REPORTAGE | Venedig Marathon
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von Jochen Schmitz
FOTO: WOLFGANG VON BOHLEN
Marathon in Venedig
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Die Einteilung der Ausdauersportwilligen in die Start-Blöcke erfolgt reibungslos. Nachdem ein Hubschrauber die ers-
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Bands selbst den Letzten aus seinem Schlaf reißen. Nach und nach entstehen Gemeindefeste am Straßenrand. Aus dem Cappuccino wird bei den Mädels ziemlich schnell ein Aperol-Spritz. Dann kommt ungefähr zur Halbmarathon-Marke ein Industriegebiet, hier gibt es wenig Ablenkung, nichts zu beobachten. Zeit zur Kontaktaufnahme mit den Gleichgesinnten. So wird eine stolze, brasilianische Schönheit von einem italienischen Macho angesprochen: „What is your target for today?“ – „To be faster than you“, entgegnet sie. Damit ist alles gesagt, jeder konzentriert sich wieder auf die eigene Leistung.
ten TV-Bilder aus der Vogelperspektive in die Wohnstuben der Italiener liefert, ertönt das Auftaktsignal. Der Tross setzt sich entlang der Brenta in Bewegung, sie wird ihm für viele Kilometer ein treuer Begleiter sein. Sonne, Wasser, Schatten und Spätsommervegetation kämpfen um Farben sowie Formen – und die Läufer mit dem Wind. Hin und wieder schaut eine Donna, auf ihre mächtigen Unterarme gestützt, aus einem der Häuser an der Strecke auf die Sportler herab. Eine flotte Signorina rangelt mit ihrer britischen Bulldogge um die Vorherrschaft an der Leine. Ansonsten finden sich nur wenige Beobachter am Kurs. Das Trippeln der Schuhe wird gleichmäßiger, das Feld zieht sich, langsam findet jeder seinen Tritt. Auf dem Fluss dominieren Angler, Ruderer, Motorsportler und selbst Gondoliere. Das Ufer säumen prächtig Villen als stumme Zeugen besserer Zeiten. Langsam füllen sich die kleinen Dörfer mit Zuschauern, wahrscheinlich auch, weil die schrecklich schief spielenden
FOTOS: HORST VON BOHLEN
urze Zeit später hat sie gewonnen, das Quecksilber zeigt 15 Grad. Mit der Ruhe ist es vorbei. Gut 6.000 Läufer aus über 80 Nationen bevölkern die Freiflächen um die Villa. Die meisten von ihnen sind mit dem Shuttle oder dem Auto aus der 25 Kilometer entfernten Lagunenstadt gekommen. Die Schwarzafrikaner sind jetzt beim Warmlaufen, die Hobbyathleten eifern ihnen nach, aber nicht bevor sie ihre Kleiderbeutel mit der orangen Aufschrift „29. Venice Marathon“ in einen der Trucks geschleudert haben. Das Rennen wurde kurzerhand um eine viertel Stunde vorverlegt, wir sind in Italien, da sieht man solche marginalen Änderungen gelassen. Damit allen bewusst wird, dass es gleich los geht und nun bitte auch der Letzte seine Utensilien abzugeben hat, lassen die riesigen motorisierten Gefährten schon mal den Motor an und hupen auffordernd.
FOTOS: JOCHEN SCHMITZ
Der Fluss fließt ganz gemächlich, Nebelschwaden wabern über die Brenta und ziehen weiter zu den angrenzenden Wiesen. Die Villa Pisani gibt sich prunkhaft – kein Wunder, dass selbst Napoleon Gefallen an ihr fand. In diese beschauliche Szenerie mogeln sich einige drahtige Afrikaner, sie steigen aus dem Elite-Bus und suchen einen Unterschlupf, um für die bevorstehenden Taten Seelenstärke zu tanken. Die Sonne kämpft noch mit den Überresten der Nacht, damit sie letztendlich ihre Kraft am stahlblauen Himmel ausspielen kann.
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Die Dörfer werden größer, sie wachsen zu Vororten. Nach ziemlich genau 30 Kilometern strömen die Läufer über eine leicht schwingende Fußgängerbrücke in den Park San Giuliano. Auf den Hügel der Parkanlage erhaschen sie erste Blicke auf das historische Venedig. Wer es erreichen will, muss die Ponte della Libertà bewältigen. Über 3,5 Kilometer misst die Verbindung zwischen
der Innenstadt und dem Festland. Auf der Gegenfahrbahn kommt den Sportlern eine Autokolonne entgegen, mittig rattert die Bahn, auf dem Wasser rechts liegen Kreuzfahrtschiffe vor Anker und über all dem setzen Flugzeuge voller Touristen zur Landung an.
Zu den Bildern: 1 Kurz nach dem Start vor der Villa Pisani. 2 Entlang der Brenta Richtung Venedig. 3 Über die Fußgängerbrücke in den Park San Giuliano. 4 Kurz vor dem Erreichen des Markusplatzes.
Es zieht sich, es gilt noch einen Anstieg nach dem Damm zu bezwingen, dann saugt das UNESCO-Weltkulturerbe die geschundenen Körper zur Belohung in sich auf. Jetzt geht es endlich los, über 14 Brücken folgt ein spektakuläres Sightseeing – vorbei am Dogenpalast, dem Glockenturm, der Seufzerbrücke und über den Canal Grande sowie den Markuspalast (hier bloß kein Stückchen vom Riegel fallen lassen, denn das Taubenfüttern wird mit 500 Euro bestraft). Die Querung der Ziellinie geschieht direkt am Wasser, es ist geschafft. Der Venedig Marathon besteht aus einem ziemlich langen Anlauf mit einem kurzen, dafür aber grandiosen Finale. In diesem Jahr feiert die Veranstaltung am 25.10.2015 ihr 30. Jubiläum.
5 Provisorische Brückenbauten erleichtern das Laufen. 6 In der Innenstadt wir es noch einmal eng. 7 Die finalen Meter kurz vor dem Ziel. 8 Es ist geschafft – Pause am Wasser.
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