REPORTAGE | Badwater
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Die Straße zur Hölle ist 135 Meilen lang
RUNNING | 6/2015
FOTOS: JENS VIELER
So lautet der Untertitel zu „Running on the sun“, einem Film über den Badwater 135 Ultramarathon. Dieser Extremlauf, der alljährlich im Death Valley in den USA ausgetragen wird, gilt als eines der schwersten und gleichzeitig absurdesten Rennen weltweit und wird vom Veranstalter wenig bescheiden „World’s Toughest“ genannt. Was das genau bedeutet, wird den Beteiligten spätestens bei den vor Ort herrschenden Lufttemperaturen von 50 Grad und mehr klar. Aktive und Helfer werden auf ihrem Weg vom Badwater, dem tiefsten Punkt der Vereinigten Staaten, bis zum 135 Meilen (217 Kilometer) entfernten Ziel, dem Mount Whitney, je nach Gangart gedünstet, gegrillt oder geschmort.
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eweils im Juli, wenn es im Death Valley am heißesten ist, treffen sich rund 100 vom Veranstalter eingeladene Abenteurer aus aller Welt. Eine von ihnen ist die in der Schweiz lebende Deutsche, Ricarda Bethke – die einzige deutsche Besetzung in diesem Jahr. Allein zur Erfüllung der Qualifikationsnorm musste sie aberwitzige Ausdauerleistungen erbringen, um sich der gut fünffachen Marathondistanz, der Hitze sowie den 4.000 Höhenmetern Anstieg und 1.400 Höhenmetern Abstieg über drei Bergketten stellen zu dürfen.
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von Jens Vieler
Der Lauf bietet genug Stoff für Lagerfeuergeschichten: Scott Jurek, Dean Karnazes und weitere Ultralegenden ‒ sie alle waren hier. Für Preisgelder? Fehlanzeige! Beim Badwater 135 gibt es für die Finisher nichts außer Ruhm und Ehre. Und den berühmten Buckle, die Gürtelschnalle, eine in den USA typische Trophäe. Den will Ricarda um jeden Preis. Wenn sie das Ziel binnen 48 Stunden erreicht, bekommt sie das Stück Blech. Oder, wie Chris Kostman, der Renndirektor, es während des Briefings nennt: „Den heiligen Gral des Ultralauf- und Ausdauersports“.
Craig, Michael (zwei angeheuerte USBoys aus Seattle) und ich feuern zum Auftaktsignal die Meute an und springen umgehend zu unserem Van. Unser Job ist es, Ricarda 217 Kilometer zu begleiten, auf sie aufzupassen, sie mit Getränken, Eis und Weiterem zu versorgen, sie ständig mit Eiswasser einzusprühen und mit kalten, nassen Handtüchern herunterzukühlen. Aus diesem Grund haben wir unseren Sieben-Sitzer zu einem wahren Expeditionsfahrzeug umgebaut: vier geräumige Kühlboxen, 120 Kilogramm Eiswürfel, 120 Liter Wasser, Spezialgetränke und -nahrung etc. sind an Bord.
Es ist kurz vor 21.30 Uhr, und der Vollmond steht über der Wüste. Das Thermometer bleibt bei 45 Grad stehen und will, typisch für das Death Valley, partout nicht sinken. Ricarda, eben zur Kontrolle noch einmal gewogen, um später eventuelle Flüssigkeitsverluste zu dokumentieren, steht in der zweiten von drei Startgruppen bereit. Alle lauschen andächtig den letzten Anweisungen von Chris Kostman sowie der amerikanischen Nationalhymne, um kurz darauf in den Laufschritt zu verfallen.
Ohne die individuelle und intensive Betreuung, die es ungefähr alle ein bis zwei Meilen gibt, würde keiner das Rennen überleben. Das klingt martialisch, aber spätestens, als wir zur Generalprobe, zwei Tage vor Rennbeginn, das erste Mal am Ort des Geschehens aus dem Auto steigen, gibt es nur einen Gedanken: „Wie soll man hier auch
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nur eine Stunde am Stück laufen?“ Es ist, als ob einem in der Sauna jemand einen Fön ins Gesicht hält und sagt: „Renn!“ Der fast noch schwierigere Teil des Events ist das Logistische, und vor allem finanziell ist der Badwater135 ein Himmelfahrtskommando. Startgeld, Unterhalt der Helfer, Flüge, Hotels mitten im Nationalpark, Material und Mietwagen schlagen deutlich zu Buche. Das eine Gallone Benzin und ein Sack Eis an den drei möglichen Stores entlang des Weges mal eben das Zwei- bis Dreifache des sonst Üblichen kosten, juckt hier keinen. Ein merkwürdig anmutender Tross zieht also durch die Dunkelheit entlang der Badwater Road in Richtung des ersten Kontrollpunktes, der Furnace Creek Ranch bei Rennkilometer 28. Links und rechts erhellt das Mondlicht beeindruckende Salzseen und Wüstenlandschaf-
ten, während wir drei Helfer bemüht sind, „unserem Mädchen“ alle Wünsche von den Lippen abzulesen. Im Wechsel bekommt sie Melone, Früchte- und Babybrei, Salzstangen und ab und zu etwas Kartoffelpüree. Später auch Eiskaffee. Stets gibt es eine frische Getränkeflasche mit Eiswürfel-Wasser-Mix und eine Ladung Eiswasser aus der Sprühflasche über den Kopf, den Oberkörper, die Oberschenkel. Alle zwei Meilen (3,2 Kilometer) die gleiche Prozedur. Teamwork und Crew sind alles. Ohne Crew kein Rennen! Ricarda fliegt durch die erste Nacht. 40 Kilometer weiter nordwestlich geht es entlang des Highway 190 vorbei an Sanddünenfeldern und schließlich zur zweiten Zeitnahme bei Stovepipe Wells. Jetzt, bei Sonnenaufgang sieht die Landschaft im Death Valley genau so aus, wie man sich den Wilden Westen vorstellt: Ein Store, eine Tankstelle, einige Fremdenzimmer – das war es. Heiße
Winde fegen vom Townes Pass herab, der mit 1.500 Höhenmetern vor uns wartet. Es fehlen nur noch die umherrollenden Sträucher.
de Hitze, dieses Licht, diese Abertausenden von Ocker-, Braun- und Sandtönen ringsum. Wir geben uns der Magie der Wüste hin. Ich glaube nicht, dass das in einem klimatisierten Bus rüberkommt, mit dem die Touristen hier von Zeit zu Zeit durchgekarrt werden. Auf zwei Beinen ist die Wahrnehmung, sind die Gerüche und das Knistern auf der Haut intensiver. Ein Grund, warum ich bereits zum dritten Mal bei diesem Rennen dabei bin.
Das Feld ist bereits weit auseinandergezogen. Ab hier darf jeweils einer von uns Helfern seinen Läufer begleiten. Ich bin als erster Pacer dran und froh, dass ich meinen Job als Kellner vom Auto ins Freie verlagern kann. Wir machen uns daran, den ersten von drei Pässen zu erklimmen. Die aufsteigende Sonne lässt das Thermometer rasch ansteigen. Infolgedessen streuen wir immer wieder Gehpausen ein und marschieren stramm bergauf, während Craig und Michael weiterhin im Auto nebenher fahren und nun zwei Personen zu betreuen haben. Sie machen ihren Job verdammt gut.
Hinter dem 30 Kilometer langen Aufstieg geht es rasant bergab. Ricarda kann nach nunmehr 100 Kilometern noch Speed machen und bringt meine Ablösung ‒ Craig ‒ mächtig ins Schwitzen. Bergab rennt sie einen Viererschnitt. Ein letztes Aufbäumen. Dann folgt das zweite Tal, das Panamint Valley. Schnurgerade ist der schier unendliche Weg. Alle kämpfen jetzt: mit sich, mit den Temperaturen, mit dem Magen, mit dem Ziel. Diese unglaublich trockene Luft, welche die Nasenhärchen zu versengen scheint.
Trotz aller Anstrengungen ist es ein traumhaftes Erlebnis. Diese Weite, diese Einsamkeit, diese Stille, diese flimmern-
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Es wird Zeit, auf lange, UV-sichere Kleidung umzustellen, denn nur so kann die Haut wirklich geschützt werden. Anfangs wehrt sich unser Schützling noch, beäugt skeptisch das lange, weiße Baumwollshirt. Die Vorstellung, bei dieser Wärme langärmelig zu laufen, trieb ihr schon im Vorfeld Schweißperlen auf die Stirn. Doch sofort nach dem fachmännischen Einsprühen revidiert Ricarda ihr kleines Vorurteil. „Sich mit einem nass besprühten Shirt durch die trockene Hitze zu kämpfen, scheint fast der Himmel auf Erden!“ Sobald das Shirt trocknet, und das dauert keine Meile, bettelt sie sofort nach weiterer Befeuchtung. Baumwolle eignet sich übrigens am besten, damit das aufgesprühte Eiswasser möglichst lange am Körper bleibt. Funktionskleidung trocknet zu schnell, sie ist hier fehl am Platz.
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Irgendwann ist auch das beschwerlichste Tal durchschritten. In langen Serpentinen geht es wieder hinauf zum Panamint Pass und nach einer kurzen Pause weiter nach Darwin, nichts als eine Straßenkreuzung mitten im Nirgendwo. Die Abenddämmerung bricht herein. Vor uns liegen riesige Salzseen im Owens Valley und – in 60 Kilometern
Entfernung vage zu erkennen – das Städtchen Lone Pine mit dem letzten großen Checkpoint. Die zweite Nacht entpuppt sich für alle Beteiligten als Herkulesaufgabe. Immer wieder fallen Teilnehmer mitten im Laufen in einen Sekundenschlaf. Auch Ricarda ringt mit der Müdigkeit. Alle zwei Meilen braucht sie eine kurze Auszeit. „Diese verdammten Lichter von Lone Pine kommen nicht näher“, klagt sie und nickt sofort in ihrem Campingstuhl ein. Die Hitze des Tages und die nicht enden wollenden Anstiege haben jegliche Kraft ausgesaugt. Nach maximal zehn Minuten müssen wir sie wohl oder übel wecken und wieder auf die Strecke jagen. „Finally it has do be done!“, meint die Begleitung eines vorbeischleichenden Brasilianers und nickt mitleidsvoll. Im Morgengrauen erreichen wir schließlich Lone Pine. Ab hier geht es nur noch knapp 19 Kilometer, aber dafür weitere 1.200 Höhenmeter mit teilweise mehr als zwölf Prozent Steigung bis zum Whitney Portal empor, dem Ziel. Die Sonne steigt erneut am Horizont auf und taucht die umliegenden Bergspitzen in ein sanftes Orange. Was sich dann nach 35 Stunden und 53 Minuten abspielt, ist schwer in Worte zu fassen. Erschöpfung, Freudentränen und die Glückwünsche von Veranstalter Chris, der Ricarda mit den Worten „Congratulations! Now you are an official Badwater-Finisher“ den Buckle überreicht. Bei jedem, dem ich bisher mit dieser Trophäe am Gürtel begegnet bin, frage ich mich, ob der Träger den Buckle oder
Badwater History Die Geschichte des Badwater Ultramarathon beginnt dort, wo sich ein gewisser Al Arnold im Jahre 1977 mehr oder weniger laufend vom tiefsten Punkt der USA, dem Badwater im Death Valley, bis zum 145 Meilen entfernten Gipfel des Mount Whitney durchschlägt. Entgegen der vorherrschenden Meinung, dass es unter diesen Bedingungen in der Wüste unmöglich sei, eine solche Distanz zu laufen, gelingt es ihm dennoch. Über 84 Stunden benötigt der Ur-Vater des Rennens hierfür, doch es war nicht sein erster Versuch. Nachdem bereits 1969 Stan Rodefer und Jim Burnworth aus San Diego die Strecke erfolgreich erwanderten, unternahm Arnold 1974 seinen ersten Anlauf. Nach 29 Kilometern muss er der Hitze Tribut zollen. Akribisch vorbereitet durch Einheiten in der Sauna und eine ausreichende Wüsten-Akklimatisierung, kehrt er im Jahr darauf zurück und unternimmt einen weiteren Versuch. Vergeblich. Eine Knieverletzung zwingt ihn diesmal nach 80 Kilometern zum Abbruch. 1977 gelingt ihm dann das Abenteuer. Das Internet ist voll von Bildern aus diesen Tagen, auf denen der 50-Jährige mit grauem Bart, streckenweise nur in Unterhosen gekleidet, die Salzwüsten im Laufschritt durchquert. Arnold kehrt danach nie wieder an den Ort des Geschehens zurück, mit einer Ausnahme: zur Verleihung des „Hall of Fame Award“. Im Jahr 1987 wird erstmals ein offizieller Wettbewerb auf der Strecke ausgerichtet. Fünf Teilnehmer erreichen das Ziel. In diesen ersten Jahren ist noch keinerlei feste Route vorgegeben, sodass die Aktiven ihren eigenen Weg suchen. Adrian Crane verwendet bei der Erstausgabe sogar Langlaufskier, um die Salzseen zu überqueren.
der Buckle seinen Träger besitzt, genau wie bei „Der Herr der Ringe“. Bei Ricarda muss ich mir da keine Gedanken machen. Sie hat bereits eine Reihe von Schnallen im Regal stehen … obwohl sie schon leicht entrückt schaut, wenn sie mit ihren Fingern darüber streicht. Insgesamt erreichen von den 97 Startern 79 das Ziel. So hoch war die Ausfallquote seit 15 Jahren nicht mehr. Sieger wird der US-Amerikaner Pete Kostelnick (23:27 Stunden), Siegerin die Australierin Nikki Wynd (27:23 Stunden). Ricarda erreicht als 5. Frau (gesamt 26.) das Ziel in 35:53 Stunden. Letzter Finisher wird John Radich aus den USA (46:41 Stunden).
Keyfacts zum Badwater 135 • Einladungslauf. Qualifikationsnachweise müssen erbracht werden: mindestens drei 100-Meilen-Rennen, Wüstenerfahrung u. ä. sind als Nachweis erforderlich, Ultratriathlon- und weitere Lauf-Referenzen von 50 bis über 100 Meilen wünschenswert, Erfahrung als Badwater-Crew-Mitglied bei vorherigen Rennen für eine Bewerbung hilfreich • sehr großer organisatorischer Aufwand, da eigene Crew, Auto, Ausrüstung mitgebracht werden müssen, komplexes Regelwerk, scharfe Sicherheitsanforderungen • hohe Kosten: Startgeld, Flüge, Mietwagen, Ausrüstung • 135 Meilen, 217 Kilometer, mehr als 5 Marathons am Stück • 45–50 Grad im Schatten, nachts wird es durch heiße Fallwinde nicht viel kühler • vom tiefsten Punkt der USA (Badwater liegt 85 m unter dem Meeresspiegel) zum höchsten Berg der USA außerhalb Alaskas • 90–100 der erfahrensten Ultras der Welt am Start • 15.000–20.000 Kalorien und 50 Liter Flüssigkeit pro Läufer • Infos: www.badwater.com
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