Theaterzeitung 9 | 2019

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THEATERZEITUNG 9 | 2019

Im Spiel um große und kleine Gefühle zählen auch Macht und List

Ein verbotener Kuss?

WER MIT WEM? NUR DIE MUSIK KENNT DIE WAHRHEIT ... MOZARTS »LE NOZZE DI FIGARO« IM GROSSEN HAUS »Le nozze di Figaro« – ein Aufruf zum Aufstand gegen die dekadente Herrscherschicht? Die literarische Vorlage, Beaumarchais Schauspiel, war seinerzeit durchaus aufrührerisch und die deutschsprachige Aufführung wurde kurz vor der Premiere durch kaiserliches Dekret untersagt: » (…) da dieses Stück zu viel Anstößiges enthält« begründete der Kaiser seinen Entschluss. Mozart und sein Librettist Da Ponte wussten, welchen Stoff sie für ihre neue »commedia per musica« wählten, und es war revolutionär, dass sie allen Menschen, egal ob Domestik oder Graf, ein Anrecht auf die Verwirklichung ihrer Sehnsüchte gewährten. Sie nutzen Beaumarchais Theaterstück für ein erotisches Verwirrspiel, eine Komödie, die die Tragödie in sich trägt, denn alle, die durch

das von Bühnenbildner Volker Thiele entworfene Karussell der Gefühle tanzen, bewegen sich am Abgrund. Bei jeder Drehung einer der entgegenkommenden Drehscheiben scheinen die Figuren sich zu fragen, ob sie auf der richtigen Seite stehen, ob ihre Gefühle möglicherweise falsch sind, sie trügen. Mozart greift in seiner Musik die Seelenschwingungen der liebestrunkenen Figuren auf, er trägt sie in den Himmel, hat den Absturz aber schon mit hinein komponiert. Er gewährt uns Einblicke in den Abgrund Mensch, um diesen dann mit der schönsten Musik wieder zu deckeln. Und natürlich sind sie alle da, die Insignien einer guten Komödie: Briefe aller Couleur, Türen auf und Türen zu, Kleidertausch, Intrigen und Blamagen und variantenrei-

che Paarungen, psychologisch durchleuchtet von Regisseurin Eva-Maria Höckmayr. Sie spürt den Wünschen, Begierden, Verletzungen und Geheimnissen der Figuren nach. Sein und Schein verschmelzen, das Publikum blickt mitten ins sezierte Herz der Figuren. Höckmayr lässt uns lachen und mitleiden, entführt uns mit Kostümbildnerin Julia Rösler in die Sinnlichkeit des Rokoko. Beaumarchais selbst über sein Drama: »Ein spanischer großer Herr liebt ein verlobtes junges Mädchen, das er zu verführen sucht. Die Verlobte, ein Mann, den sie heiraten soll, und die Edelfrau finden sich zusammen, um den Plan eines absoluten Heuchlers zum Scheitern zu bringen, dem Rang, Vermögen und Freigebigkeit alle Macht verleihen, sein Vorhaben zu verwirklichen. Das

ist alles, nichts weiter. Das Stück bietet sich Eurem Auge dar«. Und dank Mozart den Ohren und dem Herz. Kommt, seht und hört! Renate Liedtke LE NOZZE DI FIGARO DIE HOCHZEIT DES FIGARO ML Sébastien Rouland I Eva-Maria Höckmayr B Volker Thiele K Julia Rösler Mit Bauer, Braun, Jelinkova/Wilson, Seibel/Akçağ, Smolka; Drevinskas/ Song, Jaursch/Röttig, Matsui, Schöne/Zulic del Canto Premiere Sonntag, 8. September 2019 18:00 Uhr, Großes Haus


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