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REPORTAGE | Der mit dem Wolf läuft

Der mit dem Wolf läuft

Warum ist es heutzutage für viele Sportler wichtig, sich bei Veranstaltungen wie Marathons zu messen? Prof. Rowlands: Die Antwort darauf findet sich in der Psychologie des Menschen und variiert sicher individuell. Für mich und wohl viele andere führen solche Wettbewerbe zurück zu etwas, das wir als Erwachsene verloren haben. Wettkämpfe sind ein tolles Spiel und etwas, das wir nur spielen, weil wir es möchten. So vieles in unserem Leben ist wie ein Außenposten unserer Arbeit, und Arbeit ist etwas, das eben ausschließlich instrumentell wertvoll ist. Deswegen brauchen wir Dinge in unserem Leben, die wir einfach ohne einen bestimmten Grund machen wollen – genau wie das Laufen.

Wie entstand die Idee zu Ihrem aktuellen Buch? von Anne Kirchberg

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Warum gehen Menschen heutzutage laufen? Prof. Rowlands: Es gibt eine Vielzahl von Gründen, weshalb Leute mit dem Laufen beginnen. Meistens fangen sie damit aus einem ganz speziellen Grund an, wie der Gesundheit, oder sie möchten ihr Aussehen verändern. Ich persönlich fing an zu laufen, weil mein Tier begonnen hatte, alles im Haus anzunagen, wenn es nicht vollkommen erschöpft war. Das mag ein eigenartiger Auslöser sein, aber was die Beweggründe auch sind, Menschen beginnen das Laufen aufgrund von etwas, das außerhalb des Laufens liegt. Der Lauf soll dann dazu beitragen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Laufen ist dabei ein Instrument, ein Mittel zum Zweck.

Das ist nichts Schlimmes, wenn wir jedoch den Blick nur darauf halten, verlieren wir aus den Augen, dass das Laufen einen Eigenwert besitzt.

Ist es wichtig, dass sich Läufer darüber Gedanken machen? Prof. Rowlands: Ja, denn wenn wir aus instrumentellen Gründen laufen, stellt sich eine Frage. Wenn es eine Pille gäbe, die alle Vorteile des Laufs replizieren könnte – würden wir trotzdem weiterhin laufen gehen? Meiner Erfahrung nach antworten Personen, die schon lange laufen, darauf eher mit „ja“, weil das Laufen neben all den Vorteilen etwas mit ihnen macht. Wenn sie ihr Training ausgeführt ha-

RUNNING | 1/2015

FOTO: MARK ROWLANDS

Mit „Der Läufer und der Wolf“ veröffentlichte Mark Rowlands Anfang dieses Jahres ein außergewöhnliches Laufbuch. Platz darin finden sowohl gewöhnliche Sportler-Probleme, aber auch sein Wolf Brenin und Philosophen wie Platon, Sartre und Schopenhauer. Denn der Philosophie-Professor von der Universität Miami beantwortet quasi im Vorbeirennen tiefgründige Fragen, beispielsweise, warum das Laufen Freiheit bedeutet. Anne Kirchberg sprach für RUNNING – Das Laufmagazin mit Prof. Rowlands.

Prof. Rowlands: Ehrlich gesagt, weiß ich nie so genau, was ich schreiben möchte, bis es dann tatsächlich niedergeschrieben ist. Darum kann ich auf diese Frage lediglich antworten, dass mir die Idee kam, als ich bereits beim Schreiben war. Idealerweise schrieb ich nur für mich selbst und vielleicht noch für meine Kinder. Aber natürlich freue ich mich jetzt sehr, wenn daneben anderen das Buch gefällt. Beim Schreiben merkte ich allerdings früh, dass das Buch dieselbe Struktur haben musste wie ein Lauf. Die Ideen flossen ineinander, wie ein Schritt in den nächsten fließt, und manchmal müssen die gleichen Straßen immer wieder abgerannt werden, um zu verstehen, wohin sie führen. Ich hatte mir die Struktur des Buches in dieser Weise nicht vorher ausgesucht, sondern brauchte sie beim Schreiben, um meine Gedanken vermitteln zu können.

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Was hat ein Wolf mit der Geschichte zu tun? Prof. Rowlands: Brenin, so heißt der Wolf, ist derjenige, wegen dem ich das Laufen in meinem erwachsenen Leben wieder begonnen habe. Er gehört neben meinen beiden Hunden Tess und Hugo zur Familie, und ich musste mit ihm jeden Tag laufen gehen, sonst hätte er alles aufgefressen und zerstört, was ich besitze. Nun ist er genauso der Autor dieses Buches, wie ich es bin.

Und was finden Läufer in Ihrem Buch? Prof. Rowlands: Das liegt ganz an jedem Einzelnen. Aber ich würde mir wünschen, dass die Leser durch mein Buch ein wenig besser verstehen, was wichtig im Leben ist oder was das Leben lebenswerter macht. Wenn man das erkennt, weiß man viel über den Sinn des Lebens – den einen echten Sinn, der eine Bedeutung haben kann. Darum geht es in meinem Buch. Bei mir persönlich veränderte das Buch unter anderem meine Art, wie ich das Laufen heute sehe. Mir wurde der Wert dieser Tätigkeit bewusster, und ich verstehe jetzt, warum das Laufen diese tiefe Schneise in mein Leben geschlagen hat.

Was haben Philosophen wie Sartre, Platon oder Schopenhauer mit dem Laufen zu tun? Prof. Rowlands: Vieles, da auch sie sich mit dem Sinn des Lebens auseinandergesetzt haben. So rekapituliert die Geschichte eines Laufs oft die Geschichte der westlichen Philosophie: Jeder, der einen Kilometer gelaufen ist, versteht, was ich als die nach dem Philosophen Descartes benannte „kartesische Phase“ bezeichne. Denn das ist der Moment, in dem dein Geist deinem Körper ein Schnäppchen schlägt: „Nur noch um diese eine Ecke, nur noch das kleine Stück …“ In diesem typischen Gedanken von Läufern ist die Erfahrung der philosophischen Trennung von Körper und Geist enthalten.

Gibt es noch mehr solcher philosophischen Zusammenhänge mit dem Laufsport?

PRIVAT

ben, entdecken sie eine bestimmte Art von Wert in ihrem Lauf: Sie waren laufen um des Laufens willen. Wir Wissenschaftler nennen dies den inneren Wert, und genau diese Idee verteidige ich in meinem aktuellen Buch. Schließlich ist Laufen eines der Dinge, die das Leben lebenswert machen und etwas, das wir um seinen eigenen Willen wertschätzen, nicht nur als Instrument.

◗ Prof. Mark Rowlands studierte zunächst Ingenieurswissenschaften in England. Anschließend wandte er sich den Geisteswissenschaften zu. Mittlerweile ist er Professor für Philosophie an der US-Universität Miami. Der erfolgreiche Buchautor ist ein begeisterter Läufer. www.markrowlandsauthor.com www.rowlands.philospot.com

Prof. Rowlands: Jede Menge und viele davon beschreibe ich in dem Buch. Zum Beispiel die finale Phase, die ich die Sartre-Phase nach dem Philosophen Jean-Paul Sartre benannt habe. Sie ist allerdings sehr schwer zu erreichen. Ich selbst konnte sie erst durch einen Marathon erleben – aber diese Geschichte rund um Angst und Freiheit können Interessierte ja nachlesen. Jeder neue Level dieser Phasen ist immer schwieriger zu erreichen, und die Anzahl der Läufer, die diese Konzepte nachvollziehen können, wird somit stets geringer. Alle, die an Wettbewerben teilnehmen, werden jedoch ziemlich sicher die gesamten Ansätze verstehen.

Auf welche philosophischen Fragen rund um das Laufen kennen Sie noch keine Antwort? Prof. Rowlands: Das sind sehr viele. Aber der schwierigste Teil rund um diese philosophischen Fragen ist, herauszuarbeiten, wie sie eigentlich lauten. Sobald dies gelingt, sind sie meistens gar nicht mehr schwer zu beantworten!

BÜCHERTIPPS ZUM THEMA Der Läufer und der Wolf – Philosophische Betrachtungen von Unterwegs ISBN 978-3954030484 Preis: 19,95 Euro

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