ISSN 0940-8665 44. Jahrgang / Oktober 2008 5,00 Euro
Rundbrief 2
2008
• Nachbarschaftsheime • Bürgerzentren • Soziale Arbeit • • Erfahrungen • Berichte • Stellungnahmen •
In dieser Ausgabe: •
Barack Obama als Community Organizer
•
Nachbarschaftsheim Wuppertal 60 Jahre
•
Hanna Jordan
•
Nachbarschaftshäuser auf dem Weg in die Bürgergesellschaft
•
Offene Bereiche in Nachbarschaftsheimen
•
IntegrationslotsInnen im Soldiner Kiez
•
Community Care
Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.
Der Rundbrief wird herausgegeben vom Verband f체r sozial-kulturelle Arbeit e.V. Tucholskystr. 11, 10117 Berlin Telefon: 030 280 961 03 Fax: 030 862 11 55 email: bund@sozkult.de internet: www.vska.de Redaktion: Herbert Scherer Gestaltung: Direct Smile GmbH Druck: Druckerei Alte Feuerwache GbR, Berlin Der Rundbrief erscheint halbj채hrlich Einzelheft: 5 Euro inkl. Versand
Titelbild: Collage 60 Jahre Nachbarschaftsheim Wuppertal
Inhalt Barack Obama: „Warum Organisieren? Probleme und Aussichten in den Innenstadtgebieten”
4
Olaf Reitz: „Zum 60jährigen Bestehen des Nachbarschaftsheims Wuppertal”
11
Hanna Jordan: “Die ‘Stunde Null’ - Wat nu? Das ‘NABA’ wird 60.”
12
Anna Linsel: Auszüge aus der Hanna-Jordan-Biographie ‘Weltentwürfe’
12
Birgit Monteiro: “Wie offen sind offene Bereiche in Nachbarschaftsheimen?”
21
Planwerkstatt: Koordinierungsstelle Generationengärten (im Aufbau)
30
Georg Zinner: “Nachbarschaftshäuser auf dem Weg in die Bürgergesellschaft”
31
Nachbarschaftshaus Prinzenallee: Aus dem Abschlussbericht zum Projekt IntegrationslotsInnen im Soldiner Kiez
36
Community Care - Colloquium zum Projektabschluss
45
Nachruf auf Gudrun Israel
52
Jahrestagung 2008: Familien-Netze
54
Vorwärts und nicht vergessen Das könnte ein Motto für diesen Rundbrief sein. Alle Beiträge haben in der einen oder anderen Weise mit der Erinnerung an Vergangenes, mit einem wachen Blick auf die Gegenwart und mit einer handlungsbetonten Zukunftsorientierung zu tun. Ein Aufsatz aus der Feder des jungen Barack Obama, der in wenigen Tagen Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte, erinnert uns daran, dass nicht nur die nach dem 2. Weltkrieg neu gegründeten Nachbarschaftsheime sondern auch die Gemeinwesenarbeit ihre Wurzeln in den USA haben. Der Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird auch darin deutlich, dass das Nachbarschaftsheim Wuppertal am gleichen Tag, an dem es seinen 60. Geburtstag feiert, in das zukunftsweisende Mehrgenerationenhausprogramm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgenommen wird. Aus der Biographie der Ehrenvorsitzenden des Nachbarschaftsheims Hanna Jordan lässt sich mitnehmen, mit welcher Haltung auch schwerste Schicksalsschläge so bewältigt werden können, dass daraus Kraft erwächst, sich den anstehenden Aufgaben tatkräftig zuzuwenden. Birgit Monteiro hat sich in ihrer Untersuchung der ‚offenen Bereiche‘ in Nachbarschaftsheimen mit der Begriffsgeschichte befasst und eine undogmatische Betrachtung der aktuellen Erscheinungsformen dieses (möglicherweise) wichtigen Bestandteils der Nachbarschaftsarbeit vorgelegt. Georg Zinner beschreibt die „Erfolgsgeschichte“ der Nachbarschaftshäuser und leitet daraus eine Reihe künftiger Arbeitsschwerpunkte ab. Das ist auch der Tenor der beiden Auswertungen von Pilotprojekten, mit denen wir unseren Reigen beschließen: IntegrationslotsInnen im Soldiner Kiez (Berlin-Wedding) und Community Care (Berlin – Köln – Wiesbaden). Wir wünschen eine anregende Lektüre. Herbert Scherer
Gemeinwesenarbeit „the American way“ hoch im Kurs – Saul Alinsky-Schüler/innen greifen nach dem höchsten Staatsamt! Hillary Clinton hat ihre College-Abschlussarbeit über Saul Alinsky (*), den Begründer des „Community Organizing“ geschrieben. Dem Vernehmen nach hat sie sich sehr positiv über dessen Ansatz geäußert. Dem Vernehmen nach ...: - die Arbeit ist nicht mehr öffentlich zugänglich, seit Clintons Gegner in dem Text nach Belegen dafür zu suchen begannen, dass Hillary Clinton eine verkappte Linke sei, die sich vom angeblichen Kommunisten Saul Alinsky nicht ausreichend distanziert habe. Ganz offen geht hingegen ihr ehemaliger Kontrahent um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Barack Obama, damit um, dass er von Saul Alinsky gelernt hat. Er hat – im Gegensatz zu Hillary Clinton, die sich nur theoretisch mit Alinsky beschäftigt hat, als 24jähriger Absolvent der Columbia Universität begonnen, als Community Organizer in Chicago zu arbeiten (in den Jahren 1985-1988). Ein Aufsatz, den er in dieser Zeit (1988) geschrieben hatte, wurde zwei Jahre später im Sammelband „Nach Alinsky“ noch einmal veröffentlicht. Damit wird der Bezug zu diesem Altmeister des Organizing hergestellt. Noch heute kann man Barack Obama anmerken, dass er einmal durch diese Schule gegangen ist – in seiner Rhetorik, in der er immer wieder die großen Geschehnisse aus der Perspektive der „einfachen Leute“ beleuchtet, aber auch in der Art und Weise, wie er seine Kampagne durch die Mobilisierung von –zigtausend Kleinspenden finanziell untersetzt. Wir bedanken uns bei der University of Illinois in Chicago für die Erlaubnis, diesen Aufsatz übersetzen und in unserem Rundbrief veröffentlichen zu dürfen.
Ein Aufsatz des damals 24jährigen Barack Obama aus seiner Zeit als Community Organizer in Chicago (first published in the August/ September 1988 Illinois Issues [published by then-Sangamon State University, which is now the University of Illinois at Springfield)
(erste Veröffentlichung 1988 (August/September-Nr. der Illinois Issues, Sangamon State University, heute University of Illinois in Springfield)
reprint in: “After Alinsky: Community Organizing in Illinois” Chapter 4 (pp 35-40) (c) 1990 Illinois Issues, University of Illinois at Springfield
zit. nach „Nach Alinsky. Community Organizing in Illinois.“ Kapitel 4 - (c) 1990 Illinois Issues, University of Illinois at Springfield Übersetzt und veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der University of Illinois
4
Barack Obama Why Organize? Problems and Promise in the Inner City
Barack Obama Warum Organisieren? Probleme und Aussichten in den Innenstadtgebieten
Over the past five years, I’ve often had a difficult time explaining my profession to folks. Typical is a remark a public school administrative aide made to me one bleak January morning, while I waited to deliver some flyers to a group of confused and angry parents who had discovered the presence of asbestos in their school.
In den letzten fünf Jahren hatte ich häufig Schwierigkeiten, Menschen meinen Beruf zu erklären. Bezeichnend dafür ist die Bemerkung einer Verwaltungshelferin an einer öffentlichen Schule, die sie an einem grauen Januarmorgen machte, als ich darauf wartete, Flyer an eine Gruppe wütender Eltern auszuhändigen, die soeben entdeckt hatten, dass ihre Schule von Asbest befallen war.
“Listen, Obama,” she began. “You’re a bright young man, Obama. You went to college, didn’t you?” I nodded. “I just cannot understand why a bright young man like you would go to college, get that degree and become a community organizer.” “Why’s that?” “ ‘Cause the pay is low, the hours is long, and don’t nobody appreciate you.” She shook her head in puzzlement as she wandered back to attend to her duties.
„Hören Sie mal, Obama,“ begann sie.„Sie sind doch ein kluger junger Mann, Obama. Sie sind doch zum College gegangen, oder?“ Ich nickte. „Ich verstehe einfach nicht, wieso ein so aufgeweckter Mann wie Sie zum College geht, seinen Abschluss macht und dann Community Organizer wird.“ „Warum denn nicht?“ „...die Bezahlung ist schlecht, die Arbeitszeiten lang, und Anerkennung gibt es auch nicht.“ Sie schüttelte verwundert den Kopf, als sie sich davonmachte, um sich wieder ihren Pflichten zu widmen.
I’ve thought back on that conversation more than once during the time I’ve organized with the Developing Communities Project, based in Chicago’s far south side. Unfortunately, the answers that come to mind haven’t been as simple as her question. Probably the shortest one is this: It needs to be done, and not enough folks are doing it. The debate as to how black and other dispossessed people can forward their lot in America is not new. From W.E.B. DuBois to Booker T. Washington to Marcus Garvey to Malcolm X to Martin Luther King, this internal debate has raged between integration and nationalism, between accommodation and militancy ,between sit-down strikes and boardroom negotiations. The lines between these strategies have never been simply drawn, and the most successful black leadership has recognized the need to bridge these seemingly divergent approaches. During the early years of the Civil Rights movement, many of these issues became submerged in the face of the clear oppression of segregation. The debate was no longer whether to protest, but how militant must that protest be to win full citizenship for blacks.
Ich habe mehr als einmal an dieses Gespräch gedacht, während ich mit dem Developing Communities Project im tiefsten Süden Chicagos beschäftigt war. Leider waren die Antworten, die mir in den Sinn kamen, nicht annähernd so einfach wie ihre Frage. Die kürzeste Antwort ist wohl: Es muss gemacht werden, und zu wenige tun es. Die Debatte darüber, wie Schwarze und andere verarmte Menschen in Amerika voran kommen können, ist nicht neu. Von W.E.B. DuBois über Booker T. Washington, Marcus Garvey, Malcolm X bis hin zu Martin Luther King schwankt diese interne Debatte zwischen Integration und Nationalismus, zwischen Verständigung und Militanz, zwischen Sitzstreiks und Verhandlungen in den Chefetagen. Trennlinien zwischen diesen Strategien wurden nie eindeutig gezogen, und die erfolgreichsten schwarzen Anführer hatten erkannt, dass diese scheinbar unvereinbaren Herangehensweisen kombiniert werden müssen. In den frühen Jahren der Bürgerrechtsbewegung sind viele dieser Themen angesichts der klaren Unterdrückung durch die Rassentrennung untergegangen. Es ging bei der Debatte nicht mehr darum, ob protestiert werden sollte, sondern nur noch darum, wie militant dieser Protest aussehen müsse, um für die Schwarzen die vollen Bürgerrechte zu gewinnen.
Twenty years later, the tensions between strategies have reemerged, in part due to the recognition that for all the accomplishments of the 1960s, the majority of blacks continue to suffer from second-class citizenship. Related to this are the failures - real, perceived and fabricated - of the Great Society programs initiated by Lyndon Johnson. Facing these realities, at least three major strands of earlier movements are apparent.
Zwanzig Jahre später sind die Spannungen zwischen den Strategien wieder zum Vorschein gekommen, was teilweise auf der Erkenntnis beruht, dass trotz aller Errungenschaften der 1960er Jahre die Mehrheit der Schwarzen weiterhin Bürger zweiter Klasse ist. Damit verbunden ist das - reale, wahrgenommen oder erfundene – Versagen der Great Society Programme, die von Lyndon Johnson eingeleitet wurden. Wenn man sich mit diesen Realitäten auseinander setzt, offenbaren sich mindestens drei zentrale Themen der früheren Bewegungen. Das erste und bekannteste Thema ist der akute Anstieg politischen Einflusses im ganzen Land. Harold Washington und Jesse Jackson sind eindrucksvolle Beispiele dafür, wie die Energie und Leidenschaft der Bürgerrechtsbewegung in Bewerbungen um traditionelle politische Ämter kanalisiert worden sind. Zweitens, es gab eine Wiederbelebung der Versuche, in der schwarzen Community die ökonomische
First, and most publicized, has been the surge of political empowerment around the country. Harold Washington and Jesse Jackson are but two striking examples of how the energy and passion of the Civil Rights movement have been channeled into bids for more traditional political power. Second, there has been a resurgence in attempts to foster economic development in the black community, whether through
5
local entrepreneurial efforts, increased hiring of black contractors and corporate managers, or Buy Black campaigns. Third, and perhaps least publicized, has been grass-roots community organizing, which builds on indigenous leadership and direct action.
Proponents of electoral politics and economic development strategies can point to substantial accomplishments in the past 10 years. An increase in the number of black public officials offers at least the hope that government will be more responsive to inner-city constituents. Economic development programs can provide structural improvements and jobs to blighted communities. In my view, however, neither approach offers lasting hope of real change for the inner city unless undergirded by a systematic approach to community organization. This is because the issues of the inner city are more complex and deeply rooted than ever before. Blatant discrimination has been replaced by institutional racism; problems like teen pregnancy. gang involvement and drug abuse cannot be solved by money alone. At the same time, as Professor William Julius Wilson of the University of Chicago has pointed out, the inner city’s economy and its government support have declined, and middle-class blacks are leaving the neighborhoods they once helped to sustain.
Neither electoral politics nor a strategy of economic self-help and internal development can by themselves respond to these new challenges. The election of Harold Washington in Chicago or of Richard Hatcher in Gary were not enough to bring jobs to inner-city neighborhoods or cut a 50 percent drop-out rate in the schools, although they did achieve an important symbolic effect. In fact, much-needed black achievement in prominent city positions has put us in the awkward position of administering underfunded systems neither equipped nor eager to address the needs of the urban poor and being forced to compromise their interests to more powerful demands from other sectors.
Self-help strategies show similar limitations. Although both laudable and necessary, they too often ignore the fact that without a stable community, a well-educated population, an adequate infrastructure and an informed and employed market, neither new nor well-established companies will be willing to base themselves in the inner city and still compete in the international marketplace. Moreover, such
6
Entwicklung voranzutreiben, sei es durch lokale unternehmerische Anstrengungen, die verstärkte Einstellung schwarzer Handwerker und Manager oder durch „Kauft Schwarz“-Kampagnen. Drittens, und vielleicht am wenigsten bekannt ist Community Organizing an der Basis, das auf der Führung durch Betroffene und auf der direkten Aktion beruht. Befürworter von Strategien politischer Wahlämter und wirtschaftlicher Entwicklung können auf wesentliche Errungenschaften der letzten zehn Jahre verweisen. Eine Zunahme schwarzer Inhaber öffentlicher Ämter bietet zumindest die Hoffnung, dass die Regierung mehr auf die innerstädtischen Wähler eingeht. Wirtschaftliche Entwicklungsprogramme können strukturelle Verbesserungen und Arbeit für verelendete Gemeinden liefern. Jedoch bietet aus meiner Sicht keiner der beiden Ansätze eine dauerhafte Hoffnung für wirklichen Wandel in den Innenstädten, solange sie nicht durch einen systematischen Community Organizing Ansatz unterstützt werden. Das liegt daran, dass die Probleme der Innenstädte komplexer und tiefer verwurzelt sind als jemals zuvor. Offene Diskriminierung wurde durch institutionellen Rassismus ersetzt, Probleme wie Schwangerschaften von Teenagern, Bandenzugehörigkeit und Drogenmissbrauch können nicht mit Geld allein gelöst werden. Professor William Julius Wilson von der University of Chicago hat darauf hingewiesen, dass zur selben Zeit die innerstädtische Wirtschaftkraft abnahm und Schwarze aus der Mittelklasse die Nachbarschaften, die sie einst am Leben erhalten haben, verließen. Weder die Strategie, Schwarze in politische Wahlämter zu bringen noch eine Strategie der wirtschaftlichen Selbsthilfe und interner Entwicklung können aus sich heraus Antworten auf diese neuen Herausforderungen geben. Die Wahl von Harold Washington in Chicago oder Richard Hatcher in Gary haben einen wichtigen symbolischen Effekt erreicht, aber sie reichten nicht, um Arbeitsplätze in die innerstädtischen Nachbarschaften zu bringen oder eine 50-prozentige Abbruchrate in den Schulen zu senken. Tatsächlich haben uns die dringend benötigten Erfolge Schwarzer in bedeutenden Ämtern in den Städten in die unangenehme Position gebracht, unterfinanzierte Systeme zu verwalten, die weder dafür ausgerüstet noch interessiert sind, sich an den Bedürfnissen der städtischen Armen zu orientieren. So sind sie gezwungen, deren Interessen zu Gunsten der mächtigeren Forderungen anderer Sektoren zu vernachlässigen. Selbsthilfestrategien zeigen ähnliche Begrenztheit. Obwohl sie sowohl lobenswert als auch notwendig sind, ignorieren sie häufig die Tatsache, dass ohne eine stabile Community, eine gebildete Bevölkerung, eine adäquate Infrastruktur und einen informierten und beschäftigten Markt, weder neue noch etablierte Firmen bereit sind, sich in der Innenstadt anzusiedeln
can and have become thinly veiled excuses for cutting back on social programs, which are anathema to a conservative agenda.
und gleichzeitig im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Zusätzlich können solche Herangehensweisen leicht verhüllte Ausreden sein, um Sozialprogramme zu kürzen, die der konservativen Agenda ein Dorn im Auge sind.
In theory, community organizing provides a way to merge various strategies for neighborhood empowerment. Organizing begins with the premise that (1) the problems facing inner-city communities do not result from a lack of effective solutions, but from a lack of power to implement these solutions; (2) that the only way for communities to build long-term power is by organizing people and money around a common vision; and (3) that a viable organization can only be achieved if a broadly based indigenous leadership - and not one or two charismatic leaders - can knit together the diverse interests of their local institutions.
Theoretisch liefert Community Organizing einen Weg, verschiedene Strategien zur Stärkung von Nachbarschaften zusammen zu führen. Organizing beruht auf der Annahme, (1) dass die Probleme, mit denen die innenstädtischen Gemeinden konfrontiert sind, nicht von einem Mangel an wirksamen Lösungen herrühren, sondern von einem Mangel an Macht, diese Lösungen umzusetzen, (2) dass der einzige Weg für Nachbarschaften, längerfristig stark zu werden, ist, Menschen und Geldmittel um eine gemeinsame Vision herum zu organisieren; und (3) dass brauchbares Organizing nur erreicht werden kann, wenn sich eine breit verankerte Führungsgruppe aus Stadtteilbewohnern bildet – und nicht nur ein oder zwei charismatische Führungspersönlichkeiten – die die unterschiedlichen Interessenlagen ihrer örtlichen Institutionen verknüpfen kann.
This means bringing together churches, block clubs, parent groups and any other institutions in a given community to pay dues, hire organizers, conduct research, develop leadership, hold rallies and education campaigns, and begin drawing up plans on a whole range of issues - jobs, education, crime, etc. Once such a vehicle is formed, it holds the power to make politicians, agencies and corporations more responsive to community needs. Equally important, it enables people to break their crippling isolation from each other, to reshape their mutual values and expectations and rediscover the possibilities of acting collaboratively - the prerequisites of any successful self-help initiative.
Das bedeutet, Kirchen, Nachbarschaftsclubs, Elterngruppen und andere Institutionen in einem Gemeinwesen zusammen zu bringen, damit sie Beiträge zahlen, Organizer anstellen, Forschung betreiben, Führungskräfte hervorbringen, Demonstrationen und Bildungskampagnen abhalten und Pläne für eine ganze Reihe von Themen - Arbeit, Bildung, Verbrechen etc – machen. Wenn das erst einmal angelaufen ist, hat es die Macht, Politiker, Behörden und Unternehmen dazu zu bewegen, sich mehr um die Bedürfnisse der Nachbarschaften zu kümmern. Genauso wichtig ist, dass es den Leuten ermöglicht, die sie behindernde Isolierung voneinander zu durchbrechen, ihre gemeinsamen Werte und Erwartungen zu entwickeln und die Kraft gemeinsamen Handelns zu entdecken -- die Voraussetzungen jeder erfolgreichen Selbsthilfeinititative. Mit diesem Ansatz haben das Developing Communities Project und andere Organisationen in Chicagos Innenstadt einige beeindruckende Resultate erreicht. Schulen sind jetzt mehr rechenschaftspflichtig, JobTrainings-Programme wurden eingerichtet, Wohnraum wurde renoviert und neu geschaffen; städtische Dienstleistungen wurden erbracht; Parkanlagen wieder hergerichtet; Kriminalitäts- und Drogenprobleme wurden eingeschränkt. Außerdem haben jetzt ganz normale Leute Zugang zu den Schalthebeln der Macht und es wurde eine große Menge lokaler zivilgesellschaftlicher Führung entwickelt. Aber das Organisieren der schwarzen Community steht auch enormen Problemen gegenüber. Ein Problem ist die nicht ganz unbegründete Skepsis, auf die viele Organizer in den Stadtteilen treffen. Chicago war zu einem großen Teil der Geburtsort des Community Organizing und die Stadtlandschaft ist mit den Skeletten vorheriger Anstrengungen übersäät. Viele der
By using this approach, the Developing Communities Project and other organizations in Chicago’s inner city have achieved some impressive results. Schools have been made more accountable-Job training programs have been established; housing has been renovated and built; city services have been provided; parks have been refurbished; and crime and drug problems have been curtailed. Additionally, plain folk have been able to access the levers of power, and a sophisticated pool of local civic leadership has been developed.
But organizing the black community faces enormous problems as well. One problem is the not entirely undeserved skepticism organizers face in many communities. To a large degree, Chicago was the birthplace of community organizing, and the urban landscape is littered with the skeletons of previous efforts. Many of the best-intentioned members of the community
7
have bitter memories of such failures and are reluctant to muster up renewed faith in the process. A related problem involves the aforementioned exodus from the inner city of financial resources, institutions, role models and jobs. Even in areas that have not been completely devastated, most households now stay afloat with two incomes. Traditionally, community organizing has drawn support from women, who due to tradition and social discrimination had the time and the inclination to participate in what remains an essentially voluntary activity. Today the majority of women in the black community work full time, many are the sole parent, and all have to split themselves between work, raising children, runninga household and maintaining some semblance of a personal life - all of which makes voluntary activities lower on the priority list.
Additionally, the slow exodus of the black middle class into the suburbs means that people shop in one neighborhood, work in another, send their child to a school across town and go to church someplace other than the place where they live. Such geographical dispersion creates real problems in building a sense of investment and common purpose in any particular neighborhood.
8
wohlwollensten Leute in der Gemeinschaft haben bittere Erinnerungen an diese Misserfolge und zögern, neue Hoffnung in diesen Prozess zu setzen. Ein verwandtes Problem ist der zuvor beschriebene Exodus der finanziellen Ressourcen, Institutionen, Vorbilder und Jobs aus den Innenstädten. Sogar in den Gegenden, die bisher nicht völlig heruntergekommen sind, können sich die meisten Haushalte nur mit zwei Einkommen über Wasser halten. Traditionell wurde das Community Organizing durch Frauen unterstützt, die durch Tradition und soziale Diskriminierung die Zeit und Muße hatten, an etwas teilzunehmen, das eine im Kern freiwillige und unbezahlte Aktivität ist. Heute arbeiten die meisten Frauen in der schwarzen Community ganztags. Viele sind alleinerziehend, und sie alle müssen sich selbst zwischen Arbeit, Kindeserziehung, Führung eines Haushalts und ein bisschen Privatleben aufteilen – all das lässt die freiwillige Arbeit in der Prioritätenliste nach unten rutschen. Dazu kommt der langsame Exodus der schwarzen Mittelschicht in die Vororte, der dazu führt, dass die Leute in einem Viertel einkaufen, in einem anderen arbeiten, ihre Kinder in eine Schule am anderen Ende der Stadt schicken und eine Kirche in einem Viertel besuchen, in dem sie nicht leben. Diese geografische Zersplitterung führt zu wirklichen Problemen, wenn in einem Wohngebiet ein Engagement für gemeinsame Vorhaben geweckt werden soll.
Finally community organizations and organizers are hampered by their own dogmas about the style and substance of organizing. Most still practice what Professor John McKnight of Northwestern University calls a “consumer advocacy” approach, with a focus on wrestling services and resources from the ouside powers that be. Few are thinking of harnessing the internal productive capacities, both in terms of money and people, that already exist in communities.
Schließlich werden Community Organisationen und Organizers auch dadurch behindert, dass sie bezüglich Stil und Substanz des Organisierens dogmatisch denken. Die meisten folgen noch immer dem Ansatz, den Professor John McKnight von der Northwestern University „Vertretung von Verbraucherinteressen“ nennt, wobei man sich darauf konzentriert, Leistungen und Ressourcen von außenstehenden Kräften zu erkämpfen. Wenige denken daran, interne produktive Kapazitäten zu nutzen, die sowohl im finanziellen als auch im personellen Sinne in den Communities bereits existieren.
Our thinking about media and public relations is equally stunted when compared to the high-powered direct mail and video approaches successfully used by conservative organizations like the Moral Majority. Most importantly, low salaries, the lack of quality training and ill-defined possibilities for advancement discourage the most talented young blacks from viewing organizing as a legitimate career option. As long as our best and brightest youth see more opportunity in climbing the corporate ladder-than in building the communities from which they came, organizing will remain decidedly handicapped.
Unser Ansatz bezogen auf Medien und Öffentlichkeitsarbeit ist ähnlich in der Entwicklung gehemmt, wenn man ihn mit den hochgepowerten Postwurfsendungen und Videos vergleicht, die konservative Organisationen wie die „Moralische Mehrheit“ erfolgreich einsetzen. Das Wichtigste ist, dass der geringe Verdienst, fehlendes hochwertiges Training und schlecht definierte Karrieremöglichkeiten die talentiertesten jungen Schwarzen davon abhält, Organizing als legitime Karriereoption zu sehen. Solange die Besten und Begabtesten der nachwachsenden Generation größere Chancen in einer Wirtschaftskarriere als im Aufbau ihrer eigenen Community sehen, wird das Organizing schwer im Hintertreffen bleiben.
None of these problems is insurmountable. In Chicago, the Developing Communities Project and other community organizations have pooled resources to form cooperative think tanks like the Gamaliel Foundation. These provide both a formal setting where experienced organizers can rework old models to fit new realities and a healthy environment for the recruitment and training of new organizers. At the same time the leadership vacuum and disillusionment following the death of Harold Washington have made both the media and people in the neighborhoods more responsive to the new approaches community organizing can provide. Nowhere is the promise of organizing more apparent than in the traditional black churches. Possessing tremendous financial resources, membership and - most importantly - values and biblical traditions that call for empowerment and liberation, the black church is clearly a slumbering giant in the political and economic landscape of cities like Chicago. A fierce independence among black pastors and a preference for more traditional approaches to social involvement (supporting candidates for office, providing shelters for the homeless) have prevented the black church from bringing its full weight to bear on the political, social and economic arenas of the city. Over the past few years, however, more and more young and forward-thinking pastors have begun to look at community organizations such as the Developing Communities Project in the far south side and GREAT in the Grand Boulevard area as a powerful tool for living the social gospel, one which can educate and empower entire congregations and not just serve as a platform for a few prophetic leaders. Should a mere 50 prominent black churches, out of the thousands that exist in cities like Chicago, decide to collaborate with a trained organizing staff, enormous positive changes could be wrought in the education, housing, employment and spirit of inner-city black communities, changes that would send powerful ripples throughout the city.
In the meantime, organizers will continue to build on local successes, learn from their numerous failures and recruit and train their small but growing core of leadership - mothers on welfare, postal workers, CTA drivers and school teachers, all of whom have a vision and memories of what communities can be. In fact, the answer to the original question - why organize? - resides in these people. In helping a group of housewives sit across the negotiating table with the mayor of America’s third largest city and hold their own, or a retired steelworker stand before a TV camera and give voice to the dreams
Keines dieser Probleme ist unlösbar. In Chicago haben das Developing Communities Project und andere Organisationen ihre Ressourcen zusammengelegt, um kooperative Ideenfabriken wie die Gamaliel Stiftung zu gründen. Diese bieten einen formellen Rahmen, in dem erfahrene Organizer die alten Modelle an die neuen Realitäten anpassen können, und ein gesundes Umfeld zum Rekrutieren und Ausbilden neuer Organizer. Gleichzeitig haben das FührungsVakuum und die Desillusionierung nach dem Tode Harold Washingtons die Medien und die Menschen in den Nachbarschaften offener für die neuen Ansätze des Community Organizings gemacht. Nirgendwo ist das Versprechen des Organizing sichtbarer als in den traditionellen schwarzen Kirchen. Mit ihren gewaltigen finanziellen Ressourcen, vielen Mitgliedern und - und das ist am wichtigsten - ihren Werten und biblischen Traditionen, die nach Stärkung der Schwachen und Befreiung rufen, ist die schwarze Kirche offensichtlich ein schlafender Riese in der politischen und wirtschaftlichen Landschaft von Städten wie Chicago. Die strikte Unabhängigkeit der schwarzen Pastoren und eine Präferenz für traditionelle Wege des sozialen Engagements (die Unterstützung von Kandidaten im Wahlkampf, Hilfe für Obdachlose) haben die schwarze Kirche daran gehindert, ihre ganze Kraft auf die politische, soziale und ökonomische Arena der Stadt zu konzentrieren. In den letzten Jahren haben aber immer mehr junge, fortschrittliche Pastoren begonnen, Community Organization wie das Developing Communities Project im tiefen Süden Chicagos und GREAT in der Grand Boulevard Gegend als mächtiges Werkzeug zu sehen, um die Social-Gospel-Bewegung voranzutreiben, ein Werkzeug, das ganze Gemeinden bilden und stärken kann und nicht nur eine Plattform für eine paar prophetische Führer ist. Sollten sich von den Tausenden Gemeinden, die es in Städten wie Chicago gibt, nur 50 dazu entschließen, mit ausgebildeten Organizern zusammenzuarbeiten, könnte das zu enormen positiven Veränderungen in der Ausbildung, der Wohnsituation, der Arbeit und der Stimmung der innerstädtischen schwarzen Community führen, Veränderungen, die kräftige Nachwirkungen in der ganzen Stadt haben würden. In der Zwischenzeit werden Organizer weiter an den lokalen Erfolgen arbeiten, von ihren vielen Misserfolgen lernen und ihren kleinen aber wachsenden Kern von Anführern rekrutieren und weiterbilden - Mütter mit Sozialhilfe, Postangestellte, Busfahrer und Lehrer, die alle eine Vision und eine Vorstellung davon haben, was aus ihren Communities werden kann. Eigentlich findet man die Antwort auf die ursprüngliche Frage - why organize? - bei diesen Leuten. Wenn man dabei hilft, dass eine Gruppe Hausfrauen dem Bürgermeister der drittgrößten amerikanischen Stadt am Verhandlungstisch gegenüber sitzt und sich be-
9
he has for his grandchild’s future, one discovers the most significant and satisfying contribution organizing can make.
In return, organizing teaches as nothing else does the beauty and strength of everyday people. Through the songs of the church and the talk on the stoops, through the hundreds of individual stories of coming up from the South and finding any job that would pay, of raising families on threadbare budgets, of losing some children to drugs and watching others earn degrees and land jobs their parents could never aspire to - it is through these stories and songs of dashed hopes and powers of endurance, of ugliness and strife, subtlety and laughter, that organizers can shape a sense of community not only for others, but for themselves.
hauptet, oder wenn ein Stahlarbeiter in Rente vor einer Fernsehkamera steht und seinen Träumen über die Zukunft seines Enkelkindes eine Stimme verleiht, erkennt man den wichtigsten und befriedigendsten Beitrag des Organisierens. Im Gegenzug lehrt Organizing mehr als alles andere die Schönheit und Kraft alltäglicher Menschen. Durch die Lieder in der Kirche und das Gerede auf der Veranda, durch Hunderte persönlicher Geschichten darüber, aus dem Süden zu kommen und einen Job zu finden, von dem man leben kann, eine Familie mit minimalem Budget großzuziehen, einige Kinder an Drogen zu verlieren und andere dabei zu beobachten, Abschlüsse und Jobs zu erreichen, von denen ihre Eltern nicht einmal geträumt hätten – durch diese Geschichten und Lieder über zerstörte Hoffnungen und die Kraft des Weitermachens, die Hässlichkeit und den Kampf, den Feinsinn und das Lachen, können Organizer einen Gemeinschaftsinn nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst schaffen. Übersetzung: Jonas Flötotto und Herbert Scherer
(*) „Alinsky grenzte seine Arbeit klar von der Sozialarbeit ab, der er vorwarf Wohlfahrtskolonialismus zu betreiben und paternalistisch zu sein. Alinsky fasste seine eigene Rolle von Anfang an als die eines „Technikers“ auf. Er sah sich als externer Lehrer und Unterstützers, nicht als die eines Anführers der Bewegung. Das Community Organizing sollte sich auf lokale Demokratie stützen, nicht auf eine externe Autorität. Sein Ansatz basierte auf dem Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre, nach der kleine gesellschaftliche Einheiten in die Lage versetzt werden müssten, ihre Probleme selbst zu lösen. Ein Eingreifen von größeren gesellschaftlichen Einheiten (i.d.R. der Staat), würde demnach nur gestattet und gefordert sein, wenn dieses Prinzip versagen würde.“ (aus dem Artikel über Saul Alinsky in Wikipedia)
60 Jahre Nachbarschaftsheim Wuppertal Mit einer Feierstunde, bei der das Nachbarschaftsheim Wuppertal zugleich offiziell ins Bundesprogramm „Mehrgenerationenhäuser“ aufgenommen wurde, feierte das NBH Wuppertal am 22.08.2008 sein 60jähriges Bestehen. Mit dabei war auch eine der Frauen, die das Nachbarschaftsheim 1948 gegründet hatten: Hanna Jordan, heute mit 87 Jahren Ehrenvorsitzende des Nachbarschaftsheim-Vereins, hat als Quäkerin und Künstlerin den Geist des Hauses wie keine andere geprägt. Auch ihr kurzer Beitrag zur Jubiläumsfeier, den wir im Anschluss an die einführenden Worte des Vereinsvorsitzenden Olaf Reitz dokumentieren, lässt etwas von diesem Geist spüren: trockener Humor, entschiedener Pragmatismus und der unbeirrte Glaube an die Möglichkeit des Guten im Menschen. Das ist besonders vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Lebensgeschichte bewundernswert, aus deren Darstellung in der Biographie „Weltentwürfe“ wir deswegen einige Ausschnitte dokumentieren. Im Geleitwort zu diesem Buch hat Johannes Rau 2005 geschrieben: „Hanna Jordan: Dieser Name prägte sich ein, damals in den fünfziger Jahren im Theater an der Bergstraße. Denn es gab kaum ein klassisches oder zeitgenössisches Stück ohne ihre Mitarbeit als Bühnenbildnerin. Ich erinnere mich gern an diese frühen und wichtigen Theatererlebnisse in Wuppertal. Später dann lernte ich Hanna Jordan persönlich kennen und erfuhr von ihrem Überlebenskampf in Wuppertal während der Zeit des Nationalsozialismus. Tief beeindruckt hat mich ihr vielfältiges soziales und gesellschaftliches Engagement, ob im Nachbarschaftsheim, das sie mit ihrer Mutter gegründet hat, oder bei Amnesty International. Wir alle können von der Künstlerin und Bürgerin Hanna Jordan lernen: Begeisterung für lebendige Theaterkunst und die Einsicht, dass es sich lohnt, für ein menschliches Zusammenleben in unserer Zeit kraftvoll und mutig einzutreten.“
10
Aus der Festrede des ersten Vorsitzenden des NBH Wuppertal, Olaf Reitz Der 60. Geburtstag des Nachbarschaftsheims ist für uns ein Anlass, zurückzublicken auf die Geschichte und auf die Besonderheiten, die die Arbeit des Nachbarschaftsheims bis heute prägen – sozusagen, die Konstanten der Arbeit der letzten sechs Dekaden einmal aufzuzeigen. Es ist aber auch ein Anlass, um einen Ausblick zu wagen, der mit der offiziellen Einweihung des Nachbarschaftsheims als Mehrgenerationenhaus zukunftsweisend ist. Der Hochbunker auf dem Platz der Republik, dessen Abriss nun endlich feststeht, war der Anstoß zur Gründung des Nachbarschaftsheims Wuppertal. Im Bunker waren nach dem Krieg viele Familien mit ihren Kindern untergebracht, da viele Wohnungen zerstört waren. Diese Kinder und Jugendlichen aus dem Dunkeln – sozusagen ans Licht zu holen – war der Anlass für die Quäker genau hier ein Nachbarschaftsheim zu errichten. Bereits unmittelbar nach Kriegsende fing die Arbeit mit Unterstützung amerikanischer und englischer Quäker an, obwohl erst im April 1948 Zeit gefunden wurde, den Verein Nachbarschaftsheim Wuppertal offiziell zu gründen. Mit dem Bestreben, die Kinder und Jugendlichen, die im Bunker lebten, tagsüber aus dem Bunker zu holen, begann die Arbeit der Offenen Tür, die damit nicht nur die älteste Offene Tür in Wuppertal ist, sondern zusammen mit der Offenen Tür des Quäker Nachbarschaftsheims Köln auch mit die älteste Offene Tür in Nordrhein-Westfalen. Daher freuen wir uns besonders, dass wir als eine der ersten OTs in Nordrhein-Westfalen mit im „Pakt mit der Jugend“ sind, eine Initiative des Landes NRW. Mit der Gründung des Nachbarschaftsheims ist etwas Unerhörtes in diesem Stadtteil Ostersbaum passiert: Bürgerinnen und Bürger Wuppertals – allen voran die Wuppertaler Quäkerin Henriette Jordan – die Mutter unserer Ehrenvorsitzenden Hanna Jordan - haben es gewagt – ohne Ansehen der Personen Hilfe zu leisten, wo sie am dringendsten gebraucht wurde und ohne zu wissen, wie dies vor allem finanziell gelingen kann. Diese beiden Komponenten – etwas wagen, das wesentlich und wichtig ist, verbunden mit dem Umstand des „kein Geld hatten wir schon immer“ ist in den 60 Jahren durchgängig geblieben und prägt auch heute noch die Arbeit des Nachbarschaftsheims. „Wir bleiben uns bewusst, dass wir jegliche Festlegung und Starrheit im Programm vermeiden müssen, um offen zu sein für die Bedürfnisse unserer Besucher und für die Aufgaben, die uns aus der Nachbarschaft erwachsen. … Unser Bemühen wird sein, das Nachbarschaftsheim auch weiterhin mehr und mehr zu einer Stätte der Begegnung werden zu lassen, wo sich
die verschiedenen Generationen treffen, kennen und verstehen lernen können.“ So wurde es von den Mitarbeitern in der Festschrift zum 10-jährigen Bestehen des Nachbarschaftsheims formuliert und auch heute formulieren unsere Mitarbeiter dies nicht anders. Keine Festlegung zu wagen, sondern immer – heute würde man sagen – bedarfsorientiert zu schauen, was ist und die Arbeit daran zu orientieren – auch dies ist eine Konstante der Arbeit des Nachbarschaftsheims. Etwas Neues zu wagen – heute würde man sagen – ein neues und damit „innovatives“ Projekt zu entwickeln – ist eine Konstante der Arbeit, aber auch Anschlussfähigkeit an bestehende Fördersysteme zu suchen, um finanzielle Unterstützungen zu erreichen, ohne zu wissen, wie sie langfristig finanziell abzusichern sind, ist eine Konstante geblieben. Das Nachbarschaftsheim ist von Anfang an ein Ort gewesen, an dem hauptamtliche und ehrenamtliche Arbeit sich sinnvoll ergänzt haben: so arbeiten heute rund einhundert hauptamtliche Mitarbeiter in den drei Häusern des Nachbarschaftsheims und in den drei Grundschulen des Stadtteils. Und es arbeiten Zurzeit ca. 150 Ehrenamtler sowohl in den einzelnen Fachbereichen als auch beispielsweise in unserem „Wuppertaler Patenprojekt“, im „ehrenamtlichen Besuchsdienst“ und im Projekt „Familienpaten“. Ehrenamtliche und Hauptamtliche gemeinsam – auch das ist eine Konstante unserer Arbeit. Bei Ihnen allen darf ich mit an dieser Stelle ganz herzlich für Ihre Arbeit und vor allem für Ihr persönliches Engagement bedanken! Und es gibt noch eine weitere Konstante: die Arbeit mit allen Generationen. Heute manifestiert mit der offiziellen Einweihung des Mehrgenerationenhauses Nachbarschaftsheim Wuppertal-Elberfeld. Aber auch mit der Auszeichnung eines „Familienzentrums“. Eine besondere Ehre ist es für uns außerdem in diesem Jahr im Bundeswettbewerb als „Ort im Land der Ideen“ vom Bundespräsidenten ausgezeichnet worden zu sein. Wir möchten die Gelegenheit anlässlich des 60 jährigen Bestehen des Nachbarschaftsheims Wuppertal auch und vor allem nutzen, um uns ganz herzlich bei allen unserer Förderern und Spendern für die jahrelang kontinuierliche finanzielle Unterstützung zu bedanken! – auch das ist eine Konstante unserer Arbeit. Und wir freuen uns gemeinsam mit Ihnen, wenn das Nachbarschaftsheim noch hoffentlich viele, runde Geburtstage feiern kann. – Oder anders gesagt: Der Bunker geht – das Nachbarschaftsheim bleibt!
11
Hanna Jordan
DIE „STUNDE NULL“ — WAT NU ?— Das „NABA“ wird 60 Da standen (oder saßen) wir nun und hatten überlebt -Opfer-TäterFeind-Freund—mehr oder weniger froh vereint.„Das hätten wir ja gleich haben können!“ meinte so manch einer. Also: packen wir‘s an! Das Philosophieren über Gut und Böse half hier nichts, hat auch später mehr Fragen als plausible Antworten beschert. Gemeinsam geht manchmal (fast) alles, getrennt (fast) nichts. Psycho-Einbrüche kamen erst viel später, als wir wieder „alles hatten“. Also sahen wir uns um und entdeckten auf den Südhöhen Wuppertals eine leere, alte Baracke (heute CVJM), die niemand beanspruchte, groß genug, um so etwas wie ein provisorisches Nachbarschaftsheim einzurichten, als Vorläufer für die von unseren amerikanischen Quäker-Freunden geplanten Einrichtungen in deutschen Städten. Hier dachten wir an die Kinder vom Ostersbaum, vor allem aus dem Bunker, die jeweils etwa 6 Wochen dort untergebracht, gepflegt und beschäftigt werden sollten. Fähige Helfer-(innen) meldeten sich aus unserem Freundeskreis. Es konnten dort ca. 60 Kinder unterkommen. Frohgemut machten meine Mutter und ich uns auf den Weg zu unserem ersten Wuppertaler Sozial Dezernenten, um die Genehmigung zur Nutzung dieses leerstehenden Objektes zu erbitten. Dieser jedoch lehnte das kategorisch ab, ohne Angabe von plausiblen Gründen. Tja—wat nu? ---Mir fiel ein, dass es ja den riesengroßen, energischen Captain Larson gab, der für die sozialen Belange in unserem Gebiet zuständig war. Ich arbeitete damals als Dolmetscherin für ihn und seine Salvation Army
während der Gottesdienste bei der Heilsarmee in der Hochstraße. Dieser gewaltige Captain Larsen packte meine Mutter und mich in sein Auto, nahm sich den armen Dezernenten vor, trommelte mit seinen Riesenfäusten auf dessen Schreibtisch herum, ließ Tintenfässer und Bleistifte springen und bekam umgehend die Genehmigung für die Nutzung der Baracke zu Gunsten der Ostersbaumer Kinder. Es wurden alte Matratzen und Bettzeug gesammelt, das Nötigste zum Heizen besorgt, ich spielte stundenlang Ziehharmonika, wir tanzten uns warm und waren happy. Während das alles lief, bekam ich die Möglichkeit, in der Nähe von Stockholm Ferien zu machen und erfuhr, dass es dort eine Möglichkeit gab, gute, stabile gebrauchte Militärbaracken günstig zu kaufen. Es gelang mir mit Hilfe von guten Freunden für 10.000 gesammelte Kronen eine solche zu erwerben. Wieder zu Hause angelangt, dauerte es noch eine ganze Weile, bis die Baracke in Form von einzelnen Brettern etc. in Wuppertal ankam. Der bekannte Architekt und Galeriebesitzer Rolf Jährling, der sich bereit erklärt hatte, sich um die Errichtung des geplanten Nachbarschaftsheims zu kümmern, stellte fest, dass die Bretter viel zu kurz waren, um etwas Vernünftiges daraus zu machen. Da ja nun die Zeit des Tauschens und Improvisieren noch in vollem Gange war, kam ein Freund auf die Idee, die Bretter gegen Steine umzutauschen. Das gelang, zumal man inzwischen ein gemauertes Naba vorzog. Das Ergebnis hat viele Jahre gute Dienste getan. Irgendwo in einem bunkernahen Teil müssen die alten Steine gesteckt haben. DANKE, dass ich die geradezu traumhafte Entwicklung des Naba in den letzten Jahren noch miterleben darf!!!
Auszüge aus: Anne Linsel
„Weltentwürfe: Die Bühnenbildnerin Hanna Jordan“ Klartext Verlag, Essen 2006 Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Die Kindheit Hanna Jordan wurde am 3. April 1921 in der Wotanstraße 15 unterm Dach geboren, mitten hinein in ein „offenes Haus“: die jüdische Mutter Henriette Jordan und der arische Vater Franz Jordan versammelten dort Freunde und Verwandte aus sehr unterschiedlichen sozialen Klassen, Menschen mit verschiedenen religiösen und politischen Überzeugungen.„Freiheit, welche immer die Freiheit des Andersdenkenden ist, wurde
12
gemeinsam erlebt. Dogmatisches aller Art als gefährlich und eng erkannt, selbst in den eigenen Reihen“, erinnert sich Hanna Jordan. Es herrschte zudem eine höchst kreative Atmosphäre: Kunst, Hausmusik,. Mit drei Jahren ließen die Eltern Jordan ihre Tochter protestantisch taufen. Mitten im Wohnzimmer stand der Pfarrer und begoss das Kind mit kaltem Wasser, so die Erinnerung. Warum die jüdische Mutter, die zwar Mitglied der jüdischen Gemeinde war, aber nie in eine
Synagoge ging, und der arische protestantisch getaufte Vater, der nicht in die Kirche zum Gottesdienst ging, beide als Freidenker den jüdischen Jesus hoch verehrten, ihre Tochter taufen ließen? Hanna Jordan hat die Eltern immer wieder gefragt,„sie drucksten herum und sagten nichts“. Irgendwann kam der Satz:„Du solltest irgendwo dazu gehören.“ Damals hat Hanna Jordan sich geweigert, zur Konfirmation zu gehen. Später schloss sie sich, wie ihre Eltern, den Quäkern an. In ihrem Elternhaus erlebte Hanna Jordan keine materielle Not, keinen Hunger, keine Entbehrungen. Zwar waren auch ihre Eltern nicht reich - „Geld hatten wir eigentlich nie“ -, aber Hanna erhielt jede Bildungschance. Und damit beste Voraussetzungen für ihr Leben. Schlimmste Not erfuhr und erlebte das Kind dennoch: „Kaum, dass ich laufen konnte, nahm meine Mutter mich mit in die Armenviertel.“ Armut begann ja schon hundert Meter entfernt von Jordans, in der Tiergartenstraße zum Beispiel. Hannas Mutter, ehrenamtlich engagiert als Sozialarbeiterin, ging zu den kinderreichen Familien in engen dunklen Wohnungen, brachte ihnen Essen und Kleidung, half bei Krankheiten und vielen anderen Problemen. Ihre erste Schulzeit verbrachte Hanna in der evangelischen Volksschule Sonnborn in der Alten Dorfstraße - täglicher Schulweg zu Fuß, die Wotanstraße herunter auf die Siegfriedstraße, ein Stück entlang der Wupper und rechts nach Sonnborn. Einmal kam sie nach Hause und sagte:„Wer ein weißes Nachthemd hat, darf in der Schule bei einer Aufführung ein Engelchen spielen.“ Das habe der Lehrer gesagt. Mutter Jordan hat sich darüber „schrecklich aufgeregt“. Zornig fuhr sie spontan in die Stadt, kaufte eine Menge weißer Nachthemden, ging in die Schule und beschimpfte den Lehrer. Wie er so etwas Unsoziales nur sagen könne. Ob er nicht wisse, dass nur ein Kind aus reicherem Hause ein weißes Nachthemd zu Hause habe. 1935 beschlossen Hanna Jordans Eltern, klug und hellsichtig, ihre Tochter aus Wuppertal, aus Deutschland, weg zu schicken. Zwar war Henriette Jordan als Ehefrau eines „Ariers“ noch geschützt und ihre Tochter als „Mischling ersten Grades“ auch. Dennoch nahmen die Jordans die drohenden Zeichen wahr. Das Jahr 1933 war auch in Wuppertal mit einem Fackelzug der Nationalsozialisten Ende Januar gefeiert worden. Das Stadtparlament wurde aufgelöst und die Hakenkreuzfahne auf dem Barmer Rathaus gehisst. Unruhen und Kämpfe im Arbeiterviertel der Elberfelder Nordstadt hatte Tote und Verletzte gefordert. Am 1. April verbrannten Schüler in Barmen und Elberfeld Bücher, eine der ersten Bücherverbrennungen in Deutschland. Gesetze gegen die Juden waren verschärft, der Druck
auf sie größer geworden. So war es weise Voraussicht, dass Hanna Jordan nach Holland in das Internationale Quäker-Internat „Schloß Eerde“ bei Ommen gebracht wurde. Es sollten die „vielleicht schönsten Jahre meines Lebens“ werden, von 1935 bis zum Abitur 1939. Internationale Quäker-Schule in Eerde/Holland Im Frühjahr 1934 öffnete die „Internationale Quäker-Schule“ im holländischen Eerde ihre Pforten. Schon länger hatte die relativ kleine Gruppe deutscher Quäker - um 1930 zählte sie nicht mehr als fünfhundert Mitglieder - an die Gründung einer eigenen Schule gedacht. Doch die Zeiten waren nicht günstig für ein neues, liberal ausgerichtetes Erziehungsmodell, seit die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernommen hatten. So lag es nahe, sich nach einem Standort außerhalb der Reichsgrenzen umzuschauen. Da bot sich das Wasserschloss von Eerde an, ein Landgut des Barons von Pallandt, nur dreißig Kilometer von der deutschen Grenze entfernt und doch seinen Gesetzen entzogen. Die „Gesellschaft der Freunde“, wie die Quäker sich auch nennen, traf mit Eerde eine kluge Entscheidung. Gerade auch in den schlimmen Jahren, die folgen sollten, bewährte sie sich. Viele jüdische Kinder und Jugendliche, die in Deutschland nach und nach ausgegrenzt wurden, fanden hier im nahen Holland einen Unterschlupf. Aufgenommen wurden aber auch Kinder aus Diplomatenfamilien, deren Eltern in Übersee waren. Und durch englische Quäker auch einige Schüler aus England, so wie aus Holland. Im Sinne deutscher Landschulheime wurde koedukativ erzogen. Die Schule verstand sich, im Geist der Quäker-Bewegung, als „unpolitisch“. Ihre Aufgabe sah sie darin, offen zu sein für alle Kreise der Bevölkerung. Diese neutrale Haltung aber schloss in praktischen Lebensfragen durchaus eine „kraftvolle Toleranz“ ein, die dann auch ernsthafte politische Konsequenzen nach sich zog. Von Anfang an legte die Quäker-Pädagogik ein Hauptaugenmerk auf die Ausbildung praktischer Fertigkeiten ihrer Schüler, auch bei der holländischen Neugründung. Zum Lehrprogramm gehörten, meist in den Nachmittag gelegt, handwerkliche Kurse, für die das geeignete Personal sorgfältig ausgewählt wurde. Beinahe wöchentlich wurden abends Vorträge angeboten, Musik- und Bilderabende, Theaterproben oder -aufführungen, oft auch von Gästen, die sich manchmal für längere Zeit in dem Wasserschloss aufhielten. 1939 hatte das Institut mit hundertfünfzig Schülern (davon 21 Niederländer) seine größte Auslastung erreicht.
13
Im Wesentlichen war der „Geist von Eerde“, von dem die ehemaligen Schüler immer wieder berichteten, aber doch ein musisch-musikalischer. Der deutsche Musikpädagoge Billy Hilsley, von dem Generationen Eerder Schüler bis in unsere Tage schwärmen, sorgte dafür, dass sein Fach sich gleichberechtigt neben der theoretischen und praktischen Ausbildung behaupten konnte.
So ging Hanna Jordan nach ihrer Rückkehr zunächst an die Wuppertaler Kunstgewerbeschule, zwei Semester lang. Danach floh sie, denn Unterricht in Bühnenbildnerei fand dort nicht statt. Viel „nationalen Kram“ mussten die Kunst-Schüler zeichnen, beliebt waren „Eichenlaubkränzchen“. So fuhr sie nach Düsseldorf zur Kunstakademie, um sich dort zur Aufnahmeprüfung anzumelden.
Die Jahre in Schloss Eerde waren für Hanna Jordan eine Fortsetzung des geliebten Elternhauses, eine glückliche Zeit,„Basis für alles Weitere“. Denn:„Wenn man das erleben durfte, dann kann man sehr viel aushalten“.
Die Aufnahmeprüfung bestand Hanna mit Glanz. Nach drei Monaten allerdings wurde sie, als Mischling ersten Grades, von der Akademie „entfernt“. Die Reichskulturkammer hatte ein Hochschulverbot für alle jüdischen Studenten erlassen. Ihr Professor, so Hanna Jordan, habe sie während der kurzen Studienzeit immer gut behandelt und ihren Rausschmiss mit größtem Bedauern vollzogen.
Das Internat Eerde gibt es heute noch, nicht als Quäkerschule, sondern als privates Internat. Zurück aus Eerde Als Hanna Jordan mit bestens bestandenem englischen Abschluss in der Tasche nach Wuppertal zurück kam, erwartete sie in Wuppertal alles andere als „das Paradies auf Erden“. Die Familie hatte geplant, Deutschland zu verlassen. Hanna sollte mit ihrer Mutter nach England gehen. Dort hätte sie Kunst studieren können.„Wir wussten nichts genaues, aber wir ahnten viel“. Und sie erlebten: Die Hetze gegen die Juden in Deutschland war umgeschlagen in tätliche Angriffe, Verhaftungen, Amtsenthebungen, Bespitzelungen, die ersten Juden gingen in die Emigration, jüdische Geschäfte wurden demoliert, in der „Kristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 brannten beide Synagogen, in Barmen und Elberfeld, vollständig ab. Schon 1935 waren Jordans umgezogen in eine Wohnung in der Platzhoffstraße - dort fühlte sich Mutter Henriette sicherer. 30 Jahre lang sollte die Familie dort wohnen, bis zum Tod von Franz Jordan 1965. Dann ging es wieder zurück in die Wotanstraße. Die geplante Auswanderung misslang durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Noch konnten sich die Jordans relativ frei in Stadt und Land bewegen - Vater und Tochter hatten einen normalen deutschen Pass mit Hakenkreuz, die Mutter musste keinen Stern tragen. Dennoch war das Leben von Vorsicht, Angst, Hunger, Entbehrung geprägt. Und vom Krieg. Das kulturelle Leben ging zwar weiter, aber eingeschränkt und verordnet, inhaltlich der nationalsozialistischen Kulturpolitik unterworfen: Hanna Jordan versuchte in dieser schwierigen Zeit, ein Studium für ihren Traumberuf aufzunehmen. Seit ihrem 14. Lebensjahr wollte sie Bühnenbildnerin am Theater werden.
14
Nächste Station war die Bühnenbildklasse der Folkwangschule in Essen. Als Fachschule eine Möglichkeit für Hanna Jordan. Sechs Schülerinnen waren dort, nur eine davon war überzeugte Nationalsozialistin. Nicht selten gab es heftige Diskussionen in der Klasse. Hanna Jordan freundete sich mit der Mitstudentin Resi Ebert an, sie gingen oft zusammen ins Kino, und durch ein paar Bemerkungen, die zwischen ihnen fielen, hatten sie bald entdeckt, dass sie sich politisch verstanden. Hanna konnte zu der Zeit nicht ahnen, dass Resi und ihre Familie ihr zwei Jahre später das Leben retten sollten. Der Lehrer in Essen, selbst Parteimitglied mit goldenem Parteiabzeichen, brachte Bücher von jüdischen Künstlern mit in die Klasse,„entartete Kunst“ also, ein nicht ungefährliches Unternehmen. Beide Professoren haben nach dem Krieg Hanna Jordan gebeten, bei der Entnazifizierung für sie „gut zu sprechen“. Als die Folkwangschule 1942 - die Bomben fielen schon - geschlossen wurde, musste Hanna Jordan zum Kriegseinsatz in eine Wuppertaler Rüstungsfabrik: Jeden morgen fuhr sie von Elberfeld nach Barmen auf die Hatzfelder Höhe in die Fabrik Siller und Jamart. Sie wurde als technische Zeichnerin eingesetzt und musste Gaskessel zeichnen - Teile von Unterseebooten. Da saß sie nun, Tag für Tag, hinter Glaswänden und zeichnete. Im Büro saßen Menschen, die als Kollegen im weißen Kittel und mit Zeichenstift in der Tasche „hervorragend“ waren. Hanna wusste: Abends ziehen sie sich ihre SA-Uniformen an und werden zu Schlägertrupps. Sie selbst ist von denselben Leuten nie schlecht behandelt oder angegriffen worden, es fiel kein abfälliges, böses Wort - „obwohl man mir meine nichtarischen 50 Prozent schon von weitem ansah“. Im Gegenteil: Als eines Tages Leute in Uniform in die Fabrik kamen und durch die Glaswände vor allem auf Hanna Jordan guckten, da stellten sich die Kollegen schützend vor Hanna und sagten:„Wenn ihr der etwas tut, bekommt ihr es mit uns zu tun.“
Ja, natürlich hatte man pausenlos Angst. Schon längst waren jüdische Freunde und Verwandte emigriert oder in den Untergrund gegangen. Fast täglich wurden Jordans konfrontiert mit Bitten von Menschen, die in Not und Lebensgefahr waren, Menschen, die versteckt werden mussten. Und es gab Wuppertaler, Fremde und Freunde, die geholfen haben, unter Einsatz ihres Lebens. Da konnte es passieren, dass es an der Tür von Jordans klingelte und eine Frau fragte: Haben Sie Juden zu verstecken? Das war Ellen Jungbluth vom „Bund - Gemeinschaft für sozialistisches Leben“. Sie war erklärte Atheistin und „hat gelebt wie Jesus Christus persönlich“ (Hanna Jordan). Auch Ehemann Ernst Jungbluth gehörte zu diesem Bund. Es gab auch andere Wuppertaler, die ganz selbstverständlich Hilfe anboten, die ein ganzes Netz spannen, in dem sie hilfsbedürftige Mitmenschen aufgefangen haben. Neben den Mitgliedern des „Bundes“ waren es die Quäker, die „Religiöse Gesellschaft der Freunde“, die im Widerstand tätig waren. Beide Gemeinschaften hatten, so Hanna Jordan, in ihren Versammlungen, Gesprächen, Diskussionen „ein Menschenbild entworfen, eine Möglichkeit im Umgang mit anderen, das der >Normalzeit< bis heute immer noch weit voraus ist.“ Denn als es galt, rassisch und politisch Verfolgten zu helfen und Zuflucht zu verschaffen, seien sie da gewesen, vorbereitet und trainiert,„Natürlich hatten auch diese Menschen Angst, taten aber trotzdem, was sie tun mussten. Sogar der Gestapo imponierte zuweilen ihre offene und ruhige Art, wenn es zu Verhören kam oder zu Verhandlungen.“ Durch rechtzeitige Übung hätten sie bereits festen Boden unter den Füßen gehabt, bevor das Übel seinen Lauf nahm. Dennoch blieb ihnen Verhaftung, Zuchthaus und Schlimmeres nicht immer erspart. Im Winter 1942/43 fuhr Henriette Jordan nach Berlin zu einer Quäkerversammlung. Das durfte sie, denn als Ehefrau eines Ariers hatte sie gewisse Privilegien. Mitten aus der Quäker-Andacht heraus wurde sie mit anderen von der Berliner Gestapo verhaftet und ins Frauengefängnis gesperrt. Drei Wochen hat sie dort verbracht - dann holte Franz Jordan, mutig und unerschrocken, sie dort heraus. Er hatte in Wuppertal von der Verhaftung erfahren, war nach Berlin geeilt und hatte nicht eher locker gelassen, bis er seine Frau mitnehmen konnte. In diesen drei Wochen hatten zwei Schwestern, Toni und Wanda Steiniganz, Freundinnen der Familie Jordan, geholfen, verdächtiges Schriftmaterial aus der Wuppertaler Wohnung bei Nacht in die Wupper zu kippen. Diese beiden Schwestern, Krankenschwester die eine, Schneiderin mit eigenem Atelier die andere, hatten sich in den 30er Jahren den Quäkern angeschlossen. Mehr als einmal riskierten sie ihr Leben für die Verfolgten des Naziregimes. Sie halfen - bis zu den Deportationen - im Elberfelder jüdischen Altersheim und entgingen dort mehrfach nur knapp einer Gestapo-Razzia. Sie versteckten 1944
eine Wuppertaler Jüdin, die beim Abtransport in ein Arbeitslager aus der Straßenbahn gesprungen und geflüchtet war, für neun Monate in ihrer winzigen Wohnung. Die junge Frau überlebte. Sie halfen über lange Zeit in der Wohnung von Jordans warme Sachen herzustellen, die man den alten jüdischen Menschen beim berühmt-berüchtigten Abtransport aus Wuppertal, vom Bahnhof Steinbeck, mitgab. Und sie begleiteten die Familie Jordan auf diesem schweren Weg. Nicht nur Freunde, auch Hannas Großvater Emil Sommer, der Stiefvater von Henriette Jordan, war dabei. Sie hatten vorher keine Chance, versteckt und damit möglicherweise gerettet zu werden: Alte Menschen, zum Teil krank, bettlägerig, schwerhörig, verwirrt, konnte man nicht verstecken, das war viel zu gefährlich. So standen Jordans am 20. Juli 1942 morgens um acht Uhr am Gitter des Bahnhofs, durften nicht mit auf den Bahnsteig, winkten ein letztes Mal in der Hoffnung, dass es nur in ein Ghetto geht. Dass diese Menschen bald zurückkommen werden. Nach Monaten kam eine Postkarte. Geschrieben von einem alten Freund, der auch hatte mitfahren müssen. Auf der Karte stand nur ein Satz:„Zuckermann hat nur noch seinen Stock.“ Da wussten Jordans, dass man diesen Menschen ihr Gepäck abgenommen hatte. Der Transport war nach Theresienstadt gegangen. Die dunkle Zeit der Verfolgung, der pausenlosen Angst vor der Gestapo, aber auch durch Fliegeralarm und Angriffe: Wenn die Sirenen tönten, rannten alle im Haus in der Platzhoffstraße 17 in den Keller. Der allerdings sah (wahrscheinlich) anders aus als in anderen Häusern: Hanna Jordan hatte ihn farbig ausgemalt mit kleinen Bildgeschichten. Und vor die Sandsäcke hatte sie weiße Spitzendeckchen gehängt,„damit es schöner aussah“. (Galgen-)Humor sei damals besonders wichtig für sie gewesen, sagt Hanna Jordan heute. Den großen Elberfelder Angriff in der Nacht vom 24. Juni 1943 - nur knapp einen Monat nach dem Feuersturm auf den Stadtteil Barmen - haben Jordans gesund überstanden. Hanna Jordan erinnert sich:„Die Alliierten haben die Bomben zu früh abgeworfen deshalb wurde die Südstadt so grausam zerstört. Wir hatten Glück.“ Flucht und Verstecken Spätsommer 1944 - die Zeit war gekommen, als die braunen Machthaber keinen jüdischen Mitbürger mehr schonten, jeder wurde erfasst und abgeholt. So sollte es auch bei Jordans sein. Es war wenige Tage vor dem 17. September 1944 am späten Nachmittag. In der Fabrik von Franz Jordan klingelt das Telefon. Am anderen Ende sagt jemand: „In wenigen Tagen werden Juden abgeholt. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Frau in Sicherheit gebracht wird.“ Diese Warnung kam von einem SS-Mann, der zum
15
Stammtisch von Franz Jordan in der Elberfelder Nordstadt gehörte. Er hatte auch noch gesagt, dass Franz Jordan und seine Tochter ebenfalls untertauchen müssten, weil sie das Versteck der Mutter mit Sicherheit kennen würden. Sonst würde die Gestapo auch sie abholen. Franz Jordan eilt nach Hause. Hanna und Henriette Jordan packen eine kleine Tasche mit einem wichtigen Dokument: die Kennkarte von Wanda Steiniganz, die diese selbstlos der Freundin gegeben hatte und in die das Foto der Mutter einmontiert worden war. Dann warten Mutter und Tochter die Nacht ab, halb schlafend, halb wachend. Am frühen Morgen, noch in der Dunkelheit, gehen beide los. Zuerst zu Fuß aus der Stadt heraus über die Wuppertaler Berge, Zugfahren wäre zu gefährlich gewesen. An einer bestimmten Stelle wartet der Prokurist der Firma, um noch ein paar wichtige Dinge und Nahrungsmittel mit auf den Weg zu geben. Nach langen Fußmärschen fährt eine Straßenbahn in Richtung Bergisch Gladbach. Dort, das wissen sie, gibt es ein Versteck. Tochter Hanna hatte alles vorsorglich für die „Stunde X“ organisiert. Sie war zu Fritz Fuchs, dessen Frau Quäkerin war, gefahren, um mit ihm alles zu besprechen. Ja, da ist eine Villa mitten im Wald, nicht einsehbar, eigentlich unerreichbar für Nichtkenner. Aber es gibt Bedingungen: Im Krankheitsfall wird kein Arzt gerufen. Und keiner spricht mit irgendjemandem über diese für beide Seiten hochgefährliche Sache. (Fritz Fuchs sollte nach dem Krieg bis 1956 Bürgermeister von Köln werden). In der Nähe der Villa im Wald setzen sich Hanna und ihre Mutter auf eine Bank, warten, bis es dunkel ist. Dann gehen sie weiter und erreichen die Villa, todmüde, glücklich. In der Frühe, als es noch dunkel ist, macht Hanna sich zurück auf den Weg nach Wuppertal. Von einer Kneipe aus ruft sie zu Hause an. Das war abgesprochen. Keiner hebt ab, es ist niemand mehr da. Daraufhin ein Anruf bei Eugen und Agnes Richter, Quäkerfreunde auch sie. Dem Vater ginge es gut, er sei „in Ferien gefahren,“, sagen sie und - verschlüsselt - dass sie nicht mehr nach Hause kommen solle, sondern nach Duisburg, dort werde der Vater am Abend an einer bestimmten Straßenecke, an einer Apotheke, auf sie warten. (Der Liberale Eugen Richter wurde nach dem Krieg, von Januar bis Oktober 1946, der erste ernannte Oberbürgermeister von Wuppertal.) Hanna, die nichts weiter bei sich trägt als eine Handtasche, geht los. Wege zu Fuß, wieder mit der Straßenbahn, mit dem Zug. Am späten Abend ist sie in Duisburg, genau an der richtigen Ecke, die von einer Laterne beleuchtet wird. Sie schaut sich um, niemand. Nach bangen Minuten nähert sich eine Gestalt in Arbeiterkleidung, auf dem Kopf eine Kappe: der Vater. „Vier Tage können wir hier in dieser Apotheke bleiben, länger nicht“, sagt er. Die Apotheke gehörte Annemarie Möller und ihrer Freundin, beide aus dem Quäkerkreis, beide mit dem Ehepaar Richter befreundet.
16
In diesen vier Tagen bleiben die Freunde des Widerstandskreises in Wuppertal nicht untätig. Sie suchen in der Stadt ein Quartier für Hanna Jordan und ihren Vater. Das mutige Ehepaar Lusebrink, Friedel und Ernst, bieten ein Zimmer in ihrer Wohnung am Frankenplatz, in der Burgunderstraße 5, an. Ein winziger Raum, gefährlich, weil extrem hellhörig. Hanna und ihr Vater dürfen sich nur vorsichtig bewegen. Müssen ohne Schuhe, nur mit Socken gehen. Nichts darf umfallen, kein Stuhl verrutschen, kein Geschirr klappern. Die meiste Zeit des Tages sitzen beide am Tisch oder auf ihrem Bett und lesen Zeitung. Hanna zeichnet viel. Das enge Beieinander zerrt zuweilen an den Nerven. Der Vater schnarcht „wie verrückt“. Hanna geht das „mehr auf die Nerven, als die Bombenangriffe“. Lebensmittelkarten haben beide bis zum Ende des Krieges nicht mehr. So teilen die Freunde ihre Rationen. Nach neun Wochen müssen Jordans auch dieses Versteck verlassen. Jetzt geht jeder eigene Wege: Der Vater fährt nach Süddeutschland - „geht auf Reisen“ - und findet Unterschlupf in einem Kloster. Und Hanna macht sich wieder auf, diesmal zu Freunden nach Wittlaer, zwischen Düsseldorf und Duisburg. Und dieses Mal ist sie noch vorsichtiger: Sie verkleidet sich als alte Frau. Zieht ein schwarzes Kleid mit Spitzchen an, darüber einen alten Mantel, sie schneidet sich die Augenwimpern ab, setzt ein Kapotthütchen mit Netz auf und zieht dieses tief ins Gesicht. Schwarze Handschuhe über die jungen Hände und ein altmodisches Handtäschchen am Arm - und weg. Es ist Anfang Dezember und schon ziemlich kalt. Nur nicht allzu schnell gehen bis zur nächsten Straßenbahn. Aber so schwer ist das nicht, Hanna kann schauspielern, nicht nur die Verkleidung ist perfekt. Arme alte Frau, wie sie mit den Händen zittert und dem Kopf leicht wackelt! Wie alt mag sie sein? Dann weiter zu Fuß, mehr über Wege, Wiesen und Acker stolpernd denn gehend. Sie weiß den Weg zu ihren Freunden. Als sie am strohgedeckten Haus klingelt und Resi Ebert, die Freundin (für lange Jahre bis zu deren Tod), die Tür aufmacht, vergehen Schrecksekunden, dann ein erkennendes lautes Lachen: Hanna, du bist das! Umarmungen, die gesamte Familie kommt in den Flur gelaufen - Gott sei Dank, Hanna ist in Sicherheit. So ganz stimmt das nicht, denn im Haus leben und arbeiten zwei Dienstmädchen, denen man die fremde Person vorstellen muss:„Wir haben Besuch bekommen. Das ist Hanna, eine Verwandte aus dem Osten. Sie ist geflohen und wohnt jetzt vorläufig bei uns.“ Das Leben in diesem Haus in Wittlaer ist trotz der Kriegsbedrohungen, trotz ständiger Angst heiter, ja fröhlich. Hanna Jordan weiß: Mit Traurigkeit kann man nicht überleben. So war ihre Lebenseinstellung schon in den Jahren vorher gewesen. Jetzt erst recht, sagt sie und findet Unterstützung in der unbürgerlichen und künstlerischen Familie Ebert. Das zweite Motto als Überlebenstraining heißt: nicht untätig, sondern immer aktiv
sein. So malen, zeichnen, basteln sie, zum Beispiel aus altem Pappkarton ein Kartenspiel. Damit spielen sie an manchen Abenden. Vor allem aber machen sie Pläne „für nachher“, sie wissen, dass der Krieg bald vorbei sein wird. Stunden- und tagelang sitzen sie zusammen mit diesem schönen Spiel „Plänemachen“. Irgendwann wird es noch einmal ein wenig brenzlig: Eine SS-Kompanie nistet sich oben im Haus ein - als Hausposten. Und auch die Versorgung wird knapper, vor allem mit Wasser. Für die anderen Nahrungsmittel sorgen, so gut es geht, die ansässigen Bauern. Die Wasserknappheit aber ist bedrohlich: Es läuft fast nichts mehr aus dem Kran. An Waschen ist nicht mehr zu denken. Die beiden Dienstmädchen können glücklicherweise ein wenig helfen. Sie haben Kontakt zu Soldaten und dürfen Wasser tanken. Jeden Tag gibt es eine eiserne Ration, pro Person eine Tasse Wasser. Zwei Wochen vor Kriegsende, an einem Sonnentag: Fliegeralarm. Die gesamte Familie mit Hanna geht in den Keller. Plötzlich ein dröhnender Lärm, eine Erschütterung, die Wände wackeln wie bei einem Erdbeben - eine Bombe hat das Haus getroffen. Das Dach und das Obergeschoss brennen aus. Hanna und ihre Freunde bleiben unverletzt. Dann, im April, das Gerücht: Der Krieg ist aus. In der Ferne sieht man hier und da ein weißes Zipfelchen - da ist schon die weiße Fahne gehisst worden. Also auch bei Eberts: schnell ein angebranntes Bettuch aus dem Fenster hängen. Wenige Minuten später hören sie von Ferne Schüsse ob es die Amerikaner sind am anderen Rheinufer oder die Deutschen, wer weiß es? Da kommt auch schon ein Bauer gelaufen und schreit:„Weg mit den Fahnen, der Krieg ist doch nicht zuende“. So wartet und hofft man weiter. Wenige Tage später, 21. April 1945. Es ist wunderschönes Wetter, die Sonne scheint, der Himmel ist blau und die Wiesen sind schon grün. Hanna und ihre Freunde gucken über die sanften Hügel in die Ferne. Da, was ist das? Was bewegt sich da am Horizont? Ganz langsam schiebt sich etwas Stückchen für Stückchen weiter. Wie Schildkröten sieht das aus, sagt Hanna. Alle lachen - soviele Schildkröten hintereinander? Allmählich kommen die „Schildkröten“ aus dem Wiesengraben hoch: es sind amerikanische Soldaten mit ihren Helmen auf dem Kopf. Als sie das Haus der Eberts erreicht haben, rennt, furchtlos, Onkel Egon nach vorn, zeigt auf sein zerstörtes Dachgeschoss und ruft ihnen zu:„Look, what you have done to my house!“ Und einer der Amerikaner antwortet:„O, too bad!“ Daraufhin ist alle Angst verflogen. Sie schlägt um in Freude: Der Krieg ist endlich vorbei. Und wir leben. Am nächsten Tag verabschiedet sich Hanna Jordan
von ihren Freunden, nimmt ihr Fahrrad und fährt in Richtung Mutter. Bauern hatten ihr Brot und zwei Flaschen Milch mitgegeben. Nach einigen Kilometern geht ihr Fahrrad kaputt, also steigt sie ab und schiebt. Am Abend erreicht sie Düsseldorf. Ob die Adresse der Schwester von Mutter Lilly Ebert stimmt? Steht das Haus, lebt die Schwester? Welch ein Glück, Hanna wird mit Freuden aufgenommen. Sie kann in dieser Wohnung übernachten. Aber Wasser gibt es auch nicht und zu essen kaum etwas. Am nächsten morgen lässt Hanna zum Dank ein Stück Brot und eine Flasche Milch zurück. Dann macht sie sich auf ihren Weg, zu Fuß mit ihrem Fahrrad. Es regnet furchtbar. Immer wieder setzt sie sich in den Straßengraben, ruht aus, fragt Menschen, die vorbei kommen, nach dem Weg und nach der Situation. Alles sei kaputt und in Trümmern, sagen sie, da stehe kein Haus mehr. Hanna aber lässt sich nicht entmutigen, geht weiter und landet, am Ende ihrer Kraft, schließlich im Wald und steht vor der unversehrten Villa. Sie klingelt, jemand macht auf, sie fragt nach ihrer Mutter, die kommt angelaufen, sieht ihre Tochter, nimmt sie in die Arme und sagt als ersten Satz:„Mein Gott, stinkst Du!“ Ja, Hanna Jordan hatte ihren einzigen Pullover lange nicht gewechselt, sich selbst ebenso lange nicht gewaschen, und der Brandgeruch durch die Bombe aufs Haus war noch auf der Haut und in den Haaren. Heute sagt Hanna Jordan über diese Zeit:„Wir lebten in Angst und Schrecken. Wir waren aber nie verzweifelt. Wir waren immer aktiv. Wir haben unseren Humor nicht verloren - das war unser Stückchen Freiheit - und unsere Hoffnung nicht. Es war eine schlimme Zeit, aber im Vergleich gar nichts zu dem, was andere durchmachen mussten. Ob bis zu ihrem Tod oder als Überlebende.“ Viele Freunde und Verwandte der Jordans sind ermordet worden. Einige konnten auswandern. Henriette Jordan hat nach dem Krieg ihren Schwager Karl, Bruder ihres Mannes, bis zu seinem Tod gepflegt. Für sie war das selbstverständlich. Karl Jordan war ein glühender Nazi gewesen. Schon bald nach Hitlers Machtergreifung und dann immer wieder hatte er seinen Bruder Franz zwingen wollen, dass dieser sich doch schleunigst von seiner jüdischen Frau trennen solle. Schwer krank hat er sich nach Kriegsende ins Bergische Land geschleppt. Und dort Nächstenliebe erfahren. Von einer Jüdin. Hanna Jordan:„Sterbend ist er in sich gegangen.“ Und Henriette Jordan hat ihn getröstet. Das Nachbarschaftsheim Kriegsende - Trümmer, Rauch, Schutt. Eine ausgelöschte Stadt, eine Stadt ohne Identität. Tausende hatten durch Bomben ihr Leben verloren. Viele Überlebende waren ohne Wohnung. Es gab nichts zu essen, nichts
17
zu trinken. Ein Elend, wie man es sich heute kaum mehr vorstellen kann. In Wuppertal und im ganzen Land. „Der Krieg war gerade eine Minute zuende“, da ging Henriette Jordan - die mit ihrem Mann Quäker geworden war - mit ihrer Tochter in besonders schlimm betroffene Gebiete, um zu helfen, sich um die Menschen zu kümmern, den Dreck wegzuräumen. Mit allen zusammen, die mitmachen wollten,„ob Nazi oder nicht“. „Wir haben nicht gefragt: warst Du in der Partei? Die Sache war viel zu wichtig, als dass man Grenzen hätte ziehen können.“ Ostersbaum mit dem Bunker auf dem Exerzierplatz (heute: Platz der Republik) war ein solcher sozialer Brennpunkt. Hier im fensterlosen Gebäude lebten Hunderte von Menschen unter „unsäglichen Umständen“ - es war nass und kalt, sanitäre Einrichtungen gab es nicht, die Entlüftung war spärlich. Es stank,„es war furchtbar“. Vor allem die verdreckten Kinder litten unter Hunger, Schlaf- und Bewegungsmangel. Da musste schleunigst Hilfe her. Henriette Jordan hatte die Idee, eine leer stehende Baracke auf den Südhöhen notdürftig herzurichten, um dort die Kinder zu sammeln und zu betreuen. Mit ihrer Tochter ging sie zum zuständigen Dezernenten und bat, die Baracke freizugeben und dort mit städtischer Sozialarbeit anzufangen. Der Dezernent aber stellt sich stur, lehnte ohne Angabe von Gründen ab. Er hatte nicht mit der Zähigkeit und dem Einfaltsreichtum der beiden Jordans gerechnet. Die ließen sich so leicht nicht abspeisen. Hanna Jordan arbeitete zu der Zeit ehrenamtlich als Dolmetscherin bei der Heilsarmee, das Büro war in der Hochstraße. Hier musste sie Predigten aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen. Die deutschen Städte und Länder waren eingeteilt worden in verschiedene Gebiete, die von den internationalen Hilfsorganisationen betreut wurden, Rotes Kreuz, Heilsarmee, Quäker. Das Bergische Land war der Heilsarmee unterstellt worden. Und der oberste Offizier war Schwede, Kapitän Larsson,„ein Riesenkerl, Typ Hans Albers“. Ihm erzählte Hanna ihren Kummer. Sofort nahm er sie bei der Hand und ging, nein, rannte ins Sozialamt, suchte den Dezernenten und klärte die Situation mit wenigen, aber eindeutigen und nicht sehr leisen Worten. Die Baracke auf der Bundeshöhe, wo heute das CVJM steht, wurde umgehend freigegeben. Man brachte Matratzen dorthin, Leintücher, Brennmaterial. Dann konnten die ersten sechzig Kinder aus dem Bunker geholt werden. Zunächst allerdings wurden sie in ein Schwimmbad zum Waschen und Entlausen gebracht. Dann begannen für sechs Wochen Bunker-Ferien. Abwechselnd kamen alle Kinder aus dem Bunker in diese Baracke, immer für sechs Wochen. Sie wurden anfangs von ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen betreut,
18
später dann von Fachkräften. Auch Hanna Jordan war kurze Zeit Kindertante - besonders beliebt war ihr Akkordeon-Spiel auf einem riesigen Instrument:„Zum Warm-Werden, die Kinder bewegten sich zur Musik.“ Als Hanna Jordan in dieser Zeit eines Abends in einer „Faust“-Aufführung in der Stadthalle saß, musste sie sich ständig am Kopf kratzen. Da hatte sie sich etwas eingefangen, was sie nur mit Mühe los wurde: Läuse vom Ostersbaum. In dieser Zeit wurde die Idee der „Nachbarschaftshilfe“ in Wuppertal geboren. Vorbild waren die amerikanischen Quäker. Sie hatten die „neighbourhood-centers“ erfunden. Das waren Einrichtungen, in denen Menschen, die Hilfe brauchten, sich treffen konnten, Kinder, Alte, Hungernde, Frierende, Menschen, die nichts zum Anziehen hatten, Menschen, die Trost suchten. Der Exerzierplatz in Wuppertal bot sich für ein solches Projekt an. Da war es ein Glück, dass Hanna Jordan mit einer kleinen Gruppe von Jugendlichen, organisiert durch die Quäker, nach Schweden zu einer Schulungs- und Erholungsfahrt eingeladen wurde. Im Gepäck hatte sie einen Auftrag: Irgendetwas Sinnvolles mitzubringen für die Kinder im Bunker am Ostersbaum, Kleider, Geld, vielleicht sogar ein Haus. Nicht weit von Stockholm entfernt, am Meer, wurden die deutschen Gäste untergebracht,„es war wunderschön.“ Hanna Jordan begann schon in den ersten Tagen Geld zu sammeln, überall, beim Roten Kreuz, bei der Heilsarmee, den Quäkern, auch bei der Schwester des Königs. Nach kurzer Zeit hatte sie 10.000 Kronen zusammen. Dann erfuhr sie, dass in Nordschweden eine Offiziersbaracke zum Verkauf stand. Mit dem Geld kaufte Hanna die Baracke - aber: Wie sollte sie nach Wuppertal gebracht werden? Der Transport wurde nicht genehmigt. Daraufhin ließ Hanna das Holzhaus in einzelne Bretter zerlegen und nach Wuppertal schicken. Sie wurden bei Bayer gelagert. Hanna Jordan blieb länger in Schweden als ihre Gruppe. Sie wohnte bei den Eltern von Noni Warburg, einer Freundin und früheren Mitschülerin aus Eerde: Das Bankhaus Warburg war eines der ältesten und hoch angesehenen in Schweden. Hanna sammelte weiter, Schuhe, Kleider, Mäntel, ganze Säcke voll. Damit stand sie dann eines Tages auf dem Schiff Richtung Deutschland. Am Bahnhof in Düsseldorf wurde sie abgeholt von ihrem späteren Ehemann Walter Kraft endlich half jemand beim Tragen der ganzen riesigen Säcke. Hanna Jordan:„Wir waren damals ungeheuer kreativ.“ Und heute? Wenn sie sich heute umschaue, dann sehe sie davon nicht mehr viel:„Wir sind eine Meckergesellschaft geworden.“ Als man dann die schwedischen Bretter verarbeiten wollte, stellte der Wuppertaler Architekt Rolf Jährling
(der spätere Initiator und Besitzer der legendären Galerie Parnass) fest, dass sie viel zu kurz waren. So wurden sie schließlich getauscht: Holz gegen Steine. Und damit wurde die erste Steinbaracke gebaut, direkt neben dem Bunker - der Anfang des Nachbarschaftsheimes.„Enorme Hilfe bekamen wir von einzelnen Wuppertalern - vor allem von Beate Bremme, der Frau des späteren Oberstadtdirektors Hans Bremme.“ Sie habe mit ihren Verbindungen zur Stadt tatkräftig das Projekt unterstützt. (Beate Bremme war später lange Jahre Vize-Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes). 1949 wurde das Nachbarschaftsheim in Wuppertal eingeweiht. Mit materieller und finanzieller Hilfe von britischen und amerikanischen Quäkern. Zu der Zeit lebten noch 450 Menschen im Bunker am Exerzierplatz. Sie hatten nun außerhalb der engen, dunklen Bunkerräume einen lebendigen Treffpunkt. Wer in den vierziger Jahren eingeschult worden ist, kennt den Namen „Quäker“ vor allem von der „Quäkerspeisung“. Da roch es schon, wenn man das Schulgebäude betrat - mal süß, mal herb. Mit Heißhunger aßen da die Schüler die warme Schokoladenpudding-Suppe (mit vielen Klümpchen) oder die anderen undefinierbaren Suppen. Sie bestanden aus Soja, Getreideschrot, Zucker und Milch oder aus Soja, Schrot und Schweineschmalz. Die Lebensmittel kamen aus Amerika, die Milch zum großen Teil von ansässigen Bauern. So richtig gut geschmeckt hat das alles nicht, dennoch: Die Schreibtafel, den Griffel oder das Heft und den Bleistift hatte man schon mal vergessen aber niemals das Essgeschirr, meist aus Blech, um seinen Teil aus dem Riesentopf abzubekommen. Als das Jahr 1946 zu Ende ging, war immer noch kein Ende der Hungersnot in Deutschland abzusehen. Nach einem der „strengsten Winter seit Menschengedenken“ gelang es den Quäkern aber dennoch, dass im Frühjahr 1947 die meisten Kinder im westlichen Deutschland eine nahrhafte Mahlzeit erhielten. Was allerdings „Quäker“ bedeutete und woher die Speise kam, das wussten die meisten nicht. (Die Quäkerspeisung gab es übrigens auch für Senioren.) Das Quäkertum ist eine Religion ohne Dogma. Die Verbindung zu Gott wird in schweigender Andacht ohne kultische Formen gesucht. Das entspricht dem Glauben, dass sich Gott in jedem Menschen unmittelbar und auf seine Weise offenbaren kann. Die Quäker leben in Offenheit und Toleranz zu anderen religiösen Gruppen und Kirchen, sie sind Pazifisten und verweigern den Militärdienst. Sie waren aktiv im Kampf gegen die Sklaverei und für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Quäker mischen sich überall in der Welt in Krisen- und Konfliktgebieten ein und leisten humanitäre Hilfe.
So auch direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. 1947 erhielten die britischen und amerikanischen Quäker den Friedensnobelpreis für „die stille Hilfe der Namenlosen an die Namenlosen“. Und weiter hieß es in der Laudatio:„Ihre Art zu kämpfen ist die Botschaft der guten Taten, die Botschaft, dass Menschen bei allen Unterschieden in Kontakt miteinander treten können, um eine Grundlage des Friedens zu bilden.“ Friedensbildung war ihr wichtigstes Ziel, auch im „geschlagenen und geächteten Deutschland“, wo 1945 eine unsägliche Not herrschte. Aber die Quäker wollten nicht nur praktische und materielle Hilfe für Menschen in Not leisten. Sie wollten auch, ihrer Menschenund Weltsicht entsprechend,„den Teufelskreis aus Intoleranz, Ressentiments und immer neuer Gewalt durchbrechen“. Sie wollten mit innovativen Methoden eine „neue Atmosphäre schaffen, in der Männer und Frauen das Elend, die Ressentiments und die Verluste der Vergangenheit überwinden und lernen konnten, ihre Mitmenschen mit neuen Augen zu sehen.“ Denn: „Unsere gemeinsame Menschlichkeit ist wichtiger als politische, rassische oder religiöse Herkunft.“ Mit größtem Engagement und mit finanzieller Hilfe halfen die Quäker nicht nur in Wuppertal, sondern in über zehn deutschen Städten, ein Nachbarschaftsheim zu errichten. Es waren Orte, wo Menschen aus den zerstörten Stadtteilen ihre Möbel reparieren konnten oder ihre Wäsche waschen. Wo Kinder Spielmöglichkeiten hatten. Im Winter waren sie Wärmeraum und Tagungsort, wo man sich zu Diskussionen traf.„Vor allen Dingen aber sollten die Nachbarschaftsheime Experimentierstätte sein, an der in Unabhängigkeit und Eigenständigkeit ungeübte Menschen lernen können, soziale Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen.“ Heute besteht das Nachbarschaftsheim aus zwei Häusern: Das ehemalige Kirchengebäude am Platz der Republik und die Alte Feuerwache an der Gathe. Bis heute ist das Nachbarschaftsheim Wuppertal „ein Ort der Begegnung und Selbsthilfe, des friedlichen Miteinanders verschiedener Generationen, Kulturen und Nationalitäten und ein Platz für Toleranz und Weltoffenheit in der Zivilgesellschaft“. Der Zeit entsprechend haben sich Angebot und Programm gewandelt und erweitert. Kinder-, Jugendund Seniorenarbeit stehen im Mittelpunkt, vielfältige Projekte unterstützen Schule und Elternhaus. Fünfzig hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gemeinsam mit vielen Ehrenamtlern tätig. Hanna Jordan war über zehn Jahre im Vorstand des Vereins Nachbarschaftsheim, sie ist jetzt Ehrenmitglied und immer noch höchst interessiert an allen Dingen, die dort passieren.
19
An die bundesweiten Selbsthilfeorganisationen und -vereinigungen Sehr geehrte Damen und Herren, in Ihrer Organisation erfahren Sie täglich, wie wichtig es ist, dass die Arbeit von Selbsthilfegruppen anerkannt und dauerhaft unterstützt wird. Die Arbeit von Selbsthilfegruppen wie auchdie von unterstützenden Einrichtungen, die informieren, Zugänge herstellen, bestehende Gruppen begleiten und sich auf der politischen Ebene für ihre Interessen einsetzen, brauchen ein Netzwerk und eine Lobby. Seit 1984 bietet unsere Einrichtung NAKOS – die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen in Berlin – Informationen und Serviceleistungen rund um die Selbsthilfe in Deutschland an, und das kostenlos. Viele ratsuchende Bürgerinnen und Bürger und professionelle Multiplikator/innen wenden sich mit ihren Anfragen direkt an die NAKOS. Die Homepage der NAKOS wiederum erhält monatlich rund 34.000 Zugriffe. Bereit gestellt werden Adressverzeichnisse und Datenbanken von Bundesorganisationen zu allen Themen der Selbsthilfe und von Selbsthilfekontaktstellen, die auf örtlicher Ebene Selbsthilfegruppen unterstützen und beraten. Menschen mit seltenen Erkrankungen und Problemen werden bei ihrer bundesweiten Suche nach Gleichbetroffenen unterstützt. Die NAKOS bündelt Erfahrungen und formuliert Interessen. In Studien arbeitet sie das Wissen über die Selbsthilfe in Deutschland auf. Mit Arbeitsmaterialien, Fachtagungen und Workshops werden fachliche Standards gesichert und Impulse für innovative Entwicklungsfelder der Selbsthilfeunterstützungsarbeit gegeben (z.B. Familienbezug, Netzwerk- und Stadtteilorientierung, Migration und Selbsthilfe). Das Bundesfamilienministerium hat nun beschlossen, die NAKOS ab 2009 nicht mehr zu fördern. Dadurch ist die fach- und themenübergreifende Vernetzungs- und Unterstützungsarbeit der NAKOS in ihrer Existenz bedroht. Gegenwärtig wird im Bundestag der Haushaltsentwurf für das Jahr 2009 beraten. Dabei geht es auch um die Förderung der NAKOS durch das BMFSFJ.
An die bundesweiten Selbsthilfeorganisationen und -vereinigungen ! Wir bitten Sie herzlich: Unterstützen auch Sie NAKOS! Nehmen Sie Kontakt zu Bundestagsabgeordneten auf, weisen sie auf die Bedeutung der NAKOS hin und sprechen Sie die Förderproblematik an. Wenden Sie sich an die verschiedenen Fraktionen im Deutschen Bundestag und treten Sie dafür ein, die Weiterförderung der NAKOS durch das BMFSFJ zu beschließen. Signalisieren Sie uns Ihre Unterstützung durch eine Mitteilung, damit wir Sie in die Liste der unterstützenden Personen / Organisationen / Institutionen aufnehmen können. Diese Liste ist im Internet öffentlich gemacht (http://www.nakos.de/site/data/NAKOS/PK-unterstuetzendeOrganisationen-20080922.pdf ). Wenn Sie an Abgeordnete schreiben, senden Sie bitte eine Kopie dieses Schreibens an die NAKOS. Schon im Voraus vielen Dank für Ihre Mithilfe! Mit freundlichen Grüßen Prof. Dr. Raimund Geene Vorstand der DAG SHG e.V.
20
Auszüge aus der Master-Thesis zur Erlangung des Grades eines Masters of Arts im Postgradualen Fernstudium Sozialmanagement (Alice Salomon Fachhochschule und Paritätische Akademie) (Februar 2008)
Birgit Monteiro
Wie offen sind offene Bereiche in Nachbarschaftsheimen Einleitung Gegenstand der Arbeit sind die „Offenen Bereiche“ in Nachbarschaftsheimen. Der Begriff Nachbarschaftsheim dient dabei als Oberbegriff für jene Einrichtungen der sozialen Arbeit, denen nachbarschaftlicher Bezug, zielgruppen- und generationsübergreifende Arbeit, die Verknüpfung von sozialer Unterstützung mit kulturellen Angeboten, Bildung und Beratung sowie eine gewisse Aufgabenvielfalt als wesentliche Merkmale gemeinsam sind. Neben diesen konstituierenden Gemeinsamkeiten zeichnet sich der Einrichtungstyp „Nachbarschaftsheim“ durch eine große Vielfalt von Namen, Konzepten und Arbeitsweisen aus. Bezeichnungen für ein Nachbarschaftsheim im beschriebenen Sinne können u.a. sein: Nachbarschaftshaus, Bürgerhaus, Stadtteilzentrum, Kiezladen, sozio-kulturelles Zentrum, Selbsthilfekontaktstelle, Quartiersbüro, Gemeinwesenprojekt und Mehrgenerationenhaus (MGH). Die historisch jüngste Bezeichnung in dieser Reihe ist die Bezeichnung Mehrgenerationenhaus. Mit den Mehrgenerationenhäusern soll das Miteinander der Generationen gefördert, freiwillige Initiativen unterstützt und die Vorteile und das Leistungsvermögen familiärer Netzwerke bewahrt, gestärkt und in eine moderne Form übertragen werden. Für diesen Förderzweck stellt die Bundesregierung für jeweils bis zu fünf Jahre je Haus eine Summe von 40.000 Euro jährlich für Sach- und Personalkosten zur Verfügung. Die Programmausschreibung macht verschiedene verpflichtende Vorgaben, wie die Einbeziehung aller Altersgruppen, die Mitwirkung von Haupt- und Ehrenamtlichen auf gleicher Augenhöhe und die Einbeziehung der lokalen Wirtschaft. Zwingend vorgeschrieben ist ebenfalls das Vorhalten eines offenen Bereiches. Bewerber, die diesen nicht vorweisen können oder wollen, fallen aus dem Bewerbungsverfahren heraus, haben keine Chance auf Bewilligung ihrer Anträge. Dieses Ausschlussverfahren spricht dem Offenen Bereich eine enorme, eine neue Bedeutung zu. Es stellen sich in Anbetracht der geschilderten Situation folgende Fragen: Woher kommt die neue Bedeutung des Offenen Bereiches? Mit welcher Zielsetzung ist sie verbunden? Was bedeutet das für andere nachbarschaftliche Einrichtungen, die nicht als
Mehrgenerationenhaus gefördert werden? Wie gehen diese mit dem Offenen Bereich um? Welche Bedeutung hat er für sie? Und vor allem: Was ist der Offene Bereich? Wie wird er definiert? Wofür steht er? Und: Wie offen ist der Offene Bereich tatsächlich? Wer nutzt ihn? Wer nutzt den Offenen Bereich nicht oder kaum? Wie sieht der Offene Bereich in der Praxis aus? Was macht ihn aus? Ziel der Arbeit ist es, erste Antworten auf diese Fragen zu finden. Kompetente und erfahrene Ansprechpartner von zehn Einrichtungen wurden befragt. Was ist der Offene Bereich? Herkunft des Begriffes, Definitionen und Beschreibungen Vor den 70er Jahren findet man vor allem den Begriff der „Offenen Arbeit“ und das überwiegend in der Kinder- und Jugendarbeit. Mit der Einführung des Kinderund Jugendhilfegesetzes wurde die Offene Jugendarbeit erstmals in einem Gesetz erwähnt. Das Prinzip der Offenheit erfordert eine niedrigschwellige Kommstruktur und eine Einrichtung, die ohne Vorbedingungen allen offen steht. Dies hat Auswirkungen auf o
die Öffnungszeiten (nicht nur nachmittags für die Schüler, sondern auch abends und an den Wochenenden für junge Berufstätige)
o
die Programmvielfalt, bei der verschiedene Zielgruppen (Mädchen, Jungen, Schüler, junge Arbeiter und Arbeitslose) berücksichtigt werden
o
das Raumangebot.
Allerdings bleibt die Offenheit in der Kinder- und Jugendarbeit an ein entscheidendes Kriterium gekoppelt: das Alter. Offene Arbeit und Offener Bereich in Jugendeinrichtungen meint mit Offenheit immer, offen zu sein für Menschen, die unter 27 Jahren alt sind. „Offen für alle“, das ist das Motto, das Grundprinzip der Arbeit der Nachbarschaftseinrichtungen. Für Nachbarschaftseinrichtungen, die Mitglied im Verband für sozial-kulturelle Arbeit sind oder diesem sich zugehörig fühlen, gehört der Offene Bereich zu den Dingen, die jede Einrichtung irgendwie hat, wenn
21
auch sehr verschieden in Umfang und Ausgestaltung, die als selbstverständlich angesehen werden, aber nur mit einer gewissen Unschärfe definiert und zu beschreiben sind. Im Leistungskatalog der Nachbarschaftszentren aus dem Jahr 1994 heißt es u.a.: „Die Berliner Nachbarschaftszentren sind Gemeinschaftseinrichtungen im Stadtteil, die allen Bewohnern zugänglich sind... Die Nachbarschaftszentren unterstützen die Selbstorganisation der Anwohner, indem sie für Zusammenschlüsse, Vereine und Gruppen Räume zur eigenverantwortlichen Nutzung bereitstellen...“ 1 Einen Standard zu Vorhaltung oder Ausgestaltung eines Offenen Bereiches gibt es nicht. Eine besondere Rolle für den Offenen Bereich in den Nachbarschaftshäusern spielt das Café im Nachbarschaftshaus. Das Café spielt auch im Rahmen des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser eine wesentliche Rolle. Hier werden die Begrifflichkeiten „Offener Bereich“,„Offener Treff“,„Café“,„Caféstube“,„Caféteria“ und „Öffentliches Wohnzimmer“ weitgehend synonym verwendet. Ursula von der Leyen hat ein Bild aufgegriffen, das eine Zeitung zur Beschreibung der Mehrgenerationenhäuser verwendet hatte, das Bild vom „öffentlichen Wohnzimmer“. „Mehrgenerationenhäuser unterscheiden sich wesentlich von anderen Einrichtungen durch ihren Offenen Bereich. Hier werden Gelegenheitsstrukturen geschaffen, die Begegnungen zwischen unterschiedlichen Menschen ohne Stundenplan, Themenzentrierung, Zielgruppenzugehörigkeit ermöglicht. Die Angebote richten sich nach den Bedarfen und Bedürfnissen der Menschen nach dem Prinzip der Selbsthilfe. Das Ziel ist voneinander zu lernen, miteinander aktiv zu sein und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Angebote sind lebensnah und umfassen Alltagskultur, Bildung, Beratung, Information, Dienstleistung, Betreuung und Entlastung bis zur Pflege.“ 2 „Bisher gibt es die Trennung von privat und öffentlich, d.h. die Privatheit von Familien, Individuen und die Öffentlichkeit, die im Wesentlichen Erwerbstätigkeit definiert wurde. Die offenen Treffs sind ein neues Bindeglied zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Sie sind auch ein Mittel zum Zweck für die Möglichkeit, dass Menschen über ihre Kompetenzen wahrgenommen werden und ihre Kompetenzen dabei auch weiterentwickeln können. Vor allem durch die Möglichkeit im offenen Treff sich durch Angebote selbst mit einbringen zu können.“ 3
22
Nach meinem Dafürhalten könnte in diesem Sinne der offene Bereich die Funktion eines öffentlichen Wohnzimmers haben, eines Bereichs also, in dem man sich wohlfühlt, sich ohne Voranmeldung und absolut unverbindlich aufhalten kann, wo man sich zu nichts verpflichtet, es warm und gemütlich hat, man bei Bedarf ein Getränk oder einen Imbiss preiswert erwerben und, wenn man möchte, mit anderen Menschen ins Gespräch kommen kann. Gleichzeitig hat der Offene Bereich etwas von der Funktion eines überdachten und beschützten Marktplatzes der Möglichkeiten. Man erhält hier Informationen zu weiteren Angeboten und Aktionen und nimmt am Geschehen des Kiezes, der Gemeinde, des Wohnumfeldes Anteil. So unterschiedlich Wohnzimmer im Einzelnen auch sein mögen, gemeinsam ist ihnen, dass sie positive Gefühle assoziieren. Forschungsmethode Ich habe mich in der Arbeit mit der Entscheidung für Experten-Interviews und deren Analyse für eine qualitative Herangehensweise an die Problematik entschieden. Kombiniert wurde diese mit quantitativen Aspekten in der Auswertung. Dabei bin ich in folgender Reihenfolge vorgegangen: 1. Literaturrecherche (laufend bis zum Abschluss der Arbeit) und Auswahl der zu befragenden Einrichtungen. Für die Interviews wurden sowohl Nachbarschaftsheime ausgewählt, die als Mehrgenerationenhaus gefördert werden, als auch andere. Einrichtungen im ehemaligen Ostberlin und im ehemaligen Westberlin wurden einbezogen, sowie eins der ersten Mehrgenerationenhäuser in Niedersachsen. 2. Erarbeitung eines Interviewleitfadens, Ermittlung von zu erfragenden Schwerpunkten. 3. Durchführung von Interviews vor Ort und Aufzeichnung als Audio-Datei. Einzige Ausnahme: mit der Einrichtung in Niedersachsen wurde ein telefonisches Interview geführt, die Aufzeichnung erfolgte jedoch ebenfalls als Audio-Datei. 4. Sinnerhaltende Transkription der Audio-Dateien, besonders relevante Passagen wurden wortwörtlich integriert. 5. Freigabe-Einholung der Interviewprotokolle zur Veröffentlichung in der Arbeit. 6. Zusammenfassung der Protokolle zu Analysezwecken in einer Tabelle. Die Datenerhebung zum Offenen Bereich in Nachbarschaftsheimen erfolgte in der vorliegenden Arbeit mit offenen Leitfäden.
Aus den Interviews Mehrgenerationenhaus Berlin Pankow - Pankower Früchtchen gGmbH Das Interview mit Maria Pfennig wurde am 10.01.2008 geführt. Maria Pfennig ist die Projektentwicklerin der Pankower Früchtchen und auch die direkte Konzeptentwicklerin und Antragsautorin für das Mehrgenerationenhaus. Das Mehrgenerationenhaus der Pankower Früchtchen versteht sich als „Mehrgenerationenhaus Prototyp Familienbildung Plus“. Das Haus kann bisher nur außerhalb der Hortzeiten als Mehrgenerationenhaus genutzt werden,„aber nicht so, dass man hier einfach reinspaziert und sich irgendwo hinsetzt, sondern das kann aktuell nur in Abstimmung mit der Koordinatorin passieren. Man kann die Räume nutzen für einen Treff, für eine Stillgruppe, für Musizieren, Karten spielen, wofür auch immer, das muss organisiert werden, weil wir bisher noch kein Begegnungscafé oder dergleichen haben.“ Der Offene Bereich selbst soll erst in diesem Jahr (2008) durch eine Investitionsmaßnahme unter der Bezeichnung „Begegnungscafé“ entstehen. Weder Haus noch Träger kommen aus der offenen Arbeit und sind auch historisch nicht mit den Berliner Nachbarschaftshäusern zu vergleichen. Ein Klassenraum ist als Mehrgenerationenraum hergerichtet, wird allerdings während der Hortzeiten auch vom Hort genutzt. Der Raum ist, wenn nicht eine angemeldete Aktivität stattfindet, verschlossen. In ihm gibt es ein Sofa. Das geplante Begegnungscafé soll erreichen, dass die Eltern auch einmal länger sitzen bleiben und sich verstärkt austauschen. Der Cafébereich wird einsehbar sein, der Träger überlegt zur Gewährleistung der Sicherheit außerdem, nach Fertigstellung des Cafés Besucherbuttons einzuführen. Es gibt die Vorgabe des Bundesfamilienministeriums, dass es dieses Begegnungscafé geben soll. Der Zuwendungsbescheid erging bisher für zwei Jahre mit der Aussicht auf eine insgesamt 5-jährige Förderung. Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. Das Interview mit Matthias Winter und Christa Hagemann wurde am 18.01.2008 geführt. Matthias Winter ist Geschäftsführer des Nachbarschaftshauses Urbanstr. e.V. und Christa
Hagemann die zuständige Mitarbeiterin u.a. für den Tauschring und den Offenen Bereich. Das Nachbarschaftshaus Urbanstraße hat eigentlich zwei Offene Bereiche, zum einen den kleinen Cafébereich im Erdgeschoss des Hauses und zum anderen, besonders im Sommer, den großen Garten. Der Offene Bereich ist eigentlich immer offen für spontane Besucher, nur im absoluten Ausnahmefall, z.B. bei Fachtagungen, steht der Offene Bereich nicht den BesucherInnen zur Verfügung. Hauptnutzer des Offenen Bereiches sind Senioren und in letzter Zeit verstärkt auch Leute, die an einem bestimmten Thema arbeiten wollen. Der zweite Offene Bereich ist der Sommergarten, der bis 18 Uhr geöffnet hat. Er wird vor allem von Frauen und Familien genutzt. Spielgeräte der Kita stehen auch den Besuchern zur Verfügung. Im Garten gibt es außerdem Grills, die nach Voranmeldung mitgenutzt werden können. Der Offene Bereich im Haus, also das Café, ist ein wichtiger Kommunikationsort des Hauses, hier ist immer Verkehr, sowohl Mitarbeiter als auch Gäste nutzen ihn. Es ist ständig ein Kommen und Gehen, außer vielleicht im Sommer, da wird der Garten bevorzugt genutzt. Der Offene Bereich ist kein verschenkter Bereich, ohne ihn, wäre einiges anders. Das Haus hat vergleichsweise wenig Besucher mit Migrationshintergrund, da im direkten Umfeld nicht so viele Migranten wohnen. Migranten kommen nach Erfahrung des Hauses eher zu konkreten Angeboten, als in den offenen Bereich. Derzeit ist aber gerade eine kleine Verschiebung im Gange,da mehr Kitakinder mit Migrationshintergrund aufgenommen werden und deshalb auch zunehmend deren Eltern erreicht werden, fast gar nicht hingegen aber ältere Migranten. Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. Das Interview mit Georg Zinner wurde am 29.01.2008 geführt. Georg Zinner ist Geschäftsführer des Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. „Ich denke, der offene Bereich ist ein niedrigschwelliger Zugang zu einer Einrichtung und ermöglicht den Leuten, sich in der warmen Stube aufzuhalten ohne eine Verpflichtung eingehen zu müssen und ermöglicht es ihnen, sich zu orientieren, sich umzuschauen. Tatsächlich denke ich, dass ein offener Bereich, nicht wie man meint, die Leute anzieht, sondern dass er vom eigentlichen Zweck, eine Einrichtung zu besuchen, eher abhält.“ Georg Zinner hält den Offenen Bereich für überschätzt, da Kontakte anders abliefen. Seiner Erfahrung nach brauche man einen Grund, um irgendwo hinzugehen. Dies könne ein Sprachkurs, ein Bewegungsangebot, eine Kindertagesstätte oder ein Selbsthilfetreff-
23
punkt sein. Und erst, wenn man diesen Grund, dieses Angebot und darüber einen Zugang zum Haus gefunden habe, nutze man den Offenen Bereich. Zu den Möglichkeiten von Cafés in Nachbarschaftshäusern befragt, sagt er: „Ich würde so ein Café nie besuchen. Ich hätte immer Angst, dass irgend so ein Sozialarbeiter mit ´nem Hintergedanken an der Theke steht und überlegt, was hat der für ein Problem und was kann ich ihm anbieten.“ Im Normalfall kommt man hierher mit einem konkreten Anliegen, besucht eine Veranstaltung oder einen Kurs und trifft sich vorher oder nachher im Café. Eigentlich habe das Café den Charakter einer Cafeteria zur Versorgung der Nutzer des Hauses. Nachbarschaftsheim Mittelhof e.V.
desfamilienministeriums ein Mehrgenerationenhaus in Trägerschaft des Mittelhofs. Noch ist es ein hässlicher Unort, der sich erst noch entwickeln muss. Außerdem ist der Mittelhof angesprochen worden, einen Mehrgenerationenspielplatz einzurichten. Und was meint Gisela Hübner zu der Pflichtvorgabe an Mehrgenerationenhäuser, einen Offenen Bereich vorzuhalten? „Offen für alle, ist ein Arbeitsprinzip für uns, unser Verband schreibt das auch, das muss uns niemand vorgeben. Ich wäre sauer, wenn die Senatverwaltung das als Vorgabe machen würde, was für uns selbstverständlich und die Grundlage unserer Arbeit ist.“ Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum NUSZ ufaFabrik e.V. Das Interview mit Renate Wilkening fand am 06.02.2008 statt. Renate Wilkening ist Geschäftsführerin des Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum
Das Interview mit Gisela Hübner wurde am 06.02.2008 geführt. Gisela Hübner ist Geschäftsführerin des Nachbarschaftsheim Mittelhof e.V. Im Nachbarschaftsheim Mittelhof sind eigentlich alle Bereiche offen.„Das Herzstück des Hauses ist das Nachbarschaftscafé „Café Mittelhof“, das jedem die Möglichkeit lässt, ohne sich gleich festlegen zu müssen, ohne gleich angesprochen zu werden, das Nachbarschaftshaus erst einmal kennenzulernen.“ Das Café ist ein bekannter Anlaufpunkt für Familien mit Kindern. Vergleichbare offene Bereiche gibt es in allen anderen Projekten, die der Mittelhof übernommen hat. Größtenteils handelt es sich dabei um ehemalige Jugendfreizeiteinrichtungen, die jetzt, auch wegen der veränderten Bedarfsstruktur, in Richtung Nachbarschafts- und Familientreff bzw. Treff der Generationen geöffnet werden. Angebote dieser Art entwickelte das Mutterhaus Mittelhof in ganz Zehlendorf und Steglitz. Neben dem Café gibt es einen Wintergarten und eine Bibliothek, bei denen die Tür ganz nach Bedarf und Laune zugemacht oder offen gelassen werden kann. Im Café kann man Zeitungen lesen, zwei Tageszeitungen und die Zitty liegen hier für die Gäste aus. Man kann miteinander reden, muss es aber nicht. Berufstätige haben anscheinend während der Woche nicht so einen Bedarf nach einem Offenen Bereich, sondern nutzen eher konkrete Angebote in den Abendstunden. Sonntags kommt ins Café ein anderer Besucherkreis als während der Woche. In Zehlendorf-Süd entsteht unter Förderung des Bun-
24
NUSZ ufa-Fabrik e.V. In der ufa-Fabrik gibt es mehrere Offene Bereiche: den Familientreffpunkt, das Café, den Kinderbauernhof und eigentlich auch das gesamte Gelände. Die Türen zur ufa-Fabrik sind 24-Stunden, also Tag und Nacht offen. Die Gäste können überall frei herumspazieren. Der Offene Bereich wurde nicht aus der Literatur abgeleitet, sondern erklärt sich aus der Geschichte der ufa-Fabrik. „Berufstätige nutzen die offenen Bereiche selten tagsüber.“ Befragt zu dem Pflichtkriterium des Offenen Bereiches an Mehrgenerationenhäuser, sagt Renate Wilkening: „Ich bin immer für das Prinzip der Freiwilligkeit und würde lieber auf Geld verzichten, bevor ich mich zu etwas zwingen lasse. Es ist für mich ein bisschen paradox, so einen offenen Bereich einzufordern. Nachbarschaftshaus Kiezspinne FAS e.V. Das Interview mit Dagmar Buresch und Michael Kunze wurde am 06.02.2008 geführt. Beide sind Stellvertreter der Geschäftsführung des Kiezspinne FAS e.V. In der Kiezspinne gibt es einen sehr großen und einladenden Offenen Bereich, der sich im Erdgeschoss im Foyer des Hauses mit Empfangstresen, Cafébereich und Kinder-Kreativwerkstatt befindet.
Der Offene Bereich ist ein Ort der Kommunikation, zum einen zwischen den Mitarbeitern, zum anderen zwischen den Gästen, aber auch zwischen Mitarbeitern und Gästen, die sich während der Essenszeiten im Café begegnen. Stammgäste kommen oft vor den Veranstaltungen oder Angeboten und verweilen auch nach diesen noch etwas im Haus, trinken gemeinsam Kaffee, besprechen sich. Es gibt auch Gäste, die sich gezielt im Offenen Bereich verabreden, diesen als Ort für ungezwungene Treffen nutzen. Es wird geschätzt, dass sich Stammbesucher, die auch Angebote des Hauses wahrnehmen und Besucher, die nur den Offenen Bereich und das dortige gastronomische Angebot nutzten, in etwa die Waage halten. Der Offener Bereich wird als Bereich gesehen, der allgemein zugänglich ist, in dem sich jeder frei bewegen kann, in dem man machen kann, was man möchte, im Rahmen der Hausordnung versteht sich, in dem man sich ungezwungen bewegen kann, ohne Verpflichtung zu weitergehendem Engagement. Mit dem Umfang des Offenen Bereiches ist man in der Kiezspinne zufrieden. Frei-Zeit-Haus e.V. Das Interview mit Christoph Lewek wurde am 08.02.2008 geführt. Christoph Lewek ist Geschäftsführer des Frei-ZeitHaus e.V. Es gibt hier mehrere Offene Bereiche. Es gibt einerseits Cafés im Umfeld, anderseits werde Weißensee nachgesagt, dass es ein wenig verschlafen sei. Bzw. die Leute machen lieber einen Spaziergang um den See als sich ins Café zu setzen. Nachbarschaftsheim Neukölln e.V. Das Interview mit Bernhard Heeb wurde am 19.02.2008 geführt. Bernhard Heeb ist Koordinator der Stadtteilarbeit im Nachbarschaftsheim Neukölln e.V. Der Offene Bereich im Nachbarschaftsheim Neukölln erstreckt sich über ca. zwei Drittel des Hauses, ausgenommen ist nur der Kitabereich, der sich im Erdgeschoss in der hinteren Haushälfte befindet. Am Haus gibt es einen Garten, der als „Familiengarten“ bei gutem Wetter ebenfalls als Offener Bereich genutzt wird. Der zweite Offene Bereich ist das Kiezcafé. Das Kiezcafé befindet sich im Erdschoss im Raum „Teestube“. Es ist grundsätzlich für alle offen. „Wenn jemand anruft, weil er das Programm gesehen hat oder weil es ihm empfohlen wurde und fragt, was es so alles im Nachbarschaftsheim gibt, dann empfehlen wir in der Regel, dass er ins Kiezcafé kommen
und die Kinder gleich mitbringen soll. Dort kann man sich einen Eindruck machen, alles angucken und die Leute kennenlernen.“ Arabische Migranten sind bei den Kindern in der Überzahl, bei den Eltern im Kiezcafé sind osteuropäische stärker vertreten. Die Gäste kommen beim Kaffee miteinander ins Gespräch. Berufstätige Gäste gibt es wenige. Senioren kommen ebenfalls kaum ins Kiezcafé.„Der offene Bereich hat die Funktion, mit den Menschen, für die wir Angebote vorhalten, weil wir denken, dass sie und ihre Kinder diese gut brauchen können, überhaupt in Kontakt zu kommen, dass sie ohne Angst hierher kommen und sich ohne Angst an unsere Mitarbeiter wenden.“ „Ohne offenen Bereich hätten wir für ganz viele pädagogische Angebote keine Teilnehmer. Viel wichtiger als Aushänge und seitenweiser Text ist, wenn man jemanden kennt, nicht jahrelang, ihn einfach so kennt und man sagt, da gibt es einen Kurs, der ist genau richtig für dich und der, der den macht, der ist nett.“ Der Verein hat EFRE-Mittel beantragt, um eine freie Fläche, die zwischen den drei Gebäudeteilen liegt, ca. 60 qm zu überdachen und so ein permanentes Café einzurichten. Das wäre dann ein Eingangsbereich, den man mit Rampe ausgestalten könnte, so dass man auch Rollstuhlfahrer ins Haus kommen können. Von einem Pflichtkriterium „offener Bereich“ für Mehrgenerationenhäuser hält Bernhard Heeb gar nichts. NachbarschaftsEtage Fabrik Osloer Straße e.V. Das Interview mit Ruth Ditschkowski wurde am 19.02.2008 geführt. Ruth Ditschkowski ist Geschäftsführerin der NachbarschaftsEtage und Vorstandsmitglied im Osloer Straße e.V. Der Offene Bereich ist das Café. Es befindet sich in einem Hinterhaus, im ersten Obergeschoss der Fabrik Osloer Straße und ist auf zwei Wegen erreichbar. Das Café ist barrierefrei. Das Café wird den ganzen Tag als Nachbarschaftstreff genutzt. Senioren kommen weniger ins Café. Mit Senioren ist es hier schwierig. Mütterzentrum Braunschweig e.V. MehrgenerationenHaus Das Interview mit Monika Döhrmann wurde am 21.02.2008 telefonisch geführt. Monika Döhrmann ist die Geschäftsführerin des Mütterzentrum Braunschweig e.V. Der Offene Bereich des Hauses beginnt bereits im Foyer, das zentral und ebenerdig direkt im Eingangs-
25
bereich liegt. Das Café ist während der gesamten Öffnungszeiten des Hauses geöffnet.„Ich finde, ein Sofa ist nicht zwingend notwendig für einen offenen Bereich. Der offene Bereich ist wie ein öffentliches Zimmer. Er soll schon was ganz Heimeliges sein.“ Trotz Glasfassade an der Eingangsfront des Gebäudes stellt die Tür eine Schwelle für bestimmte Besucher dar. Im Sommer, wenn Stühle und Tische draußen stehen, setzt sich eher mal „Laufkundschaft“ dazu, als während der kalten Jahreszeit im Café. Die Dienstfrauen stehen oft im Foyer, mit Blick zur Küche, die meisten haben dann, wenn da jemand ein bisschen unsicher steht, ein ganz gutes Händchen dafür zu sagen ‚Sind Sie neu? Das erste Mal da? Suchen Sie was? Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?‘ Und nehmen dann die Frau an die Hand oder leiten einfach nur weiter an die entsprechende Dienstfrau. Das ist Teil ihres Arbeitsfeldes, sich um neue Besucher und Besucherinnen zu kümmern. Es ist nicht einfach, die richtige Ansprache zu finden. Man muss sich nichts vormachen:„Mehrgenerationenhäuser erreichen nicht die Menschen, denen es ganz, ganz schlecht geht.“ Analyse Bei der Auswertung der geführten Interviews fällt auf, dass neun von zehn befragten Einrichtungen einen Offenen Bereich haben, acht von zehn ein Café. Eine weitere Einrichtung plant für dieses Jahr den Umbau von Räumlichkeiten zum Café. Eine Einrichtung hat den Cafébetrieb in der Vergangenheit ausprobiert, ihn dann aber mangels Bedarfes wieder eingestellt. Das (Nachbarschafts-)Café ist unbestritten die meist praktizierte Umsetzungsform für einen Offenen Bereich in Nachbarschaftsheimen. Neben dem Offenen Bereich im Haus, dem überdachten, warmen Ort, spielen Offene Bereiche im Freien, in Gärten und auf Freiflächen in der Arbeit der Nachbarschaftsheime eine große Rolle. Sieben von zehn Einrichtungen haben einen Garten bzw. Freiflächen explizit als wichtigen Offenen Bereich benannt. Die Gestaltung der Öffnungszeiten der Cafés erfolgt in den einzelnen Einrichtung sehr differenziert, unterschiedlich ist auch die Einstellung zur Öffnung des Cafés in den späten Abendstunden. In drei Einrichtungen haben die Cafés auch nach 18.30 Uhr geöffnet, eins bis 22 Uhr, zwei sogar mindestens bis Mitternacht. In drei Einrichtungen haben die Cafés auch samstags geöffnet, in zwei sogar sonntags.
26
Im Nachbarschaftsheim Neukölln gelingt die Gewinnung von Migranten für höherschwellige Angebote fast nur über den Offenen Bereich, im Nachbarschaftshaus Kiezspinne besuchen Migranten eher spezielle Angebote als den Offenen Bereich.
Mindestens drei Häuser erwähnten, dass nach ihren Erfahrungen, Berufstätige eher Angebote und Kurse nutzen als den Offenen Bereich und wenn, dann natürlich eher am Wochenende als während der Woche. Während der Offene Bereich für Georg Zinner im Nachbarschaftsheim Schönberg vor allem die Funktion einer Kantine zur Mitarbeiterversorgung hat, schätzt Bernhard Heeb im Nachbarschaftsheim Neukölln ein, dass es ohne den Offenen Bereich u.a. nicht gelänge, Migranten für die Teilnahme an pädagogischen oder anderen Unterstützungsangeboten zu gewinnen. Weitgehend einig ist man sich jedoch in der Beschreibung der Funktion des Offenen Bereiches als Ort der Kommunikation. Schaut man sich die im Rahmen des Interviews entwickelten Definitionen für den Offenen Bereich an, zeigt sich als wiederkehrendes, zentrales Element, dass dies ein Ort sei, an dem man sich ohne Verpflichtungen, ohne Gegenleistungen aufhalten kann. Das Ernstnehmen und die adäquate Umsetzung dieser Aussage ist eine wesentliche Grundbedingung dafür, wirklich offen für alle zu sein. Im Ergebnis der geführten Interviews lässt sich zusammenfassend sagen, dass die überwiegende Mehrzahl der befragten Einrichtungen dem Offenen Bereich eine große Wertschätzung entgegen bringt. Ihnen würde eine wichtige Art des Zugangs zu den Menschen fehlen, wenn sie ihn nicht hätten. Georg Zinner, Geschäftsführer des Nachbarschaftsheimes Schöneberg vertritt mit seiner Aussage, dass der Offene Bereich überschätzt werde und eher die Leute vom Besuch der Einrichtung abhalte, bei den von mir befragten Einrichtungen eine Minderheitenposition. Er begründet seine Ansicht damit, dass seiner Meinung nach Kontakte und Kommunikation auf anderen Wegen entstünden. Man brauche erst einen „richtigen“ Grund, um in ein Nachbarschaftsheim zu gehen, damit meint er einen Kurs oder eine bestimmtes Angebot. Ob und unter welchen Bedingungen dies so ist oder ob es sich um zwei, sich ergänzende Wege des Zugangs zu den Menschen handelt, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. Resümee Die Frage, wie offen Offene Bereiche in Nachbarschaftsheimen sind, lässt sich nur sehr differenziert beantworten. Es gibt Einrichtungen, die aus eigenem Antrieb und Selbstverständnis offen für alle sind. Hinzu kommen Einrichtungen, die sich um Offenheit bemühen, weil es ein Pflichtkriterium des Zuwendungsgebers ist. Daneben gibt es Einrichtungen, bei denen beide Motivationen zutreffen.
Zudem hat sich gezeigt, dass Offene Bereiche, die vom Geldgeber vorgeschrieben werden, nicht zwingend offener sind als jene, die aus freiwilligem Entschluss der Einrichtungen entstanden sind.
Der Offene Bereich hat die Funktion eines Kommunikationsortes auf drei Ebenen: Der Kommunikation der Gäste untereinander, der internen Kommunikation der Mitarbeiter sowie der Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Gästen.
Anmerkungen
Was sind und was leisten Nachbarschaftszentren? Leistungskatalog, Verband für sozial-kulturelle Arbeit1 Landesgruppe Berlin, 1994 2 Auszüge aus der Rede der damaligen Niedersächsischen Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, Dr. Ursula von der Leyen, anlässlich der Eröffnung des Mehrgenerationenhauses am 2. Oktober in Pattensen, hrsg. vom SOS-Mütterzentrum Salzgitter, S.3. 3 Aus der Dokumentation des Gesprächs mit Annemarie Gerzer-Sass vom 30.01.2008. Annemarie GerzerSass ist die Leiterin des Servicebüros des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser der Bundesregierung im Bereich der Konzeption und Beratung bei der pme Familienservice GmbH. Sie ist Familienforscherin am Deutschen Jugendinstitut und für das Aktionsprogramm beurlaubt worden.
Anzeige
Brandes & Apsel Verlag Scheidswaldstr. 22 60385 Frankfurt am Main Tel. 069/272 995 17 11 Fax 069/272 995 17 10 E-Mail: presse@brandes-apsel-verlag.de www.brandes-apsel-verlag.de
Agathe Israel / Ingrid Kerz-Rühling (Hrsg.)
Krippen-Kinder in der DDR Frühe Kindheitserfahrungen und ihre Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheit Mit Beiträgen von Agathe Israel, Ingrid Kerz-Rühling, Luise Köhler, Irene Misselwitz, Peter Vogelsänger, Dagmar Völker 300 S., Format 20,7x 14,5 cm, Pb., � 24,90/sFr 44,-, ISBN: 978-3-86099-869-4 • In ganz Deutschland wird eine Krippendiskussion geführt: Wie müssen Krippen aussehen, damit sich die Kleinkinder körperlich und psychisch gesund entwickeln, wenn es jetzt zur Regel wird, Kinder ab dem zweiten Lebensjahr außerfamiliär zu betreuen? • Das Buch vermittelt denjenigen, die in der Frühbetreuung arbeiten oder ihre Kinder in eine Krippe geben wollen, wertvolle Erkenntnisse anhand der Erfahrungen aus der DDR. • Krippen-Kinder in der DDR geht den Auswirkungen der frühen Krippenbetreuung nach. Dabei wird besonders der körperlich-seelischen Gesundheit und der Persönlichkeitsen twicklung Aufmerksamkeit geschenkt. Der spätere Einfluss auf die eigene Elternschaft durch die Verschränkung von familiären, institutionellen und subjektiven Faktoren wird hervorgehoben. • Die Befunde dieser qualitativen Untersuchungen stellen die Autorinnen und der Autor in den Kontext aktueller entwicklungspsychologischer Erkenntnisse und psychoanalytischer Konzepte. Besonderer Wert wird auf den Bezug zu der aktuellen Betreuungsdebatte von Kleinkindern gelegt. Die Ergebnisse betonen die Qualität der Beziehungen in den Einrichtungen und messen der Bewältigung von Entwicklungsschritten der Kinder eine zentrale Bedeutung bei.
27
MGH Pankower Früchtchen
NBH Urbanstr.
Wo ist der Offene Bereich?
nirgends
im Cafébereich im EG und Garten
Eingangssituation
versteckt, über den Hof
nicht barrierefrei, Eingangstür ist Hürde
eher wie Vorraum einer Villa, drinnen: Glas lässt Blick Verwaltungsgebäude als ins Café zu NBH, viele Schilder
Café vorhanden?
nein
ja, im EG
ja, etwas versteckt im EG ja, im EG
Veränderungsbedarf
Baumaßnahme zur Einrichtung eines Cafés erforderlich
nicht barrierefrei, Einbau Fahrstuhl geplant
Überlegungen zur offensiven Zugänglichmachung des Eingangsbereiches
nein
Probleme rund ums Café
k.A.
steuerrechtlich vorsichtiges Herangehen
kaum wirtschaftlich zu betreiben
betriebswirtschaftlich schwierig
wie viele Tage hat Offener Bereich im Haus pro Woche geöffnet
gar nicht
5 Tage
5 Tage
NBH Mittelhof
6 Tage Di.Mi,Do: 10-13; Di, Mi, Do, Fr, Sa, So: 14.30-18.30 Uhr
alle Bereiche offen, besonders Café und Garten
Öffnungszeiten des Offenen Bereiches im Haus
vor 12 und nach 18 Uhr Haus nutzbar, kein OB
Mo-Fr 10-17
Mo-Fr 11-18 Uhr, Freitagnachmittag personell noch unabgedeckt
Ehrenamtliche/ neue Mitstreiter / Projekte über Offenen Bereich gewonnen
k.A.
kreative Schreibgruppe, Theatergruppe für Arbeitslose, Gesprächskreis zum Thema Sterblichkeit, Englisch-Nachhilfe
k.A.
ja, z.B. Menschen, die sich für Stadtspaziergänge oder Kulturarbeit engagieren
Ehrenamtliche Arbeit im Café
k.A.
k.A.
z.Zt. nein
ja, Vormittagscafé in ehrenamtlicher Betreuung
Ansprache/ Erstkontakt
k.A.
Tresendienst/ MAE-Kräfte, Fingerspitzengefühl
ggf. im Café
durch Haupt- und Ehrenamtliche im Café
Rentner auf 400-EuroBasis (ergänzend geförderte AN)
eine Mitarbeiterin, die ehrenamt-liches und Minijobteam koordiniert
Nutzer des Hauses vor und nach Angeboten, Mitarbeiter zum Essen und Besucher, die das Haus bereits kennen
Familien, Senioren, Berufstätige während Woche eher in Kursen
eine Mitarbeiterin, die auch für Tauschring zuständig ist (ergänzend geförderte AN) Café: vor allem Senioren und Menschen, die an einem bestimmten Thema, wie Ernährung mitarbeiten wollen, etwas unterrepräsentiert sind Migranten; Garten: vor allem Frauen und Familien
festangestellte Mitarbeiter im Offenen Bereich
k.A.
Nutzer des offenen Bereiches
k.A.
ergänzender, niedrig-schwelliger Zugang durch z.B.
k.A.
Tauschring
k.A.
Familientrödelmarkt, Mrz-Okt, samstags
Beispiele für höherschwellige Angebote, in die über den offenen Bereich vermittelt wird
Chor, Tanz, Kurse
Bildungs- und Beratungsangebote
umgedreht beobachtet: erst konkrete Angebote, dann Nutzung des Offenen Bereiches
k.A.
k.A.
Kleinkinderspielplatz im Garten in Sichtnähe zur Terasse, Verein in anderem Bereich bzgl Einrichtung eines Mehrgenerationenspiel platzes angesprochen worden
Wunsch: offene Angebote für Kinder und Jugendliche unter Betreuung einer pädagogischen Fachkraft finanziert zu bekommen; Public Viewing im Garten
Besonderheiten/ Bedarfe
Videokamera vorhanden, Besucherbuttons werden diskutiert
Symbole
Sofa in Klassenraum vorhanden
offene Tür der zuständigen Mitarbeiterin im k.A. Eingangsbereich signalisiert Offenheit
Besondere Aussagen
Das Haus kann nur außerhalb der Hortzeiten als MGH genutzt werden, aber nicht so, dass man hier einfach reinspaziert und sich hinsetzt, das kann nur in Abstimmung mit Koordinatorin passieren.
Die Menschen in unserer Gesellschaft haben heute zunehmend weniger Raum und Gelegenheit oder es ist aus der Mode gekommen, sich ungezwungen zu besuchen, das macht man ja kaum noch…
Georg Zinner würde so ein Café nie besuchen. Er hätte immer Angst, dass der Sozialarbeiter am Tresen über ihn und seinen potentiellen Hilfebedarf nachdenkt
Ableitung des Begriffes OB
k.A.
k.A.
aus Jugendfreizeitarbeit, Nachbarschaftshäuser k.A. waren früher untypisch
Funktion des Offenen Bereiches
Treffpunkt und Aktivierungs-möglichkeit zu bürgerschaftlichem Engagement
wichtiger Kommunikationsort, Überleitungsmöglichkeit zu anderen Angeboten/ Beratung/ Bildung usw.; damit niedrigschwelliger Zugang
Kantinenfunktion, Versorgung der Nutzer und Mitarbeiter des Hauses
Dadurch unterschiedliche Leute im Haus, die noch nicht genau wissen, was sie wollen.
k.A.
Der Bereich in einer Einrichtung, der offen zugänglich ist, wo man hineingehen kann, ohne mit ganz konkreten Verpflichtungen konfrontiert zu werden. Es ist ein Ort, in dem man willkommen ist, wo man etwas tun kann, ohne sich zu einer regelmäßigen Teilnahme oder sonstigen Gegenleistung zu verpflichten.
Der OB ist ein niedrigschwelliger Zugang zu einer Einrichtung und ermöglicht den Leuten, sich in einer warmen Stube aufzuhalten, ohne eine Verpflichtung eingehen zu müssen, sich zu orientieren und sich umzuschauen.
Herzstück und Möglichkeit, ohne sich gleich festlegen zu müssen, das Nachbarschaftshaus erst einmal kennenzulernen.
Definitionsversuche
Wertung der Bedeutung eines Offenen Bereiches
Meinung zu Pflichtvorgabe des BMFSJF
28
NBH Schöneberg im Café, Garten und teilweise die Sitzmöglichkeiten auf allen Etagen
k.A.
k.A.
These, dass der Offene Bereich nicht, wie man meint, die Leute sehr postiv, ohne ihn, würde anzieht, sondern vom etwas wichtiges fehlen eigentlichen Zweck, eine Einrichtung zu besuchen, eher abhält. Offener Bereich wird überschätzt. nicht schlimm, sie berge aber Gefahr, dass Verwaltung formalisierend in k.A. den Ablauf von Kommunikation eingreife und diese dann teilweise verkrampfe
Es gibt des Bedarf, dass Menschen sich irgendwo versammeln, Möglichkeiten für Gemeinschaft und Kontakte finden.
große Wertschätzung
“Das uns muss uns niemand vorgeben. Ich wäre sauer, wenn die Senatsverwaltung das als Vorgabe machen würde, was für uns selbstverständlich und Grundlage unserer Arbeit ist.”
NUSZ ufafabrik
NBH Kiezspinne
Familientreffpunkt, Café, im Café (Foyer im EG) und Kinderbauernhof, eigentlich im Garten das gesamte Gelände
Frei-Zeit-Haus Saal im Eingangsbereich des Hauses, Garten, Familienladen”Anton und Lola”
NBH Neukölln
zwei Drittel des Hauses, Teil im Café im 1. OG eines des EG und OG, dazu kommt Hinterhauses Familiengarten
Tresen (am Eingang) und Café
Aufsteller vor Tür, wenn Café Café auf zwei Wegen geöffnet; kleine Tische und erreichbar, gut Stühle vor Teestube ausgeschildert
Glasfront gibt Einblick, Barhocker am Tresen direkt am Eingang
zentrale Informationsstelle im Eingangsbereich
sehr offen, große Fensterfront, viel Platz
viel Glas im Eingangsbereich, moderner Anbau
ja, in separatem Gebäude auf dem Gelände
ja, im EG
nein
in einigen Gebäudeteilen Umbauten für Barrierefreiheit notwendig
mehr Gemütlichkeit erwünscht, Verlegung des Empfangstresens geplant
Café als selbständige GbR, die nicht mit Verein zu tun hat, persönliche Verbindungen zwischen den handelnden Personen
nach Abendveranstaltungen auch nach 22 Uhr gastronomische Betreuung gewünscht, personell kaum machbar
7 Tage
tgl. 10 Uhr bis open end
k.A.
Tägliches Kaffeeangebot wurde nicht angenommen, Saal wird auch für Nachmittags- und Abendveran-staltungen gebraucht Saal: 5 Tage, Mo-Fr; Saal mit 6 Tage, Sonntag geschlossen Kaffee-ausschank: 2 Tage Haus Mo-Fr ab 9 Uhr geöffnet, gegen 21 Uhr Mo-Fr: 8-22, Sa 14-20 Uhr verschlossen, Kaffee gibt es an zwei Tagen
Ehrenamtliche müssen nicht gesucht werden, die kommen. Seniorenteilweise Künstler usw. computerkurs, Seniorenspanisch, Müttergruppen so entstanden
ja, als improvisiertes Café im ja Raum Teestube Sanierung des Hauses erforderlich, zwischen den Gebäuden soll Problem: versteckte Lage Café mit barrierefreiem Eingangsbereich entstehen
5 Tage
ja teilweise im Offenen Bereich, Mitarbeiter am Empfangstresen, Gefühl
k.A.
durch Sozialarbeiterin im Café
ja, im Serviceteam (ergänzend geförderte AN)
k.A.
Sozialarbeiterin im Café
k.A.
Trödelmarkt
Kurse
Gedächtnistraining
k.A.
Haus lockt mit attraktiver Architektur.
Im Familientreff Caféraum, der nur durch Glaswand vom ein paar Treppen höher gelegenen Spielzimmer getrennt ist.
Gelände ist 7 Tage die Woche 24 Stunden zugänglich. Ca. 40 Menschen leben auf dem Gelände, dadurch soziale Kontrolle und Einsatz der Anwohner. Keine Videokamera.
teilweise, aber eher über Mund-zu-MundPropaganda oder Freiwilligen-agentur. ja, Spätschicht rein ehrenamtlich abgedeckt Im Café nachmittags und abends durch Ehrenamtliche schwierige Situation; geförderte Arbeitsnehmer
Kaum Senioren; tagsüber andere Nutzer als abends, Eltern, deren Kinder im Haus Mittag essen hier vor allem sind, zwei Drittel Mütter, Leute, die auf gelände ein Drittel Väter, 80-90% arbeiten, abends Teilnehmer Migranten, wenige Gäste von Kursen oder Leute aus berufstätig, kaum Senioren. Nachbarschaft, Gäste der Jugendgästeetage Kieztrödel, Bernds Beratung für alle Fälle ohne k.A. Voranmeldung Deutschkurs für Migrantinnen, Frauencafé mit Bauchtanz Familienbildung, z.B. “Starke und ggf. Vorträgen Eltern, starke Kinder”, betreute Hausaufgabenhilfe
Mo-Do 9-18 Uhr, Fr 9-12 Uhr
türkischer Kochkurs
Honorarkräfte sog. Dienstfrau dafür verantwortlich ja Auch Männer, vor allem Frauen in Familienphasemit ihren Kindern, Seniorinnen, häufiger Wechsel, wenn Frauen in Beruf zurückkehren Second-Hand-Laden, Friseurladen
Kurse
Farben und Gestaltung für wesentlich; großer Stammtisch für 1214 Personen, kleiner Tisch für bis zu drei Personen, zwei Tische für jeweils 5-6 Personen. Sofa mit Schrankwand (in anderem Bereich des Hauses), Stammtisch
Viel wichtiger als Aushänge ist persönliche Ansprache, Skepsis gegenüber Beratung und Angeboten; Kinder dürfen im Kiezcafé verkaufen
Diskussion um das Aufstellen von Fernsehern. Viele kleine Vereine im Kiez, bei allen ist die Fabrik Osloer Straße Mitglied, beeindruckender Tresen von Vereinsmitgliedern entworfen und gebaut.
k.A.
Samowar im Café: kostenloser Tee zur Begrüßung.
Für Nachbarschaftshäuser ist es ein Qualitätsmerkmal, wenn sich Leute unstrukturiert und ohne Gruppe, also ohne Anlass treffen. Dann zeigt es, dass es etwas gibt, wo Menschen gern hingehen.
Ängste der Menschen, Probleme und Bedarfe enorm, durch persönlichen Kontakt Leute dafür sensibilisiert, dass sie etwas tun sollten, ihnen wird klargemacht, dass sie etwas tun können und sie werden motiviert, dann auch etwas zu tun.
Wichtig Öffnung zum Kiez. Früher sind die Leute nur zu den Kursen gekommen, jetzt trifft sich hier das Kiezplenum, der NachbarschaftsChor, der Kiezstammtisch usw.
Das Sofa hat Hildegard Schooß im niedersächsischen MGHProgramm mit solcher Vehemenz gefordert, dass viele meinten, sie müssten es unbedingt haben.
k.A.
Sozialromantische Vorstellung von intakter Nachbarschaft, die Wurzeln in Nachkriegszeit hat
k.A.
k.A.
Flexibilität für Häuser, Räume offen halten, zulassen, dass sich da etwas entwickelt, was man nicht in der Hand hat
In Kontakt kommen, mit den Menschen, die besonderen Unterstützungsbedarf haben und für die Angebote sind, Kommunikationsraum
wichtiger Kommunikationsort, bestehende Treffstruktur (türkischer Frauen) wird genutzt, um sie mit speziellen Themen (Gesundheit, Sexualität) zu erreichen
k.A.
Cafépersonal sehr nett und Bullaugen an den Türen zu Einladung an muslimische etwas besonders: einige von den Gruppenräumen tragen Ahmadiya-Gemeinde zum denen duzen die Leute zur Offenheit des Hauses bei. Kaffeetrinken ins Haus Vergleich mit Situation beim Einkauf, wo man in Ruhe gucken möchte,ohne aufdringlich Offene Bereiche in offenen vom Verkaufspersonal und geschlossenen Räumen, angesprochen zu werden. gesamte 18.000 qm offener Andererseits rufen Kinder Bereich von älteren Besuchern an und bitten darum, dass Mutter oder Vater angesprochen werden. erklärt sich aus Geschichte der ufa-Fabrik, Besetzung durch Künstler und Handwerker 1979, Offenheit k.A. als Teil der Vision, der Menschen, die hier arbeiten und leben wollen.
5 Tage
Für Kinder Mo-Fr jeden Mo-Fr 9.30-15 Uhr, Mo+Mi Nachmittag bis 18 Uhr, Café: ab 16, Di+Do+Fr ab 18 Uhr Mi 14-18 Uhr bis ca. Mitternacht
im Café nicht, eher im Familientreff durch Mitarbeiterin mindestens eine Mitarbeiterin (ergänzend geförderte AN)
Trödelmarkt
Kein Veränderungsbedarf. Malerarbeiten werden frühzeitig ausgeführt.
für Kinder: 5 Tage, als Café: 1 Tag
k.A.
Kartenspieler; Wartende bei der Mieterberatung; Männer, die ihre Frauen nach Veranstaltungen und Kursen abholen; Migranten seltener vertreten, Jugendliche ebenfalls selten
ja
gute Leute erwerben Kompetenzen und finden Job auf 1. Arbeitsmarkt
Helfer für Veranstaltungen ja, für selbständige Tätigkeiten andere Instrumente erfolgreicher; Kieztrödel aus Offenem Bereich entstanden ehrenamtlicher Kaffeedienst vor allem Kinder als Helfer, 2x pro Woche Berater Bernd
Berufstätige nutzen eher Kurse, Aussiedler eher bei speziellen Angeboten, kinderreiche und bestimmte sozial schwache Familien nutzen Garten häufiger als Café im Haus
MGH Braunschweig
Essensmarkensystem wegen Platzmangel in kalter zur Sicherstellung Jahreszeit nur 1x pro Woche Grundfinanzierung fürs möglich Café angedacht, Verein übernimmt Betriebskosten
k.A.
Berufstätige nutzen offene Bereiche tagsüber selten. Familientreff: Müttern mit Kindern, Familien, Arbeitslosen, Senioren, Neuberliner
NB-Etage Osloer Str.
Closed-Shops entgegen wirken
Schauen, ob Haus und Besucher zu einem passen
Jeder kann kommen, ohne sich anzumelden und kann nach seiner Fasson glücklich werden. Wenn jemand in Ruhe gelassen werden will…. Ist das das genauso in Ordnung als wenn jemand, der was sucht, zu uns kommt
Bereich, der allgemein zugänglich ist, in dem sich jeder frei bewegen kann, in dem man machen kann, was k.A. man will, ohne Verpflichtung zum weitergehenden Engagement.
Idee, dass sich Nachbarn irgendwo treffen und austauschen
k.A.
k.A.
Die Offenheit für alle ist Teil unserer Vision darüber, wie wir arbeiten und leben wollen.
Sehr wichtig für ein Nachbar-schaftshaus. Ideal Verbindung mit Café, Qualitätsmerkmal Menschen kommen oft beim Essen ins Gespräch.
Sehr wichtig: Ohne Offenen Bereich für ganz viele pädagogische Angebote keine Teilnehmer.
Zeiten ohne Cafébetrieb waren schrecklich, Einrichtung ohne Offenen Treff schwierig zu machen
sehr wichtig, bringt Anregungen und Lebendigkeit
Nicht sinvoll. Angebot muss immer unter konkreten, lokalen Gegebenheiten entwickelt werden. Und da kann es möglich sein, dass Offener Bereich nicht benötigt werde.
So etwas muss wachsen.
k.A.
Zur Förderung sozialer Prinzip der Freiwilligkeit wird Kontakte Vorgabe sinnvoll, bevorzugt. Um closed-shops aber Vorhalten allein des entgegenzuwirken okay. Raumes genügt nicht.
von der Richtung her gut, absolute Verpflichtung müsste es vielleicht nicht sein
29
Koordinierungsstelle Generationengärten (im Aufbau)
Von vielen Ansätzen, den Dialog der Generationen zu fördern, haben sich Generationengärten als besonders erfolgreich erwiesen. Wir bauen zur Zeit eine Unterstützungsstelle für alle auf, die in näherer oder weiterer Zeit die Initiative zum Aufbau eines solchen Gartens ergreifen wollen. Das Angebot wird in Partnerschaft mit dem Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. (Verband der Nachbarschaftsheime, Bürgerhäuser und Stadtteilzentren) entwickelt. Erste Kontakte, Ortstermine und Beratungen zeigen uns, dass Generationengärten ein interessantes Angebot für Gemeinden, Vereine, Mehrgenerationenhäuser darstellen und der Bedarf an Fachberatung groß ist: die Gemeinde Goldenstedt möchte einen Generationenpark, in dem sich das Mehrgenerationenhaus ‚Haus Goldenstedt‘ befindet, gestalten. Das Mehrgenerationenhaus ‚Königssee‘ ist von einer Freifläche umgeben, die zu einem Generationengarten gestaltet werden soll. Mit der UFA-Fabrik wird es erste Gespräche zu unserer inhaltlichen Arbeit und möglichen Generationengärten noch im Oktober geben. Diese Nachfragen und Gespräche motivieren uns, den weiteren Aufbau der Unterstützungsstelle für Generationengärten voranzutreiben. Für Interessierte besteht weiterhin unser Angebot: - kostenlose Beratung während unserer wöchentlichen telefonischen Sprechzeit - Planungstreffen vor Ort (gegen Erstattung der Unkosten) - schriftliche Arbeitsmaterialien (Leitfaden, Checklisten). Längerfristig ist geplant, 15 Pilotprojekte intensiver zu begleiten durch: - Hilfestellung bei der Mittelakquise - Coaching durch Landschaftsarchitekten - Dokumentation und Evaluation.
Sie erreichen uns unter: planwerkstatt Schlesische Straße 29/30 10997 Berlin info@generationengaerten.de Fax 030 – 612 846 04 Telefonische Sprechzeit Mittwoch 14.00 bis 16.00 Uhr 030 – 612 846 03
Katrin Bastian (planwerkstatt)
30
Georg Zinner
Nachbarschaftshäuser auf dem Weg in die Bürgergesellschaft
Um ihre Existenz müssen Nachbarschaftshäuser in Berlin nicht mehr kämpfen. Zwar fehlt in Deutschland eine gesetzliche Grundlage zur Förderung sozialer Infrastruktur des Typs Stadtteilzentren, Mehrgenerationenhäuser, Nachbarschaftsheime, Bürgerhäuser oder wie immer sie sich selbst nennen oder wie immer sie bezeichnet werden1. Aber vielleicht ist das mit der fehlenden gesetzlichen Grundlage sogar besser so, denn ihre öffentliche Förderung hängt dann nicht von einer staatlichen Pflicht, sondern von der Wertschätzung ihrer Arbeit ab. Und diese Wertschätzung ist in den letzten Jahrzehnten gewachsen: bei den Bürgern und ihren gesellschaftlichen Gruppen, deren gestaltende Kraft in diesen Einrichtungen willkommen ist, die aber auch die Professionalität und Bürgerfreundlichkeit der angebotenen Dienste zu schätzen wissen; bei Politik und Verwaltung, die erkannt haben, dass Nachbarschaftshäuser kooperativ, flexibel und kostengünstig soziale Aufgaben unter Einbeziehung bürgerschaftlicher Potenziale in Angriff nehmen und fachlich qualifiziert umsetzen können; bei den Organisationen und Fachleuten sozialer Arbeit, die erkannt haben, dass eine zu differenzierte Normierung gesetzlicher Leistungsansprüche (etwa im Jugendhilferecht) und die damit verbundene institutionelle „Versäulung“ (das fachliche Nebeneinander) gesellschaftliche Probleme nicht zwangsläufig lösen kann.
Über Berlin hinaus, das es bereits geschafft hat, mit dem Stadtteilzentrumsvertrag eine verlässliche und auf Dauer angelegte (aber noch ausbaufähige) Infrastruktur der Nachbarschaftshäuser zu entwickeln, ist nun auch die Bundesregierung mit ihrem bundesweiten Modellprogramm der Schaffung von Mehrgenerationenhäusern bestrebt, bei den kommunalen Körperschaften darauf hinzuwirken, eine zeitgemäße sozialpolitische Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungen einzuleiten. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen sind kurz benannt mit „Schwächung“ bishe-
riger Sozialisationsinstanzen und Sozialisationsnetze und dem daraus abzuleitenden Zwang,„ersetzende Instanzen“ zu entwickeln: „Im Sinne eines offenen, gemeinwesenorientierten, intergenerativen, eben bürgernahen Ansatzes, sollen Häuser geschaffen werden, in denen sich sozusagen die verlorengegangene Großfamilie widerspiegelt und vergleichbare Wirksamkeitssysteme greifen. Fördern und Fordern, Alltagssolidarität praktizieren und Lebenshilfe anbieten sind genauso Programm, wie die Funktion als Anlaufstelle für Frühförderung, für Schularbeitshilfen, für Dienstleistungen und für Krisenintervention. Die Häuser sollen der Einsamkeit vorbeugen, bürgerschaftliches Engagement ermöglichen, auch generieren, professionelle Hilfe und Dienstleistung verfügbar machen und Schnittstelle zu den Regelsystemen der Bildung (Schule) und Jugendhilfe (beispielsweise Kindertagesstätte) herstellen. Natürlich sollen sie vernetzen und am örtlichen Bedarf orientiert sich unterschiedlich ausprägen.“ 2 Ob als Mehrgenerationshaus, Stadtteilzentrum oder Nachbarschaftsheim bezeichnet, der Mensch als soziales Wesen benötigt Orte, an denen sich Gemeinschaft (unter Umständen je nach Lebenssituation immer wieder neu) finden und bilden lässt. Orte, die dazu beitragen, sich selbst sicher zu werden und sich immer wieder neu zu vergewissern. Und das geht bekanntlich beim sozialen Wesen Mensch nur mit einem Gegenüber, nur in der Gruppe oder Gemeinschaft. Diese Orte müssen auch den Wünschen nach Bildung, Kultur, sozialer Teilhabe und nach gesellschaftlicher Betätigung gerecht werden. Diese Orte müssen Schonraum demjenigen bieten, der mit seinem Anliegen die erforderliche Beratung oder mit seinem Problem die Gruppe benötigt, die ihm Austausch und Unterstützung bietet. Diese Orte müssen dazu beitragen, dass jegliche Eigeninitiative ihren Platz findet und sie müssen Potenziale erkennen, fördern und Betätigungsmöglichkeiten eröffnen. Das ist leicht gesagt und nicht ganz so leicht getan. Denn dafür müssen geeignete Strukturen vorhanden sein. Hierzu gehören professionelle Mitarbeiter, die die Initiative ergreifen und sich auch wieder zurücknehmen können und Räumlichkeiten, die einladend, freundlich und offen sind, aber auch den Rückzug ermöglichen. Auch Kommunikationsinstrumente und -formen, die informieren, den Austausch ermöglichen, zudem attraktiv und aktuell sind.
31
Halten wir fest: in Zeiten der Individualisierung und der städtischen Lebensformen, der Normenvielfalt und des Zweifels am nachhaltigen Sozialstaat gewinnt die Wiederbelebung sozialer Gemeinschaften an Bedeutung. Es sind die Nachbarschaftsheime und Bürgerzentren, die es in den letzten Jahrzehnten geschafft haben, hierfür geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, ohne das Rad neu zu erfinden. Ihre Grundideen der generationenübergreifenden sozialen Arbeit der Verbindung von sozialen und kulturellen Aktivitäten der gewollten Mitwirkung und Mitgestaltung Ehrenamtlicher und Freiwilliger der lokalen Orientierung und der professionellen Dienstleistung3 sind sehr traditionell und doch heute mehr denn je auf dem Höhepunkt der Zeit.
Die Verpflichtung der Nachbarschaftszentren, nachbarschaftliche Hilfe und Unterstützung zu fördern, Eigeninitiative und Selbsthilfe zu stärken und das bürgerschaftliche Engagement im Gemeinwesen wiederzubeleben, entspricht im Grunde traditionellen Werten und Wertvorstellungen demokratischer und bürgerlicher Gesellschaften. Der Wirklichkeit angepasst, entfalten sie ihre ungebrochene Kraft und Wirksamkeit und beziehen daraus auch ihre Attraktivität. So sprechen wir inzwischen beispielsweise bei der älteren Generation von ihren „Potenzialen“4. Was aus der gesundheitlichen Selbsthilfe schon lange bekannt ist, gilt auf der Ebene des Gemeinwesens ebenso: der Stadtteil, die Nachbarschaft, die „community“ verfügen über sehr viel Wissen, Erfahrung und Können und können damit – dieses Potenzial richtig genutzt – sehr viel, ja sogar entscheidend, dazu beitragen, mit Defiziten und Mängeln – sozialen Problemen - produktiv umzugehen oder sie ganz oder teilweise zu beseitigen. Dazu, das ist selbstverständlich, braucht es die Zusammenarbeit mit Experten und Institutionen. Umgekehrt darf von diesen erwartet werden, dass sie sich dieser Zusammenarbeit (diesem Potenzial) öffnen und es sich erschließen. Nachbarschaftszentren sind im Laufe der Jahre geradezu Experten in der Erschließung von Potenzial und der Zusammenarbeit geworden und haben dazu beigetragen, dass institutionelle Grenzen überwunden werden konnten. Nachbarschaftszentren sind also auch Brückenbauer: zwischen Institutionen, zwischen den Generationen, zwischen Kulturen und sozialen Schichten, zwischen professioneller und ehrenamtlicher Unterstützung und zwischen Selbst- und professioneller Hilfe. Ja, auch zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft, dem Einzelnen und der Gruppe.
32
Nachbarschaftsheime haben erkannt, dass eine ihrer größten Chancen die Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements in ihre Arbeit ist. Historisch gesehen, sind sie seit ihren Anfängen Ausdruck dieses Engagements und Ergebnis des Rechts der Bürger auf Gestaltungsfreiheit ihrer Dienste und Einrichtungen, das immer wieder verteidigt werden muss gegen gesetzliche und bürokratische Eingriffe und auch manche scheinbar zwingenden fachlichen Ansprüche.5 Das Kraftzentrum: der Verbund bürgerschaftlichen Engagements und institutioneller Kompetenz Eine der wichtigsten Innovationskräfte von Nachbarschaftshäusern ist die ehrenamtliche Mitarbeit und das sich in den Nachbarschaften sich immer wieder neu formierende bürgerschaftliche Engagement. Jedes Nachbarschaftshaus ist gut beraten, alles dafür zu tun, für dieses Engagement einzelner oder von Gruppen offen zu bleiben, es zu unterstützen und zu begleiten, ohne es zu vereinnahmen. Warum? Ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement entsteht genau dort, wo gesellschaftliche Problemlagen erkennbar sind, sich Mängel zeigen, Bedürfnisse erwachsen, anders ausgedrückt: irgendetwas nicht mehr stimmig, keine befriedigende institutionelle Lösung erkennbar ist und daraus Wunsch und Anspruch entstehen, sich für Verbesserungen und Erneuerungen zu engagieren bzw. einen Beitrag dazu zu leisten, dem Mangel abzuhelfen. Ehrenamtliches bürgerschaftliches Engagement reagiert wie ein „Seismograph“ auf gesellschaftliche Unstimmigkeiten und entwickelt parallel Lösungskompetenz. Ehrenamtliches Engagement und institutionelles Vermögen der Nachbarschaftshäuser und ihre Wandlungsfähigkeit zusammengenommen ergeben so zeitnahe, bürgernahe und bedarfsorientierte soziale Angebote. Mitunter auch solche, die ihre allgemeine Anerkennung erst finden oder gegen traditionelle Strukturen und Institutionsinteressen durchgesetzt werden müssen, vielleicht aber auch wegen ihrer „Kleinteiligkeit“ und mangelnden „Renditefähigkeit“ nicht auf Interesse bei etablierten Systemen sozialer Arbeit stoßen. Im sogenannten Zinner/Freier-Papier – dem „Grundgesetz“ der Berliner Nachbarschaftszentren - wurde konstatiert, was sich aus den Gestaltungsprinzipien bürgerschaftlichen Engagements zwingend ergibt: „dass Nachbarschaftshäuser zwangsläufig unterschiedlich aussehen: ihre individuelle Entstehungsgeschichte, ihr jeweiliges Umfeld, die handelnden Personen, die nutzbaren Räumlichkeiten, die zur Zusammenarbeit zur Verfügung stehenden Partner sind jeweils andere. Diese Unterschiedlichkeit spricht für Qualität. Zentral gesteuerte und geplante Gleichförmigkeit und Uniformität können nur auf Kosten von Bür-
gerinteressen und deren sozialen Bedürfnissen erreicht werden.“6 Dass der Berliner Stadtteilzentrumsvertrag dieses Gestaltungsprinzip über die Jahre ebenso respektiert hat, wie die Bundesregierung in ihrem Förderprogramm Mehrgenerationenhäuser diese Unterschiedlichkeit akzeptiert, spricht dafür, dass Bürgerwille und Bürgerengagement tatsächlich inzwischen einen hohen Stellenwert genießen und Ministerien und Kommunalverwaltungen inzwischen um den Wert und die Kraft, das Potential, des Verbundes aus Bürgerengagement und institutioneller Kompetenz der Nachbarschaftshäuser wissen. Selbstkritisch fügen wir hinzu, dass auch die professionellen Mitarbeiter der Nachbarschaftszentren hinzugelernt haben. Sie wissen heute, wie im Alltagshandeln professionelle Facharbeit und freiwilliges Engagement für das Gemeinwesen optimal nutzbar gemacht werden können. Die Mitarbeiter verfügen über die dafür erforderliche Haltung, die Methodenkompetenz und betrachten genau diese Zusammenarbeit als eine ihrer beruflichen Kernaufgaben. Nachbarschaftshäuser sind also eine Erfolgsgeschichte. Das ist nicht wenig, gemessen an den immer wieder aufgetretenen Bestrebungen, sie finanziell im Land Berlin nicht mehr zu fördern. Heute weiß man um die enorme Hebelwirkung der insgesamt ja nach wie vor bescheiden zu nennenden zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel von Seiten des Landes. Wohlfahrtsverbände, wie beispielsweise der Paritätische Wohlfahrtsverband, haben gelernt, wie sehr diese Form sozialer Infrastruktur Innovation und Bürgerengagement fördert. Es ist daher kein Zufall, dass der Paritätische mit großem Erfolg und Geschick den Stadtteilzentrumsvertrag in Berlin umsetzt, sich selbst auch finanziell engagiert, um immer wieder neue Etappenziele zu erreichen. Dass auch in der fachlichen Zusammenarbeit und Arbeitsteilung Maßstäbe gesetzt werden können, erweist die Kooperation der Fachverbände: des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit mit SELKO, dem Dachverband der Selbsthilfekontaktstellen – die in allen Regionen Bestandteil von Nachbarschaftszentren sind, bzw. sehr eng mit solchen kooperieren. Mit dem Treffpunkt Hilfsbereitschaft, der sich als zentrale Anlaufstelle für ehrenamtliches Engagement in Berlin versteht, hat sich ebenfalls eine - durchaus noch ausbaufähige – Zusammenarbeit angebahnt. Der Paritätische kooperiert eng mit den Bezirken und mit den Senatsverwaltungen und würde es durchaus begrüßen, wenn die oben genannten Fachinstitutionen nicht nur zusammenarbeiten, sondern sich am besten zu einer Organisation zusammenschließen würden, da damit ein „Kompetenzzentrum“ für Bürgerschaftliches Engagement, Selbsthilfe und Nachbarschaftsarbeit entstehen könnte mit großen Vorteilen für die einzelnen Einrichtungen und für
die Weiterentwicklung eines trotz allem noch immer nicht stadtweit stabilen Systems der Nachbarschaftszentren. Wir können also eine sehr gute Zwischenbilanz vorlegen. Gemessen an den Möglichkeiten und Zielen, bleibt noch Raum für viele Aufgaben. Welche Aufgaben – neben der Alltagsbewältigung, zu der auch die ständige Anpassung und Erneuerung von Strukturen und Angeboten gehören - stehen in den nächsten Jahren an? Auf was sollten sich Nachbarschaftszentren vorbereiten? Welchen Part haben Bezirke und Senat zu übernehmen?
1. Ein Haus für Alle: die flächendeckende Versorgung Zwar haben wir in Berlin inzwischen in jedem der zwölf Bezirke mindestens ein funktionierendes Stadtteilzentrum/Nachbarschaftshaus, bei weitem aber nicht in allen Stadtteilen. Im Zinner/Freier-Papier war von Regionen, die möglichst nicht mehr als 50 – 80.000 Einwohner umfassen sollten – wobei immer gewachsene Strukturen zu berücksichtigen sind – als Bedarfsgröße für jeweils ein Nachbarschaftszentrum die Rede. Demnach fehlen, ein Blick auf die Landkarte Berlins genügt, noch immer zahlreiche Nachbarschaftszentren. Wünschenswert wäre, wenn sich alle Bezirke und der Senat in einer Art Entwicklungsplan darüber verständigen könnten, welche Regionen noch zu „versorgen“ sind. Einige Bezirke haben das bereits beispielhaft für sich getan: etwa Marzahn-Hellersdorf oder Tempelhof-Schöneberg und SteglitzZehlendorf, die vor allem bestrebt sind, bestehende monostrukturelle Einrichtungen in Kooperation mit geeigneten lokalen Trägern zu Nachbarschaftshäusern weiterzuentwickeln. Manche Bezirke haben ihre Nachbarschaftszentren auch dadurch gestärkt, dass sie ihnen neue Aufgaben und bestehende Einrichtungen übertragen haben. Diese und ähnliche Wege sind weiterzugehen und erfordern die Bereitschaft der Nachbarschaftszentren, Trägerschaften und Verantwortung zu übernehmen.
2. Der nächste Schritt: die Weiterentwicklung bestehender monostruktureller Einrichtungstypen Um die flächendeckende Versorgung zu erreichen, sollten – wie vorhin schon angesprochen - bereits auch in unserer Stadt erprobte Wege gegangen und die dafür erforderlichen Schritte auch systematisch eingeleitet werden (und das Mehrgenerationenhausprogramm der Bundesregierung geht diesen Weg sogar explizit), die vorsehen, dass vor allem Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen und Seniorentagesstätten, von denen es in der Stadt zahlreiche, auch von der Schließung bedrohte, gibt, zu Nachbar-
33
schaftshäusern oder Familienzentren weiterentwickelt werden. Das macht diese Einrichtungen interessant und attraktiv, aktiviert bürgerschaftliches Engagement und benötigt kaum oder keine zusätzlichen Ressourcen. Wie sinnvoll die Umsetzung eines solchen Programms ist, zeigt sich überall dort, wo – wie in Berlin - Selbsthilfekontaktstellen und Nachbarschaftszentren zu Stadtteilzentren zusammengeführt wurden oder – außerhalb von Berlin – die Mütterzentren sich zu den sogenannten Mehrgenerationenhäusern entwickeln – mit und ohne Förderprogramm! Diese Weiterentwicklung schließt selbstverständlich auch Kindertagesstätten und Schulen mit ein, die – auch in Zusammenarbeit mit bestehenden Nachbarschaftszentren – sich zu Familienzentren- und Treffpunkten auch für die Nachbarschaft entwickeln können. Manches, zwischenzeitlich schon aus der Mode gekommene, Jugendfreizeitheim ist heute hoch attraktiv für alle Generationen und damit auch wieder für Kinder und Jugendliche modern und interessant! Die enge Zusammenarbeit zwischen Schulen und Jugendhilfeträgern, gerade solchen mit gemeinwesenorientierten Arbeitsansätzen, hat an vielen Standorten inzwischen Tradition und ermöglicht die gemeinsame Nutzung personeller und sachlicher Ressourcen. Die Erfahrung von Schulen, die mit Stadtteilzentren auch bei der Ganztagsbetreuung kooperieren, ist ausgesprochen positiv. Dieser begonnene Weg der engen Verzahnung von Jugendhilfe und Schule, man könnte auch sagen: einer ganzheitlichen Sicht von Bildung, muss ausgebaut werden. Familienentlastung und intensive Förderung der Kinder in den ersten Schuljahren werden so auf eine einfache und kostenneutrale Weise erreicht. Die Schule kann auf diese Weise auch die Nachbarschaft für ihre Ziele, Aufgaben und Probleme interessieren und sie einladen, Mitverantwortung für das Gelingen des Schulbetriebs zu übernehmen. 7, 8
3. Stark werden – die Übernahme von Trägerfunktionen durch Nachbarschaftszentren Nachbarschaftszentren sind nicht selten Kleinsteinrichtungen und die Förderung durch den Stadtteilzentrumsvertrag lässt große Sprünge nicht zu. Aber diese Förderung kann, falls gewünscht, eine - oben schon benannte - eindrucksvolle und wirkungsträchtige Hebelwirkung auslösen. Nämlich immer dann, wenn Trägerschaften übernommen werden, die die Zielstellung der Nachbarschaftsarbeit unterstützen und die dann geführten Einrichtungen nach deren Prinzipien gestaltet werden. Im Vordergrund stehen hier immer die Bürgerbeteiligung, das ehrenamtliche Engagement, die Kooperation mit allen Beteiligten und natürlich die mit Engagement gepaarte fachliche Qualität, garantiert durch Leitung und Mitarbeiter.
34
Welche Einrichtungen bieten sich an für die Trägerschaft? Es sind, wie schon beschrieben, Kindertagesstätten, die Ganztagsbetreuung an Schulen, Schulstationen, Schülerclubs, Schulsozialarbeit, Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen und Seniorentagesstätten. Selbstverständlich auch alle Aufgaben und Dienste, die ehrenamtliches Engagement herausfordern: vom Betreuungsverein bis zu den Besuchsdiensten und Dienstleistungen für Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften. Zwar ist es inzwischen schwierig, pflegerische Angebote zu entwickeln. Angesichts der demographischen Entwicklung müssen aber auch diese Herausforderungen geprüft und möglicherweise in kooperativen Formen – Erfahrungen liegen in Nachbarschaftszentren schon vor - umgesetzt werden. Die Übernahme von Trägerfunktionen schafft neben breiten, bürgerfreundlichen Angebotsformen in den Einrichtungen auch eine relative finanzielle Unabhängigkeit und damit die „unternehmerische“ Basis und Freiheit dafür, Dinge zu entwickeln und Ziele zu verfolgen, die im Interesse der Bürger liegen, ohne dass dafür schon gesetzliche oder sonstige Voraussetzungen für finanzielle Förderungen vorlägen. Mancher gewünschte innovative Schritt lässt sich mit dieser zusätzlichen Stärke eben leichter gehen. Eine Trägerfunktion schafft aber auch zusätzliche Kompetenz, ermöglicht verbesserte Dienstleistungen, verstärkt die Planungssicherheit und im Allgemeinen ermöglicht sie auch bessere administrative und räumliche Ressourcen.
4. Partner: Bezirke und Nachbarschaftszentren Nachbarschaftszentren tun es seit jeher: sie kooperieren, sie vernetzen, sie unterstützen und begleiten. Sie sind verlässlicher Partner: den Selbsthilfegruppen genauso wie den Schulen, Kirchengemeinden, Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften, Stadtteilinitiativen und anderen Trägern sozialer Einrichtungen. Nachbarschaftszentren haben auch gelernt, sich den Bezirken, den Politikern und den Ämtern, als Partner für Problemlösungen zur Verfügung zu stellen und dabei größtes Geschick darin entwickelt, in Zeiten großer Sparrunden, mit diesen zusammen soziale Infrastruktur zu erhalten und zu verbessern. Sie haben bewiesen, dass sie dazu in der Lage sind, soziale Infrastruktur mit den Bürgern im Wohnumfeld gemeinsam zu gestalten und auch mit geringen finanziellen Ressourcen attraktive Angebote zu entwickeln. Die bezirklichen Verantwortungsträger brauchen solche lokalen Partner und sie sollten, ja müssen ein Interesse daran haben, dass diese lokalen Partner systematisch gestärkt und entwickelt werden, damit sie in Zukunft – mehr denn je wird das erforderlich sein – in der Lage sind, in enger Zusammenarbeit
mit den Bezirken und unter Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements, soziale Infrastruktur und sozialkulturelle Angebote aufrechtzuerhalten. Appell an die Bezirke, Aufgabe für die Bezirke: die Stärkung derjenigen Träger, die sich „sozialraumorientiert“ und dauerhaft (nachhaltig) für das lokale Umfeld engagieren.
5. Wünschenswert: Gemeinsame Internetplattform Zwar sind die Berliner Nachbarschaftshäuser in ihrer Umgebung und Region recht bekannt, zwar praktizieren sie eine für soziale Einrichtungen vergleichsweise offensive und gekonnte Öffentlichkeitsarbeit. Zwar arbeiten sie mit den heute üblichen Methoden und Mitteln, ihre Angebote darzustellen und ihre Arbeitsergebnisse zu bilanzieren. Dennoch sind noch viele Ziele zu setzen und ist die Qualität verbesserungsbedürftig. So sollte es in den nächsten Jahren gelingen, dass alle Berliner Nachbarschaftszentren – unter Beibehaltung ihres eigenen Logos – auch ein gemeinsames Logo öffentlichkeitswirksam nutzen, das signalisiert, dass diese Einrichtung nach den Prinzipien und Prämissen sozial-kultureller Arbeit der Nachbarschaftszentren arbeitet. Es ist anzustreben, dass ein gemeinsames Internetportal den Zugang zu allen Nachbarschaftszentren in Berlin eröffnet, tagesaktuell Veranstaltungen und Angebote präsentiert und die Möglichkeit der Platzreservierung und Kursbuchung bietet. Möglicherweise sind dafür Zwischenschritte zweckmäßig. So etwa könnten sich zunächst die Nachbarschaftszentren einer Region zusammentun, bevor der ganz große Schritt eines gemeinsamen Portals gewagt wird. Der Vorteil einer gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit im Internet liegt auf der Hand: die Zuarbeit nach standardisiertem Verfahren ist nutzbar für die komplette Öffentlichkeitsarbeit eines jeden Nachbarschaftszentrums und hat hohe Rationalisierungseffekte. Die Aktualität und die Vielfalt der Angebote würden sich positiv auf alle unsere Einrichtungen auswirken und vor allem: der Zugang zu den Nachbarschaftszentren wird von jedem Bildschirm aus möglich. Das Internet – vergessen wir das nicht – wird bei fortschreitender Technik immer wichtiger, weil die Bürger es künftig kostengünstig, sozusagen in der Tasche, bei sich tragen können. Die Kommunikation per Internet verführt zwar zur Verminderung des persönlichen Kontakts (z.B. statt per Telefon wird per mail kommuniziert, statt im Laden zu kaufen, wird per Internet geordert, usf.). Das bedeutet aber gerade für uns, dass es immer wichtiger wird, persönliche Begegnung
über unsere Programme zu ermöglichen und diese gemeinschafts- begegnungsfördernden Möglichkeiten auch über das ansonsten eher individualisierende Internet bekannt zu machen. Natürlich ist hier nur ein Teilaspekt der Öffentlichkeitsarbeit beschrieben: jeder unserer Besucher und Nutzer, jeder unserer Mitarbeiter, jeder unserer Partner ist Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit und die von uns schon umfangreich eingesetzten Printmedien werden dadurch auch nicht einfach überflüssig werden. Aber es geht um Kundenfreundlichkeit und –zufriedenheit, letztendlich auch wieder um Transparenz und Partizipation, also um jenen Teil sozialer Arbeit, bei denen wir oft anderen voraus waren. Diesen Vorsprung sollten wir nicht verlieren – er ist Teil unserer Attraktivität und Zukunftssicherung.
Diese fünf hier genannten Aufgaben sind nicht abschließend. Sie sollen das Offensichtliche benennen und mahnen, sich keinesfalls auf errungenen Lorbeeren auszuruhen. Nie war in der Stadt die Stimmung zugunsten der Nachbarschaftszentren positiver, nie zuvor hatten sie die heutige Anerkennung als selbstverständlicher Teil der sozialen Infrastruktur Berlins. Tüchtigkeit, glückliche Umstände, wohlgesonnene und fähige Akteure – vor allem aber die gesellschaftliche Notwendigkeit – haben uns den aktuellen Rang beschert. Unsere gemeinschaftsstiftenden und gemeinschaftsfördernden Aktivitäten benötigen die Bürger dieser Stadt auch künftig. Bildung und Erziehung, identitätsstiftende kulturelle Aktivitäten, Aufbau funktionierender Nachbarschaften, Stärkung von Engagement und Eigeninitiative, professionelle Dienstleistung und entwickelte Fähigkeiten zur Kooperation, Tradition und Flexibilität, Festhalten an gesellschaftlichen Werten und Innovation: wir vereinigen unter unserem Dach Eigenschaften und zukunftsfähiges Potential, das, gepflegt und weiterentwickelt, auch künftig einen gewichtigen Beitrag zum sozialen und gesundheitlichen Wohlbefinden der Bürger dieser Stadt erbringen wird. Wer will, kann es erfahren: spürbar in jedem Nachbarschaftshaus, an der besonderen Atmosphäre, die Leichtigkeit und Kraft zugleich ausstrahlt und einlädt zum Wiederkommen. Der Verfasser ist Geschäftsführer des Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V., Vorsitzender des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit e.V. und stellvertretender Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Landesverband Berlin e.V. Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors der Broschüre “Nachbarschaftliches Engagement in Berlin” (s.S. 44) entnommen
35
Anmerkungen: 1) Der Verfasser bevorzugt Begriffe wie Nachbarschaftszentren, Nachbarschaftshäuser, Nachbarschaftsheime, weil diese international und national eine langjährige Tradition besitzen. Stadtteilzentren sind in Berlin immer auch die Verbindung von Nachbarschaftshaus und Regionaler Selbsthilfekontaktstelle. Der Begriff Mehrgenerationenhaus wurde von der Bundesregierung eingeführt und ist missverständlich, da er auch genutzt wird um entsprechende Wohnformen zu beschreiben. 2) Zinner, Georg: Die neuen Nachbarschaftshäuser: „Mehrgenerationenhäuser“ in: Rundbrief, Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Berlin 2006,Nr. 1, S. 4 3) Zinner, Georg: Sozialkulturelle Gemeinwesenarbeit – Geschichte und Renaissance in der Bundesrepublik, in: Blätter der Wohlfahrtspflege, Stuttgart 1988, Nr. 12, S. 283 Zinner, Georg: Hoffnungsträger für die Zukunft: Nachbarschaften, Initiativen und kleine Netze, in: Rundbrief, Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Köln 1991, Nr. 1/2, S. 22 und zahlreiche weitere Veröffentlichungen des Verfassers zu diesem Thema insbesondere im Rundbrief, dem Verbandsorgan des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit e.V. und in den Blättern der Wohlfahrtspflege 4) Zinner, Georg: Potentiale des Alters erkennen – ein überfälliger Paradigmenwechsel? in: Rundbrief Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Berlin 2005, Nr. 1, S. 19 5) Zinner, Georg: Soziokulturelle Zentren, in: Maelicke, Bernd: Lexikon der Sozialwirtschaft, Baden-Baden 2008, S. 961 6) Zinner, Georg,/Dietmar Freier, Nachbarschaftshäuser in ihrem Stadtteil – Die Grundlagen ihrer Arbeit, in: Rundbrief, Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Berlin 7) Bürgerschulen für alle!, Berlin 2007, herausgegeben vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin e.V. (Text: Dr. Dettling, Politikberatung) 8) Hinte, Wolfgang, Menninger, Oswald, Zinner, Georg: Für eine Aufwertung der kommunalen Jugendhilfe. Vorschläge für eine zeitgemäße Finanzierung und Struktur, in: Blätter der Wohlfahrtspflege, Nr. 5/2007, S. 163
Verein Nachbarschaftshaus Prinzenallee e.V. Auszüge aus dem Abschlussbericht eines dreijährigen Projektes (2004-2007) mit der Auswertung von Elternbefragungen:
„IntegrationslotsInnen im Soldiner Kiez“ Das Projekt „IntegrationslotsInnen im Soldiner Kiez“ hatte den Ansatz, zwischen den MigrantInnen und den Institutionen der deutschen Gesellschaft Brücken zu bauen und einen befriedigenden Kontakt beidseitig zu ermöglichen. Das Team bestand zunächst aus vier Frauen, die aus unterschiedlichen Sprach- und Kulturräumen kommen. Sie sind türkischer, arabischer, serbisch/kroatisch/bosnischer und deutscher Herkunft. Seit Frühjahr 2006 wurde es durch zwei Männer mit arabischem und Roma Hintergrund verstärkt. Sie unterstützten das Team vor allem in Fällen mit schwierigen männlichen Jugendlichen oder auch in Fällen, in denen ein beteiligter Vater etwa eine weibliche Integrationslotsin nur schwer akzeptieren konnte.
36
Das Projekt „IntegrationslotsInnen im Soldiner Kiez“ unterstützte und verstärkte durch Information, Vermittlung, Beratung, Erfahrungsaustausch, Mediation und begleitende Hilfen die Kommunikation und den Dialog zwischen Familien mit Migrationshintergrund und Institutionen der Aufnahmegesellschaft wie Schule und Behörde. Bei den Aufgaben und Zielen des Projektes ging es um verschiedene Bereiche von Integrationsarbeit. Die Konzeption des Projektes zielte darauf, eine aktive Einbindung der Eltern in die Kommunikation mit Schulen und Behörden zu unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe bei schwierigen Situationen, in denen sich
die Familien oder Einzelne befanden, anzubieten. Das setzt voraus, den Menschen in all seinen individuellen Facetten und seiner komplexen Wirklichkeit wahrzunehmen und sich auf eine gleichberechtigte Auseinandersetzung mit ihm einzulassen. Die Basis war das Zuhören und die gemeinsame Analyse der Situation. Darauf aufbauend wurden verschiedene Schritte unternommen, um eine konstruktive Veränderung der Situation herbeizuführen. Dies gelang in fast allen Fällen. Allerdings wurden auch zahlreiche Hemmnisse deutlich, die auf tiefergehende gesellschaftliche, sozialpsychologische oder auch finanzielle Schwierigkeiten verweisen. Einige Aspekte sollen im Folgenden noch einmal beleuchtet werden. Die Arbeit des Projektes „IntegrationslotsInnen im Soldiner Kiez“ als Anlaufstelle für Menschen mit Migrationshintergrund war sehr vielfältig. Sie ging vom kurzfristigen Ausfüllen eines Formulars, der Hilfe bei einem formellen Anschreiben oder der Suche nach Unterstützungsangeboten für die Kinder über die Vermittlung von spezifischen Beratungsangeboten (z.B. Schuldenberatung, Berufsorientierung, Bereich Häusliche Gewalt) bis hin zur längerfristigen Begleitung bei Schwierigkeiten unterschiedlichster Art in einer Familie oder Vermittlungsgesprächen zwischen Schule, Eltern und Kindern. Dabei konnten die IntegrationslotsInnen Erfolgserlebnisse verzeichnen: zum Beispiel, wenn durch ihre Vermittlung einem Kind noch eine Chance gegeben, es also zusätzlich gefördert und nicht „abgeschrieben“ wurde, wenn sie Menschen, die sich wenig oder nichts zutrauten, ermutigen konnten, einen Integrations- oder Sprachkurs zu machen, auch wenn diese beispielsweise überzeugt waren, sie seien zu alt oder zu dumm dafür; wenn sie verzweifelte Menschen unterstützen und ermutigen konnten, Schritte zu unternehmen, um ihre Lebenssituation zu ändern, oder auch wenn die IntegrationslotsInnen auf engagierte Personen in der Schule, bei Behörden oder bei freien Trägern trafen, mit denen sie gut zusammenarbeiten und die Situation der Betroffenen gemeinsam nachhaltig verbessern konnten. Die Befragungen der Eltern im Wedding machten deutlich, dass die Kinder mehrheitlich in ökonomisch, sozial und bildungsmäßig benachteiligten Lebensverhältnissen aufwachsen. Viele erleben schon in ganz jungen Jahren Ausgrenzung und Diskriminierung. In Bezug auf die Schule ihrer Kinder wünschten sich die Eltern vor allem engagierte Lehrer und einen respektvollen Umgang mit ihnen wie mit ihren Kindern. Was schon die Elternvereine im Workshop mit den IntegrationslotsInnen als problematisch betrachteten, bestätigte sich in der Kritik der Eltern: Die Schule richte ihren Blick zu sehr auf die Defizite der Kinder oder diese Kinder gelten schon im Voraus als besonders schwierig. Zum Teil nehmen die negativen
Erwartungshaltungen Schulschwierigkeiten vorweg und lassen sie als objektive Realität erscheinen. Der Kontakt zu den Eltern wird meist erst dann aufgenommen, wenn das Kind schon in großen schulischen Schwierigkeiten steckt. Die Eltern wünschen sich trotz häufig entgegengesetzter Aussagen von Seiten der Schulen mehr Kommunikation mit den Lehrern über die schulische Entwicklung der Kinder im positiven wie im negativen Sinne. Das zeigte sich neben den Aussagen in den Interviews in der Praxis auch an den Elternsprechtagen: Hier haben die Eltern die Möglichkeit, bei Einzelterminen mit den jeweiligen Lehrern ihrer Kinder, speziell über ihr Kind zu sprechen. Diese Elternsprechtage werden nach Aussagen der Schulen wesentlich besser besucht als die Elternabende, bei denen eher allgemeine Themen als die Belange einzelner Schüler im Vordergrund stehen. Das Projektteam entwickelte Fragebögen, die an die Eltern selbst gerichtet sind und möglicherweise einen Blickwinkel aufzeigen, der von den üblichen Interpretationen der deutschen Mehrheitsgesellschaft abweicht. Ziel war es, Aussagen zur Lebenssituation der Befragten und deren Kinder zu erhalten. Deshalb wurden u.a. Fragen zur ökonomischen und sozialen Situation der Familie, zum Bildungshintergrund, zu den bisherigen Erfahrungen etwa in Bezug auf Kriegserlebnisse oder auch zum Aufenthaltsstatus gestellt. In einem zweiten Abschnitt ging es um die Einschätzung der Schule und mögliche Verbesserungen aus Sicht der Eltern. Von den 83 Familien haben 37 Familien einen türkischen Hintergrund, 23 einen arabischen, 16 Familien einen Roma-Hintergrund, 5 kommen aus Ex-Jugoslawien und 2 haben einen anderen Migrationshintergrund. Die Familien aus Ex-Jugoslawien wurden als eine Gruppe zusammengefasst, zum einen, weil sie selbst meist als Herkunft allgemein Ex-Jugoslawien nennen, zum anderen weil sie zahlenmäßig zu gering vertreten sind, um eine Aufteilung in serbisch, kroatisch oder bosnisch vorzunehmen.
Die Fragen zum Hintergrund der Familien betrafen u.a. die Anzahl der Personen im gemeinsamen Haushalt, den Aufenthaltsstatus der Familie und ihre Arbeitssituation. Weitere Fragen galten belastenden Erlebnissen und Erfahrungen und ihren Plänen für die Zukunft. Abschließend fragten wir nach der Schulausbildung der Befragten und ihren Sprachkenntnissen sowohl in der Muttersprache wie auch in der deutschen Sprache.
37
Während bei türkischen und arabischen Befragten auffällt, dass sie mehrheitlich in herkömmlichen Familienzusammenhängen mit beiden Eltern leben, wird deutlich, dass die Zahl der Alleinerziehenden mit Kindern bei den Roma-Familien mit 62,5% besonders hoch ist. Das liegt nach Aussagen der TeammitarbeiterInnen nicht allein daran, dass die Männer die Familie verlassen oder die Eltern sich getrennt haben. Ein nicht seltener Grund sei, dass die Väter keinen weiteren Aufenthalt bekommen und ins Herkunftsland abgeschoben wurden, während Mütter und Kinder noch einen meist befristeten Aufenthaltsstatus haben. Das verschärft die ohnehin schwierige Situation der Roma-Kinder erheblich, da nicht nur die soziale und ökonomische Lage in den Familien meist äußerst prekär ist, sondern auch eine ständige Unsicherheit darüber besteht, wie lange man in Deutschland bleiben kann. Entscheidend für die soziale wie vor allem auch psychische Situation einer Familie ist der Aufenthaltsstatus, den die Familie hat. Deshalb fragten wir sowohl nach dem derzeitigen Aufenthaltsstatus wie auch dem früheren. Bei einer befristeten Aufenthaltserlaubnis von einigen wenigen Monaten, einem Jahr oder auch zwei bis drei Jahren und der Unsicherheit, ob sie verlängert wird, ist es für die Familien sehr schwierig, Zukunftspläne zu machen. In Fällen, in denen der Ablauf der Aufenthaltsdauer der einzelnen Familienmitglieder unterschiedlich festgesetzt wurde, ist es nahezu unmöglich eine gemeinsame Planung vorzunehmen. Hier bestimmt die Unsicherheit, ob und für wie lange die Aufenthaltsgenehmigung der einzelnen Familienmitglieder verlängert wird, das Familienleben. Die wirtschaftliche Lage der Familien sollte mit einer Frage zur Arbeitssituation beleuchtet werden. Von 83 Befragten antworteten 80. 14 Befragte gaben an, dass beide Eltern Arbeitsverhältnisse haben, 27 antworteten, ein Elternteil arbeite, der andere erhalte Hartz IV, bei 14 Befragten sind beide ohne Arbeit und erhalten Hartz IV, 6 bekommen Sozialhilfe, 2 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. 5 Befragte sind allein stehend und arbeiten, 11 sind allein stehend und erhalten Harz IV, 1 kreuzte als Antwort die Rubrik „etwas anderes“ an. Knapp die Hälfte der Befragten (41,3 %) muss demnach finanziell mit einem existenziellen Minimum auskommen. Die Familien müssen von Hartz IV, Sozialhilfe oder den noch geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leben. Dabei ist noch keineswegs gesagt, dass diejenigen, die eine Arbeit haben, deshalb finanziell besser gestellt sind. Das aber bedeutet, dass die meisten der Kinder in äußerst schwierigen ökonomischen
38
Verhältnissen leben, wobei viele von ihnen auch nach offizieller Definition (vgl. Lebenslagen in Deutschland. Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, BMAS 2005) als ,in Armut lebend‘ bezeichnet würden. Neben der Frage nach ihrer ökonomischen Lage fragten wir auch nach den Erfahrungen,welche die Familien in der Vergangenheit verarbeiten mussten. Dabei konnten mehrereAntworten wie Krieg im Herkunftsland, Leben im Heim, unsicherer Aufenthaltsstatus, Wohnungsverlust in Deutschland, Krankheiten ohne Krankenversicherung oder die Rubrik„etwas anderes“ angekreuzt werden. Solche Fragen werden häufig aufgrund der damit verbundenen belastenden Erlebnisse nicht oder nur im persönlichen Gespräch beantwortet 49 der 83 Befragten gaben hier Auskunft. Aus den Erfahrungen der Projektarbeit war offensichtlich, dass unter den aus Kriegsgebieten kommenden Flüchtlinge viele sind, die unter Traumatisierungen leiden. Traumatisierungen einzelner Familienmitglieder wirken sich aber auf das gesamte Familiengefüge und die Lebenssituation der ganzen Familie aus. Die MitarbeiterInnen des Projekts unterstützten auch Menschen, die aufgrund ihrer posttraumatischen Belastungsstörungen große Schwierigkeiten hatten und haben, das Familienleben zu organisieren (u.a. durch Vermittlung an eine Beratungsstelle). Symptome einer Posttraumatischen Störung können z.B. sein: Hoffnungslosigkeit, negative Zukunftsperspektive, Schlafstörungen, Alpträume, psychosomatische Beschwerden, ein vermindertes Interesse an Aktivitäten des täglichen Lebens, sich ständig unwohl fühlen und unter Depressionen leiden. Diese Beschwerden führen im alltäglichen Leben zu erheblichen Schwierigkeiten. So kann es z.B. schon schwierig werden, die Kinder morgens pünktlich zur Schule zu bringen. Das Erleben von Ablehnung, Ausgrenzung und Misstrauen, wie es viele Flüchtlinge erleben, verschärft die Situation der Betroffenen und ihrer Familien extrem, so dass sie sich nicht selten aufgeben oder sich vollständig zurückziehen. Auch die Erfahrungen, die ein Leben im Wohnheim für einen längeren Zeitraum mit sich bringen, führen zu nachhaltigen Belastungen in der Familie (z.B. Gefühl des Ausgeschlossenseins, Konflikterfahrungen aufgrund der räumlichen Begrenztheit oder des engen Zusammenlebens mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen). Zur besseren Einschätzung der Situation der Kinder stellten wir zum einen die Frage nach der Schulausbildung der Eltern, wie auch Fragen nach ihren Kenntnissen in der Muttersprache und in der deutschen Sprache. Bei der Frage der Schulausbildung ging es nicht darum, in welchem Land die Schule besucht wurde. Über diese Fragen lässt sich unter anderem herausfinden, inwieweit die Eltern die Kinder
etwa bei Hausaufgaben und beim Spracherwerb unterstützen können. Ebenso lässt sich erkennen, wie viele Eltern möglicherweise schon aufgrund ihrer fehlenden Sprachkenntnisse in Wort und/oder Schrift Schwierigkeiten in der Kommunikation mit der Schule ihrer Kinder haben könnten. Mehr als ein Viertel (27,3%) der Befragten sind überhaupt nicht zur Schule gegangen oder haben keinen Schulabschluss. Dabei zeigt sich, dass die Gruppe derjenigen, die keine Schule besuchten, zu 90,9% aus Roma und zu 9,1% aus Ex-Jugoslawen besteht. Von denen, die ohne Abschluss von der Schule gegangen sind, sind 50% türkischer, 20% arabischer Herkunft und 30% Roma.
Familien, in denen die Eltern keine Schule besucht, die Schule abgebrochen oder nur einen einfachen Schulabschluss haben, werden in zunehmendem Maße gemeinhin als „bildungsfern“ bezeichnet. Die Gefahr bei der Verwendung dieses letztlich euphemistischen Begriffs ist, dass verschiedene Problemlagen von Familien impliziert und somit nicht mehr wahrgenommen werden. Integrationsarbeit kann jedoch nur dann erfolgreich wirken, wenn Belastungen mit berücksichtigt werden, die durch ein Leben von Transferleistungen, wenig Aussichten auf eine Verbesserung der eigenen Lage, und durch wenig oder keinen Zugang zum hiesigen Bildungssystem oder Arbeitsmarkt geprägt sind. Der Begriff „bildungsfern“ kann je nach Sprecher/in auch Vorurteile transportieren, wenn etwa diese Zuschreibung einhergeht mit Aussagen über die mangelnde Fürsorge der Eltern für ihre Kinder oder das mangelnde Interesse an deren schulischen Leistungen. Was aber bedeutet das, keine Schule besucht oder ohne Abschluss die Schule verlassen zu haben? Darüber sollten mit den nächsten Fragen über die Kenntnisse der Muttersprache wie der deutschen Sprache in Bezug auf das Verstehen, das Sprechen, das Lesen und das Schreiben, Einblicke gewonnen werden. Ein Ergebnis war, dass es beim Verstehen und Sprechen der Muttersprache so gut wie keine Schwierigkeiten gibt. Beim Lesen und Schreiben zeigen sich die Daten jedoch verändert. Lesen und Schreiben beherrschen zwar ein Großteil der Befragten (rund 65%), aber ein Fünftel kann in seiner Muttersprache schlecht bzw. überhaupt nicht lesen oder schreiben (jeweils gut 20%).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es einen sehr hohen Anteil an Analphabeten vor allem unter den Roma gibt. Dies zeigt sich konsequenterweise auch bei der Frage nach den deutschen Sprachkenntnissen in Wort und Schrift. Hier gaben 86,1% der Befragten an, dass sie deutsch gut bzw. mittelgut verstehen, nur 13,9% sagten, dass sie Deutsch schlecht verstehen. Auch beim Sprechen antworteten 79,7%, dass sie entweder gut oder mittel Deutsch sprechen, 20,3% sagten, sie sprechen Deutsch schlecht. Kreuzte bei der Frage nach den mündlichen Kenntnissen niemand „überhaupt nicht“ an, so ändert sich das bei der Frage nach den Kenntnissen im Schriftlichen. Noch 72,6% der Befragten lesen gut bzw. mittel, 62% schreiben Deutsch gut bzw. mittel. Allerdings sagten 11,3%, sie lesen schlecht und 16,3%, sie können Deutsch nicht lesen. 16,5% kreuzten an, sie schreiben schlecht, wahrend 21,5% angaben, dass sie überhaupt nicht Deutsch schreiben können.
Auch hier ist es interessant, die Antworten nach dem Migrationshintergrund aufzuschlüsseln. Zunächst die einzelnen Antworten zu den mündlichen Sprachkenntnissen: Von den türkischen Befragten gaben 59,1% an, dass sie gut Deutsch verstehen, 35,3% mittel und 8,8% schlecht. Bei den arabischen Befragten antworteten 59,1% mit gut, 36,4% mit mittel und 4,5% mit schlecht. Bei den Roma-Befragten antworteten 12,5% mit gut, 50% mit mittel und 37,5% mit schlecht. Von den Befragten aus Ex-Jugoslawien antworteten 60% mit gut, 20% mit mittel und 20% mit schlecht. 50% derjenigen anderer Herkunft antwortete mit gut, 50% mit mittel. Wie bei den meisten Menschen, die eine Fremdsprache können, gehen auch hier die Prozentzahlen bei der Frage nach den aktiven Sprachkenntnissen etwas zurück. So geben nur noch 41,2% der türkischen Befragten an, dass sie Deutsch gut sprechen, 41,2% sagen, sie sprechen es mittelmäßig und 17,6% sagen, sie sprechen Deutsch schlecht. 45,5% mit arabischem Migrationshintergrund sprechen Deutsch gut, 40,9% mittel und 13,6% schlecht. Wie schon beim Verstehen der deutschen Sprache geben auch beim Sprechen nur 12,5% der RomaBefragten an, dass sie es gut sprechen, 50% sagen mittel und 37,5% schlecht. Auch die Menschen aus Ex-Jugoslawien sagen nur zu 20%, dass sie Deutsch gut sprechen, 60% meinen mittel und 20% schlecht. Die größten Schwierigkeiten bestehen folglich bei den Roma-Familien, die geringsten Werte für ,Deutsch schlecht verstehen und sprechen‘ sind bei den arabischen Befragten zu verzeichnen. Im Schriftlichen zeigen die Werte, dass die Befragten mit türkischem
39
oder arabischem Migrationshintergrund mehrheitlich gut bzw. mittelgut Deutsch lesen. Nur 17,1% der türkischen und 9,1% der arabischen Befragten geben an, dass sie Deutsch schlecht lesen. Ganz anders sieht das bei den Roma-Befragten aus, 25% können Deutsch so einigermaßen lesen, wohingegen 75% Deutsch überhaupt nicht lesen können. Auch bei den Menschen aus Ex-Jugoslawien gibt es 20%, die Deutsch überhaupt nicht lesen können. Noch deutlicher werden die Unterschiede im Schreiben. Hier geben auch 5,7% der türkischen und 9,1% der arabischen Befragten an, dass sie nicht Deutsch schreiben können. 80% der Roma-Befragten und 20% der Befragten aus Ex-Jugoslawien können ebenfalls nicht auf Deutsch schreiben. Die Zahlen verwundern nicht, wenn man beachtet, dass bereits gut 60% der Roma-Befragten und 20% der Befragten aus Ex-Jugoslawien auch in ihrer Muttersprache nicht alphabetisiert sind. Hier wird ein Problem deutlich, das häufig zu Schwierigkeiten der Betroffenen im Umgang mit den deutschen Institutionen wie Behörden und Ämtern oder auch der Schule führt. Auch für die geforderten Integrationskurse stellt Analphabetismus ein großes Problem dar, da die Dozenten der Integrationskurse mit Teilnehmer/ innen aus ganz verschiedenen Ländern nicht die Kapazitäten aufbringen können, neben dem Integrationskurs mit der Vermittlung der deutschen Sprache einen Alphabetisierungskurs durchzuführen. Es ist zwar nach der Integrationskursordnung vorgesehen, dass es auch Integrationskurse mit Alphabetisierung gibt, die dann mehr Stunden zur Verfügung haben, allerdings wurde in der Praxis der Projektarbeit die Erfahrung gemacht, dass es nicht leicht ist, einen passenden Kurs zu finden, den die Betroffenen besuchen können. Hinzu kommen Skepsis und Ängste vor allem bei älteren Analphabeten, den Anforderungen solcher Kurse nicht gerecht werden zu können und die intellektuellen oder zeitlichen Kapazitäten nicht zu haben, um „in diesem Alter“ noch lesen und schreiben zu lernen. Einiges leichter fällt es hingegen Roma einen Alphabetisierungskurs für Roma zu besuchen, der in ihrer Muttersprache gehalten wird. Dafür aber gibt es zumindest im Wedding keine offiziellen Angebote. Die einzigen Alphabetisierungskurse, die von einem Mitglied des Roma-Elternvereins ehrenamtlich durchgeführt werden, sind so gut besucht, dass überdeutlich wird, wie hoch der Bedarf an mehr Angeboten eigentlich ist. Dieser Hintergrund ist insbesondere dann anzusprechen, wenn es um das häufige Vorurteil geht, dass Mitglieder von Roma-Familien „einfach nur nicht wollen“ oder wie eine Studentin in ihrer Hausarbeit zur Recherche der Lebenssituation von Roma-Familien in Neukölln wiedergibt,„Analphabetismus würde bei vielen zur Kultur gehören“. Die Probleme für Menschen deutscher wie nicht deutscher Herkunft, die weder lesen noch schreiben können, sind im Umgang
mit Bürokratie offensichtlich. Hier können unbürokratische Anlaufstellen Abhilfe schaffen. Neben den Fragen zum ökonomischen und sozialen Hintergrund der Familien galt ein Schwerpunkt der Befragung den Erfahrungen der Eltern mit den Schulen ihrer Kinder, ein weiterer zielte auf Meinungen über und Wünsche der Eltern an die Schule und das Schulsystem. Dabei stellten wir zunächst die Frage nach den Kommunikationsformen zwischen Schule und Eltern: Welche gibt es überhaupt und wie zufrieden sind die Eltern mit der vorhandenen Kommunikation? Es stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Befragten mit den Kommunikationsformen der Schule zufrieden sind und sie entweder mit sehr gut oder gut bewerteten. Den Elternbrief bewerteten 86,1% der Eltern mit sehr gut oder gut, nur 7,3% finden ihn nicht gut, bei 6,3% gibt es keine Elternbriefe an der Schule. Eine ähnliche Mehrheit (85,2%) zeigte sich bei der grundsätzlichen Zufriedenheit mit Elternabenden, hier sagten allerdings 12,3% der Eltern, dass sie mit den Elternabenden nicht zufrieden sind. An sehr wenigen Schulen werden Hausbesuche vorgenommen, 89,9% sagten aus, dass Hausbesuche an ihrer Schule nicht stattfinden. Die Notwendigkeit, Eltern stärker in den Schulalltag ihrer Kinder einzubinden und eine bessere Kommunikation aufzubauen, wird auch von schulischer Seite aus gesehen. Allerdings sind gerade bei den Elternabenden noch wenig konzeptionelle Veränderungen zu erkennen. Der Elternabend gestaltet sich meist immer noch so, dass der Lehrer/die Lehrerin die Eltern über die Situation in der Klasse aufklärt und möglicherweise weitere schriftliche Mitteilungen verteilt, aber Schwierigkeiten hat, die Eltern aus verschiedenen Herkunftsländern mit Sprachschwierigkeiten einzubinden. Die Mitarbeiterinnen des Projektes stellten fest, dass bei Elternabenden, an denen Eltern mit einem Dolmetscher teilnahmen, häufig keine Zeit zur Übersetzung eingeräumt wurde. Eine weitere Frage galt den Erfahrungen, die die befragten Eltern mit den Lehrern machen oder gemacht haben. Gefragt wurde, inwieweit die Eltern denken, dass die Lehrer interessiert am Erfolg der Kinder sind, sich bemühen, den Kindern zu helfen, das Kind beim Lernen motivieren, sich auch für die Familiensituation der Kinder interessieren und die Kinder wie auch die Eltern respektieren. Insgesamt haben die Befragten mehrheitlich geäußert, dass die meisten bzw. mehr als die Hälfte der Lehrer sich für ihre Kinder interessieren und bemüht sind, den Kindern beim Lernen zu helfen und sie zu motivieren. Insofern lässt sich von einer mehrheitlich positiven Bewertung der Lehrer von Seiten der Eltern sprechen. Erwähnenswert ist,
dass vor allem im türkischen und arabischen Raum der Lehrer eine unangefochtene Autoritätsperson ist, der zunächst einmal nicht in Frage gestellt wird. So erklärt beispielsweise auch eine Elternlotsin in einem Spiegelinterview:„Es klingt angesichts der Berichte hier aus Deutschland vielleicht überraschend, aber in der Türkei ist ein Lehrer eine absolute Respektsperson, jemand, vor dem man nicht ungebildet erscheinen will.“ (Spiegelonline unter http://www.spiegel.de /schulspiegel/0,1518,412848,00.html) Es wird deutlich, dass das Funktionieren und die Qualität der Schule für die Eltern in erster Linie an deren Personal liegt. Sind Schulleitung und vor allem die Lehrer engagiert und bemüht um die Kinder, sind das die wichtigsten Kriterien, die für eine Schule sprechen. Die Möglichkeit einer freien Antwort nutzten einige der Befragten, indem sie zum Beispiel anmerkten, dass es ihrer Meinung nach auch sehr wichtig sei, dass Kinder deutscher Herkunft unter den Mitschülern seien. „Die Schule muss die Klassen halbieren, ausländische und deutsche Kinder mischen „davon, ob deutsche und ausländische Kinder zusammen sind“ „Von der Organisation in der Schule, von der Glaubwürdigkeit der Schule, der Handlungsfähigkeit der Lehrer und ihrem Umgang mit den Menschen“ „davon, ob es eine gute Kommunikation mit den Eltern gibt.“ Über die Einführung der Ganztagsschule gibt es unterschiedliche Meinungen. Wir fragten die Eltern mit Migrationshintergrund, was sie von Ganztagsschulen halten. Die Befragten konnten mit ja, nein, weiß es nicht, zum Teil und einem frei formulierten Grund antworten. Daraus ergab sich: 9,1% fanden die Ganztagsschule vor allem wegen einer besseren Integration gut, 29,1% gaben an, dass sie aufgrund der Hausaufgabenhilfe gut sei, 14,5% war die größere Hilfe für die Eltern wichtig. 3,6% gaben etwas anderes an, 3,6% gaben keinen Grund für ihre positive Bewertung der Ganztagsschule an. 18,2% fanden sie nicht gut, 3,6% hatten keine Einschätzung dazu. 28 Befragte machten keine Angaben.
Auffallend ist, dass rund 78% der Befragten die Ganztagsschule positiv bewerten. Sie sehen eine Verbesserung im Vergleich zur Halbtagsschule, in der der Unterricht auf die Stunden am Vormittag konzentriert wird, während es beim Prinzip der Ganztagsschule vom Grundsatz her um eine Verbindung von Unterricht und Freizeit geht. Kritisiert wird die Ganztagsschule zum einen wegen
der langen Zeit, die die Kinder in der Schule verbringen, zum anderen aber, wenn die Ganztagsschule den im ursprünglichen Konzept vorgesehenen Nutzen nicht erbringt. Wie auch aus der Befragung deutlich wird, ist das Angebot der Hausaufgabenhilfe an den Ganztagsschulen für viele Eltern eines der positiven Merkmale einer Ganztagsschule. Allerdings zeigt sich an oben genannten Werten auch, dass fast 40% der Befragten mit der Umsetzung der Hausaufgabenhilfe für ihre Kinder nicht oder nicht wirklich zufrieden sind. Das deckt sich mit den Erfahrungen, die die ProjektmitarbeiterInnen vor Ort gemacht haben: Die Schüler werden teils mehr „verwahrt“ als betreut. Die Schulen sind zwar häufig engagiert und wollen das Ganztagschulen-Konzept umsetzen, es fehlt aber zu oft an ausreichend Lehrern und Erziehern, die eine sinnvolle Betreuung der Schüler umsetzen könnten, oder auch an genügend und passenden Räumlichkeiten, weshalb mancherorts die Schüler nur die Klassenzimmer und manchmal noch nicht mal die zur Verfügung haben. Traditionell kümmern sich die Schulen bei fehlendem Personal um die Abdeckung klassischer Fächer wie Mathematik und spezieller Förderunterricht, kreative Fächer oder Hausaufgabenbetreuung fallen aus bzw. bleiben häufig auf der Strecke, auch wenn sie ursprünglich im Schulprogramm vorgesehen waren. In der Praxis vor Ort hörten die MitarbeiterInnen des Projekts immer wieder, dass Eltern mit Migrationshintergrund sich nicht um den schulischen Alltag ihrer Kinder kümmern und sich nicht dafür interessieren würden und dass eine Kommunikation mit diesen Eltern meist sehr schwierig sei. Im Kontakt mit den Eltern wird jedoch deutlich, dass dieses pauschalisierende Urteil nur in Ausnahmefällen zutrifft. Wir fragten daher die Eltern, was ihrer Meinung nach helfen könnte, um eine bessere Kommunikation bzw. Zusammenarbeit zwischen den Eltern und der Schule zu erreichen. Hier waren mehrere Antworten möglich. Auf die Frage, ob es helfen könnte, wenn es in der Schule jemanden gibt, der als Mediator den Eltern hilft (Konfliktvermittlung, dolmetschen), antworteten 73,2% mit ja. 26,8% meinten nein. Auch die Antwortmöglichkeit mehr pädagogischer Einsatz der Schule wäre eine Hilfe, kreuzten die Eltern mehrheitlich an (63,8%), 36,3% sagten hierzu nein. Eine bessere Organisierung der Eltern befürworteten immerhin 54,3%, während 45,7% dazu keinen Anlass sahen. Die hohe Zustimmung von fast drei Viertel der Befragten zum Einsatz von Mediatoren/ Vermittlern an den Schulen ist auffallend. Betrachtet man dieses Ergebnis in Kombination mit der Frage nach den Deutschkenntnissen der Eltern, so zeigt sich, dass sich die Zustimmung zu einem Vermittler/Mediator zwischen Eltern und Schule nicht nur auf Eltern mit schlechten
41
Sprachkenntnissen bezieht, sondern auch Eltern, die die deutsche Sprache gut beherrschen, dies ausdrücklich befürworten. Der Wunsch nach Mediatoren durch Eltern mit Migrationshintergrund, deren deutsche Sprachkenntnisse nicht gut sind, ist mit ca. 90% enorm hoch. Bemerkenswert ist aber auch, dass die feste Einbindung von Mediatoren an Schulen keineswegs nur von Eltern, die schlecht Deutsch sprechen, befürwortet wird, sondern auch gut 55% derjenigen Eltern mit Migrationshintergrund, die keinerlei Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, Vorteile darin sehen, dass man bei Bedarf jemanden zum Vermitteln zwischen Eltern und Schule hinzuziehen kann. Die Vorteile eines Mediators werden somit von der Mehrheit aller Eltern mit Migrationshintergrund gesehen. Dabei ist wichtig, dass die Bedeutung eines/r Vermittlers/in zwischen Schule und Eltern nicht nur als Dolmetscher/in gesehen wird, sondern als jemand, der in den Gesprächen Missverständnisse und Verständigungsprobleme aufzeigt und diskutiert, auf Perspektivwechsel eingehen und vermitteln kann und damit auch die interkulturelle Kommunikation fördert. Jede/r Befragte erhielt zusätzlich für jedes Kind einen Fragebogen, in dem u.a. Fragen zum Kindergartenbesuch, der Schullaufbahn oder den Sprachkenntnissen des Kindes gestellt wurden. Insgesamt nahmen 83 Elternteile mit Migrationshintergrund an der Befragung teil, die für 155 Kinder Fragebogen ausfüllten. Auch wenn hier die Eltern die Bögen ausgefüllt haben, gehen wir total von 155 Kindern aus. Im Folgenden wird von Kindern gesprochen, obwohl viele Jugendliche und einige zum Teil schon erwachsen sind, da die Befragten gebeten wurden, für jedes ihrer Kinder, auch wenn er oder sie schon erwachsen ist, einen Fragebogen auszufüllen.
Um die Bildungslaufbahn der Kinder nachvollziehen zu können, stellten wir zunächst die Frage, ob und wie lange die Kinder einen Kindergarten/ Kindertagesstätte besucht haben. Für 2 Kinder wurde mit ja allerdings ohne Zeitangabe geantwortet, weitere 21 gingen 1 Jahr lang in einen Kindergarten, 81 besuchten 2 Jahre lang eine Kita, 47 Kinder besuchten keinen Kindergarten. Bei vier Kindern wurden keine Angabe gemacht. Auffallend ist, dass die Kinder, die keinen Kindergarten besucht haben, mehrheitlich Roma sind (knapp 64%) Die Kinder, die zwei oder mehr Jahre einen Kinder-
42
garten besucht haben, sind zu 90% arabischer und türkischer Herkunft. Damit zeigt sich auch an dieser Stelle, dass besonders Roma-Familien zu wenig erreicht werden, um das Prinzip Kindergarten und seine Notwendigkeit zu erklären und zu verankern. In weiteren Fragen ging es um die Einschätzung der Eltern, ob sich die deutschen Sprachkenntnisse ihrer Kinder durch den Kindergartenbesuch verbessert haben. Interessant ist, dass diese Frage für nur 74 Kinder überhaupt beantwortet wurde. Bei 81 Kindern wurde die Frage übersprungen. Dies liegt entweder daran, dass diese Kinder keinen Kindergarten besucht haben oder möglicherweise daran, dass die Eltern es aufgrund ihrer eigenen mangelnden Sprachkenntnisse nicht einschätzen können, oder, dass eine Verbesserung nicht offensichtlich genug ist. Denn auch wenn das ,Berliner Bildungsprogramm für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen bis zu ihrem Schuleintritt‘ von ErzieherInnen, Fachleuten und Eltern begrüßt wurde, zeigen sich in der Umsetzung erhebliche Schwierigkeiten, da ErzieherInnen zwar einiges mehr leisten sollen, die Personalbemessung dem aber nicht entspricht (Vgl. etwa den Protestbrief zur Personalsituation von INA. KINDER.GARTEN an Senator Zöllner). Bei unserer Frage wurde für 68,9% der Kinder eine Verbesserung der deutschen Sprache gesehen. Bei 10,8% konnten die Eltern keine erkennen und bei 20,3% fehlte den Eltern die Möglichkeit, es einzuschätzen. Eine problematische Situation zwischen Schule und Eltern kommt immer wieder dann auf, wenn ein Kind längere Zeit nicht zur Schule geht und eine deutliche Unterbrechung des Schulbesuchs vorliegt. Deshalb wurde gefragt, ob es Zeiten gab, in denen das Kind nicht zur Schule gegangen ist. Hier gab es auch wieder die Möglichkeit zu freien Antworten. Für 131 Kinder wurde das verneint (89,1%), für 16 bejaht (10,9%), für 8 wurden keine Angaben gemacht. Untersucht man die Angaben in Bezug auf die Herkunft der Kinder waren von denjenigen, die die Schule unterbrachen, 12,5% türkischer, 31,3% arabischer Herkunft und 56,3% Roma. Nicht unterbrochen haben 26% türkischer Herkunft, 38,2% arabischer, 28,2% Roma, 6,9% ex-jugoslawischer und 0,8% anderer Herkunft. Besonders offenkundig wurde durch die Befragung, wie schwierig die Situation insbesondere für RomaKinder ist. Viele kommen aus Elternhäusern, die unter den Belastungen von Kriegserlebnissen, einem unsicheren Aufenthaltsstatus und finanzieller Notlagen leiden. Zudem haben viele Roma-Eltern keine Möglichkeit, die Kinder schulisch zu unterstützen, da sie selbst Analphabeten sind. Die Auswertung der Interviews zeigt auch, dass hier ein enormer Bedarf vor allem an muttersprachlichen VermittlerInnen
besteht, da die Hemmschwelle, sich an deutsche Beratungsstellen zu wenden, besonders hoch ist, gleichzeitig aber auch das Wissen um die Strukturen der deutschen Gesellschaft besonders gering ist. Der Informationsweg läuft stärker noch alsbei anderen Familien über einen vertrauensbildenden persönlichen Kontakt. Für alle Familien gilt, dass es zu wenig Anlaufstellen gibt, die eine Brückenfunktion zwischenden Familien und den Strukturen der deutschen Gesellschaft bilden. Es geht um Orte, an denen die Familien zunächst einmal in ihrer Muttersprache die verschiedenen Schwierigkeiten, die sie belasten, beschreiben können, ohne dabei Gefahr zu laufen, auf Unverständnis oder Missverständnisse zu stoßen, die durch unterschiedliche Traditionen und Lebensweisen hervorgerufen werden. Es müssen Orte sein, die ihnen das Gefühl geben, sich nicht gegen Klischees und Vorurteile wehren zu müssen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Kontinuität auch im personellen Bereich, da nicht zuletzt die persönliche Vertrauensbildung erst den Zugang zu den Familien ermöglicht. Eine große Herausforderung für das Projekt „IntegrationslotsInnen im Soldiner Kiez“ bestand darin, verschiedene „Hürden“ immer wieder aufs Neue anzugehen, sie, wenn möglich, zu überwinden, Schwierigkeiten und Spannungen auszuhalten, mit negativen Emotionen umzugehen und nicht zu resignieren. In der Rolle DolmetscherIn, Kulturmittlerln, MediatorIn oder BeraterIn befanden sich die IntegrationslotsInnen, selber mit türkischem, arabischem, roma oder serbo-kroatischem Migrationshintergrund, häufig in Rollenkonflikten und die Fähigkeit zur professionellen Distanz war insbesondere in Situationen gefragt, in denen sie auf Schul- oder Behördenpersonal stieß, das sich rassistisch äußerte und/oder diskriminierend verhielt. Unbefriedigend war aber auch, dass die eigenen Zeitkapazitäten zu gering waren oder man auf stark überlastetes Personal bei Ämtern und Behörden oder in den Schulen stieß, die keine Zeit fanden, dringend notwendige Gespräche mit den MigrantInnen zu führen. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Punkt war die Belastung, die auch für die TeammitarbeiterInnen im Umgang mit Leid und vielen äußerst schwierigen Lebensverhältnissen entstand, bei denen man häufig nur punktuell unterstützen konnte. Probleme hatte das Team auch dann, wenn es bei den MigrantInnen auf Personen traf, die „Versorgungsansprüche“ ohne Eigenbeteiligung und Eigenengagement einforderten. Auf Grenzen stieß das Team, wenn strukturelle Gegebenheiten in der deutschen Gesellschaft sichtbar wurden, die eine Ausgrenzung von MigrantInnen bereits beinhalten und verfestigen. Dass diese verfestigten Ausgrenzungsstrukturen gesellschaftlich aufgebrochen werden müssen, scheinen auch politische Entscheidungsträger erkannt zu haben. So wird seit kurzem in der von der Politik geführten
Integrationsdebatte verstärkt hervorgehoben, dass es um ein Reden mit den MigrantInnen statt um eines über sie gehen müsse. Beispiel hierfür sind die von Angela Merkel einberufenen sogenannten Integrationsgipfel. Auch in der Arbeit vor Ort zeigte sich immer wieder, wie stark traditionelle Zuschreibungsmuster von Fremdheit und Nicht-Zugehörigkeit im gesellschaftlichen Bewusstsein und damit auch bei den VertreterInnen der deutschen Institutionen verankert sind. Kulturalistisch bzw. ethnisierende Argumentationsmuster führen dazu, dass Problemlösungskonzepte primär im kulturellen Bereich verortet werden. Krisensituationen werden oftmals auf die Tatsache einer unterschiedlichen ethnisch-kulturellen Zugehörigkeit der betroffenen Personen reduziert. Die Probleme sind sozusagen vorprogrammiert und werden als Krisen analysiert, die durch kulturelle Unterschiede entstehen. Dadurch entsteht nicht nur die Versuchung, soziale und ökonomische Ursachen auszublenden und zur ,Kulturalisierung‘ von politisch-sozialen Konfliktstoffen beizutragen, sondern auch einen von einseitiger Belehrung dominierten Dialog zu führen. Aber auch Migrantenfamilien ziehen sich teils in Reaktion auf die Zuschreibungsprozesse von Seiten der Mehrheitsgesellschaft, die häufig mit Ausschluss und Diskriminierung einhergehen, auf Argumentationsmuster zurück, die Verhaltensweisen und Konflikte rein kulturell begründen. In diesen Situationen entsteht für VermittlerInnen die Schwierigkeit, die beidseitig festgelegten, womöglich noch als „unüberwindbar“ dargestellten „kulturellen Grenzen“ aufzuweichen und mögliche Konfliktlösungen vor dem Hintergrund sozialer, ökonomischer oder etwa auch generationsspezifischer Probleme aufzuzeigen. Im Bereich der Institution Schule kommt verschärfend hinzu, dass „in keinem anderen Industriestaat die soziale Herkunft so sehr über den Schulerfolg und die Bildungschancen (entscheidet) wie in Deutschland. Zugleich gelingt die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund deutlich schlechter.“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung, http://www.bmbf.de/de/1125.php) Erschwerend kommt hinzu, dass Schulen, ob Grundoder Hauptschulen, zunehmend dazu tendieren, schwierigen, verhaltensauffälligen oder Kindern mit sehr schlechten Sprachkenntnissen weniger eine spezielle Forderung zukommen zu lassen und sie vielmehr auf eine Sonderschule „abzuschieben“. Die ProjektmitarbeiterInnen machten die Erfahrung, dass die Kinder und Jugendlichen, die auf eine Sonderschule wechseln müssen, selbst ganz genau wissen, dass sie damit gesellschaftlich gleichsam aussortiert sind. Das belegt auch folgendes Beispiel: Eine Mitarbei-
43
terin unterstützte eine Mutter, deren Sohn morgens immer zu spät in die Schule kam. Auf Anfrage der Schule erklärte die Mutter, dass er pünktlich aus dem Hause gehe. Nach einem längeren Gespräch mit dem Jugendlichen stellte sich heraus, dass er aus Scham immer etwas abwartete, damit die anderen Jugendlichen nicht sahen, auf welche Schule er ging. Wie aussichtslos die Situation auf den Sonderschulen von Eltern und Kindern empfunden wird, zeigen die Erfahrungen der ProjektmitarbeiterInnen oder Eltern-Blogs im Internet (Vgl. http://www.eltern. de/foren oder http://forum.kijiji.de/about71291. html&highlight=f%F6rder schule+sonderschule). Zudem weisen zahlreiche Studien nach, dass der Weg von der Sonderschule zurück in die Regelschule fast unmöglich ist. Rita Süßmuth stellt so auch in ihrem Buch „Migration und Integration“ fest: „Anstatt die Kinder zu Sonderschulen zu schicken und damit eine erste und oft irreversible Ausgrenzung aus dem Regelschulsystem zu exerzieren, muss die vorschulische Sprachförderung intensiviert werden...“ (Süßmuth, S. 150; vgl. auch Monitor Bericht: Ausgesondert: Kinder in Förderschulen, Nr. 577 am 24. April 2008) Die von Politik und Gesellschaft zu verändernden strukturellen Defizite im System können keineswegs durch individuelles Engagement Einzelner ausgeglichen werden. Doch zeigen unzählige Einzelbeispiele wie auch die Befragung der Eltern, wie außerordentlich wichtig es ist, dass es an der Basis Anlaufstellen gibt, in denen Menschen anzutreffen sind, die nicht nur sprachlich, sondern auch in Bezug Anzeige
Soeben erschienen:
Nachbarschaftliches Engagement in Berlin Heft 2/2008 der „Best Practice“-Reihe
44
auf gesellschaftliche Strukturen, traditionelle und sozialisationsgebundene Lebens- und Einstellungsgewohnheiten aufklären und vermitteln können. Aus den Erfahrungen der dreijährigen Projektarbeit, den Diskussionsveranstaltungen, den Fachgesprächen mit Migrantenorganisationen und dem Austausch mit VertreterInnen von Schulen und Behörden lässt sich zusammenfassend ein breites Feld an Handlungsbedarfen aufzeigen, dazu gehört: Niedrigschwellig arbeitende Projekte stellen sich der Aufgabe, Vernetzungsstrukturen zu entwickeln, in denen sie in Kooperation ergänzend wirken können. Für eine nachhaltige Integrationsarbeit müssen Finanzierung und Meta-Planung den Projekten eine langfristige Planung und Kontinuität in der Arbeit mit allen beteiligten Akteuren ermöglichen. Grundsätzlich aber ist es unabdingbar, auf politischer und gesellschaftlicher Ebene solche Ansätze zu vertiefen, die eine gleichberechtigte politische und gesellschaftliche Teilhabe der MigrantInnen wollen.
Text und Datenauswertung: Dr. Hanna-Ruth Metzger Datenerhebung: Tatjana Djurdjev
Der vollständige Bericht steht im Internet unter folgender Adresse zur Verfügung: http://www.nachbarschaftshaus-prinzenallee.de/program/projekte/lotsinnen/doku_2007_lotsinnen.pdf
Mit folgenden Beiträgen: Prof. Barbara John: „Der 3. Folgevertrag Stadtteilzentren“ Georg Zinner: „Nachbarschaftshäuser auf dem Weg in die Bürgergesellschaft“ Christof Lewek: „Selbsthilfegruppen in den Stadtteilzentren“ Eva Bittner, Johanna Kaiser: „Kreative Potenziale älterer Menschen“ Herbert Scherer: „Nachbarschaftshäuser in New York“ Dagmar Pohle: „Quartiersmanagement und Stadtteilzentren“ und den Anlagen: - 3. Folgevertrag Stadtteilzentren - Qualitätsziele und Arbeitsschwerpunkte der Stadtteilzentren in Berlin 2008 bis 2010 - Standards in Stadtteilzentren – Anregungen Erhältlich beim Herausgeber: Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin e.V. , Geschäftsstelle Bezirke, Kollwitzstr. 94-96, 10435 Berlin
Drei Nachbarschaftshäuser, das Nachbarschaftsheim Schöneberg in Berlin, das Quäker-Nachbarschaftsheim in Köln und das Nachbarschaftshaus Wiesbaden haben drei Jahre lang mit einer Förderung vom Deutschen Hilfswerk (aus Mitteln der Fernsehlotterie ‘Ein Platz an der Sonne’) das Projekt „Community Care – alt werden in der Nachbarschaft“ realisiert, über das der Rundbrief schon verschiedentlich berichtet hat. Es gibt Berichte, die über den Verlauf der drei parallelen Projekte berichten. Diese können bei Interesse bei unserer Geschäftsstelle bestellt werden. In dem im Folgenden dokumentierten Abschlusskolloquium ging es nicht um eine Zusammenfassung der Tätigkeitsberichte sondern um die Schlussfolgerungen, die von den Beteiligten für die weitere Arbeit der Nachbarschaftshäuser zum Thema „demographischer Wandel“, aber auch für das weite Feld der Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft gezogen wurden.
Abschluss-Kolloquium zum Projekt „Community Care“ (20.06.2008) Teilnehmer/innen: HE (Berlin), KP (Berlin), MF (Berlin), HS (Köln), MD (Köln), MS (Köln), UW (Köln), GW (Wiesbaden), KM (Wiesbaden), TH (Wiesbaden) HE: Wir wollen die Erfahrungen aus dem Projekt Community Care auswerten. In diesem Modellprojekt zur Bildung nachbarschaftlicher Netzwerke ging es uns in Wiesbaden, Köln und Berlin darum darum, in der Anbindung an Nachbarschaftshäuser neue Wege zum Thema „Alt werden in der Nachbarschaft“ zu finden. In dieser Abschluss-Runde reden wir über mögliche Wege, die uns neue Horizonte und Arbeitsfelder eröffnet haben. Und wir sprechen auch über Erfahrungen, die uns in Sackgassen geführt haben. Wir wollen an dieser Stelle nicht das Projekt noch einmal darstellen. Sondern es geht um das, was die Einzelnen an praxisrelevanten Erkenntnissen oder Schlussfolgerungen für sich daraus mitnehmen. Aus der Sicht des Zuwendungsgebers war dieses Projekt ein soziales, mit dem Ziel, dass es den beteiligten Gruppen drei Jahre lang besser gehen sollte. Aus unserer Sicht war es dagegen ein Pilotprojekt, in dem heraus gefunden werden sollte, wie Nachbarschaftseinrichtungen oder Mehrgenerationenhäuser in ganz Deutschland mit der Problematik des Altwerdens in der Nachbarschaft umgehen können. Welche Möglichkeiten und Kompetenzen haben sie dafür im Gepäck? Wie kann man das Ganze organisieren? KP: Wenn wir davon ausgehen, dass dies ein Arbeitsfeld für Nachbarschaftseinrichtungen ist, erhebt sich die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen das funktionieren kann. Die waren in den drei Projekten sehr unterschiedlich und zum Teil nicht von uns zu beeinflussen. So zum Beispiel die Tatsache, dass die Wohnungsbaugesellschaften in Köln eigene Sozialarbeiter haben. Das war gerade für den Beginn des Projektes nicht förderlich. MS: Mit dem Thema „Wohnen im Alter“ haben wir uns seit 2002 beschäftigt. Damals war das noch ein Zukunftsthema, das noch keine aktuelle Brisanz hatte, sondern erst noch auf uns zu kommen würde, durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft.
HE: Wir wollten nicht auf einen fahrenden Zug aufspringen, sondern uns damit schon im Vorfeld befassen um gerüstet zu sein für den absehbaren Bedarf. MS: Ich denke, der Zug fuhr schon, bzw. den Bedarf gab es bereits. Ich fand den Gedanken faszinierend, den Aspekt des Lokalen zu verbinden mit dem Thema des Alterns. Der Bereich der Pflege und Betreuung hatte diesen Blickwinkel des Nachbarschaftlichen gar nicht, sondern es war schwerpunktmäßig ein Marktblick, welche Stellen die Finanzierung von Hilfe übernehmen. Es gab bei uns keine lokale Verortung. Keines der Kölner Nachbarschaftszentren hat einen Pflegedienst. Was hat ein Nachbarschaftshaus für hilfsbedürftige Menschen zu bieten, um auf diesem Markt attraktiv zu sein? Den Bereich der Wohnungsunternehmen als Akteur in diesem sozialen Feld habe ich anfangs sicherlich unterschätzt. Die bei uns tätige Wohnungsbaugesellschaft hat durch ihre guten Wohnungen in einem attraktiven Umfeld einen Vorteil und für die Bewohner ganz einfach etwas zu bieten. Der Vorstand hat ein eigenes Sozialmanagement aufgebaut, mit eigenen Sozialarbeitern, die zum Beispiel Schuldnerberatung anbieten und andere Beratungsdienste anbieten. Meine Vorschläge zu einem lokal verorteten Projekt fanden sie im Vorstand sehr spannend. Aber keinesfalls, um uns zu unterstützen, sondern um sich selber noch mehr als soziales Unternehmen im Stadtteil zu profilieren. Sie würden diesen Teil ihres Unternehmens nie aus der Hand geben, der ihnen Ansehen verschafft. Und ich denke, das wird auch noch eine Zeit lang so bleiben. HS: Das Beispiel mit der Kölner Wohnungsbau-Genossenschaft zeigt, dass es auch ein bisschen von glücklichen Umständen abhängt, ob ein Projekt auf fruchtbaren Boden fällt. Bei uns war es etwa ein glücklicher Umstand, dass eins der Vorstandsmitglieder unseres Vereins bei einer Genossenschaft Rechtsberatung
45
macht. Von solchen Zufälligkeiten kann Gelingen oder Scheitern unserer Bemühungen abhängen. HE: Wie du es ausdrückst, klingt es so zufällig. Aber das hat ja auch System. Wenn eine Sache nicht automatisch funktioniert, sondern man für den Beginn ein Einfallstor braucht, dann heißt das ja auch: es muss bei unserem Gegenüber ein eigenes Interesse geben, aus dem heraus er unsere Idee aufgreifen will. Und dieses Interesse müssen wir herausfinden. Es reicht offenbar nicht, dass wir ein Problem erkannt und seine Lösung vermeintlich in der Tasche haben. Man braucht einen Türöffner. Das ist ein Fakt, der sich verallgemeinern lässt. Diesen Türöffner können wir an unterschiedlichen Stellen finden. MD: In Köln gibt es viele WohnungsbauGenossenschaften. Deren Situation ist durchweg sehr komfortabel. Die Wohnungen sind ausgesprochen attraktiv, es gibt keinerlei Leerstand und endlos lange Wartelisten. Das sind gesunde und sehr gut situierte Unternehmen. KP: Das ist in Berlin auch so. Die Genossenschaften haben in der Regel viel Geld, wodurch sie in der Lage sind, sich in aller Ruhe um das zukünftige Problem des Hilfebedarfs von alten Menschen zu kümmern. MS: Der Bedarf an Betreuung und Hilfsangeboten ist ja schon da, aber er wird noch nicht als dringend wahrgenommen. Hinzu kommt für uns als Schwierigkeit, dass wir in Köln eine „Klüngel“-Gesellschaft sind. Das bedeutet: quer durch alle Vorstände der Genossenschaften sitzen Leute, die alle an einer bestimmten Schule ihre Ausbildung gemacht haben. Und die bilden eine total abgeschottete Gemeinschaft. Mit eigenen Umgangsformen, viel persönlichem Austausch. Sie sind sehr vorsichtig mit externen Beratern. Es sind absolut hierarchische Unternehmen. Und wenn wir mit unseren Ideen von Kooperation nicht ganz oben bei der Leitung ansetzen können, dann haben wir ganz schlechte Karten. Das ist einfach so. Und bei den Stadtteilbüros, Mieterberatern und den Technikern vor Ort ist dieses Problem bekannt. Wir hatten die Situation gerade in Brühl. Wir haben mit dem Vorstand über den Bau von barrierefreien Wohnungen verhandelt. Über den Einstieg des Bürgermeisters in die Debatte sind wir zum Aufsichtsrat vorgedrungen. Und der sagte: wir haben da kein Problem. Wir müssen in solchen Verhandlungen detaillierte Informationen über die genaue Zahl der älteren Wohnungssuchenden haben, dürfen aber nicht durchblicken lassen, woher wir diese Informationen haben. Dieses ganze trickreiche Vorgehen, zu dem wir gezwungen sind, passt so schlecht mit der Kultur von
46
Bürgerzentren zusammen, finde ich. KP: Bei uns in Berlin werden solche Verhandlungen von der Leitung des Nachbarschaftsheims geführt, und zwar gleich auf der Ebene der Vorstände der Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften. MD: Ich habe eben den schwierigen Fall erzählt. In einem anderen Fall sind wir mit Hilfe des DPWV gleich zum Geschäftsführer der betreffenden Wohnungsgesellschaft vorgedrungen. Die Wohnungsgesellschaften bekommen erst in fünf bis zehn Jahren ein größeres Problem. Im Moment ist die Situation die, dass alte Leute nicht die Mühe auf sich nehmen wollen, aus ihren großen Wohnungen auszuziehen, in der sie viele Jahre gelebt haben, in der ihre Kinder aufgewacHEen sind. KM: Mir fällt auf, dass die Voraussetzungen für unser gemeinsames Projekt an den drei Standorten sehr verschieden sind. In Köln sind die Wohnungsgesellschaften offenbar reich und können es sich leisten, aus alter sozialer genossenschaftlicher Verantwortung in diese Sache zu investieren. Das ist bei uns in Wiesbaden gar nicht so. Außerdem gibt es bei unseren Gesellschaften auch nicht diese Tradition einer sozialen Verantwortungshaltung. Sie haben nie signalisiert, dass sie in einem sozialen Bereich ihren Bewohnern etwas anbieten wollen. Wir haben deshalb den Weg gewählt, über eine Bedarfsanalyse die Bedürfnisse alter Menschen im Stadtteil herauszufinden. Mit dieser Analyse wollten wir uns an die Wohnungsbaugesellschaften wenden. Diese Analyse haben wir nicht geschafft, auch mit Kontakten zu Sozialstationen und Besuchsdiensten o.ä. hat sich uns der Bedarf alter Menschen an ihr Wohnumfeld nicht wirklich erschlossen. Das ist ähnlich gelaufen wie bei einer Gesellschaft in Köln, zu der die Verbindung nicht hergestellt werden konnte. In Berlin ist es eben anders. Die Wohnungsbaugesellschaften haben dort eine sozialarbeiterisch abgesicherte Struktur, dort kann man bereits auf soziales Engagement und Vernetzung zurückgreifen. Insofern lassen sich die unterschiedlichen Standorte im Hinblick auf Erfolg kaum vergleichen. KP: Haben wir die Problemlage falsch eingeschätzt? Oder haben wir in der falschen Richtung nach Lösungsmöglichkeiten gesucht? KM: Wir sind von der Annahme ausgegangen, dass es bei alten Leuten einen Bedarf nach nachbarschaftlicher Absicherung und Einbindung gibt. Das hat sich aber in unseren Befragungen nicht bestätigt. Die Leute kamen zwar auf unsere Feste und füllten auch den Fragebogen aus, aber es ergab sich weiter nichts daraus. Entweder gibt es den von uns angenommenen Bedarf so nicht – oder wir haben ihn nicht herausgefunden.
MD Gab es denn in Berlin engagierte Betroffene, die auf die Angebote angesprungen sind? MF: Meine Vermutung ist, dass die Probleme für die Wohnungsgesellschaften erst in zehn bis fünfzehn Jahren richtig auftreten. Die Genossenschaften können sich zum einen eine langfristige Planung finanziell leisten. Zum anderen konnten wir ihnen vermitteln, dass es für sie selber günstig ist, sich frühzeitig auf das Problem der Alterung der Bevölkerung einzustellen. HE: Ich glaube, im Moment ergibt sich ein zu glattes Bild für Berlin. Es gab hier einen Vorlauf durch ein Projekt, das über zwei Jahre lief, nach einem ähnlichen Modell wie ihr es aus Wiesbaden beschreibt. Das Projekt ist nicht erfolgreich gewesen. Der Ansatz wurde dann verändert. Es hat sich herausgestellt, dass Wohnungsgenossenschaften, die selber Probleme haben, gute Partner sind, weil sie nach Lösungen suchen, zu denen wir Vorschläge machen können. So ist das dann gelaufen. Die Genossenschaften haben nicht unser Modellprojekt 1:1 übernommen, sondern eigene Vorstellungen entwickelt, die gut mit unseren Projektvorstellungen kompatibel waren. Die Zusammenarbeit hat deshalb geklappt, weil das Nachbarschaftsheim Schöneberg darauf flexibel eingegangen ist. KM: Für mich ist die wichtigste Frage: warum hat die Ebene mit den Menschen nicht funktioniert? Warum ist da nichts Neues und Eigenständiges entstanden? Sicher, wenn wir Angebote machten und die Leute von uns dazu auch noch abgeholt wurden, gab es einige schöne Feste, Frühstücke und Begegnungen. Aber nichts davon wurde in eigene Regie übernommen. Es gab keinen feststellbaren Bedarf danach. TH: Bei uns im Bezirk herrscht eine Atmosphäre des Misstrauens, der Zurückhaltung. Die Menschen scheuen sich, Hilfe auf freiwilliger Basis anzunehmen oder anderen ihre Hilfe anzubieten. Sie wollen nicht in so einen Strudel von Verpflichtungen hineingeraten. Das ist ihnen einfach zu nah. Dagegen nehmen sie gerne unverbindliche Angebote wie Feste oder Treffen wahr. Alte Leute haben ein sehr eigenwilliges Verhältnis zu Nähe und Distanz. War das in Köln ähnlich? MD: Nein, bei uns war das ein bisschen anders. Wir hatten uns zunächst an die ganz Alten gewandt, die hilfsbedürftig waren, aber an die sind wir nicht heran gekommen, von selber melden sie sich nicht. Von den Ärzten gab es keine Unterstützung, vereinzelte Arzthelferinnen machten uns mal auf einen Fall aufmerksam. Die Pflegedienste waren zunächst sehr interessiert, aber es kam von ihnen in drei Jahren keine einzige Rückmeldung. Dann haben wir es über die Seniorenvertreter der Stadt Köln versucht, über die Angehörigen auch. Aber dazu musste das Projekt schon sehr bekannt sein.
Als nächsten Schritt haben wir uns an die jüngeren Alten gewendet, die sich in Besuchsdiensten engagieren oder die sich in Räumen ihrer Nachbarschaft treffen. Aber solche Perlen findet man nicht alle Tage, die etwas auf die Beine stellen. Wir trafen auch auf Seniorengruppen, die sich regelmäßig trafen, die aber unter sich bleiben wollten und Leute von außen rausgebissen haben. MS: Ich glaube, euer größter Erfolg war, die Räume eines Begegnungszentrums für alle wieder zu öffnen. Da war es ja zuerst auch so, dass Leute, die nicht seit 40 Jahren und ganz von Anfang an da waren, einfach immer die „Neuen“ blieben, die nichts zu sagen hatten. Ihr habt neue Themen reingebracht, es wurde im Zusammenhang mit Wohnungsunternehmen eine neue Abteilung „Sozialmanagement“ gegründet, und darüber entstand Bewegung. Das war echt eine Sternstunde. HE: In Freiburg haben sie einen interessanten Weg gefunden, an alte Menschen heran zu kommen. Und zwar über den Pfarrer, bei Beerdigungen. Menschen, die einen Partner verloren haben und ihr Leben neu strukturieren müssen, werden über den Pfarrer angesprochen, und so kommt man in Kontakt. Es wurde dort ein Netz mit verschiedenen Pfarrern aufgebaut. Aber ihr habt jetzt über die üblichen Abwehrmechanismen gesprochen. Die muss man offenbar auch berücksichtigen. KP: Wer gilt schon gerne als bedürftig? Wir haben in unserem Projekt erfahren, dass etwas, das wir als Problemlage erkannt haben, von den Betroffenen selbst nicht unbedingt so wahrgenommen wird. Oder sie möchten ihre Hilfsbedürftigkeit verbergen. HE: So einfache Dinge wie Besuchsdienste und häusliche Hilfe werden in der Regel insbesondere in einer solchen Ausnahmesituation dankbar angenommen. KP: Wie kommen wir aber in die Situation, dass wir Leute für solche ehrenamtlichen Angebote finden, die die alten Leute tatsächlich gerne annehmen? TH: Ja, das ist nicht einfach. Denn, mal nüchtern betrachtet, wer möchte schon auf ewig eine Wegstrecke und Fahrtkosten auf sich nehmen? Hilfen müssen im unmittelbaren Wohnumfeld organisiert werden, sonst wird der Aufwand schnell zu groß. Diese hilfsbereite Atmosphäre entsteht in einer Nachbarschaft aber nicht von heute auf morgen. Ebenso wenig wie die Bereitschaft und das Vertrauen, Hilfe annehmen zu wollen. KP: Wir haben dafür etwa 10 Jahre gebraucht, bis wir einen Stamm von Freiwilligen beisammen hatten und so bekannt waren, dass heute die Sozialstationen
47
anrufen können und innerhalb weniger Tage ein Besuchsdienst zur Verfügung steht. KM: Wenn wir Menschen eines Quartiers ansprechen wollen, bin ich mir nicht sicher, ob dazu die Anbindung an ein Nachbarschaftshaus der richtige Weg ist. Die Aktivitäten, die bei uns im Haus stattfinden, beziehen sich eigentlich nur auf unser Haus, haben eigentlich keinen Blick auf das Quartier oder auf die Leute, die nicht kommen. Die Probleme, die Menschen im Umfeld unseres Hauses haben, kommen bei uns in der Regel nicht an, weil die Leute, die zu uns kommen, eben andere Wünsche haben. HE: Es gab bei euch Menschen, die früher mal in euer Nachbarschaftshaus gekommen sind, dann aber nicht mehr, weil sie denn Weg nicht mehr alleine schafften. Für sie gab es offenbar kein Hilfenetz. Solche Netze müssen vorher entstehen, damit sie in der Not verfügbar sind. Wenn ein Nachbarschaftshaus nur den Blick auf die ohnehin kommenden Besucher richtet und keine Netze hat, die auf Dauer halten, dann ist etwas nicht in Ordnung. Für die Schaffung solcher in der Zukunft gebrauchten Netze ist so ein Haus sehr wichtig. MD: 2003 hat die Stadt Köln angefangen, SeniorenNetzwerke zu schaffen. Dafür wurde für drei Jahre eine halbe Stelle zur Verfügung gestellt. Wir sind heute Träger von so einem Senioren-Netzwerk. Dafür mussten wir aus unserem Haus rausgehen, das war der Auftrag. Wir wären auf dieses Projekt hier schlecht vorbereitet gewesen, wenn wir die Erfahrung nicht gehabt hätten. Das Senioren-Netzwerk ist jetzt an ein anderes Nachbarschaftshaus angebunden, das in dem entsprechenden Stadtteil liegt. Für die Bildung eines zweiten Netzwerkes wurden Räume von einer Wohnungsbaugesellschaft angemietet, damit es direkt vor Ort ist. Dieser externe Charakter eines unserer Projekte war für uns eine neue Erfahrung. Da haben wir draußen was für Leute geschaffen, die zu uns nicht mehr kommen. KP: Bei uns haben wir eine Reihe von Hochbetagten eingebunden, indem wir einen Fahrdienst organisiert haben, mit dem sie mindestens einmal im Monat zu uns geholt werden. Sie können alleine nicht mehr kommen. Das ist sehr beliebt. MF: Das ist der Vorteil eines Nachbarschaftshauses, dass alle Generationen eingebunden sind und egal, auf welche Altersgruppe der Fokus gerade gerichtet wird, es haben alle etwas davon. MS: Wenn man ein Haus hat, in dem viele Dinge organisiert werden, dann kann es auch Kontakte zu alten Leuten geben. Es werden Feste gemacht und alles Mögliche, und die Alten finden das nett. Viele von ih-
48
nen haben aber ein Leben geführt, in dem Begegnungen überhaupt keine Rolle spielten. Und sie haben immer in einem Stadtteil gewohnt, in dem das genau so war. Und dann sollen sie auf einmal im hohen Alter für sich und für andere selber was organisieren, sich fragen: was kann ich tun? Das ist extrem schwierig. KP: Mein Aha-Erlebnis in Bezug auf die sozialen Bedürfnisse alter Menschen hatte ich in einer Siedlung in Berlin-Köpenick. Dort gab es keine NachbarschaftsEinrichtung. Es gab einen Hausmeister und eine Diakonie-Station. Den Hausmeister konnte man rufen, wenn ein Wasserhahn tropfte, Gardinen aufgehängt werden mussten oder sonst etwas klemmte. Und ihm wurden ganz nebenbei auch schon mal persönliche Dinge anvertraut. Er deckte mit seiner Art von Einsatz den ganzen sozialen Bereich ab, er war der Notruf-Ansprechpartner. Was er nicht richten konnte, wurde von der Diakonie-Station erledigt. In dieser Kombination war das genial. Um die Bedürfnisse alter Menschen zu befriedigen, reicht es nicht, hinter seinem Schreibtisch bereitwillig auf sie zu warten. Man braucht Angebote, die treffen und nicht diskriminierend ankommen. TH: Das Seniorenwohnhaus, von dem ich gesprochen habe, liegt im Herzen eines Stadtteils, in dem überdurchschnittlich viele alte Menschen wohnen. Wir haben diesen Ort für unser Projekt deshalb gewählt, weil es dort die Möglichkeit gibt, Gemeinschaftsräume auch von außerhalb zu nutzen. Wir haben Beratungen angeboten und man konnte sich dort auch informell treffen. Das war unser Ansatz. MD: Meine Frage ist jetzt: was definieren wir unter den dargestellten Umständen als Erfolg des Projekts? HE: Ich würde es als Erfolg werten, wenn wir nach diesem Projekt in der Lage sind, die nächsten Schritte zielgenau anzugehen. Mich würde allerdings noch eine Sache interessieren. Wir stellen jetzt kritisch fest, dass wir teilweise in die „Angebotsfalle“ gelaufen sind. Aber wie soll das funktionieren – wie kann man ein Netzwerk aufbauen, ohne Angebote zu machen? HS: Ja – ich mache trotzdem Angebote. Wenn es immer nur beim Reden bleibt, dann nehme ich mir zum Beispiel einen Klumpen Ton und fange an zu töpfern, so dass sie merken: aha, das können wir auch machen. Gleichzeitig versuche ich rauszufinden, wer bereit ist, etwas einzubringen, wie Hausaufgabenhilfe, praktische oder handwerkliche Fähigkeiten oder ein kulturelles Angebot. Ich schreibe mir Adressen auf, und nach etwa zwei Jahren habe ich dann vielleicht ein paar Leute zusammen, die wirklich was machen wollen. In Ehrenfeld hat sich ein Stamm von drei, vier Leuten gebildet, die eigenständig ein Infotelefon machen. Die berichten da über Angebote, die für Men-
schen nach dem Berufsleben interessant sein können. Im Bürgerzentrum Ehrenfeld hat es sich als Effekt der Netzwerkarbeit dahin entwickelt, dass eine Mitarbeiterin nur noch für die Senioren zuständig ist. Die Gespräche im Stadtteil sind für die Netzwerke sehr wichtig. Es gibt ein sogenanntes Personennetzwerk. Die Stadt stellt es sich so vor, dass da eine Gruppe von Ehrenamtlichen entsteht, die selbst organisiert arbeitet. In einigen Stadtteilen ist das so, in anderen nicht. Die Bedingungen sind ja überall unterschiedlich. Als wir 2003 anfingen, das Personennetzwerk aufzubauen, war die Zusammenarbeit zwischen denjenigen, die Angebote für Senioren machen, total unterentwickelt. Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Die Stadt Köln gab uns damals einen wahnsinnigen Katalog, was wir alles umsetzen sollten: Mittagstisch, interkulturelle Kontakte, generationsübergreifende Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe, Treffpunkte. Das erschien mir wie so ein 10-Jahres-Plan. Wir hatten aber nur zwei Jahre Zeit. Und keiner sagte uns, wie wir vorgehen sollten. Mit der Zeit findet man raus, welche Wege sich lohnen und welche man sich sparen kann. In dem Stadtteil, in dem ich jetzt arbeite, sprechen wir die Bewohner direkt an, um zu sehen, wer wirklich was tun möchte. Ich organisiere keine Stadtteilfeste mehr, bei denen perspektivisch keine praktische Arbeit entsteht. Ich arbeite lieber in Arbeitsgruppen, in denen wir uns einen Überblick darüber verschaffen, welche Angebote es in der Seniorenarbeit gibt oder geben kann, um das dann publik zu machen. Von meiner inneren Haltung her bin ich klarer geworden. Ich mache Vorschläge und kann nur hoffen, dass sie aufgegriffen werden, was oft nicht der Fall ist. Andererseits melden sich von sich aus Leute, die etwas machen wollen: ein Stadtführer bietet umsonst eine Führung an, ein Optiker möchte eine Homepage mit gestalten... Es geht manchmal in eine andere Richtung als ich mir vorgestellt habe. Aber das ist in Ordnung. Wir haben damals in Ehrenfeld zunächst bei den Institutionen angesetzt, das ist ein verschleißender Prozess. Zu den Runden Tischen kamen Referenten, die nur ein eigenes geschäftliches Interesse hatten, oder gar keins. Und von Hauptamtlichen konnten wir teilweise auch nichts erwarten. Gut, mit der Zeit hat es immerhin dazu geführt, dass wir uns kennen lernten. Das war für die Zusammenarbeit im Stadtteil wichtig. MS: Wichtig ist auch, dass auch der Auftraggeber in diesem Prozess gelernt hat, dass beim Aufbau eines Netzwerkes die Inhalte nicht vorgegeben sein können, sondern für die Bedürfnisse der Beteiligten offen bleiben müssen. HS: Die Vorgabe war, dass nach zwei Jahren die entstandenen Netzwerke selbstständig laufen sollten. Jetzt sind wir bei vier Jahren, und inzwischen gibt es tatsächlich die ersten eigenständigen Netzwerke, die
vom DPWV betreut werden. Man merkt, dass das den Leuten, die da mitarbeiten, unheimlich gut gefällt. Sie haben Kontakte zu anderen Netzwerken aus anderen Stadtteilen geschaffen. Da tut sich was, in einer positiven Richtung. Trotzdem ist der feste Ansprechpartner vom DPWV noch immer unverzichtbar. KM: In manchem, was jetzt gesagt wurde, klingt die Frage nach den Zielen und dem Erfolg dieses Projektes an. Wenn wir uns die Ziele ansehen, stellen wir fest: manches hat geklappt, anderes nicht. Was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss. Es ist einiges anders gelaufen als wir uns vorgestellt hatten. KP: In Schöneberg hat dieses Projekt gut in den schon bestehenden Bereich der Arbeit des Nachbarschaftsheims gepasst. Sie war bis dahin mehr auf die Sozialstationen orientiert und bekam durch das Projekt eine erweiterte Dimension. Wie etwa die beginnende Zusammenarbeit mit Genossenschaften. HE: Ich sehe auch in den Sekundäreffekten dieses Projekts einen Erfolg. Es wurde gesagt, dass Nachbarschaftsheime angefangen haben, sich mehr in die Nachbarschaft hin zu orientieren und dort Verantwortung zu übernehmen. Wenn wir das erreicht haben, ist das viel. Das andere ist die Erkenntnis, dass es in den Nachbarschaftshäusern ein Know How gibt, das sich von dem anderer sozialer Dienstleister unterscheidet – und für das es durchaus eine Nachfrage gibt. Das ist die Gemeinwesenarbeit, die Fähigkeit, Prozesse anzuschieben und zu gestalten, auch jenseits einer Angebotsorientierung. Die besondere Ware, die das Nachbarschaftsheim verkaufen kann, ist die Fähigkeit, die Menschen wieder in die Verantwortung für sich selbst zu bringen – und, da das nicht von alleine funktioniert, die dafür erforderliche Professionalität. Etwas anschieben, wissen, was läuft, wissen, wo die Hindernisse sind. Wenn wir uns das nur selber ganz klar machen, können wir das auch nach außen bringen und mögliche Kooperationspartner überzeugen. Das Nachbarschaftsheim Schöneberg verkauft jetzt die Fähigkeit, Nachbarschaftstreffpunkte aufzubauen. Das ist der Kern seines Angebots. KP: Soziale Dienste werden mittlerweile längst nicht nur von Nachbarschaftszentren angeboten. Sozialstationen und ambulante Pflegedienste haben ebenfalls Kontakte zu Wohnungsgesellschaften aufgebaut. Wenn es in einem Wohnhaus genügend Patienten gibt, eröffnen sie dort ein Büro mit einer ständig präsenten Pflegeperson, anstatt für jeden eine Pflegerin dort hin zu schicken. Die steht dann dort auch für gesellige Angebote zur Verfügung. Da befinden wir uns längst in einer lebhaften Konkurrenz. In dem Fall ist das NBH Schöneberg gut dran, weil die auch Sozialstationen haben.
49
Wenn wir noch einmal auf die Frage nach dem Erfolg dieses Projektes zurückkommen, müssen wir prüfen: sind Strukturen, Vernetzungen, neue Blickwinkel entstanden, die langfristig Bestand haben werden? Für Schöneberg kann man sagen, dass ein neuer Schwerpunkt in der Arbeit mit alten Menschen entstanden ist. In Köln ist es die Zusammenarbeit mit einer Wohngenossenschaft, die Bestand haben wird. In Wiesbaden? TH: Bei uns wird das Nachbarschaftsfrühstück weitergeführt, von der Stadt übernommen und mit einer festen Mitarbeiterin ausgestattet. Einige kleinere Projekte laufen weiter, wie etwa „Zu Besuch per Telefon“. Und einige Infrastrukturmaßnahmen bleiben bestehen wie z.B. eine Platzbegrünung oder das Aufstellen von Toiletten. UW: Unsere Zusammenarbeit mit der Wohnbaugesellschaft läuft seit 2005. Wir haben für sie eine Befragung der Bewohner gemacht, in der es um die Vorstellungen und Wünsche der alten Menschen geht. Das Ergebnis ist, dass die mobilen Alten, die Angebote wahrnehmen, dafür auch größere Entfernungen überwinden. Während die ganz Alten generell an Angeboten kein Interesse zeigen, egal ob sie im Haus oder weiter weg stattfinden. Ich könnte mir aber vorstellen, dass wenn der jetzt brach liegende Gemeinschaftsraum in der Seniorenwohnanlage kontinuierlich für Angebote genutzt wird, dass mit der Zeit auch Interesse daran entsteht. Die Verbindung zur Genossenschaft ist jetzt recht eng, da entsteht auf jeden Fall was. HS: Wenn sich aus einer Befragung alter Leute ergibt, dass sie sich nichts erhoffen, ist das nur selbstverständlich. Sie kennen es ja nicht anders. Daraus ist nicht unbedingt der Schluss zu ziehen, dass sie nichts brauchen. Es kann durchaus ein Impuls davon ausgehen, wenn Leute sehen, dass sich im Stadtteil was tut. Sie sind gewöhnt, sich zu bescheiden und eben mit fast nichts zufrieden zu sein. Das sieht man auch an den Befragungen in Seniorenheimen, wo jeder denkt: das kann doch nicht sein, dass sie damit zufrieden sind. Sie würden sich diffamiert fühlen, wenn sie Unzufriedenheit äußern würden. HE: Ich will noch etwas zu den Angeboten sagen. In Berlin ist die etwas makabre Situation entstanden, dass an allen Ecken sog. Nachbarschaftsläden eröffnet werden, in denen viel zu viele Mitarbeiter sitzen, die auf Hilfsbedürftige warten und darauf hoffen, dass endlich jemand ihre reichhaltigen „Angebote“ nachfragt. Das hängt unmittelbar mit der Logik von Arbeitsfördermaßnahmen zusammen, die ja immer „zusätzlich“ und „im öffentlichen Interesse“ sein müssen. In dieser Hinsicht erscheint die wenig definierte Nachbarschaftsarbeit als ideales Tummelfeld, das diese zentrale Förderbedingung erfüllt. Aus diesen Projekten,
50
die gegeneinander um die Fördermittel konkurrieren und die keinerlei personelle Kontinuität aufweisen, entsteht kein Netzwerk und kein Beziehungsgeflecht. Ist das woanders in Deutschland auch so? KM: Nein, das halte ich für ein Berlin-spezifisches Phänomen. Das gibt es bei uns so nicht. TH: Werden die Treffpunkte von Hauptamtlichen geführt? KP: Nein, das sind 1-Euro-Jobber. MS: Bei uns in Köln werden Hilfen von einer Organisation angeboten, die auch die städtischen Heime hält. Das sind niedrigschwellige Dienste und Haushaltshilfen. Das kostet den Nutzer 7 bis 10 Euro die Stunde. KM: Bei uns werden diese Dienste auch für 10 Euro angeboten, aber von Fachpersonal gemacht, das von von der Stadt subventioniert wird, damit dieser Preis für den Kunden gehalten werden kann. Das ist ein anderer Ansatz als wenn man so etwas von 1-Euro-Jobbern machen lässt. Einige Leute werden im Rahmen von Aufwandsentschädigungen abgerechnet. KP: Dort wo die Kooperation mit einer Wohnungsgesellschaft gelungen ist, wird darüber auch öffentlich berichtet? Das ist nämlich etwas, worüber ich richtig zufrieden bin. Wir weisen gegenseitig in Zeitungen auf einander hin, die Genossenschaft nennt uns ihren Kooperationspartner und brüstet sich sogar ein bisschen mit uns. Wir haben eine langfristige Beziehung etabliert. Wie lange so etwas dann tatsächlich geht, weiß man nicht, aber der gegenseitige gute Wille ist kundgetan. KM: Das ist zweifelsohne in Wiesbaden nicht gelungen. In unserer unmittelbaren Nachbarschaft gibt es seit längerem die Caritas als Träger für das Quartiersmanagement im Projekt „Soziale Stadt“. Die haben eine enge Zusammenarbeit mit Wohnungsgesellschaften. Die haben da viel auf die Beine gestellt und werden das auch langfristig fortführen. HE: Die Caritas ist für die Wohnungsgesellschaft interessant, weil sie ja als Quartiersmanagement Geld mitbringt. KP: Wir haben am Anfang des Projekts mit etlichen Trägern konkurriert, die sich alle der Genossenschaft über spezielle Charakteristika wie Notrufdienste oder so was angedient haben. Das wird immer so sein, denn ein Nachbarschaftshaus ist nun mal nicht der einzige Anbieter von Hilfen. KM: Ich sehe es nicht als Konkurrenz, was da passiert. Die Caritas hat durch ihre langjährige Arbeit Erfah-
rungen im Quartiersmanagement gesammelt. Und so ist es in Ordnung, dass durch die Kooperation mit der Wohnungsgesellschaft der Bauhof, auf dem das alles stattfindet, auch nach Auslaufen des Projekts „Soziale Stadt“ erhalten bleiben kann. KP: Wie ist es bei euch, macht die Genossenschaft für euch Reklame? MF: Auf den von der Genossenschaft regelmäßig veröffentlichten Programm-Flyern stehen immer ihr Logo und das Logo des Nachbarschaftsheims Schöneberg drauf. Auf unsere Kooperation wird immer hingewiesen, die ist also bekannt. Die Leute denken aber oft, dass wir Sozialarbeiter der Genossenschaft sind. KP: Ich habe ganz erschrocken festgestellt, dass der Ruf mancher Genossenschaften bei ihren Mietern sehr schlecht ist. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wir bekamen Zugang zu den Leuten viel leichter unter unserem eigenen Namen. HE: Wie ist die rechtliche Konstruktion der Zusammenarbeit mit den Wohnungsgenossenschaften? Sind die Mitarbeiter des Projekts beim Nachbarschaftsheim Schöneberg angestellt? MF: Die drei im Projekt arbeitenden Kolleginnen sind beim Nachbarschaftsheim Schöneberg angestellt. Sie versuchen aber natürlich, den Willen des Wohnungsunternehmens umzusetzen, allerdings immer nach Rücksprache mit dem Nachbarschaftsheim. In regelmäßigen Abständen finden Gespräche mit den Vorständen statt, damit wir intervenieren können, wenn wir meinen, dass die Entwicklung vielleicht in eine nicht konstruktive Richtung laufen könnte. Das Weisungsrecht liegt laut Vertrag beim Auftragnehmer, also dem Nachbarschaftsheim, das es “in Absprache mit dem Auftraggeber”, also der Genossenschaft, ausübt. HE: Sie haben zwar von euch bestimmte Dienstleistungen eingekauft. Wenn sie aber ihre Kompetenzen so weit ausdehnen, dass sie euch inhaltliche Vorschriften machen wollen, kommt dabei eine schlechte Arbeit und dann auch ein schlechtes Ergebnis raus. Insofern sind die Gesellschaften an dem Punkt inhaltlich beschränkt. Darum sind solche Kooperationsmodelle, unabhängig davon, was auf dem Papier steht, Prozesse des Aushandelns. MF: In meinen Augen ist es das Beste, wenn die Sozialarbeiter aus dem Nachbarschaftsheim kommen. Dann kennen sie die dortigen Netzwerke und Unterstützungsmöglichkeiten genau und können die einsetzen. Wenn sie von außen kommen, müssen sie diese Dinge oft erst zusätzlich zu ihrer anderen Arbeit schaffen.
HS: Das Nachbarschaftsheim der Quäker hatte traditionell wohl gar nichts mit seiner Umgebung zu tun. Sie haben keine Schritte nach draußen gemacht. 1997 haben wir mit einer Briefaktion den ersten Schritt gemacht, um eine Gemeinwesenarbeit in Gang zu bringen. 2003 haben wir angefangen mit dem Knüpfen von Netzwerken im Stadtteil. Und jetzt ist die Zusammenarbeit mit Wohnungsgesellschaften wieder so ein Schritt in diese Richtung. Wir hatten bis jetzt nie etwas mit Genossenschaften zu tun, und das merkt man jetzt schon, dass das ein wertvolles Bauteil ist. Wir konnten unseren Besuchsdienst ausbauen, weil wir jetzt viel näher an alten Menschen dran sind. Auch über den Kontakt mit dem Verein „Freunde alter Menschen“ finden wir Freiwillige. Also lauter positive Effekte für unsere Einrichtung, die ja auf nichts zurückgreifen konnte. Vorher lebten wir hier wie auf einer Insel. MS: Wenn wir noch einmal den Blick richten auf das Resumée unseres Projekts, scheinen mir zwei Fragen von zentraler Bedeutung: Zum einen ist es die Bedarfslage, ob wir die vor Beginn richtig eingeschätzt haben. Wir haben ja festgestellt, dass sich der Bedarf verschärft erst in einigen Jahren stellen wird. Dann erhebt sich die Frage des Geldes, das ein Nachbarschaftsheim zur Verfügung hat, um sich auf die Lösung solcher Probleme in aller Ruhe vorzubereiten. Wenn ein Bürgerzentrum Pflegedienste im Angebot hat, ist es für Wohnungsgesellschaften ein attraktiver Kooperationspartner. KP: Ich denke an die traditionellen Seniorentreffpunkte, von denen es früher sehr viele gab. Heute sind die meisten geschlossen. Sie haben ihr Angebot nicht an die sich verändernde Bedarfslage angepasst. Das müssen aber alle sozialen Angebote immer wieder tun, überprüfen, ob sie etwas verändern müssen. GW: Bei uns werden die Seniorentreffs in absehbarer Zeit auch auslaufen. Sie werden ersetzt durch Dinge, die in den seit drei Jahren entstandenen Netzwerken aufgebaut wurden. Die sind ja von der Stadt, dem Nachbarschaftsheim und der Lebensabendbewegung getragen. Das Nachbarschaftsheim profitiert enorm davon, denn es kommen durch die Netzwerke ständig neue Leute ins Haus, die sich Gedanken darüber machen, wie man hochaltrige Leute mit einbeziehen kann, wie man sie unterstützen kann, dass sie sich weiterhin selber helfen können. Mein Eindruck ist aber, dass uns die Verbindung dazu noch nicht so richtig gelungen ist. Die Versammlung der Netzwerke ist bis jetzt noch für ganz Wiesbaden eine Vollversammlung. Aber das wird irgendwann demnächst nicht mehr funktionieren, weil es keine Räume dafür gibt und weil auch die Diskussionen in solchen Massen ineffektiv werden. Und wir selber müssen im Nachbarschaftshaus eine Netzwerkstelle eröffnen. Die Netzwerke müssen sich regional verselbständigen. Dafür brauchen wir begleitende Hilfe. 51
Für das ganze Projekt hätte ich mir vom Verband für sozialkulturelle Arbeit und seinem Berater mehr Unterstützung gewünscht. Und zwar sowohl was einzelne praktische Schritte betrifft als auch beim Durchdenken und Bewerten unseres Vorgehens. Wir hätten mehr Ratschläge und eine engere Begleitung gebraucht. Sicher, wir hätten auch danach fragen können, das Angebot hattet ihr ja gemacht. Aber das geht manchmal im Alltagsgetümmel unter.
KP: Ich habe als Berater dieses Projekt begleitet. Aber ich wurde, abgesehen von den gemeinsamen Treffen, fast nie um Rat und Hilfe gefragt. Wie ich beratend tätig werden, wenn ich nicht darum gebeten werde? Ich muss aber zugeben, dass mir euer Bedarf an Hilfestellungen nicht so deutlich geworden ist. Das stellt sich jetzt leider etwas zu spät heraus.
Zum Tod von Gudrun Israel Es gibt eine traurige Nachricht: Gudrun Israel ist in der Nacht vom 28. auf den 29.08.2008 im Alter von 48 Jahren nach langer schwerer Krankheit gestorben. Gudrun hat von 1992 bis 2000 mit unterschiedlichen Aufgabenfeldern für unseren Verband gearbeitet. Anfang der 90er Jahre hat sie insbesondere den Aufbau neuer Nachbarschaftseinrichtungen im Ostteil Berlins und in den östlichen Bundesländern mit Rat und Tat unterstützt. Später hat sie die großen Verbandstagungen in Berlin und Leipzig organisiert und das Handbuch „Sozial-kulturelle Arbeit“ herausgebracht Seit dem Jahr 2000 war sie im Berliner Landesverband der Volkssolidarität u.a. für die sozial-kulturelle Arbeit verantwortlich und hat das Nachbarschaftszentrum Bürger für Bürger in unserer Geschäftsführerrunde vertreten. Der Verband für sozial-kulturelle Arbeit hat in unterschiedlichen Konstellationen mit Gudruns Berufsleben in der Zeit nach der sog. Wende zu tun gehabt o Sie war eine Kooperationspartnerin 1991-92 o Sie war Mitarbeiterin in unterschiedlichen Projekten 1992-2000 o Sie war Vertreterin einer Mitgliedseinrichtung seit 2000 Ich selbst habe sie schon etwas früher kennen gelernt. Sie war Teilnehmerin einer Qualifizierungsmaßnahme, mit der bereits vor der staatlichen Vereinigung im Herbst 1990 begonnen wurde, Menschen aus unterschiedlichen Berufen, die durch die Ereignisse aus der Bahn geworfen wurden, auf die heraufziehenden neuen Zeiten vorzubereiten. o o o o
Da war ich einer von Gudruns Lehrern. Später war ich mal Kollege mal Chef dann wieder Kooperationspartner auf gleichberechtigter Ebene.
Was hat unser Verband, was haben wir ihr zu verdanken? Das Wichtigste war wohl, wie wir mit ihr zusammen als traditioneller Westverein die Leitlinie für die neuen Aufgaben im Osten entwickeln konnten: o die neuen Chancen nutzen, ohne das in der Vergangenheit Erreichte zu missachten o nicht in Depression oder Ostalgie verfallen, aber auch nicht in Westeuphorie oder Kapitulantentum Gudrun hat uns geholfen, die Menschen im Osten besser zu verstehen – und sie hat nicht nur einen klaren, differenzierten Blick auf das Geschehen gehabt, sondern war auch in der Lage, das ohne Eifer und Zorn sowie frei von Jargon sprachlich auszudrücken. Es lohnt sich nach wie vor – und vielleicht mehr denn je – die Texte zu lesen, die sie in den neunziger Jahren als Mitarbeiterin unseres Verbandes verfasst hat. Ich zitiere als Kostprobe eine kleine Passage aus ihrem wohl wichtigsten Produkt, dem 1999 veröffentlichten Handbuch „Sozial-kulturelle Arbeit“: Gudrun setzt sich hier mit einer Nebenwirkung der zunehmend über umfangreiche Arbeitsfördermaßnahmen finanzierten Arbeit der sozial-kulturellen Initiativen in den östlichen Bundesländern auseinander:
52
„Es zeigte sich, dass sich daraufhin ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, auch wenn sie arbeitslos oder im Vorruhestand waren, zunehmend weigerten, weiterhin ihre Zeit für hilfsbedürftige Mitmenschen zu ‚opfern’, wenn andere für die gleiche Leistung eine Bezahlung erhielten. Damit wurde unbeabsichtigt eine Entwicklung in Gang gesetzt, die zum Schwinden noch funktionierender ehrenamtliche und nachbarschaftlicher Strukturen führte. Heute muss viel Energie darauf verwendet werden, diese Strukturen wieder herzustellen.“ Was können wir noch von Gudrun lernen? Ich denke, es ist vor allem das, was mit der WENDE-ERFAHRUNG zusammenhängt – wie umgehen mit existenziellen Krisen – wenn plötzlich alles anders wird, als man das erwarten konnte: o o o o o
Nicht die Flinte ins Korn werfen Nach vorne sehen, ohne zu vergessen, was vorher war. Sich nichts vormachen lassen – und das auch äußern Mut zum Risiko haben und Gradlinig und ehrlich sein, auch wo das kurzfristig zum eigenen Nachteil ausschlagen kann.
Ich erinnere mich insbesondere daran, wie sich Gudrun nicht verbiegen lassen wollte, als ihr erster Arbeitgeber nach der Wende ihr die weitere Zusammenarbeit mit uns verbieten wollte. Sie hat in dieser Situation 1992 ohne Netz und doppelten Boden ihren Job aufgegeben und ist in die Arbeitslosigkeit gegangen. Dieser Mut hat uns damals enorm beeindruckt – und, was den weiteren Berufsweg von Gudrun anging, war das ein Segen für beide Seiten. Wir haben nicht lange nachgedacht, als sich wenige Monate später die Chance bot, eine neue Stelle für die Unterstützung des Aufbaus freier Träger in den sog. Neuen Bundesländern einzurichten. Wir waren uns schnell darin einig, dass Gudrun gerade die Richtige für diese Aufgabe sein würde. Sie hat sich nicht um diese Stelle beworben, sondern wir haben sie gefragt, ob sie sich das zutrauen würde. Und sie hat auch nicht sehr lange nachgedacht und Ja gesagt. Und so ging es in ihrem Berufsleben weiter - es hatte sich um eine befristete Stelle gehandelt. Und als die zu Ende war und wir wieder Mittel für spannende neue Projekte akquirieren konnten, haben wir sie erneut gefragt – und wieder – und ein drittes Mal. Und als das vorbei war, kam die Volkssolidarität ganz ähnlich auf Gudrun zu, die sie über ihre Arbeit kennen und schätzen gelernt hatte – auch hier wurde Gudrun gerufen oder „berufen“ – und wieder ging es um Aufgaben, die eine enorme neue Herausforderung darstellten. Gudrun hat man das zugetraut. Sie hat die Bürden, die mit diesen Erwartungen verbunden waren, auf sich genommen – und sie hat sich in dieser Hinsicht sicher auch manchmal übernommen – über ihre Kräfte gewirtschaftet. Und das sind die Dinge, bei denen wir auch etwas von ihr lernen können, aber nicht, um es auch so zu machen. Das gilt nicht nur für ihr berufliches Handeln sondern auch für das private – sie hat sich zu wenig gegönnt – sie hat unendlich viel für andere getan und wahrscheinlich zu wenig für sich selbst. Das ist die Kehrseite des Unaufdringlichen – ihrer Bescheidenheit, sie wurde in dem, was ihr vielleicht wichtig gewesen wäre, zu wenig wahrgenommen. Wenigstens gilt das für mich, ich erfahre jetzt nach ihrem Tod Dinge über ihr Leben, von denen ich nichts gewusst habe – die aber für unseren Umgang mit einander wichtig gewesen wären. Das macht mich traurig – aber das kann auch ein Mahnung an uns Überlebende sein, im Berufsleben achtsamer und aufmerksamer miteinander umzugehen. Und was Gudrun angeht, sollten wir das Zusammentreffen heute - von uns, denen sie etwas bedeutet hat -nutzen, um Erinnerungen auszutauschen und das, was in uns von ihr bleiben wird, zu festigen. Herbert Scherer
53
FAMILIEN-NETZE
s
Familien-Netze Jahrestagung Stadtteilarbeit 2008
Nachbarschaftshäuser sind soziale Dienstleister im Stadtteil – wie viele andere auch: Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie zugleich alles tun, um Netzwerke entstehen zu lassen, in denen Selbsthilfe, gegenseitige Hilfe und nachbarschaftliche Unterstützung gedeihen. Angebote für Familien haben deshalb in Nachbarschaftshäusern eine zentrale Bedeutung, sind Familien doch einerseits selber solche (generationsübergreifenden) Netze, und gibt es doch andererseits in ihrem Leben immer wieder Phasen, in denen sie in besonderer Weise unterstützende Netzwerke brauchen.
h
h h
Familien leben heute in einem Spannungsfeld widersprüchlicher Erwartungen, Einschätzungen und Unterstellungen. Sie sollen immer mehr Aufgaben bewältigen und zugleich traut man ihnen immer weniger zu.
h h h h
veranstaltet vom Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. www.stadtteilzentren.de
Was können Nachbarschaftsheime, Stadtteilzentren, Bürgerhäuser, Familienzentren und/oder Mehrgenerationenhäuser dafür tun, dass Familien mit ihren Aufgaben besser klar kommen? Wie können die entsprechenden Netze geknüpft werden? Mit der Tagung wollen wir aus der Praxis für die Praxis Antworten auf diese und weitere Fragen finden.
atz
07. - 08. November 2008 im Bürgerhaus Am Schlaatz Schilfhof 28 14478 Potsdam
54
Es wird ein Teilnahmebeitrag von 40 € (bzw. 30 € ermäßigter Beitrag für Mitgliedseinrichtungen des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit) erhoben. Teilnehmer/innen von außerhalb der Region Potsdam/ Berlin können gegen entsprechenden Nachweis 50% der Anreisekosten (II. Klasse Bahn) erstattet bekommen. Die Zahl der Teilnehmer/innen ist begrenzt. Rechtzeitige Anmeldung wird empfohlen. Bei der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten (in Potsdam oder Berlin) sind wir gerne behilflich. (Die Kosten für Übernachtung sind im Teilnahmebeitrag nicht enthalten).
Freitag, 07.11.2008 Anmeldung ab 11.00 Uhr 12.00 Uhr Mittagsimbiss 13.00Uhr Einführungsreferate im Plenum Dr. Lore-Maria Peschel-Gutzeit “Familie 2008 – zwischen Generalverdacht und Heiligenschein” Verband für sozial-kulturelle Arbeit Das Familienthema als Herausforderung für die Nachbarschafts- und Stadtteilarbeit 14.00 – 16.00 Uhr Erste Workshoprunde Einfach gut Niedrig schwellige Zugänge in der Arbeit mit Familien
Schaut Euch diese Typen an „Nachbarschaftsheime, Bürger- und Mehrgenerationenhäuser, Mütter-, Familien-, Stadtteilzentren, Ansprüche, Profile, Förderprogramme anschließend Buffet 19.30 – 20.30 Uhr Filmvorführung „Menschen am Schlaatz“ Zwölf Menschen, die am Schlaatz leben und arbeiten, haben ihre Schlaatz-Geschichten erzählt. Daraus ist ein Film entstanden, der Einblicke in das fremde Bekannte wagt.
Samstag, 08.11.2008 10.00 – 12.00 Uhr Dritte Workshoprunde
Verhindern, vermeiden, vorbeugen Verschiedene Wege im Kinderschutz
Nachttöpfe und Menschwerdung Zum Verhältnis von familiärer und „öffentlicher“ Erziehung
Zwischentöne Generationendialoge und Generationenverantwortung
Heute ratlos, morgen super? Das weite Feld der Erziehungsratgeber – Trends und Moden
16.00 – 16.30 Uhr Pause 16.30 – 18.30 Uhr Zweite Workshoprunde SOS- Eltern in Not Hilfe und Selbsthilfe Wenn Eltern in die Schule gehen Lernen, einmischen, verändern für die Zukunftschancen der Kinder
Pass-genau? Familienbilder und Rollenklischees im interkulturellen Kontext 12.15 Uhr Abschlussplenum Wohin geht die Reise? Moderiertes Gespräch mit Vertreter/inne/n aus Politik, Verwaltung und Praxis 13.00 Uhr Mittagessen anschließend Abreise
55
GlücksSpirale Der Rundbrief erscheint mit finanzieller Unterstützung der Glücksspirale