ISSN 0940-8665 41. Jahrgang / Juni 2005 5,00 €
Rundbrief 1
2005
• Nachbarschaftsheime • Bürgerzentren • Soziale Arbeit • • Erfahrungen • Berichte • Stellungnahmen •
In dieser Ausgabe: •
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Die Wiederbelebung der Settlement-Häuser im Zeitalter der Globalisierung Dokumentation Fachtag : Aus Erfahrung gut – Potenziale des Alters als ein Motor gesellschaftlicher Innovation Die Helsinki-Deklaration der IFS Bündnis für Familien von Wirtschaftsunternehmen und Nachbarschaftszentrum Stadteilzentren als starke Partner von Stadtteil- und Quartiersmanagement
Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.
Der Rundbrief wird herausgegeben vom Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. Tucholskystr. 11, 10117 Berlin Telefon: 030 280 961 03 Fax: 030 862 11 55 email: bund@sozkult.de internet: www.vska.de Redaktion: Herbert Scherer Gestaltung: newsign Werbeagentur GmbH Druck: Druckerei Alte Feuerwache GbR, Berlin Der Rundbrief erscheint halbjährlich Einzelheft: 5 Euro inkl. Versand
Titelbild: Theater der Erfahrungen Theatergruppe „Die Spätzünder“: Szene aus dem Stück „Die viehische Komödie“,
Inhalt Miu Chung Yan: Brückenbau im fragmentierten Gemeinwesen: Die Wiederbelebung der Settlement-Häuser im Zeitalter der Globalisierung
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Dokumentation Fachtag : Aus Erfahrung gut – Potenziale des Alters als ein Motor gesellschaftlicher Innovation
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International Federation of Settlements and Neighbourhood Centres (IFS): Helsinki Declaration „Neighbourhoods First: Making the world a better place“ („Leben in Nachbarschaft – Bausteine für eine bessere Welt“)
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Karl-Fried Schuwirth: ANIA - Aktives Netzwerk im Alter
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Renate Wilkening: Bündnis für Familien von Wirtschaftsunternehmen und Nachbarschaftszentrum
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Armin Emrich Eröffnung des Sprengelhauses
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Dr. Eberhard Löhnert Stadteilzentren als starke Partner von Stadtteil- und Quartiersmanagement
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Monika Schneider Grußwort zum 50jährigen Bestehens des NBH Urbanstr.
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Nachbarschaftswettbewerb / Ankündigung Jahrestagung 2005
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Vorwort: Die hier vorgelegte Ausgabe des Rundbriefs hat zwei Schwerpunkte, die einiges miteinander zu tun haben: Es geht um die Zukunftsfähigkeit des Modells Nachbarschaftshaus angesichts neuer Herausforderungen, denen sich unsere Gesellschaft gegenüber sieht. Der Aufsatz von Miu Chung Yan beschäftigt sich mit dieser Frage aus einer kanadischen, aber zugleich „globalen“ Perspektive, er sieht die größte Stärke der Nachbarschaftshäuser („Settlements“) in der Zusammenfassung von drei Funktionen, die sich gegenseitig ergänzen, stützen und in Bewegung halten: dem Angebot unmittelbar nützlicher sozialer Dienste, dem „Gemeinwesenaufbau“ (Gestaltung nachbarschaftlichen Zusammenlebens im Wohnquartier) und dem Eintreten für soziale Reformen. Unser internationaler Dachverband IFS hat sich mit seiner „Helsinki Declaration“, die wir gleichfalls dokumentieren, in ähnlicher Weise in einem Grundsatzpapier positioniert. Unser Verband hat sich in letzter Zeit verstärkt Fragen zugewandt, die mit den demographischen Veränderungen zu tun haben, die ihre Schatten vorauswerfen und insbesondere unsere sozialen Sicherungssysteme unter einen enormen Veränderungsdruck stellen. Eines steht schon jetzt fest: unsere Gesellschaft wird es sich nicht länger leisten können, ihre älteren Mitbürger in ein „ruheständlerisches“ Abseits zu schieben. Sie wird sie in ihre Mitte zurückholen müssen, weil ihre Potenziale gebraucht werden. Nachbarschaftshäuser, die sich seit Jahren, gestützt auf den Willen der älteren Menschen selber, für eine entsprechende Sicht der Dinge stark gemacht haben, stehen vor einer erweiterten Aufgabe, in der viele Chancen liegen. Wir dokumentieren im Innenteil dieses Rundbriefes einen Fachtag zum Thema, an dem sich unser Verband im April beteiligt hat und auf dem deutlich wurde, dass es einerseits eine breite Übereinstimmung in entsprechenden Zielsetzungen gibt, aber andererseits, abgesehen von den Nachbarschaftshäusern, nur wenige Strukturen, die schon jetzt für diese Zukunftsaufgabe gerüstet sind. Einer besonderen Beachtung empfehlen wir auf der letzten Innenseite dieses Rundbriefs dem Aufruf zur Jahrestagung Stadtteilarbeit, die vom 16.-18. November wieder in Hannover stattfinden und sich in diesem Jahr schwerpunktmäßig unter dem Generalthema „Stadtteilzentren im Wandel“ mit den Zukunftsaufgaben unserer Einrichtungen beschäftigen wird. Herbert Scherer
Miu Chung Yan, PhD
Brückenbau im fragmentierten Gemeinwesen: Die Wiederbelebung der SettlementHäuser (= Nachbarschaftsheime) im Zeitalter der Globalisierung Dr. Miu Chung Yan ist Assistenzprofessor im Department für Sozialarbeit und Familienstudien an der Universität von British Columbia in Vancouver, Kanada. Vor Abschluss seiner Dissertation war er zwölf Jahre lang als Sozialarbeiter und Sozialmanager in Hongkong und Toronto tätig. Sein aktuelles Forschungsinteresse hat drei Schwerpunkte: Integration von Migranten, Rolle von Nachbarschaftszentren beim Aufbau von funktionierenden Gemeinwesen, anti-repressive Sozialarbeit in interkulturellen Kontexten. Mit Kolleg/inn/en aus China arbeitet Dr. Miu Chung Yan zur Zeit an der Realisierung eines praktischen Projektes zur Gemeinwesenentwicklung und am Aufbau eines Studienganges für Sozialarbeiter in China. email: mcyan@interchange.ubc.ca
Einleitung Die Globalisierung mit ihren gewaltigen ökonomischen Implikationen hat die Rolle der Regierung, die u.a. darin bestand, ihre Bürger zu schützen, erschüttert und bedroht die Solidarität der schon geschwächten städtischen Gemeinwesen. Das Gemeinwesen wieder aufzubauen, haben liberale Kommunitarier als Aufgabe auf die Tagesordnung gesetzt. Das Nachbarschaftshaus, ein gemeinwesenorientiertes Modell für soziale Dienste, das die Funktionen der Dienstleistung mit der Stärkung des Gemeinwesens und dem Eintreten für sozialen Wandel verbindet, kann als eine gemeinwesenbasierte Organisation des dritten Sektors dazu dienen, solche Gemeinwesen wieder aufzubauen. Die Nachbarschaftshaus-(Settlement-)Bewegung hatte im ausgehenden 19. und im frühen 20. Jahrhundert eine große Wirkung in vielen zersplitterten, insbesondere armen, von Einwanderung geprägten Nachbarschaften, obwohl jede Einrichtung andere Schwerpunkte und Zielsetzungen hatte. Settlements als Gemeinwesenzentren oder Nachbarschaftshäuser wurden in der ganzen Welt ins Leben gerufen, um unterschiedlichen Gruppen, die jeweils in der gleichen örtlichen Umgebung leben, das Gefühl eines gemeinsamen Besitzes zu geben. In vielen nord-amerikanischen Städten sind solche Nachbarschaftshäuser immer noch in vielen verschiedenen Stadtvierteln tätig (Chesler, 1996; Fisher & Fabricant, 2002; Husock, 1993; Koerin, 2003). Jedoch hat eine Reihe von Faktoren
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dazu beigetragen, dass die „Settlement-Bewegung“ als stagnierend beschrieben worden ist (Trolander, 1987). Dieser Aufsatz spricht sich dafür aus, dass im Zeitalter der Globalisierung soziale Aktivisten und Fachleute der Stadtteilentwicklung eine „fließende“ Definition des Gemeinwesens zur Grundlage ihrer Überlegungen machen sollen, die davon ausgeht, dass im Gemeinwesen unterschiedliche Interessen strategische Gemeinsamkeiten suchen, während sie in anderen Aspekten im Wettbewerb miteinander stehen. Das Nachbarschaftshaus mit der ihm innewohnenden humanistischen, einbeziehenden und demokratischen Natur, die Kommunikation, Unterstützung und Solidarität unter den Einwohnern anregt, kann ein solider und wirksamer „Dritter Sektor“ zur Rekonstruktion des Gemeinwesens im Zeitalter der Globalisierung sein. Der Aufsatz schlägt eine Reihe von Strategien für die Profession der Sozialarbeit vor, wie das Nachbarschaftshaus in seiner alten Funktion „wiederbelebt“ werden kann. Das lokale Gemeinwesen im Zeitalter der Globalisierung Globalisierung, ein Begriff, der in den 80er Jahren populär wurde, beschreibt nicht nur ein facettenreiches soziales Phänomen, das schon lange existiert hat, sondern darüber hinaus – und noch wichtiger – die größere und umfassendere Qualität von gegenwärtigen Kontakt- und Austauschbeziehungen über die nationalen Grenzen hinaus (Albrow, 1993). Globalisierung impliziert ein „Eine-Welt-System“ (Midgley, 2000), das alle Aspekte des Lebens berührt: Soziales, Bevölkerungsentwicklung, Politik, Kultur und Wirtschaft und das sich verschiedener Kanäle bedient: Internet, Massenmedien, internationale Wirtschaftsunternehmen und Finanzmärkte. Von allen Aspekten der Globalisierung hat die Wirtschaft, die die Entwicklung eines globalen Marktplatzes heraufbeschwört, die Meinungsführerschaft übernommen (Ife, 2000). Wie Giddens und Dahrendorf (2001) beobachten, weckt die Globalisierung Argwohn in dreierlei Hinsicht:„Dominanz des Westens über den Globalisierungsprozess, die Rolle der Macht der Konzern oder das Eindringen des Marktes in zu viele Sphären des sozialen Lebens und die globale Ungleicheit“ (S.4). Die weltweite Ökonomie hat zu einer Zunahme der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit geführt, nicht nur zwischen verschiedenen Ländern sondern auch im Innern jedes Landes. Während die ökonomische Globalisierung wegen ihrer negativen Auswirkungen auf die Entwicklungsländer als eine neue Form des Imperialismus beschrieben worden ist, hat sie ihre Hand unsichtbar auch dann im Spiel, wenn es um die Zunahme der sozialen Unterschiede in den entwickelten Ländern geht. Gegenwärtig leiden viele
entwickelte Länder unter steigenden Arbeitslosenraten, wachsenden Einkommensunterschieden und dem Verlust von Arbeitsplatzsicherheit (Glyn, 1998). Ökonomische und soziale Auswirkungen der Globalisierung auf Nationalstaaten, Gemeinwesen und Individuen in den entwickelten Ländern sind enorm.
seien, um die soziale und materielle Instandsetzung von Nachbarschaften, Städten und Regionen zu befördern“ (S. 79), die unter den Auswirkungen der globalen wirtschaftlichen Entwicklung leiden.
Die ökonomische Globalisierung übt einen erheblichen Abwärtsdruck auf die jungen Nationalstaaten aus, die ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik anpassen, um sich dem globalen Wettbewerb stellen zu können. Im Gegenzug haben viele westliche Regierungen die Erfahrung des globalen Wettbewerbs genutzt, um öffentliche Ausgaben, insbesondere Sozialausgaben zurückzufahren (z.B. McQuaig, 1999; Mishra, 1999). Traditionelle Funktionen des Staates sind umstrukturiert worden, um mit den Herausforderungen der Globalisierung umgehen zu können (z.B. Giddens, 1994, 1998; Ife, 2000). Zentralisierte wohlfahrtsstaatliche Systeme sind nicht mehr zu finanzieren. Das macht ein dezentralisiertes System unumgänglich, das den lokalen Gemeinwesen aufbürdet, einen Großteil der Last von Abhängigkeit und Sozialunterstützung zu schultern.
Noch ist das Gemeinwesen im Zeitalter der Globalisierung desorientiert. Wie Giddens (1994) beobachtet, ist die Solidarität des traditionellen lokalen Gemeinwesens, insbesondere in städtischen Gebieten, durch die wohlfahrtsstaatliche Politik geschwächt worden, die eine neue Form des Individualismus hervorgebracht hat – „institutionalisierten Individualismus“ – der das Individuum als Basis für Rechtsansprüche auf Sozialleistungen überbetont. In der Folge beschleunigt die Individualisierung den Prozess der Entfremdung und Demoralisierung in der nach-traditionellen Gesellschaft (Etzioni, 1993). Diese Entfremdung findet ihren vollendeten Ausdruck im „Life Stile“ des Vorstadtlebens, der eine beinahe normative Bedeutung in den meisten Metropolen bekommt (Putnam, 2000).
Der Rückzug der staatlichen Wohlfahrtssysteme hat die Fürsorge-Funktion vom Staat auf alternative Unterstützungssysteme in der „Zivilgesellschaft“ verlagert, ein Sammelbegriff für jede Form gesellschaftlicher Selbstorganisation jenseits des Staates (Hall, 1995). In seiner weitesten Bedeutung umfasst der Begriff den freien Markt (Bottomore, 1979), die meisten privaten oder frei-gemeinnützigen und selbst-verwalteten Agenturen, Institutionen und Bewegungen sowie informellen sozialen Netzen (Putnam, 2000). Konzeptionell ist die „Zivilgesellschaft“ mehr als ein „Gemeinwesen“, wenn es um ihre Rolle in der sozialen Fürsorge geht. Das lokale Gemeinwesen mit der großen Menge sozialen Kapitals, das es in seinen umfangreichen informellen Unterstützungssystemen enthält, wird in der Regel als der wesentliche konstitutive Baustein der Zivilgesellschaft gesehen (Etzioni, 1993; Giddens, 1994; Putnam, 2000). Armitage (1991) stellt fest, dass ein Gemeinwesen einige unterscheidbare Funktionen hat, die es von seinen Mitgliedern fordert. Diese Funktionen können klassifiziert werden als Produktion, Verteilung, Konsum, Sozialisation, soziale Kontrolle, gegenseitige Hilfe und soziale Teilhabe. Etzioni (1993) betont, dass die gemeinnützige Natur des Gemeinwesens, in der Erscheinungsform von gegenseitiger Hilfe und sozialer Teilhabe, wichtig ist, um die vorherrschende Entfremdung und Demoralisierung der nach-traditionellen Gesellschaft in den entwickelten Ländern zu bekämpfen. Er schlägt einen Entwurf vor, wie die gemeinnützige Moralität dadurch wieder aufgebaut werden kann, dass die Gemeinwesen in den städtischen Gebieten wieder belebt werden. Giddens (1998) schlägt die Formulierung vor, dass Gemeinwesen „praktische Mittel
Ist das Gemeinwesen verloren?
Der Abwärtsdruck der Globalisierung setzt das geschwächte lokale Gemeinwesen zusätzlich unter Druck. Die globale Ökonomie führt zu einer höheren Mobilität des Kapital Investments und der menschlichen Ressourcen in bestimmten Berufen. Manche Gemeinwesen in städtischen Gebieten werden destabilisiert oder sogar auseinandergerissen als Folge des Niedergangs der örtlichen Industrie und der schnellen Kapitalbewegungen. Die Globalisierung ermuntert, bzw. zwingt Nationen, ihre Grenzen nicht nur für Handels- und Kapitalströme zu öffnen sondern auch für Migranten, Touristen, Medienkommunikation, Information und Kultur. In Nord-Amerika wurde schon Anfang der 80er Jahre festgestellt, dass die meisten Gemeinwesen in den städtischen Ballungsgebieten „einen konstanten Zufluss von Neuankömmlingen“ erfahren als Folge von massiver innerer und äußerer Migration (Rivera & Ehrlich, 1981). Diese Tendenz dauert weiter an (Putnam, 2000). Das ursprünglich homogene Gemeinwesen wird in fragmentierte und vielfältige Einheiten zerlegt. Unterschiedlichkeit wird zur Norm in den meisten Metropolen in den entwickelten Ländern. In diesem Zusammenhang entstehen neue Identitäten. Und diese neuen Kräfte fordern die traditionelle soziale und moralische Ordnung heraus. Folgerichtig trägt die Globalisierung zu der postmodernen Disposition (Ife, 2000) bei, in der soziale und moralische Standards zweifelhaft sind. Es entstehen neue soziale Bewegungen in der Form von politischen und sozialen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Identitäten. Im nach-traditionellen Zeitalter scheint die Idee des Gemeinwesens dahin zu schwinden, ausgehöhlt durch die makro-ökonomischen und globalen Kräfte, deren negative Folgen von
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vielen Gemeinwesen auf der ganzen Welt verspürt werden. Die Menschen fragen sich immer wieder, ob das Gemeinwesen „verloren“,„gerettet“ oder „befreit“ ist (Smith, 1996, S. 253). Das fragmentierte und fremd gewordene Bild des Gemeinwesens kann fälschlich als Zusammenbruch der lokalen Gemeinschaft interpretiert werden (Putnam, 2000). Trotz des Einflusses der globalen Ökonomie, der hochtechnisierten Kommunikation, der hohen geographischen Mobilität und des rapiden Zuwachses an Neuankömmlingen sind die meisten Menschen immer noch an eine bestimmte Gegend gebunden: „menschliche Bedürfnisse bleiben im Wesentlichen lokal und persönlich“ (Ife, 2000, S. 55). Insbesondere arme Menschen sind in ihren niedergehenden Nachbarschaften gefangen, denen es, wie Putnam (2000) beschreibt, an sozialem Kapital mangelt. Trotzdem sehnen sich die Menschen nach einem bedeutungsvollen humanen Lebensstil. Das Gemeinwesen ist, wie uns Ife (2000) versichert, immer noch eine bedeutsame Alternative, um sich den Auswirkungen der Globalisierung auf das Leben der Menschen zu widersetzen. Gemeinwesen neu denken „Gemeinwesen“ ist eines der unklarsten und am wenigsten greifbaren Konzepte in der Sozialwissenschaft (Shore, 1993). Diejenigen, die den Zusammenbruch des Gemeinwesens verkünden, nehmen vielleicht an, dass ein Gemeinwesen eine in sich geschlossene, kohärente und statische Einheit ist, die als „Gemeinschaft“ begriffen werden kann. Ein lokales Gemeinwesen kann idealisiert werden als eine integrierte, vor-industrielle kleine Nachbarschaft, in der soziale Beziehungen intim, anhaltend und vielfältig sind (Shore, 1993). Dieses idealistische Konzept, das von den Kommunitariern beschrieben wird, ist eine nostalgische Fehleinschätzung, die sich auf frühere Zeiten und Zusammenhänge bezieht. Es ignoriert die Tatsache, dass die Idee des Gemeinwesens weitgehend eine soziale Konstruktion darstellt, die nicht ausschließlich auf objektiven geographischen Grenzen beruht, sondern sich auf die Vorstellung einer Gruppe von Menschen bezieht, die sich als Mitglied eines Gemeinwesens verstehen (Anderson, 1991). Wie Rose klarstellt, ist das „Gemeinwesen keine feste Größe sondern eine örtliche und situationsbedingte Konstruktion“ (Rose, 1999). Wir sollten uns ein stärker dynamisches Verständnis von Gemeinwesen im Zeitalter der Globalisierung zu eigen machen. Identität und Zugehörigkeit werden fließende und gedachte Größen und nicht zwangsläufig fest umrissen und in sich schlüssig (Leonard, 1997). Ife (2000) teilt diese neue Sicht auf das Gemeinwesen und schlägt vor, dass die Profession der Sozialarbeit das Gemeinwesen als eine „fließende Konstruktion“ akzeptieren sollte, die „eine ideale Basis für eine von
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kultureller Vielfalt und politischem Pluralismus geprägte nach-industrielle Gesellschaft darstellen könnte“ (S. 56). Aktive Bürgerschaft. Verknüpfung von Gemeinwesen, Zivilgesellschaft und Staat. Wie Giddens (1994) nahe legt, ist die Zivilgesellschaft auf der Ebene des Gemeinwesens entscheidend für den Kampf gegen die Globalisierung. Bürokratisierung, Professionalisierung und Zentralisierung haben in vielen Wohlfahrtsstaaten die Zivilgesellschaft unterdrückt und die Gemeinwesen geschwächt. Um die Zivilgesellschaft mit frischem Leben zu erfüllen, müssen neue Wege für lokales Verwaltungshandeln gefunden werden, damit die Menschen ihre persönlichen und sozialen Angelegenheiten auf der Ebene des Gemeinwesens managen können. Giddens (1998, 1994) schlägt deswegen vor, dass zur Ergänzung der staatlichen Funktionen, die vom Abwärtsdruck der Globalisierung geschwächt sind, das Gemeinwesen durch eine Partnerschaft gegenseitiger Ermöglichung und Kontrolle zwischen Regierung und Zivilgesellschaft wieder gestärkt werden muss. Nichtsdestoweniger entwickeln möglicherweise die Menschen im Zeitalter der Globalisierung nur ein Gefühl für das Gemeinwesen,„wenn eine neue kulturelle Grundlage für ein solches Gefühl um einige wenige gemeinsame Werte und Institutionen gebildet wird, die Vielfalt und das Experimentieren mit unterschiedlichen Lebensstilen von Individuen und Gruppen erlauben sowie die Duldung eines nicht endenden Wettbewerbs zwischen verschiedenen kulturellen Traditionen“ (Perez-Diaz, 1995, S. 87). In anderen Worten: das Gefühl der Zugehörigkeit zum nach-traditionellen Gemeinwesen ist nicht durch Übereinstimmung sondern durch fortwährende „Verhandlungen“ zwischen unterschiedlichen Interessen gekennzeichnet, die zeitweise im Wettstreit miteinander stehen, teilweise aber auch strategisch und in bestimmten Kontexten in Angelegenheiten, die von örtlicher oder persönlicher Bedeutung sind, kooperieren. Deshalb ist es nicht überraschend, dass die meisten neuen sozialen Bewegungen,„rebellische Graswurzelgruppen, die sich zu Fragen wie demokratische Teilhabe, persönliche Freiheit, Bürgerrechte und Lebensqualität“ (Fisher & Kling, 1997) zusammen gefunden haben, immer noch ihren Schwerpunkt auf der Ebene des Gemeinwesens haben (Leonard, 1997). Durch Wahrnehmung und Anerkennung der Unterschiede zwischen den Menschen gewinnen sie im Gegenzug den Besitz über das Gemeinwesen zurück. Um das Gemeinwesen als einen aktiven Bestandteil der Zivilgesellschaft wieder zu verjüngen, ist die Beteiligung der Bürger über die Grenzen der unterschied-
lichen Interessen hinweg notwendig. Ein gemeinnütziger Ansatz, der auf dem guten Willen der Menschen beruht, ist notwendig, aber nicht ausreichend, um die Beteiligung der Bürger lebendig zu halten. Wie Sites (1998) feststellt, ist der Gemeinnützigkeitsansatz ein Wert, der sich selbst beschneidet, weil er die berechtigten unterschiedlichen Interessen in einem Gemeinwesen unterschlägt. Statt dessen muss die Beteiligung vor Ort die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Gruppen anerkennen. Die neue Bürgerschaft im lokalen Gemeinwesen muss eine Art aktiver Bürgerschaft sein, die auf einem ausgewogenen Verhältnis von Rechten und Fürsorglichkeit beruht (Drover, 2000) – oder wie Giddens (1998) betont – so etwas wie „keine Rechte ohne die Übernahme von Verantwortung“. Aktive Bürgerschaft kann dadurch befördert werden, dass die lokale Selbstverwaltung gestärkt wird, die den Menschen im Gemeinwesen mehr Entscheidungsmacht gibt. Die Förderung lokaler Initiative und öffentlicher Einmischung in die Planung wird die Erneuerung des Gemeinwesens voran bringen. Entscheidungswege von unten nach oben als ein Ausdruck von Demokratie sind entscheidend. Der kollektive Entscheidungsprozess im Gemeinwesen erfordert gegenseitige Hilfe und Unterstützung von Bewohnern, die unterschiedliche Interessen haben. Solidarität zwischen unterschiedlichen Gruppen beruht nicht auf metaphysisch vorausgesetzten moralischen Werten, sondern auf kontinuierlicher Aushandlung mittels derer die Menschen interagieren und miteinander in Dialog treten über Rechte und Verantwortlichkeit untereinander und im Verhältnis zur Regierung, wenn es darum geht, die sozialen und persönlichen Probleme zu lösen, die der globale Wettbewerb verursacht hat. Lokale Selbstverwaltung umfasst die organisatorische Bewältigung der Verteilung von Ressourcen. Es gibt viele Wege für die Regierung, ihre Politik umzusetzen und ihre Ressourcen dem lokalen Gemeinwesen zur Verfügung zu stellen. Zwischen dem Nationalstaat und der Zivilgesellschaft steht der Dritte Sektor. Dieser umfasst Nachbarschaftsinitiativen, Selbsthilfegruppen und Wohlfahrtsorganisationen. Diese sind immer aktive Partner der Regierung, insbesondere auf der Ebene des Gemeinwesens. Sehr oft kann ihre Interpretation und ihre Antwort auf die Regierungspolitik den politischen Prozess aktiv beeinflussen (Yan, 1998). Die Rolle des gemeinwesenbasierten Dritten Sektors ist wichtig, wenn man die Funktion des nach-traditionellen Gemeinwesens neu untersucht. Die Relevanz der Settlements /Nachbarschaftsheime Tatsächlich ist der gemeinwesenbasierte dritte Sektor immer ein wichtiger sozialer Mechanismus für die Aktualisierung lokaler Partizipation durch die auf der
örtlichen Ebene gewählten Vorstände und durch die Einbeziehung von Freiwilligen / Ehrenamtlichen. Diese Formen lokaler Partizipation sind ein Erbe, das von den Settlement-Häusern übernommen worden ist. Anders als viele von den anderen nicht gemeinwesenbasierten gemeinnützigen Organisationen, zeichnet sich das Settlement-Haus durch seine funktionale Integration von Dienstleistung, Gemeinwesenaufbau und sozialer Veränderung aus (Fabricant & Fisher, 2002; Yan, 2002a). Diese Integration wird weiter charakterisiert durch ihre vier Wesensmerkmale: a) den nachbarschaftlichen Fokus, b) das traditionelle Engagement dafür, dass die Menschen sich ihr Gemeinwesen aneignen, c) den generationsübergreifenden Ansatz, und d) die tiefe Sensibilität und den Respekt für Verschiedenheit (Chesler, 1996). Diese Charaktereigenschaften zeigen deutlich, dass das SettlementHaus nicht nur eine multifunktionale Servicefunktion hat, sondern auch eine gemeinwesenbasierte organisierende Agentur ist, die eine effektive Struktur lokaler Selbstverwaltung hervorbringen kann, durch die die Menschen in Angelegenheiten und politischen Zielsetzungen, die ihr Gemeinwesen betreffen, mitwirken können. Das Settlement-Haus Geschichte, Philosophie und Dienstleistungen Settlement-Häuser haben ihren Ursprung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, insbesondere in der englischsprachigen Welt (Ramey, 1992; Weil, 1997). Die Settlement-Bewegung mag in Nord-Amerika in den sechziger Jahren an Dynamik verloren haben, aber das Settlement-Haus als ein gemeinwesenbildender Ansatz hat sich über viele Entwicklungsländer verbreitet, z.B. Indien (Kaul, 1988), Hong Kong (Chow, 1980), Ost-Europa und China (Yan, 2002a). In vielen Ländern sind Settlement-Häuser in der neuen Form von Bürgerhäusern oder Nachbarschaftszentren starke nachbarschaftliche Einrichtungen, die einerseits einen Dienstleistungsmechanismus darstellen, mit dem auf soziale Problemlagen geantwortet wird, und andererseits Motoren der zivilgesellschaftlichen Entwicklung sind, die die Solidarität unter den Stadtteilbewohnern befördern (Mizrahi & Rosenthal, 1998). Der Erfolg des Settlement-Hauses hat sowohl mit seinen humanistischen und kommunitarischen Grundsätzen als auch mit dem ganzheitlichen Dienstleistungsmodell zu tun (Husock, 1993). Schon beim ersten Settlement-Haus, Toynbee Hall, war es ein vorrangiges Ziel des Settlement-Hauses, Zersplitterung und Gegensätze unter den Stadtteilbewohnern zu überwinden (Abel, 1979). Jane Addams, die Gründerin von Hull House, gründete die Settlement-Bewegung auf ein humanistisch philosophisches Fundament, indem sie als den philosophischen Kern dieser Bewegung die „Solidarität der menschlichen Rasse“ (Addams, 1997) propagierte. Sie benannte drei Motive, die hinter der Settlement-Bewegung stünden: die Demokratie auf
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das Feld des Sozialen auszuweiten, die volle Entfaltung aller Angehörigen der menschlichen Gattung zu fördern und die Humanität des Christentums neu zu beleben (Addams, 1999, S. 95).
die Probleme von Individuen und Familien zu lösen, sondern ist auch ein Mittel, um das Ziel des Nachbarschafts- und Gemeinwesenaufbaus zu erreichen. Es ist ein ganzheitlicher gemeinschaftsstiftender Ansatz.
Für Addams sollte Demokratie nicht auf das politische Feld begrenzt bleiben. Sie sollte sich auch auf die Teilhabe im örtlichen Gemeinwesen erstrecken. Menschen lernen das Wesen der Demokratie durch ihre Mitwirkung im lokalen Bereich kennen. Dieser Prozess hat zum Ziel, Menschen zu einem Mehr an gesellschaftlichem Leben zu führen. Das zweite Motiv weist darauf hin, dass gegenseitige Hilfe unabdingbar ist, wenn die menschliche Gattung ihr volles Potential an Humanität entfalten will. Nur durch die gegenseitige Verknüpfung von Menschen – über die Grenzen von Alter, Geschlecht, Klasse, ethnischer Herkunft, Rasse oder anderer Merkmale – sei der Fortschritt der gesamten menschlichen Gattung möglich. Das dritte Motiv verweist auf ihre Überzeugung, die Verwirklichung der menschlichen Bestimmung liege in der brüderlichen Verbindung der Menschen zueinander. Für sie zeigt sich der Wert eines Menschen darin, „wie er sich mit seinesgleichen verbindet und von welchem Engagement und welcher Sensibilität seine Haltung zu anderen geprägt ist“ (1999, S. 95). Zusammengefasst bedeuten diese Motive, dass SettlementHäuser ein institutioneller Ausdruck von demokratischer Teilhabe, gemeinschaftlicher Verantwortung und Gegenseitigkeit sind.
Das Settlement-Haus: Kritiken und Vorhersagen
Die drei Motive werden durch ein Bündel von Dienstleistungen verwirklicht. Settlement-Häuser betrachten die menschlichen Bedarfe ganzheitlich und orientieren sich am Modell umfassender integrierter Dienste (Hillmann, 1960a; Irving, Parsons & Bellamy, 1995). Addams beschrieb die Dienste der Settlement-Häuser in vier Hauptkategorien: sozial, bildungsbezogen, humanitär und bürgerschaftlich (Lasch, 1965). Alles in allem decken sie den Bedarf von nahezu allen Mitgliedern des Gemeinwesens ab, gleich welchem Alter, welchem Geschlecht und welcher Bildungsschicht sie angehörten. Weil jedes Settlement-Haus in einer spezifischen Nachbarschaft tätig ist, werden die Dienstleistungen immer auf den konkreten Bedarf des jeweiligen Gemeinwesens zugeschnitten. Die Bedarfslage im Gemeinwesen kann sich ändern, und damit werden auch die Dienstleistungen bedarfsentsprechend angepasst. Die Dienstleistungen des Settlement-Hauses sind flexibel, rechtzeitig und lokal. Hillman (1960b) hat herausgearbeitet, dass die Settlement-Häuser, ohne ihre universalistischen Prinzipien zu verletzen, besonderes Expertentum in der Arbeit mit bestimmten Zielgruppen in Übereinstimmung mit der Charakteristik ihre Stadtteils entwickelt haben. Heute haben viele Settlement-Häuser Kindertagesstätten integriert, Beratungsdienste, Kliniken und Gesundheitszentren. Der umfassende integrierte Dienst des Settlement-Hauses dient nicht nur dazu,
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Die Energie und Dynamik der Settlement-Bewegung beruhte auf der humanistischen Philosophie ihrer Begründer/innen wie Jane Addams, Lillian Wald und Helen Hall. In den heutigen Zeiten, haben sich alle Settlement-Häuser unterschiedlich entwickelt. In der Tat, angesichts der inneren Vielfalt und ihres unterschiedlichen historischen Horizontes sollten wir die bisherige Praxis der Settlement-Häuser nicht unkritisch betrachten. Zum Beispiel sind viele führende Mitglieder der Settlement-Bewegung zwar gegen den Rassismus aufgetreten und haben den Amerikanischen Chauvinismus kritisiert, aber sie haben doch an das traditionelle liberale Ideal von einer einheitlichen Amerikanischen Nation und Kultur geglaubt und sind deswegen eher für Anpassung als für Pluralismus eingetreten (Lissak, 1989). Folgerichtig hatten Hull House und viele andere Settlement-Häuser die Tendenz zu einem paternalistischen Verständnis von Integration: die unzivilisierten armen Einwanderer sollten „empor gehoben“, bzw. angepasst werden an die Errungenschaften der Viktorianischen Mittelklasse (Carson, 1990). Die „Fortschrittliche Zeit“, in der die Settlement-Bewegung ihre Blütezeit hatte, war gleichzeitig die Zeit der schärfsten Rassentrennung in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Vor diesem historischen Hintergrund haben viele Settlement-Häuser, obwohl einige in „schwarzen Wohngebieten“ (Lasch-Quinn, 1993) gebaut wurden, die schwarze Community ausgeschlossen und Rassentrennung praktiziert (z.B. Berman-Rossi & Miller, 1994; Lasch-Quinn, 1993). Die Settlement-Bewegung in Nord-Amerika hat sich im letzten Jahrhundert verändert. Besorgnis über den Niedergang dieser Bewegung wurde schon in den 1930er Jahren geäußert (Carson, 1990). Die Professionalisierung der Sozialarbeit wurde als Hauptursache der Schwächung von freiwilligem Engagement und Bürgerbeteiligung in den Settlement-Häusern identifiziert. Gewaltige Stadterneuerungsprogramme führten auch dazu, dass Gemeinwesen, auf die die SettlementHäuser ihre Dienstleistungen ausgerichtet hatten, durcheinander gewirbelt wurden. Die SozialreformStrategie der Settlement-Häuser wurde als ein recht schwacher Ansatz zum Umgang mit der politischen Landschaft der Nachkriegszeit betrachtet, insbesondere während der Bürgerrechtsbewegung (Trolander, 1987). Schwerwiegender noch war die starke Abhängigkeit von leistungsvertraglicher staatlicher Finanzierung, die die gemeinwesenbildenden Funktionen der Settlement-Häuser geschwächt und ihren ganzheitli-
chen Ansatz sozialer Dienste fragmentiert hat (Fabricant & Fisher, 2002; Koerin, 2003; Trolander, 1987).
um Angelegenheiten und politische Entscheidungen geht, die in Bezug zu ihrem täglichen Leben stehen.
Ein Verständnis der Geschichte der Settlement-Häuser kann jeden Vorschlag für eine Wiederbelebung des Settlement-Hauses als wesentliches Element eines gemeinwesengestützten dritten Sektors für den Gemeinwesenaufbau nützen. Viele der hemmenden Faktoren, insbesondere die finanzielle Abhängigkeit, existieren weiterhin (Koerin, 2003). Allerdings muss das, was die Häuser in der Vergangenheit bedroht hat, im historischen Kontext verstanden werden. Trotz dieser Schwierigkeiten kann das alte Ideal des Settlement-Hauses von „einem gemeinsamen Glauben an die Fähigkeit des Menschen zu Selbsthilfe, Selbstbestimmung und Wachstum; von der Wünschbarkeit und Möglichkeit konstruktiver sozialer Reformen und von der Bedeutung die Gelegenheiten, soziale Verantwortung zu übernehmen und auszuüben, für den Einzelnen und für die Gesellschaft als Ganze haben“ (Hillmann, 1960a, S. vi) weiterhin bewahrt und aufrecht erhalten werden.
Jedes gemeinwesen-aufbauende Projekt muss sich der Herausforderung stellen, die fragmentierten und unterschiedlichen Interessen im Gemeinwesen zu organisieren. Die Fragmentierung, die ein Resultat der Globalisierung ist, hat die lokalen Gemeinwesen zu Schauplätzen für Stadtpolitik und neue soziale Bewegungen gemacht (Hasson & Ley, 1994). Fisher und Kling (1997) fassen die Charakteristiken der neuen sozialen Bewegungen zusammen als: gemeinwesengestützt, fragmentierte Identitäten transzendierend, neo-populistische Vision von Demokratie (nicht hierarchische Interaktion), Kampf um kulturelle und soziale Identität, und Ausrichtung auf GemeinwesenSelbsthilfe und Empowerment. Die meisten dieser Charakteristiken sind in der Tat nicht notwendigerweise im Konflikt mit der ursprünglichen Philosophie und den Motiven der Settlement-Bewegung, obwohl es angesichts der ideologischen und historischen Differenzen falsch wäre, eine absolute Kompatibilität anzunehmen.
Dieser Glaube ist nicht irrelevant in einer nach-traditionellen Ära, in der menschliche gegenseitige Abhängigkeit und Selbstbestimmung als Prinzipien nebeneinander stehen, wenn es um die Suche nach dem Wohlbefinden des Individuums und seines Gemeinwesens geht. Das integrative Modell:„Dienstleistung – Gemeinwesenaufbau – soziale Veränderung“ macht das Settlement-Haus auch einzigartig und bedeutsam für das fragmentierte Gemeinwesen im Zeitalter der Globalisierung (Fabricant & Fisher, 2002; Husock, 1993). Der folgende Abschnitt beschäftigt sich unter Berücksichtigung ihrer historischen Einzigartigkeit mit der Frage, welche Rollen und Funktionen Settlement-Häuser beim Gemeinwesenaufbau in der Ära der Globalisierung übernehmen können. Settlement-Haus: Gemeinwesenaufbau im Zeitalter der Globalisierung
Die neuen sozialen Bewegungen erkennen auch die Bedeutung der gegenseitigen Abhängigkeit an (Leonard, 1997), die eine genaue Entsprechung der ursprünglichen Philosophie der Settlement-Häuser und ihren auf eine humanistische Brüderlichkeit ausgerichteten Motiven darstellt. Mittlerweile hat Cox (2001), um auf die neuen sozialen Bewegungen zu antworten, vorgeschlagen, dass ein effektives Modell für gemeinwesenbezogenes Handeln im 21. Jahrhundert Folgendes enthalten sollte:„(a) eine Beziehung herstellen zu der wachsenden Zahl von interessenbezogenen Bewegungen mit einer starken Betonung der politischen und ökonomischen Aspekte der Fragen, mit denen sie sich beschäftigen, und (b) effektive Wege finden, diese Bewegungen so zusammen zu bringen, dass sie zugleich die Unterschiede, die sie repräsentieren erkennen und anerkennen“ (S.45).
Ife (2000) stellt die These auf, dass die Hauptaufgabe der professionellen Sozialarbeit der Gemeinwesenaufbau sein sollte, um die städtischen Gemeinwesen angesichts zahlreicher Herausforderungen wieder zu beleben. Der Zweck des Gemeinwesenaufbaus kann verstanden werden als „eine Kapitalanlage, die die Lebensqualität der Bewohner von einkommensarmen und einkommensschwachen Gemeinwesen erhöht, die als Nachbarschaften oder Sozialräume mit unterschiedlichen Nachbarschaften definiert werden“ (Ferguson & Dickens, 1999, S. 5). Die meisten gemeinwesenbildenden Ansätze haben zum Ziel, die Solidarität unter den Bewohnern zu entwickeln, das soziale Kapital des Gemeinwesens zu erhalten und zu verstärken sowie die Mitglieder des Gemeinwesens dahingehend zu organisieren, dass sie sich beteiligen, wenn es
Gemeinwesen-Aufbau, wie er vom Settlement-Haus praktiziert wird, hat als Grundlage die Idee der Einbeziehung. Trotz der in ihrer Geschichte aufzufindenden zeitweilig fehlenden Sensibilität gegenüber rassischer Diskriminierung kann das Settlement-Haus von heute eine nützliche Brücke über die unterschiedlichen Interessen im Gemeinwesen darstellen (Reinders, 1982). Die Brückenfunktion ist besonders wichtig für das nach-traditionelle Gemeinwesen, dieses fragmentierte Gebilde, von dessen Bewohnern man kein einheitliches Gefühl der Zugehörigkeit zum Gemeinwesen erwarten kann. Die Interessen der Menschen und ihre Vorstellungen vom Gemeinwesen sind unterschiedlicher als je zuvor. Das nach-traditionelle Gemeinwesen kann ausschließend und unterdrückend sein (Giddens, 1994). Um das Ziel der Einbeziehung zu
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erreichen, bedarf es eines andauernden Dialogs, um vorübergehende Übereinstimmungen und strategische Solidarität zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen zu erreichen. Das Settlement-Haus kann eine physische Plattform für den Dialog bereit stellen. Der „neutrale Boden“ eines Settlement-Hauses erlaubt ihm, die Funktion eines „Wohnzimmers“ der Nachbarschaft darzustellen, in dem alle Mitglieder des Gemeinwesens – unterschiedlicher Generationen, rassischer, kultureller oder Geschlechts- Zugehörigkeit sowie politischer Orientierung – willkommen sind (Hiroto, Brown & Martin, 1997). Die physische Existenz eines Settlement-Hauses in einem Gemeinwesen stellt auch so etwas wie eine symbolische Gestalt des Gemeinwesens dar. Die architektonische Gestalt vieler Settlement-Häuser und ihre Geschichte der Arbeit mit den Menschen im Gemeinwesen ist eingewoben in die Erinnerungen vieler Generationen der Bewohner. Für Neuankömmlinge bieten die physische Gegenwärtigkeit und die Dienste des Settlement-Hauses einen physischen Eintrittspunkt für die Integration in das neue Umfeld. Nach dem Beispiel von Toynbee Hall sind viele Settlement-Häuser auch „ein zentraler Punkt, an dem sich Menschen aller Schattierungen von Meinungen treffen und Probleme öffentlich diskutieren können“ (Irving u.a., 1995, S. 6). Das Settlement-Haus bietet vor Ort einen Platz für Menschen mit unterschiedlichen Interessen, an dem sie teilhaben, sich engagieren und sich über Bedürfnisse, Probleme und Lösungen und über die Zukunft des Gemeinwesens verständigen können. Soziale Reform und Entwicklung der Zivilgesellschaft sind wichtige Funktionen des SettlementHauses. Hull House und viele andere Settlement-Häuser waren z.B. hilfreich und wichtig in der Frühzeit der Arbeitsgesetzgebung und der Beschäftigungspolitik (Addams, 1999; Andrews, 1997). Das Settlement-Haus kann ein aktiver Faktor bei der Organisierung des Gemeinwesens (Communtiy Organizing) sein, insbesondere, wenn es darum geht, die sozialen Verhältnisse in belasteten Wohngebieten zu verbessern und etwas gegen Armut, schlechte Wohnverhältnisse, unzureichende Gesundheitssituationen und Arbeitslosigkeit zu unternehmen. Traditionell haben Settlement-Häuser Initiativen in der örtlichen Stadtplanung ergriffen, insbesondere in solchen Gemeinwesen, in denen es an Führungspersönlichkeiten, Fachpersonal und Einrichtungen mangelt (Hillmann, 1960a). Die Erfahrungen, die bei der Mitwirkung in den Settlement-Häusern gemacht und die Kenntnisse über das Gemeinwesen, die dabei gewonnen werden, geben den Bewohnern Macht. Durch den Ansatz der Gruppenarbeit haben Settlement-Häuser Menschen erfolgreich von anfänglicher nur auf die individuellen Interessen bezogenen Betroffenheit dazu gebracht, sich aktiv mit sozialen
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Fragen auseinander zu setzen (Yan, 2002b). Durch enge Beziehungen zu Universitäten und Akademien haben Settlement-Häuser ebenfalls eine Tradition, Forschungen und Untersuchungen im Gemeinwesen durchzuführen (Irving u.a., 1995). Durch programmatische Arrangements, wie z.B. Rathaustreffen, bieten Settlement-Häuser einen effektiven Weg, die öffentliche Meinungsbildung zu organisieren, die für die Formulierung der Regierungspolitik wichtig ist. Die pragmatische und humanistische Herangehensweise sowie das umfassende und ganzheitliche Diensleistungsmodell der Settlement-Häuser statten diese hundertjährige soziale Bewegung und ihre Nachfolger mit der anpassungsfähigen Infrastruktur aus, die Antworten auf die neu entstehenden Bedarfslagen der meisten Gemeinwesen von heute finden kann. Im Unterschied zu manch anderen Gemeinwesenarbeits-Ansätzen, die kommen und gehen, wenn ihre Aufgaben im Gemeinwesen beendet sind, sind die Settlement-Häuser eine auf Dauer angelegte Infrastruktur, mit einer Dienstleistungskapazität, die ihren Platz mitten im Gemeinwesen hat. Die Dauerhaftigkeit der Settlement-Häuser erlaubt ihren nicht nur, auf die tagesaktuellen Problemlagen im Gemeinwesen zu reagieren, sondern ermöglicht ihnen auch, sich mit der Planung künftiger Veränderungen zu beschäftigen. Mit ihrer Dienstleistungskapazität und professionellen Kenntnis können Settlement-Häuser auch schnell auf Bedarfslagen im Gemeinwesen reagieren und ein Vehikel dafür sein, gegenseitige Hilfe anzuregen und Netzwerkzusammenhänge zu stiften, und das auf eine flexiblere Art und Weise. Wenn die Regierung im Zeitalter der Globalisierung ihre sozialen Dienstleistungen dezentralisieren will, kann sie ihre Wohlfahrtsressourcen über die Settlement-Häuser verteilen und damit sicherstellen, dass ihre Bürger in den Genuss qualitativ hochwertiger sozialer Dienste kommen, wenn dabei zugleich ein angemessenes System örtlicher Leitung und Überwachung geschaffen wird (Wharf, 1998). Der Ansatz örtlicher Leitung und Überwachung würde durch die Demokratie vor Ort geschaffen, die vom SettlementHaus etabliert wird. Auch wenn die meisten Settlement-Häuser von ausgebildetem Personal geleitet werden (Trollander, 1987), ist die lokale Demokratie, deren Ideal in die zivilgesellschaftliche Funktion der Settlement-Häuser eingebettet ist, in vielerlei Form erhalten geblieben. Insbesondere sind die Mitglieder des Gemeinwesens in ihrer Eigenschaft als Bürger, nicht als Klienten, aktiv beteiligt an der Gestaltung der Arbeit des Settlement-Hauses beteiligt: im Vorstands-Management, in Planung und Durchführung der Programme und in der Verwaltung (Klein, 1968). Freiwillige und ehrenamtliche Mitwirkung in einem Settlement-Haus ist eine Form von lokaler Demokratie, mittels derer die Mitglieder des Gemeinwesens
ihre Bürgerrechte und Verantwortlichkeiten bei den Entscheidungen, die ihr Gemeinwesen betreffen, ausüben können. Im Gegenzug befördert die lokale Demokratie das Gefühl, Eigentümer des Gemeinwesens zu sein. Dieses Eigentumsgefühl basiert auch auf der gegenseitigen Hilfe. Freiwillige und ehrenamtliche Mitwirkung, wie sie die Settlement-Häuser verstehen, ist nicht auf die Durchsetzung von Rechten beschränkt. Settlement-Häuser setzen sich für eine aktive Bürgerschaft ein – ein ausgewogenes Verhältnis von Rechten und Hilfeleistung unter den Einwohnern. Die meisten Settlement-Häuser von heute sind multifunktionale Dienstleistungsunternehmen geworden, die in einem hohen Maße auf Regierungsunterstützung angewiesen sind und Ressourcen im Rahmen von ausdifferenzierten Regierungsprogrammen weitergeben. Nichtsdestoweniger hat die Unterstützung durch privates Geld, das vom Gemeinwesen in Form von Spenden aufgebracht wird, nach wie vor eine hohe Bedeutung (Chesler, 1996). Traditionell spielen die SettlementHäuser ebenfalls eine Rolle bei der Koordination von Ressourcen, die von den Einwohnern in Form von Zeit, Geld, Material und Engagement eingebracht werden. Sie fassen sie zusammen und geben sie an diejenigen im Gemeinwesen weiter, die einen entsprechenden Bedarf haben. Settlement-Häuser, die auf diese Weise Ressourcen bündeln und die informellen Hilfenetzwerke verknüpfen, generieren auf effektive Weise soziales Kapital (Putnam, 2000). Das ist das Wesen der Settlement-Häuser: Solidarität zu verstärken und die Selbsthilfekräfte des Gemeinwesens durch die Beteiligung der Bürger auszubauen. In den Worten von Wharf und Clague (1997) liest sich das so: SettlementHäuser sind „kraftvolle Agenturen für Hilfeleistung und für die Entwicklung der Fähigkeiten eines Gemeinwesens“ (S. 321). Auswirkungen auf die Profession der Sozialarbeit Die Tradition der Sozialreform, die von der Settlement-Bewegung geerbt wurde, hat entscheidende Bedeutung für die Zielsetzung der Sozialarbeit (Abramovitz, 1998; Hayes, 1998; Haynes & White, 1999; Ife, 2000). Deswegen kann die Wiederbelebung des Settlement-Hauses und seiner Nachfolger, der Nachbarschafts- und Gemeinwesenzentren, nicht ohne eine Überprüfung des Selbstverständnisses der Sozialarbeit realisiert werden (Epstein, 1999; Specht & Courtney, 1994). Arbeit in Settlement-Häusern – Nachbarschafts- oder Gemeinwesenzentren – wird von Absolventen der Sozialarbeits-Ausbildungsstätten nicht mehr favorisiert. In einem Settlement-Haus zu arbeiten, kann im Vergleich zur klinischen Praxis niedriges Einkommen und Prestige bedeuten. Wir können natürlich die Regierung dafür kritisieren, dass sie den Settlement-Häusern nicht genügend Aufmerksam-
keit und Geld zukommen lässt (Fabricant & Fisher, 2002; Koerin, 2003). Allerdings sollten wir auch unser eigenes Engagement für das Gemeinwesen und die Settlement-Häuser kritisch überprüfen, aus denen die professionelle Sozialarbeit hervorgegangen ist. Obwohl das Settlement-Haus einmal die Profession der Sozialarbeit hervorgebracht hat, hat sich die Profession von den Menschen im Gemeinwesen abgewandt (Trolander, 1987). Im Gegenzug hat das Settlement-Haus seine traditionelle Funktion als Agent des Gemeinwesenaufbaus verloren. Folgerichtig sind das Settlement-Haus und seine Nachfolger – Gemeinwesen- und Nachbarschaftszentren – das Stiefkind der professionellen Sozialarbeit geworden. Fabricant und Fisher (2002) vertreten die These, dass das Settlement-Haus dadurch wieder belebt werden kann, dass es ein strategisches Bündnis mit anderen Organisationen im Gemeinwesen schließt. Eine dieser Organisationen könnte die örtliche SozialarbeitsSchule sein, die historisch eine wichtige Rolle in der Settlement-Bewegung gespielt hat. Die Wiederbelebung des Settlement-Hauses braucht die Unterstützung von Lehrenden an den Ausbildungsstätten für Sozialarbeiter/innen, damit unsere Lehrpläne so überarbeitet werden, dass sie einen größeren Anteil an praktischer Gemeinwesenarbeit enthalten; dass sie unsere professionelle Ausbildung wieder mit unserer Verpflichtung zu sozialem Wandel verbinden; dass sie unsere Studenten motivieren, Praktika oder freiwillige Arbeit in örtlichen Settlement-Häusern zu leisten; dass sie kostenloses Training für Mitarbeiter/innen von Settlement-Häusern anbieten, die keine formelle Ausbildung in Sozial- oder Gemeinwesenarbeit haben; und dass sie kostenlose professionelle Beratung für örtliche Settlement-Häuser für Programmgestaltung, Planung und Evaluation bereit stellen (Johnson, 1998). Wenn wir darin übereinstimmen, dass überzeugende Praxis ein Weg ist, unsere Dienstleistungsqualität und unser professionelles Engagement zu sichern, dann ist mehr Forschung und Literatur notwendig, um die Dienste der Settlement-Häuser zu verbessern, um ihre Errungenschaften zu zeigen und um eine empirische Basis für sozialen Wandel im Gemeinwesen zur Verfügung zu stellen. Der Erfolg der frühen Settlement-Häuser war eng verbunden mit der freiwilligen Unterstützung von den Universitäten (Carson, 1990; Irving u.a., 1995). Wenn die Profession der Sozialarbeit im Zeitalter der Globalisierung sich dem Ziel des Gemeinwesenaufbaus durch die Wiederbelebung des Settlement-Hauses verpflichtet, müssen wir vielleicht als erstes diese Zusammenarbeit zwischen Gemeinwesen und Universität wieder beleben. Schlussfolgerung Im Zeitalter der Globalisierung sind die Gemeinwesen nicht untergegangen, aber sie sind unterschiedlich,
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fragmentiert und im Fluss. Um stark und verjüngt zu werden, brauchen die Gemeinwesen eine Form von Gemeinwesenaufbau, der die unterschiedlichen Interessen im Gemeinwesen überbrücken kann und eine Plattform für seine Mitglieder bietet, sich in permanenter Aushandlung mit dem Ziel strategischer Solidarität zu engagieren. Mit seinem geschichtlich verbürgten Erfolg bei der Brückenbildung über gesellschaftliche Unterschiede hinweg und bei der Generierung sozialen Kapitals, spielt das Settlement-Haus eine wichtige Rolle im Gemeinwesenaufbau unter den Bedingungen der Globalisierung. Die Wiederbelebung des Settlement-Hauses ist eine Verpflichtung auch für die Sozialarbeits-Profession, eine Profession, die ihre Wurzeln in der Settlement-Bewegung und eine Aufgabe im Gemeinwesenaufbau hat.
Übersetzt von Herbert Scherer Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Haworth Press Inc. Das Original des Artikels ist unter dem Titel „Bridging the Fragmented Community: Revitalizing Settlement Houses in the Global Era“ im Journal of Community Practice, Vol. 12(1/2) 2004 erschienen © des englischen Originals Haworth Document Delivery Service: 1-800-HAWORTH. Der Originaltext kann hier (gegen Gebühr) bezogen werden. E-mail address: docdelivery@haworthpress.com Konditionen auf der Website von Haworth Press: http: //www.haworthpress.com/web/COM
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Fachtag: Potenziale des Alters
Dokumentation
Aus Erfahrung gut Potenziale des Alters als ein Motor gesellschaftlicher Inovation 20. April 2005 12.00 bis 16.00 Uhr Rotes Rathaus / Berlin
12. 00 Uhr
Ankunft der Gäste, Kaffee und Imbiss
12.30 Uhr
Auftakt: Theater der Erfahrungen
12.45 Uhr Begrüßung und Einleitung Dr. Heidi Knake-Werner, Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 13.00 Uhr „Aktivsein für bürgerschaftliches Engagement“ André Schmitz, Staatssekretär, Chef der Senatskanzlei, Beauftragter für Bürgerschaftliches Engagement 13.20 Uhr „Im Fadenkreuz der Wirtschaft - ältere Menschen als Kunden und Mitwirkende“ Frank Leyhausen, MedCom, Bonn 13.40 Uhr „Age exchange and social engagement - a vision for the future“ Pam Schweitzer, Age Exchange, London 14.00 Uhr
Zwischenspiel: Theater der Erfahrungen
14.15 Uhr „Potenziale des Alters erkennen - ein überfälliger Paradigmenwechsel?‘ Georg Zinner, Geschäftsführer Nachbarschaftsheim Schöneberg e. V. 14.30 Uhr Diskussion mit: - Dr. Petra Leuschner, Staatssekretärin für Soziales, Senatsverwaltung Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz - Dr. Dorothea Kolland, Leiterin Kulturamt Berlin-Neukölln - Siegfried Rehberg, BBU-Verband Berlin-Brandenburger Wohnungsunternehmen e. V. - Dr. Christian Hanke, Sozialstadtrat Berlin-Mitte - Michael Freiberg, Stadtrat für Gesundheit Berlin-Neukölln - Oswald Menninger, Geschäftsführer Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Moderation: Dr. Stefanie Schulze, Vorsitzende des Ausschusses Soziales und Gesundheit 16.00 Uhr Schlusswort Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Veranstalter:
BERLIN
NACHBARSCHAFTSHEIM SCHÖNEBERG E.V.
Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.
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Fachtag: Potenziale des Alters
Aus Erfahrung gut
Zum Auftakt der Veranstaltung singt das „Theater der Erfahrungen“ ein schwungvolles Lied, in dem es heißt: „Ihr werdet euch noch wundern, die Alten ziehn durch’s Land ...“ Und so, wie die älteren und alten Damen vor den Zuhörern mitreißend swingen, kann man sich durchaus vorstellen, dass sich dadurch einiges verändern könnte, wenn die Alten durch’s Land ziehen.„Mit 88 Jahren sind wir noch gut in Schuss ...“, wahrhaftig, sie halten sich nicht nur beweglich auf den Beinen, sondern strahlen sogar optimistische Kraft aus. Die Theatergruppe „Die Spätzünder“ spielt Szenen aus ihrem Stück „Die viehische Komödie“, in dem es um Alleinsein, die Bereitschaft zum Sterben und um Profiteure der unerfahrenen Gutwilligkeit vieler alter Menschen ging. Ein sehr alter Kranich, der Letzte seiner Familie, hat sich entschlossen, das Ende seines Lebens nicht an der Müritz, sondern in Berlin zu verbringen. Noch einmal mit letzter Kraft das Abenteuer zu suchen und vielleicht auch Freunde zu finden.: „Noch mal verrückt sein und aus allen Ängsten fliehn“. Auf dem Friedhof trifft er auf eine Ratte, die sich als Beerdigungsunternehmer durchschlug. Wie hier zwei Welten aufeinander prallen – der clevere, skrupellose Organisator stimmungsvoller Beerdigungs-„Events“ und der zarte, weltfremde Kranich – das hat professionelles Niveau. Begrüßung und Einleitung Dr. Heidi Knake-Werner, Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz: „Was soll ich jetzt noch zu Potenzialen des Alters sagen, wo wir hier gerade so eindrücklich erleben konnten, welche Potenziale in dieser Stadt vorhanden sind.“ Der Senatorin liegt daran, dass in der Gesellschaft die Erfahrungen alter Menschen sehr viel stärker als Erfahrungs-Schatz erkannt und genutzt werden.„Dass hier Veränderungen nötig
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sind, das spüren wir alle. Und angesichts der demographischen Entwicklung und der damit verbundenen sozialpolitischen Herausforderungen muss eine moderne Seniorenpolitik Rahmen dafür schaffen, dass das Altern in Würde sichergestellt wird. Und das heißt immer auch: sich einmischen, Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen zu ermöglichen.“ Bisher standen im Zusammenhang mit alten Menschen Fragen der Pflege und Versorgung im Mittelpunkt. Und das bleibt selbstverständlich ein sehr wichtiger Bereich.„Aber es wäre verheerend, die Fragen des Alterns auf diese Fragen zu reduzieren.“ Immer noch hat die Gesellschaft ein schlechtes und falsches Bild von alten Menschen, was sich in Schlagworten wie „Überalterung“ und „Vergreisung“ niederschlägt. Die Vielfalt der Lebenslagen der älteren Generation muss hingegen in den Blick gerückt werden. Wie auch im letzten Gesundheitsbericht in Zahlen belegt ist, heißt Altwerden eben nicht mehr nur Krankheit und Pflegebedarf. Altsein bedeutet mehr und mehr auch Aktivität und sich einmischen. Frau Dr. Knake-Werner betont, dass die große Gruppe der aktiven 50- bis 80jährigen, die heute in der Wahrnehmung der Gesellschaft einfach ausgeblendet wird, mit all ihren Aktivitäten zur Kenntnis genommen werden muss. Denn diese Gruppe wird im Jahre 2050 die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Es gilt, in den kommenden Jahren Bedingungen zu schaffen, die für die jung gebliebenen Alten attraktiv sind, die sie in soziale Prozesse einbinden, die ihnen verantwortungsvolle Aufgaben anvertrauen. Wenn dies nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass das gesellschaftliche Zusammenleben in dieser Stadt aus der Balance gerät und dass soziale Netze, die wir mehr denn je brauchen, zerfallen. Die Senatorin ist davon überzeugt, dass sich nicht jeder ältere Mensch ein Leben als „Oma im Schaukelstuhl oder als Opa im Gemüsebeet“ wünscht. Im Gegenteil:„Die meisten Älteren wollen heute viel mehr, sie sind vielfältig interessiert und heute mit Dingen beschäftigt, für die ihnen früher die Zeit und die Kraft fehlten. Gerade die Älteren kombinieren ihr Können und ihre Fähigkeiten mit Erfahrung, Solidität und Kontinuität. Und ist es nicht so, dass wir uns alle genau so die eigene Zukunft vorstellen – möglichst gesund, sozial eingebunden und selbstbestimmt?“ Bei einer aktivierenden Seniorenpolitik kommt es darauf an, das gesellschaftliche Engagement älterer Menschen zu fördern, die Bereitschaft, etwas für sich selbst, aber auch für andere zu tun, positiv aufzugreifen. Es gibt von der Sozialverwaltung geförderte Koordinierungsstellen, die diese beiden Aufgaben in sinnvoller Weise bündeln: Hilfebedarf anmelden und sich ehrenamtlich einbringen. Wer sich ehrenamtlich betätigt, tut das aus einem sozialen, politischen, gesellschaftlichen Anliegen heraus. Egal, ob er seinem pflegebedürftigen Nachbarn zur Seite steht oder ob er oder sie – wie die Spielerinnen und Spieler des
Fachtag: Potenziale des Alters Theaters der Erfahrungen dies tun – ihre Lebenserfahrungen und ihre politischen Anliegen mit lauten und leisen Tönen der Öffentlichkeit nahe bringen; ob sie mit Schülerinnen und Schülern im gemeinsamen Workshop darüber reden, was sie als Ältere in den Zeiten von Krieg und Unterdrückung erleben mussten. Ob im Sport, auf sozialkulturellem Feld, beim Vorlesen in der Schule, der Nachhilfe im Jugendfreizeitheim, beim Generationen übergreifenden Dialog über unterschiedliche Wohnbedürfnisse – die Liste des möglichen Engagements ist lang und die Zahl der Engagierten groß. Und die Bereitschaft zum Mitmachen ist viel größer, als allgemein angenommen wird. Sie in Praxis umzusetzen, dazu sind Ermunterung und eine unterstützende Infrastruktur nötig, wie sie beispielsweise die Stadtteil- und Nachbarschaftszentren bieten.„Mit anderen Worten: Wir können und müssen die Gruppe der engagierten älteren Menschen dazu einladen, gemeinsam mit uns die gesellschaftlichen Aufgaben zu lösen.“ Die Senatorin versichert, dass die Lebenslagen der älteren Menschen in Berlin ein Schwerpunkt zukünftiger Senatspolitik sein werden.„Den Veränderungen in den Lebensgewohnheiten und –bedürfnissen dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe soll Rechnung getragen werden, und wir werden sie auch weiterhin im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten fördern.“ Die Verwaltung will im Hinblick auf eine „ganzheitlich strukturierte Altenpolitik“ gemeinsam mit den institutionalisierten Seniorenvertretungen prüfen, in welcher Richtung Veränderungen im Sinne einer besseren Partizipation der älteren Bevölkerung notwendig sind. „Die Berliner Seniorenpolitik wird auch in Zukunft von dem Grundsatz geprägt sein, ein Altern in Würde zu ermöglichen. Dazu ist es unerlässlich, die Selbständigkeit, Selbstbestimmung und Teilhabe der älteren Generation zu erhalten und zu stärken und dabei auch die unterschiedlichen Interessen von Frauen und Männern zu berücksichtigen.“ Das gilt ganz besonders für das Wohnen im Alter. Hier existieren mitlerweile unterschiedliche alternative Wohnformen als Alternative zur Heimunterbringung. Die Weiterentwicklung professioneller Hilfesysteme, die auch bei umfangreicher werdendem Hilfe- und Pflegebedarf ein Leben in der selbst gewählten Häuslichkeit und Nachbarschaft ermöglicht, ist eine wichtige unterstützende Zukunftsaufgabe. Auf Grund der Vereinzelung der Gesellschaft werden soziale Netzwerke teilweise familiäre Strukturen ersetzen müssen. Selbstorganisation, Selbsthilfe, ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement müssen auch deshalb gefördert werden.„Die Lebenserfahrung und das Erfahrungswissen der älteren Generation sind häufig unvollständig genutzte gesellschaftliche Potenziale, die es zu erhalten und zu reaktivieren gilt. Darauf kann und sollte die Gesellschaft nicht verzichten.“ Nicht zuletzt sieht der Senat auch eine Aufgabe darin,
den in Berlin lebenden älteren Menschen ausländischer Herkunft die Teilhabe an den kulturellen, sozialen und gesundheitlichen Angeboten zu ermöglichen. In nur 5 Jahren wird sich die Zahl der über 65jährigen Migrantinnen und Migranten auf 28.700 verdoppelt haben. Frau Dr. Knake-Werner weist darauf hin, dass diese Bevölkerungsgruppe verstärkt auf die Dienste der offenen und stationäre Altenhilfe angewiesen sein wird. Weshalb sie dringend einer intakten Informations- und Beratungsinfrastruktur bedarf. André Schmitz, Staatssekretär, Chef der Senatskanzlei, Beauftragter für Bürgerschaftliches Engagement: „Aktiv sein für bürgerschaftliches Engagement“ Dieses Thema vereint die europäischen Länder, es reicht weit über den Berliner Horizont hinaus. Große Metropolen erfüllen beim Blick auf die sich wandelnden Gesellschaften die Funktion eines Seismographen, hier erkennt man Entwicklungsprozesse und Trends früher als in ländlichen Gebieten. „Man kann bei nüchternem Blick auf die Metropolen auch früher Schlussfolgerungen ziehen und Konzepte für eine Gesellschaft des langen Lebens entwickeln, sogar innovative Modelle in die Praxis umsetzen.“ Das ist allerdings mit Risiken verbunden,„denn es gibt keine Blaupausen für die Probleme und Risiken, die wir in den nächsten Jahrzehnten mit alternden Gesellschaften bewältigen müssen. Und dabei können wir auf alte Erfahrungen nicht zurückgreifen.“ Darin sieht Herr Schmitz allerdings auch die Chance, neue Modelle zu erproben. Berlin hat schon heute 100.000 „hochaltrige“ Menschen, d.h. sie sind über 80 Jahre, wovon 30.000 älter als 90 Jahre sind. Schon in den 80er Jahren war deutlich, dass Europa am Anfang dieses Jahrtausends weltweit die geringste Geburtenrate und den höchsten Anteil älterer Menschen aufweisen würde. Die Europäische Kommission hat darauf mit dem Konzept des „Lebenslangen Lernens“ geantwortet. Dessen Grundgedanke ist, dass „Bildung nicht an Altersgrenzen Halt machen darf, sondern alle Bürgerinnen und Bürger daran Anteil haben sollen.“ Die komplementäre Erweiterung dieses Konzeptes, steht unter dem Motto:„Aktiv alt werden am Arbeitsplatz“. Im Hinblick auf einen absehbaren Arbeitskräftemangel scheint dieses Konzept wirtschaftlich sehr sinnvoll zu sein. Daher wird die Europäische Kommission in der nächsten Legislaturperiode einen Schwerpunkt auf interdisziplinäre Projekte der Alterserforschung konzentrieren. Hierbei wird auch Berlin, als „Stadt des Wissens“ und der Forschung wieder gefragt sein. Gleichzeitig entwickelte die Europäische Kommission eine Anti-Diskriminierungspolitik,
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Fachtag: Potenziale des Alters die das Alter als möglichen Diskriminierungsgrund mit einbezieht.„Das ist ein wichtiger Impuls zum Abbau von Vorbehalten gegenüber älteren Menschen.“ Die Verwaltungsressorts in Berlin in diesem Punkt enger zu verknüpfen, anstatt das Problem nur einem Ressort zuzuschieben, sieht der Staatssekretär dabei als eine der großen Aufgaben an. Um Anregungen für Lösungsmöglichkeiten zu finden, kann man sich durchaus auch in anderen Ländern umschauen. So ist etwa die Stadt Baltimore in den USA zu einer Modellstadt für eine alternde Gesellschaft ernannt worden.„Dort sollen alle Ressorts der Stadtverwaltung, von der Bau-, Wirtschafts- und Verkehrsplanung bis zu den klassischen Ressorts der Gesundheits- und Sozialplanung Außerordentliches und Vorbildliches leisten, um zukunftsweisende Modelle für alle Städte der Vereinigten Staaten zu erproben. Das sollte man sich einmal näher anschauen, denn man kann schließlich nicht alles immer selber erfinden.“ Für Berlin sieht Staatssekretär Schmitz eine reelle Chance,„Trendsetter für Europa“ zu werden.„Es gibt in dieser Stadt genügend Potenziale, um hier auch mit Ihrer Hilfe Akzente zu setzen, an deren Umsetzung wir dann gemeinsam arbeiten können.“ Frank Leyhausen, Unternehmensberater MedCom, Bonn: „Im Fadenkreuz der Wirtschaft – ältere Menschen als Kunden und Mitwirkende“ Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat ein Aktionsprogramm für Senioren aufgelegt, durch das mit Betrieben und Non-profit-Unternehmen, gemeinsam mit Senioren neue Produkte zu entwickeln. Es befassen sich inzwischen sehr viele Bereiche mit der Zielgruppe alter Menschen. Auch Unternehmen sind inzwischen an den Älteren interessiert, denn im Jahr 2050 werden sie mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ausmachen. Heute schon ist jeder dritte Mensch 50 Jahre und älter. Alte Leute haben durchschnittlich gesehen relativ hohe Vermögensbestände, ein Grund für Banken, sich mit ihnen zu befassen. Auch die monatliche Kaufkraft ist in dieser Altersgruppe überdurchschnittlich hoch. Hinzu kommt, dass gerade Ältere vielen sich schnell verändernden Dingen des Lebens relativ hilflos gegenüberstehen. Weshalb sie auf Beratungs- und Schulungsservice angewiesen sind, den sie auch bereit sind zu bezahlen. Daraus folgert Frank Leyhausen,„ ... dass es für Unternehmen wieder Sinn macht, sich mit ihren Kunden auseinander zu setzen und nicht nur Produkte auf den Markt zu werfen.“ Denn ältere Menschen sind in ihrer
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großen Mehrzahl anspruchsvolle Kunden, die nicht nur Geld haben, sondern auch die Zeit, sich intensiv mit ihren Konsumwünschen zu beschäftigen. Und sie haben Lebenserfahrung, die dazu führt, dass sie letztendlich sehr genau wissen, was sie wollen. Verkäufer schrecken häufig vor so einer Konfrontation zurück. In Köln gibt es einige Beispiele dafür, die sehr unterschiedlichen kleinen Zielgruppen der über 50jährigen in ihrer Eigenschaft als Kunden differenziert anzusprechen. So gibt es etwa „Discount-Bestatter“. Oder es gibt einen Seniorentag im „Pascha“, dem größten Bordell in Köln. Aber auch im Service-Bereich hat sich dort etwas getan. Wenn man davon ausgeht, dass heute viele technische Produkte einen viel kürzeren Lebenszyklus haben, bedeutet das, dass die Verbraucher ständig neu Bedienung und Anwendung von Geräten lernen müssen. Das größte Manko beim Verkauf von Produkten ist in den Augen von Herrn Leyhausen die mangelnde Beratung älterer Kunden. In der Unsicherheit von älteren Menschen bei der Informationsbeschaffung – wen kann ich fragen, wem kann ich glauben, was und wo kaufe ich, welches Produkt wird meinem Bedarf gerecht, wie gehe ich damit um – liegt andererseits ein großes Potenzial.„Wir, die MedCom, wollen eine Wirtschaft, die Menschen unterstützt. In diesem Sinne beraten wir Unternehmen, die neue Produkte verkaufen wollen, dass sie ihr Geld auch in die notwendige Beratung der Käufer stecken müssen.“ Man hat etwa herausgefunden, dass jeder Zweite, der ein Handy kaufen will, eine „Kaufblockade“ hat, weil er nicht versteht, wie es funktioniert und worin die Unterschiede zwischen diesem und jenem Modell bestehen.„Da muss die Industrie doch schon selber sehen, dass hier etwas getan werden muss,“ meint Herr Leyhausen. Er hat selber die Erfahrung gemacht, dass fast durchgängig die in der Regel jungen Verkäufer von Mobilfunk ältere Kunden in ihrem Informationsbedarf nicht ernst nehmen. Als Konsequenz davon hat MedCom zusammen mit Vodafone eine Grundlagen-Fibel geschrieben, worin erklärt wird,„was das Handy überhaupt ist“. Das hat ihnen innerhalb eines Jahres 35.000 Presse-Anfragen gebracht, und es wurden 250.000 Broschüren angefordert, großteils auch von Senioreneinrichtungen. „Das war offensichtlich für ältere Leute sehr hilfreich. Und natürlich ist so etwas auch konsumfördernd. Aber natürlich entscheidet der Kunde selber, wenn er die Funktionsweise einmal verstanden hat, für welches Produkt er letztlich sein Geld ausgibt.“ Gemeinsam mit Vodafone, der Deutschen Seniorenliga und Volkshochschulen wurden Handy-Kurse entwickelt für Einsteiger jeden Alters. Mit dieser Art von Marketing, so meint Herr Leyhausen, kann man auch sehr gut Non-profit-Organisationen stützen. Auch Bildungsträger müssen sich in diesen Zeiten knapperer Budgets Gedanken darüber machen, Finanzierungsmöglichkeiten für die Umsetzung ihres Bildungsauftrags aufzutun. Die Gewinner dieses Projektes waren
Fachtag: Potenziale des Alters in erster Linie die älteren Menschen, die sich durch die Handy-Schulung ihren Platz in einem Bereich der modernen Technikwelt erobern konnten. Viele waren danach in der Lage, anderen ihr frisch erworbenes Wissen mit großem Einfühlungsvermögen weiter zu vermitteln. Frank Leyhausen stellt zum Schluss noch einmal die Grundprinzipien seiner Arbeit zusammen:„Produkte erklären – mit Kunden Produkte entwickeln – nicht nur darauf schauen, was sich verkaufen lässt, sondern auch fragen, was die Leute wollen. Unsere Gesellschaft versenkt gerade einen ganzen Erfahrungsschatz, indem sie Menschen mit 58 Jahren in Frührente schickt.“ Pam Schweitzer, Age Exchange, London: „Age Exchange and Social Engagement – a Vision for the Future“ Pam Schweitzer begann ihre Arbeit vor 23 Jahren als “Erinnerungsarbeit” mit älteren Menschen. Sie wollte jedoch nicht etwa das Gedächtnis der Leute trainieren und verbessern, sondern sie war an ihren Erinnerungen interessiert. Die Engländerin kommt von der Theater- und Erziehungsarbeit. Also dachte sie beim Zuhören, wenn 80Jährige ihre Geschichten erzählten:„Erstens würde daraus ein tolles Theaterstück werden. Und außerdem sollten Jugendliche sich diese Geschichten anhören, daraus könnten sie viel über die Vergangenheit lernen.“ So begann sie mit der Produktion von Theaterstücken in Schulen, wo junge Menschen sich die Geschichten von Alten anhörten und dann daraus Theaterszenen schrieben. Für junge Menschen war das eine wunderbare Möglichkeit, etwas über ihre Vergangenheit zu lernen und zu verstehen, woher sie kommen. Warum ist gerade das Theater ein so gutes Mittel zum Verständnis zwischen Jung und Alt? „Ich glaube, wenn man aus dem Leben eines Menschen eine Theateraufführung machen will, dann muss man dieses Leben wirklich gut verstehen. Man muss es in sich aufnehmen, zu einem Teil der eigenen Erfahrung machen – und es dann überzeugend spielen.“ Um das Leben eines anderen Menschen zutiefst zu verstehen, ist es notwendig, sehr viele Fragen zu stellen und sehr aufmerksam auf die Antworten zu hören. Zum anderen mussten die jungen Schauspieler ständig auf den alten Menschen sehen und immerzu fragen, ob sie etwas richtig verstanden hatten oder nicht. Denn der alte Mensch ist in dieser Situation der Experte, der Experte seines eigenen Lebens. „Ich erzähle Ihnen dieses, weil ich denke, dass eine ganze Reihe von Initiativen für alte Menschen sich
dieses Erfahrungsschatzes und des Expertentums nicht bewusst sind und sie nicht nutzen, obwohl ihnen doch dieser Reichtum zur Verfügung steht.“ Nachdem sie einige Jahre aus den Erinnerungen alter Menschen Theater gemacht hatte – manchmal mit professionellen Schauspielern, manchmal mit Laien oder auch mit alten Leuten selber – entschloss sie sich, in London-Blackheath ein Zentrum der Erinnerungen zu eröffnen, und zwar ein Nachbarschaftszentrum, wo Jung und Alt zusammentreffen können. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre machte sie dort die Erfahrung,„ ... dass es sehr, sehr viele Arten gibt, alte Menschen zu ermutigen, in diesem Zentrum einen Beitrag zu leisten für das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Generationen.“ Ein Beispiel hierfür sind ständig wechselnde neue Ausstellungen zum Thema Erinnerung, auch mit audio-visuellen Displays. So werden die verschiedensten Menschen die ganze Zeit involviert, z.B. Menschen, die an der Themse gearbeitet haben, der seinerzeit ein sehr emsiger Fluss mit viel Verkehr und Lagerhäusern war. So kommen laufend Leute in das Zentrum, die von den Erfahrungen der Älteren lernen und daran ihre Freude haben. „Als ich 1987 dieses Zentrum eröffnete, glaubte ich, es würde nur ein Experiment für ein Jahr sein. Ich dachte, dass nur wenige Leute kommen würden, nur Wenige gerne Geschichten von sich selbst erzählen würden. Das war ein Irrtum. Denn sehr bald schon waren es zwischen 20.000 und 30.000 Menschen jährlich, die hereinkamen.“ Warum kamen sie, was war in ihren Augen das Besondere hier? Pam Schweitzer glaubt, dass sie in eine ausgesprochen anregende, ermutigende Umgebung
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Fachtag: Potenziale des Alters kamen.„Sie konnten einfach zur Tür hereinspazieren, wo sie in einem kleinen Nachbarschafts-Museum alles ansehen, anfassen, oft sogar riechen können. Und sie können darüber reden und auch eigene Aspekte einbringen und mitmachen.“ Die Menschen kommen auch, weil sie hier Wertschätzung erfahren. Sie können hereinkommen und eine Tasse Tee trinken – und sich einfach als Teil einer Gemeinschaft fühlen. Und nicht etwa als Teil einer separierten Gruppe alter Leute an einem separierten Ort. „Bei uns gibt es etwa 60 Ehrenamtliche, die alle ältere Menschen im Alter zwischen 55 und 80 Jahren sind.“ Jeder hat eine feste Zeit in der Woche, zu der sie oder er kommt und bei all den verschiedenen Aktivitäten hilft und mitmacht. Sie leiten in diesen festen Zeiten in einer kleinen Gruppe gemeinsam das Zentrum. Einige von ihnen arbeiten auch in Schulen und nehmen am Unterricht teil. In den letzten 5 Jahren hat sich Pam Schweitzer darauf konzentriert, speziell mit zwei Gruppen von alten Leuten zu arbeiten: die eine sind ältere Menschen von ethnischen Minderheiten; die andere Gruppe sind Demenzkranke, die noch in ihren Familien leben oder auch bei anderen Menschen. Sie erinnern sich sehr wohl an Dinge, die lange zurückliegen, und wenn diese Erinnerungen auf Interesse stoßen und für andere wertvoll sind, haben sie das Gefühl, dass sie noch immer etwas zu geben haben und dass sie noch Teil der Gemeinschaft sind. „London ist eine sehr bunt durchmischte multikulturelle Stadt. Und da gibt es jetzt auch sehr viele ältere Leute. Manche Menschen sehen das als Problem an. Für andere wiederum ist gerade das eine Chance.“ Es wurden Theaterstücke entwickelt von alten Leuten aus ethnischen Minderheiten, von denen nicht alle Englisch sprechen, gemeinsam mit jungen Leuten, und zwar mit sehr viel Erfolg. Es sind afrikanische alte Menschen in die Schulen gegangen, angetan mit ihren prachtvollen bunten Gewändern, um dort davon zu erzählen, wie das war, in einem afrikanischen Dorf aufzuwachsen. Sie haben den Kindern von der Bedeutung ihrer afrikanischen Namen erzählt. Es gibt so viel Erfahrungsaustausch und sehr viel Lebenswissen zu vermitteln, und das ist für das Identitätsgefühl der Kinder sehr wichtig. „Das Leben kann für alte Menschen sehr einsam sein, besonders für solche aus ethnischen Minderheiten. Wir haben in London sehr viele Treffpunkte für die verschiedensten Gruppen geschaffen. Dort treffen sie auf Menschen, mit denen sie die gleichen Erfahrungen, die gleichen Vorlieben für Essen oder Musik teilen. Viele gehen da hin, um sich geborgen zu fühlen – und dann gehen sie auch irgendwann raus, um Kinder zu treffen, Weiße, Leute aus unterschiedlichen Kulturen. Schritt für Schritt geht das vor sich. Und es verändert Einstellungen und Haltungen gegenüber dem Fremden.“ Die Menschen empfinden es nach solchen Begegnungen eher als positiv, in einer multikulturellen Gesellschaft zu leben.
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Da Pam Schweitzer nun vor der Tatsache steht, in allernächster Zeit selber zu den Alten und Rentnern zu gehören, fragt sie sich, ob irgendjemand sie dann noch brauchen wird. Wem kann sie dann etwas von ihrer vielen Zeit geben? Und welche Qualitäten sollte ein Ort haben, an dem sie ihre Zeit einbringen möchte? Sie könnte sich vorstellen, dass sie zunächst mal nur ein bisschen machen würde, um zu sehen, ob es ihr gefällt. Sie würde sich nicht sofort verpflichten wollen, für die nächsten zehn Jahre jeden Tag dort zu verbringen. Und sie würde zwar einerseits gern etwas Neues machen – aber es wäre auch schön, wenn ihre speziellen Fähigkeiten gefragt wären. Und sie hätte sehr gern auch junge Menschen um sich, nicht immer nur Alte. Sie möchte neue Freundschaften schließen. Ein bisschen Verantwortung tragen wäre gut – aber nicht zu viel.„Und ich glaube, ich würde da, wo ich arbeite, auch gern etwas zu sagen haben. Das würde mir das Gefühl geben, dass ich wirklich ein Teil wäre von dieser Organisation, in der ich arbeite.“ Etliche andere Dinge wären ihr noch wichtig, wie etwa, alle Reisekosten erstattet zu bekommen, wenn sie für die Organisation unterwegs wäre; oder auch dass sie umsonst Tee trinken und ein Sandwich essen dürfte. Und sie möchte, wenn sie eine regelmäßige Verpflichtung eingeht, nicht darauf festgenagelt bleiben, sondern Dinge selber entwickeln und eigene Initiativen ergreifen können. Mit anderen Worten:„Ich würde als Ehrenamtliche in einer Organisation ein Albtraum sein.“ Und während sie den Zuhörerinnen ihren Konflikt darstellt, viele Jahre mit Ehrenamtlichen gearbeitet zu haben und jetzt bald vielleicht selber eine von ihnen zu sein, kommt sie lachend zu der Erkenntnis:„Ich glaube, ich will gar nicht als Ehrenamtliche arbeiten. Ich werde lieber am London-Marathon teilnehmen und ein ganzes Jahr darauf verwenden, mich dafür zu trainieren.“
Fachtag: Potenziale des Alters Georg Zinner Potenziale des Alters erkennen ein überfälliger Paradigmenwechsel?
„Wir möchten dazu beitragen, dass sich in der Politik, in der Fachwelt und in der praktischen Arbeit ein Denken durchsetzt, das sich der Aktivierung, dem bürgerschaftlichen Engagement und dem Tatendrang der älteren Menschen verpflichtet fühlt“. 1. Wenn wir uns heute in Berlin umschauen und die „Seniorenarbeit“ betrachten, so fällt es schwer, darin deutlich gesetzte fachliche oder politisch-strategische Gestaltungselemente zu entdecken. Zwar gibt es alle Anstrengungen, eine ausreichende Infrastruktur für pflegebedürftige, zumeist hochbetagte Menschen zu schaffen, die Entwicklung dringend benötigter neuer Wohn- und Pflegeformen bleibt aber eher der engagierten- Initiative Einzelner und dem einen oder anderen Investor oder Vermieter überlassen. Dort, wo große Einheiten nicht gefragt sind, „lohnt“ es sich offensichtlich nicht, weder für die Betreiber, noch für die Wohnungsbaugesellschaften, noch für die politisch und fachlich-planerisch Verantwortlichen, zu investieren oder gestaltend tätig zu werden. Dabei wäre es so einfach: Wählen wir zur anschaulichen Beschreibung ein kleines Dorf. Dort gibt es vielleicht in jeder 10. Familie einen pflegebedürftigen Angehörigen. Unter großen Mühen und Anstrengungen organisiert jede der Familien für sich – mitunter auch unter Einschaltung eines Pflegedienstes – die hauswirtschaftliche und pflegerische Versorgung: morgens, mittags, abends. An sieben Tagen in der Woche, 365 Tage im Jahr. In dem Dorf wohnen 50 Familien, so dass wir von 5 pflegebedürftigen Menschen ausgehen können. Würden sich diese fünf Familien zusammentun und gemeinsam ein Haus oder eine große Wohnung im Dorf anmieten, dann könnten sie gemeinsam professionelle Pflegekräfte engagieren und eine Betreuung rund um die Uhr sicherstellen. Die Angehörigen wären psychisch und physisch entlastet. Das familiäre Stresspotential würde sich vermindern und als Besucher in der Pflegewohnung wären sie eine willkommene Abwechslung. Die Pflegebedürftigen selbst wären zu keiner Zeit allein und fühlten sich sicher. Einige rüstige Senioren aus dem Dorf übernehmen für die Wohngemeinschaft zudem allerlei Aufgaben: sie kaufen ein, lesen vor, übernehmen Spaziergänge und Ausflüge und sie sorgen dafür, dass
auch die jüngere Generation einspringt und mithilft: bei Reparaturen, bei Renovierungen, beim Ein- und Auszug und auch bei manchem Pflegedienst. So könnte Pflege – gemeinsam organisiert - kostengünstig und menschlich gestaltet werden. Nur auf dem Dorf? Nein, genauso kann es sich in der Stadt auch ereignen. Ersetzen wir das Dorf einfach durch den „Wohnblock“. Warum können unsere Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften nicht geeignete Wohnungen zur Verfügung stellen und sich zum Beispiel der Nachbarschaftszentren bedienen, um für ihre Mieter zu sorgen und vorzusorgen? Diese sind in der Lage ehrenamtliches Engagement hierfür zu organisieren und verfügen zum Teil auch über eigenen ambulante Pflegedienste oder arbeiten mit befreundeten Diensten zusammen. Warum ich das hier anführe? Weil ich damit sagen will, dass die Dinge – kleinräumig strukturiert - oft einfacher liegen, als sie sich „von oben“ betrachtet, insgesamt ansehen. Bürgerschaftliches Engagement stellt sich zudem „wie von selbst“ ein, wenn Kreativität und Gestaltungswillen sich auch auf diese unspektakulären, nur scheinbar zu kleinteiligen Lösungen, konzentrieren würde. Also jedem Berliner Wohnblock bitte seine Pflegewohngemeinschaft! Ich frage mich seit langem, warum die Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften noch nicht auf diesen Dienst für ihre Mieter gekommen sind. Nicht einmal dann, wenn ihnen die Organisation dafür abgenommen werden würde, wie ich persönlich feststellen mußte. 2. Beenden wir den Ausflug in die Pflege, nicht ohne anzumerken, dass ein großer Teil der Lösung der Pflegeprobleme gerade in der Nutzung der Potentiale des Alters liegt. Denn viele unserer rüstigen alten Menschen sind bereit, sich zu engagieren, ob als gesetzlich bestellte Betreuer, als Mitarbeiter im Besuchs- oder Hospizdienst oder als den Alltag erleichternde Nachbarn von Pflegebedürftigen und selbstverständlich und vor allem auch als Angehörige. Was also spricht dagegen, die rüstige, gut ausgebildete, zum guten Teil auch finanzkräftige und unternehmungslustige Generation der jungen Alten einzuladen und zu bitten, unsere drängender werdenden Probleme bei der Versorgung Pflegebedürftiger lösen zu helfen und damit das Versprechen zu geben, bzw. zu erhalten, dass man eines Tages auch selbst eine entsprechende Hilfe erwarten kann und darf. Es gibt heute keinen Grund mehr dafür, Freiwilligen- und Zivildienste auf Jugendliche zu beschränken. Dass das Bundesfamilienministerium nun Modellprojekte startet, die ausdrücklich auch Erwachsene und die ältere Generation einladen, einen Freiwilligendienst „abzuleisten“, ist also durchaus zu begrüßen. In Berlin wird
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Fachtag: Potenziale des Alters Wohnen im Alter oder auch Miteinander Wohnen e.V. und andere, die, bei allen Verdiensten, allerdings nie zu einer breiten Selbsthilfebewegung der Älteren geworden sind.
dieser Freiwilligendienst für Erwachsene vom Paritätischen Wohlfahrtsverband übrigens in Zusammenarbeit mit einigen Nachbarschaftszentren umgesetzt, deren Kompetenz zur Gewinnung und Förderung vielseitigen ehrenamtlichen Engagements bekanntermaßen außergewöhnlich hoch ist. 3. Versuchen wir eine Beschreibung der Seniorenarbeit in Berlin außerhalb der Pflege, so ist es außerordentlich schwer, Profiliertes darzustellen. Schauen wir uns nach der Infrastruktur um, so wissen wir, dass die zahlreichen bezirklichen Seniorentagesstätten eben nicht die zentralen Anlaufstellen für Angelegenheiten und Aktivitäten der Senioren in der Nachbarschaft oder im Stadtteil sind. Die bezirklichen Sozialkommissionen mit ihrem System des Besuchdienstes anlässlich von runden Geburtstagen sind in der Öffentlichkeit kaum bekannt und dass deren Mitgliedern Aufwandsentschädigung zusteht, aber anderen Besuchsdiensten nicht, oder zu schlechteren Konditionen, ärgert diese und ist naturgemäß auch nur schwer zu verstehen. Mit den Sozialkommissionen von heute kümmert im Verborgenen vor sich hin, was richtig bedacht und gelenkt der Öffentlichkeit als positives Beispiel von Engagement im Alter dargestellt werden könnte. Bei manchem Sozialstadtrat wird man den Eindruck nicht los, dass Seniorenarbeit für ihn noch immer „Kaffee und Kuchen“ und ein paar nette Worte zum Weihnachtsfest bedeuten. Jedenfalls habe ich nicht den Eindruck, dass Berlins Sozialstadträte ernsthaft und systematisch daran arbeiten, Senioren in großem Umfang und nachhaltig dafür zu gewinnen, aktiv an der Lösung unserer gesellschaftlichen Aufgaben mitzuwirken. Selbsthilfe in der Altenarbeit – eine schon lange gebrauchte Begrifflichkeit für eine Gruppe von Initiativen, die sich vornehmlich in der 80er Jahren vorgenommen haben, eingefahrene Bahnen zu verlassen und die Dinge – sozusagen als Experten in eigener Sache – in die Hand zu nehmen. Dafür steht das Sozialwerk Berlin, dafür stehen bundesweit die Grauen Panther, dafür stehen Offensives Altern als Initiative für gemeinsames
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Nehmen wir als letztes Beispiel das Programm „Erfahrungswissen älterer Menschen nutzen“, ein Programm aus den achtziger Jahren, aus dem interessante Projekte entstanden: das Werkhaus Anti-Rost, Stadtführer, Schreibwerkstätten, auch das „Theater der Erfahrungen“. Das Programm wollte die Fertigkeiten, Fähigkeiten und eben Erfahrungen alter Menschen für die Gesellschaft, für die Allgemeinheit nutzbar machen und setzte damit damals schon genau dort an, worüber wir heute wieder diskutieren: bei den Potentialen des Alters. Wie so vieles, litt auch dieses Programm an den Eigenheiten kleiner Projekte, die sich nur ungern mit Partnern, beispielsweise den Stadtteilzentren, zusammentun und auf Dauer dann doch zu sehr von einzelnen Personen abhängig sind. Und es fehlte an der entschlossenen Steuerung der Politik dieses Programm zum Standard der Berliner Seniorenarbeit zu entwickeln! Schließlich noch einen Blick auf die Form der Altenarbeit, die im Verschwinden begriffen ist. Während in den Nachbarschaftszentren noch vor zwei Jahrzehnten festgefügte und straff geführte, auch selbstorganisierte Seniorengruppen in größerem Umfangt existierten, haben sich diese heute weitgehend aufgelöst in Hobbygruppen, in Sport- und Bewegungsangebote, in interessenorientierte Freizeitaktivitäten – sehr häufig ehrenamtlich geführt oder gemeinschaftlich organisiert. Wie selbstverständlich finden sich Senioren – das sind jedenfalls unsere Erfahrungen - auch in den „ganz normalen“ Kurs- und Gruppenangeboten für Erwachsene ein und ganz selbstverständlich sind sie auch überall dort zu finden, wo ehrenamtliches Engagement benötigt wird und zwar ebenfalls nicht als eigene altershomogene Gruppe, sondern als selbstverständlicher Bestandteil derjenigen, die sich für ein Ziel engagieren. 4. So „verschwindet“ zwar eine Form, keinesfalls aber das Engagement, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann: So finden sich heute Senioren in den Kindertagesstätten um dort vorzulesen und Märchen zu erzählen oder den Garten zu pflegen, sie sind im Jugendfreizeitheim als Schularbeitshelfer tätig genauso wie im Türkischen Frauenladen KIDÖB oder im Treffpunkt für die Arabischen Frauen und Mädchen „Al Nadi“ wo sie den Mädchen bei den Schularbeiten helfen und Konversationsgruppen leiten, um das Deutsch der Frauen zu verbessern. Sie sitzen in Büros des Nachbarschaftsheims und setzen ihre beruflichen Fertigkeiten ein, unterstützen Demenzkranke und ihre Angehörigen im Rahmen
Fachtag: Potenziale des Alters leisten werden. Warum? Weil sie Gewinn für sich selber daraus ziehen können: sie erhalten dafür sozialen Kontakt, Anerkennung, Zuwendung und die Gewissheit, etwas bewegen zu können oder bewegt zu haben. Auf diese Weise ist alten Menschen nicht nur die Rente „sicher“, sondern auch ein „Lebensgewinn“ – wenngleich ersteres – damit niemand auf falsche Ideen kommt – damit auf keinen Fall ersetzt werden soll. Im Gegenteil: ein guter sozialer Standard ist die beste Voraussetzung für das gewünschte bürgerschaftliche Engagement.
des Besuchsdienstes oder sie wirken im ambulanten oder stationären Hospizdienst in der Hauswirtschaft mit genauso wie sie das mitfühlende Gespräch mit sterbenden Menschen führen oder Angehörigen bei der Trauerbewältigung helfen. Ehrenamtliche übernehmen, gestützt auf ihr berufliches Können und ihre Lebenserfahrung Betreuungen im Sinne des Betreuungsrechts und sie sind Schulpartner über das Theater der Erfahrungen und verbringen Wochen des Jahres in Schulen. 5. Was ich mir wünsche, ist eine breite Verständigung über die Ziele der Berliner Seniorenpolitik. Hierzu einige Vorschläge zu einem Paradigmenwechsel, den, wenn ich es richtig verstanden habe, auch die neuen Leitlinien des Senats in ähnlicher Weise einläuten. - Sehen wir bitte in Zukunft zuerst die Potentiale des Alters und schaffen ein entsprechendes Bild alter Menschen in der Öffentlichkeit. Freuen wir uns darüber, dass wir diese Möglichkeit haben, denn unsere Alten sind gesünder, aktiver, ausgebildeter und auch flexibler als frühere Altersgenerationen. -
Betrachten wir die ältere Generation auch als gesellschaftliches Potential zur Lösung unserer Probleme und bitten wir sie mitzuwirken. Sie werden uns diese Bitte nicht abschlagen, da sie ja mit dem Eintritt in das Rentenalter nicht ihren Austritt aus Gesellschaft erklärt haben und bestimmt daran interessiert sind, sich für die Zukunft ihrer Kinder und Enkel zu engagieren.
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Verständigen wir uns also darauf, dass Erfahrungswissen, Kreativität und Innovationskraft der älteren Menschen genutzt werden können und dürfen und laden wir die ältere Generation ein, ihre Kraft, ihr Potential, ihr Können dort einzusetzen, wo diese Personen dies gerne tun möchten. Sagen wir aber auch, wo wir sie brauchen und sie um ihre Hilfe bitten möchten. Seien wir uns sicher, dass sie unserer Einladung Folge
6. Hier noch einige praktische Anregungen, von denen hoffentlich bald einige Wirklichkeit werden. •
Umgestaltung der Seniorenfreizeitstätten in sozialkulturelle, generationenübergreifende Nachbarschaftszentren, in denen Talente und Potentiale sich entfalten können. Eine Voraussetzung hierfür ist die Übergabe dieser Einrichtungen an freie Träger und Initiativen.
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Schaffung einer sozialen Infrastruktur für bürgerschaftliches Engagement, mit Anlaufstellen in allen Stadtteilen, mindestens aber Stadtbezirken. Bestens dafür geeignet sind Nachbarschaftszentren, die über eine breite Angebotsstruktur und über viel Wissen und Erfahrung im Umgang mit bürgerschaftlichem Engagement verfügen und ihrerseits an andere Träger vermitteln können.
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Schaffung dieser sozialen Infrastruktur bedeutet gleichzeitig Strukturierung und Ordnung der unüberschaubaren sozialen Landschaft: Konzentration auf das Wesentliche, auf Grundstrukturen und die sollten dann flächendeckend und verbindlich diese Aufgabe übernehmen.
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Eine berlinweite Steuerung und Koordination dieser Aufgabe könnten die zentrale Koordinationsstelle für Selbsthilfe (SEKIS), der Treffpunkt Hilfsbereitschaft und der Verband für sozial-kulturelle Arbeit, der Dachverband der Nachbarschafts- und Stadtteilzentren übernehmen. Sie sollten sich endlich zu einer kraftvollen Institution zusammenschließen die die jeweils geringen Ressourcen bündelt.
7. Wo und wie können wir die Potentiale bürgerschaftlichen Engagements der älteren Generation nutzen? Natürlich in allen Feldern der Bildung, der Kultur, der Kommunikation, der Sozialen Arbeit, der Pflege, der Kinder- und Jugendförderung und –hilfe.
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Fachtag: Potenziale des Alters Dieses Potential kann und soll dazu beitragen, •
die Schulen zu öffnen und sie auch in die Verantwortung der Nachbarschaft zu „übergeben“ (Lesepaten, Musikunterricht, Theaterpädagogik, Sportarbeitsgemeinschaften, Handwerkliche und technische Arbeitsgemeinschaften, Begleitung von Reisen und Ausflügen, Mitgestaltung Schularbeitshilfen, Freizeitgestaltung, Einzelbetreuung)
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die Arbeit der Kindertagesstätten zu verbessern (Vorlesen und Spracherziehung, Einzelbetreuung, Familienpatenschaften, Unterstützung von Kindern ausländischer Herkunft zum Erwerb der vollständigen Schulreife, Ausflugs- und Reisebegleitung, Gartengestaltung, Spielzeugbau und –reparatur)
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die Kinder- und Jugendfreizeitheime attraktiver zu gestalten (Schularbeitshilfen, Übernahme von Patenschaften in Krisen, Patenschaften für Familien als Integrationshilfe, Unterstützung von Arbeitsgemeinschaften und Hobbygruppen, ähnlich wie schon bei den Schulen benannt, Aufbau und Leitung von Küchen für die Essensversorgung von Schulkindern nach der Schule, Mitarbeit bei der Vorbereitung und Durchführung von Projektwochen und Ferienprogrammen, Reise- und Ausflugsbegleitung und –vorbereitung, Kulturund Bildungsangebote, Bewerbungstraining und Bewerbungspatenschaften, Aufbau und Führen von Kontakten zu Betrieben)
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die Nachbarschafts- Stadtteil und sozialkulturellen Zentren zu unterstützen (Mitwirkung in der Büroarbeit, Übernahme von Veranstaltungs- und Telefonservice, Gestaltung und Durchführung jeglicher Programmangebote, Besuchs- und Abholdienste, Entwicklung von Kultur- und Bildungsangeboten, Öffentlichkeitsarbeit, Spendenwerbung und alles, was Bürger selbst in die Hand nehmen wollen, bis hin zur Gestaltung öffentlichen Raumes oder der Übernahme von Patenschaften für einzelne Personen, Gruppen oder Projekten, etwa für Immigranten oder für ausländische Studenten, denen manche Unterstützung die Integration oder das Zurechtfinden erleichtern könnte)
Es gibt eine Vielzahl von weiteren Aufgaben, die ausgebaut und entwickelt werden können: •
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Nehmen wir die Hospizdienste, die Betreu ungsvereine, die Unterstützung pflegender Angehöriger, der Auf- und Ausbau sozialer eh renamtlicher Infrastruktur für Pflegebedürftige, egal ob sie in der eigenen Wohnung leben,
in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke, die Tagespflege besuchen oder sich im Pflegeheim oder Krankenhaus aufhalten: alle Aufgaben können entwickelt oder weiter entwickelt werden, wenn dafür die Möglichkeiten und Gelegenheiten geschaffen werden. •
Wir müssen auch den sehr alt gewordenen Menschen mehr denn je die Möglichkeit bieten in den eigenen Wohnungen zu leben. Wir Nachbarschaftszentren sind beispielsweise dazu bereit unser Können und Wissen vom Aufbau und der Gestaltung freiwilliger und ehrenamtlicher Dienste Vermietern, Wohnungsbaugesellschaften und –genossenschaften zur Verfügung zu stellen und dafür Sorge zu tragen, dass in den Wohnsiedlungen und –blocks Verantwortung übernehmende Nachbarn helfen, dies zu ermöglichen, wenn sie ihrerseits dazu beitragen, uns die Kosten dafür zu erstatten. Wir sind auch dazu bereit, in Seniorenwohnhäusern eine verlässliche Struktur ehrenamtlicher Arbeit aufzubauen.
Alle diese Beispiele zeigen, welche Potentiale bürgerschaftlichen Engagements diese Gesellschaft benötigt und zwar ohne Abbau und sogar trotz Ausbau professioneller Dienste, aber auch welche Potentiale geweckt und erschlossen werden können. Die Sehnsucht und Erfüllung der alten Menschen liegt nicht nur beim sonnigen Aufenthalt auf der Urlaubsinsel – sie liegt auch in der guten, eingebundenen Nachbarschaft und in dem Wissen, gebraucht zu werden und seine Lebenserfahrung, sein Können, sein Mitgefühl zur Verfügung stellen zu dürfen und eine Antwort auf den eigenen Lebenssinn zu bekommen. Vielleicht sogar darf und kann manche Person in diesem Lebensalter endlich das tun, was sie sich schon immer gerne erfüllt hätte. Bieten wir die Möglichkeiten hierfür – schaffen wir die Chancen – das Potential ist vorhanden.
Fachtag: Potenziale des Alters
Podiumsdiskussion: Dr. Petra Leuschner, Staatssekretärin für Soziales, Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz: Die Potenziale des Alters wurden von früheren Generationen sehr viel deutlicher gesehen und genutzt, als das heute in einer Gesellschaft der Fall ist, die „Jugend“ und Jungsein glorifiziert. Alter wird heute oftmals als „50 plus“ definiert. Allein daraus ergibt sich schon, dass dieser Lebensabschnitt voller Potenziale steckt und weniger mit Lasten zu tun hat. „Wenn man das Alter so früh ansetzt, möchte ich deutlich machen, dass Ältere eine viel größere Chance im Berufsleben haben sollten,“ betont Frau Dr. Leuschner. Hier besteht nach ihrer Ansicht ein Missverhältnis zwischen vom Arbeitsmarkt ausgesperrten älteren Personen und dem Durchschnittsalter etwa von Politikern. Die Gesellschaft verschleudert ein riesiges Potenzial an Berufserfahrung, und das wird sich in Zukunft rächen. Besonders wenn man den starken demographischen Wandel ins Auge fasst, der schon in wenigen Jahren einen dramatischen Mangel an jungen fachlich ausgebildeten Arbeitskräften vorhersehbar macht, erscheint es geradezu unsinnig, die Älteren so rigoros aus dem Berufsleben auszugrenzen. Dr. Dorothea Kolland, Leiterin Kulturamt Berlin-Neukölln: Kultureinrichtungen werden in der Regel von Leuten betrieben, die diese Arbeit professionell machen und dafür bezahlt werden. Für das Theater der Erfahrungen hat Frau Dr. Kolland eine Art „Patentanten-Funktion“, denn diese Gruppe wurde einmal in Neukölln gegründet, „ ... und wir lieben sie sehr, die ‚Spätzünder’ mit ihren
Kabarett-Programmen.“ Seit jetzt 10 Jahren ist beim Kulturamt Neukölln der Bereich „Dritter Frühling“ angesiedelt, eine Initiative, die ursprünglich von der Hochschule der Künste ausgegangen war. Bildende Künstler und Schauspieler erarbeiten dort mit älteren Menschen Projekte.„Es ist immer wieder erstaunlich und beeindruckend, was dabei entsteht. Immer wieder eröffnen sich neue Blickwinkel auf die Realität, neue Formen ihrer Darstellung. Und auch in den Frauen selber – es sind fast alles Frauen – entwickeln sich ungeahnte Fähigkeiten.“ Und zwar in Kursen von wenigen Tagen.„Denn alte Leute, die etwas mit sich und ihrer Zeit anzufangen wissen, haben nie Zeit, so etwas länger zu machen,“ hat Frau Dr. Kolland erfahren. Sie weiß auch, wie schwer es ist, diese so notwendigen künstlerischen Programme, die so viele brachliegende Talente und Kräfte freisetzen, in einem Kulturhaushalt zu etablieren. In ihren Augen ist Arbeit mit Senioren oft zu wenig innovativ.„Es werden Tanztees veranstaltet oder es spielt das Polizeiorchester auf. Das sieht doch so aus, als sollten der Verstand und die Bildung von alten Menschen an der Abendkasse abgegeben werden.“ Kunst und Kultur bieten hervorragende Möglichkeiten, Fähigkeiten aus Menschen hervorzulocken, von denen sie nie gedacht hätten, dass sie die haben. Und gerade diese Projekte sollen gestrichen werden. Frau Dr. Kolland hofft jetzt auf die Widersetzlichkeit von Senioren, dass sie sich auch in der Politik zur Erhaltung der kulturellen Angebote zu Gehör bringen. Siegried Rehberg, BBU - Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V.: Wohnen im Alter, das Anpassen von Wohnungen für den Bedarf alter Menschen, ist im Verband seit etwa 5 Jahren ein Thema, das bei technischen Planungen verstärkt berücksichtigt wird. Herr Rehberg möchte aber auch, dass die Vernetzung zwischen Vereinen, Koordinierungsstellen, Sozialen Trägern und der Wohnungswirtschaft stärker vorangetrieben wird, um das Wohnen im Alter zu erleichtern und zu verbessern. Gemeinsam mit dem Verband freier Wohnungsunternehmen wurden bereits etliche Tagungen veranstaltet, in denen immer wieder die bisherigen Erfahrungen zusammen getragen werden, um neue Gestaltungskonzepte zu entwerfen. Natürlich sind solche Bemühungen für die 130 Berliner Wohnungsunternehmen, die rund 700.000 Wohnungen bewirtschaften, nicht uneigennützig. Auch sie müssen sich der demographischen Entwicklung, der schnell zunehmenden Anzahl alter Menschen, stellen und in immer mehr Wohnungen Hilfen zur Bewältigung des Alltags bereitstellen. Auch in Genossenschaften haben sich Vereine gegründet mit dem Ziel, alten Leuten in ihrem Umfeld Hilfestellungen anzubieten.„Wir werden mit
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Fachtag: Potenziale des Alters Sicherheit eine Mischung aus Betreuungs-Organisationen und Nachbarschaftshilfe brauchen,“ meint Herr Rehberg.„Berlin ist ja schon eine Stadt, in der man gut alt werden kann. Aber diese Ansätze müssen ausgebaut und vernetzt werden.“ Und er fügt hinzu:„Wenn wir den Bestand unserer Wohnungen zukunftsfähig machen wollen, dann brauchen wir mehr Komfort. Das heißt, ein größeres Badezimmer, in dem alte Menschen sich ungefährdet bewegen können. Oder auch der Anbau eines Aufzugs, wo es bezahlbar ist.“ Natürlich haben alle Nutzen von baulichen Verbesserungen, nicht nur die Älteren. Und genau darum geht es Herrn Rehberg:„Um mehr Komfort in allen Lebensaltern“. Michael Freiberg, Stadtrat für Gesundheit, Berlin-Neukölln: Das Alter hat etwas Verbindendes, denn das wird jeder spüren. Es gibt niemanden, den es nicht einholt, und das ist die Basis, auf der sich Jung und Alt gemeinsam finden können.„Wer mich immer wieder fasziniert, das ist meine Mutter – seitdem sie Rentnerin ist, hat sie kaum noch Zeit. Das ist beachtlich, und es zeigt das Engagement, das in ihr steckt.“ Für Herrn Freiberg stellt sich am Ende der Tagung die Frage:„Was bestätigt sich für mich, was habe ich hier gelernt?“ Zunächst ist da die Tatsache, dass Menschen ab einem gewissen Alter nicht als separierte Gruppe zu sehen sind, sondern sie sind ein Teil der Gesellschaft. „Ich glaube auch, dass gerade die Generationsvermischung enorme Gewinne bringen kann. Wenn Jüngere mit älteren Menschen zusammen sind, entsteht gegenseitiges Verständnis und auch Verantwortungsgefühl für einander. Und das gibt auch Wärme für einander. In der heutigen Zeit, wo wir oft sehr isoliert leben, ist das ein ganz wichtiger Punkt.“ Wenn man von Würde im Alter spricht, dann liegt die nicht nur in guter Pflege, sondern vor allem in der Teilhabe an der Gesellschaft. Und in diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass Projekte von alten Menschen verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen haben und nicht jedes Jahr von neuem um die Existenz ihrer Unternehmungen bangen müssen.„Seniorenarbeit in meinem Sinne, in einem sehr breiten, aktiven Sinne, braucht verlässliche Rahmendaten.“ Besonders bei der Unterstützung von Selbsthilfe ist diese langfristige Sicherheit notwendig.„Wir haben es in Neukölln geschafft, die Selbsthilfezentren und Nachbarschaftshäuser auf gesunde Beine zu stellen, um diese Verlässlichkeit zu organisieren.“ Der Staat hat dabei lediglich die Aufgabe, die Grundlagen für diese Arbeit abzusichern. Herr Freiberg findet es verblüffend, wie viele ältere Menschen das Internet benutzen. Die Benutzung von Menschen über 60 Jahren ist höher als die jeder anderen Altersgruppe. Und es gibt sehr zahlreiche Beispiele wie das eines 79jähri-
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gen Mannes, der sich in diesem Alter einen Computer gekauft und einen Einsteigerkurs belegt hatte. Und hier wird deutlich, dass im Alter enorme Kräfte und Potenziale stecken. Herr Freiberg sieht es sogar so, dass im Alter ein enormer Gewinn für die Gesellschaft steckt, Fähigkeiten und Talente, die bis jetzt noch ungenutzt vergeudet werden.„Die Senioren haben der Gesellschaft etwas zu geben. Das sollten wir auf den Weg bringen.“ Dr. Christian Hanke, Sozialstadtrat Berlin-Mitte: In den Augen Dr. Hankes redet man über Selbst-verständlichkeiten, wenn man über Potenziale des Alters spricht. Dennoch entspricht diese Sichtweise offensichtlich nicht der gesellschaftlichen Realität, denn das „allgemeine Bild von alten Menschen ist sehr einseitig. Es ist geprägt nur von Defiziten.“ Darüber hinaus definiert sich die Gesellschaft über Erwerbstätigkeit. Das führt in vielen Bereichen sofort zu Problemen: beim ehrenamtlichen Engagement, bei Arbeitslosigkeit und eben auch im Hinblick auf ältere Menschen.„Diese Bilder, die wir im Kopf haben, müssen wir kritisch hinterfragen, und so können wir durch diese Veranstaltung vielleicht auch eine Tür aufstoßen, die bisher noch fest verschlossen ist.“ Über die offenbar gängige Definition von Alter als „50 plus“ ist Dr. Hanke etwas verärgert.„Bald sind wir dann bei 40 plus, und dann bin ich auch gleich mit im Boot. Wir müssen aufpassen, dass diese Abgrenzung nicht zu beliebig wird. Es ist ein Unterschied, ob man 50, 60 oder 80 Jahre alt ist. Dazwischen liegen doch noch ganze Generationen.“ Die Frage „Was wissen wir eigentlich von den Senioren?“ beantwortet der Stadtrat sich gleich selbst:„Das ist dürftig.“ Es gibt zwar einige allgemeine Untersuchungen. Aber für die sozialräumliche Betrachtung, für die Arbeit in Nachbarschaftszentren bringen die kaum etwas. Statt dessen stärken sie nur wieder die Einäugigkeit im Blick auf das Alter. Denn man kann sofort die Zahl der Arztbesuche, der Krankenhausaufenthalte oder der Todesursachen nachschauen. Aber offenbar gibt es große Schwierigkeiten, die Bedürfnisse und Interessen von alten Leuten zu erfahren: „Welches Bildungsniveau und welche Fähigkeiten gibt es hier im Stadtteil?“ Natürlich sollte die Arbeit von und mit alten Menschen finanziell konsolidiert sein.„Aber bei der notwendigen Haushaltsstabilisierung sind wir ja schon froh, wenn wir Mindeststandards halten können. Das heißt, wir sind von Staats wegen darauf angewiesen, mit bürgerlichem Engagement Netzwerke und Strukturen zu erhalten.“ Seniorenpolitik muss Selbstbestimmung und Selbstorganisation der älteren Generation garantieren, also gilt es auch für die Politik, sich umzuorientieren.
Fachtag: Potenziale des Alters Oswald Menninger, Geschäftsführer Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband: Der DPW beschäftigt sich schon sehr lange mit den Potenzialen älterer Menschen. Aber auch er sieht es so, dass dieses Thema in der aktuellen politischen Diskussion eine weitaus größere Brisanz hat.„Ich habe mich seit vielen Jahren dagegen gewandt, alte Leute auf die Probleme um Pflege und Gesundheit zu reduzieren.“ Dennoch will er natürlich diese Probleme nicht klein reden. Die schwierige Sicherung der Renten, die sich ständig erhöhenden Gesundheitskosten, sämtliche Probleme des Alters wurden jedoch „nie verknüpft mit den großen Möglichkeiten, die im vorgerückten Alter stecken.“ Der DPW hat unter seinem Dach schon seit vielen Jahren zahllose Projekte gehabt, gefördert und weiterentwickelt, die Fähigkeiten älterer Menschen für die gesellschaftliche Entwicklung fruchtbar machen. Aber Herr Menninger stellt auch selbstkritisch fest: „Das war nicht so, wie wir das heute machen.“ Heute geht es um die Verknüpfung von hochprofessionellen pflegerischen Hilfeleistungen mit bürgerschaftlichem Engagement, um die Schaffung stabiler sozialer Netzwerke für und mit älteren Leuten. Der Verband sieht es als seine Aufgabe an, die Mitgliedsorganisationen in den Stand zu versetzen, diese Verknüpfungen hinzubekommen. Dabei kommt bisher Widerstand häufig von hauptamtlichen Mitarbeitern, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, wenn verstärkt Ehrenamtliche in die Arbeit einbezogen werden. Da wird Herr Menninger schon mal drastisch:„Das ist doch vollkommener Quatsch! Denn es ist gerade umgekehrt, ja besser wir diese Netzwerke stricken, umso sicherer sind feste Arbeitsplätze.“ Der Verband sieht sich in dieser Hinsicht jedoch bereits auf einem guten Weg, und er wird nicht aufhören, das bürgerschaftliche Engagement zu fördern. Eine vom Senat beauftragte Untersuchung hat ergeben, dass das Engagement der über 66jährigen enorm zugenommen hat.„Das schreiben wir als Erfolg auch auf unsere Fahnen, und da werden wir zielgerichtet weiter machen.“ Georg Zinner: Wenn man Geschäftsführer eines Nachbarschaftszentrums ist, dann hat man die ältere Generation natürlich nicht nur als Problem im Blickfeld, sondern als Menschen, die sehr viel leisten und einbringen können. Für den Pflegebereich gilt folgendes: Es werden ambulante Pflegedienste organisiert, aber auch stationäre. Es ist mittlerweile ein Hospiz angeschlossen, und es gibt ehrenamtliche Mitarbeiter, die einen Besuchsdienst organisieren. Die Strukturen werden aber mit
hauptamtlichen Mitarbeitern gesichert. So auch die Ausbildung von Ehrenamtlichen im Hospizdienst. „Unsere Erfahrung ist, dass diese Arbeit von allen Altersstufen gemacht wird.“ Das sind 25jährige, und es sind auch 85jährige dabei. Die Älteren haben an das Nachbarschaftszentrum klare Forderungen gestellt. „Wir hätten von uns aus als Nachbarschaftsheim nie ein stationäres Hospiz errichtet, mit viel Geld, mit viel Risiko, wenn nicht eine Gruppe von Ehrenamtlichen, davon die Hälfte ältere Menschen, dafür über Jahre hinweg hart gearbeitet und richtig gepowert hätte. Daran sieht man, dass Ältere etwas in Bewegung setzen können. Und gleichzeitig entsteht eine Qualität in der Pflege.“ Diese Qualität können die Hauptamtlichen nicht geben, denn nur die Ehrenamtlichen bringen die erforderliche Zeit mit.„Sie geben Zeit. Und sie bekommen etwas anderes zurück, denn sie erleben Gemeinschaft, sie erfüllen eine selbst gestellte Aufgabe und erreichen ein Ziel, das sie sich selber gesteckt haben.“ Der andere große Bereich, in dem ältere Menschen sich einbringen, betrifft die Schulen.„Wir haben Schülerclubs, wir arbeiten mit vielen Schulen zusammen, wir werden demnächst die Hort-Betreuung an zahlreichen Schulen übernehmen. Und auch da haben wir festgestellt: Wenn wir versuchen Menschen zu gewinnen, Menschen jeden Alters und eben auch alte Leute, die so viel mehr Zeit haben, wenn wir sie um Mithilfe bitten bei den Hausaufgaben oder als Unterstützung für ausländische Kinder, da haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir solche Menschen immer finden.“ Das Nachbarschaftsheim hat inzwischen 500 feste Mitarbeiter. Aber es hat auch 600 Ehrenamtliche. Herr Zinner sieht gar kein Problem, ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden – wenn man ihnen verlässliche Strukturen anbietet und wenn man sie bei Problemen unterstützt. Wenn er mit Ehrenamtlichen spricht, spürt er auf deren Seite stets eine große Zufriedenheit, das Gefühl eines Gewinns und einer Bestätigung.„Wir wären doch beschränkt als Träger freier Wohlfahrtspflege, wenn wir nicht das, was wir als Gemeinnützige immer waren, nämlich eine Bürgerinitiative, wenn wir das nicht erhalten und ausbauen würden.“ Denn alle diese Aktivitäten der Bürger dienen dem Wohl des Stadtteils, machen die Zufriedenheit der Menschen aus. Dem Willen der Menschen zum Mitgestalten der Gesellschaft muss Rechnung getragen werden.„Und wir haben eine strukturelle Möglichkeit, dieses vorhandene reiche Potenzial auszuschöpfen.“ Roswitha Nemitz, Ehrenamtliche Sozialwerk Berlin: Ich arbeite in einem Alten- und SelbsthilfeBegegnungszentrum. Ich möchte wissen, wie geht es eigentlich weiter? Ich erlebe in diesem Alten-Selbsthilfezentrum sehr viel Eigenverantwortung, und ich finde, wir müssen viel mehr da-
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Fachtag: Potenziale des Alters ran mitwirken, dass die Betroffenen auch nach ihren Vorstellungen gefragt und einbezogen werden. Und genau das ist ja hier das Thema. Was passiert, wenn diese Tagung vorbei ist? Wir sind sehr daran interessiert, dass wir im Kontakt bleiben mit all den Organisationen, die heute hier vertreten sind. Dr. Dorothea Kolland: Ihr ist die Einigkeit in der Runde ein bisschen zu groß, und sie möchte als Störfaktor fungieren. Die von Herrn Zinner dargestellten Beispiele ehrenamtlicher Arbeit in allen Altersstufen sind in ihren Augen vorbildlich und ermutigend. Dennoch möchte sie sich gegen aufscheinende Tendenzen in anderen Beiträgen verwahren.“ Ich glaube, wir missbrauchen diesen Ansatz ganz gewaltig, wenn wir ehrenamtliches, bürgerschaftliches Engagement als Auffangnetz für Sparmaßnahmen oder zum Stopfen von Defiziten benutzen.“ Frau Kolland sieht sehr viele Bereiche, in die Menschen mit Lebenserfahrung gehören, weil sie dort genau die Richtigen sind. Aber sie sieht durchaus auch Bereiche, in denen die Arbeit nur mit Hauptamtlichen funktioniert. Ein weithin noch immer zu wenig beachteter Bereich sind die Probleme von Migranten-Familien, in denen es immer mehr alte Menschen gibt. Gerade in Berlin-Neukölln gibt es Gebiete, in denen jeder zweite Bewohner ausländischer Herkunft ist. Ihr ist der Satz einer 50jährigen gebildeten Palästinenserin nicht aus dem Kopf gegangen, die ihr einmal sagte:„Es gibt so wenig Möglichkeiten, mit Deutschen zu sprechen.“ Über ein paar Worte beim Einkaufen an der Kasse hinaus gibt es offenbar wenig Anlässe, bei denen sich ein tiefergehendes Gespräch ergeben kann. Frau Kolland stellt sich vor, dass auch auf diesem Gebiet Senioren Erfahrungen in das Gemeinwesen stärker einbringen könnten. Dr. Petra Leuschner: Zu der Frage, wie geht es nun weiter: Die vom Senat erarbeiteten „Leitlinien Seniorenpolitik“ eignen sich sehr gut dazu, die Diskussion über das Zusammenleben und die Arbeit mit alten Menschen in der Öffentlichkeit anzufachen. Man muss sich sehr deutlich vor Augen halten, was sich in unserer Gesellschaft verändert hat.„Auch die Migranten werden älter, und sie gehen nicht in ihre Heimat zurück, sondern sie bleiben hier. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.“ Wie etwa kann man eine kultursensible Pflege organisieren, wenn man weiß, dass Migranten eine ganz andere Erwartung daran haben? Oder wie kann eine Heimunterbringung für diese alten Menschen aussehen? „Ich würde mir wünschen, dass auch in dieser Lebensphase ein bisschen Mischung und Integration möglich ist.“ Die Lösung dieser Aufgabe kann aber nicht einer Senats-
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verwaltung überlassen bleiben, sondern es müssen sich auch die Träger der sozialen Einrichtungen und die Betroffenen damit auseinandersetzen. Die Senatsverwaltung arbeitet darüber hinaus an einem Seniorengesetz, das den Rahmen dafür schaffen soll, über welche Gremien die Mitwirkung alter Menschen gesichert werden kann.„Dafür erhoffe ich mir von Ihnen allen sehr viele Anregungen.“ Zum Thema Ehrenamt und Haushaltslöcher sagt die Staatssekretärin, etwas provokant:„Das Ehrenamt kann und soll niemals dafür herhalten, Haushaltsprobleme des Finanzetats zu lösen. Trotzdem hat der Druck, den wir alle durch den Geldmangel haben, eine ganze Menge befördert.“ Frau Dr. Leuschner ist dankbar für das so stark expandierende Ehrenamt – wenn es eben nicht missbraucht wird. Georg Zinner: Er meint, dass man die ehrenamtliche Arbeit auch und vor allem unter dem demokratischen Aspekt betrachten muss. Dass das bürgerschaftliche Mitwirken der Menschen verhindert, dass die von ihnen geschaffenen Institutionen irgendwann die Bürger ausschließen. Hier entsteht eine demokratische Alltagskultur, die in Deutschland für lange Zeit verloren gegangen war. Man hatte alles dem Staat übertragen, bis hin zu seiner Überforderung.„Wenn ich mal aus dem Berufsleben ausscheide, dann möchte ich selbstbestimmt und selbstverantwortlich das machen, was ich gerne will. Und ich hoffe, dass es dann eine Infrastruktur gibt, die mich dabei unterstützt, meine Anliegen zu verwirklichen.“ Siegfried Rehberg: Er äußert Befriedigung darüber, dass das Ehrenamt nun endlich nach langen Auseinandersetzungen versicherungstechnisch abgesichert wird, wie die Staatssekretärin berichten konnte. Das war bisher für Wohnungsgesellschaften bei ihrer Arbeit mit Ehrenamtlichen ein Hemmschuh. „Ohne Ehrenamt werden die zunehmenden Aufgaben in unserer Gesellschaft nicht zu leisten sein.“ Zum Standort Berlin als attraktive Stadt für alte Menschen sagt Herr Rehberg noch einmal, dass es bereits viele sehr gute Ansätze gibt überall in der Stadt. Die Aufgabe der nächsten Zeit wird es sein, all diese Erfahrungen zusammen zu tragen, um für jedes Gebiet gute Nachbarschaften und ein aktives Miteinander zu schaffen. Dafür muss die Infrastruktur stimmen, damit Menschen in ihrem Umfeld gerne leben. Die Wohnungsunternehmen haben sich darauf eingestellt, ihre Wohnungen so auszustatten, dass man in ihnen alt werden kann.
Fachtag: Potenziale des Alters Michael Freiberg:
Dr. Löhnert:
Für ihn ist der Aspekt der aktiven Teilhabe von Senioren am gesellschaftlichen Leben wichtig und dass man alte Menschen nicht nur vom Standpunkt des Versorgens betrachtet, wenn es an die Entwicklung konkreter Projekte geht. Das ist ein Auftrag an sich selbst, an dem er sich auch messen lassen will. Auch er greift die Frage auf: Was passiert denn nun? Die Verwirklichung von aktiver Seniorenarbeit für und mit alten Menschen muss sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche ziehen, sei es Wohnen, Gesundheit, Kultur oder Sport.„Es geht dabei zwar nicht immer um Geld, aber es müssen sehr wohl verlässliche Rahmendaten da sein. Es geht nicht an, dass ein Projekt Jahr für Jahr z.B. hinter 10.000 Euro herrennen muss. So etwas blockiert.“ Der Stadtrat ist sehr interessiert daran, mit der Wohnungswirtschaft ein Projekt mit Menschen verschiedener ethnischer Herkunft zu beginnen.
Er nimmt aus der Fachtagung zwei Erkenntnisse mit:„Erstens: ich bin 60. Und ich fühle mich fit, mich zu engagieren.“ Darüber hinaus ist der Paradigmenwechsel in Bezug auf die ältere Generation deutlich geworden. Das Bild von den „Alten“ ist ein bisschen differenzierter und gerade gerückt worden. Ihren noch immer weithin ungenutzten Fähigkeiten gilt es strukturierte Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. Und es muss ein generationsübergreifendes Miteinander organisiert werden. Ältere Menschen sind aktiv und übernehmen Aufgaben in der Gesellschaft, die durch andere nicht zu leisten sind.„Es ist deutlich geworden, dass wir für diesen Prozess weitere Konzepte entwickeln müssen.“ Hierin sieht Herr Löhnert eine Herausforderung, der sich alle stellen müssen.„Wie organisieren wir ein Miteinander der Generationen und der Kulturen im Kiez? Und welche Strukturen müssen dafür gestärkt und nicht vernichtet werden, ausgebaut oder gar neu entwickelt werden?“ Die Fragen und Impulse dieser Fachtagung müssen nun in die Praxis getragen werden. Berlin sollte „ ... zu einer Stadt der Initiative für ein integriertes Gemeinwesen werden, wo Erfahrungswissen als Ressource genutzt und anerkannt wird.“
Dr. Christian Hanke: Das Alter ist in der Regel weiblich. Aber wenn wir über alte Menschen reden, dann müssen wir auch über Männer und Frauen und deren unterschiedliche Bedürfnisse sprechen. Das betont er gerade im Hinblick auf die Selbstmordraten unter älteren Menschen, über die auf der Veranstaltung nicht gesprochen wurde. In diesem Zusammenhang hofft Dr. Hanke, dass der Präventionsgedanke stärker verankert werden kann. Der Prozess von der Erwerbstätigkeit in die Rente sollte sehr viel besser vorbereitet werden. Über die älteren Menschen mit Migranten-Hintergrund wurde nur in Ansätzen gesprochen. Im Bezirk Mitte wurde vor 2 Jahren eine Konferenz installiert, bei der es um Pflege geht, um Freizeit, und es entstand ein Modellprojekt, in dem Multiplikatoren aus dem Migrantenbereich geschult werden, die diesen Bevölkerungsgruppen die bestehenden Hilfemöglichkeiten erklären. Aber darin sieht der Stadtrat nur Anfänge.„Wir müssen uns viel stärker als bisher diesem Thema zuwenden. Oswald Menninger: Er sieht die Notwendigkeit, über den Wert des bürgerschaftlichen Engagements noch einmal zu diskutieren.„Es verändert die Einrichtungen. Und es verändert sie in einer notwendigen Weise.“ Herr Menninger hat die Vision, dass bürgerschaftliches Engagement in der Weise generationsübergreifend sein könnte, dass z.B. demnächst eine Seniorenfreizeitstätte in einer Schule eröffnet würde. Oder in einem Altenpflegeheim ein Jugendtreffpunkt installiert wird.„Wir wollen sehen, wie sich die Generationen gegenseitig helfen und unterstützen können. Und da werden wir jetzt rangehen.“
Fazit der Veranstalter Die These von der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der „Seniorenpolitk“ stieß auf dem Fachtag auf keinerlei Widerspruch und wurde im Gegenteil von allen Seiten vehement unterstützt. Das ermutigt und verpflichtet uns, etwas dafür zu tun, dass ein entsprechendes Umsteuern auch wirklich stattfindet. o Ohne zusätzlichen Finanzaufwand können sich traditionelle Senioreneinrichtungen zu generationsübergreifenden Nachbarschaftstreffpunkten entwickeln, in denen die „alten Talente” einen lohnenden Wirkungsbereich finden können o Stadtteilzentren und Nachbarschaftseinrichtungen können entsprechende Schwerpunkte ausbauen, mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, wie diese Arbeitsansätze in der Praxis funktionieren. o Das „Theater der Erfahrungen” und vergleichbare Projekte, die mit erfreulichem Elan die unsinnigen Gräben zwischen Sozialem und Kultur überwinden, können Vorbild und Motor des Veränderungsprozesses sein und ihm die Extra-Schubkraft von Kreativität und Lebensfreude geben, die dabei hilft, wenn es darum geht, eingefahrene Bahnen zu verlassen. Wir sind bereit und freuen uns über alle, die mitmachen wollen.* (Sie erreichen uns über die Anschrift im Impressum auf S.2)
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Fachtag: Potenziale des Alters
Theater der Erfahrungen
in Trägerschaft des Nachbarschaftsheims Schöneberg e.V.
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Grundsatzerklärung unseres internationalen Dachverbandes, der International Federation of Settlements and Neighbourhood Centres (IFS)
Neighbourhoods First: Making the world a better place The International Federation of Settlements and Neighbourhood Centres (IFS) represents a world wide movement of settlements, community and neighbourhood centres. As a movement, it is dedicated to enabling neighbours to work together to meet local challenges and create shared approaches to building community. We believe that strong, sustainable community-based organisations provide a crucial focus and support for community development and change. They address the needs of their area in a multi-purpose, holistic way by integrating services, capacity building and social reform. Inspired by the tradition of innovation within the Settlement house movement, today’s community organisations take many forms as they generate local solutions to global challenges. Together and separately we seek to catalyse change by: o Developing relationships of trust and mutuality among people from different backgrounds and experience, as individuals, families and groups o Bridging between those who are affected by decisions and those who make them o Providing open and safe space for people to meet, organise and participate in decision- making o Building on people’s potential and gifts rather than focusing on their problems o Releasing the potential of communities as places of creativity and enterprise o Giving a voice to people normally left out or ignored o Cherishing our independence in order to remain flexible and responsive to opportunity o Pioneering innovative approaches to neighbourhood issues, linking the neighbourhood with the national and global o Investing and reinvesting in community assets to build local sustainability. Our organisations contribute to a world in which the “international community” is shaped by people working together from their local communities, a power and legitimacy from the base of society. We are already working with our communities to move from the stance of “I can’t“ to „We can together“ and to face the future with passion and an inclusive vision. verabschiedet als “Helsinki declaration” auf der Vorstandssitzung der IFS am 4. Mai 2005 in Debrecen, Ungarn.
Leben in Nachbarschaft: Baustein für eine bessere Welt Der Internationale Verband der Settlements und Nachbarschaftshäuser (IFS) repräsentiert eine weltweite Bewegung von Nachbarschafts- und Gemeinwesenzentren, die sich zum Ziel gesetzt haben, Menschen zu ermöglichen, als Nachbarn in gemeinschaftlichem Handeln örtlichen Herausforderungen zu begegnen und gemeinsame Lösungen für den Aufbau ihres Gemeinwesens zu finden. Wir glauben, dass starke, auf Dauer angelegt Nachbarschaftsorganisationen einen wesentlichen Beitrag für die Entwicklung und Reform der Gemeinwesen leisten können. Sie reagieren auf Bedarfslagen in ihrem Einzugsgebiet mit einem multifunktionalen ganzheitlichen Ansatz, indem sie das Angebot von Diensten mit der Stärkung der Selbsthilfekräfte und sozialer Reform verbinden. Unter Berufung auf die Tradition stetiger Erneuerung, die den Geist der „Settlement-Bewegung“ ausmacht, haben die heutigen Nachbarschaftseinrichtungen unterschiedliche Formen und Schwerpunkte, mit denen sie örtlich maßgeschneiderte Antworten auf globale Herausforderungen geben. Zusammen und jeder an seinem Platz arbeiten wir an Veränderungen, indem wir o
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Beziehungen des Vertrauens und der gegenseitigen Hilfe zwischen Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Erfahrungen als Individuen, Familien und Gruppen schaffen Brücken bilden zwischen denen, die von Entscheidungen betroffen sind und denen, die sie fällen Offene und sichere Orte anbieten, an denen sich Menschen treffen, organisieren und an Entscheidungen beteiligen können Auf die Potentiale und Fähigkeiten von Menschen setzen und nicht bei ihren Problemen stehen bleiben Das Potential der Gemeinwesen als Orte von Kreativität und Unternehmungslust frei setzen Menschen eine Stimme geben, die normalerweise vergessen oder ignoriert werden Unsere Unabhängigkeit wertschätzen, die uns hilft, flexibel zu bleiben und Chancen wahr zu nehmen Neue Wege bei der Lösung von Problemen im Zusammenleben suchen und die örtlichen Fragen in nationale und globale Zusammenhänge stellen In das Gemeinsame investieren und re-investieren, um nachhaltige Stabilität vor Ort zu sichern.
Unsere Organisationen tragen zu einer Welt bei, in der die „internationale Gemeinschaft“ von Menschen gestaltet wird, die von ihrem örtlichen Gemeinwesen aus zusammen arbeiten. Sie erhalten ihre Kraft und ihre Legitimation von der Basis der Gesellschaft. Wir arbeiten mit unseren Gemeinwesen daran, von der Resignation des „Ich kann nicht!“ zur Zuversicht „Wir können es gemeinsam!“ zu kommen .So stellen wir uns der Zukunft mit Leidenschaft und mit der Vision von der Zusammengehörigkeit der Menschen.
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Zur Information:
Im letzten Rundbrief haben wir das Konzept für ein Modellprojekt „Community Care – Leben in Nachbarschaft bis ins hohe Alter“ veröffentlicht. Nach Bewilligung eines Förderantrages durch das Deutsche Hilfswerk ist das Projekt Anfang Juni mit drei Mitgliedseinrichtungen in drei Bundesländern gestartet. Beteiligt sind das Nachbarschaftsheim Schöneberg in Berlin, das Quäker-Nachbarschaftsheim in Köln und das Nachbarschaftshaus Wiesbaden.
Leserbrief zu Rundbrief 2/2004 Karl-Fried Schuwirth, langjähriger Leiter des Nachbarschaftshauses Wiesbaden und seit Januar 2005 frischgebackener „Ruheständler“ hat uns als Reaktion auf das o.g. Konzept das folgende Papier geschickt, das er hiermit zur Diskussion stellt.
ANIA* Aktives Netzwerk im Alter Gerade habe ich den Ruhestand erreicht. Mit 63 Jahren bin ich durchaus noch nicht so ruhebedürftig, wie es meine derzeitige Freizeit hergibt. Statistisch gesehen liegen ca. 15 Jahre vor mir, in denen ich viele Möglichkeiten haben, mich zu engagieren und aktiv Aufgaben zu übernehmen. Dazu bin ich auch bereit, wenn sie wirklich sinnvoll sind. Danach kommen dann – statistisch gesehen – weitere 15 Jahre auf mich zu, in denen ich zunehmend auf Hilfe angewiesen sein werde. Zunächst werden es Kleinigkeiten sein, die ich von anderen brauchen werde, später wird dann fremde Hilfe Grundlage zum Überleben werden. Heute habe ich all das, was ich später brauche, kann es aber nicht einbringen. Später werde ich auf all das angewiesen sein, was ich jetzt habe, aber nicht einbringen kann. Ganz klar ist das ein Problem unserer Gesellschaft. – Ein wirklich großes Problem! - Vielleicht das größte, das auf unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren zukommt. Menschenwürdiges Altern war schon immer eine Herausforderung an die Gesellschaft. Zu jeder Zeit konnte man die Menschlichkeit einer Gesellschaft daran messen, wie sie mit Kindern und alten Menschen umgeht. Bisher war klar: Die Jungen sorgen für die Alten, so wie früher die Eltern für die Kinder gesorgt haben. Der „Generationenvertrag“ war die Grundlage, nicht nur für die Rente.
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Schon immer war dies eine hohe moralische Anforderung für die Familien ebenso wie für die alten Menschen. Oft erforderte sie außergewöhnlich hohe Belastungen für die Familien – ebenso wie für die alten Menschen. Fast in jeder Familie gibt es dazu eindrucksvolle Geschichten. Die Zukunft aber wird hier völlig neue Maßstäbe setzen. In Zukunft wird die Bewältigung des menschenwürdigen Alterns ein weit größeres Problem werden, als wir es uns derzeit vielleicht vorstellen können. Alle Modelle, wie früher Menschen alt werden konnten, versagen - heute und in Zukunft - beim Blick z.B. auf die • sich entwickelnde Alterspyramide und die Bevölkerungsprognosen • Bedürfnisse der Menschen mit steigender Lebenserwartung • Tragfähigkeit von Familien und deren Bestand • Entwicklung von Haushaltsgröße und Verbindlichkeit von Lebensgemeinschaften • Wohnkultur und Wohnbedürfnisse von Alten und Jungen • Kostenentwicklung von Serviceleistungen (z.B. für Haushilfe und Pflege) • Rentenprognosen und deren Finanzierung. Das Potenzial, hier gegenzusteuern, liegt keinesfalls in der weiteren Belastung der Jungen. Es ist aber da. Es liegt brach und ist ungenutzt. Viele, leider allzu viele sind es, deren berufliche Perspektive am Ende ist, die keine Möglichkeit sehen, beizutragen zur Verbesserung ihres derzeitigen Lebensstandards, zur Verbesserung ihrer Lebensperspektive und zur Verbesserung ihrer Altersversorgung. Es müsste für sie eine Möglichkeit geben, dieses brachliegende Potenzial einzubringen, also heute etwas Sinnvolles tun um damit Vorsorge zu treffen für morgen. Hier kommt ANIA. Die Vision eines aktiven Netzwerkes im Alter – einer Altersvorsorge, nicht durch finanzielle Absicherung sondern durch Einbindung in ein Netz gegenseitiger Hilfe zu unterschiedlichen Zeiten. Ein Netzwerk, in das man sich einbringen kann durch persönlichen Einsatz - zu einer Zeit, wo für angemessen dosierte „Nachbarschaftshilfe“ die Voraussetzungen stimmen: • verfügbare Zeit • Verfügung über Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die gefragt sind • Beweglichkeit und gesundheitliche Fitness • Verlässlichkeit und Bindung „mit Maß“ um Vorsorge zu treffen für eine Zeit, in der all das notwendig gebraucht wird.
Voraussetzung dafür, sich ernsthaft in ein solches Netzwerk einzubringen, wäre: Es müsste wirklich stabil sein und es müsste hinausreichen über reine Nachbarschaftshilfe zwischen benachbarten Haushalten: Es müsste • verlässlich und langlebig sein, eine gewisse Sicherheit bieten, damit mein heutiger Einsatz registriert wird um für morgen als „Vorleistung“ dokumentiert und gesichert zu sein • weite Verbreitung haben, damit es auch nach einem Umzug noch greift Im Prinzip haben Tauschringe Erfahrungen gesammelt, wie Tauschleistungen verbindlich in „Konten“ dokumentiert und als verbleibende Werte fortgeschrieben werden können. Deutlich ist aber, dass an die Verbindlichkeit von ANIA weit größere Anforderungen gestellt werden muss, weil die Zeitspanne zwischen den „Tauschleistungen“ weit größer ist als die Lebensdauer mancher bestehender Tauschringe. Deshalb sind aus heutiger Sicht dafür vordringlich Grundlagen zu schaffen: • Klärung einer Rechtsform, die ANIA die verlässliche Trägerschaft ermöglicht und ihre Identität absichert** • Klärung der finanz- und steuerrechtlichen Implikationen von ANIA • Klärung der Verwaltungsanforderungen an ANIA und Schaffung einer Dokumentationsgrundlage für den Austausch von Leistungen im Netzwerk • Marketing und Öffentlichkeitsarbeit für die Verbreitung von ANIA
Erläuterungen ANIA ist eine Vision. Sie entspricht dem Bedürfnis, Vorsorge fürs Alter zu treffen. Sie weicht ab von der Vorstellung des heutigen Generationenvertrages: Es gibt zwei Generationen: Die Jungen und die Alten: Die Jungen sorgen für die Alten, so wie sich früher die Alten um die Jungen gesorgt haben. Dieser „Generationenvertrag“ ist heute nicht mehr zusätzlich zu Lasten der Jungen belastbar. Dies wäre aber bei der sich verändernden Alterspopulation unausweichlich Es kommt zunehmend eine neue Altersgruppe ins Geschehen:„Die jungen Alten“, oder besser: Diejenigen, die aus dem Berufsleben ausgeschieden sind und aus unterschiedlichen Gründen auch nicht wieder ins Berufsleben zurückfinden werden, die aber keineswegs hilfebedürftig sind. Im Gegenteil: Sie möchten ihren gesellschaftlichen Einsatz durchaus bringen, wenn der denn gefragt ist und wenn er ihnen einen direkten Nutzen verspricht.
In der sich dramatisch verändernden Alterspyramide sind die Probleme des menschenwürdigen Alterns kaum mehr zu lösen, ohne diese Altersgruppe substantiell zu beteiligen. (Im Wesentlichen ist hier ihre Beteiligung im Servicebereich angesprochen.) Selbstverständlich muss der hier geforderte - zu nutzende und zu leistende - Service bezahlt werden. Die, die den Service erhalten möchten verfügen aber nicht über die finanziellen Mittel, den Service zu entgelten. Die, die den Service leisten können, werden in der Regel dazu nicht bereit sein, wenn er bezahlt wird, da die Vergütung die vorhandenen Versorgungsbezüge schmälern oder gefährden würde. (Das weite Feld der Schwarzarbeit in diesem Bereich und auch das beeindruckende Feld der nach wie vor bestehenden unentgeltlichen familiären und nachbarschaftlichen gegenseitigen Hilfe lassen wir hier unberücksichtigt). Es muss also eine Vergütung gefunden werden, die motiviert und nicht zusätzlich belastet. Das Problem der Altersvorsorge betrifft alle ab dem Zeitpunkt des beruflichen Engagements bis zum Lebensende. Alle sind gefordert und auch motiviert, für ihre Altersversorgung beizutragen. Während der beruflichen Entlohnung gibt es für die Altersversorgung gesetzliche Vorgaben, Sozialleistungen zu erbringen, die der Altersversorgung dienen. Viele, die die heutige Rentenentwicklung bewusst verfolgen, sind bereit, über die gesetzlichen Grundlagen hinaus finanzielle Rücklagen zur Altersversorgung zu erbringen. Wer aber nicht mehr im Berufsleben steht, hat kaum mehr finanzielle Möglichkeiten, zur Altersversorgung beizutragen. Worüber diese Altersgruppe verfügt, ist freie Zeit. Viel Zeit, die vielfach nicht mehr sinnvoll (z.B. zur Altersvorsorge) genutzt werden kann und damit den eigenen Alterungsprozess beschleunigt (wenn nicht der riesige Wachstumsmarkt „Unterhaltung und Freizeit“ wegen fehlender finanzieller Ressourcen ausreichend bedient und genutzt werden kann). Hier setzt die Vision von ANIA ein: Ein Zeittauschmark: Heute die Zeit investieren, die morgen bei Bedarf abgerufen werden kann. Eine Kombination der Ideen einer Zeittauschbörse und einer Altersversicherung: Heute Zeit in den erforderlichen Service einbringen, die morgen, wenn sie denn zur Linderung der eigenen Alterungsprobleme benötigt wird, abgerufen werden kann. Selbstverständlich bedarf es für den Aufbau eines solchen Systems zur Altersvorsorge, für den Aufbau eines aktiven Netzes zur Gestaltung eines menschenwürdigen Alterns, eine nicht zu unterschätzendes Management. Anknüpfen könnte man an die vielfältigen Selbsthilfegruppen und Tauschbörsen in fast allen Kommunen
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und Landkreisen, die letztlich das gleiche Ziel verfolgen, oftmals mit einem caritativen Hintergrund, der durchaus als Grundlage tragen kann. Ihnen müsste eine Organisationsform angeboten werden, die die eingebrachten Leistungen als Vorsorgeleistungen abzusichern vermag. Nicht zu verkennen sind die „Einstiegsprobleme“: Wer heute bereits Serviceleistungen zur Altersbewältigung benötigt, ist vielfach nicht(mehr) in der Lage, dafür Tauschleistungen zu erbringen oder sie adäquat zu entgelten. Denkbar wäre eine Teilentgeltung: Ein als Aufwandsentschädigung zu bezahlender Beitrag (von z.B. derzeit 5 Euro /Stunde) für die heute erhaltene Leistung. Dieser Betrag vergütet einen Aufwand, der aber nicht (ausschließlich) vom Serviceleistenden erbracht wird, sondern auch von der Organisation, die diese Leistung als Altersvorsorge sichert. Entsprechend könnte er (teilweise) zur Stützung dieser Organisation sowie für deren „Zukunfts-Sicherungsfond“ eingesetzt werden. Die Gemeinnützigkeit dieses „Zeittausches“ sollte im Vordergrund bleiben: Im Vordergrund steht nicht eigener Gewinn, sondern die Einbindung in ein Netzwerk der gegenseitigen nachbarschaftlichen Hilfe. Auch aus Finanz- und Steuerrechtlichen Erwägungen sollte dieser Gesichtspunkt deutlich herausgestellt bleiben. Das „Netzwerk: Es könnte auf mehreren Ebenen erreicht werden: Virtuell: „anianet.de“ könnte die Plattform sein für die Organisation von ANIA: •
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home: Signet und Kurzdarstellung. Darunter: o Was ist ANIA: Darstellung der Idee und Hinweise, wie kommt man dran o
Interessenten-Registrierung: Hier kann man sich eintragen als Interessent(in) um ANIA zu nutzen oder um Mitgliedschaft zu beantragen
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ANIAnet in ihrer Nähe: Eine Suchmaschine für ANIA - Organisationen nach Postleitzahlen geordnet (oder zunächst eine Aufzählung von Adressen, die an Ort den Zugang zu ANIA ermöglichen - nach Postleitzahlen geordnet)
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ANIA-Satzung: Hier könnte die Mustersatzung zum Aufbau von ANIA vor Ort dargestellt werden (Genossenschafts-Mustersatzung)
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wer sind wir: Darstellung der Organisation (im Aufbau) – Adresse der Organisationsbetreiber
Real: Gemeinnützige Genossenschaften vor Ort: Wahrscheinlich ist es sinnvoll, in Kreisen und kreisfreien Städten selbständige Einheiten von ANIA zu gründen ( etwa – gemeinnützige Genossenschaften nach einer Mustersatzung). Zur Initiative dafür werden Tauschringe oder Selbsthilfegruppen vor Ort beworben. Es müsste ihnen das Angebot gemacht werden, eine zuvor geprüfte Organisationsstruktur zu übernehmen. Es könnte auch die Möglichkeit der Zertifizierung angeboten werden, die von einer Dachorganisation durchgeführt wird. Dies würde die Tragfähigkeit und Langlebigkeit von ANIA vor Ort absichern.
karl-fried@schuwirth.de
* „ANIA“ ist der vorläufige Arbeitstitel, gefunden in einer schlaflosen Nacht von Edgar Bergner, Zimmern o.R. ** Aus heutiger Sicht könnte die Bildung einer gemeinnützigen Genossenschaft den Anforderungen am Ehesten gerecht werden
Leserbrief (zum Hartz IV-Artikel im Rundbrief 2/2004) Patchwork MK Dechant-Röper-Str.1 58706 Menden Sehr geehrte Damen und Herren, wir möchten Ihnen unsere momentane Situation darstellen. Wir haben uns hier in Menden mit ca. 30 betroffenen Familien zusammengeschlossen, um auf juristischem und politischem Wege eine Änderung zu erwirken. Seit der Einführung des Hartz 4 - Konzeptes sind die sog.„Patchwork - Familien „ stark benachteiligt. Durch die Neuregelung werden nun die Stiefelternteile mit Ihrem gesamten Vermögen und Gehalt in die neu geschaffene Bedarfsgemeinschaft mit einberechnet. Dazu kommt es zu Einbußen in den Familien von bis zu 1000 im Monat, die nicht aufzufangen sind. Der Kindesunterhalt, der von den leiblichen Elternteilen nicht oder nicht in genügendem Umfang geleistet wird, muss jetzt durch den Stiefelternteil aufgefangen werden. In vielen Fällen zahlen die Stiefelternteile noch zusätzlich Unterhalt für ihre eigenen Kinder aus erster Ehe. Ohne von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein, werden so komplette Familien zu Sozialfällen gemacht, da sie durch ihre Wahl der Familienkonstellation auf Sozialhilfeniveau abrutschen. Würden sie nicht mehr arbeiten gehen, hätten sie nur unwesentlich weniger für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung. Ist das nicht ein Widerspruch in sich ? Insgesamt bedeutet das, dass die Stiefelternteile durch die Bedarfsgemeinschaft gezwungen werden, „Unterhalt“ zu zahlen für Kinder, die nicht ihre eigenen sind. Natürlich ist damit nicht der reguläre Kindesunterhalt gemeint. Der Stiefelternteil ersetzt innerhalb der Bedarfsgemeinschaft die Unterhaltsleistungen, die vom eigentlich unterhaltspflichtigen Elternteil nicht geleistet werden. Dieser wiederum wird in von der ARGE in keinster Weise angetastet. All diese Familien haben in der Vergangenheit versucht, auf juristischem Wege in zivilen und strafrechtlichen Prozessen den Unterhalt der Kinder einzuklagen, leider jedoch in vielen Fällen ohne bemerkenswerten Erfolg. Offensichtlich lässt das Unterhaltsgesetz viel Freiraum für Unterhaltspflichtige, um sich den Zahlungen zu entziehen. Da sich die Stiefeltern mittlerweile in großer finanzieller Notlage befinden, wird für viele
Familien nur der Weg bleiben, sich zu trennen. In diesem Fall wären die Kinder durch das UVG wieder versorgt und der Stiefelternteil wieder finanziell nahezu unabhängig. Kann das Sinn einer zukunftsorientierten Familienpolitik sein ? In unseren Ohren klingen die Reden der Politiker zur Verbesserung der Situation von Familien wie Hohn! Ist nicht in unserem Grundgesetz die Rede von der Familie als „Keimzelle des Staates“ ? Wir dagegen müssen gerade erfahren, dass Familien gerade mit mehreren Kindern durch staatlichen Willen ins soziale Abseits gedrängt werden. Auf juristischem Wege konnten wir bereits Beschlüsse erkämpfen, in denen uns die Gerichte eindeutig Recht geben. Leider hat sich die Hoffnung, jetzt auch von Amts wegen Recht zu bekommen, nicht erfüllt. Wir haben uns über die Vorgehensweise informiert, mit der wir jetzt zu rechnen haben. Die ARGE reagiert auf Beschlüsse des Sozialgerichtes ( in unseren Fällen des Sozialgerichtes Dortmund ) mit dem Antrag, diese Anordnung abzuweisen. Das ganze Verfahren wird nun zur NRW - ARGE weitergegeben. Diese wiederum wird in der zweiten Instanz über das Landessozialgericht Widerspruch einlegen usw. usw. Das bedeutet für die betroffenen Familien einen schier endlosen Rechtsstreit, den viele von ihnen finanziell nicht überstehen werden. Im Moment haben wir das Gefühl, den biblischen Spruch „ von Pontius zu Pilatus wandern“ mit Leben zu füllen!!! Wir haben zu vielen Politikern sowohl auf kommunaler als auch auf Bundesebene Kontakt aufgenommen. Alle geben uns Recht und sind überrascht, dass es diese Regelung überhaupt gibt. Unsere Wahlkreisabgeordete des Märkischen Kreise, MdB Frau Dagmar Freitag (SPD ) hat unseren Sachverhalt bereits an verschiedene , möglicherweise zuständige Stellen weitergeleitet; leider bisher ohne konkrete Ergebnisse. Wir hoffen, dass Sie durch Ihre fachliche Kompetenz schnell erkennen werden, welcher politische Irrsinn hier entstanden ist, der durch kein deutsches Gesetz gedeckt ist. Darum bitten wir Sie, sich für uns einzusetzen, denn Versprechungen und Briefe ohne Folgen haben wir schon genug bekommen. i.A. der IG Patchwork MK Judith Luig-Schierhorn und Christof Luig Unterlagen der Gerichte unter den Aktenzeichen: Sozialgericht Düsseldorf Az.: S 23 AS 104/05 ER Sozialgericht Aurich Az.: S25 AS 6/05 ER Sozialgericht Schleswig AZ.: S1 AS 51/05 ER
Wirtschaftsunternehmen und Nachbarschaftszentrum schließen ein Bündnis für Familien Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) und das Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in der ufafabrik e.V. haben am 18.April 2005 einen Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Inhalt ist die Förderung und Unterstützung der Familien von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BSR durch den Familienservice des NUSZ. Der Familienservice des NUSZ übernimmt die flexible Kinderbetreuung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BSR in den Fällen, in denen ein Kind erkrankt ist und zu Hause versorgt werden muss Eltern auf Grund betrieblicher Bedürfnisse (z.B. Dienst zu Zeiten in denen die Kitas ge schlossen sind, Fort- und Weiterbildungen) eine Kinderbetreuung benötigen Der Familienservice übernimmt darüber hinaus die Betreuung und Versorgung erkrankter oder Pflege bedürftiger Angehöriger von BSR Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So fing alles an: Bereits im Herbst 2002 begannen erste Kontakte zwischen NUSZ und BSR. Eine Personalvertreterin der BSR hatte aufgrund langjähriger Zusammenarbeit mit dem NUSZ Kenntnis über die KinderbetreuungsAngebote des NUSZ. Sie fragte beim NUSZ nach den Möglichkeiten flexibler Kinderbetreuung für Mitarbeiterinnen der BSR. Der Wunsch der Personalvertreterinnen und des Vorstandes der BSR war es, Kinderbetreuung sicherzustellen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Dienst, Fort-oder Weiterbildung zu Zeiten haben, während derer die Kitas geschlossen sind. Ein weiteres Angebot, das die BSR nutzt, ist die Betreuung und Versorgung erkrankter oder pflegebedürftiger Angehöriger von BSR Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Nach der ersten Kontaktaufnahme stellte die Personalvertretung dem Vorstand der BSR das gesamte Angebot des Familienservice in einem persönlichen Gespräch und mittels eines Flyers vor. Es folgte eine Zeit intensiver Gespräche und der Erarbeitung konkreter Schritte zur Umsetzung auch durch den Gesundheitsund Sozialdienst sowie die Gleichstellungsbeauftragte der BSR auf der einen Seite und die verantwortlichen Mitarbeiterinnen des NUSZ auf der anderen Seite. Die Mitarbeiter/innen der BSR besuchten das NUSZ und schauten sich das „Gesamtkunstwerk ufafabrik“ mit all
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seinen Möglichkeiten (18.000qm Gelände, Restaurant, Kinderbauernhof, Bioladen, Bäckerei, Dojo Sporthalle) an und gewannen so einen Eindruck davon, in welchem Rahmen der Familienservice arbeitet und auf welche Ressourcen sich die Arbeit stützt, die auch den BSR Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern künftig zur Verfügung stehen. Die Mitarbeiterinnen des NUSZ wiederum erhielten in den Räumen der BSR einen Eindruck von den vielfältigen sozialen und Gesundheits fördernden Möglichkeiten, die die BSR ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bietet. Durch die regelmäßigen Gespräche entstand eine Basis des Vertrauens und der gegenseitigen Sympathie auf beiden Seiten. Das ist meines Erachtens die wichtigste Grundlage einer gelingenden Partnerschaft zwischen einem Wirtschaftsbetrieb und einem sozialen Unternehmen. Den Nutzen aus dieser Partnerschaft haben die Familien, die rasch und flexibel Unterstützung erhalten, die BSR, weil sie mit ihrem positiven unterstützenden Handeln sowohl ein gutes Betriebsklima als auch hochmotivierte Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter erhält und das Nachbarschaftszentrum, das mit seinen hochmotivierten und qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Arbeitsplätze erhält und weitere schafft und so für Wohlstand und Wachstum in der Region und im Stadtteil sorgt. Noch einige Anmerkungen zum Familiennetzwerk des NUSZ Der Familienservice für Firmen ist Bestandteil eines umfassenden Familiennetzwerkes des NUSZ. Dieses Familiennetzwerk verfügt über ein weitgefächertes Angebot zur Förderung und Unterstützung von Familien, beginnend mit der Geburtsvorbereitung für Paare und allein Erziehende , Frühförderung erkrankter Babys, Krisenintervention für Eltern mit Kleinstkindern, die heftig und stundenlang schreien, Spiel-und Bewegungskurse für Eltern und Kinder, Elterntrainings für einen entspannten Familienalltag, Beratung in Erziehungsfragen, flexible Hilfen zur Erziehung, Kinderbetreuung rund um die Uhr in Gruppen oder einzeln, in unseren Kitas oder den Räumen der verschiedenen Nachbarschafts-, Familien und Kinder Treffpunkte über die Pflege und Versorgung erkrankter Menschen bis hin zur Begleitung Sterbender und ihrer Familienangehörigen. Ein wesentlicher Aspekt unseres Erfolges ist die Vernetzung und Zusammenarbeit mit allen Institutionen und Wirtschaftsbetriebe in der Region sowie die Qualitätssicherung und Entwicklung unserer Arbeit. Renate Wilkening Geschäftsführerin NUSZufafabrik e.V.
Sprengelhaus „Interkulturelles Gemeinwesenzentrum“ und Haus für Gesundheitsförderung in Berlin eröffnet. 7. April 2005, 16.00 Uhr. Frau Dr. Heidi Knake-Werner, Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz lüftet das Schild am Eingang Sprengelstrasse Nr. 15.
innerhalb von 10 Jahren beim privaten Vermieter „abgewohnt“ werden. Auf diese Weise gibt es für den entsprechenden Zeitraum ausgesprochen günstige Mietkonditionen. Die Trägerschaft des Hauses übernahm ein eigens dafür gegründeter Verein „GiS e.V.“ . Diese Vereinigung - Gemeinsam im Stadtteil - ist ein Zusammenschluss aus vielen Einzelinitiativen der Gesundheitsförderung, Gemeinwesenarbeit, Integration in die Arbeitswelt und der interkultureller Begegnung. Ehrenamtlich
Das Sprengelhaus ist damit offiziell eröffnet . Zu dem schon seit zwei Jahren bestehenden Büro mit Schaufenster im Vorderhaus sind im Hinterhaus noch 550 m² auf zwei Etagen hinzugekommen, die direkt über den Laden zugänglich sind. Nun erstrahlen im neuen Glanz parterre, ganz in weiß, ein Gymnastiksaal mit Spiegelwand und eine Etage höher, Schulungsund Büroräume. Die Idee ist vor 6 Jahren aus einer Befragung des Quartiermanagements im Kiez heraus geboren worden. Die Bevölkerung (ca. 15.000 Menschen leben in diesem Quartier, einem der sog. Programmgebiete der „Sozialen Stadt“) wünschten sich, jedenfalls die Befragten, an erster Stelle ein bürgernahes Nachbarschaftshaus. Ein Objekt wurde gefunden und 350.000 Euro aus Mitteln der Stadtentwicklung investiert. Die solchermaßen eingebrachte Summe kann nun
Dieser Verein als solcher arbeitet vollständig ehrenamtlich. Hauptamtliche Mitarbeiter/innen gibt es im Sprengelhaus nur als Angestellte der Einzelinitiativen oder –projekte, die das Haus mit tragen. Die Nutzergruppen sind aufgefordert, ihren Teil zur Miete beizutragen. D.h. konkret: 60% der Gruppen müssen 15 Euro pro Stunde für die Raummiete aufbringen, wenn bis zu 40% andere gemeinwesenorientierte Aktionen möglich werden sollen, über die keine Einnahmen erzielt werden können. Somit könnte sich der laufende Betrieb des Hauses ohne Dauersubventionierung von Bezirk oder Stadt/Land tragen. Damit bliebe das Sprengelhaus, im Bürokratendeutsch ausgedrückt „kostenneutral“. Also: Ein bemerkenswerter Finanzierungsweg für eine Nachbarschaftsinitiative in einer Zeit, in der die öffentliche Hand sich für außer Stand erklärt, entsprechende Kosten zu tragen. Sponsoren gesucht Sponsoren werden noch gesucht. Ganz fündig wurde man jedoch noch nicht. Auch die Firma Schering, Berlins weltweit operierender Pharmakonzern, mit seinem nahe gelegenen Firmensitz, hat noch nicht angebissen, die Schokoladenseite bürgerschaftlichen Engagements mitzufinanzieren. Der Vorstand des „Nachbarschaftsvereins mit Gesundheitsschwerpunkt“ hat, wie er bekennt, keinerlei Berührungsängste, eher Appetit, auch mit weiteren Unternehmen wie z.B. der namensgleichen Schokoladenfabrik (Sprengel) in Kontakt zu treten. Fürs Erste ist das Nachbarschaftsprojekt eine gelungene Initiative, die allerdings noch eine Menge weiterer selbstloser Anstrengungen braucht, wenn das Gesamtvorhaben von Erfolg gekrönt sein soll. Spannend bleibt vor allem die Frage: Wird es auf Dauer gelingen, ein solches Nachbarschaftshaus „kostenneutral“, d.h. ohne z u s ä t z l i c h e Fördermittel zu betreiben? Text und Bild Armin Emrich
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Stadteilzentren als starke Partner von Stadtteil- und Quartiersmanagement
zur Förderung von Selbsthilfe, Gruppen und Projekten), das derzeit mit 100.000 Euro ausgestattet ist.
Aus dem Impulsreferat zur 11. StS-Lenkungsrunde soziale Stadt am 13.05.05 Dr. E. Löhnert, PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Berlin
Warum sind Stadteilzentren „starke Partner“?
Das Programm „Soziale Stadt“ fokussiert u.a. darauf, der sozialen Spaltung in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe tragen Stadtteilzentren und Quartiersmanagement eine große Verantwortung. Im Rahmen der Stadtteilarbeit haben beide nicht nur viele Berührungspunkte, sondern auch identische Ziele und verfügen in der praktischen Zusammenarbeit bereits über bewährte Partnerschaften. Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und die damit verbundenen immer weniger zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel geben den Anlass über „Möglichkeiten der Mitwirkung von Stadtteilzentren in Quartiersgebieten“ neu nachzudenken. Dabei ist der Begriff der „starken Partner“ bereits Anspruch an Realität und Perspektive zugleich. Was bedeutet eigentlich der Begriff Stadtteilzentrum? Als Stadtteilzentren bezeichnen wir in Berlin programmatisch Einrichtungen oder lokale Verbundstrukturen, in denen die Angebotsspektren der Nachbarschaftshäuser und Selbsthilfekontaktstellen zusammengefasst sind. Die Aufgaben der Stadtteilzentren reichen, laut vertraglich vereinbartem Förderkonzept, von der Stärkung des bürgerschaftlichen und ehrenamtlichen Engagements sowie der Bürgerbeteiligung über das Angebot bürgernaher sozialer Dienste (Lebensqualität im Stadtteil) bis zu einer aktiven Rolle bei der Quartiersentwicklung im Sinne von Vernetzung und Integration. Hier gibt es bereits Berührungspunkte mit den Aufgabengebieten eines sog.„Stadtteilmanagements“: Über welche Ressourcen verfügen die Stadtteilzentren? 25 Nachbarschaftszentren gibt es, davon verfügt bis auf zwei Ausnahmen in jedem Bezirk mindestens eines über eine Basisförderung in Größenordnung ab etwa 80.000 Euro ( Es gibt kein Nachbarschaftszentrum, welches nicht zusätzlich über geförderte weitere Projekte verfügt, die Nachbarschaftsarbeit stärken) es bestehen 12 Selbsthilfekontaktstellen, in jedem Bezirk eine mit einer Ausstattung von in der Regel etwas mehr als 80.000 Euro und wir haben ein gesamtstädtisches Projekt, SEKIS (zentrale Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle
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Für Stadtteilzentren ist die Region, der Stadtteil die entscheidende Orientierung und der wichtigste Bezugspunkt. Sie bündeln und aktivieren alle Kräfte für eine nachhaltig wachsende Struktur. Quartiersmanagement hat dagegen eher die Funktion einer Agentur, verbunden mit der Chance, Impulse auszulösen und kampagnenartig Dinge in Bewegung zu setzen. Ziele unserer Partnerschaft könnten insofern sein: Mit der Kenntnis der sozialen Räume und ihrer Struktur, der Ressourcen aber auch der Probleme und besonderen Bedarfslagen die Bürger und Akteure in Bewegung bringen, auch überholte Strukturen und Versäulungen aufbrechen und Interessen für zeitgemäße Entwicklungen mobilisieren. Stadtteilzentren entstehen aus bürgerschaftlichem Engagement und leben vom bürgerschaftlichem Engagement. Sie stehen für eine „Entwicklung von unten“, für demokratische Teilhabe und den Gestaltungswillen von Bürgerinnen und Bürgern in dieser Gesellschaft. Welche besonderen Erfahrungen verpflichten Stadtteilzentren zur Zusammenarbeit? 1.
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Stadtteilzentren tragen durch ihr Angebot einer nachbarschaftsorientierten und wohnortnahen sozialen Grundversorgung direkt zur Förderung und Integration aller im Stadtteil lebenden Bevölkerungsgruppen bei. Stadtteilzentren verbinden die sozialpolitische mit der stadtentwicklungspolitischen Dimension. Ihre Aktivitäten sind gleichermaßen auf die Verbesserung von Lebenschancen für die Menschen und auf die gemeinwesenorientierte Entwicklung einer Region gerichtet. Damit verbunden ist die Aufgabe, alle bestehenden Ressourcen für die Entwicklung des Gemeinwesens zu erschließen. Stadteilzentren aktivieren und stützen die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Engagement für die Verbesserung der Lebensqualität in ihrem Stadtteil oder Kiez. Das wesentlichste Element hierbei ist eine demokratische Mitwirkung, die gesellschaftliche und politische Teilhabe gewährleistet.
Wie kann die weitere Entwicklung einer Partnerschaft zwischen Stadtteilzentren und Quartiersmanagement aussehen? 1.
Es sind vor einer Zusammenarbeit generell folgende Fragen zu klären:
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a) Was bringen wir zusammen auf den Weg, was getrennt? b) Welche Kommunikationsstrukturen sollen entwickelt werden? c) Welche Ressourcen werden eingebracht? Es müssen gemeinsame Handlungsfelder festgelegt werden. Die klare Definition von Ziel- und Aufgabenstellungen ist wichtig, um Doppelstrukturen zu vermeiden und effektive Wirksamkeit zu gewährleisten. Dabei müssen keine neuen Steuerungsrunden aufgebaut, sondern die maßgeblichen Partner/innen ganz praktisch zeitnah und umfassen informiert werden. Absprachen sollten unbürokratisch erfolgen, und vor allem verbindlich sein. Es muss die Frage gestellt werden, inwieweit Stadtteilzentren nicht nur Partner, sondern auch Akteure der Sozialen Stadt sein sollen. Konkret heißt das, es sollte geprüft werden, inwieweit Stadtteilzentren als Träger für Maßnahmen des Quartiers- und Stadtteilmanagements benannt werden können. Das dies ein überaus sinnvoller Ansatz ist, zeigen bereits bestehende Entwicklungen z. B. in der WernerDüttmann-Siedlung, Träger Nachbarschaftshaus Urbanstraße und im Quartiersmanagement Rollbergviertel, Träger Humanistischer Verband, LV Berlin e. V.. Es ist notwendig, bestehende Schnittstellen inhaltlich weiter auszuleuchten: - Evaluation von Beteiligungsformen und - Prüfung der Nachhaltigkeit von entwickelten Strukturen Gemeinsam abgestimmtes Einbinden weiterer Drittmittel, hier hat der PARITÄTISCHE gute Erfahrungen, so z. B. in Marzahn-Hellersdorf und Mitte (zusätzliche Förderung von Nachbarschaftsarbeit durch Stiftungsmittel) Jedes neue Vorhaben und Projekt sollte geprüft werden. In der Vergangenheit ist es nicht nur zuweilen geschehen, dass im Zuge des Quartiersmanagements dort Projekte entwickelt wurden, wo eigentlich eine Regelfinanzierungsstruktur (bes. Jugendhilfe, Seniorenangebote usw.) vonnöten gewesen wäre. Gerade der Verlagerung der Aktivitäten von QM auf soziale Aufgaben sollte entgegengewirkt werden, denn hier gibt es viele Partner, die eine höhere Kompetenz und größere Nähe zu den Betroffenen haben. Hier wäre eine Arbeitsteilung vorstellbar, die weniger zu Reibungsverlusten und zu einer besseren Einbindung der Projekte in die örtlichen Strukturen und regionalen Planungen führt. In diesem Sinne sollten ein Angebotsdenken verhindert und gezielte Maßnahmen initiiert werden, die auf die gesamte Entwicklung ei-
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nes Gebietes gerichtet sind. Bei der Finanzierung von Regelstrukturen dürfen der Bezirk und die Politik nicht aus der Verantwortung genommen werden. Neue bzw. erweiterte Quartiers- und Stadtteilmanagementgebiete erfordern auch eine verbesserte Feinabstimmung vor Ort. Die Akteure sollten darauf festgelegt werden, mit bezirklichen Gremien und Stadtteilzentren direkt zu kooperieren. Bei der Gestaltung der Stadtteilzentren ist eines unserer Erfolgsrezepte die direkte Abstimmung mit den Bezirken. Diese Erfahrung, inzwischen eine „best practice“, könnte zur gemeinsamen Handlungsgrundlage für die Zusammenarbeit von Quartiersmanagement und Stadtteilzentren gemacht werden.
Sollen die Stabilisierungen- und Aufwertungsprozesse langfristige und nachhaltige Wirkung erzielen, so sind bereits frühzeitig die in den einzelnen Stadtteilen liegenden Institutionen in die Quartiersverfahren einzubinden. Stadteilzentren stellen sich gern dieser Aufgabe, aber bei allen Kompetenzen, Erfahrungen und allem guten Willen – den haben die Stadtteilzentren aus Tradition – für zusätzliche Aufgaben benötigen die Stadtteilzentren auch zusätzliche Mittel. Dies gilt natürlich nicht nur für Stadtteilzentren, die in den Quartiersmanagement- bzw. Interventionsgebieten liegen, auch für Gebiete der Prävention und Verstetigung werden ausreichende Mittel gebraucht, um die Aufgaben und Ansprüche wirksam umzusetzen. Es ist zu begrüßen, dass die „Entwicklung starker Partnerschaften“ ein zentrales Element in der Neuausrichtung des Programms Soziale Stadt dargestellt. Allerdings ist davor zu warnen, den regelfinanzierten Einrichtungen zusätzliche Aufgaben aufzuerlegen und keine zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, denn diese Erwartungen können sie aufgrund des stetigen Abbaus von Fördermitteln heute nicht mehr erfüllen. Auch sind aufwendig finanzierte Zusatzprogramme zum Nachteil regelfinanzierter Einrichtungen zukünftig zu vermeiden.
Berlin, Mai 2005
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• Am 29. April 2005 feierte das Nachbarschaftshaus Urbanstraße in Berlin mit einem festlichen Empfang sein 50 jähriges Bestehen. Hier der Glückwunsch unseres Verbandes.
Grußwort zum 50jährigen Bestehen des NBH Urbanstr. Die Geschichte des Nachbarschaftshauses Urbanstr. ist in vielfältiger Weise mit unserem Verband verknüpft. An seiner Gründung waren Menschen aktiv beteiligt, die in der Zeit der Weimarer Republik mit Friedrich Siegmund-Schultze in der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost zusammengearbeitet hatten, die Mitglied unseres Vorläuferverbandes, des „Verbandes Deutscher Nachbarschaftssiedlungen“ gewesen war. Im Jahr 1956, ein Jahr nach seiner Gründung war das „Nachbarschaftsheim Urbanstr.“ Gastgeber der 7. Internationalen Konferenz unseres weltweiten Dachverbandes IFS (International Federation of Settlements and Neighbourhood Centres). Mit dieser Konferenz wurden die deutschen Nachbarschaftsheime und unser Verband, der damals den Namen „Verband Deutscher Nachbarschaftsheime“ trug, wieder als voll gleichberechtigte Partner in die internationale Gemeinschaft der Nachbarschaftszentren aufgenommen.
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Es hat in Krisen geratene Einrichtungen im Stadtteil „unter die Fittiche genommen” Es hat nach der „Wende” selbstlos mit Rat und Tat den Aufbau neuer Nachbarschaftshäuser im Ostteil der Stadt und im Land Brandenburg unterstützt
Das Nachbarschaftshaus Urbanstr. zeichnet sich auch dadurch aus, dass es sich mit Leib und Seele der anstrengenden Tugend der Kooperation verschrieben hat. Es gibt kaum eine neue Aktivität oder Innovation des Nachbarschaftshauses, an der nicht andere Partner aus dem Stadtteil als verantwortlich Mitwirkende beteiligt sind. Das Nachbarschaftshaus nutzt seine relative Stärke nicht dazu, Pluspunkte im Konkurrenzkampf mit anderen Stadtteilakteuren zu sammeln, sondern setzt sie dafür ein, tragfähige Netzwerke aufzubauen, neue Impulse zu setzen und Kräfte zu bündeln. Das gilt für den Aufbau des Tauschringes und der Freiwilligenbörse ebenso wie für die Mitwirkung beim Mikropolis-Projekt und bei der KiezAktivKasse, das gilt für die soliden Kooperationsbeziehungen mit der bezirklichen Selbsthilfekontaktstelle im Rahmen des Stadtteilzentrumsverbundes ebenso wie für die Kooperation mit dem Schulbereich mit dem Schülerclub Break. Wir wünschen dem Nachbarschaftshaus Urbanstr. alles Gute für seine weitere Arbeit, bei der es sich, auf gute Tradition gestützt, weiterhin mutig neuen Herausforderungen stellen und für unseren Verband ein wertvolles Mitglied, ein wichtiger Partner und ein ermutigendes Beispiel sein und bleiben wird.
Viele Jahre war Elisabeth von Harnack zugleich Vorstandsmitglied des Nachbarschaftsheims Urbanstr. und der Berliner Landesgruppe unseres Verbandes. 1969 hat sich das „Nachbarschaftsheim Urbanstr.“ aus unserem Verband zurückgezogen, weil es mit dessen (neuem) Kurs nicht einverstanden war, der sich u.a. in der Umbenennung zu „Verband für sozial-kulturelle Arbeit“ manifestierte. Es war der neue Leiter des Hauses, Wolfgang Hahn, der 1984 das Nachbarschaftsheim wieder in unseren Verband zurückbrachte und sich in der Folgezeit auch persönlich stark für den Verband, insbesondere als langjähriges ehrenamtliches Vorstandsmitglied engagierte. Unser Verband weiß es zu schätzen, dass dieses Nachbarschaftshaus sich immer wieder in beispielhafter Weise nicht nur um seine „eigenen Angelegenheiten“ gekümmert hat, sondern die Entwicklung der Nachbarschaftsbewegung insgesamt im Auge hatte: •
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Es hat neuen Initiativen dabei geholfen, Nachbarschaftshäuser ins Leben zu rufen
(Monika Schneider, Vorsitzende)
Aus Anlass des Jubiläums hat das Nachbarschaftshaus eine Broschüre unter dem Titel „50 Jahre mittendrin“ herausgegeben, die eine ausführliche Darstellung der Geschichte des Hauses und seiner Nachbarschaftsarbeit enthält. Die Broschüre kann zum Selbstkostenpreis von 5 Euro im NHU Urbanstr. 21, 10961 Berlin oder über E-mail an gekko@nachbarschaftshaus.de bestellt werden.
Nachbarschaftswettbewerb
Ankündigung Jahrestagung 2005
Netzwerk Nachbarschaft Wo wohnen die kreativsten Nachbarn 2005?
Jahrestagung Stadtteilarbeit 2005: Stadtteilzentren im Wandel 16.-18.11.05 im Stadtteilzentrum Kronsberg (Hannover)
Nach dem großen Erfolg im letzten Jahr geht der Wettbewerb „Netzwerk Nachbarschaft“ 2005 in die zweite Runde. Der Finanzpartner BHW und SCHÖNER WOHNEN weiten ihre Suche nach den engagiertesten und kreativsten Nachbarschafts-Initiativen aus. Neu: Pro Bundesland wird ein Sieger-Modell prämiert. Die Sieger erhalten Urkunden und Geldpreise im Gesamtwert von 16.000 Euro. Dazu gibt es viele attraktive Sonderpreise - zum Beispiel für die beste Senioren-WG, die kreativste Spielplatz-Initiative oder auch die schönste Begrünungsaktion. Das ist gefragt Nachbarn, die sich gegenseitig unterstützen - zum sozialen und wirtschaftlichen Nutzen aller Wohn-, Haus- und Straßengemeinschaften, welche die Lebens- und Wohnqualität aller erhöhen Initiativen für ein schöneres Wohnumfeld (gemeinsam begrünte Dachterrassen, HinterhofOasen oder Freizeiteinrichtungen) Aktionen für selbst betriebene Kindergärten oder generationenübergreifende Nachbarschaftshilfe Initiativen für Haus- oder Straßenfeste, Tauschbörsen, innovative Nachbarschaftsläden oder Vereine Machen Sie mit! Sie selbst wohnen inmitten einen engagierten Nachbarschaft? Sie kennen Menschen, die sich sehr für ihre Nachbarn einsetzen. Dann bewerben Sie sich mit einer Beschreibung und Fotos: Was zeichnet ihre Gemeinschaft aus? Was haben Sie bisher erreicht? Können auch andere Nachbarschaften davon profitieren? Senden Sie Ihre Bewerbung an: AMG Hamburg Stichwort „Netzwerk Nachbarschaft“ Goernestr. 30 20249 Hamburg Oder per E-Mail an nachbarschaft@amg-hamburg.de Einsendeschluss ist der 15. August 2005. weitere Informationen unter: http://www.bhw.de/content/Service/ WettbewerbNachbarschaft/
Der „Demographische Wandel“ hat vor allem in den neuen Bundesländern und im Ruhrgebiet bereits zu gravierenden Veränderungen geführt, die zukünftig noch deutlich stärker und – mehr oder weniger intensiv – alle Teile der Bundesrepublik und (in abgeschwächter Form) auch die europäischen Nachbarländer erreichen werden: Die Kinderzahlen sind stark rückläufig, dies führt zu insgesamt niedrigeren Einwohnerzahlen, zu höheren Anteilen an Migranten und älteren Personen. Viele Stadtteile (allen voran die mit niedrigerer Lebensqualität) werden „schrumpfen“ mit der Folge, dass auch die Infrastruktur ausgedünnt wird: Vor allem Schulen, Kindertagesstätten und Jugendzentren werden im Bestand hinterfragt, generationsübergreifende und/oder multikulturelle Angebote müssen ausgeweitet, ressortübergreifende Aufgabenkombinationen in den verbleibenden Infrastrukturen entwickelt werden, Themenfelder wie „Qualifizierung“, „Beschäftigung“,„Gesundheit“ und „Agenda21“ breiteren Eingang in die Stadtteilarbeit finden. Stadtteilzentren als sozialraumbezogene Mittelpunkte sozialer und kultureller Infrastruktur stehen in besonderer Weise vor der Aufgabe, Lösungen für diese gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft zu bieten. Welche Praxisfelder, welche Kooperationsformen, welche Zielgruppen werden die Stadtteilarbeit der Zukunft bestimmen? Gibt es bereits heute gute Beispiele, die weiter entwickelt werden können? Die Jahrestagung Stadtteilarbeit 2005 zum Thema „Stadtteilzentren im Wandel“ versucht, durch einführende Referate und vor allem durch beispielhafte Praxisprojekte Anregungen zugeben für die Weiterentwicklung der eigenen Stadtteilarbeit. Termin: 16.-18.11.05 Ort: Hannover, Stadtteilzentrum Kronsberg Kosten: 120,- Euro(incl. Verpflegung, ohne Übernachtung) Das vollständige Veranstaltungsprogramm wird ca. Ende Juni unter www.stadtteilarbeit. de im Internet veröffentlicht. Veranstalter: • Verband für sozial-kulturelle Arbeit • Stadt Hannover • Internetportal www.stadtteilarbeit.de
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Gl端cksSpirale Der Rundbrief erscheint mit finanzieller Unterst端tzung der Gl端cksspirale