Romeo und Julia William Shakespeare
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Romeo und Julia William Shakespeare Deutsch von Sven-Eric Bechtolf und Wolfgang Wiens
Romeo und Julia William Shakespeare Romeo Julia Capulet Lady Capulet Graf Paris Tybalt Mercutio Benvolio Pater Lorenzo Fürst Escalus Montague Gesang Hieronymus Bosch-Gestalten
Jannik Mühlenweg Nina Siewert Klaus Rodewald Gabriele Hintermaier Benjamin Pauquet David Müller Christoph Jöde Valentin Richter Thomas Meinhardt Eberhard Boeck Frank Laske Sandra Hartmann
Oliver Frljić Igor Pauška Sandra Dekanić Jörg Schuchardt Carolin Losch
Inszenierung Bühne Kostüme Licht Dramaturgie
Martin Bässler, Balthasar Burger, Achim Geissinger, Johannes Gerlitz, Annabel Hertweck, Nadine Holländer, Tobias Holzner, Sandy Liebehenschel, Wiktoria Phillips, Joachim Schäfer, Veronika Schäfer, Daniela Schock, Martin Uhlirz, Anette Wanner, Erik Wunderlich, Sabine Wurster, Yanqiu Zhao
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Regieassistenz Bühnenbildassistenz Kostümbildassistenz Dramaturgieassistenz Soufflage Inspizienz Regiehospitanz Kostümhospitanz Dramaturgiehospitanz
Annalisa Engheben Hanna Bowe Teresa Heiß Christina Schlögl Frank Laske Lars Erik Bohling Sarah Rindone, Markus Scheible Julia Winkhard Lina Härer
Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Bühnenoberinspektor Manuel Willi | Technische Einrichtung Thorsten Schäfer | Leitung Beleuchtung Felix Dreyer | Be leuchtung Thomas Pfisterer | Leitung Ton & Video Frank Bürger | Leitender Tontechniker Jonathan Eichhorn | Ton Sebastian Thein | Leitung Requisite Philipp Unger | Requisite Erol Papic | Leitung Maschinerie Mustafa Agacdograyan | Direktion Dekorationswerkstätten Bernhard Leykauf | Technische Produktionsplanung Kathrin
Leßner | Leitung Malsaal LisaFuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Deko rationsabteilung Dirk Herle | Leitung Nähsaal Heidi Lange | Leitung Schreinerei Oliver Bundschuh | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Maskendirektion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Andrea Wagner, Yvonne Stock, Gabriele Nessel, Alissa Lo-Bue (Auszubildende) | Kostümdirekton Elke Wolter | Produktionsleitung Kostüme Petra Bongard | Gewandmeister*Innen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel | Leitung Statisterie Isabelle Grupp Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics
Schauspielhaus
Aufführungsrechte Aufführungsdauer Premiere
Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1:45 Stunden, keine Pause 24. November 2018
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„ Wer liebt, reitet auf Fäden durch die Luft, die durch den Sommer flirren, und kann nicht fallen. So leicht und leichtsinnig ist Glück. “ Pater Lorenzo
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Brandmal des Todes Regisseur Oliver Frljić im Gespräch m i t Dr a m at u rg i n Ca ro l i n Lo sc h
Carolin Losch: Du hast dir als politischer Regisseur einen Namen gemacht. Deine Inszenierungen und Stückentwicklungen beschäftigen sich mit politischer Gewalt, Kriegsverbrechen und darauf basierenden Traumata. In deiner Lesart der Liebestragödie schlechthin verzichtest du darauf, das Umfeld der verfeindeten Familien konkret zu verorten – weder historisch, noch politisch. Oliver Frljić: Zu oft habe ich Romeo und Julia als Stellvertreter für bestimmte politische, antagonistische Positionen in unserer Gesellschaft gesehen, mich hat viel mehr interessiert, wie das Stück funktionieren kann, wenn man das vermeidet. Das „Gute“ an dem Stück ist, dass jeder die Geschichte kennt. Dadurch entsteht – und ich sage das nicht ohne ein gewisses Maß an Ironie – ein brechtianisches Moment. Wir müssen die Handlung nicht nacherzählen und die Aufmerksamkeit des Publikums nicht auf Twists oder rhetorische Effekte lenken. Stattdessen wollte ich nach den versteckten Geschichten suchen, die hinter der allseits bekannten Handlung liegen. Die Herausforderung liegt darin, auf das zu hören, was Shakespeare in der Stille verbarg. Stille ist stets ein Ort für Traumata, ein Ort für Dinge, die nicht in Worte gefasst werden können, für die Momente, in denen die Sprache versagt. Ultimative Stille ist der Tod, „das unentdeckte Land, von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt“, wie Hamlet, ein anderer Sprössling Shakespeares und literarischer Bruder von Romeo und Julia, es ausdrückt.
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CL: Warum hast du dich entschieden, das Ende der Tragödie an den Beginn deiner Inszenierung zu stellen? OF: Unsere Geschichte von Romeo und Julia beginnt an dem Punkt, an dem Sprache unmittelbar mit dem Tod konfrontiert ist und höchstens noch stottern kann. Romeo und Julia liegen bereits in ihren Särgen, der Tod wird gleich einsetzen. Das Schwinden ihres Bewusstseins ist die Linse, durch die wir sehen, was passiert ist – eine Linse, die die Zeit aus den Fugen hebt. Auf den Tod der Protagonisten folgt dann sofort ihre erste Begegnung auf dem Ball der Capulets. Diese Liebe ist von Anfang an zum Tode verurteilt, dann folgt der Versuch der beiden, gegen dieses Verdikt anzukämpfen. CL: Die Familie Capulet nimmt in deiner Inszenierung einen großen Raum ein. OF: Mich hat zum einen die Familienpathologie interessiert, die meiner Ansicht nach unter dem grundlegenden Narrativ verborgen ist, zum anderen die Frage nach der sexuellen Identität der Hauptfiguren. Nach allem, was wir vermuten, bewegte sich Shakespeare selber auch außerhalb der Heteronormativität, die bis heute wenig von ihrer Gültigkeit verloren hat. Die Familie ist ein Abbild für die jeweils herrschende soziale Norm, doch nur selten wird nach dem Ursprung dieser Normen gefragt – wofür sie stehen und welche Art von Interessen sie verschleiern. Fast immer sind Beziehungen durch Besitzansprüche definiert. Julias Vater behandelt seine Tochter als eine Ware. Innerhalb des Familienverbandes werden auch sexuelle Normen reproduziert, wobei Heterosexualität erst einmal als ‚Normalzustand‘ gilt. Jegliche Art von Sexualität, die nicht der biologischen Fortpflanzung und der Biopolitik dient, wird zunächst als Angriff auf das Konzept ‚Familie‘ gewertet. Heute, im Zeitalter neoliberaler Freiheitsversprechen, ist die regulierende Rolle der Eltern in Bezug auf Sexualität natürlich etwas subtiler geworden. Nach der Definition von ‚Normalität‘ muss man natürlich auch in einem größeren ökonomischen und politischen Kontext fragen.
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CL: Der Bühnenbildner Igor Pauška und die Kostümbildnerin Sandra Dekanić haben eine bildstarke Welt entworfen. In traumartigen Sequenzen begegnen uns wundersame Gestalten, inspiriert von Hieronymus Boschs Gemälde „Garten der Lüste“, das etwa um 1500 entstand. Dort finden sich in einem Teil, der auch als „musikalische Hölle“ bezeichnet wird, verstö rende Wesen, die die Menschen quälen oder sogar auffressen – ein Fieber traum, eine Fantasiewelt. Warum begegnen uns Romeo und Julia nicht als Zeitgenossen? OF: Ich mag es immer, wenn es eine Art von Filter gibt. Die Figuren sind ohnehin schon verkleidet – entgegen der vorherrschenden Vermutung spielt das Stück ja nicht in der Renaissance, sondern im Mittelalter. Wenn schon Shakespeare den Figuren ein Kostüm gegeben hat, muss ich nicht noch mehr hinzufügen. Sie stehen für bestimmte Positionen und Ideen, die wir verstehen können, ohne sie in zeitgenössische Kostüme zu stecken. Ich habe mich auch entschieden, ausschließlich Text von Shakespeare zu verwenden und keine Fremdtexte hinzuzufügen. CL: Die Personen des Dramas sind oft alle auf der Szene, es gibt keine Heimlichkeiten, kein verstecktes Agieren, das ins Verderben führt. OF: Romeo und Julia sind schon so oft gestorben auf verschiedenen Bühnen der Welt. Davon müssen sie etwas gelernt haben, ein Teil dieses Wissens muss in ihre DNA eingedrungen sein. Ich wollte Romeo und Julia nicht als naive Teenager zeigen, die nicht wissen, was ihnen passieren wird. Indem eine Figur etwas sehen darf, was sie – wenn man der Linearität der Erzählung folgen würde – eigentlich nicht sehen sollte, erzeugt das völlig neue Situationen, und die Herausforderung besteht darin, zu sehen, wie der Text auf diese neue Realität reagiert. Die Überschneidung von verschiedenen Zeitebenen schafft eine interessante Spannung und lässt uns diese zwei jungen Menschen noch einmal in anderem Licht betrachten. Für mich ist Shakespeare nicht deshalb ein großer Schriftsteller, weil er uns ewige Wahrheiten zeigt – ich denke nicht, dass es so etwas gibt –, sondern weil er uns als Theatermacher so viele Möglichkeiten bietet. Es gibt ein Meer an Variationen, wie man Shakespeare-Stücke inszenieren und verstehen kann. Die Oberfläche
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des Textes ist ein äußeres Netzwerk, die Spitze eines Eisbergs. Darunter liegt ein viel komplexeres Geflecht von Bedeutungen, die wir oft nicht bemerken und benutzen. Was passiert zwischen den Sätzen? CL: Die verfeindeten Familien und der Staat, in dem sie leben, rücken in deiner Interpretation in den Hintergrund. Woran scheitern die Lieben den? OF: Sie scheitern, weil ich möchte, dass sie scheitern. Ich kann nicht akzeptieren, dass der Tod ein Preis ist, den diese jungen Menschen für irgendeine Art von Frieden oder Versöhnung zahlen müssen. Ein solcher Frieden wird immer das Brandmal des Todes von Romeo und Julia tragen. Ich denke, dass Shakespeare selbst einer vereinfachten Moral dieser Geschichte äußerst skeptisch gegenüberstand – der Idee, dass man sich durch den Tod der Liebenden Versöhnung, Frieden oder Wahrheit erkaufen könnte. Wir sehen das leere Ritual am Grab der beiden Kinder: zwei Familienoberhäupter reichen sich die Hand. Daran glaube ich nicht. Dieses Stück steht nicht für Versöhnung. Es geht vielmehr darum, wie Romeo und Julia sich davon emanzipieren können, als Sündenbock für eine bestimmte politische Causa zu fungieren. Was wir zeigen, ist ihr Selbstmord als ultimativen Akt der Freiheit, die Flucht aus einem Netzwerk von Familiengewalt und politischer Gewalt – zumindest für einen Moment. Es ist ein Akt der Verneinung dieser beiden sehr kompromisslosen Menschen gegenüber der Gesellschaft und den von ihr auferlegten Rollen. Ihre Liebe funktioniert als eine Art Katalysator. Sie realisieren, in welcher Art von Gesellschaft sie leben, was ihr Schicksal in dieser Welt sein wird. Indem sie Selbstmord begehen, behaupten die beiden ihre Autonomie. Es ist sehr schwer, in diesen Machtverhältnissen ein anderes Instrument zum Handeln zu finden. Vielleicht ist es naiv, vielleicht auch nicht. Darüber erlaube ich mir kein Urteil.
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Das komplette Programmheft zu „Romeo und Julia“ können Sie beim Besucherservice oder in unserem Theatershop zum Preis von 2,50 € erwerben. 12