RUNNING - Das Laufmagazin Nr. 165 | Staatsschutz, Sonderbehandlung & gebratene Fischköpfe

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TITELSTORY | China

wir den Fluss hinter dem Kontrollpunkt zwei (bei Kilometer 25) insgesamt zwölf Mal. Von Stein zu Stein springend oder durchs knietiefe Wasser watend. Während die Qual der Wahl (Gefahr eines Wadenkrampfes oder mit Sicherheit nasse Schuhe) immer gleich blieb, änderte sich die Landschaft. Aus den senkrechten und vegetationslosen Felsen entwickelten sich mit Tannen bewachsene Steilhänge.

Staatsschutz, Sonderbehandlung gebratene Fischköpfe

&

von Wolf Kantelhardt

N

ur ein paar Tage nachdem ich dem Oberschiedsrichter geschrieben hatte, dass ich mich vorbildlich benehmen würde und wir außerdem einen gemeinsamen Bekannten haben, stand auf der Meldeliste hinter meinem Namen „zugelassen“, und ich konnte bezahlen. Die 300 Yuan Meldegebühr beinhalteten zwei Hotelübernachtungen in Zhangye, der wichtigsten Metropole des Hexi-Korridors in der nordwestchinesischen Provinz Gansu. In dem Doppelzimmer, das mir zugewiesen wurde, schlief bereits ein Läufer. Weil ich ihn nicht wecken wollte, drehte ich eine Runde durch die Stadt. Ich sah mir die Holzpagode und den großen Buddha-Tempel aus der westlichen

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Xia-Dynastie an. Der Buddha ist beeindruckend, er besitzt ein fast sarkastisches Lächeln und hat vier Meter lange Füße. Als ich zurückkam, war mein Mitbewohner wach. Er stellte sich als Zhang vor (das ist Chinas häufigster Nachname) und gab sich als Einheimischer aus Zhangye aus. Er war noch nie 50 Kilometer gelaufen, dafür schon einmal 20 Kilometer gewandert. Allerdings nur für sich selbst und nicht bei einem Wettkampf. Komisch, dass er sich anmelden konnte! Dafür war eigentlich Marathon-Erfahrung vorausgesetzt. … Kannte er auch jemanden? Gut möglich, denn Zhang arbeitet bei der Lokalregierung. Nachdem wir eine Stunde geplaudert hatten (und er meine Visitenkarte mit dem Namen der Organisation, für die ich arbeite, an sich nahm), ging er, um ein paar Sachen nach Hause zu bringen. Wir sahen uns nie wieder. Dabei sagte er eigentlich „Landwirt-

schaftsamt“ und nicht „Staatsicherheit“, als ich zu fragend zu seinem Job bei der Regierung nachhakte. Das Rennen startete nach eineinhalb Stunden Busfahrt mitten im DanxiaGeopark. Das ist eine fantastische Ansammlung von unwirklich bunten Erdhügeln. Touristen werden in Bussen von einer „Sehenswürdigkeit“ zur nächsten gefahren und klettern dort Treppen zu Hügelkuppen hoch, um besonders markante Formationen zu fotografieren. Wir Wettkampf-Teilnehmer liefen unten im Tal auf den Busstraßen und verpassten die besten Bli-

cke, aber erlebten dafür die Landschaft viel intensiver. Nach zehn Kilometern endet der Park, für uns ging es dann durch eine flache Ebene entlang eines kleinen Flusses in ganz normale Berge hinein. Das „normal“ bezieht sich in diesem Fall auf die graue Farbe. Der Fels türmt sich direkt neben dem Weg oft über hundert Meter senkrecht auf. Weil das Tal so eng ist und die Gesteinswände so steil sind, stößt der Fluss mal auf der einen, mal auf der anderen Seite an den Rand. Deswegen überquerten

FOTOS: WOLF KANTELHARDT

„Entschuldigung“ stand in der SMS des Veranstalters: „Zu diesem Wettkampf dürfen sich keine Ausländer anmelden. Sportler aus Hongkong, Macao und Taiwan können.“ Ärgerlich. Aber nicht so ärgerlich. Denn wie das in China nun einmal so ist, sind Beziehungen wichtiger als Vorschriften. Und da ich mal auf der Rückfahrt von einem Charity-Rennen neben einem in China recht bekannten Ultraläufer saß und der ein Freund des Oberschiedsrichters dieses „1. 50-Kilometer-Qilian-Berglaufs“ ist, ging es mit der Anmeldung dann doch ganz schnell.

◗ Als Frühstück vor diesem Berglauf in China gab es in Chili gebratene Fischköpfe.

RUNNING | 1/2015

Nach knapp 40 Kilometern kämpfte sich unser Tross weiter entlang des Bachs eine Straße hinauf in ein Dorf. Und erst jetzt wurde mir klar, warum es so schwierig war, sich zu diesem Event anzumelden und warum Zhang Überstunden machen musste. Dies ist ein tibetisches Dorf. Und die Kombination „westlicher Ausländer – tibetische Dorfbevölkerung“ schätzt die Regierung nun einmal nicht. Der tatsächlich stattfindende Austausch beschränkte sich dann darauf, dass ich mich in dem Dorf in den Abwasserkanal erbrach. Was die Ursache darin hatte, dass mir die umweltbewusste tibetische Oma am Kontrollpunkt vier nicht erlaubte, die Einweg-Plastikflasche mitzunehmen und ich sie somit zügig halb austrank. Vielleicht war es auch die Höhe von knapp 3.000 Metern. Oder es lag an der Sache mit dem Salz. Zum Frühstück vor dem Lauf gab es außer den in Chili gebratenen Fischköpfen hartgekochte Hühnereier, aber ohne Salz. Als dann bei Kontrollpunkt zwei nur ekelhaft süße Sportdrinks gereicht (Banane- oder Pfirsichgeschmack) wurden und ein paar Teilnehmer deswegen jammerten, holte eine Ärztin aus dem

Krankenwagen eine Infusionsflasche mit steriler Kochsalzlösung und schüttete jedem etwas in die vorschriftsmäßig selbst mitgebrachten MehrwegFlaschen. Ab dann begann das große Magenkneifen … Nachdem mir ein mitleidsvoller tibetischer Opa zwei Äpfel reichte, rannte ich weiter. Die Strecke führte einen steilen Grashang hinauf. Oben angekommen, mussten wir einen Weidezaun übersteigen, um über einen langgestreckten Berghang mit unendlich

vielen lila Blumen wieder hinunterzulaufen. Dann hieß es erneut den Flusslauf hoch bis zu Kilometer 44, wo wir in ein Seitental abbogen. Dieser Anstieg zog sich endlos. Und wurde nach einer weiteren kleinen Siedlung noch steiler. Es waren dann schon über 51,5 Kilometer, als endlich hinter einer Kurve weit oben das Ziel auf dem nächsten Bergkamm auftauchte. Abschließend bekam ich meine Urkunde nur mit meinem chinesischen Namen Kang Taihe ausgedruckt. Meine westliche Identität wird in der offiziellen Ergebnisliste verschleiert. Aber es war ein toller Lauf. Und die „Sonderbehandlung“ ist besser als beim Peking Marathon. Der verlangt seit Jahren für ausländische Teilnehmer ein Vielfaches der Startgebühr (2014 das Dreifache), die für Einheimische gilt. Wenn sich dann kurz vor Meldeschluss zu wenige Ausländer registriert haben, um im Fernsehen ein internationales Bild abzugeben, werden Sonderkonditionen für Ausländer eingeräumt. Die gelten allerdings nicht für Herrn Lee aus Singapur oder Herrn Wong aus Toronto …

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