eine große Rolle. Haci-Halil Uslucan: Das ist ein kritischer Punkt in der Erziehung. Die Kinder werden zu Eltern ihrer Eltern. Sie müssen sie in diese Gesellschaft hineinsozialisieren. Da kehrt sich genau diese traditionelle Form der Hierarchie, dass Kinder nach oben gucken zu ihren Eltern, plötzlich um. Was erfahren die Kinder? Sie erfahren, dass ihre Eltern Angst haben bzw. sie erleben sie als ohnmächtig. Nicht die Mutti zeigt, wo es langgeht, sondern man muss der Mutter zeigen, wo es langgeht. Und sie sind dann als Eltern ihrerseits nicht mehr souverän, sondern abhängig – bis zur Erpressung. Wenn ich abhängig bin, dann kann ich nicht mehr souverän erziehen. Das ist eine starke Überforderung für die Kinder. Sie kommen manchmal mit 11 oder 12 in einen problematischen Kontext, wenn Kinder zum Beispiel Übersetzerdienste beim Frauenarzt machen müssen. Das betrifft einmal die Schamgrenze der Eltern, aber gleichzeitig sind sie abhängig und hilflos. Das sind Aspekte, die die Erziehung noch erschweren. TN: Sie sagten, Sie haben eine empirische Studie fürs Bundesministerium gemacht. Ist die irgendwie zugänglich? Haci-Halil Uslucan: Sie haben Teile davon veröffentlicht, die im Internet zugänglich sind. Ich habe selbst in einigen Fachzeitschriften veröffentlicht. Haroun Sweis: Bevor ich auf das Medienverhalten der arabischen Welt eingehe, möchte ich darauf hinweisen, dass man die arabische Welt und islamische Welt nicht verwechseln sollte. Wenn ich jetzt von Arabern spreche, dann meine ich Menschen aus den 22 arabischen Staaten, die in der Arabischen Liga sind – und sonst nichts. Die islamische Welt ist anders als die arabische Welt. Es sind nicht alle Araber Moslems, sondern in bestimmten ara-
bischen Ländern, wie im Libanon, da sind 50 % Christen und 50 % Moslems, bei den Palästinensern sind zwischen 10 und 15 % Christen, in Tunesien zum Beispiel gibt es eine größere Gruppe von Juden. Soweit als Einstieg. Man schätzt die Zahl der Araber in Berlin zwischen 40.000 und 60.000. Diese Zahlen sind unterschiedlich zu lesen. Dazu zählen auch die staatenlosen Palästinenser bzw. Menschen, die einen ungeklärten Aufenthaltsstatus haben oder Menschen, die staatenlos sind oder die gar nicht arabisch sprechen. Wenn man diese alle nicht dazu zählt, ergibt sich eine kleinere Zahl. Es gibt vier Gruppen von Arabern in Deutschland bzw. in Berlin. Früher waren es drei Gruppen, seitdem Berlin die Hauptstadt ist, ist eine Gruppe dazugekommen. Mit der fange ich an, das ist die Gruppe der Botschafter bzw. die Angehörigen der Botschaften in Berlin. 22 arabische Staaten sind mit 22 Botschaften vertreten, dazu 22 Familien und Mitarbeiter. Die haben kaum Kontakte zu den Arabern in der Stadt, außer bei einem Empfang, aber da werden nur spezielle Leute eingeladen. Die zweite Gruppe, die von Anfang an in Deutschland war, das sind die Studenten und Intellektuellen. Die Ersten sind direkt nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen, in den 50-er und 60-er Jahren. Diese Gruppe hatte bis zum Anfang der 90-er Jahre auch kaum Kontakte zu anderen Arabern in der Stadt oder in Deutschland. Die sind meistens mit Deutschen verheiratet, meistens sind männliche Studenten gekommen, haben Kinder, die Kinder sprechen kaum oder gar nicht Arabisch. Viele von denen lassen sich auch scheiden und heiraten eine neue Frau aus dem arabischen Milieu, das entstanden ist. Die dritte Gruppe ist die Gruppe, die damals, Anfang der 70-er Jahre, als Vertragsarbeiter gekommen sind. Das sind meistens Tunesier, Marokkaner und Algerier. Diese Gruppe ist in Berlin sehr wenig vertreten, aber in Nordrhein-Westfalen, im Süden, wo die Autoindustrie ist, sind ziemlich viele aus Tunesien, auch in der Gastronomie, das ist eine große Gruppe. Die vierte Gruppe sind die Asylbewerber, die während des Libanon-Kriegs in Massen nach Deutschland gekommen sind. Damals über Ost-Berlin, weil man für Ost-Berlin kein Visum brauchte, sie sind über die Friedrichstraße in
West-Berlin gelandet. Das ist die größte Gruppe. Das sind Libanesen, Palästinenser und ein Teil Kurden aus dem Libanon, von denen viele ursprünglich eigentlich aus der Türkei stammen, die sich hier aber als Libanesen ausgegeben haben. Man hat gehört, dass sie erwischt wurden und man sie in die Türkei abschieben wollte oder abgeschoben hat, obwohl die Kinder noch nie in der Türkei waren. Das sind die vier Gruppen, die früher nichts miteinander zu tun hatten. In den letzten Jahren gibt es untereinander Kontakte, aber – das ist das Verhalten der Araber – was das Fernsehen, Internet und Zeitungen betrifft, diese Menschen, die aus dem Libanon gekommen sind, also hier in Berlin sind das ca. 40.000 Asylbewerber, sind im Allgemeinen alle Analphabeten. Die Älteren sind ohne Schule aufgewachsen, viele Palästinenser sind im Flüchtlingslager aufgewachsen und haben auch keine Schulbildung. Es gibt dort das System der Grundschule bis zur 6. Klasse, aber im Allgemeinen ist kaum einer in die Schule gegangen, weil sie arbeiten mussten, um die Familie zu ernähren. Dann kommen wir auf die Zahl der Kinder. 6 Kinder, das ist nichts, im Allgemeinen sind es zwischen 10 und 15 Kinder. Ich bin nicht selbst im Flüchtlingslager aufgewachsen, aber ich bin in eine Schule in Jordanien gegangen, eine Unesco-Schule. Wir waren 14 Kinder. Diese Menschen haben in der Regel keine Ausbildung. Sie kamen nach Deutschland und haben versucht, hier Fuß zu fassen. Wenn man sich an die alten Gesetze in Deutschland aus den 70-er und 80-er Jahren erinnert, die Eltern mussten damals nicht zur Schule gehen und Deutsch lernen, auch die Kinder mussten nicht zur Schule gehen. So entstanden diese Generationen, die wir hier auf der Straße erleben. Die Leute sprechen deutsch, weil sie es auf der Straße gelernt haben, aber sie haben Schulbildung, manche können weder deutsch noch arabisch. Anfang der 80-er Jahre kamen für diese Menschen die sogenannten arabischen Fernsehsatelliten. Das erste Programm hieß Al Dschasira, was jeder mittlerweile kennt, der Vorreiter war ein BBC-Sender Arabic Service Fernsehen. Das wurde auch über Satellit ausgestrahlt, aber das hat kaum einer angeschaut. Das war eine Zusammenarbeit zwischen der BBC London und Saudi-Arabien, aber Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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ich glaube, die lief nur ein halbes Jahr. Al Dschasira war für die Araber war das etwas Besonderes. Zum ersten Mal hört man 24 Stunden Nachrichten, und zwar die Nachrichten, die man vorher nie gesehen oder gehört hatte, Live-Schaltungen, alles mögliche. Nach meiner Information sind es mittlerweile zwischen 400 und 600 arabische Fernsehsender, die auch in Berlin und weltweit zu empfangen sind. Vom Inhalt her: Es gibt keinen einzigen arabischen Sender, der unabhängig ist. Al Dschasira wird niemals einen negativen Bericht über Katar senden. Alles andere wird gesendet, aber über das Land, von dem die Finanzierung kommt, wird nichts laut, außer natürlich was gut ist. Die anderen Nachrichtensender sind ähnlich. In Saudi-Arabien gibt es Al Arabia mittlerweile, das ist auch bekannt, Al Manar von Hisbollah, Hamas hat inzwischen vier Sender, einer der bekanntesten ist Al Aksa. Das sind die Nachrichtensender. Dann kommt die Unterhaltung. Die meisten Sender sind Unterhaltungssender. Es gibt Sender, die 24 Stunden senden, Hokuspokus, Telefonnummern von Frauen, Heiratsanzeigen, aber auch Musik, MTV gibt es mittlerweile auch in Arabisch. Aber die Unterhaltungssender werden am meisten eingeschaltet. In den letzten Jahren laufen auch in Berlin pausenlos die Sender. Ich bin noch nie in eine Wohnung gekommen, wo der Fernseher aus war und ich habe noch nie eine arabische Familie gesehen, die ein deutsches Programm eingeschaltet hatte, niemals. Bei den Intellektuellen guckt mal die Ehefrau, weil die Kinder kein Arabisch sprechen, aber bei diesen Familien läuft das Fernsehen Tag und Nacht. Bei den Männern ist es meistens Al Aksa. Mittlerweile gibt es auch zwei voll amerikanisch finanzierte Sattelitenfernsehprogramme aus dem Irak. TN: Was ist mit Sportübertragungen? Haroun Sweis: Es gibt auf Arabisch sechs oder sieben Sportkanäle, ich habe sie noch nie angeguckt. TN: Ich meine, ob sie hiesige Sportarten angucken, Fußball-Europameisterschaft?
Haroun Sweis: Doch, solche Ereignisse wie die Weltmeisterschaft, obwohl viele auch die arabischen Sender einschalten, weil die das dort umsonst senden. Mein Sohn ist 12, der guckt sehr viel Sport im deutschen Programm, aber er weiß, wo Sport in den arabischen Sendern ausgestrahlt wird, weil die auch Spiele wie Hamburg gegen Bremen live senden. Insofern brauchen sie es nicht live im deutschen Fernsehen anzuschauen. Das Verhalten von Frauen und Männern, was die Medien betrifft: Im Allgemeinen gucken Männer und Jungens diese Nachrichtensender, Frauen sehen mehr die Serien. Mittlerweile sind die türkischen Fernsehserien sehr bekannt, und zwar dadurch, dass viele Männer und Frauen sich scheiden lassen wollen. In einer türkischen Serie hat die Frau die Macht, sich scheiden lassen, weil es offiziell erlaubt ist, sich über Handy scheiden zu lassen. Noch wichtiger sind aber die Nachrichten. Das ist eigentlich, was wichtig für uns in Deutschland oder in Berlin ist. Es gibt Sender wie 24 Stunden, in denen nicht nur gezeigt wird, dass jemand den anderen geschlagen hat oder jemand gestritten hat. Sondern es wird detailliert gezeigt, wie Menschen mit dem Messer geschlachtet werden, wie einem lebendigen Menschen mit der Bohrmaschine in den Kopf Löcher gebohrt werden. Also ich habe diesen Sender mittlerweile gelöscht, weil ich das nicht sehen konnte. Das war 24 Stunden. Viele Jugendliche schauen sich diesen Sender an. Aber auch im normalen Programm wird Brutalität gezeigt. Da gibt es vielleicht nicht diese Bilder mit der Bohrmaschine, aber zumindest die Leichenteile. Vorgestern war ein israelischer Angriff auf Gaza, bei dem 6 Menschen umgekommen sind. Die Leute wollten, dass Hamas und 24-Stunden die ganzen Leichen zeigen. Viele Jugendliche bzw. deren Eltern gucken sich das an. Mit diesen Bildern gehen die Kinder am nächsten Tag in die Schule. Das ist ihr Medienverhalten. Was in den deutschen Medien gezeigt wird, wissen die Älteren gar nicht. Sie kontrollieren gar nicht mehr, weil sie Analphabeten sind und die Kinder zu Hause das anschauen was sie wollen. Wenn sie überhaupt zu Hause sind, denn bei der Kinderanzahl werden die Kinder meistens auf die Straße geschickt, da-
mit die Eltern ihre Ruhe haben oder die Mutter mit ihren Freundinnen Kaffee trinken kann. Es werden auch oft kleine Kinder auf die Straße geschickt, um in der 2-, 3- oder 4-Zimmer-Wohnung Ruhe zu haben. Zu dem Thema, dass die Leute kein deutsches Programm sehen - ich habe mal einen Versuch gemacht: jeder kennt die Moderatorin Eva Herman. Über sie wurde im Fernsehen eine kleine Geschichte zeigt. Diese Frau ist mittlerweile in der arabischen Welt bekannter als Merkel. Bei jedem Anruf aus dem Ausland fragen mich die Leute, ob ich diese Frau kenne. Das zeigt, dass die Leute das arabische Programm sehen und kein deutsches Programm. Ich habe noch ein Beispiel: Wir waren damals in der RütliSchule, waren zufällig in der Sonnenallee und dort kam jemand zu mir und machte mich an, dass ich bei Radio Multikulti falsche Nachrichten verbreite, indem ich erzählt habe, dass die Rütli-Schule zu ist bzw. die Polizei vor der Tür steht, weil das nicht stimmen würde, weil sein Sohn in diese Schule geht. Ich sagte, aber die Schule ist zu und die Polizei ist da. Ach, meinte er, komm, arabische Nachrichten sind wohl immer falsch. Plötzlich ruft der Sohn an. Da musste der zugeben, dass er gar nicht in der Schule war, sondern mit Freunden woanders war. Also auch von der Seite haben die nicht mitgekriegt, dass die Schule überhaupt geschlossen ist, obwohl die Medien darüber berichtet haben. Auf der anderen Seite, es gibt für die Araber in der Stadt oder in Deutschland keine Möglichkeit, Nachrichten in Arabisch zu lesen oder zu hören, außer bei den arabischen Sendern, die wenig über Deutschland berichten. In Berlin oder in Deutschland gibt es keine einzige arabische Zeitung. Es gibt zwei oder drei Anzeigenzeitungen, aber darin sind keine Artikel zu lesen. Radio Multikulti gibt es auch nur noch bis Ende des Jahres, danach gibt es das auch nicht mehr. Von der deutschen Behörde gibt es auch arabisches Radio und Fernsehen, aber das ist eher ins Ausland gerichtet, die bringen kaum Nachrichten über Deutschland oder das Verhalten der Araber. Was das Internet betrifft, die Araber, die Arabisch lesen und schreiben können, lesen mehr arabisches Internet als deutsches Internet, weil sie kaum Deutsch gelernt haben, seit sie damals vor 20 oder 30 Jahren hierher gekommen
sind. Im Internet gibt es eine Reihe von Organisationen mit eigenen Auftritten. Die werden gelesen und auch interaktiv benutzt. Die Kommentare, die man da lesen kann, besonders aus Berlin, sind meistens erschreckend, weil die kommentieren als würden sie nicht in Deutschland leben, sondern in dem jeweiligen Land. Was sie hier in 20 oder 30 Jahren erlebt haben, spielt anscheinend keine Rolle. Ähnlich ist das bei den Fernsehsendern, bei denen die Menschen anrufen können. Es sind sehr viele Anrufe aus Deutschland dabei und besonders aus Berlin. Mittlerweile kenne ich fast alle mit Namen, die da anrufen, aber ich kenne viele auch persönlich. Und die sprechen, denke ich, genau das Gegenteil von dem, was sie in Deutschland oder in Berlin sagen, wenn man sie in der Öffentlichkeit, also auf Veranstaltungen sieht oder hört, sind die anders, als wenn man die im Fernsehen arabisch hört. Das ist wie eine Identitätsspaltung. Das ist wie eine, also politisch gesehen sind die anders, gesellschaftlich sind die anders, lehnen vieles ab, werfen den Deutschen vor, keine Moral zu haben und ihre Kinder vernichten zu wollen. Sie wollen ihre Kinder nicht kaputtmachen lassen, deswegen isolieren sie sich in ihren Wohnvierteln an der Sonnenallee in Neukölln, Kreuzberg oder Wedding oder in Kreuzberg. Und sie leben so sehr in ihrer Welt, dass sie mittlerweile an der Sonnenallee nicht mehr in Euro bezahlen sondern in Lira. Sie wissen, wie teuer 1 Kilo Tomaten im Libanon ist, aber nicht, was es bei Karstadt oder in einem deutschen Land kostet. TN:: Ich arbeite im Wedding, da ist es anders, viel gemischter und überhaupt nicht so stringent. In unserem Nachbarschaftshaus sind sehr viele arabische Familien, die nicht zu den Intellektuellen von der Unis gehören, sondern die eigentlich in den Wohnhäusern drumherum wohnen, sehr viele kommen aus den Flüchtlingslagern im Libanon oder Palästinenser sind über den Libanon bis hierher geflüchtet, wo zum Beispiel der Bildungsstand, die Voraussetzungen, völlig unterschiedlich sind. Es gibt gut ausgebildete Frauen, zum Beispiel aus dem Irak, auch Palästinenserinnen. Haroun Sweis: Aber die kriegen keine Arbeit. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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TN: Ja, keine Arbeit, aber sie können lesen, schreiben, haben zum Teil auch gute Ausbildungen, aber arbeiten hier immer unterhalb ihrer Ausbildung. Sie haben den Hintergrund und das Interesse, ihre Kinder z.B. bei Hausaufgaben zu unterstützen. Es gibt auch Frauen, die sehr gut Deutsch können, gerade aus den muslimischen Kreisen. Ich habe da total andere Erfahrungen. Haroun Sweis: Natürlich gibt es viele gut ausgebildete Palästinenser, von denen habe ich nicht geredet. Das sind die, die auch wollen, dass ihre Kinder vielleicht deutsches Fernseh-Programm gucken. Ich habe von der Gruppe geredet, die wirklich nichts anderes tun als zu arbeiten oder sie kriegen Hartz-IV. TN: Das sind aber nicht die Intellektuellen. Haroun Sweis: Nein, nein. Die haben aber woanders studiert. Aber das ist eine Minderheit. Selbst wenn die Jugendlichen bzw. Kinder von ihnen im Jugendtreff ein deutsches Programm sehen, zu Hause sehen sie arabische Programme.
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TN: Das ist widersprüchlich, aber diese Einordnung fand ich jetzt nicht so passend. Haroun Sweis: Zum Beispiel kenne ich Leute, die haben im Libanon studiert, viele Frauen vor allem, Biologie und so was, die sind seit 10 oder 15 Jahren hier und haben noch nie in dem Beruf gearbeitet. Aber die haben Kinder und die Kinder sind sehr gut, weil die Eltern mit den Kindern auch arabisch sprechen, also sie erklären Dinge auf Arabisch. Aber das sind Ausnahmen, die dort als Lehrer oder Mediziner ausgebildet sind. Wobei zum Beispiel bei Medizinern die Zeugnisse hier nicht anerkannt werden, so müssen sie als 1-Euro-Jobber arbeiten, aber trotzdem sind sie gut ausgebildet. Das ist eine Gruppe für sich alleine, die versucht auch viel in der Stadt zu machen, die sind zum Beispiel im Wedding besonders stark vertreten.
TN: Aber die Mehrheit kommt aus dem Libanon, aus dem Flüchtlingslager, die haben ein anderes Leben. Ich sehe auch den Unterschied zwischen den Leuten aus Syrien oder dem Iran oder Jordanien, das ist jeweils eine andere Kultur. Haroun Sweis: Die meisten Palästinenser sind aus dem Libanon. Sie durften aber dort nicht arbeiten, denn im Libanon sind für Palästinenser 94 Berufe verboten. Das heißt, jemand, der dort gelernt hat oder einen Uni-Abschluss gemacht hat, hat nur im Flüchtlingslager eine Arbeitserlaubnis. Auch als Mediziner, obwohl im Libanon Mediziner gesucht werden. Im Flüchtlingslager gibt es einen einzigen Arbeitgeber, das ist die UNRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration). Und was das Internet betrifft, da gibt es mittlerweile Jugendliche, die auch auf deutsche Seiten gehen, die lesen und schreiben können. Da gibt es plötzlich ganz andere Verhaltensnormen, Männer und Frauen chatten miteinander, verabreden sich für den nächsten Tag über SMS, ohne dass der Vater gefragt wird usw. Das ist ein sehr konfliktträchtiges Feld. Herbert Scherer: Das Ganze interessiert uns wegen der Frage, wie wir damit umgehen. Im Augenblick kriegen wir Einblicke, aber die Praxis-Dimension fehlt noch. Bevor wir uns der Frage zuwenden, wie wir mit diesen teilweise neuen Erkenntnissen umgehen, hören wir noch einen dritten Einblick und zwar in Bereiche, die ganz besonders schwierig sind. Jugoslawien ist ja ein Land, das es nicht mehr gibt, und Bürgerkriege haben die ehemalige Republik abgelöst. Die Menschen aus Ex-Jugoslawien sind zum Teil hierher gekommen und bringen noch recht frische traumatisierende Erfahrungen mit. Es gibt eine Gruppe, die verstärkt – auch in Berlin – auftaucht und mit der es besondere kulturelle Kommunikationsprobleme zu geben scheint, die Roma aus Jugoslawien, ich weiß nicht, ob sie auch aus anderen Ländern kommen. Das Nachbarschaftshaus Prinzenallee, heute integriert in die Osloer Straße, hat seit einigen Jahren Erfahrungen mit dieser Gruppe, die im Soldiner Kiez besonders präsent ist, aber auch in anderen Stadtteilen Berlins.
Petra Kindermann: Vor vier Jahren haben wir ein Integrations-Projekt angefangen. Vor einem Jahr wurde das abgeschlossen und wir haben es ein bisschen umgewandelt in einen Treffpunkt. Der Treffpunkt nennt sich B.I.S.I., Beratung, Information, Selbsthilfe und Integration. Das ist eine Anlaufstelle für Migrantinnen und Migranten aus dem Berliner Soldiner Kiez. Unser Thema heute sind die Roma-Familien, die meine Kollegin Svetlana Krabel betreut, zusammen mit dem Kollegen Petrovic, der heute leider nicht da ist, selber Roma und Schul-Mediator, der diese Ausbildung hier bei der RAA gemacht hat. Unsere Arbeit ist sehr auf Schulen bezogen. Wir unterstützen Familien in ihrem Kontakt und Dialog mit Schulen, aber auch mit Behörden und geben Unterstützung in ganz allgemeinen sozialen Problemen, die die Familien haben. Die Schwerpunkte in der Arbeit mit den Schulen liegen zum einen in der Teilnahme an Elternabenden oder Elternversammlungen, bei denen wir bei Bedarf sowohl sprachlich als auch vermittelnd auf Gespräche oder eventuelle Auseinandersetzungen einwirken. Zum anderen melden sich Schulen aber auch bei uns, die Einzelgespräche suchen oder um sich auf konkrete Hilfekonferenzen für einen Schüler vorzubereiten, mit dem es Probleme gibt. Da werden wir dann eingeladen. Es melden sich aber auch Kitas und Schulen bei uns, die uns als Vermittler nutzen, um Kontakt zu den Familien zu bekommen, die auf Anfragen der Schulen oder Kitas nicht reagiert haben. Im Laufe des Projekts wird immer deutlicher, dass diese Hilfen von den Eltern, besonders von den Müttern, immer gerne angenommen wurden, und diese Hilfe auch dann die Grundlage war, um das Gespräch mit den Schulen aufzunehmen. In den letzten zwei Jahren haben wir starken Zulauf von Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien. So waren im letzten Projektjahr ungefähr 45 % der Hilfesuchenden aus Ex-Jugoslawien, ca. 30 % türkische und 25 % arabische Familien. Die Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien, die zu uns kommen, sind zu 80 % bosnischer Herkunft, sehr häufig mit Roma-Migrationshintergrund, und zu 20 % Kosovo-
Albaner und Makedonier. Der Bedarf an Beratung und Unterstützung bei Roma- Familien ist sehr groß und die Schule ist häufig ein Konfliktfeld. Was sind die geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergründe für die Schulproblematik vieler Roma-Familien? Nach unterschiedlichen Schätzungen leben zwischen 8 bis 10 Millionen Sinti und Roma auf diesem Kontinent, rund drei Viertel in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas. Dabei steht „Sinti“ für die mitteleuropäischen Gruppen und „Roma“ als Sammelname für Gruppen überwiegend südosteuropäischer Länder. Damit sind sie die größte ethnische Minderheit. Die Menschen sind so verschieden wie ihre Herkunftsländer und ihre individuellen Lebensgeschichten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie als sogenannte „Zigeuner“ (Roma und Sinti) seit Jahrhunderten verfolgt und im besten Fall in allen Ländern nur geduldet sind. Eine halbe Million Sinti und Roma wurden im Zweiten Weltkrieg in den Konzentrationslagern ermordet. Das nur als Hintergrund der Probleme. Mit dem Zusammenwachsen Europas seit 1989 waren erneut die Roma die größten Verlierer dieser Entwicklung. Sie wurden überall zum Sündenbock für negative Entwicklungen. An vielen Orten brach offener Hass aus. Während der Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien gerieten Roma zwischen die Fronten, die beteiligten Parteien rekrutierten unter Gewaltanwendung in den RomaDörfern Soldaten. Überall wurden Roma an den untersten Rand der Gesellschaft gedrängt. Der Europarat hat auf diese Entwicklung 1993 mit einer Resolution hingewiesen, in der Roma/Sinti als „Echte europäische Minderheit“ anerkannt sind. Der offene Hass, von dem ich sprach, da erinnern sich bestimmt viele an die Roma, die durch Brandstiftung an den Wohnwagen vertrieben wurden. Dann gab es eine Geschichte in Italien, nach einem Mord an einer Italienerin durch einen rumänischen Roma sollten erst alle rumänischen Roma abgeschoben werden. In Deutschland leben etwa 70.000 Sinti und Roma – aus ihrer Geschichte heraus - mit deutschem Pass. Ungeachtet ihrer 600-jährigen Geschichte in Deutschland und ihrer Anerkennung als nationale Minderheit werden Sinti und Roma zum überwiegenden Teil als Ausländer wahrgenomFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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men. Bis heute hat diese Gruppe keine gesellschaftliche Lobby zur Unterstützung ihrer Kämpfe gefunden. Und erst durch die Selbstorganisation der Roma und Sinti Ende der 70-er Jahre begannen diese Strukturen aufzubrechen. Es leben etwa 50.000 Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien seit mehr als 15 Jahren hier und ihre Kinder sind zum Teil hier geboren. Das ist die Gruppe, mit der meine Kollegin am stärksten zusammenarbeitet. Bis 2005 waren etwa zwei Drittel der Familien lediglich geduldet. Sie mussten jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen. Für sie galten nach Gesetzeslage in der Flüchtlingspolitik eingeschränkte Rechte. Sie durften in der Regel nicht arbeiten, erhielten nur 70 Prozent des Sozialhilfesatzes, hatten keinen Anspruch auf Kindergeld oder Erziehungsgeld. Sie hatten auch kein Anrecht auf die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen. Eine Ausbildung oder auch das Führen eines Gewerbes war verboten. Besonders schwer war es für Flüchtlingskinder, die mit ihren Familien jahrelang in sogenannten Übergangsheimen untergebracht waren. Für die Kinder galt nur der freiwillige Schulbesuch, das heißt, es bestand für sie keine Schulpflicht und sie hatten sogar kein Anrecht zur Schule zu gehen. Es hing vor allem von den Kommunen und Initiativen ab, wie stark die Einschränkungen für die Flüchtlinge waren und welche Förderung sie erfuhren. Für die Roma-Familien bedeutete das damalige Ausländergesetz eine Verlängerung der Erfahrungen, die sie schon z.B. in Bosnien gemacht hatten. Roma-Kinder sind in den südosteuropäischen Ländern laut einer Untersuchung des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin in Zusammenarbeit mit UNICEF beim Schulbesuch stark benachteiligt. Wenn sie überhaupt eingeschult werden, kommen sie oft auf reine Roma-Schulen, die meistens schlecht ausgestattet sind und wo es an qualifiziertem Personal fehlt. Oft werden Roma-Kinder mit fadenscheinigen Begründungen an Sonderschulen verwiesen. Das Bildungsniveau für Roma ist nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und nach den Balkankriegen in den meisten Ländern noch mal gesunken. So ist in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Serbien und im Kosovo der Anteil der Roma, die nicht
lesen und schreiben gelernt haben, bei den 14- bis 24-Jährigen deutlich höher als bei der mittleren Generation der heute 25- bis 34-Jährigen. Roma-Kinder in Südosteuropa sind in starkem Maße vom Schulbesuch ausgeschlossen. In Bosnien-Herzegowina gehen beispielsweise 80% der Roma- Kinder überhaupt nicht in die Schule. Am 1.1.2005 trat das jetzige Ausländergesetz in Kraft, das die Lebensbedingungen der Flüchtlinge erleichterte. Nach diesem Gesetz gibt es nur noch eine befristete Aufenthalterlaubnis, die Kettenduldung ist abgeschafft, und langjährig geduldete Flüchtlinge bekommen das erste Mal eine Aufenthalterlaubnis, die Erwerbstätigkeit ist gestattet, es gibt ein Recht auf Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss, was den Kitabesuch finanziell erleichtert. Und sie bekommen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Die Schulpflicht ist für alle in Deutschland lebenden Kinder eingeführt und eine berufliche Ausbildung ist möglich. Als Folge des bis 2005 erschwerten Zugangs für Flüchtlinge zur Schule und zur Bildung in Deutschland zeigt sich bei vielen Roma-Familien ein zurückhaltendes und unvertrautes Verhältnis zur Schule. Das drückt sich zum Beispiel in folgenden Problematiken aus: Familien haben wegen der Erlebnisse von Ignoranz, Ausschluss-Erfahrungen, Nicht-Akzeptanz und Diskriminierung Angst davor, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Wie in den anderen europäischen Ländern teilen die unterschiedlichen RomaGruppen auch in Deutschland die Erfahrung, als Zigeuner beschimpft zu werden. Viele Kinder sind zu spät eingeschult oder ihr Schulbesuch ist aufgrund eines unsicheren Aufenthaltes und der Unmöglichkeit für die Familien, eine klare Perspektive in Deutschland zu entwickeln, unregelmäßig. Eltern nehmen wenig an den schulischen Anliegen ihrer Kinder teil. Sie können ihnen nicht bei den Hausaufgaben helfen, weil sie Analphabeten sind oder wenig schulische Erfahrungen haben. Familien geben bei ablehnenden Haltungen von Schule und Schulamt schnell auf, weil sie oft nur an ihren Defiziten gespiegelt werden. Ein Dialog auf gleicher Augenhöhe findet kaum statt.
Viele Kinder werden überhaupt nicht oder nicht genug gefördert oder von der Schule im Stich gelassen bzw. in Sonderschulen geschickt. Viele Kinder fallen durch schlechte Deutschkenntnisse, demnach schwachen Schulleistungen, und dem Status Sonderschüler auf. Manche Kinder werden in der Schule häufiger wegen schlechten Benehmens bestraft oder sie werden als Störfaktor wegen häufiger Verspätung im Unterricht und vieler Fehltage betrachtet. Viele Kinder fühlen sich wegen ihrer mangelnden Leistungen und Diskriminierungserfahrungen seitens der Mitschüler nicht wohl. Viele Kinder schwänzen deswegen, sie sind krank geschrieben und haben psychosomatische Störungen, wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder Schlafstörungen usw. Mit Blick auf die geschichtlichen, gesellschaftlichen und sozialen Hintergründe ist es nicht schwer zu erkennen, wie Schuldistanz und Schulangst entstehen und welcher Schritte es bedarf, um langfristige Änderungsprozesse in Gang zu setzen. Alle Eltern möchten, dass ihre Kinder erfolgreich sein können, aber der Enthusiasmus am Anfang der Einschulung bei den Kindern weicht schnell der Resignation und löst ihren Rückzug aus. Es wird weiterhin berichtet, dass Sinti- und Roma-Kinder in Sonderschulen überrepräsentiert sind, und dass diese Kinder die Schule zu einem unverhältnismäßig hohen Anteil vorzeitig verlassen. Der Schlüssel für die Veränderung dieser Situation muss sein, den Einstieg der Kinder in die Schule zu verbessern. Da entscheidet sich, ob sie den Schritt aus einer bildungsfernen Umgebung schaffen. Aus einer Umgebung, die Ablehnung, Hass und Ressentiments erfahren hat und wo die Eltern misstrauisch sind, ob ihre Kinder Fuß in der Schule fassen können. In einer Schule, die wesentlich von der Mehrheitsgesellschaft geprägt ist. Die Kinder müssen besser auf die Schule vorbereitet werden, in Vorschulen und Kindergärten, wo sie möglichst vorurteilsfrei gemeinsam mit Kindern aus der Mehrheitsgesellschaft lernen und spielen. Schritte, die wir in unserer Arbeit versuchen, sind, dass wir romastämmige SozialarbeiterInnen als Mediatoren einsetzen, um Roma-Kinder erfolgreich an die Schule
heranzuführen, was sich in Köln oder in Berlin bewährt hat. Wir begleiten die Eltern zur Schule, nehmen ihnen die Ängste und geben Sicherheit. Wir ermutigen und motivieren die Eltern und die Kinder. Wir geben Informationen über die Rechte und Möglichkeiten der Familien, um die schulischen Leistungen ihrer Kinder zu fördern. Wir unterstützen andererseits die Schulen, um die Probleme rechtzeitig zu erkennen. Wir beteiligen dabei alle Seiten und suchen gemeinsam mit den Eltern nach Lösungen. Zum Beispiel sensibilisieren wir für Mobbing in der Klasse und besprechen frühzeitig die Fehlstunden der Kinder. Wir arbeiten an der Früherkennung von Defiziten, zum Beispiel für die Sprach- und Lernförderung, Förderung im Regelunterricht, geben Hinweise auf mögliche Lernhilfen und Angebote im sozialen Umfeld. Wir machen eine bedarfsorientierte Einzelfallberatung, in der je nach den schulischen und bildungsrelevanten Prämissen Einzelfallhilfe für die Sinti und Roma praktiziert wird, um einen zufrieden stellenden Schulabschluss bzw. eine Berufsausbildung zu erreichen. In dem Kontext bieten wir zum Beispiel noch zusätzlich besondere Lernhilfen für Sinti- und Roma-Kinder durch den Kollegen an, in Zusammenarbeit mit Schule, Eltern und Lehrern. Meine Mitarbeiterin Frau Krabel, Ethnologin und gebürtige Jugoslawin, wird jetzt weiter berichten, und zwar insbesondere zur fehlenden Kommunikation zwischen den Schulen, den Kindern und den Familien. Svetlana Krabel: Ich werde über die Situation in Bezug auf die Schule sprechen und die Schwierigkeiten, die Flüchtlingsfamilien dabei haben, sich frei und offen dort äußern zu können und ihre eigenen Interessen zu vertreten. Mit dem Wissen, dass eine Arbeit im Bereich Schule und Migrantenkinder keine gute Basis haben kann, wenn man die Familien und ihre Lebensrealitäten nicht kennt, haben wir im letzten Jahr eine Befragung über ihre Lebenssituation mit ungefähr 100 Familien, die im Wedding leben, durchgeführt. Ein Auszug ist zum Nachlesen in der Tagungsmappe. Diese Befragung hatte das Ziel, die Lage von deren schulpflichtigen Kindern zu beleuchFamiliennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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ten. Dabei suchten wir auch nach Möglichkeiten um die Lage der Kinder zu verbessern, was auch bedeutet, dass ihr schulischer Erfolg verbessert wird. Das Besondere an dieser Befragung war, dass zum ersten Mal die Eltern die Gelegenheit hatten, frei über ihre Erfahrungen zu sprechen. Sie ließen uns mit großer Offenheit daran teilhaben. Damit ermöglichten sie uns, dass wir wichtige Eindrücke und Informationen zum besseren Verständnis und zum Überblick erhielten, und zwar über ihre materielle Lebensgrundlage, über ihre sozialen Verhältnisse, die Ressourcen in den Familien, wie Wertesysteme, Bewusstsein, Grad der Bildung oder Bestrebungen. Wir bekamen auch mehr Informationen über ihre Erfahrungen mit Krieg und Vertreibung und die damit verbundenen psycho-sozialen Folgen für die Familienmitglieder. Aus den Ergebnissen unserer Befragung wurde deutlich, dass besonders Roma-Familien jahrelang in extrem belastenden und unsicheren Situationen lebten. Weiter wurde deutlich, dass die Schulen in keiner Weise diesen besonderen Umständen Rechnung tragen. Die Kinder werden nicht in der erforderlichen Weise gefördert – in der Sprache oder beim Lernen, und die Eltern nicht über ihre Möglichkeiten und Rechte bezüglich der Förderungsoptionen informiert. Mit dieser Befragung wurde uns bestätigt, dass die Gesellschaft und die Schule als wichtige Institution ungenügend flexibel sind, sie reproduzieren die Ungleichheit anstatt diese aufzuheben. Aber ein Leben in normalen – und nicht ausgrenzenden – Verhältnissen ist die wichtigste Bedingung für die Entwicklung und den schulischen Erfolg der Kinder. Wir haben versucht eine Erklärung auf die Frage zu geben, wie dieses vorhandene Schulsystem und seine Mechanismen bei der Problemlösung helfen kann, wie sich das Schulsystem auf die Integration der ausländischen Schüler auswirkt, wie weit es Integration verwirklicht oder auch unmöglich macht. Wir sind aber auf dieses vorhandene System angewiesen, was allerdings kein ideales System ist. Das soll uns aber nicht stoppen, alles Mögliche zu unternehmen, als Eltern, als Lehrer, als Sozialarbeiter, als engagierter Bürger, ein besseres Klima in der Gesellschaft zu schaffen
und uns darum zu bemühen, dass jedes Kind motiviert wird, sich in der Schule zu integrieren und einen Schulabschluss zu schaffen. Wir haben schon erwähnt, was es für eine undankbare Gesetzgebung vor 2005 gab. Ich beziehe mich auf diese Zeit, wenn ich jetzt über eine junge, erwachsene Roma-Frau aus Bosnien erzähle. Sie ist mit ihren Großeltern 1992 nach Deutschland geflüchtet, da war sie 7 Jahre alt. Heute ist sie 24 Jahre alt und macht gerade ihren Hauptschulabschluss bei „Frauenzukunft“. Das ist ein Projekt, das eine staatlich anerkannte Schule für erwachsene Frauen unterhält, die aus verschiedenen Gründen nicht in einer Regelschule ihren Abschluss machen konnten. Ich bin sehr stolz darauf, dass es mir gelungen ist, diese Frau zu ermutigen, diesen wichtigen Schritt in ihrem Leben zu machen, sich ausbilden zu lassen, obwohl sie niemals zuvor in ihrem Leben eine Schule besucht hat. Man kann sich vorstellen, wie schwer es dieser Frau fallen musste, die komischen Blicke und das Erstaunen der Mitarbeiter zu ertragen in den zahlreichen Beratungsstellen, die wir gemeinsam besuchten. Dort haben wir uns informiert, ob es Ausbildungsmöglichkeiten und wenn ja, welche, für diese Frau gibt. Sie war mutig genug nicht aufzugeben, trotz der geäußerten Skepsis und dem Misstrauen vonseiten ihrer Familie, den Beratungsstellen, am Anfang auch ihrer jetzigen Schule. Und auch trotz ihrer eigenen Skepsis. Einmal fragte sie mich: Wo war das Jugendamt damals, um mir zu helfen und um meine Großeltern zu beeinflussen, mich in die Schule zu schicken? Ich konnte ihr die Frage nicht beantworten. Heute frage ich mich immer noch, wie das hier in Deutschland möglich sein konnte. Als sie vor 15 Jahren nach Berlin kam, wollte ihr Onkel sie in zwei Grundschulen einschreiben. Beide Schulen haben sie wegen Platzmangels nicht angenommen. Die Familie hat es dann aufgegeben, weiter einen Schulplatz für das kleine Mädchen zu suchen, so dass sie hier aufgewachsen ist, ohne jemals eine Schule besucht zu haben. Das ist eine Alptraum-Geschichte, weil es unglaublich ist, dass sie heutzutage überhaupt möglich ist.
Wie wir alle wissen, werden die Menschen in schwierigen Lagen immer zur Zielscheibe der schlimmsten Vorurteile. Gegen eines möchte ich kämpfen, nämlich dass die Schuldistanz als eine Eigenschaft der Roma-Familien angesehen wird. Mir wäre es lieber, wenn ich spekulieren könnte, unter welchen Verhältnissen Schuldistanz entstanden ist und wie dieses System dazu beigetragen hat. Stattdessen werde ich eine Geschichte aus meinem Arbeitsalltag erzählen. Jeden von Euch lasse ich eine eigene Meinung über das Bildungssystem haben. Schuldistanz ist – meiner Meinung nach – nur eines von vielen schlechten Symptomen eines veralteten, unflexiblen Bildungssystems, das Unterschiede beibehält anstatt sie abzubauen. Auf einer Mikroebene reproduziert die Schule die Werte der Mehrheitsgesellschaft, die verkörpert sind in Nichtanerkennung der Anderen. In meinem Arbeitsalltag habe ich erlebt, dass eine Klassenlehrerin nicht wusste, welche Muttersprache ihre Schülerin spricht, obwohl sie das Mädchen schon vier Jahre unterrichtete. Ich weiß nicht, wie ich dieses Phänomen bezeichnen kann. Als Ignoranz? Desinteresse? Soziale Inkompetenz? Faulheit? Gleichgültigkeit? Ein wichtiger Teil dieses kleinen Mädchens ist in ihrer Schule bzw. vor ihrer Klassenlehrerin verborgen geblieben. Diese Diskrepanz zwischen dem schulischen Leben und dem Familienleben erfahren viele Kinder. Was können wir tun, um diese Diskrepanz zu überwinden? Was tut die Schule und was tut die Klassenlehrerin? Wie kann sich dieses Mädchen als normal fühlen, wenn es nicht anerkannt und über seine Muttersprache und ihre Herkunft geschwiegen wird? Was für eine Meinung wird sie sich über sich selbst bilden und welches Selbstbewusstsein wird sie haben? Wie können wir eine Kultur der Anerkennung pflegen? Ein sehr gutes Beispiel kommt von einer Freundin von mir, einer Basketballtrainerin. Sie hat mir erzählt, wie sie bei ihrem Training einige Übungen mit ihren kleinen Spielerinnen macht, bei denen in der eigenen Muttersprache manche Begriffe, die zur Bewegung animieren, laut geschrieen werden, schneller, wirf in den Korb, komm her. Sie merkt, dass solche Spiele dem Klima im Team gut tun, weil die kleinen Mädchen in ihren eigenen Augen größer werden.
Herbert Scherer: Das ist ein gutes Beispiel zum Schluss. Es gibt offensichtlich Diskrepanzen zwischen dem, was möglich ist, und dem, was an Möglichkeiten wahrgenommen wird. Ich denke, das ist der Kern von Eurem Ansatz. Ihr versucht das, was möglich ist. Aber teilweise ist das ja erst neuerdings möglich, seit der Gesetzgebung ab 2005. Jetzt gilt der Aufenthaltsstatus von den EU-Ausländern, viele Roma gehören jetzt zur EU, wenn sie zum Beispiel aus Rumänien oder Tschechien kommen. Dinge verändern sich, aber das Bewusstsein verändert sich erst sehr viel später. Das schließt auch ein bisschen den Bogen zu dem, was wir gestern im Anfangsreferat gehört haben, dass die Rechte und die Wirklichkeit miteinander im Konflikt stehen. TN: Ich fände es gut, hier mal Lehrer und Sozialpädagogen aus dem sozialpädagogischen Dienst dazu zu hören. Die haben eine andere Sichtweise dazu. Die beschäftigen sich sehr intensiv mit den Sinti-Familien, weil es ihr Alltagsgeschäft ist, und es ist eine entsetzliche Hilflosigkeit zu spüren. Der Vorwurf ist mir einfach zu kurz, dass die Schule nicht ihre Integrationsaufgabe leistet. Die Lehrer stellen es anders dar, erstens gibt es keinen regelmäßigen Schulbesuch der Kinder und zweitens keinen Kontakt zu Eltern. Das während ihrer Arbeit zu leisten ist für einen Lehrer im Wedding, wo ihnen die Probleme sowieso bis zum Hals gehen, dieser Anspruch ist einfach zu hoch. Wir müssen bei uns als Dienstleister gucken, was wir als Zuarbeiter für Schulen und sozialpädagogische Dienste leisten können. Ihr macht ganz viel, aber ich würde gerne von dieser Vorwurfshaltung wegkommen, weil sie nichts nützt. TN: Ich glaube auch, dass die Schule alleingelassen wird, wir haben die staatliche Schule, teilweise handlungsunfähig. Die Lehrer leiden natürlich darunter, dass sie keinen Zugang zu den Familien finden, mit deren Kindern sie arbeiten. Aber ich will noch mal zurück zu den arabischen Familien: Bei Ihnen klingt das so, als sei alles katastrophal. Wir haben z.B. mit dem Projekt Al Nadi auch ganz andere Erfahrungen gemacht. Da ist es durchaus gelungen, Kontakt zu palästinensischen Familien Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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herzustellen. Ausgangspunkt war, dass die Schularbeitsgruppen überlaufen waren und wir uns eine andere Art der Unterstützung ausdenken mussten. Wir haben dann ein Patenschaftsmodell entwickelt und Ehrenamtliche gefunden, die bereit waren, in die arabischen Familien zu gehen. Da erhob sich die Frage: sind die arabischen Familien bereit, ehrenamtliche Deutsche, meistens sind es Frauen, in ihre Wohnungen zu lassen? Und tatsächlich klappt das wunderbar und funktioniert bestens. Es gibt bestimmt auch Grund zum Klagen, dennoch sehen wir hier sehr kleinteilige schöne Ansätze, die sehr gut zu uns passen, denn wir sind in unseren Möglichkeiten viel flexibler und handlungsfähiger, als viele andere Institutionen. Und genau diese Rolle müssen wir einnehmen. Haroun Sweis: Ich denke, Projekte wie Al Nadi sind notwendig und erfolgreich, es gibt auch mehr ehrenamtliche Mitarbeiter als früher, das ist eine gute Tendenz, aber zugleich erlebe ich das Verhalten der Araber gegenüber den Medien als katastrophal. Die Informationen holen sie im Allgemeinen nicht von deutschen Medien und nicht von deutschen Informationen, Projekte wie Al Nadi funktionieren wunderbar, aber nur in einem kleinen Rahmen. Wenn man jetzt die Situation in Neukölln sieht, da sieht man ein neues Bild, dazu gehört übrigens auch, dass viele Kinder nicht zur Schule gehen. Ein großes Thema ist auch die Gewalt an der Schule. Ich gehe oft an Schulen mit unserem neuen Projekt Orient-Express und dann merke ich, dass die Jugendlichen sich in der Klasse oft genau so verhalten wie sie das von zu Hause mitbekommen haben. Die Lehrer sagen nichts, auch die engagierten Lehrer trauen sich manchmal nicht etwas zu sagen, wenn ein Kind auf einmal vom „Judenstaat“ spricht, weil im Fernsehen immer vom Judenstaat gesprochen wird. Auf Arabisch sagt man Israel oder Judenstaat. Juden sind für das Kind alle gleich: sie kämpfen mit Waffen gegen alle Palästinenser. Und auch die Eltern machen da keine Unterschiede. TN: Kennen die Deutschen auch nicht, die Unterschiede zwischen Judentum, Israel und Zionisten.
Haroun Sweis: Ja, aber die Deutschen sehen diese Bilder nicht, die im Fernsehen laufen. Die sind das Problem. TN: Ich fand erst mal für mich auch die kompakten Informationen von Petra Kindermann gut. Ich wusste gar nicht, dass Flüchtlinge bis 2005 keine Schulpflicht hatten usw. Es ist auch wichtig zu wissen, welche Problematik sich über Jahrzehnte auch in Deutschland aufgebaut hat. Ich sehe auch, dass sich Dinge, die bis 2005 so waren, sich noch Jahrzehnte in ihren Auswirkungen weiterschleppen werden. TN: Sie durften aber zur Schule gehen. TN: Aber sie hatten eben keine Pflicht dazu. Ich wohne in Marzahn und habe eine Zeit im Mädchenzentrum gearbeitet. Wir hatten dort auch viele bosnische Kinder aus Familien, die im Wohnheim untergebracht waren. Da gab es ganz viele Probleme zwischen bosnischen und deutschen Kindern, weil die deutschen Kinder sauer waren, dass die bosnischen Kinder nur teilweise zur Schule gekommen sind. Dann hatten die was verpasst und haben nachgefragt, so dass es wiederholt werden musste. Es gab so viele Sachen, die man von einander gar nicht wusste. Ich finde, ihr macht da eine tolle Arbeit. Auch bei den türkischen Familien sieht man ja, dass die Probleme über Jahrzehnte mitgeschleppt werden. TN: Ich fand an den beiden Beispiel gut, dass deutlich wurde, dass Menschen in unserer Nachbarschaft leben und doch wenig Möglichkeiten haben, die Gesellschaft oder die Nachbarschaft mit zu gestalten. Das fand ich wichtig. Auch die Information, dass arabische Familien die Informationen nicht von hier aus dem nachbarschaftlichen Umfeld nutzen, sondern von weit weg. Oder auch zu wissen, dass Sinti und Roma lange Zeit keinen Schulzugang hatten, weshalb sie erst mal wieder mühsam herangeführt werden müssen. Wie kriegen wir das zusammen gelöst? Meine Frage wäre, wie kriegen wir die arabische Community aufgeschlossen dazu, sich über ihre Nachbarschaft zu informieren?
Herbert Scherer: Das entscheidende Wort ist ja von Svetlana gesagt worden, die Brückenfunktion. Es geht nicht um ein Schwarzer-Peter-Spiel, sondern es geht darum, was können wir – also unser Bereich – bestenfalls in einer Situation machen, einerseits die Augen aufmachen und die Katastrophe hinter den Kulissen sehen. Andererseits die Brückenfunktion bewusst an den Stellen so wahrnehmen, wie es jeweils möglich ist. Und die Brückenfunktion heißt, mit zwei Seiten kommunizieren.
Folien zum Beitrag von Haci-Halil Uslucan
TN: Für mich ist jetzt für unsere Arbeit herausgekommen, dass wir viel mehr Hintergrundwissen brauchen und zwar über die Wurzeln. Ich habe keine Ahnung, wie das Verhältnis zwischen Türken und Arabern ist, deren Sozialisation, alles, was für unsere Arbeit wichtig ist. Ich nehme einiges heute mit, vielen Dank. TN: Jetzt fängt es eigentlich erst an, weil wir immer von Deutschen und Arabern, von Deutschen und Bosniern, von Deutschen und Türken sprechen. Die Russland-Aussiedler sind noch gar nicht erwähnt worden, das ist auch eine eigene Problematik. Das finde ich spannend, dass es eine Brückenfunktion auch innerhalb dieser Comunities geben müsste. Da sind wir, glaube ich, erst am Anfang.
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„Wohin geht die Reise?“
Herbert Scherer: Zwei Beobachter, Benjamin Eberle und Katrin Fleischer, haben ihre subjektiven Eindrücke von der Tagung gesammelt, und möchten sie hier als Anregung an die Teilnehmer zurückgeben. Es sind Gäste von außerhalb unseres Verbandes, aber sie sind aus dem Umfeld und kennen Nachbarschaftseinrichtungen. Benjamin Eberle: Ich komme von der Arbeiterwohlfahrt und leite das Begegnungszentrum der AWO in Berlin-Kreuzberg. Das ist eine Einrichtung, die aus der Migrations-Sozialarbeit entstanden ist und die seit ca. 30 Jahren existiert. Ich glaube, die erste Beratungsstelle wurde 1973 dort eröffnet. Seit 1994 haben wir daraus ein Nachbarschaf tsheim aufgebaut, um näher an den Bedürfnissen der Menschen – nicht nur der Migranten – zu sein. Ich komme von außen, aber ich habe eine große Affinität zu der Nachbarschaftsheim-Bewegung. Ich fange mit den eher positiven Sachen an. Was mich an
dieser Nachbarschaftsheim-Bewegung immer wieder beeindruckt, ist das unglaubliche Engagement von unten. Und dass die Leute die Möglichkeit bekommen, irgendetwas anzupacken, sie werden unterstützt, ihren Weg zu gehen bzw. zu finden. Sehr deutlich wird das u.a. an der Arbeit vom Tauschring in Charlottenburg oder auch bei diesem jungen Mann von Exit, da ist eine unheimliche Energie drin. Sie kommt von unten. Es wird nicht von oben gesagt: so musst du es machen. Sondern die Leute sagen: Ich habe ein Bedürfnis, das umzusetzen, und dann bekommen sie dafür Unterstützung von den Nachbarschaftseinrichtungen. Das hat sich seit Jahren nicht verändert und das ist immer wieder das Tolle daran. Eine der großen Herausforderungen ist der demografische Wandel. Das wissen wir schon länger. Ich finde, dass die Nachbarschaftsheim-Bewegung, auch das Quartiersmanagement, erkannt hat, dass in den Bezirken und Quartieren untereinander ein Informationsfluss nötig ist, um auf das Älterwerden der Gesellschaft zu reagieren. Das kann nicht vom Staat kommen, der sagt, wie die Betreuung sein muss, sondern das müssen sich die Menschen selbst erarbeiten. Das ist der Ansatz der Mehrgenerationenhäuser, nicht nur von der Finanzierung her, auch vom Konzept her finde ich das genau richtig. Es gibt viele gute Beispiele bei den Nachbarschaftsheimen, wie sie sich neu organisieren, um sich den heutigen Fragen zu stellen: Wie wollen die Generationen miteinander leben, wie wollen wir neue Familiennetzwerke erarbeiten. Diese Bewegung ist da ganz vorne und sehr innovativ, sie wird sich neue Wege erarbeiten. Die andere große Herausforderung, die ich sehe, ist Migration und Integration. Da bin ich immer wieder erstaunt, wie naiv und unerfahren die Nachbarschaftsheim-Bewegung damit umgeht. Nicht nur, weil es schon lange ansteht, vielleicht nicht in jedem Quartier, aber grundsätzlich schon. Die Anmerkung, die ich in einem Workshop mitbekommen habe, bezieht sich darauf, dass sich die sozialen Institutionen mehr interkulturell öffnen sollen. Was nach dieser interkulturellen Öffnung kommt, das weiß ich nicht, aber wir sind dran, einen nächsten Schritt zu machen. Diese Begriffe ‚interkulturelle Kompetenz’,’ interkulturelle Öffnung’, die gibt es, seit ich vor 14 Jahren bei der AWO
angefangen habe, das ist wirklich nichts Neues. Es ist gesellschaftlich angekommen, aber ob man das Jugendamt öffnet oder ein Nachbarschaftsheim öffnet, das muss jeweils bei jeder Einrichtung vor Ort erarbeitet werden, denn es gibt keine Zauberformel. Wir alle leben hier, und es geht darum, wie wir unser Zusammenleben gemeinsam gestalten können. Das macht die Nachbarschaftsheim-Bewegung sehr gut. Aber sie muss die Zielgruppe noch besser erreichen. Ich sehe hier heute sehr wenige Gesichter von Menschen mit Migrationserfahrung. Ich sehe keine Familien hier, nur wenige. Wenn ich auf andere Veranstaltungen gehe, die Familien sind da, die Menschen sind da, aber hier fehlt das. Das sollte eigentlich bei einer Bewegung, die an der Wurzel der Zeit ist, anders sein. Herbert Scherer: Ich komme gerade aus einer Arbeitsgruppe, wo das das Thema war und wo wir nicht über Migranten geredet haben, sondern sie waren unter uns und haben von ihren Erfahrungen berichtet. Aber wir nehmen zur Kenntnis, dass wir so wahrgenommen werden. Katrin Fleischer: Ich finde unsere NachbarschaftsheimBewegung auch ausgesprochen deutschlastig. Das tut mir leid. Wir haben unsere Vorzeigehäuser, in denen es eine gewisse Mischung der Kulturen gibt. Aber sich zu öffnen heißt nicht nur, darüber reden, sondern es auch praktizieren, d.h., die Leute gleichberechtigt reinholen. Herbert Scherer: Katrin ist Geschäftsführerin des Vereins Berlin 21, sozusagen in Vereinsform eine Nachfolgeorganisation von der Agenda 21-Bewegung, aber sie ist auch uns gewissermaßen verbunden als Gründerin des Nachbarschaftszentrums Kiezspinne in Berlin-Lichtenberg, wo sie lange Zeit im Vorstand aktiv war. Katrin Fleischer: Die Themen, die ich bei dieser Tagung angetroffen habe, fand ich alle total spannend. Ich habe auch festgestellt, dass es eine sehr undankbare Aufgabe ist, mal durch drei Workshops zu wandern, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Dann wird man auch noch blöd angeguckt, weil man nicht angekündigt ist und trotzdem eine Frage stellt. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Was ich bei allen Arbeitsgruppen spannend fand, dass die alte Regel stimmt, nämlich, dass eine Sache interessant wird, wenn man hinter die Kulissen guckt. Auch beim Thema Krippe ist es dann interessant, wenn man sich die Krippe genauer anguckt, was sie ermöglicht, aber auch verhindert. Wo muss man die Krippe kritisch betrachten, wenn es um Fremdbetreuung geht, und wo ist sie aber auch eine echte Bereicherung? Ähnlich interessant war es in der anderen Arbeitsgruppe, wo jemand sagte, dass er bis vor Kurzem nicht wusste, was der Unterschied zwischen arabischen und türkischen Familien ist, aber er hatte durch die Arbeitsgruppe mehr begriffen. Das zeigt mir immer wieder, wie wenig wir eigentlich hinter die Kulissen gucken. Die Krippe gab es mal, sie war völlig normal. Dann ist sie verschwunden, so wie die Schulgärten. Und jetzt kommt sie plötzlich wieder. Ich freue mich, dass 750.000 Krippenplätze geschaffen werden sollen, weil ich denke, das ist eine echte Bereicherung für die Familien. Es wurde immer darüber geredet, dass man mehr über die Familien erfahren muss. Da gibt es was ganz Simples, früher war es zum Beispiel in der DDR staatlich verordnet, dass mit den Familien gearbeitet werden musste. Jetzt entdeckt man es gerade wieder, wie wichtig es ist, mit den Eltern zu reden, damit man begreift, wo die Kinder herkommen, um zu verstehen, was sie für Probleme haben. Bestimmte Sachen kommen immer wieder hoch, die eigentlich schon bekannt sind. TN: Ich will das ein Stück weit relativieren mit der nicht geglückten Integration von Migranten. Ich arbeite u.a. in der Osloer Straße in Berlin-Wedding und komme auch viel herum. Ich merke, dass wir die türkischen Frauen bei dem Frauenfrühstück einbeziehen konnten, auch mit den Themen zur Gesundheit ihrer Kinder. Dass die Türkinnen im Kiez arbeiten, das finde ich eine sehr gelungene Migrationspolitik. Es ist so was von selbstverständlich geworden, das habe ich noch nirgends so erlebt. Das geht auch ohne Stadtteilmütter, die Türkinnen selbst machen ihr Frauenfrühstück, sie tanzen da, sie öffnen sich den Angeboten, die es da gibt, wodurch Begegnungen entstehen. Es gibt eine Türkin, die künstlerisch begabt ist und dort
Geschichten vorliest, dann werden sie an der Volkshochschule in die Kurse einbezogen, in die PEKiP-Gruppen, Geburtsvorbereitungskurse. Das ist über Jahre gewachsen. Ich kenne ziemlich viele soziale Einichtungen, aber dieses von der Pike auf, das ist etwas ganz Besonderes bei den Nachbarschaftseinrichtungen. Es kommt von unten, es dauert seine Zeit, aber dann geht es. TN: Ich habe Benjamin Eberle so verstanden, dass er bei uns ein Arbeitsfeld sieht, nämlich das der Einbeziehung von Migranten, wo er denkt, dass wir zuwenig hingucken. Das glaube ich auch, weil die Integration von den Institutionen wie Jugendamt, Schule, Kita usw. zu wenig geleistet wird und vielleicht auch nicht von allen geleistet werden kann, gibt es hier in unserer Gesellschaft riesige Lücken. Da sollten wir uns vielleicht überproportional anstrengen, so habe ich ihn verstanden, als Aufforderung, sich dem Thema mehr zu stellen. Benjamin Eberle: Eine Kritik steht mir nicht zu, aber ich glaube, man weiß oft nicht, was man nicht weiß. Es gibt einzelne Nachbarschaftshäuser, die gelungene Beispiele für interkulturelle Zusammenarbeit geben, wo ganz viel passiert. Aber in den Diskussionen in den Pausen oder nach den Arbeitsgruppen kam heraus, dass es immer noch eine ziemlich naive Vorstellung über die Verbindung der Kulturen gibt. Das ist ein langer Weg für unsere Einrichtungen, wie bei dem Frauenfrühstück, das seit 20 Jahren existiert. Das heißt nicht, dass es schlecht ist, es ist genau richtig. Nur es kann viel mehr passieren und es kann auch in viel mehr Einrichtungen passieren. Darum geht es. Das ist ein langer Weg, aber wir müssen ihn gehen. Herbert Scherer: Es gibt jemanden, der die Aufgaben formulieren und uns die Hausarbeit mit auf den Weg geben kann, nämlich der Vorsitzende unseres Verbandes, Georg Zinner. Er hat jetzt für diese Tagung das letzte Wort. Georg Zinner: Wir sind als Nachbarschaftsheime oder als Mehrgenerationenhäuser tatsächlich eine Instanz, die zwischen den Familien und den Institutionen vermittelt und dazu beiträgt, sowohl die Schulen zu verändern,
als auch dazu beiträgt, dass sich in den Familien etwas verändert. Wir haben mit diesem Thema was ganz Praktisches aufgegriffen, etwas Naheliegendes und ganz Einfaches. Ich bin auch glücklich, dass – wie in der Tagung ein Jahr zuvor – Beispiele aus der Praxis dargestellt wurden, die beeindruckend belegen, dass sich Nachbarschaftsheime diesen Aufgaben stellen. Wenn es vielleicht von der Teilnehmerstruktur her anders aussieht, stellen sie sich aber natürlich auch den Aufgaben interkultureller Arbeit, wir sind vielleicht besser, als es scheint. Ich bin stolz auf die Nachbarschaftsheime, wie sie sich bewegen und wie sie sich engagieren und einmischen, und wie viel Selbstbewusstsein sie mittlerweile auch erworben haben, mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihre Aufgaben angehen. Das ist auch etwas, was mich sehr mutig in die Zukunft blicken lässt. Familiennetze haben tatsächlich eine Rolle in unserer Gesellschaft eingenommen. Die Familie selbst, früher eine sehr bedeutende Institution unserer Gesellschaft, verliert als tragende Institution an Bedeutung, während andere Beziehungsgeflechte wie Nachbarschaften wichtiger werden. Da werden Nachbarschaftshäuser zu gesellschaftlich wichtigen Instanzen. Ich glaube, dass wir uns mit dem Thema noch intensiver beschäftigen müssen, welche Rolle wir in unserer Gesellschaft einnehmen wollen. Man soll sich ja immer wieder vergewissern, warum man etwas macht. Das wäre vielleicht auch eine Aufgabe für die Tagung im nächsten Jahr. Wir werden im nächsten Jahr wieder so eine Tagung veranstalten, das hat gestern die Mitgliederversammlung gefordert und unterstützt. Diese Tagungen helfen uns, mit einander im Austausch zu bleiben, unsere Praxis vor den kritischen Ohren der Kollegen auf den Prüfstand zu legen, damit wir voneinander profitieren und lernen können, und nicht in einem geschlossenen Kreis verharren. Sondern dass wir immer wieder versuchen, über uns hinaus weitere Einrichtungen für unsere Aufgaben zu interessieren. Vielleicht holen wir noch mehr Studenten aus den Fachhochschulen zu dieser Tagung. Mir bleibt, allen, die hier als Teilnehmer mit dabei waren, zu danken. Aber ich möchte mich auch bei denen bedanken, die es mit einem guten Gespür für das, was uns interessieren könnte, geschafft haben, diese Tagung auf die Beine zu stellen. Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Teilnehmerliste
Keziban Aydin
Stadtteilmütter / Diakonisches Werk ▪ www.diakonie-portal.de
Dr. Clemens Back
K.I.O.S.K. auf dem Rieselfeld e.V. ▪ http://kjk.rieselfeld.org
Theda Blohm
KREATIVHAUS ▪ www.kreativhaus-tpz.de
Barbara Borchers
Gesundheitsamt Potsdam Kinder- u. Jugendgesundheitsdienst ▪ www.potsdam.de
Tatjana Borodina
Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in der ufafabrik e.V. ▪ www.nusz.de
Andrea Brandt
Biffy Berlin - Big Friends for Youngsters e.V. ▪ www.biffy-berlin.de/cms_biffy/
Gabriele Colwin Paula Diederichs
Schreibabyambulanz Berlin ▪ www.schreibabyambulanz.info/paula_diederichs.htm
Monika Döhrmann
Mütterzentrum Braunschweig e.V./ Mehrgenerationenhaus ▪ www.muetterzentrum-braunschweig.de
Benjamin Eberle
AWO Begegnungszentrum ▪ www.begegnungszentrum.org/startseite.html
Willy Essmann
Outreach berlin ▪ www.outreach-berlin.de
Ulrike Feige
Tausendfüßler Kinder- und Familiengarten Kaltenkirchen e.V. /Mehrgenerationenhaus Kaltenkirchen ▪ http://tausendfuessler-kaki.de
Kathrin Feldmann
Stadtkontor GmbH ▪ www.stadtkontor.de
Gabriele Fichtner
BALL e.V. ▪ www.ball-ev-berlin.de
Andris Fischer
Verband für sozial-kulturelle Arbeit ▪ www.stadtteilzentren.de
Dirk Fischer Kathrin Fleischer
Berlin 21 e.V. ▪ www.berlin21.net
Heidrun Förster
ElKize Teltow-Fläming/Diakonisches Werk
Theo Fontana
Verband für sozial-kulturelle Arbeit ▪ www.stadtteilzentren.de/
Ursula Franz Kerstin Gerth
Frei-Zeit-Haus e.V. / Charlotte Treff ▪ http://jugendserver.spinnenwerk.de/~fzh/aussenst/charlotte.htm
Bernd Giesecke
Bürgerhaus Bocklemünd ▪ www.buergerschaftshaus.de/
Reinhilde Godulla
Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V., Projekt Network ▪ www.spinnenwerk.de
Claudia Grass
Nachbarschaftsheim Schöneberg ▪ www.nachbarschaftsheim-schoeneberg.de
Angelika Groß
Gesundheitsamt Potsdam Kinder- u. Jugendgesundheitsdienst ▪ www.potsdam.de
Christiane Grunau Kirsten Harnisch-Eckert
Wellcome-Koordinierungsstelle ▪ www.wellcome-online.de
Bernhard Heeb
Nachbarschaftsheim Neukölln e.V. ▪ www.nbh-neukoelln.de
Gisela Hübner
Verband für sozial-kulturelle Arbeit ▪ www.stadtteilzentren.de
Dr. Konrad Hummel
ehemals Stadtrat für Soziales, Jugend, Familie, Frauen, Senioren, Stiftungen und Wohnen in Augsburg
Bengt Jacobs
LABYRINTH - Offenes Kinder- und Jugendhaus und Stadtteiltreff ▪ www.im-labyrinth.de
Klaus Kaiser
Malteser Hilfsdienst e.V. ▪ www.malteser-berlin.de
Aicha Katjivena
Erzieherin
Anke Kehrmann-Panten
Tausendfüßler Kinder- und Familiengarten Kaltenkirchen e.V. ▪ http://tausendfuessler-kaki.de
Petra Kindermann
Nachbarschaftsetage Fabrik Osloer Straße ▪ www.fabrik-osloer-strasse.de
Cordula Kleinfeldt
Verein für ambulante Versorgung, Kita Abenteuerland ▪ www.vav-hhausen.de
Semih Kneip
Gangway ▪ www.gangway.de
Beate Köhn
Fachstelle Berliner Notdienst Kinderschutz ▪ www.kindernotdienst.de
Romy Kopp-Gödecke
Gemeinwesenverein Haselhorst e.V. ▪ www.gemeinwesenverein-haselhorst.de
Heike Kötter
Mehrgenerationenhaus Königs Wusterhausen ▪ www.mehrgenerationenhaeuser.de
Svetlana Krabel
Nachbarschaftshaus Prinzenallee e.V. ▪ www.nachbarschaftshaus-prinzenallee.de
Michaela Kropp-Schwarzbart
Hippo Kita des KOTTI e.V ▪ www.kotti-berlin.de
Margritt Küntzel
Verein für ambulante Versorgung ▪ www.vav-hhausen.de
Oliver Kulitz Timm Lehmann
NBH Mittelhof, Mehrgenerationenhaus Zehlendorf-Süd ▪ www.nachbarschaftsheim-mittelhof.de/1024/mitte-mhaus.htm
Bianca Liwicki
Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. ▪ www.nachbarschaftsheim-schoeneberg.de
Dr. Eberhard Löhnert
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin ▪ www.paritaet-berlin.de
Manja Mai
Outreach - Marzahn-Hellersdorf ▪ www.outreach-berlin.de
Kerstin Mallok-Gerwien
Haus der Generationen und Kulturen ▪ http://milanhorst-potsdam.de/blog/
Annette Maurer-Kartal
Stadtteilverein Schöneberg e.V. ▪ www.halkkoesesi.de
Isabelle Meyer
K.I.O.S.K. auf dem Rieselfeld e.V. ▪ http://kjk.rieselfeld.org/
Ingrid Müller
NBZ Bürger für Bürger ▪ www.volkssolidaritaet-berlin.de/begegnung/bg_bz_mitt_02.html
Linda Ortleb
Jugendamt Steglitz-Zehlendorf ▪ www.berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf/verwaltung/jugend/
Elke Ostwaldt
Outreach- Mobile Jugendarbeit Treptow-Köpenick ▪ www.outreach-berlin.de
Waldemar Palmowski
NBH Schöneberg e.V. ▪ www.nachbarschaftsheim-schoeneberg.de
Norman Pankratz
K.I.O.S.K. auf dem Rieselfeld e.V. ▪ http://kjk.rieselfeld.org
Dr. Lore-Maria Peschel-Gutzeit
Senatorin für Justiz a.D.; Rechtsanwältin ▪ www.fps-law.de/ger/includes/anwaelte/anwalt.php?record%5Bnid%5D=102
Dorothee Peter
Nachbarschaftsheim Neukölln e.V. ▪ www.nbh-neukoelln.de/
Sandra Pietsch
Nachbarschaftszentrum Amtshaus Buchholz ▪ www.amtshaus-buchholz.de
Ulrike Preißer
Nachbarschaftsetage Fabrik Osloer Straße ▪ www.fabrik-osloer-strasse.de
Christina Putze
KREATIVHAUS ▪ www.kreativhaus-tpz.de
Cornelia Rasulis
DPW Geschäftsstelle Bezirke ▪ www.paritaet-berlin.de
Barbara Rehbehn
Bürgerhaus am Schlaatz ▪ www.buergerhaus-schlaatz.de
Friedrich Reinsch
Verein Soziale Stadt Potsdam e.V. ▪ www.soziale-stadt-potsdam.de
Susanne Rinck Markus Runge
Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. ▪ www.nachbarschaftshaus.de
Barbara Rüster
Gemeinwesenverein Heerstr. Nord ▪ www.treffpunkt-heerstrasse.de
Gerald Saathoff
NBH Mittelhof ▪ www.nacharschaftsheim-mittelhof.de
Marion Scheidler
Freizeithaus Weißensee / Selbsthilfe-Kontaktstelle ▪ www.frei-zeit-haus.de
Dr. Herbert Scherer
Verband für sozial-kulturelle Arbeit ▪ www.stadtteilzentren.de
Elena Scherer
Verband für sozial-kulturelle Arbeit ▪ www.stadtteilzentren.de
Gerd Schmitt
Kiezoase Schöneberg / PFH ▪ www.pfh-berlin.de/index.php?/de/inhalt/mehrgenerationenhaus_kiezoase
Viola Scholz-Thies
Gemeinwesenverein Heerstraße Nord e.V. ▪ www.treffpunkt-heerstrasse.de
Elke Schönrock
Gemeinwesenverein Haselhorst e.V. ▪ www.gemeinwesenverein-haselhorst.de
Karl-Fried Schuwirth
Nachbarschaftshaus Wiesbaden e.V. ▪ www.nachbarschaftshaus-wiesbaden.de
Petra Sgodda
Gemeinwesenverein Heerstraße Nord e.V. ▪ www.treffpunkt-heerstrasse.de
Petra Sperling
Gemeinwesenverein Heerstraße Nord e.V. ▪ www.treffpunkt-heerstrasse.de
Sandra Stock
Stadtschloß Moabit, Moabiter Ratschlag e.V. ▪ www.moabiter-ratschlag.de
Josella Stolz
Tauschring Charlottenburg ▪ www.tauschring-charlottenburg.de.vu
Haroun Sweis
Outreach Berlin ▪ www.outreach-berlin.de
Joachim Toll
Verband für sozial-kulturelle Arbeit ▪ www.stadtteilzentren.de
Evelyn Ulrich
Nachbarschaftshaus am berl ▪ www.vav-hhausen.de/web/inhalt/nbshaus.html
Dr. Haci-Halil Uslucan
Europäisches Integrationszentrum - Akademie für interkulturelles Management ▪ http://uslucan.eiz-berlin.de
Dr. Dagmar Voelker
Ärztin für Neurologie und Psychiatrie , Leipzig
Hanne Voget-Berkenkamp
Jugend- und Familienzentrum im Nachbarschaftsheim Schöneberg ▪ www.nachbarschaftsheim-schoeneberg.de
Gabriele Wegerich
Nachbarschaftshaus Wiesbaden e. V. ▪ www.nachbarschaftshaus-wiesbaden.de
Katrin Wegner
TÄKS e.V. / Kiezinseln ▪ www.taeks.de/familie-und-nachbarschaft/kiezinseln
Charlotte Weidenhammer
Menschenskinder - Werkstatt für Familienkultur e.V. ▪ www.menschenskinder-darmstadt.de
Torsten Wischnewski
Pfefferwerk Berlin ▪ www.pfefferwerk.net/stadtkultur/aktuelles/start_aktuell.php
Torsten Wlock
Netti-Internetwerkstatt ▪ www.spinnenwerk.de/netti/
Ute Wollburg
Zeig-Courage ▪ www.zeig-courage.de
Bettina Zey
Nachbarschaftsheim Mittelhof e.V. ▪ www.nachbarschaftsheim-mittelhof.de
Georg Zinner
Nachbarschaftsheim Schöneberg ▪ www.nachbarschaftsheim-schoeneberg.de
Familiennetze - Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
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Impressum Der Rundbrief wird herausgegeben vom Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. Tucholskystraße 11, 10117 Berlin Telefon: 030 280 961 03 Fax: 030 862 11 55 Email: bund@sozkult.de Internet: www.vska.de Redaktion: Herbert Scherer Gestaltung: Hulitschke Mediengestaltung Druck: Agit-Druck Berlin Der Rundbrief erscheint halbjährlich Einzelheft: 5 Euro inkl. Versand