Nina Bouraoui. Erfüllung. LESEPROBE

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Nina Bouraoui Erfüllung

Roman

Aus dem Französischen von Nathalie Rouanet



Nina Bouraoui Erfüllung

Roman

Aus dem Französischen von Nathalie Rouanet



Die sieben Hefte der Michèle Akli (Algier, 1977–1978)



I

Die Luft ist heiß und diesig, fast greifbar auf den Bildern meiner Polaroidkamera. Ein Schein umgibt die Körper, die ich fotografiere: Erwan, meinen Sohn, ein dünnes Kitz, eines Tages wird er ein kräftiger Mann sein, sein lockiges Haar, seine schwarzen Augen, sein Gesicht, in dem ich mich nicht wiederfinde, aber sehr wohl die Züge seines Vaters, Brahim. Beide schauen sie nach rechts. Sie scheuen die Kamera. Sie flüchten vor mir, sie verschmelzen mit dem Hintergrund: Erwan mit dem Meer, wenn ich am Strand stehe; Brahim mit der Straße, wenn ich ihn von unserem Garten aus fotografiere. Sie verlassen mich und tauchen ein in einen imaginären Raum, der nur Männern vorbehalten ist. Meinen Garten habe ich in Erinnerung an die Abbildungen in den Atlanten meiner Kindheit angelegt. Zwischen den Karten mit den Ozeanen gab es Bildtafeln von exotischen Gärten. Die sammelte ich und träumte von einem anderen Land als Frankreich, wo ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Dort würde ich nicht alt werden. Nach Algerien kam ich 1962, nach der Unabhängigkeit. Ich hatte gerade Brahim geheiratet und ging mit ihm. Al­gerien 7


ist mein Land geworden. Eines Tages wird es mein Grab sein. Ich bin achtunddreißig Jahre alt; es ist bereits das Grab meiner Jugend. Mein Leben ist ein großer Irrtum. Ich will es nicht wahrhaben, und doch schreibe ich es nieder; was geschrieben steht, ist schon halb behoben. Wenn wir die Realität in Worte, in Sprache kleiden, geben wir uns der Illusion hin, dass wir sie wieder einrenken oder wenigstens etwas verändern können. Das tröstet uns über unsere Niederlagen hinweg. Es scheint, als würde ich auf irgendetwas warten, auf ein Ereignis. Ehrlich gesagt, ich glaube, ich warte auf jemanden. Ich liebe Brahim, aber ich liebe ihn nicht mehr wie am ersten Tag. Zu Beginn nimmt uns die Liebe gänzlich ein, alles in uns und um uns, sie macht sich überall breit, verwandelt Lärm in Stille, macht den Alltag zu einem Fest und verbindet selbst in schlechten Zeiten. Jetzt ist unsere Beziehung nicht mehr so vollkommen. Dieser Gedanke ist beschämend, trotzdem schreibe ich ihn nieder. In diesem Notizheft, und nur hier, hat die Scham ihren Platz. Paradiesvogelblumen sind mir die liebsten. Durch die Gardinen unseres Schlafzimmerfensters sehen sie aus wie Kinder mit gesenkten Köpfen, als würden sie beten oder Buße tun. Auch Sukkulenten mag ich, Palmen, faserige Rinden, die zu Lianen werden, harzige Stämme, Jasmin, Glyzinien und Mimosen, die sich wie fleischige Trauben in meinen Händen anfühlen. Die Natur ist von einer traurigen Schönheit, man kann sie nicht bewundern, ohne zu weinen, man kann sie nicht erklimmen, ohne zu fallen. Man sagt, die Erde sei noch 8


mit Blut getränkt, es brauche eine weitere Revolution, um sie zu reinigen. Ich glaube an die Wiederholung der Geschichte, an die ewige Wiederkehr der menschlichen Torheit. Ich habe so eine Vorahnung, dass etwas passieren wird, ein Unheil, vielleicht wird es von außen kommen, vielleicht werde ich es sein, die es sich ausdenkt, die es hervorbringt und damit ihre Umgebung vergiften wird. In meiner Vorstellung tauchen schreckliche Szenen und Bilder auf. Nachts sehe ich unsere drei Körper an den Ästen der Eiche hängen. Ich habe Angst um meinen Sohn. Um Brahim habe ich keine Angst mehr. Meine Leidenschaft hat sich verlagert. Ich empfinde noch Verlangen, aber es hat nichts mehr mit unserer Beziehung zu tun. Ich begehre Brahims Körper, wie ich jeden beliebigen Körper begehren könnte, ich kann nicht anders. Mein Verlangen überwältigt mich, es beherrscht mich, und ich werde melancholisch, wenn meine Lust hinter meinen Erwartungen zurückbleibt.

Ein Geruch von Feuer steigt von der Stadt in unser Viertel Hydra empor. Asche bedeckt die Motorhauben der Autos. Eine Feuersglut fällt vom Himmel. Der Berg brennt, eine rote Schlange windet sich die Hänge von Chréa entlang. Eine einzige Glasscherbe kann alles in Brand setzen, Bäume, Moose und Farne. Der Geruch des Feuers vermischt sich mit dem des Erdöls, das die Frachter nach Europa transportieren. Ich bin nur ein Punkt auf dem afrikanischen Kontinent, 9


allein unter meinesgleichen. Körper bedeuten nichts mehr in dieser bedrohlichen Landschaft. Als die Franzosen nach dem Krieg Algerien mit dem Schiff verließen, kam ich mit einer Caravelle geflogen. Eines Tages werde ich für meinen Stolz und meinen Verrat büßen müssen. Ich wurde als eine von ihnen gesehen, doch ihr Schicksal unterschied sich von meinem. Wir liebten dieses Land, das für mich neu war. Sie aber mussten es verlassen, für immer verlassen, und nichts sollte ihnen bleiben, das unter einem anderen Himmel hätte gedeihen können. Der Himmel ist einzigartig und unersetzlich für jeden, der das Land liebt, den Wald, den Bach, die Klippe, von der man so oft ins Wasser sprang und dabei glaubte, sich mit dem Universum zu messen. Diejenigen, die gingen, waren Algerier, nicht Franzosen; kein Staat würde das je anerkennen. Ihr Leid war mir egal. Politik spaltet. Ich war besessen von einer Sache, der ich nicht gewachsen war, ich hielt Freiheit für selbstverständlich. Aber wenn sie einem genommen wird, muss man sie wieder erlernen. Ich stand auf der Seite Brahims, seiner Familie, seines Volkes, das ich umarmte, wie ich manchmal meinen Mann umarme, um mich zu trösten, wenn ich meiner verlorenen Vergangenheit nachtrauere. Die Haut ist ein Hafen für die, die keine Heimat mehr haben. Diese »Algerien-Franzosen« sind in ihrer Sehnsucht gefangen. Das Gedächtnis ist grausam. Sie halten an Erloschenem fest, aber die Erinnerung schwindet mit den Jahren. Verzweifelt suchen sie nach Spuren ihrer Vergangenheit, 10


zwischen Häusern und auf Wegen, die es nie gegeben hat. Erinnerungen sind ihre Strafe, die meine ist mein Neu­ beginn. Gewalt vergeht nicht: Wie eine Qualle zieht sie ihre Tentakel hinter sich her. Ich wurde zu einer Kolonistin der zweiten Generation. Hier wird man mich nicht schätzen.

Während der Brände bleibe ich mit Erwan zu Hause. Die Küstenstraße ist von Schilf gesäumt. Selbst nach einem Gewitterregen trocknen die Salzwiesen sofort wieder aus. Ich habe Angst, vom Feuer eingeschlossen zu werden, in der Falle zu sitzen. Man kann nur abwarten. Das Feuer erlischt erst, wenn es nichts mehr zu verbrennen gibt und sich der Stein als stärker erweist. Brahim macht sich in aller Frühe auf den Weg zu seiner Papierfabrik, ein paar Kilometer von Algier entfernt. Er hat sich geschworen, dieses Familienerbe im Gedenken an seine Eltern zu erhalten. Wenn ich das Motorengeräusch seines Wagens höre und seine Autotür zuschlägt, frage ich mich, was aus uns werden würde, wenn er nicht mehr zurückkäme, ob ich den Mut hätte, unser Haus zu verlassen und ein neues Leben anzufangen. Ich bezweifle das. Wir sind Gefangene der Zeit. Die Hitze bremst den Lauf der Zeit, aus Sekunden werden Minuten, aus Minuten werden Stunden. Jede Bewegung wird anstrengend, zerfällt in eine Vielzahl von sparsamen Gesten. Kein Spiel vermag Erwan abzulenken, weder Karten 11


noch Würfel noch seine Autorennbahn, die er loswerden will, weil er sie für sein Alter kindisch findet. Er ist gerade zehn geworden. Ich schlage vor, dass er die Rotbarben schuppt und mit Mehl bestäubt, was er sonst gerne macht, aber er weigert sich. Der Geruch von Blut ekelt ihn an. Wir lassen die Fische auf dem Eis liegen. Das Haus ist unser Gehege, in dem wir nach Schatten und einem kühlen Platz suchen. Ich bin in meine Notizen vertieft, Erwan streift durch den Salon, geht in sein Zimmer, dann in die Garage zu seinem Werkzeug, wo er einen Ventilator reparieren will; eins von den vielen ausrangierten Dingen, die ich nicht wegwerfen kann, Grußkarten, Briefe meiner Eltern oder meines Bruders, Rechnungen, Zeichnungen aus Erwans ersten Schuljahren, ein Kofferradio – alles Andenken an mein früheres Leben, die ich aufbewahre in Erinnerung an meine Familie, an die Kindheit meines Jungen und in der Hoffnung, wieder einmal mit Brahim zu tanzen wie früher, zu Beginn unserer Geschichte. Wenn die Sonne im Zenit steht, wird der Garten zu einem wahren Treibhaus, wir ersticken fast und vergehen förmlich. In der Hitze wachsen die zartesten Blumen, Flieder, Liguster inmitten von namenlosem Unkraut, zartgoldene Knospen, raue, pelzige, stachelige Triebe. Erwan in blauen Shorts und mit nacktem Oberkörper. Jeden Tag entdecke ich neue Muskeln, ich erlebe seine Entwicklung mit und stelle mir den jungen Mann vor, der er einmal 12


sein wird. Seine Schultern sind kräftig, sein Bauch ist gespannt, aber die Oberschenkel und Arme sind noch dünn. Ein ungleichmäßiges Wachstum, als hätten die einzelnen Körperteile nicht die gleichen Chancen gehabt, als seien die Zonen der Kraft und des Verlangens bevorzugt worden. Die Schönheit meines Sohnes rührt mich. Ich spüre seine aufkeimende Männlichkeit, er hat sie von Brahim, und doch haftet ihr noch eine gewisse Zerbrechlichkeit an, Erbe meiner begrabenen weiblichen Natur, obwohl es sicher falsch ist, Weiblichkeit und Zerbrechlichkeit gleichzusetzen. Wir spritzen uns mit dem Gartenschlauch ab, übergießen uns mit einem Eimer und bewerfen uns mit Wasserbomben. Klatschnass drücken wir uns aneinander, als hätten wir gerade eine Naturkatastrophe überlebt, die die Häuser, Gebäude und die ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht hatte, glücklich, dass uns das Schicksal verschont hatte, doch bestürzt vom Ausmaß der Zerstörung. Brahim, der Vater und Ehemann, tritt in dieser Szene nicht auf, er arbeitet auswärts, in seiner Fabrik, und wir erleben zum ersten Mal den algerischen Sommer. Normalerweise verlassen wir Algier in den großen Ferien, fahren nach Paris zu meinem Bruder, dann begleite ich Erwan zu meinen Eltern nach Brest, ans Meer, bevor Brahim und ich uns in einer anderen Stadt irgendwo in Europa wieder treffen. Sehr bald vermisse ich meinen Sohn, und ich verspüre wieder diese Sehnsucht nach Algerien, als wären die beiden untrennbar miteinander verbunden und würden mein Gleichgewicht sichern. Vorigen Sommer in Wien 13


nahm die Stadt mich förmlich gefangen. Ich wurde zu Stein und zur Fassade, zu einem Teil des Himmels und der Nacht, aufgesogen von den Gebäuden und Denkmälern, vom dunklen Donauwasser, von der Landschaft, den Trauerweiden, unter denen wir lagen, ohne uns an der Hand zu nehmen oder zu umarmen. Wir waren einander fremd geworden. Unser Sommer spielt sich zwischen unserem Haus und den nahegelegenen Stränden der Gemeinde Staouéli ab. Im Notfall könnte Brahim sofort bei uns sein. Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Im Herzen fühle ich mich als Exilantin. Ich wurde nicht vertrieben aus meiner französischen Heimat, nicht verfolgt. Ich bin ausgeflogen, weg von etwas Unbestimmtem, Vergangenem, das ich mir als Kreis vorstelle, den Kreis meiner Erinnerungen und Jugendträume. Eigentlich sollte ich dieses Exil eher »Erwartungsverzicht« nennen, ein Exil von sich selbst, falls es das gibt. Unter dem bleiernen Himmel droht das Feuer die Dörfer einzunehmen und das ganze Land in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Wadis, die Hänge, die Schluchten und das Meer werden uns aber beschützen, selbst wenn Hydra oberhalb des Hafens liegt und der Badeorte, die von den Kolonisten verlassen wurden. Die Infrastruktur ist geblieben, gepflegt wird sie nicht. Der Hass auf die Vergangenheit lässt die Zeit ihr Abrisswerk verrichten.

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Von unserem Dach aus blickt man auf die Gärten und die Häuser der Nachbarn, die ich aus reiner Höflichkeit grüße. Es ist mir nicht gelungen, Freundschaften zu schließen, seit wir in diesem Viertel wohnen. Algerische Familien bleiben unter sich. Mischehen sind nicht gern gesehen. Algerische Männer werden der Spionage und des Verrats verdächtigt, ihre westlichen Frauen haben einen schlechten Ruf. Insgeheim hält man sie für Sexobjekte. Und französische Familien integrieren sich nicht. Sie kommen im Rahmen von Kooperationsverträgen und leben aus ihrer Sicht in einem französischen Departement mit Sonderstatus; wenn sie wieder gehen, haben sie nichts gesehen, nichts kennengelernt. Ich vergleiche die Entkolonialisierung mit einem Hochwasser: Das Wasser zieht sich von dem zurück, was es zuvor beschädigt hat, aber dieser Prozess muss Schritt für Schritt, der Reihe nach erfolgen, damit man nicht wieder alles von vorne aufbauen muss. Unsere wenigen Freunde sind ursprünglich die von Brahim. Im Garten ragt inmitten der Feigenbäume und Mispeln eine Palme aus Bou Saâda empor. Auf unserem Dach halten wir uns für Könige, dabei leiden wir unter der Unbarmherzigkeit des Klimas. Wenn Brahim nach Hause kommt, muss ich mich wieder an ihn gewöhnen, ich vergesse so schnell seine Stimme, seine Haut. Erwan stürzt sich auf seinen Vater, fasst ihn an der Taille, an den Händen und Schultern. Das macht mich eifersüchtig und verunsichert mich. Ich fürchte, die Tage mit mir langweilen ihn. Algier ist keine Stadt für Kinder.

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Brahims Hände auf meinen Hüften, sein schweißnasses Hemd, sein Bart an meiner Haut, sein dichtes Haar, seine Hakennase: Das alles erinnert mich daran, dass ich mit einem Ausländer verheiratet bin, und ich bin stolz darauf, ich stelle mich gleichsam einer Herausforderung, im Grunde ein rassistischer Gedanke. Und er? Betrachtet er mich als die ihrer Familie geraubte Französin, als Trophäe? Oder verwischt die Liebe die geografischen Grenzen, den Ehrgeiz, die Rachsucht? Existiert die Liebe nur, weil sie einfach sein muss, weil sie sich dem Lebensweg derer einschreibt, die sich begegnet sind?

Die Nacht zeigt das Land in einem anderen Licht, einem Licht, das mir lieber ist. Der Alkohol nimmt mir meine Ängste. Schon nach dem ersten Glas bildet sich tief in mir ein See, ein See, wie es solche in Kanada gibt, ganz friedlich und umgeben von einem Ahornwald. Der See in mir wächst, wird größer als ich, größer als die Hitze, größer als die Stadt Algier, größer als alles. Aber ich kann meinen Rausch kontrollieren, ich kenne ihn, er ist leicht, und ich schöpfe nur das Beste aus ihm. Ich bewege mich geschmeidig, ich baue Begehren auf wie eine Sandburg, die bei der ersten Welle zusammenbrechen wird. Wenn die Wirkung nachlässt, muss ich mich wieder meinem Unbehagen und meinen Brüchen stellen. Unsere Küsse schmecken nach Wassermelone, Honigmelone, nach den Früchten des Gartens. Auf unseren Mündern, unseren Lippen, unseren Zungen Süße im Überfluss.

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Brahim sitzt auf der Treppe zur Terrasse, Erwan zündet die Laternen an. Ich weiß nicht, ob Brahim nur so tut oder ob er mich wirklich anschaut, wenn ich Blumen für einen Strauß pflücke; ob er verstanden hat, dass der Alkohol mich ihm näherbringt, oder ob er sich da mit seinem Glas Whisky ein schöneres Leben vorstellt, mit einer fröhlicheren Frau. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht mehr so bin wie früher. Früher? War ich nicht immer schon von dieser Melancholie geplagt, die kein Land, keine Reise, keine Flucht zu lindern oder zu stillen vermag? Diese Melancholie hat mich auch nach Algerien geführt, wo Vergangenheit und Gegenwart beisammen liegen, wo römische Spuren überall zutage treten, wo Ruinen das Schicksal der Menschen besiegeln. Die Erde erwartet sie und wird sie wieder aufnehmen. Wir befürchten, dass der Südwind die Flammen anfacht, die Glut zum Fuß des Berges weht und so die abgelegenen Dörfer verheert – wie im Krieg, als die Weiler von Soldaten auf der Suche nach Widerstandskämpfern verwüstet wurden. Dieser Natur wohnt etwas Tragisches inne, sie ist von Zerstörung bedroht. Mein Verlangen ist dem Feuer ähnlich. Das Ziel meiner Begierde ist nicht Brahims Körper, sondern ein Körper, der jenseits seines Körpers zu liegen scheint. Brahim ist das Medium eines anderen, dessen Doppelgänger. Ich arbeite noch an meinen Gefühlen, ich probe wie im Theater, ich spiele die Liebe, bevor ich sie lebe, bevor ich die Rolle annehme. Die Liebe ist ein Raum, den ich verlassen habe und den ich erst wiederfinden muss. Mit Erwan komme ich dem näher, aber die Mutterliebe kann die körperliche Liebe nicht 17


ersetzen. Das sind zwei unterschiedliche, parallel verlaufende Linien. Die Flammen erhellen die Nacht gleichsam von innen. Erwan läuft im Garten herum und singt Upside Down, den Song auf dem Plattenspieler. Der Refrain spiegelt meinen Gemütszustand wider, er spricht von Unruhe, von Anziehung und von den Wirren, die sie nach sich zieht. Auch ich habe meine Höhen und Tiefen, kann aber weder mein Hochgefühl noch meine Ängste festhalten. Ich betrachte Brahim, seine Schultern, die Art, wie er seinen Sohn ansieht, eine Zigarette raucht, seinen Nacken, seine kräftigen Schenkel, die beige Hose, die nackten Füße in den Mokassins – ich sehe die Eleganz und die Nachsicht eines Mannes, der mir keine Vorwürfe macht und nur wenig von mir verlangt. Ich presse Zitronen und Orangen aus, so wie ich meinen Frust auspresse. Die Jahre vergehen, und ich sehe ihnen dabei zu. Ich spiele meine Rolle als Mutter, als Ehefrau. Reglos durchquere ich die Jahreszeiten, während die Vögel in den Süden des Kontinents wandern. Ich würde gerne arbeiten gehen, ich bin ausgebildete Lehrerin, aber ich möchte nicht an Erwans Schule unterrichten und eine Autorität über meinen Sohn ausüben, die Autorität einer Lehrerin zusätzlich zu der einer Mutter. Da würde ein Raum auf den anderen, Schule auf Zuhause übergreifen, wie eine Machtübernahme. Und ich habe Angst, dass Erwan sich für mich schämt. 18


Hier in dieses Heft kann ich es schreiben: Ich gefalle mir nicht. Ich spreche nicht von Schönheit, ich finde mich nicht hässlich, außerdem gibt es keine Hässlichkeit, ein Gesicht, ein Körper hat immer einen gewissen Reiz. Ich bin zum Beispiel stolz auf meinen Körper, er ist schlank und rank. Was ich mit »ich gefalle mir nicht« meine, ist eigentlich, dass ich mich nicht kenne. Ich habe meine Weiblichkeit noch nicht entdeckt, trotz gelebter Sexualität und trotz einer Geburt, die viele Frauen als eine Offenbarung betrachten. Ich habe nichts dergleichen empfunden, ich fühlte mich eher wie eine Gebärmaschine, die Ballast abwirft. Das soll nicht heißen, dass ich meinen Sohn nicht liebe, ich liebe ihn mit einer eifersüchtigen, exklusiven Liebe. Ich habe an ihm gelitten, er gehört zu mir, er gehört mir. Mein Verlangen ist eine Kraft. Männer sind vom Höhepunkt besessen. Ich bringe Brahim zum Kommen, und sein Höhepunkt beschert mir sexuellen Genuss, nicht umgekehrt. Wenn ich mich im Spiegel betrachte, erahne ich meine Weiblichkeit. Ein wenig Schminke, eine andere Frisur, andere Kleider, und sie würde aufblühen. Doch die Blicke der Männer auf der Straße zwingen mich zur Zurückhaltung; meine Blusen, Hosen und langen Röcke erregen kein Begehren. Für Brahim gebe ich mir Mühe, wenn er von einer Reise zurückkommt. Ich mache mich hübsch, als hätte ich ihn erwartet, als hätte ich ihn vermisst, was immer seltener vorkommt. Ich genieße die Ruhe, wenn ich mit Erwan allein bin. Und ich gebe mir Mühe, wenn wir unsere Freunde, Bra19


hims Arbeitskollegen empfangen. Dann fühle ich mich wie in einer fremden Haut, die sich nach Entfaltung, nach Erfüllung sehnt. Es braucht Zeit, sich selbst kennenzulernen, sich zu erkennen. Ich bin mit einem Bruder aufgewachsen, jetzt wachse ich an einem Sohn und einem Ehemann in Algier, der Stadt der Männer. Mir fehlt eine Frau an meiner Seite. Brahim sagt, dass er meine verborgene Schönheit liebe, das Strahlen meines Gesichts, wenn er sich über mich beuge, wenn sein Körper sich über meinen lege, gerade wenn ich mir eine andere Szene, andere Spiele vorstelle. Ich bediene mich bloß seines Körpers. Ich fühle mich schuldig, obwohl ich treu bin. Kann man denn ohne Liebe lieben? Ich suche einen Raum für unsere Sinnlichkeit, unser Zimmer ist so eng wie die Kammer meines Herzens. Ich habe so viel zu entdecken, so viel zu geben. Was würde Brahim wohl über mich denken, wenn er dieses Heft lesen würde? Er wäre sicher traurig, dass ich das Leben in diesem Land, das wir einst das »himmlische Eldorado« nannten, nicht mehr ertrage. Aber er würde sich nicht wundern, dass ich so leidenschaftlich gern schreibe. »Frauen brauchen Geschichten.« Er würde sich in dieser Geschichte nicht wiedererkennen. Mir wäre lieber, alles zu erfinden.

Wir beide sitzen auf der Treppe zur Terrasse, ich schmiege mich an Brahim, der seinen Arm um meine Schultern gelegt 20


hat, wir sind eng beisammen, aber ich bin abwesend, meine Fantasie führt mich aus dem Garten hinaus auf die Straße, nicht in Richtung Stadt oder Hafen, sondern den Berg hinauf. Mit geschlossenen Augen steige ich unter einem Aschenregen empor. Dort oben steht dieses massive, moderne, bogenförmige Gebäude. Es bildet einen starken Kontrast zu den Villen des Viertels, den kleinen, weißen Häusern mit ihren Zitronen- und Orangenbäumen, wo üppige Glyzinien und Bougainvilleen über die Mauern wachsen, lauter lila, rosa und rote Zungen. Das Gebäude trotzt der Natur, verdrängt sie mit seinem Pfahlwerk, seinen Balkonen und den beiden Fassaden, von denen eine mit Schießscharten versehen ist. Das Shell-Gebäude ragt hoch in den Himmel empor, und alles an ihm wurde errichtet, um über uns zu herrschen. Es ist magnetisch, zieht mich an, aber man muss verrückt sein, um dort zu wohnen, dort zu leben. Der Wein, die Leichtigkeit des Körpers, Brahims Atem. Erwan verschwindet im Garten, unter der Palme sitzend wird er zu einem Teil der Szenerie, zu einem Gewächs, sein Körper verwurzelt in der Erde, mit den Ästen verwachsen; er beobachtet uns. Ich existiere, lebe durch den Blick meines Sohnes, mein Blut pulsiert mit dem Saft der Sukkulenten, die ihre Wurzeln ausstrecken und sich von Lehm, vom Wasser der Tiefe nähren. Ich zerdrücke Erdbeeren und Himbeeren, fülle Eiswürfelbehälter damit, eine Stunde reicht, und sie sind gefroren. 21


Wenn die Nacht uns umgibt, ist Erwan immer ganz aufgeregt. Dank der glücklichen Kindheit unseres Jungen haben auch wir ein wenig Anteil am Glück. Die Polizeisirenen im Zentrum Algiers heulen zu uns herauf und wecken Visionen von verwundetem Fleisch, von mit Messern aufgeschlitzten Kehlen, Bäuchen und Brüsten, von zerschnittenen oder mit Säure verätzten Gesichtern, denn so, erzählt man sich hier, würden Frauen bestraft und entstellt. Ich male mir Kämpfe und Schlägereien in den Gräben der Kasbah aus, Szenen mit Hackbeilen, Rasiermessern und Dolchen, deren Griffe mit Gold, Rubinen und Diamanten besetzt sind, den Waffen aus orientalischen Märchen, wie in Erwans Bilderbüchern, in denen wir gemeinsam schmökern. Als ob die Gewalt nur eine Geschichte wäre. Der Alkohol, den ich trinke, legt sich in Schichten in meinem Kopf ab. Die Schicht meines Sohnes. Wenn er von seinem Zimmer in den Garten gelaufen kommt, mache ich mir Gedanken über seine Zukunft: Soll ich ihn zum Studieren nach Frankreich schicken, wenn er das Alter erreicht hat? In welchem Land soll er seinen Militärdienst leisten? Welche Zukunft erwartet ihn hier? Und wie soll ich jemals ohne ihn leben? Erwan, meine Liebe. Die Schicht Brahims. Mein Verlangen nach seinen Händen, seinem Bauch. Wie soll ich ihm meine Melancholie anvertrauen, ohne ihn zu verletzen? Die Schicht von Frankreich, dem Land, das ich verloren 22


habe, denn ich spüre es in meinen Adern, wie ich mehr und mehr zur Algerierin werde und diese Stadt mich aufsaugt. Die Schicht meiner Angst, nicht vor den Menschen, nicht vor der Natur, nicht vor der Regierung, nicht vor der Erinnerung an die Geschichte, sondern vor mir selbst, dass ich mich verirren könnte. Brahim erzählt mir, dass am französischen Gymnasium bald eine Stelle als Bibliothekarin frei wird. Man muss nur noch die Ankunft des neuen Kulturattachés abwarten. Wenn ich interessiert bin, wird er mich empfehlen. Ich nehme sein Angebot an und verspreche, geduldig zu sein. Brahim verkauft der Schule Papier, weißes Papier, auch Kohlepapier und sogenanntes »technisches Papier«, das ganz dünn und mit einer Flüssigkeit getränkt ist, die schwarze Tinte in violette verwandelt. Das französische Gymnasium ist ein wahres Refugium mit seiner maurischen Architektur, seinen Palmen und Bananenstauden, seinen unterirdischen Gängen, die zu den Quais von Algier führen und so eine Flucht im Schoß der Erde möglich machen. Ich male mir aus, wie ich zwischen den Bücherregalen stehe und plötzlich flüchten muss. Unsere Sommerabende enden immer gleich: Erwan schläft auf meinem Schoß ein, Brahim nimmt ihn in die Arme, trägt ihn in sein Zimmer, legt ihn ins Bett, küsst ihn, schaltet sein phosphoreszierendes Nachtlicht an, lässt die Tür einen Spalt offen. Später schaut er noch ein, zwei Mal nach ihm und öffnet eine weitere Flasche Wein. Ich bleibe im Garten. Ich be23


trachte nicht mehr den Himmel, der Himmel betrachtet mich, er weiß, dass ich alles vortäusche. Die Palmwedel der Wüstenbäume wiegen sich, bewegt von einem Mechanismus außerhalb unseres Hauses, den wir nicht kontrollieren können: einer göttlichen Ordnung, der sich die Elemente unterwerfen, der auch wir uns unterwerfen. Wir sprechen, ohne einander zu antworten, jeder möchte seine Geschichte erzählen, doch wir merken nicht, dass es keine Berührungspunkte gibt und dass unser Alltag, unsere Zweifel und unsere Gedanken nichts gemeinsam haben. Wir kehren einander den Rücken zu und streben in verschiedene Richtungen. Brahims nackter Körper. Ich schließe die Augen. Ich erfinde einen anderen und eine andere. Ich denke an eine Frau anstelle von Brahim. Ich empfinde kein Verlangen nach Frauen, Frauen erregen mich nicht. Meine Vorstellung ist eher ein Spiegel meiner selbst, ich sehe mich in diesem Bild, erkenne meine Silhouette, aber nicht mein Gesicht. Der Wein trübt mein Blut und meine Sinne. Die Lust kommt und vergeht. In meiner Erinnerung bleibt nur das Bild der üppig wuchernden Pflanzen im Garten hinter den Gardinen des Schlafzimmerfensters. Auf meinem Nachttisch liegt ein grauer Kieselstein mit einem weißen Kreis. Er lebt, ändert seinen Farbton und ersteht immer wieder neu. Auch ich würde gern aus mir selbst zu einem neuen Leben erwachen.

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Als Erwan und ich heute Vormittag auf der Küstenstraße unterwegs waren, ist uns ein Mann gefolgt. Ich weiß nicht, ob er schon vor dem Haus gewartet hatte oder ob unsere Wege sich nur zufällig gekreuzt haben. Mir war nichts aufgefallen, als ich aus der Garage fuhr. Aber ich habe auch nicht darauf geachtet; die langjährige Routine, diese vielen Gewohnheiten hindern uns daran, kleine Veränderungen in unserer Umgebung wahrzunehmen. Jedenfalls habe ich ihn erst auf der Schnellstraße bemerkt, Erwan gegenüber aber nichts gesagt. Vorher hatten wir in der Bäckerei an der Place d’Hydra Cocas gekauft, mit Tomaten, Zucchini und Zwiebeln gefüllte Teigtaschen. Wir sind von der Anhöhe runter zum Meer gefahren. Der Berg hatte aufgehört zu brennen. Der Mann fährt ein kleines Auto, einen weißen Renault R8 in schlechtem Zustand. Er überholt uns, schaut rüber zu uns, schert wieder ein, sodass ich bremsen muss. Dann fährt er wieder langsamer, und ich muss ihn überholen.

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Nina Bouraoui bei Elster & Salis

Geiseln Roman »Ich heiße Sylvie Meyer. Ich bin dreiundfünfzig Jahre alt. Ich bin Mutter zweier Kinder. Ich lebe seit einem Jahr von meinem Mann getrennt. Ich arbeite bei Cagex, einem Gummiunternehmen. Ich leite die Personalentwicklung. Ich bin nicht vorbestraft.« Sylvie Meyer ist eine einfache, starke Frau mit klaren Grundsätzen, und eine Arbeiterin, auf die man sich verlassen kann. Als ihr Mann sie verlässt, macht sie weiter wie zuvor, kümmert sich um ihre beiden Söhne. Auch als ihr Chef sie zwingt, die anderen Arbeiterinnen heimlich zu überwachen, fügt sie sich. Wieder handelt sie, wie von ihr erwartet, jedoch gegen ihr moralisches Empfinden. Sylvie will kein Opfer sein. Bis zu jenem Tag im November als die Ungerechtigkeit, die Gewalt der Welt und ihre Einsamkeit sie einholen – da endlich rebelliert Sylvie. Sie verliert viel, doch für eine kurze Weile fühlt sie sich wieder lebendig und frei. Nina Bouraoui verleiht ihrer Heldin in einem poetischen Monolog eine Stimme, wie sie in dieser Dringlichkeit nur selten zu erleben ist. Sie erzählt die Geschichte einer Gefangenschaft und einer Befreiung: kraftvoll und doch diskret, voller Feingefühl für seelische Zwischentöne. »Erschütternd zu lesen. Ein ebenso intimer wie hochpolitischer Roman – hat mich sehr gepackt.« Elke Heidenreich, WDR »Ihr innerer Monolog führt ganz tief in die Seele einer starken, einsamen Frau. Eine Wucht.« Barbara Weitzel, Welt am Sonntag kompakt »Elster & Salis hat einen absoluten Goldschatz geborgen.« Felix Münger, SRF ISBN Print 978-3-906903-16-3 ISBN E-Book 978-3-906903-84-2


Titel der Originalausgabe Satisfaction © 2021 by Editions Jean-Claude Lattès

1. Auflage Printed in Germany ISBN 978-3-906903-19-4

Nina Bouraoui Erfüllung Roman Aus dem Französischen von Nathalie Rouanet

Umschlagmotiv Fotografie: Optigan, 2015 © Neil Krug

Für die deutsche Ausgabe © 2022 by Elster & Salis AG Löwenstraße 2, CH–­8001 Zürich, Schweiz www.elstersalis.com Elster & Salis wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Förderbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt. Library of Congress Cataloging-in-Publication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek ver­zeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte biblio­grafische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funk­sendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbei­ tungsan­lagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhand­lungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Figuren, Orte und Geschehnisse sind frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Alle Ähnlichkeiten mit realen Ereignissen oder Personen, ob lebend oder tot, sind rein zufällig.

Nachweise Seite 38: Zitat aus dem Song Another Brick In The Wall © 1979 BMG UK / Roger Waters Music Overseas Ltd., Text und Musik: Roger Waters, Interpreten: Pink Floyd. Seite 80: Zitat aus dem Song Here’s To You © 1971 Universal Music Publishing Group, Text: Joan Baez, Musik: Ennio Morricone, Interpreten: Joan Baez und Ennio Morricone. Seite 103–104: Zitat aus dem Song Habbaytak Bissayf © 1970 by Modissa – Randa Phone, Text und Musik: Assi Rahbani und Mansour Rahbani, Interpretin: Fairouz, hier ins Deutsche übersetzt von Nathalie Rouanet. Seite 110: Zitat aus dem Song Avenues And Alleyways © 1973 Sony Music Publishing, Text: Mitch Murray und Peter Callander, Musik: John Cameron, Interpret: Tony Christie, hier ins Deutsche übersetzt von Nathalie Rouanet. Alle Zitate wurden, wo notwendig, nach bestem Wissen und Gewissen abgeklärt. Sollten wir etwas übersehen haben und es besteht ein berechtigter Anspruch auf Vergütung, bitten wir um eine Nachricht an info@elstersalis.com. Lektorat Eleonora Holthoff Korrektorat Gertrud Germann Satz Ulrike Groeger Gestaltungskonzept Clemens Theobert Schedler, Büro für konkrete Gestaltung Schriften Questa Sans, entworfen von Jos Buivenga und Martin Majoor: www.thequestaproject.com Novel, entworfen von Christoph Dunst: www.atlasfonts.com Druck und Bindung CPI books GmbH


Foto © Patrice Normand

Nina Bouraoui ist eine der führenden französischen Schriftstellerinnen ihrer Generation. Geboren 1967 in Rennes, verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend in Algerien, mit Zwischenstationen in Zürich und Abu Dhabi, und lebt seitdem in Paris. Sie ist Preisträgern des Prix Renaudot, Prix du Livre Inter und Prix Emmanuel Roblès, und Commandeur de l’ordre des Arts et des Lettres. Ihre Romane wurden weltweit in zahlreiche Sprachen übersetzt. Mit Erfüllung, nominiert für den Prix Fémina und den Prix Fémina des Lycéens, erscheint nach Geiseln (Elster 2021) Nina Bouraouis zweiter Roman auf Deutsch.


Die vielfach preisgekrönte französische Schriftstellerin Nina Bouraoui entführt uns in ihrem betörenden, neuen Roman Erfüllung in die Glut der mediterranen Landschaft. Durch die hypnotische Stimme von Michèle Akli erleben wir eine Frau und Mutter im Algerien der Siebzigerjahre, die versucht, ihr Leben und ihre widersprüchlichen Sehnsüchte zu verstehen – ein Roman von beunruhigender Schönheit, der dazu einlädt, sich überwältigen zu lassen. Algier 1977. Die Französin Michèle Akli lebt mit ihrem zehnjährigen Sohn Erwan und ihrem algerischen Mann Brahim, dem sie nach der Unabhängigkeit 1962 nach Algerien gefolgt war, in einem kleinen Haus über der Stadt. In diesem Sommer 1977 gibt sich Michèle Akli, mit ihrem Tagebuch als einzigem Halt, einer großen Melancholie hin. Das Verlangen nach ihrem Mann ist erloschen, ihre ganze Leidenschaft gilt dem opulenten Garten und ihrem Sohn Erwan. Sie ist eifersüchtig auf alle, die Erwans Herz erobern könnten, so wie »Bruce«, Erwans neue beste Freundin, die ihren Spitznamen als Hommage an ihr Idol Bruce Lee gewählt hat. Während die Freundschaft zwischen den beiden Kindern immer enger wird, lernt Michèle auch Bruces äußerst moderne Mutter Catherine kennen, und Michèles gesamte Existenz gerät ins Wanken. Vor dem Hintergrund der wilden Schönheit der Natur einerseits und des als bedrohlich empfundenen Regimes andererseits gelingt Nina Bouraoui ein nuanciertes Frauenporträt und ein Roman von großer Sinnlichkeit und Intimität über das Ende der Kindheit, die Irrungen der Liebe und die Sehnsucht, die einem den Verstand rauben kann. »Erschütternd zu lesen. Ein ebenso intimer wie hochpolitischer Roman – hat mich sehr gepackt.« ElkE HEidEnrEicH, Wdr, über Nina Bouraouis Roman Geiseln.

ISBN 978-3-906903-19-4


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