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TITELSTORY | Warschau Marathon

Ein kleines Stück Manhattan an der Weichsel

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Das Geburtshaus der zweifachen Nobelpreisträgerin Marie Curie in Warschau.

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Im Łazienki-Park kann man mit Gondeln auf dem See fahren oder den Chinesischen Garten besuchen.

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Im Nationalstadtion unterlag Deutschland bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 Italien mit 1:2.

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Dana und David nach ihrem Finish mit wohlverdienter Medaille.

ten halben Stunde vorgegeben – „Man darf doch wohl noch träumen“. Unterbrochen wird die Tagträumerei beim Anblick der unwirklich erscheinenden Pagodenpavillons im Chinesischen Garten des Łazienki-Park – zu bizarr steht die Szenerie im Kontrast mit der bisherigen Streckenführung. Sobald die mit 80 Hektar größte Parkanlage Warschaus durchlaufen ist, heißt das nächste Zwischenziel: Halbmarathonmarke.

ein, lautet die Antwort darauf, denn die verantwortliche Airline muss den beiden zugestehen, dass sie keine Schuld trifft. Ein Systemfehler sorgte für reichlich Verwirrung an den Anzeigetafeln. Somit erfolgt eine Umbuchung auf den ersten Flug am folgenden Tag.

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Dana begeisterte sich schon immer für den Sport, spielte jahrelang Fußball und begann irgendwann mit dem Laufen. Wie bei so vielen zeichnete sich der Besuch eines Marathons, in diesem Fall in ihrer Heimatstadt Berlin, verantwortlich für den Entschluss, selbst einmal 42,195

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Eigentlich wollte sich David mit dem Projekt Marathon etwas mehr Zeit lassen. Jedoch gestaltete sich das Wettkampfjahr 2015 für ihn durchweg positiv, und nachdem er bravourös die 30 Kilometer des Schweriner Fünf-SeenLauf bei gut 30 Grad meisterte, war auch bei ihm alles klar. Zuspruch sowie Betreuung erhielt er durch den Partner der bereits oben erwähnten Trainerin. So steht dieses Quartett am Morgen des 27.09.2015 bei strahlendem Sonnenschein im Schatten des riesigen Nationalstadions und wartet darauf, ein Teil des 37. Warschau Marathon zu sein. Renndirektor Marek Tronina ist zu Recht stolz auf sein Team. Es ließ aus einer kleinen Veranstaltung, bei der bis zu elfmal im Kreis gerannt wurde, ein gut organisiertes Großevent entstehen. Mittlerweile zieht sich der Kurs beidseitig der Weichsel entlang und streift nahezu alle Sehenswürdigkeiten der Stadt. Den Höhepunkt stellt der Einlauf in das

monströse, knapp 60.000 Zuschauer fassende Stadion da. Ursprünglich erbaute man es für die Fußball-Europameisterschaft 2012. Dem Marathon dient es als Startnummernausgabe mit Messe sowie als Kleiderbeutelabgabe und stilvoller Finisherbereich. Das heuer allerdings zum letzten Mal – leider sehen sich die Verantwortlichen aufgrund interner Querelen dazu gezwungen, im nächsten Jahr auf eine Freifläche auszuweichen.

Mit der Zeit kommen die zwei auch zu der Erkenntnis, was es mit den ungeliebten langen Einheiten auf sich hatte. Nicht nur der Fettstoffwechsel, sondern ebenfalls das mentale Durchhaltevermögen wurde trainiert. Jetzt, wo sie sich schier endlos an den nördlichsten Punkt der Route herankämpfen und ihnen auf der anderen Straßenseite weiter vorne liegende Teilnehmer entgegenlaufen, ist Willenskraft gefragt. Die Wendemarke bei Kilometer 29 motiviert dann für das Finale. Noch einmal wird die Uferseite gewechselt. Nun allerdings mit etwas weniger Begeisterung. Generell ist es ruhiger geworden in der Gruppe. Die von allen unausgesprochene, jedoch heimlich erhoffte Zielzeit von 4:30 Stunden rückt in weite Ferne. In diesem Moment kristallisiert sich der Spirit des Teams heraus. „Wir versuchen es, bleiben aber auf jeden Fall zusammen“, gibt David vor. Dana zwingt sich zur Leistung, ihr Gesicht friert ein, der Blick ist fokussiert auf das nur so unfassbar langsam näher kommende Stadion.

Dana und David ist das vorerst egal. Mit ungefähr 7.000 Mitstreitern stürzen sie sich bei bester Verfassung in ihr Abenteuer. Während einer Auftaktschleife in den Süd-Osten der Stadt entzieht sich das Feld, dabei finden die Akteure in ihren Rhythmus. Nach etwa zwölf Kilo´ etokrzyski-Brümetern stellt sich die Swi, cke in den Dienst der Aktiven und hilft ihnen, an das gegenüberliegende Ufer der Weichsel zu gelangen. Die spektakuläre Schrägseilkonstruktion des Ungetüms in Kombination mit dem Ausblick auf die Skyline von Warschau entlockt Dana ein „fast so wie in New York“. David besuchte als Zaungast vor Jahren einmal den Washington Marathon, somit ist die Thematik der nächs-

FOTOS: JOCHEN SCHMITZ

„Ich seh' ihr noch lange nach … Ich wär' gern mitgeflogen“, heißt es in dem Lied „Über den Wolken“ von Reinhard Mey. Ähnliches denken sich Dana und David, als sie Ende September am Flughafen Berlin Tegel ihrer Maschine mit der Flugnummer 8210 nach Warschau hinterherschauen. Ist an dieser Stelle der Traum vom Marathon in der polnischen Hauptstadt bereits zu Ende?

Kilometer bewältigen zu wollen. Als die junge Lehrerin dann noch die Trainerin des Original Fitness Bootcamp, das sie regelmäßig besucht, als Coach gewinnen konnte, galt das Vorhaben als besiegelt.

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Eine kurze Rückfrage beim Erreichen eben jener Markierung ergibt, dass alle Passagiere der kleinen „Reisegruppe“ wohlauf sind. Keine Selbstverständlichkeit. Wie so viele Läufer kämpften Dana und David in der Vorbereitungsphase vorübergehend mit Verletzungs-Klassikern wie Knieschmerz oder Schienbeinkantensyndrom. Nach solchen Erfahrungen ist eindrücklich klar, wozu Trainingspläne da sind und weshalb deren Vorgaben eingehalten werden sollten.

FOTO: JOCHEN SCHMITZ

von Jochen Schmitz

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Dann Dunkelheit – der Tunnel, der den Einlauf ins Nationalstadion bedeutet. Als es wieder hell wird, ist der Zielbogen zu sehen. Aneinander gefasst, überläuft die Viererkette die Zeitnahmematten in exakt 4:30 Stunden. Es folgt das Gefühlschaos aus Erschöpfung, Dankbarkeit und Euphorie. So glückbeseelt sitzen Dana und David mit ihren Begleitern am Abend zusammen und schmieden Pläne. 2016 soll es der Prag Marathon sein. Eine weise Entscheidung, denn von Berlin kann man ganz hervorragend mit der Bahn in die Goldene Stadt an der Moldau reisen.

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